Eine Geschichte von Ted, einem werten guten Freund.
Die nachfolgende Geschichte verknüpft Historie mit Fiktion, bemüht sich aber um eine realistische Darstellung. „So könnte es gewesen sein!“ wäre ein Lob für mich. Da ich mich aber mit dieser Geschichte auf belastetem Boden bewege, kann ich mir durchaus auch Kritik vorstellen. Die Kritik könnte sich an einer unpassenden Beziehung zwischen realem Leid im Kontext der damaligen monströsen Zeit und meinen oder unseren Fantasien stoßen. Das könnte ich verstehen. Es ist nicht meine Absicht, eine Person zu beleidigen, zu verletzten oder sonst wie zu stören. Ich betone, dass die handelnden Personen nicht real waren.
Berlin-Plötzensee – In der Nacht auf den 14.April 1945
Nahezu unbekannt ist die nachfolgende Geschichte, die sich in einer Zeit der Wirren und der Gewalt zugetragen hat. Bedrängt durch die näher rückende Front und in Erwartung des absehbaren Endes ihrer Herrschaft versuchte das Dritte Reich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte und in einer Art Raserei Vergeltung an seinen Gegnern zu üben. Einer der grausigen Schauplätze dieser Zeit war das Gefängnis Plötzensee. Gegen Ende des Krieges bemühte sich das Regime, die einsitzenden Häftlinge, darunter viele Regimegegner, zu beseitigen. Eine dieser Regimegegnerinnen war Eva Berg*, die durch ihre Beteiligung am 20.Juli ins Visier des Terrorapparates und dann in die Todeszelle geraten war.
* Fiktiver Name
Ihr Hinrichtungstermin war auf 6.00 Uhr anberaumt. Man hatte sie, streng nach Protokoll, am Vortag über die Hinrichtung in Kenntnis gesetzt und in ein der Todeszellen verbracht. Ihre Haare wurden wie vorgeschrieben gekürzt, ihre Hände mittels einer Handschelle vorne fixiert und sie der Aufsicht zweier Wärterinnen überlassen. Erstaunlich war allerdings, dass man ihr trotz der dramatischen Versorgungslage eine Henkersmahlzeit zukommen ließ, bestehend aus einer warmen Suppe, einem Wurstbrot und Tee. Ein Tribut an ihre Weiblichkeit. Die männlichen Mitdelinquenten erfreuten sich dieser Güte nicht.
Um 5.45 Uhr näherte sich das Exekutionskommando der Zelle. Die drei Schließer Schäfer, Smolnick und Ebers begleiteten bereits die ganze Nacht über die Delinquenten zur Richtstätte und waren entsprechend erschöpft. Alle drei waren erfahrene Strafvollzugsbeamte, die jeder sehr persönliche Wege gefunden hatten, um mit diesen Belastungen des Todes fertig zu werden. Schäfer zog sich in sich zurück und schottete seine Emotionen ab. Smolnick griff klassisch zum Alkohol. Ebers hingegen begrüsste die Exxekutionen, da seiner Ansicht nach die zum Tode Verurteilten Staatsfeinde waren, sein Dienst daher in höherem Auftrag gerechtfertigt war. Vor der Zelle stand der Anstaltspfarrer Petzold und blickte ihnen aus müden Augen entgegen. „Guten Morgen Herr Pfarrer. Warum sind Sie nicht bei der Verurteilten in der Zelle?“, fragte Schäfer. „Ich bezweifele, dass es ein guter Morgen ist.“ Dann leiser weiter: „Sie wollte gestern meinen seelsorgerischen Beistand nicht. Vielleicht aber jetzt. Mensch Schäfer.“ Seine Stimme brach ab. Schäfer räusperte sich und nickte Smolnick zu. Dieser öffnete die schwere Zellentür und der Blick in die Zelle wurde frei. Eva Berg saß in der Mitte des kleinen Raums an einem Tisch. Sie hatte aus Erschöpfung nach durchwachter Nacht den Kopf auf ihre Arme sinken lassen und war eingeschlafen. Eine der Wärterinnen berührte sie sanft an der Schulter. Eva Berg regte sich. „Was..“ murmelte sie, sah sich etwas benommen um, erkannte plötzlich die ganze Situation und fuhr erschrocken in die Höhe. Der Stuhl fiel um. Sie streckte sich, ihre Augen wanderten entsetzt von einer Person zur anderen. „Schon.. ich…“ ,begann sie, brach dann ab. Ein Ruck ging durch ihren Körper. Eva Berg war eine kleine zierliche Frau von 23 Jahren mit dunkelbraunem Haar, der man die Haftzeit ansah. Die schlecht geschnittenen Haare hingen strähnig an ihrem Kopf herab, dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie war mager geworden, dennoch strahlte sie eine innere Kraft aus. Schäfer nickte seinen Beamten zu, die sie in die Mitte nahmen und hinausführten. „Frau Berg,.. wenn ich…“, begann Pfarrer Petzold. Eva Berg schien ihn zunächst nicht wahrzunehmen. Dann heftete sich ihr Blick aber doch auf ihn. Sie unterbrach ihn leise: “Nicht!“ Dann fester:“Die Kirche hat dies alles geschehen lassen. Jetzt brauche ich sie nicht mehr. Lassen Sie mich bitte.“ Eine kurze, bedrückte Pause folgte. Schäfer nickte seinen Leuten wieder zu und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Vor mehrern Türen stoppten sie kurz, dann waren sie schließlich im Freien. Kalte Morgenluft und Zwielicht empfingen sie. Eva Berg schauderte in ihrer zu dünnen Anstaltskleidung ohne Strümpfe und mit Holzpantinen an den Füßen.
Der Hinrichtungsschuppen war über einen Hof zu erreichen. Bis 1943 waren die Hinrichtungen mittels Fallbeil vollzogen worden. Dann hatte man einen Stahlträger eingezogen und acht Fleischerhaken befestigt, bereit, die Todeskandidaten aufzunehmen. Der Wechsel vom Enthaupten zum Erhängen hatte auch mit dem wachsenden Hass der Machthaber auf ihre Gegner zu tun. Mit jedem Tag, an dem die Lage aussichtsloser wurde, nahm der Hass zu.
Vor dem Hinrichtungsschuppen wurde die Gruppe angehalten. „Ihr müsst warten,“ beschied ihnen ein Schließer, „die Erhängungen dauern länger als gedacht. Es ist noch kein Haken für die Frau frei.“ Eva Berg begann zu schwanken und musste von Smolnick gestützt werden. Es schien, als würde sie die Kraft, die sie bisher aufrecht gehalten hatte, nun verlieren. Schäfer versteifte sich und man sah, wie er mit sich kämpfte. Dann gewann seine Menschlichkeit und er bedeutete Smolnick, ihr etwas „zur Stärkung“ zu geben. Dieser nahm einen Flachmann und bot ihn Eva Berg an. Diese nahm zögernd die Flasche, was mit den gefesselten Händen nicht ganz einfach war, und führte sie zum Mund. Ein tiefer Schluck. Sie seufzte, erbrach sich aber sofort. Smolnick musste sie jetzt stützen. Es dauerte vielleicht eine Minute, dann strömte wieder etwas Kraft in sie. Im Licht der Außenlampen sah ihr Gesicht gespenstisch aus. Tiefe Schatten, starrer Blick. Trotzdem zeigte sie Würde. Schließlich wurde die Tür zum Hinrichtungsschuppen von innen geöffnet und ein Gestank aus Schweiß und Urin empfing die Gruppe. Rechts an der Wand stand ein langer schmaler Tisch, hinter dem der Staatsanwalt und zwei weitere Personen warteten und der Gruppe entgegensahen, kalt, unpersönlich. Der Betonfußboden war nass. Die Henker hatten den Boden abgespritzt, um die beim Tod durch Erhängen unweigerlich austretenden menschlichen Ausscheidungen notdürftig wegzuwaschen. Der einzige Raum war in der Mitte durch einen schwarzen Vorhang in zwei Teile getrennt. Man konnte den Galgen nicht sehen, wohl aber vernahm man Geräusche. Scharren, Stöhnen, eilige Schritte, Fluchen. Eva Berg wurde vor den Tisch geführt. Der Staatsanwalt verlas das Todesurteil und schloss mit den Worten: „Scharfrichter, walten Sie ihres Amtes.“ Der Vorhang wurde nun beiseite gezogen. Das schartige Geräusch war durchdringend und geradezu ekelerregend. Zwei Gehilfen des Henkers Rottmann kamen hervor und ergriffen Eva Berg. Rottmann wartete unter einem Haken mit einer Schlinge und hielt zwei Riemen in der Hand. Eva Berg wurde zu diesem einzig freien Haken ganz rechts geführt. An den anderen sieben Haken hingen Männer mit blauen, fast bis zur Unkenntlichkeit geschwollenen Gesichtern. Durch den Körper des angrenzend Gehängten liefen konvulsivische Zuckungen. Ob Eva Berg dies bemerkte, ist nicht bekannt. Sie konnte noch aufrecht gehen, musste weder geschoben noch getragen werden. Ihr Blick war weiterhin starr. Man sagt, Delinquenten hätten in den letzten Minuten eine geschärfte Wahrnehmung und ein geändertes Zeitgefühl. Nimmt man dies an, wird Eva Berg den letzten Gang sehr bewusst erlebt haben müssen. Unter dem Haken stoppten sie. Eva Berg wurde mit dem Gesicht zu den Anwesenden gedreht, Richtung Eingang. Rottmann legte nun die Riemen in Kniehöhe um ihre Beine und in Höhe der Ellenbogen um ihre Arme. Das unweigerlich folgende Zucken und Strampeln sollte so unterdrückt werden. Rottmann stieg nun auf den Schemel, nahm den Strick aus dem Fleischerhaken und legte Eva Berg die Schlinge geübt um den Hals. Der Knoten wurde hinter ihr linkes Ohr gelegt und die Schlinge zugezogen. Eva Berg drehte dabei instinktiv ihren Kopf, um den Sitz der Schlinge angenehmer zu machen. Eine in ihrer Natürlichkeit und Sinnlosigkeit erschütternde Bewegung. Die Gehilfen hoben Eva Berg an den Armen an, Rottmann hängte die am anderen Ende des Stricks befindliche Schlaufe fest in den Haken. Die Gehilfen ließen Eva Berg in die Schlinge fallen und zogen mit einem Ruck an ihren Beinen. Rottman stieg vom Schemel herunter und wandte sich der Gehängten zu.
Die Schlinge zog sich fest um Evas Hals zusammen, der dabei auch überstreckte. Ihr Gesicht lief zunächst rot an, als durch den unmennschlichen Druck die die Adern an ihrem Hals gepresst und die Luftröhre verschlossen wurde. Das Rot verwandelte sich in ein fleckiges Blau, ihre Zunge schob sich zwischen ihre Zähne. Für ein paar Sekunden hing Eva Berb ruhig, drehte sich nur leicht mit dem Strick. Dann begannen sich ihre Beine zu heben und zu strecken, soweit die Fesselung dies zuließ. Sie verlor dabei erst die eine, dann auch die andere Holzpantine. Ihre Arme hoben sich etwas, die wie zum Gebete gefalteten Hände verkrampften sich. Sie begann sich schneller am Strick zu drehen, der sogenannte „Tanz“ begann. Sie röchelte, stöhnte. Sie Kämpfte und litt offensichtlich. Ihr Blick aus geöffneten Augen irrte zunächst umher, ohne Halt zu finden, wurde dann starrer. Ihr Empfinden war jetzt ganz auf sich selbst gerichtet, innen. Speichel und auch etwas Blut zeigte sich auf ihren Lippen. Im Todeskampf hatte sie sich auf die Zunge gebissen. Alle sahen ihr zu, nur Smolnick blickte erschüttert zu Boden. Nach etwa einer Minute, die sich unendlich zu dehnen schien, wurden ihre Bewegungen langsamer, ihr Röcheln erstarb. Sie entspannte sich. Dafür breitete sich in ihrem Schoß ein feuchter Fleck aus, schließlich floss Urin an ihren Beinen herab. Nach weitern zwei Minuten hörten auch die letzten Zuckungen auf und sie hing still. „Das Urteil ist vollstreckt“, verkündete der Henker Rottmann. Man ließ Eva Berg noch eine halbe Stunde hängen, nahm sie dann vom Haken, löste die tief eingegrabene Schlinge und trug sie zu den übrigen Gehängten. Sie war die Nr. 35 am heutigen Tage.