Kum’do-Tod aus Soulebda

Auch Soulebda hat seine Schattenseiten …

Ein altes Spiel aus Soulebda tritt in Europa seinen Siegeszug an. Ein Spiel, nach dessen Ende, ein Spieler sehr reich, oder tot sein kann… Die Aussicht auf schnellen Reichtum zieht viele Glücksritter in den Bann des Spieles, das von dunklen Hintermännern perfekt organisiert wird.

Doch nicht alle Menschen spielen dieses Spiel freiwillig!

Als die Hintermänner der Spielemafia ein Kind entführen und es zwingen mitzuspielen, beginnt für unsere Helden ein erbarmungsloser Wettlauf gegen die Zeit, denn bei jeder Spielrunde liegen die Überlebenschancen des Spielers bei eins zu fünf…


 

Die Guten
Caroline Miles und
Peter Stein Protagonisten der Geschichte
Frank Brauer Chef der Beiden mit Eisatzerfahrung
Wolfgang Decker Leiter der Wachtruppe mit Kamperfahrung
Hannes, Johann und Gratzweiler Gute Freunde, immer zur Stelle
Randy Techniknerd
Dana Stern Technikgenie des Mossad
Benjamin Levi Major des Mossad
General Lem Chef des Mossad
Jonah Davidson Leiter der Technikabteilung
Fabienne und Finja Spezialistinnen für alle Fälle
Leonie Langler Ein unschuldiges Kind
Karin Winter (CW) Staatsanwältin aus Chemnitz
Marion Perlacher Polizei Dresden
Silka Vence Mutige Frau aus Dresden
Edi Türsteher mit Verstand und Herz
Bernd-der Bohne-Dressler Möchtegerngangster
Heinz Mohrle Chef des BND/Mainstadt
Gerd Collet BND
Joachim Passer BND
Jens Kämpfer LKA Mainstadt
Karl Merlenbach LKA
Tobias Meissner LKA
 

 

 

 

Die Bösen
James Kitzinger Vorstand
Manfred Hombacher Vorstand
John Gerfried Vorstand
Shaal’Ayns (Charly) Krieger und Spieler
Karen Wilson Geht für Geld über Leichen
Ferdinand Glöckner Privater Sicherheitschef
 

 

Schwarze Priester
Shau’Gra’Zin Abtrünniger Priester
Trag’Linh Abtrünniger Priester
Shau’Gra’Zin Abtrünniger Priester
 

 

Killer der Singh-Familie
Cheng-Seng Singh Oberhaupt der Singh Familie
Janiet Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Holp’Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Halit Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Gambu Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Hondu Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Hung Tzu Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Tamala Singh Mitglied der Singh Killerfamilie
Gunthar Singh Mitglied der Singh Killerfamilie

 

Vor 18 Monaten ein geheimer Ort bei Mainstadt

„Nein… bitte…“ fehlte die junge Frau weinend, welche von zwei kräftigen Männern in Sturmhauben eisern festgehalten wurde. Doch ihr Flehen war umsonst… In einem bunten Gewand sowie exotischem Federschmuck auf dem Kopf trat ein Mann, der ein Priester sein sollte, mit einem leicht gebogenen Dolch auf sie zu, während er leise in einer fremden Sprache sang. Voller Angst und Panik verfolgten fünf weitere Augenpaare wie der Fremde Mann den Dolch dabei prüfend in das Licht hielt und mit dem Daumen leicht über die Klinge fuhr, dabei tropfte sofort ein Tropfen Blut aus einer kleinen Schnittwunde. Als der Mann vor der armen Frau stand, packten die Wachen die Frau noch fester und der linke Mann ergriff ihre Haare und zog den Kopf nach hinten, so dass der Hals weit offen lag. „Krusch’ta ku’lert nual her’nar!“- „Dein Gott ruft Dich!“- rief der Priester, hob den Dolch und fuhr der Frau damit über die Kehle.

Unter dem panischen Geschrei der anderen Menschen im Raum sah der Priester ungerührt zu, wie das Blut aus der Wunde spritze, während die Frau sich im Griff ihrer Wachen im Todeskampf wandte. Schließlich, kurz bevor sie das Bewusstsein verlor, stach der fremde Priester ihr mit dem Dolch mitten in das Herz, so dass sie sich ein letztes Mal aufbäumte und dann erschlaffte.

Nun nickte der Priester den Wachen zu und diese trugen die Frau zu einem Tisch, der in der Mitte des runden Zimmers stand und an dem die anderen fünf Menschen auf Stühlen, welche fest auf dem Boden verschraubt waren, angekettet waren. Vor dem einzigen leeren Stuhl, es war der Stuhl der Toten, legten die Wachen diese nun auf den Tisch und traten zurück. Mit seinem Singsang in fremder Sprache stand der Priester einige Sekunden vor der Toten, dann griff er in sein Gewand und holte eine bunte Kette hervor, die er über seinen Kopf hielt. Dann trat er zur Toten, öffnete ihren Mund und legte ihr die Kette unter ihre Zunge. „Krusch’ta bal’sei Mur!“ –„Nimm das Opfer zurück!“- rief er, schloss den Mund wieder und verließ den Raum…

***

Heute. Mainstadt, Sonntagnachmittag

Es war der erste schöne Tag in diesem Jahr. Der Winter wich langsam und die ersten Knospen drangen durch die Erde. Wie jeden Sonntag spielten Jens und Patrick Fußball. Da in ihrer kleinen Ortschaft der Sportplatz für die großen Mannschaften gesperrt war, spielten die Jungs auf einem Waldparkplatz ihr eigenes Fußballspiel. Hier hatten schon viele andere Kinder gespielt und irgendwann wurde von der Gemeinde ein Tor aus einfachen Holzbalken errichtet, damit war alles da, was die Kinder zum Spielen brauchten. Dieser erste herrlich warme Frühlingsmorgen versprach einer der wärmsten und schönsten zu werden.

„Den Ball hältst du nie, den semmel ich dir oben in die Ecke.“, schrie Patrick und nahm Anlauf. Jens stand im Tor am Waldparkplatz und war gespannt, ob er den Ball fangen würde. Patrick zog ab, aber der Ball prallte seitlich an die Holzlatte ab und verschwand im Wald.

„So du Semmler, dann lass uns mal das Leder suchen, den hast du ja voll in die Pampas gehauen, ich glaub, der ist weiter da hinten.“ Gemeinsam begannen die beiden Freunde sich durch die Büsche zu schlagen. Der Waldparkplatz wurde auch von jungen Verliebten gern besucht, daher fanden sich auch allerlei Dinge, die nicht gerade appetitlich waren. Der Fußball fand sich nicht, er musste also noch tiefer in den Büschen liegen.

Minuten später rief Patrick Jens zu Hilfe. „Hey Schwacke, komm, ich glaub, da liegt wer.“
„Wie, da liegt wer?“, fragte Jens und beide wühlten sich durch das hohe Gebüsch. Sie fanden eine junge Frau mit dem Gesicht im Erdreich und neben ihr lag der gesuchte Ball.
„Habe ich die Frau da etwa umgehauen?“

„Wenn du die mit dem Ball umgehauen hast, dann hast du aber einen Mords Abzug.“ Erwiderte Jens seinem Freund und er schaute in das Gesicht der Frau.

„Verdammt, die schaut fast so aus wie meine Tante. Die Frau ist kalt, die liegt schon länger da, hast du mit deinem Handy Empfang, ich habe hier null Balken?“
„Ja ich habe Empfang. Wen rufen wir an, den Notruf 112?“
„Quatsch, was soll das Rote Kreuz hier, ruf den Polizei Notruf 110!“

***

Eine Stunde später war der Bereich um den kleinen Waldparkplatz weiträumig abgesperrt. Die Beamten des KDD aus Mainstadt, dem Kriminal Dauerdienst, hatten ihre Arbeit aufgenommen und sicherten die Spuren, die sich überall fanden.

Unterdessen wurden Jens und Patrick an einem der VW Busse von einer jungen Beamtin befragt und die beiden Schlingel versuchten alles, um auch weiterhin von der jungen Polizistin vernommen zu werden. Dabei achteten die Jungs auf alles, was sich so um sie abspielte, schließlich war das hier DER Hammer, etwas das man nicht alle Tage erlebte und eindeutig spannender war, als jedes Fußballspiel.

Leute im weißen Einmaloverall und Gesichtsmasken wuselten überall umher. Einer steckte kleine Fähnchen in den Boden, er schien etwas zu markieren, zwei andere maßen Abstände ab und ein weiterer machte Fotos. Die anderen drei Beamten sicherten irgendwelche Beweise und schienen irgendwelche Dinge einzupacken.

Am Einsatzbus standen die beiden Kriminalmeister Jens Merlenbach und Gernot Meissner bei Kriminalhauptmeisterin Jasmin Tschämmler, die hier vor Ort das Kommando hatte.
Die Kriminalmeister berichteten ihr gerade. „Also die Spuren zeigen, dass da eine bereits tote, junge Frau abgeladen wurde. Ein Fahrzeug fuhr rückwärts bis hierher, dann trugen zwei Leute, vermutlich männlich, die Frau aus dem Kofferraum bis hierher und legten sie hier im hohen Gras ab.“
Jasmin Tschämmler nickte leicht. „Weitere Spuren, was haben wir noch?“
„Der Fahrer rauchte Marlboro, und zwar Kette. Einer der beiden anderen Leute naschte Erdnüsse und hat sie hier überall verstreut, angebissene waren auch dabei, also eher keine Finte. Die DNA Spuren sind dafür reichlich vorhanden.“
„Weiter?“, fragt Jasmin.
„Die Karre hat ein Problem mit der Spur, das rechte Vorderrad ist innen abgefahren. Dem Profil nach ist es ein Daimler, das wird das Labor genauer herausfinden. Die Spuren zeigen, dass es ein Benziner war. Irgendwas stimmt nicht mit dem hinteren Reifen, das müssen die Laborleute überprüfen, vermutlich sind das zwei verschiedene Reifensätze. Der Motor ölt und die Karre ist verbreitert, so wie das aussieht.“
„Gut, soweit das Auto. Was wissen wir bereits von dem Opfer?“
„Weiblich, zwischen 30 und 40, gute Erziehung, saubere Fingernägel, die Kleidung ist eher besserer Durchschnitt und noch nicht alt. Ein Schuh fehlt, wenn wir Glück haben, finden wir den zweiten im Kofferraum. Die Frau war offenbar geschieden, was die Ringfinger Abdrücke an der rechten Hand zeigen, ansonsten keine Ringe, an keinem der Finger. Kein Ausweis, keine Kette nichts. Die Frau ist uns noch unbekannt. Ohne die Leiche zu bewegen ist die Todesursache nicht zu bestimmen, doch sie hat eine nicht zu übersehende Schnittwunde am Hals und Fesselspuren sind am linken Fußknöchel zu sehen. Alles andere muss der Gerichtsmediziner klären.“
„Todeszeitpunkt?“
„Lässt sich noch nicht genau feststellen, ich schätze gestern Abend, vielleicht auch Anfang der Nacht, jedenfalls keine vierundzwanzig Stunden.“
„Also dann, ihr wartet bis der Gerichtsmediziner da war und dann ab damit ins Labor, mal sehen, was die herausbekommen.“
Während die Beamten halfen die Leiche aufzuladen, ging Jasmin Tschämmler zu der jungen Polizistin, die mit den beiden Jungs sprach.
„Ihr beide habt also diese Frau gefunden. Habt ihr irgendwelche Leute kommen oder wegfahren gesehen?“
„Nein, das haben wir Michaela auch schon gesagt, wir waren auf dem Parkplatz alleine, ein alter Opel stand da, der gehörte einer alten Frau aus dem Ort, die war bestimmt auf dem Waldfriedhof. Sonst haben wir nichts gesehen und wir spielten da schon eine halbe Stunde.“
„Soso, Michaela, ich verstehe. Na, Kollegin Rommler, haben sie sonst alles notiert, dann sehen wir uns nachher in der Zentrale. Danke ihr beiden, es kann gut sein, dass wir nochmal mit euch reden müssen. Sagt mal, wie kommt ihr beiden Fußballer eigentlich heim?“
„Eigentlich hatten wir gehofft…“ meinte Jens leicht verlegen, während Patrick auf den Boden schaute.
„Schon klar, ihr Helden.“ Grinste Tschämmler. „Kollegin Rommler, du fährst die Zwei nach Hause und gibst den Eltern meine Diensttelefonnummer, falls den Beiden noch was einfällt.“
„Geht klar.“ Nickte Michaela und schaute zu den Jungs, die ihr Grinsen nun nicht mehr unterdrücken konnten. „Ihr habt’s gehört, ab in den Streifenwagen.“ Und als die Jungs losrannten, rief sie ihnen hinterher, „He! Vergesst euren Ball nicht!“

***

Mainstadt, Restaurant „Schiller“

„Was für eine Affenhitze!“ fluchte Mohrle leise vor sich hin. Heinz Mohrle hatte erst fünfzig Meter zu Fuß hinter sich gebracht und schwitzte schon, als wäre er einen Marathon gelaufen. Dieser Frühlingsanfang würde als einer der wärmsten in die Geschichte eingehen. Wie Heinz Mohrle ging es vielen die morgens mit langen Hosen und Jacken unterwegs waren und in der Sonne des Mittags ins Schwitzen kamen. Doch Mohrle war mit seinen Gedanken schon weiter, gleich würde er für seine Mühe belohnt werden, denn er war auf dem Weg ins „Schiller“, einen kleinen, wunderschönen, verwinkeltem Restaurant mitten in der Altstadt, das so beliebt war, dass man einen Tisch für das Wochenende mindestens drei Wochen vorbestellen musste. Selbst Mohrle als Abteilungsleiter des BND Büros Mainstadt, hatte nicht genug Kontakte um diese Hürde zu umgehen, doch heute, mitten in der Woche und vor Beginn der „Stoßzeit“, rechnete er sich gute Chancen aus, einen Tisch zu bekommen.
Tatsächlich! Als Mohrle das „Schiller“ betrat, wurde gerade ein kleiner Tisch frei. Er nahm Platz, bestellte ein großes, alkoholfreies Bier sowie einen kleinen Imbiss, dann wartete auf sein heutiges „Date“, welches einige Minuten später im „Schiller“ ankam.
Als Jens Kämpfer vom hiesigen LKA sich umsah, machte Mohrle auf sich aufmerksam und Kämpfer bahnte sich seinen Weg durch das Restaurant, bis er den Tisch mit Mohrle erreicht hatte, dann setzte er sich Mohrle gegenüber.
„Na, alter Freund, wie geht’s dir?“, wollte Mohrle von ihm wissen.
„Vergiss es! Die Arbeit erschlägt uns.“ Antwortete Kämpfer und bestellte sich ein Mineralwasser. Wie immer war KHK Kämpfer in einem ein T-Shirt und einer weiten Jeans eher leger gekleidet, im Gegensatz zu Mohrle, der auch bei diesem Wetter Krawatte trug. Dennoch trog der erste Eindruck, den Kämpfer bot, denn er war nicht nur einer der besten Polizisten, den das LKA hier in Mainstadt aufbieten konnte, sondern wurde auch über die Landesgrenze hinaus hoch geschätzt. Wann immer Das LKA einen „erfahrenen Feuerwehrmann“ brauchte, gehörte Kämpfer zur ersten Wahl.
„Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte Mohrle. „Viel Arbeit gab es schon immer, aber Mineralwasser… ist es so schlimm?“
„Schlimmer!“ schüttelte Kämpfer den Kopf. „Eigentlich habe ich gar keine Zeit, hier mit dir zu sitzen.“
„Oh… nun, dass du dir dennoch Zeit genommen hast, lässt vermuten, dass du eine Bitte an mich hast.“
„Tut mir leid! Verdammt, glaub mir, ich sehe meinen alten Freund Mohrle auch sehr gerne, aber… JA! Ich brauche deine Hilfe!“
„Dann schieß los, wo drückt der Schuh!“
Kämpfer ließ den Smalltalk weg und kam gleich zum Wesentlichen. „Du hast doch sicher von der Toten gehört, welche man im Park gefunden hat?“
„Klar, wer hat das nicht?“
„Wir haben ein riesiges Problem! Die Tote… wir haben ermittelt, dass sie eine Tochter hat… Sie ist verschwunden!“
„Wie alt ist die Tochter?“, wollte Mohrle wissen, als sich sein Magen in Erwartung einer schlimmen Antwort zusammenzog.
„Neun!“
Schlagartig wurde Mohrle bewusst, unter welchem Druck Kämpfer stand. Eine ermordete Mutter war schon schlimm genug, aber ein verschwundenes Kind… das ließ nichts Gutes erahnen. Ohne dass Kämpfer es aussprechen musste, war Mohrle klar, welche Bitte dieser an ihn hatte und fasste sofort den Entschluss, scheiß auf Zuständigkeit und Kompetenz, er würde alle seine Ressourcen nutzen um Kämpfer bei seiner Suche zu unterstützen.
„Ok.“ Sagte Mohrle und winke der Bedienung zu. „Egal wie die Hütte auch brennt, ich habe Hunger.“, und als die Kellnerin kam, bat er sie, „Bitte packen sie mein Essen ein.“

***

Im Polizeipräsidium

„Legen Sie los, Merlenbach und geben Sie uns einen Überblick.“ Kämpfer und Mohrle waren vom „Schiller“ sofort ins Polizeipräsidium gefahren, um sich mit dem Ermittlungsteam zu treffen, welches den Tod der Frau aus dem Park untersuchte. Außer Merlenbach war auch noch Meissner anwesend, der ebenfalls von Anfang an, an den Ermittlungen teilgenommen hatte. Als klar war, dass ein Kind verschwunden war, wurde sofort eine Sondergruppe gebildet, die Kämpfer unterstellt wurde. Tschämmler, die ebenfalls eine der ersten am Tatort war, wollte natürlich ebenfalls mit an Bord sein, doch leider gab es für das LKA noch mehr zu tun.
„Was wissen wir bisher?“ fragte Mohrle.
„Nun“, antwortete Merlenbach. „Wir wissen, dass die Tote Heidemarie Langler heißt, Einunddreißig Jahre alt ist und, dass sie eine neunjährige Tochter hat, die seit dem Auffinden der Leiche verschwunden ist.“
„Was ist mit dem Vater?“
„Seit ein paar Jahren tot.“
„Familie des Vaters?“
„Der Vater kam aus Futuna, von einer Familie wissen wir nichts.“
„Futuna im Pazifik?“ hakte Mohrle nach.
„Exakt.“
„Neuer Lebensgefährte?“
„Laut den Arbeitskollegen von Langler gab es keinen neuen Lebensgefährten.“
„Arbeitskollegen? Was ist mit Langlers Familie?“
„Es gibt keine nahen Angehörigen. Die Eltern starben vor mehr als acht Jahren bei einem Autounfall, Geschwister gibt es keine und die nächste Verwandte ist eine ältere Tante, die irgendwo in einem Dorf bei Rostock lebt.“
„Kein Vater, kein Lebensgefährte und keine nahen Angehörigen… also eher keine Familientragödie.“
„Nein.“
„Ein Raubüberfall, der aus dem Ruder lief?“
„Langler trug zwar kein Handy bei sich und eine Handtasche wurde auch nicht gefunden, allerdings trug sie ein Goldarmband und einen Ring, auch wenn diese kein Vermögen gekosteten, würde die kein Räuber einfach vergessen. Es sei denn der Mörder bekam Panik, doch das widerspricht den Verletzungen, der Mistkerl hat sich nämlich Zeit gelassen.“
„Woran starb Langler?“
„Neben diversen Misshandlungsspuren und Fesselmerkmalen gab es zwei letale Verletzungen. Einen Schnitt über die Kehle und dann kurz vor dem Tod einen Stich in das Herz.“
„Wurde sie vergewaltigt?“
„Definitiv nein, es gibt keine Anzeichen sexueller Gewalt.“
„Wann wurde Langer und die Tochter das letzte Mal gesehen?“
„Wir haben Hinweise, dass Langler sich, vor ihrem Tod, in Dresden aufgehalten hat. Also schnappten wir uns alle Videobänder aus Dresden und haben sie durch den Computer gejagt. Auf dem Überwachungsvideo einer Bank ist zu sehen, wie Langler eine Einzahlung vornimmt. Das Interessante ist allerdings das, was man im Hintergrund sieht, dort steht ein Mann, der ihre Tochter an der Hand hält. Unser Psychologe ist der Meinung, dass anhand der Körperhaltung des Mannes, Langler damit bedroht wird. Wir konnten den Mann als Bernd, der Bohne, Dressler, einem üblen Spieler und Zuhälter identifizieren.“
Damit zog Merlenbach eine Bildmappe unter seinen Unterlagen hervor und reichte sie Mohrle, der sich die gestochen scharfen Bilder ansah. –Tja- dachte dieser, -die Zeiten alter und unscharfer Bilder von Überwachungskameras ist vorbei.- Merlenbach hatte recht! Langler schaute nach links in eine verspiegelte Scheibe und Mohrle war sich sicher, dass sie aus diesem Winkel zu ihrer Tochter und Dressler sehen konnte. Und Langler hatte eindeutig Angst!
„Lassen sie mich raten, dieser Dressler ist ebenfalls verschwunden. Was ist dieser Dressler für einer?“
„Tja, hier beginnen unsere Probleme… Dressler ist ein bekannter Zuhälter und typischer Krimineller. Diebstahl, Zuhälterei und eine Menge kleinere Delikte. Ab und an war mal ein mittleres Ding dabei, aber nichts aus der Schwerkriminalität, und alle Kollegen aus Dresden, die Dressler kennen, sind sich einig, dass Mord und Kindesentführung für Dressler eindeutig eine Nummer zu groß sind. Zitat: „Dafür ist Dressler einfach zu blöd“, Zitat Ende.“
„HHMM“ Mohrle sah sich die Bilder erneut an. Keine Frage, Dressler bedrohte die Kleine und Langler hatte Angst. Allerdings… Dressler könnte auch einen nervösen Gesichtsausdruck haben… Irgendetwas störte Mohrle, ohne das er es greifen konnte… „Warten Sie mal… eine Einzahlung?! Langler hat etwas eingezahlt? Auf welches Konto?“
„Auf ihr eigenes Konto, neuntausendneunhundertneunzig Euro und somit exakt zehn Euro unter der Grenze, an der Einzahlungen nachweispflichtig sind.“
„Ist das Geld noch da?“
„Nein, das Konto wurde einen Tag vor Auffinden der Leiche geleert, allerdings wurde diese Transaktion die erste, welche über einen neuen Zugang als Onlinekonto getätigt wurde.“
„Also war Langler zu diesem Zeitpunkt schon tot…“
„Das ist naheliegend.“
„Wenn Dressler zu blöd für so eine Nummer ist, arbeitet er logischerweise für jemand anderen, ich gehe davon aus, dass Sie Dressler zur Fahndung ausgeschrieben haben.“
„Natürlich, LKA, BKA, Europol und Interpol suchen nach ihm.“
Mohrle ließ sich die Fakten noch einmal durch den Kopf gehen und nickte dann. „Gibt es denn sonst noch etwas?“
„Nein … doch! Der Gerichtsmediziner hat im Mund der Toten eine Kette gefunden. Sie wurde der Toten, nach dem Tod unter die Zunge gelegt.“
„Eine Kette? Zeigen sie mal her.“
Merlenbach suchte aus seiner Mappe einige weitere Unterlagen hervor und zog das Bild einer Halskette hervor.
„Der Psychologe will wegen der Kette einen Ritualmord nicht ausschließen. Dazu würden dann auch die Fesselspuren und der Schnitt über die Kehle passen.“
„HHMMM. Diese Kette sieht nicht aus, wie eine Kette, welche man hier um die Ecke im billigen Modehaus bekommt.“
„Nein, wir konnten feststellen, dass die Halskette aus Muscheln besteht und aus Soulebda stammt.“
„Soulebda!“ Mohrles Gedanken begannen zu kreisen… Soulebda lag (auf einer Karte) nicht allzu weit von Futuna entfernt und der Vater des Kindes stammte aus Futuna… Wenn es sich hier tatsächlich um einen Ritualmord handelte, musste die Kette eine bestimmte Bedeutung haben… er stand auf und ging ein paar Schritte, um besser nachdenken zu können. War das der Fall, bräuchten die Kollegen vom LKA die Hilfe von Experten… Doch wer kannte sich hierzulande mit soulebdalesischen Ritualen aus?
Während er darüber nachdachte, wer den Kollegen bei diesem Problem helfen konnte, blieb er am Fenster stehen und starrte auf die Stadt. Gerade als er sich umdrehen wollte, fiel sein Blick auf den Turm der JVA Mainstadt und plötzlich wusste Mohrle, wer Kämpfer, Merlenbach und Meissner helfen konnte.

***

Endlich zu Hause!

Der Zug fuhr in den Hauptbahnhof von Mainstadt ein und ich freute mich wieder zu Hause zu sein. Vier endloslange Wochen hatte ich in einem verschlafenen Kaff sechzig Klinometer hinter Berlin verbracht, um mich mit den Geheimnissen des Verwaltungsrechtes herumzuschlagen, und mittlerweile war ich der Meinung, dass sich Frank mit der Abordnung zu diesem Lehrgang, für all die Abenteuer rächen wollte, welche er meinetwegen durchstehen musste.
Aber jetzt war mir das völlig egal, ich war zu Hause und würde gleich meine Caroline in den Arm nehmen! Umso größer war meine Enttäuschung, als Decker und nicht Caroline am Bahnsteig stand.
Wolfgang Decker hatte wie üblich sein mürrisches Gesicht aufgesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt, wartete am Ende des Bahnsteigens und teilte mir, in seiner bekannt lieblichen Art mit als ich vor ihm stand, „Deine Frau ist noch unterwegs und Frank meinte, irgendjemand sollte dich abholen. Wieso ich das sein muss, weiß ich nicht! Hättest auch ein Taxi nehmen können.“ Erklärte er kurz und bündig, wobei er mich, ohne eine Miene zu verziehen, ansah.
„Tja“, seufzte ich und grinste, „eigentlich hatte ich mich auf einen heißen Begrüßungskuss meiner Frau gefreut… wie sieht‘s aus?“
„Versuch es, und ich breche dir ein Bein!“
„Schön dass du in den letzten Wochen der Alte geblieben bist… na gut, dann warte ich eben noch etwas mit dem Kuss, lass uns fahren.“

***

Wir kamen nur eine Viertelstunde später an der JVA an und passierten die Schleuse, an der Hannes Dienst tat.
„Bitte weisen sie sich aus!“, befahl Hannes und hielt die Tür zu, nachdem Decker sie passiert hatte.
„Ha ha! Hör zu du Muskelberg! Ich will zu meiner Frau, dann etwas gutes Essen und anschließend ins Bett, ich habe nämlich vor, vier Wochen ohne Sex nachzuholen! Du solltest mir also besser nicht im Weg stehen!“
„Tja“, meinte Hannes schelmig, „ich wette, deine Frau hatte keine vier Wochen ohne Sex… ich habe sie vorgestern mit Dana gesehen, ähm gehört…“
„Vergiss nicht Claires Besuch vorherige Woche.“ Warf Decker ein.
„Stimmt, Claire war auch da, von Vera und Sarah ganz abgesehen.“
Ich packte die Gittertür, doch Hannes öffnete sie, bevor ich daran rütteln konnte, und ließ mich breit grinsend passieren.

„Caroline ist gerade aus dem Ministerium gekommen und bestimmt noch bei Frank.“ Berichtete Hannes. „Ach, übrigens Bad-Man, du hast da was…“ er machte eine Geste um das Gesicht herum und schloss die Gittertür hinter mir. Nachdem ich ihm einen finsteren Blick zugeworfen hatte, machte ich mich mit Decker im Schlepp auf, zu Franks Büro.
Dort angekommen, verstummten augenblicklich alle Gespräche, als ich den Raum betrat. Caroline saß, mit Jessica an ihrer Seite Frank gegenüber und berichtete ihm, was sich das Ministerium, sowie die Kommission, welcher sie angehörte, neues bezüglich des Strafvollzugs ausgedacht hatte.
Alle drei starrten mich an, während ich auf sie zuging, doch als ich Caroline begrüßen und ihr einen Kuss geben wollte, sprang sie auf und nahm eine Verteidigungshaltung ein. „Denk nicht einmal daran!“ fauchte sie mich an. „Was ist DAS?!“, fragte sie und sah mich mit schmalen Augen an.
„Was?“
„Das Ding in deinem Gesicht?!“
„Das ist ein Bart! Als Mann wächst einem so etwas.“
„Ich weiß nicht“, sagte Jessica, deren Mundwinkel verräterisch zuckten, „Gratzweiler hat einen Bart… aber das hier … kann man das Bart nennen?“
„Es könnte Babytintenfisch sein, der sich festgesaugt hat, warst du Meeresfrüchte essen?“, fragte Frank und biss sich auf die Lippen.
„Vielleicht hat er Zuckerwatte gegessen und es kleben noch die Fussel im Gesicht.“ Fügte Decker mürrisch dazu.
„He! Das reicht!“, rief ich. „Verdammt, ich bin über vierzig! Und wenn ich einen Bart will, muss ich euch nicht um Erlaubnis fragen oder mich rechtfertigen!“
„Doch, bei mir schon!“, antwortete Caroline, griff mir unter das Kinn und drehte meinen Kopf etwas ins Licht. „Sorry, aber das geht gar nicht! Der muss ab!“
„Ach ja, und wenn er mir gefällt und ich nicht nachgebe?“
„Dann wirst du entweder solange keinen Sex mit mir haben, bis du dich rasiert hast, oder ich stelle das rasieren auch ein!“
„Du meinst das ernst?“ Wollte ich von ihr wissen.
„Oh ja!“ antwortete sie bestimmt.
„OK“, nickte ich, „dann sehen wir mal, wer zuerst nachgibt! Ich habe vier Wochen ohne Sex mit dir überlebt, ich überlebe auch länger!“

***

Mein Vorsatz hielt exakt eine Stunde.

Nachdem Caroline ihren Vortrag beendet und ich Frank einen Überblick über den Lehrgang vermittelt hatte, waren wir in unsere Wohnung eine Etage höher gegangen. Diese Räume hatten früher als Archiv und Lagerräume gedient, welche nicht mehr als solche benutzt wurden. Da ein Umbau als Zelle zu teuer und die Räume nicht leer stehen sollten, hatte Frank sie in zwei Wohnungen umbauen lassen und sie an enge Mitarbeiter vermietet.

Eine der Wohnungen bezogen Caroline und ich, in der anderen Wohnung lebten Dana und Randy. Nachdem Caroline die Tür hinter sich zugezogen hatte, schnupperte sie etwas und sagte, „Ich bin völlig verschwitzt und werde unter die Dusche gehen.“ Und damit begann sie sich auszuziehen… Selbst eine Profistripperin hätte sich nicht aufreizender ausziehen können! Sie ging kurz ins Bad und kam dann zurück. „Hab meine Puderdose vergessen.“ Grinste sie, als sie nackt vor mir stand, griff sie in ihre Handtasche und entnahm etwas, das ganz sicher nicht die Puderdose war, dafür fiel die Tasche etwas zur Seite, gerade so, dass ich die Handschellen darin deutlich sehen konnte.

Verflixt! Sie wollte es also auf unser Machtspiel ankommen lassen. Mein erster Reflex, die Handschellen zu schnappen und Caroline zu fesseln, unterdrückte ich, denn Caroline war eine ausgebildete Einzelkämpferin, sie zu bezwingen war nicht einfach… die Chancen dazu standen bestenfalls 50-50, und das auch nur, wenn sie mitspielen wollte. Und so ließ ich die Handschellen vorerst zähneknirschend liegen, ging ins Bad, in dem Caroline unter der Dusche stand und suchte mein Rasierzeug!

– Das werde ich dir heimzahlen! – schwor ich mir, während ich mir den Bart abrasierte und mir dabei in allen Einzelheiten ausmalte, was ich gleich mit ihr anstellen würde! Caroline ließ sich unterdessen betont viel Zeit unter der Dusche und erst als ich mit dem Rasieren fertig war, kam sie aus der Dusche hervor. Während sich Caroline abtrocknete und die Haare frottierte, ging ich leise pfeifend zurück in das Schlafzimmer und holte mir die Handschellen…

Es war höchste Zeit für eine weitere Runde… Wolf gegen Panterin!

***

Frisch rasiert, und völlig befriedigt, denn der Wolf hatte das Duell mit der Panterin gewonnen, stand ich mit Caroline nur einen Tag später im Salon eines hiesigen Autohändlers.

Da unser Wagen das letzte Abenteuer nicht überstanden hatte, musste ein neues Auto her.
Der aalglatte Autohändler hatte schnell erfasst, dass wir etwas „spezielles“ suchten, er engte die Wahl auf die teuren Modelle ein. Doch diese Taktik durchschauten Caroline und ich schnell und wir ließen uns nicht beeinflussen, bis Caroline vor einem mitternachtsblauen SUV stehen blieb. „Der ist es.“ Stellte sie fest.
Ich schaute mir das Modell, die Ausstattung und den Preis an, wobei mir gerade bei diesem die Luft wegblieb und ich verzog das Gesicht.

„Jetzt stell dich nicht so an“, stieß mich Caroline in die Seite, als sie mein gequältes Gesicht sah, „hättest du Speedy nicht getötet, wären wir nicht hier.“ Sagte Caroline.
„Ich habe Speedy nicht getötet!“
„Nein, du hast ihn auf bestialische Weise massakriert.“

„Das war Lukas!“ stellte ich klar.
„Egal, du warst dabei! Jetzt bleib locker, Penelope sagte, dass die Staatskasse Soulebdas etwas zuschießt, es war ja eine „Dienstfahrt“, bei sich Speedy heldenhaft geopfert hat.“

„Das beruhigt mich etwas… hast du dir die übrigen Preise angesehen? Ich wette, bei den meisten Modellen, liegt ein Insolvenzantrag schon im Handschuhfach mit dabei.“

„Hör auf zu jammern! Was ist jetzt mit dem Auto?“
„Ich weiß nicht… ein SUV?“, fragte ich und sah auf die Bildschirme, auf denen der Werbespot für das Auto in Dauerschleife lief. Darin fuhr das Auto über unbefestigte Bergstraßen, durch Wüsten, über Gletscher, eine Sprungschanze hoch und sogar durch dichten Dschungel.

„Ein SUV schluckt nur unnötig Sprit, ich meine, wann fahre ich denn schon einmal durch umwegiges Gelände, Wüsten oder Dschungel…“, ich brach ab, als Caroline die Arme vor der Brust verschränkte und mich mit schmalen Augen ansah. „Ok, das war eine blöde Frage.“ Damit drehte ich mich zu dem Verkäufer und sagte, „Wir nehmen den da.“

***

Zwei Tage später in der Außenstelle des BND / Mainstadt

Collet kam in Mohrles Büro und schüttelte den Kopf, als Mohrle ihn auffordernd ansah. „Nichts! Dressler und das Mädchen sind wie vom Erdboden verschwunden.“
Mohrle nickte resigniert und fluchte still in sich hinein.
„Heinz“, sagte Collet leise, „wir müssen uns dem Gedanken stellen, dass die Kleine tot ist.“
„Ich weiß…“
„Du siehst es anders?“
„Ich hab da ein komisches Gefühl.“ Mohrle holte Kopien der Bilder, welche Merlenbach ihm gegeben hatte hervor und schaute sich Dressler, Langler und Leonie an. „Irgendwas stimmt da nicht. Die Berichte über Dressler aus Dresden sind eindeutig, der Typ ist ein Kleinkrimineller und allenfalls ein mittelmäßiger Zuhälter, aber er ist kein Killer… man tötet nicht einfach einen Menschen und schon gar kein Kind.“ Er stand auf und ging in Gedanken versunken hin und her, während er weitersprach. „Fast alle Morde an Kindern geschehen im Affekt, aus Panik, oder sind Verzweiflungstaten, auch wenn wir diese nicht als solche verstehen, aber kaltblütig eine Mutter und ihre Tochter ermorden?… Nein, da muss man schon ein ganz großes Schwein sein… da passt etwas nicht zusammen. Selbst eine fünf Watt Birne wie Dressler weiß, dass an jeder Bank eine Überwachungskamera ist und trotzdem stellt er sich mit der Kleinen davor? Du bringst die Mutter um und legst sie in den Park, wo sie nur nach einem halben Tag gefunden wird, und dir klar ist, dass die Polizei nur Stunden braucht, um eine Großfahndung nach der Kleinen in die Wege zu leiteten? Dazu die Sache mit der Einzahlung… Ein Mörder der sein Opfer zwingt, etwas auf sein eigenes Konto einzuzahlen?“ Mohrle setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und sah Collet resigniert an. „Das passt alles nicht zusammen.“
„Vielleicht war Dressler nur der Handlanger. Es gibt genug Leute, die mit dem Mord an einem Kind kein Problem haben.“
„Ja, aber das sind Profis und auch Profis machen Fehler, allerdings keinen solchen dilettantischen Fehler. Ein Profi hätte niemals einen Vollpfosten wie Dressler als Helfer für einen Doppelmord engagiert. Außerdem, welcher Profi sollte Interesse am Tod von Langler und Leonie haben? Langler war nicht reich oder hatte reiche Verwandte die Lösegeld zahlen könnten, und eine gescheiterte Erpressung wegen ihres Jobs können wir wohl auch ausschließen, Langler hatte einen Bürojob bei einem Schuhhersteller.“
„Wenn es Profis waren, ging es nicht nur um Langler selbst, das ist klar, also muss es um etwas viel Größeres gehen.“
„Ich habe vielleicht etwas Größeres.“ Kam eine Stimme aus der Tür und Helmut Passer, ein weiterer Mitarbeiter aus Mohrles Team stand darin.
Mohrle winkte ihn herein und nickte. Passer trat ein und setzte sich zu den Beiden und begann zu grinsen. „Ist der Knüller.“
„Jetzt kommt wieder eine Statistik“, seufzte Collet, „ich sehe es an seinem Grinsen.“
„So ist es.“ Erwiderte Passer gelassen. „Ich weiß, dass ich euch mit den Statistiken auf die Nerven gehe, aber sie sind ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit und diesmal sogar wirklich nützlich, was diesen Fall angeht.“
„Dann lass hören.“ Forderte ihn Mohrle auf. „Wir können jeden Hinweis gebrauchen.“
„Wie ihr alle wisst“, begann Passer, „verschwinden jeden Tag Leute. Allein in Deutschland gehen pro Tag dreihundert Vermisstenanzeigen ein, doch zum Glück tauchen die meisten Vermissten schon kurze Zeit später wieder auf. Ich habe mich also auf die Fälle konzentriert, bei denen die Vermissten nicht nach einer Woche wiederaufgetaucht sind. Bei der Erstellung meiner Statistik habe ich dann europaweit Menschen erfasst die, wie Langler, kurz vor ihrem Verschwinden Urlaub machten, oder im Urlaub verschwunden sind. Jetzt sollte man annehmen, dass die gängigen Urlaubsländer gleichmäßig in der Statistik auftauchen, bis auf die üblichen Ausreißer, wie beliebte billige Urlaubsziele, als Beispiel dienen da die Balearen und die Türkei, oder eben Länder mit einer hohen Kriminalitätsrate. Könnt ihr mir folgen?“
„Ich weiß, wie man eine Statistik erstellt und wie man sie auswertet.“, antwortete Mohrle.
„Gut, dann wir dich das hier umhauen.“, grinste Passer. „Der Gerichtsmediziner hat doch eine Halskette aus Soulebda gefunden. Einer Insel am Ende der Welt und die touristikmäßig eher eine Nebenrolle in Europa spielt. Normalerweise sollte Soulebda ganz am Ende der Statistik stehen…“
„Aber…?“
Passer zog die Auswertung hervor und reichte sie Mohrle. „Europaweit sind in den letzte dreißig Monaten vierundsechzig Menschen verschwunden, welche kurz vor ihrem Verschwinden auf Soulebda Urlaub machten und damit gibt es einen Anstieg um mehr als fünfhundert Prozent! Soulebda belegt Platz eins der Statistik und das mit Abstand.“
„FÜNFHUNDERT PROZENT!“, fragte Mohrle nach und starre Passers Statistik an. „Wieso ist das noch keinem aufgefallen?“
„Weil bis jetzt noch keiner eine solche Statistik erstellt hat.“

***

Büro des LKA / Mainstadt

Kämpfer, Merlenbach und Meissner sahen sich ungläubig an, als Mohrle ihnen Passers Statistik präsentierte.
„WOW!“, stieß Meissner einen Seufzer aus. „Vierundsechzig verschwundene Personen…Wie teilen die sich auf?“
„Vierzehn aus Deutschland, Leonie mit eingerechnet, Zwölf aus Frankreich, neun aus der Schweiz fünfzehn aus den Niederlanden, zehn Belgier und schließlich zwei Fälle aus Luxemburg.“
Kämpfer starrte auf die Europakarte an der Wand und sagte dann, „Alle Fälle in einem Radius von fünfhundert Kilometern… Keine, oder bis jetzt nicht erkannten Fälle aus Ost bzw. Südeuropa… Das riecht verdammt nach einer kriminellen Vereinigung! Dann war Langler kein Einzelfall.“

„Verdammt!“ Fluchte Kämpfer, der die neue Dimension mit seinen Möglichkeiten abglich. „Die Sache ist für uns drei eindeutig eine Nummer zu groß.“
„Da muss ich dir rechtgeben.“ Pflichtete ihm Messner bei. „Wir brauchen Unterstützung. Da sind mehrere Behörden aus verschiedenen Ländern betroffen, das schaffen wir nicht alleine.“
„Ich hätte da einen Vorschlag“, begann Mohrle, „In Chemnitz arbeitet eine junge und angergierte Staatsanwältin, Karin Winter, welche Hummel, ihr Minister gerne aus der Schusslinie hätte. Sie könnte die Ermittlungen leiten und koordinieren.“
„Aus der Schusslinie?“ fragte Kämpfer nach. „Was heißt das?“
„Winter hat die Ermittlungen geleitet nachdem… ihr wisst schon, diese unschönen Szenen vor ein paar Monaten, mit diesen Neo-Nazis… jedenfalls hat Winter, als zuständige Staatsanwältin, eine null Toleranz Linie gefahren und sich damit wenig Freunde gemacht.“

„Dann sollte man ihr das Bundesverdienstkreuz umhängen und sie nicht aus der Schusslinie nehmen!“
„Das sehe ich auch so und sogar Hummel sieht das so! Immerhin hat sie die Sache geklärt und diese Neo-Nazis gaben Ruhe. Aber, das Problem ist, dass Winter noch zu jung und politisch völlig zu unerfahren ist, um nicht unter die Räder zu kommen. Sobald sie einen Fehler macht, werden sich ihre Kritiker wie die Geier auf sie stürzen und das war’s dann mit ihrer Karriere. Ich hab mit Hummel geredet, er will sie aufbauen, fördern und dann, wenn Winter dem Druck gewachsen ist, wird er sie zurückholen, um den Laden ordentlich aufzuräumen.“

„Klingt nach einem vernünftigen Plan, und sowas soll sich ein Politiker ausgedacht haben?“
„Nicht alle Politiker sind Vollpfosten. Nehmen wir zum Beispiel Nehren.“
„Das stimmt! Verdammt Nehren hat Eier, wie der dieses korrupte Pack aussortiert hat, alle Achtung… und das auch noch auf Kosten der eigenen Karriere… hätte ich nicht erwartet… Ok, Winter könnte uns hier sehr helfen.“

„Dennoch, wir brauchen noch mehr Manpower.“ Stelle Mohrle fest.
„Ich dachte da eher an Womenpower.“ Grinste Kämpfer. „Heute Nachmittag soll KOM’in Marion Perlacher aus Dresden ankommen. Sie hatte schon einmal mit Dressler zu tun und ich dachte…“ Er brach ab, als es an der Tür klopfte und eine attraktive, aber durchtrainierte Frau eintrat. „Marion Perlacher“, stellte sich die Frau vor, „ich suche KHK Kämpfer.“

„Das bin ich.“, antwortete Kämpfer und bat Perlacher zu sich. Anschließend stellte er ihr Merlenbach, Meisner und Mohrle vor, wobei sich Perlachers Augenbrauen zusammenzogen, als Kämpfer anfügte, dass Mohrle vom BND kam, gab aber keinen Kommentar dazu ab.

Eine Stunde später hatten Kämpfer und Merlenbach Perlacher zumindest grob ins Bild gesetzt und die ließ sich die Bilder der Überwachungskamera geben. „Ja, das ist eindeutig Dressler!“ stellte sie fest. „Das mit der Einzahlung ergibt überhaupt keinen Sinn… Leonie ist nicht freiwillig bei Dressler, Langler hat Angst und dennoch betätigt sie eine Einzahlung auf ihr Konto. Normalerweise werden in solchen Situationen Gelder abgehoben…“

„Tja, darüber rätseln wir auch noch.“ Gab Merlenbach zu und alle schwiegen, bis Perlacher die Stille durchbrach.

„Vierundsechzig…“

„Bitte?“ fragte Mohrle nach.
„Vierundsechzig! Jemand lässt vierundsechzig Menschen spurlos verschwinden, und zwar so spurlos verschwinden, dass sie tatsächlich nicht mehr auffindbar sind, denn in keinem Fall wurden auf Grund von Hinweisen auf ein Verbrechen Ermittlungen eingeleitet. Was immer hier läuft, es ist ein groß angelegtes Unternehmen. Warum lässt der oder diejenigen ausgerechnet eine der Vermissten tot in einem Park liegen, obwohl klar sein muss, das damit das ganze Unternehmen auffliegen kann?“

Die fünf Ermittler wechselten nachdenkliche Blicke und die Gedanken rasten in allen Köpfen.
„Ja…“ brummte Mohrle, „das ist die eine Million Euro Frage.“

***

Irgendwo – in der Nähe von Mainstadt

„Also, Warum?“
Das Schreien hatte längst aufgehört und die geschundene, blutende, vor Schmerzen windende Gestalt wimmerte nur noch.
„Ich frage noch einmal, ein letztes Mal“, beugte sich Glöckner zu dem Gefolterten herunter, welcher auf einer Liege festgeschnallt war. „Du hast zehntausend Euro bekommen, um die Langler in der Verbrennungsanlage zu entsorgen! Warum hast du die Leiche in den Park gebracht?!“

Die Befragung dauerte nun schon eine Stunde und Glöckner war keinen Schritt weitergekommen. Die Story, welche ihm der Mistkerl auf der Liege präsentierte, war einfach zu unglaublich, um wahr zu sein. Doch nach einer weiteren Stunde war Glöckner sich nicht mehr so sicher, dass die Geschichte erfunden war. Als Experte wusste er, dass Befragungen unter Folter nicht sehr zuverlässig waren, denn irgendwann würde der, oder die, Gefolterte ihm das sagen, was er hören wollte, nur um keine weiteren Schmerzen ertragen zu müssen. Doch dieser Idiot vor ihm, blieb bei seiner Version und Glöckner musste wohl oder übel die bittere Pille schlucken, dass das was er erfahren hatte, die Wahrheit war, welche er nun seinem „Chef“ Manfred Hombacher beibringen musste… hier war jedenfalls nicht mehr zu erfahren.

„Tja Betz, du hast es verkackt…“ sagte Glöckner schließlich zu dem Wimmernden und winkte dann seinen Handlangern zu. „Der Chef will ein Exempel, um weitere Versager zu verhindern.“
„Ok.“ Nickte der Handlanger und winkte ein paar weitere Gestalten zu sich, welche sich bisher im Hintergrund gehalten hatten. Betz sah voller Entsetzen, wie mehrere Kameras und Scheinwerfer um ihn herum aufgestellt wurden und begann an seinen Fesseln zu reißen, die ihn aber unerbittlich festhielten.

„NEIN, das könnt ihr nicht machen!“, flehte er, als man begann ihm Elektroden an allen empfindlichen Körperteilen anzulegen. Glöckner warf einen letzten Blick auf Betz, dann warnte er seinen Handlanger, „Der Chef will es langsam und schmerzhaft! Wenn ihr also nicht auch hier enden wollt, dann versaut es nicht!“ Das war zwar gelogen, denn Hombacher wollte nur Ergebnisse und das Ende von Betz war ihm ziemlich egal, doch Glöckner wollte sich an Betz dafür rächen, dass es überhaupt zu diesem unschönen Vorfall gekommen war. Und jeder der Glöckner kannte, wusste, dass man Glöckner besser nicht ärgerte… Während Betz erste Todesschreie erklangen, verließ Glöckner ungerührt den Befragungsraum.

***

Mainstadt / Zum Kreuzritter

Vor drei Jahren war Manfred Hombacher das erste Mal mit dem Spiel in Berührung gekommen. Auf einer Reise durch Asien, erlebte er auf dem Balkon seins Hotels eine Razzia der Polizei in einem Lagerhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Als er einen Hotelbediensten fragte, was sich in der Lagerhalle befand, erklärte dieser lediglich „Da sind die Verrückten die Kum’lata spielen.“ Ohne näher darauf einzugehen. Allerdings machte das große Aufgebot an Polizei Hombacher misstrauisch, er wurde neugierig und beschloss der Sache auf den Grund zu gehen, schließlich musste es ja einen Grund geben, warum die Polizei so massiv einschritt. Und an diesem Grund könnte etwas zu verdienen sein…

Zu Beginn seiner „Ermittlungen“ war er schon etwas enttäuscht, als sich Kum’lata als eine Art Wetten beim Flaschendrehen herausstellte. Doch warum die Polizei? Einfach nur weil es sich um ein Glücksspiel handelte? Oder steckte doch mehr dahinter? Enttäuscht darüber dass er keine Antwort fand, saß er eines Abends in der Hotelbar, als sich ein Mann neben ihn an die Theke setzte und sich einen Gin gestellte. Dann nach einigen Minuten, drehte sich der Mann zu ihm und fragte, „Sie interessieren sich für das Kum’lata?“
Hombacher schaute zu dem Mann, musterte ihn gründlich und meinte dann „Ja, warum?“

„Hätten sie Interesse ein Spiel zu besuchen und haben sie Geld? Bargeld?“
„Dreimal ja.“
„Gut.“ Grinste der Mann. „Für ein gewisses Entgelt könnte ich sie zu einem Spiel bringen.“
„Wie hoch soll denn das Entgelt sein?“
„Fünftausend Dollar.“
Hombachers erste Reaktion bestand darin diesen Idioten zum Teufel zu jagen, doch er zögerte…
„Eintausend und keinen Dollar mehr.“

Was folgte, war eine Feilscherei der ersten Güte, bis sich die Beiden schließlich auf 2225 Dollar einigten. „Gut, kommen sie mit.“ Sagte der Fremde, stand auf und nach einem kurzen Zögern folgte ihm Hombacher. Der fremde Mann führte ihn durch dunkle Straßen bis er schließlich vor einem verlassenen Bürokomplex stehen blieb. Nun fragte sich Hombacher, ob es eine gute Idee gewesen ist, dem Fremden zu vertrauen und rechnete schon mit dem Schlimmsten, doch der Mann klopfte an eine Tür neben dem alten Eingang.

Ein misstrauischer Schrank von Mann öffnete die Tür und nach einem kurzen Wortwechsel winkte der Mann aus der Hotelbar Hombacher zu, ihm zu folgen. Was folgte war eine echte Überraschung… Nach einem dunklen Korridor landete Hombacher auf einem Podest, von dem eine Treppe zu einem riesigen Saal unter ihm führte, in dem es nur so von Menschen wimmelte. An mehreren Tischen im Saal saßen vier bis sechs Spieler, mit einem Dolch in der Mitte und um die Spieler herum standen eine Menge Leute, die lauthals ihre Wetten platzierten. Hombacher blieb auf dem Podest stehen, ließ sich von dem Mann die Regel erklären und erkannte schnell, dass es bei dem Spiel weniger um das Spiel selbst ging, sondern um das Wetten an sich. Als sehr erfolgreicher Geschäftsmann erkannte er sofort das Ausmaß der Beträge, die während eines Spiels den Besitzer wechselten „Wenn sie gewinnen wollen“, erklärte ihm der Fremde, „müssen sie die Spieler studieren. Jeder Spieler hat seinen eigenen Stil. Es gibt Spieler die auf Dramatik stehen um die Einsätze in die Höhe zu treiben und Spieler die auf Nummer sicher gehen. Erst wenn sie deren Strategie kennen, und entsprechend in den Zwischenrunden setzen, können sie am Ende gewinnen.“

„Die Razzia letzte Woche… ich sehe hier Spieler die um Geld wetten, das gibt’s doch an jeder Ecke, warum dieser massive Einsatz.“
„Es geht eben um viel Geld, wie sie selbst sehen können.“

„Ich mag es nicht wenn man mich für dumm verkauft.“ Antwortete Hombacher ihm. „Ich sehe hier Wetten in einer Gesamthöhe von weniger als einer Million Dollar und davon wird ein nicht unbeträchtlicher Teil bei Leuten landen, die hier schützend die Hand drüber halten. Also wo ist das Geheimnis?!“

Der Fremde schaute ihn mit einem Pokergesicht an und schien zu warten, dann sagte er, „Da kommt das Geheimnis.“ und zeigte mit dem Kopf nach unten, wo ein großer Mann durch eine Seitentür den Saal betrat und sich zielsicher durch die Menge bewegte, um zu einer weiteren Tür zu gelangen, wo zwei Männer in den Weg traten. Hombacher, der die Männer als Wettteilnehmer gesehen hatte, stellte fest, dass die die Tür bewachten und den Mann kontrollierten.
„Wer ist das?“
„Der Priester aus Soulebda.“
„Ein Priester? Was tut er hier?“
„Wie viel Bargeld haben sie dabei?“
Als Hombacher ihm die Summe nannte, lächelte der Fremde und sagte, „Vergessen sie die Idioten hier beim Kum’lata.“ Er ging los und forderte Hombacher auf, ihm zu folgen. Nachdem er die Treppe hinabgestiegen war, steuerte er die bewachte Tür an und sprach mit dem Türwachen, denen er ein Bündel Scheine in die Hand drückte. Schließlich gaben sich die Wachen zufrieden und öffneten die Tür für Hombacher.
„Wo gehen wir hin?“ wollte Hombacher wissen.
„In eine andere Welt…ich zeige ihnen das Kum’do.“

***

An diesem Abend änderte sich Manfreds Hombachers Leben! Plötzlich wusste er, wie er sehr schnell unsagbar reich werden konnte, doch Hombacher war klug genug, zu erkennen, dass er dieses Ziel nicht alleine erreichen konnte. Durch seine guten Kontakte in der Wirtschaft kannte er eine Menge Leute und von einigen wusste Hombacher, dass diese genauso skrupellos waren wie er, wenn es darum ging, ihren Reichtum zu vergrößern. Bei der Auswahl galt, weniger ist mehr! Der Kreis Eingeweihter durfte nur sehr klein sein, denn erstens: War das was Hombacher vor hatte im höchsten Maße illegal und verwerflich und jeder zusätzliche Mitwisser vergrößerte die Gefahr aufzufliegen und zweitens: je größer der Kreis der Beteiligten, umso kleiner der Gewinn für jeden.

***

Am Ende eines langen Auswahlprozesses, kontaktierte Hombacher zwei Männer. John Gernfried, und James Kitzinger. Beide kannte Hombacher seit Jahren und mit jedem hatte er Geschäfte getätigt, die zwar sehr gewinnbringend, aber auch illegal waren. Man kannte sich also vertraute einander und es ergab sich schnell eine gemeinsame Basis.
Dann kam der Tag, an dem Hombacher Kitzinger und Gernfried in den Club „Zum Kreuzritter“ einlud.
„Ich hoffe, du gibst jetzt endlich das große Geheimnis preis, mit dem wir so reich werden sollen.“ Meinte Gernfried in einem Ohrensessel sitzend und eine Zigarre rauchend.
„Ja, das hoffe ich auch, doch vor allem interessiert es mich, was es einbringt und wie viel ich dafür investieren soll.“ Stimmte Kitzinger zu.
Hombacher lächelte ganz breit, als er sich vor die Zwei stellte und erklärte, „Die anfänglichen Kosten für jeden von uns liegen bei etwa zwei Millionen Euro. Der wahrscheinliche Reingewinn innerhalb von drei Jahren liegt bei geschätzten siebzig Millionen Euro… für jeden von uns.“
Kitzinger und Gernfried wechselten einen ungläubigen Blick und Kitzinger fragte nach, „Siebzig Millionen Gewinn in drei Jahren, bei einem Startkapital von zwei Millionen?!“
„Siebzig Millionen mindestens.“
„Und welches Idee soll uns so reich machen?“ fragte Gernfried.
„Ein Spiel!“
„Ein Spiel?!“ schüttelte Gernfried den Kopf, „Verdammt Manfred, ich dachte, du hättest eine vernünftige Geschäftsidee.“
„Warte!“ meinte Kitzinger, dem klar geworden ist, dass sich eine solch hohe Rendite niemals mit einem ehrlichen Geschäft zu erzielen lies. Entweder war Hombacher komplett verrückt, oder er hatte tatsächlich eine durchschlagende Idee. „Was für ein Spiel ist das?“
„Eine Wettspiel. Ein Wettspiel auf ein Menschenleben.“

***

Drei Tage später flogen die drei Männer nach Asien. Über den Mann, der Hombacher in die Spielhalle geführt hatte und mit einem SEHR dicken Bündel Geldscheine, konnten sich Gernfried und Kitzinger selbst ein Bild vom Kum’do machen. Genau wie Hombacher erfassten auch sie sofort die finanziellen Möglichkeiten dieses Spiels, sofern man es professionell betrieb…
Wieder zu Hause erarbeiteten sie gemeinsam eine Unternehmensstruktur. Als Erstes wurde eine Gruppe von Firmen und Gesellschaften gegründet, die zwar unabhängig voneinander waren, doch letztlich dazu dienten die Finanzenströme zu verschleiern, welche nötig waren um Kum’do als organisiertes Spiel zu betreiben.
Kopf dieser Gruppe war der Vorstand und wenig überraschend bestand der Vorstand aus Manfred Hombacher, denn er war für die Auswahl der Spieler, bzw. Spielerinnen zuständig, dann, John Gernfried der den Ablauf der Spiele, den Spielort und Geheimhaltung dieser organisierte und letztlich James Kitzinger der für den finanziellen Teil, wie die Vermarktung der Spiele und auch die Wetteinsätze zuständig war.
In der ersten „Vorstandssitzung“ wurden dann die Ziele festgelegt. „Wir können nicht einfach ein paar Schwachköpfe anrufen und fragen, ob sie sich an einen Spieltisch setzen wollen.“ Stellte Gernfried klar und traf den Nagel auf den Kopf. „Wenn wir genau so große Gewinne erzielen wollen, wie die da unten in Asien, dann müssen wir den Leuten echt etwas bieten.“
„Machen wir es wie in der Werbung.“ Meinte Kitzinger. „Die Leute sind verrückt nach exotischen Sachen. Wir beschaffen uns einen dieser Priester und lassen ihn seinen Hokus-Pokus abhalten, so machen wir aus dem Spiel ein Südseeritual. Sowas kommt immer an.“
„Was wir brauchen, sind Frauen. Sex sells, das gilt besonders, wenn eine dabei sterben kann. Ich schlage einen Anteil von zwei Drittel Frauen vor.“
„Das Problem ist, dass Frauen sich im Allgemeinen nicht freiwillig an einen Tisch setzten, um eventuell geopfert zu werden.“
„Wahrscheinlich nicht… wir müssten sie also… überreden mitzuspielen.“
Was folgte, war eine beispiellose Entführungswelle. Aus Deutschland, Frankreich und den Bene-Lux Ländern wurden vier Frauen und zwei Männer entführt. Doch damit war es nicht getan, die Sechs mussten untergebracht werden und man musste ihnen die Grundregeln des Kum’do beibringen. Gleichzeitig ging Kitzinger auf die Suche nach Wettteilnehmern, die VIEL Geld hatten und nicht wussten wohin damit, außerdem sie keine Skrupel haben ein Leben gegen Geld aufzuwiegen und er wurde fündig…
Schon die erste Spielrunde brachte alle investierten Kosten wieder ein und es blieb ein satter Gewinn übrig…
Nach einigen Spielen wurden dann die drei Vorstände von einer Anfrage eines Wettteilnehmers überrascht… Die Frage lautete, ob man auch selbst mitspielen könne! Als Kitzinger sich unter den Wettteilnehmern umhörte, war er überrascht, wie hoch die Bereitschaft war selbst am Tisch zu sitzen, obwohl man das mögliche Ende kannte… Eine genaue Analyse brachte folgendes Ergebnis: Freiwillige gab es jede Menge. Die einen spielten für den „Thrill“, die anderen wegen der Aussicht einen Haufen Geld zu gewinnen. Und es gab tatsächlich Menschen die bei einer Aussicht von fünf zu eins zu sterben, ihr Leben aus Spiel setzten um bei einer Chance von eins zu fünf, eine Million zu gewinnen.
Wieder trat der Vorstand zusammen und beriet sich. Klar war, dass die Spiele mit Freiwilligen sehr viel weniger Gewinn brachten als Spiele mit Entführten Spielern, dennoch war der Gewinn hoch genug um, so dass sich der Vorstand entschloss das Unternehmen neu aufzustellen.
„Wenn wir nur auf die Freiwilligen setzen, brauchen wir mehr als doppelt so lange um auf unser Gewinnziel zu kommen, doch solange wird die Polizei nicht zusehen.“ Stellte Kitzinger klar.
„Nein…aber ich hätte da eine Idee.“ Antwortete Gernfried. „Wir teilen das Ganze. Zum einen machen wir weiter wie bisher. Die Spiele mit den Entführten bringen sehr viel mehr ein, als die Freiwilligen, also behalten wir das weiter bei, so wie wir es geplant haben. Ein Spiel im Monat, nicht mehr! Zu diesen Spielen dürfen auch nur die von uns ausgewählten Wettteilnehmer kommen. Dazwischen können die Verrückten spielen die freiwillig kommen. Die lassen wir überall in Deutschland spielen, so halten wir die Polizei in Atem und lenken gleichzeitig von uns ab, es darf auf keinen Fall eine Verbindung zwischen den Entführten und den Freiwilligen Spielern geben.“
„Und wie wollen wir das bewerkstelligen?“ wollte Hombacher wissen.
„Wir brauchen einen guten Sicherheitsdienst. Ich denke ich kenne da jemanden… Ferdinand Glöckner.“

***

Ferdinand Glöckner… Er bekam die Mittel eine eigene Wach und Schließgesellschaft zu gründen umso einige üble Burschen anzuheuern, welche für die Entführungen und die „Betreuung“ der Gefangenen zuständig waren. Außerdem hatten sie die Leichen der Verlierer gründlich zu entsorgen, was bisher auch vorbildlich geklappt hatte.
Bisher…

***

„Also Herr Glöckner, wieso taucht eine unserer Spielerinnen tot im Park auf, statt spurlos zu verschwinden?“ wollte Manfred Hombacher wissen. Glöckner, der stramm vor Manfred Hombacher stand, gab seinem Chef eine Zusammenfassung der Ereignisse. „Betz hatte wohl alte Spielschulden in Höhe von sechstausend Euro. Als er die Leiche von Langler entsorgen sollte und dafür zehntausend Euro bekam, beschloss er wohl mit den zehntausend Euro beides zu bezahlen. Er bezahlte seine Spielschulden und heuerte mit den restlichen Viertausend zwei alte Bekannte an, welche ihm zusicherten, die Leiche im Main zu entsorgen. Aber anstatt das zu tun, haben die zwei Idioten Langler einfach unter ein paar Zweigen in den Park gelegt. Ich habe sofort zwei Teams losgeschickt um die beiden Bekannten von Betz einzufangen und herzubringen. Ich rechne noch heute Abend mit ihrem Eintreffen.“
„Herr Glöckner… wie sie sich sicher vorstellen können, ist unsere Unternehmensleitung nicht sehr glücklich über die neusten Ereignisse. Erst die Sache mit Dressler und nun findet man eine Mitspielerin mitten in Mainstadt.“ Manfred Hombacher legte eine Pause ein, um Glöckner Zeit zum Nachdenken zu geben.
Dressler, ein Zuhälter aus Dresden hatte die Aufgabe gehabt Heidemarie Langler als Spielerin zu rekrutieren, was dieser auch getan hatte. Natürlich kannte Dressler weder Hintermänner, noch kannte er den Einsatz, welche die Spieler setzten und er wusste nichts davon, dass Spieler nach einer verlorenen Runde starben. Dressler hatte lediglich die Aufgabe, die von Manfred Hombacher ausgewählte Menschen zu Spielern zu machen. Hombacher suchte gutaussehende junge Menschen, überwiegend Frauen, welche schnelles Geld gut gebrauchen konnten. Über Vermittler wie Dressler bekamen diese dann die Chance, in exquisite Spielrunden einzusteigen, welche natürlich fingiert waren. Die rekrutierte Spielerin gewann und fasste nach und nach Vertrauen in ihre neuen „Freunde“ wie Dressler. Viele Spielerinnen, wie Langler, eine Büroangestellte die sich mit ihrem Gehalt gerade so von einem Ersten des Monats, bis zum nächsten Ersten schleppten, gewannen sogar eine Reise in die Südsee und genossen den Urlaub unter Palmen, was allerdings noch einen weiteren Hintergrund hatte. War die Zeit dann reif, wurden sie zu der „großen“ Runde eingeladen, die Runde, die alle ihre finanziellen Probleme für immer lösen würde… und verschwanden. Das wusste Dressler, der nur einer von vielen war, selbstverständlich nicht. Dresslers Part endete damit, dass ein dicker Wagen mit abgedunkelten Scheiben die Spielerin abholte. Diese Vorgehensweise hatte sich nun über viele Monate bewährt, doch dieses Mal war etwas schiefgelaufen. Manfred Hombacher war sichtlich überrascht, als man ihm mitteilte, dass die neue Spielerin, welche unmittelbar vor der „Einladung“ zur großen Runde stand, eine Tochter hatte! Manfred Hombachers wichtigste Regel ließ ihn Spieler ohne enge Familienbande aussuchen, denn wenn niemand die Spieler vermisste, suchte sie auch keiner. Um die neue Situation zu klären, rief Manfred Hombacher eine „Vorstandssitzung“ ein.

***

Bisher gab es auch keine Probleme mit der Auswahl der Spieler…bis man Hombacher mitteilte, dass Heidemarie Langler eine neunjährige Tochter hatte…
Manfred Hombacher Ziel war es die Tochter gleich von ihrer Mutter zu trennen, ermorden lassen war eine zu harte Umschreibung dafür und wurde in der Sitzung vermieden, doch John Gernfried hatte eine ganz andere Idee. Leonie, Langlers Tochter war ebenfalls auf Soulebda gewesen und hatte unwissend ein Opfer gebracht, warum sollte sie nicht in die Spielerrunde aufgenommen werden?
„Hast ihr eine Ahnung, welche Anziehungskraft wir damit erzielen?“, fragte sie in die Runde. „Ein Kind, das um sein Leben spielt, nichts zieht die Leute und deren Geld mehr an, als solch ein morbides Spiel! Die Einsätze werden explodieren und durch die Decke gehen. Wenn wir es schaffen, die Kleine im Spiel zu halten, werden wir das gesetzte Ziel viel schneller erreichen und somit eine Entdeckung durch die Behörden verringern.“
„HHMMM.“ Meinte James Kitzinger „Der Gedanke hat etwas… aber dann müssen wir es schaffen, die Kleine im Rennen zu halten.“
„Wir haben noch etwa sechs Monate bis zum Ende und dem Erreichen unseres Ziels, also muss die Kleine, solange durchhalten… Ich wette, auf Soulebda gibt es noch professionelle Spieler. Wir sollten einen davon verpflichten, damit er die Kleine zur Profispielerin macht und ihr als Betreuer zur Seite steht. Seine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Leonie so lange überlebt, bis alle Buchmacher ein Vermögen auf die Kleine setzten und wir mit einem Schlag ein Vermögen abkassieren.“
„Und was machen wir mit der Mutter?“ wollte Manfred Hombacher wissen.
James Kitzinger sah ihn mitleidslos an. „Die muss bei der nächsten Runde ausscheiden!“

***

Das war der Plan…

Der Wagen der Heidemarie und Leonie zur großen Runde bringen sollte war schon unterwegs, als Dressler etwas spitzbekommen hatte und durchdrehte, er schnappte sich Langler und Leonie und verschwand. Glücklicherweise machte Dressler den Fehler, dass er Langler Geld auf ihr Konto einzahlen ließ, welches diese in den fingierten Runden gewonnen hatte, wohl um es später überall wieder abheben zu können. Dass Langlers Konto von Manfred Hombacher überwacht wurde, konnte Dressler natürlich nicht wissen und so hatte Manfred Hombacher schnell reagieren können. Die Einzahlung wurde in Dresden Gemacht, was erheblich zum Auffinden der Flüchtigen beitrug, denn nun kannte man den Ausgangspunkt ihrer Flucht.
Da Langler nur eine Verwandte hatte und es nahelag, dass Langler dort Schutz suchen würde, brach Glöckner sofort mit zwei seiner besten Leute nach Rostock auf, um Dressler, Langler und Leonie wieder einzufangen. In Sichtweite Rostocks schlug Glöckner zu und stoppte den Wagen mit Dressler und Langler mit einer fingierten Autopanne. Doch während Glöckner und seine Männer Langler und Leonie in ihre Gewalt bringen konnten, gelang es Dressler, abzuhauen. Schnell wie ein Wiesel rannte er los und lief mitten auf die nur einhundert Meter entfernte Autobahn zu.
Glöckner stand nun vor dem Dilemma, ihn niemals, ohne Zeugen einzuholen, denn auf der A 19 begann der Berufsverkehr… Irgendjemand würde die Polizei rufen… also ließ Glöckner Dressler laufen um ihn bei der nächsten Gelegenheit einzufangen. Außerdem nahm Glöckner an, dass Dressler ganz sicher nicht zur Polizei gehen würde. Und selbst wenn, kannte Dressler keinen Namen oder Gesichter…
Fakt war, dass Dressler einen unschönen Fleck auf Glöckners bisher makellosem Management hinterlassen hatte. Und nun diese Katastrophe! Heidemarie Langler lag tot im Park, weil einer seiner Untergebenen Mist gebaut hatte! Nein, der Vorstand kreidete dieses Versagen nicht seinen Männern an, sondern IHM! Diese Tatsache war schlimmer als alles andere!
„Ein weiteres Versagen können wir uns nicht erlauben!“, sagte Manfred Hombacher schließlich zu Glöckner, was nichts anderes hieß, als dass er beim nächsten Schnitzer tot sein würde!
„Der Vorstand muss sich keine Sorgen machen, einen weiteren Vorfall wird es nicht geben!“, antwortete Glöckner mit zusammengepressten Kiefern, sorgsam darauf bedacht, seine Wut nicht zu zeigen. „Gut, dass hoffe ich! Jetzt finden sie Dressler, ziehen sie die beiden Idioten aus dem Verkehr, die Langler in den Park gelegt haben und sorgen sie dafür, dass keine Spur zu uns führt.“

***

Dresden

Dresslers Leben hatte sich in einen Alptraum verwandelt!
Im Laufe seines Lebens, hatte Dressler viele krumme Dinger gedreht… er war ein Dieb, ein Spieler und ein Zuhälter, aber einer der „seine“ Mädchen immer gut behandelt hatte, zumindest sah Dressler das selbst so. Ja, Dressler sah sich als den Gentleman Gangster, dessen Vorbilder Mafiosos wir Bugsy Siegel waren. Und eines war er ganz sicher nicht! Ein Mörder!

Dresslers Alptraum begann, als er zufällig auf den „schönen Horst“, einen Bekannten aus alten Zeiten stieß, der ebenfalls für einen anonymen Auftraggeber Spieler anwarb. Man kannte sich eben in der Szene und traf sich, wenn auch in unregelmäßigen Abständen, immer einmal wieder. Während Heidemarie Langler im Hinterzimmer einer heruntergekommenen Bar bei einer fingierten Spielrunde über eintausend Euro gewann, saß Dressler mit dem schönen Horst an der Bar, wo eine Menge Bier und auch Schnaps floss.

„Hübsche Spielerin, die du da an Land gezogen hast.“ Stellte Horst fest. „Schade, um sie, an der Stange könnte sie tatsächlich gutes Geld verdienen.“
Dressler, eh nicht der schnellst im Denken, brauchte eine Weile um hinter der Schmeichelei eine Botschaft zu erkennen, setzte sein Gals ab und schaute seinen Bekannten fragend an. „Wieso schade?“ wollte er von Horst wissen.
„Naja… du weiß schon, demnächst kommt der fette Wagen und bringt sie zu großen Runde.“ Antwortete der und nahm einen Schluck aus seinem Bierglas.
„Und?“ Dressler stellte sein Glas ab und versuchte sich einen Reim auf Horsts Aussage zu machen. In einigen Moment wusste Dressler genau, dass er im Denken langsamer war als andere, doch meist gelang es ihm das mit einigen Floskeln zu verbergen, doch diesmal konnte er sich keinen Reim davon machen.
„Dressler, bist du so naiv oder tust du nur so?“ fragte der schöne Horst spöttisch.
„Was meinst du?!“
„Hast du jemals einen deiner Spielerinnen NACH der großen Runde wiedergesehen?“
„Nein, wieso auch, mit dem Geld, das man dort gewinnt, braucht man sich hier nicht mehr in diesem schäbigen Spelunke blicken zu lassen.“ Meinet Dressler und machte eine Geste zur heruntergekommenen Bar.
Statt einer Antwort brachte der schöne Horst ein grunzendes Lachen zustande und griff nach seinem Glas, um es zu leeren.
„Was meinst du damit?!“, wollte Dressler wissen.
„Dressler, Dressler… Was spielt die Kleine dort hinten?“
„Poker.“
„Poker… Wie viele Spieler sitzen beim Poker an einem Tisch?“
„Sechs?“
„Sechs… Und alle sechs Spieler gewinnen so viel Geld, das sie für immer ausgesorgt haben? Bist du wirklich so blöd und glaubst das?“
„Aber…“ Dressler, der wie Mohrle es treffend formuliert hatte, eine fünf Watt Birne im Denken war, begann erst langsam zu begreifen, was der schöne Horst da sagte!
„Von mir hast du das nicht! Verstanden?!“ Horst stand auf, warf ihm noch einen warnenden Blick zu und holte sich an der Bar einen neuen Drink, während die Gedanken in Dresslers Gehirn immer schneller rasten. Vier Spielerinnen hatte Dressler schon zur großen Runde geschickt und nein! Von keiner hatte er wieder etwas gehört… Doch er hatte eben auch noch nie weiter darüber nachgedacht… Bis jetzt! Wenn sein Bekannter Recht hatte, dann war er ein… Mörder. Dresslers Gehirn weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu führen!
Dressler spürte, wie eine Woge der Panik in ihm hochstieg, waren die die vier Spielerinnen etwa tatsächlich tot? Wenn ja, suchten die Bullen sicher schon nach ihm! Schlimmer noch, heute Mittag bekam er die Nachricht, dass Heidemarie Langler morgen zur großen Runde eingeladen wird! Aber vor drei Wochen, zwei Wochen bevor Heidemarie für eine Woche nach Soulebda flog, hatte sie ihm ihre Tochter Leonie vorgestellt! Wenn man Heidemarie umbrachte, würde man bestimmt auch die kleine Leonie umbringen! Und wenn er dann in den Knast wanderte… Dressler, der wenn auch nur kurz, einige Male, im Knast eingesessen hatte, wusste nur allzu gut, welches Leben Kindermörder im Knast erwartete! Kindermörder waren im Knast die unterste Stufe! Sie waren Freiwild! Sobald die Bullen ihn schnappten, war er so gut wie TOT!
-NEIN… du musst zu den Bullen… NEIN! – „AHH!“ zuckte Dressler zusammen, als ihn jemand an der Schulter packte. Er riss sich los, sprang zurück und sah Heidemarie vor sich stehen. „He, was hast du?“ fragte sie ihn. „Sieh mal!“ Heidemarie hielt ihm ein Bündel Scheine unter die Nase. „Eintausend Einhundert Euro!“, lachte sie. „Was denkst du, wann bin ich gut genug für die große Runde?“
„Scheiße!“ fluchte Dressler und kämpfte gegen die Panik, welche ihm den Hals zudrückte.
„Was ist?! He, ich gewinne!“, lachte Heidemarie, doch Dressler packte sie und zerrte sie hinter sich her, nach draußen.
„Was soll das?!“ schimpfte Heidemarie, als Dressler sie hinter sich her zog.
Draußen an der frischen Luft ließ er sie los und atmete Dressler mehrmals tief durch. „Wir müssen abhauen! Wie viel Geld hast du gewonnen?“
„Eintausend…“
„NEIN! Ich meine insgesamt!“
„HHMM… etwa zehntausend. Kannst du mir vielleicht einmal sagen was hier los ist?!“
„Die wollen dich umbringen verdammt noch mal!“
„WAS?! WER?!?“ Nun begann auch Heidemarie Angst zu bekommen. „Von was redest du?“
„Wer? Na die Typen die die Spielerunden organisieren!“
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr!“
„Die Spiele! Heute! Das ist alles nur Show! Die lassen dich mit Absicht gewinnen!“
„Aber…“
„VERDAMMT ICH WEISS ES NICHT!“ Brüllte Dressler beinahe und sah sich sofort um, ob sie beobachtet wurden, doch es war niemand zu sehen. „Wir müssen weg, Sofort!“
„Wenn du Recht hast, müssen wir sofort zur Polizei!“
„Bist du verrückt?! Nein keine Bullen! Kennst du jemanden, bei dem wir eine Weile untertauchen können, zumindest bis ich mir etwas überlegt habe?“
„Ich habe eine Tante bei Rostock.“
„Hast du jemandem davon erzählt Heidemarie?“
„Nein, ich meine… es hat nie niemand gefragt.“
„Ok, wir brechen sofort auf!“
„Aber was ist mit Leonie?!“
„Wir nehmen sie mit. Wo ist das Geld?“
„In meinem Hotelzimmer, bei Leonie.“
„Wir holen Leonie und das Geld, dann machen wir an einer Bank halt und du zahlst etwas weniger als zehntausend ein, so können wir immer darauf zugreifen. Den Rest nehmen wir mit!“ Noch während er sprach hatte Dressler einen, für ihn, riesigen Geistesblitz! An jeder Bank war eine Kamera! Wer weiß… vielleicht war es nicht schlecht, eine Spur zu legen…

***

Jetzt hatten sie Heidemarie und Leonie! Nur mit viel Glück konnte Dressler abhauen und sich verstecken. Wie sie ihn gefunden hatten wusste Dressler nicht, doch ihm war klar, dass die Bullen jetzt das geringste Problem darstellten! Was er brauchte, war Zeit! Zeit zum Nachdenken, Zeit um sich zu verstecken! Zeit…
ZEIT!

***

JVA Mainstadt

„Du siehst so anders aus“, meinte Frank, musterte mich kritisch und zog die Augenbrauen zusammen, „du bist doch hoffentlich nicht krank?“ fragte er, als ich mit Caroline in seinem Büro saß. „Ach nein… der Bart ist ab.“, dabei betonte er das Wort Bart überdeutlich und grinste mich breit an.
„Hack nur darauf herum…“ antwortete ich scheinbar tief beleidigt, „wenn das nächste Mal eine Horde Piraten hinter dir her ist, werde ich mich erst rasieren, bevor ich deinen Hintern rette!“
„Du rettest meinen Hintern?! Wenn hier einer einen Hintern rettet, dann rette ich doch wohl regelmäßig deinen!“
„Ich frage mich, wie ihr schafft, seit über zwanzig Jahren Freunde zu sein?“, seufzte Caroline.
„Und ich frage mich, wie du es schaffst, mit ihm verheiratet zu bleiben?“, antwortete Frank
„ICH frage mich, warum ich mir das mit euch BEIDEN überhaupt antue!“, schüttelte ich den Kopf.
„Weil du uns beide unendlich lieb hast!“, sagten Caroline und Frank wie aus einem Mund und wir grinsten uns gegenseitig an. Verdammt ja, wir wussten genau, was wir aneinander hatten!
„Jetzt zu etwas Wichtigen.“ Begann Frank und beendete den Smaltalk. „Das LKA hat uns in einem wichtigen Fall um Amtshilfe gebeten.“
„Um was geht es?“, wollte Caroline wissen.
„Es geht um die Tote, die man im Park gefunden hat. Allem Anschein nach, hat der Pathologe in ihrem Mund eine Halskette aus Soulebda gefunden und man schließt daher einen Ritualmord nicht aus. Aber um das zu klären muss die Polizei wissen, ob die Kette in der Kultur Soulebdas eine besondere Rolle spielt, oder ob es ein anderes Opferritual war, dabei sollt ihr die Ermittler unterstützen.“
„Ein Ritualmord… ober ein Opferritual…“, dachte Caroline laut nach, „ich kenne die Kultur Soulebdas natürlich nicht so gut wie Ma’Difgtma, ich weiß aber, dass es Opferrituale gibt, allerdings keine, die mit einem Menschenopfer enden.“
Auch mir fiel kein Ritual dieser Art ein und wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass Mualebda JEDEM der ihr ein Menschenleben opfern wollte, einen Tritt in den Hintern verpassen würde! Für Mualebda gab es nichts Heiligeres als ein Menschenleben!
„Ich sehe schon, die Gedanken rasen.“ Sagte Frank „Um elf Uhr kommt eine KOM’in Perlacher vom hiesigen LKA in die Pathologie, um sich mit euch zu treffen. Unser Freund Mohrle hat den Kollegen vom LKA den Tipp gegeben, sich mit uns in Verbindung zu setzen, und ihr werdet die Ermittler unterstützen. Die Tote hatte eine Tochter, die jetzt verschwunden ist. Was immer das LKA an Hilfe von uns braucht, wir liefern! Sollte es erforderlich sein, werdet ihr natürlich dafür von eurem Dienst freigestellt. Jetzt meldet euch hier in Gerichtsmedizin bei Dr. Neurahr.“
„Selbstverständlich helfen wir, so gut wir können.“ Meinte Caroline und Frank entließ uns.
Als wir die Tür erreicht hatten, rief Frank mir nach. „Peter!“
Ich drehte mich um und sah ihn fragend an, während Frank in den Raum deutete und sagte, „Der Putz und die Farbe hier sind noch nicht ganz trocken, falls ihr in die Sache verwickelt werdet, lass das Gefängnis diesmal stehen.“
„Ich werde mein Bestes geben!“, versprach ich ihm.
„Ja“, nickte Frank mit ernster Miene, „das befürchte ich ja gerade!“
Peter schaute Frank nachdenklich an.
„HALLO?!“ Fragte ich, „Wieso glaubst du jedes Mal, dass die halbe Welt untergeht, nur weil wir irgendwo aushelfen?“
Frank hob leicht seine Augenbraue und ehe er etwas sagen konnte, gab Caroline mir die passende Antwort. „Weil es in den meisten Fällen bisher so gekommen ist Schatz.“
„OK ihr zwei, ab mit euch meldet euch in der Gerichtsmedizin, der KvD bringt euch hin.“ Beendete Frank den Smalltalk, warf uns aus seinem Büro und klärte auch gleich die Frage, wie wir zur Pathologie kommen sollten.

***

Wir verließen die JVA, ließen uns vom KvD, dem Kraftfahrer vom Dienst, in die Stadt bringen und betraten das alte Kalksteingebäude aus der Kaiserzeit. Hier war neben der Gerichtsmedizin die Forensik, die wissenschaftlichen Labore, die ganze Labortechnik und das Rechenzentrum untergebracht, allerdings hatte weder der Bau, noch die Einrichtung etwas mit den Laboren der CSI Serien aus dem Fernsehen zu tun.
„Hallo Kathrin, wir haben einen Termin bei Dr. Neurahr.“ Begrüßte ich die Beamtin am Empfang und sie lächelte mir zu. „Grüß dich Caroline, halle Peter. Caroline, wann hast du nochmal Zeit für unser Training?“ Dabei errötete sie leicht und Peter registrierte das sofort. Lächelnd drehte er sich und las im Aushang leise vor sich hin pfeifend, was die dortige Kantine heute anzubieten hatte. „HMMM Schnitzel…“
„Komm du Kavalier“, Stieß ich ihn an, „wir können rein, Kathrin und ich machen tatsächlich ein nettes Training, das würde dir auch guttun.“
„Bodenturnen für leichte Mädchen oder wie?“ Das brachte Peter den ersten Rippenrempler für heute ein. „Nein, sie will ihre Verteidigungstechniken ausbauen, ihr neuer Freund ist ab und zu etwas, na sagen wir rabiat und er ist Kraftsportler.“ Peter sah mich an, begann leicht zu lächeln und meinte dann nur: „Der arme Kerl, wenn du ihr nur die einen Teil, dessen beibringst, was du so draufhast, dann geht der Kerl schreiend unter.“

***

Die kalten Räume der Gerichtsmedizin waren weis gekachelt und mit Edelstahlelementen bestückt. Auf dem metallenen Seziertisch lag eine weibliche Person, die mit einem Laken bedeckt war. Zu deren Identifikation am rechten Fuß ein Etikett hing und neben der Leiche lagen diverse gefundene Gegenstände in Schalen, wovon eine einzige aufgedeckt war.
„Ah, Frau Miles und Herr Stein, ich begrüße sie. Dr. Neurahr, unser Leiter, ist auf dem Weg zu uns. Ich bin Dr. Sonja Reitner, ebenfalls Gerichtsmedizin und das hier ist Kriminalhauptmeisterin Marion Perlacher vom LKA, sie ermittelt in dem Fall.“ Wir nickten uns gegenseitig zu, während Dr. Reiner weitersprach. „Wir fanden bei der Obduktion der Leiche diese Kette hier im Mund. Unsere Leute können sie in den Pazifikraum, genauer Region Soulebda einordnen. Dr. Neurahr meinte, wir sollten sie quasi als Experten für diese Region hinzuziehen.“
In dem Moment betrat Dr. Neurahr in Begleitung zweier junger Frauen die Gerichtsmedizin und begrüßte uns. „Das hier sind Frau Agnes Sonnleitner und Frau Claudia Fuchs, beide als AiP’ler bei uns. Ich danke ihnen, dass sie so schnell kommen konnten. Die Verstorbene wurde als Heidemarie Langler identifiziert, sie ist Mutter einer neunjährigen Tochter mit Namen Leonie, von der leider jede Spur fehlt. Wie meine Kollegin schon sagte, fanden wir bei der Verstorbenen diese Kette und konnten sie dem Raum Pazifik, Region Soulebda zuordnen, mehr allerdings auch nicht. Wir hatten bis zu ihrer Identifizierung keine Adresse von Mutter und Tochter, lediglich über die zahnärztlichen Dokumentationen konnten wir den Namen der Mutter ermitteln. Wir wissen noch nicht, was mit der Frau alles Geschehen ist, aber es muss sehr schmerzhaft gewesen sein.“
Mit einer raschen Bewegung zog er das Laken von der Leiche auf dem Seziertisch und uns schaute das ausdruckslose Gesicht einer einst gutaussehenden Frau an. Die Schnitte auf ihrem Brust- und Halsbereich waren nicht zu übersehen, ebenso wenig die blaugrünen Fesselspuren am ganzen Körper.
„Es fanden sich im Verdauungstrakt die Reste von Mengelerbirnen, die sind schwer verdaulich und kommen nur hier in der Region vor. Die Frau muss Übles durchlebt haben, sie hatte drei gebrochene Rippen, ihr rechter Unterarm war zweimal gebrochen, der linke einmal angebrochen, das alles ist nicht gut verheilt. Wir fanden noch andere Kampfspuren, die teils deutlich älter sind. Am Schädel finden sich zwei Schlagstellen. Der linke Fuß war einmal an zwei Strählen, Mittelzehe und kleine Zehe angebrochen. Auch sonst muss diese Frau sicherlich einiges durchlitten haben. Es fehlen zwei Backenzähne und einer ist angebohrt, da steckte etwas drinnen, das jedoch fehlt.
Ihre Organe waren in bester Ordnung, sie muss sehr gut auf ihre Ernährung geachtet haben und viel Sport getrieben haben. Das alles können wir hier erkennen.
Das alles hörte sich Marion Perlacher mit steinerner Miene an, doch ich erkannte deutliche Anzeichen von Wut in ihren Augen, als ihre Augen über die Leiche glitten.
„Hat man denn die Frau nicht als vermisst gemeldet und gesucht?“ wollte ich von Perlacher wissen.
„Sie hatte keine nahen Angehörigen.“ Teilte Marion uns mit. „Nach einigen Tagen meldete sich der ihr Chef, da sie nicht zur Arbeit erschien. Der Arbeitgeber ist ein größerer Schuhhersteller und jeder dachte, der andere weiß, warum Langler nicht zur Arbeit erschien. Erst als sie für einen Kollegen Urlaubsvertretung übernehmen sollte und nicht erschien, fragte jemand nach. Die Abteilungsleiterin gab schließlich eine Vermisstenanzeige auf.“
„Was ist mit der Schule? Fiel den Lehren nicht auch auf, dass die Tochter nicht da war?“
„Zum Zeitpunkt des Verschwindens waren Ferien. Die Kollegen aus Dresden, Langlers Wohnort, fuhren die Adresse mehrfach an, doch ohne Ergebnis. Schließlich ließen sie die Wohnung öffnen, doch es gab keine Anzeichen eines Einbruchs, oder Kampfes. Weder fehlten Wertgegenstände oder Bargeld, noch gab es irgendeinen Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung sei. Der Kühlschrank war voll, die Zahnbürsten standen noch da und geschätzte einhundert Barbi Puppen warteten auf Leonie. Schließlich wurde der Fall zur Akte genommen und den Kollegen vom Dezernat für Vermisstenfälle übergeben.“
Ich nickte und wandte mich wieder an Dr. Reitner. „Was ist nun mit der Kette?“
„Diese Kette war einmal zusammengeknotet und befand sich unter ihrer Zunge, als hätte man sie nach ihrem Tod erst dort deponiert. Diese Kette ist es, die uns zeigt, dass diese Person mit Soulebda in Verbindung steht. Unser Regierungspräsident ist der Vater eines der beiden Jungen, der diese Frau gefunden hat. Vom BND kam schließlich die Empfehlung, wir sollten Frau Miles und Herrn Stein als Berater mit einbeziehen. Sie sind nun einmal die einzigen Beamten, mit einer nennenswerten Erfahrung auf dieser Insel.“
„Dürfen wir uns diese Kette einmal genauer ansehen?“ Bat ich und wir wurden daraufhin mit der Kette in der Nierenschale zu einem der Büros geführt. Hier war es deutlich wärmer und es gab einen großen Tisch mit starken Scheinwerfern. Vergrößerungsgläsern und einem modernen TV-Mikroskop.
„Selbstverständlich. Bringen sie die Kette am Ende bitte wieder mit, sie ist ein Beweismittel und grüßen sie mir ihren Dr. Schemmlein. Dr. Sonja Reitner hier wird sie mit allem versorgen, ich muss mich wieder verabschieden. Meine Damen, bitte folgen sie mir.“
Damit verschwand Dr. Neurahr mit den beiden Ärzten im Praktikum (AiP) durch die Tür und Dr. Sonja Reitner lächelte uns wieder an. „Frau Miles und Herr Stein, ich habe ihre Reisen verfolgt. Darf ich sie Caroline und Peter nennen? Wie kann ich ihnen helfen und bitte nennen sie mich Sonja?“ Während ich Sonja freundlich zunickte, trat Peter auf sie zu und gab ihr einen galanten Handkuss. „Schleimer.“ Brummte ich, als Peter wieder neben mir stand und mich angrinste.
Einige Stunden später hatten wir aus der kleinen, recht unscheinbaren Kette, einige Informationen erhalten. Sie stammte sehr wahrscheinlich von Soulebda. Diese kleinen Ringmuscheln waren ganz typisch für den Nordstrand der Insel, genauer Nordwest nahe den ehemaligen französischen Sumpfinseln. Die drei kleinen Verbinder bestanden aus dünnem Silber mit recht hohem Kupfer und Goldanteil. Diese Mischung war eher selten, da sie nicht einfach zu erreichen war, es sei denn, man hatte das passende Grundmaterial. Mit am Interessantesten war aber die Abbildung einer Gottheit, die wir nicht kannten.
„Krusch’ta ku’lert nual her’nar… Übersetz das mal.“ Sagte Peter und zeigte auf die Inschrift unter dem Abbild.
„Das ist Altsoulebdahea „Dein Gott ruft dich“. HHMM, seltsam.“
„Was ist?“ Wollte Perlacher wissen.
„Das ist ungewöhnlich.“ Erklärte ich ihr. „Auf Soulebda verehrt man in der Regel nur eine Göttin und keinen Gott. Das wird eine interessante Untersuchung. Wann sollte die Reise losgehen?“
„So wie ich das verstanden habe, bereits in drei Tagen. Ihre Unterlagen, Reisetickets usw. hat man sicherlich schon bei Dr. Schemmlein oder ihrem Chef abgegeben, die beiden trafen sich gestern.“ Wir verabschiedeten uns von Sonja Reitner und gingen mit Marion nach draußen. „KHK Kämpfer bittet Sie die Kette als Beweisstück zu betrachten und sie nicht zu verlieren.“
„Keine Sorge.“ Antwortete ich kühl. „Ich hatte schon oft mit Beweisstücken zu tun.“ Mist! So hart wollte ich eigentlich reagieren, doch die schrecklich zugerichtete Leiche hatte mich emotional sehr aufgewühlt.
Peter, der mich gut genug kannte, um das zu erkennen, fand wie üblich einen Weg die Situation zu retten. „Kein Problem, meine Frau war jahrelang beim Mossad und…“ er brach ab und hielt sich die Hand vor den Mund. „Nicht schon wieder!“ Fluchte er und sah mich bittend an. „Schatz, wenn sie verspricht nichts zu verraten, können wir sie dann nicht am Leben lassen?“
Sogar Marion Perlacher musste sich auf die Lippen beißen um nicht zu grinsen und ich reichte ihr die Hand. „Sorry, sollte nicht so rüberkommen.“
„Schon ok…“schlug sie ein „Der Anblick dieser armen Frau lässt wohl keinen kalt… Aber, ihr zwei habt einen seltsamen Humor…das mag ich.“

***
Nach unserer Rückkehr in die JVA fanden wir uns bei Frank ein, der uns bereits erwartete. Neben ihm saß Dr. Schemmlein, der ihm wohl gerade unsere Reiseunterlagen überreicht hatte. „Da seid ihr ja, Dr. Neurahr hat mir mitteilen lassen, dass ihr auf dem Rückweg seid. Die Reiseunterlagen und Aufträge liegen auch bereit und das Ministerium hat eure Abordnung genehmigt. Seltsam, immer wenn ich im Ministerium eine Freistellung für Peter beantrage setzen alle Partyhüte auf und Sektkorken knallen.“
„Haha.“ Brummte ich, während die anderen sich vor Lachen schüttelten.
„Ärgere dich nicht.“ Lachte Frank. „Sobald du wieder da bist, setzt im Ministerium eine Katerstimmung ein. Diesmal geht’s allerdings nicht erster Klasse nach Soulebda, sondern nur in der Holzklasse. Schließlich muss der Staat sparen. Also Dr. Schemmlein verpasst euch noch die letzten Impfungen und in zwei Tagen gehts los.“

***

Am Flughafen

Zwei Tage später standen wir am Schalter von Singapore Airlines und eine attraktive Dame betrachtete unsere Reisepässe genauer. Freundlich lächelnd gab sie unsere Daten in den Rechner ein, da schaute sie überrascht auf. „Oh ich glaube, das wird sie interessieren, sie haben unsere monatliche Auslosung gewonnen, ihr Ticket wird aufgewertet. Anstatt der Economy Klasse erhalten sie ein Update. Sie sind für Suite vier gebucht, ich gratuliere ihnen, hier sind unsere Unterlagen, ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug und beehren Sie uns bald wieder.“
Lächelnd gingen wir weiter und Peter betrachtete die neuen Unterlagen. „Schatz, ich glaube, der Flug wird angenehmer werden, als wir glaubten, die haben uns auf eine Suite umgebucht. Wenn Frank das wüsste, der lacht sich doch ins Fäustchen, weil er uns in der Holzklasse wähnt.“
„Peter, Peter. Immerhin hatte uns Frank zwei Plätze am Notausgang besorgt, er denkt also durchaus an uns. Aber Business ist deutlich angenehmer. Da vorne ist unser Gate 28, da müssen wir hin Schatz.“
Als wir zum Gate kamen, wurden wir über die Ansage aufgerufen, uns am Sicherheitsschalter bei Gate 28 zu melden. „Na, ich glaube, da haben wir uns zu früh gefreut, da hat sich der Rechner wohl vertan?“, brummte Peter und wir kamen auf den Schalter zu. Hier stand ein Sicherheitsmann mit Marion Perlacher.
„Marion, was tust du hier?“
„Ich komme mit nach Soulebda. Der Leiter unserer Sondergruppe meint, dass es wichtig ist, schnell unsere Ergebnisse zu ihm weiterzuleiten, denn die Zeit arbeitet gegen uns. Außerdem“, hier konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen, „kann ich so die Beweiskette besser im Auge behalten.“
„Gibt’s etwas Neues von der Suche nach Leonie?“ wollte ich wissen?
„Einiges… In Dresden fanden sich Spuren von Heidemarie Langler und ihrer Tochter Leonie. Inzwischen haben sie die Mutter ja gefunden, aber von der Tochter Leonie fehlt nach wie vor jede Spur. Das Milieu, indem sich die Spuren fanden, ist allerdings ungewöhnlich.
Wir konnten nachweisen, dass sie eine Weile in den Unterkünften von Bernd, der Bohne, Dressler, einem üblen Spieler und Zuhälter gewohnt hatte. Wir vermuten, dass die kleine Leonie früher oder später auch in der kriminellen Szene als Opfer auftauchen wird, zumal sie für ihr Alter bereits gut entwickelt ist.“
Damit über gab er uns eine dünne Akte mit einigen wenigen Aufnahmen der kleinen Leonie. Darauf sah man das Mädchen, wie es am Schminktisch saß. Sie wirkte eher wie eine 14-jährige, aber nicht mehr wie ein Kind von neun Jahren. Andere Aufnahmen zeigten, dass sich die kleine Leonie bewegen konnte und, dass sie Judo machte und gerne tanzte.
„Wir wissen nicht, wie das alles mit Soulebda zusammenhängt, deswegen werde ich euch begleiten. Während ihr nur passive Ermittleraufgaben habt, werde ich die Ermittlungen vor Ort leiten, allerdings hat mir Mohrle gesteckt, dass du wirklich beim Mossad warst, also wenn du eine Idee hast, dann bitte, wir brauchen jede Hilfe. Eines noch, die Gesamtleitung der Operation hat man an die Staatsanwältin Frau Karin Winter, übertragen, ihr werdet sie später sicherlich noch kennenlernen.“
Anschließend erhielten wir jeweils einen Umschlag und mussten uns beeilen, damit wir den Flieger nicht verpassten, denn der letzte Aufruf ging gerade durch die Lautsprecher. Ein langer Flug von 23 Stunden lag vor uns.
***

Singapore Airlines Flug 404

Der Airbus von Singapore Airlines war fast ausgebucht. Als wir die Dienstgipfelhöhe erreicht hatten, trafen wir uns mit Marion Perlacher an der kleinen Bar vor dem Aufgang zur ersten Klasse.
„Endlich können wir uns auch einmal etwas unterhalten. Wir müssen aber vorsichtig sein, was wir sagen und…“ Peter unterbrach sie. „Hör mal Marion, lass uns nach oben gehen, wir haben eine Suite und können dort viel besser reden, dort haben wir auch deutlich weniger Zuhörer.“
Marion Perlacher schaute uns an, während wir aufstanden und die Treppe nach oben nahmen. „Mein Chef sagte mir schon, dass es bei euch irgendwie anders zugeht, aber dass ihr eine Suite bezahlt bekommt, das ist interessant.“
Die Suiten in der A380 Klasse sind in der Tat erstklassig ausgestattet und Marion Perlacher musste sich erst einmal sattsehen. Dass man eine Suite separieren ließ, war ihr auch neu. „Ich arbeite eindeutig bei den Falschen.“ Kommentierte sie ihren Eindruck. Ich hatte unterdessen den kleinen Tisch aufgeklappt und wir setzten uns.
„Bei uns zahlt der Dienstherr auch nur Holzklasse, aber wir hatten etwas Glück und bekamen ein Update. Wie wäre es mit einem guten Fruchtsaft?“ Als wir an dem Tisch für vier Personen saßen, öffnete Marion den Umschlag und legte die Bilder auf den Tisch. Sie zeigten Bernd, die Bohne, wie er sich im Beisein zweier hübscher Frauen und leichter Mädchen zeigte. „Was ich nicht verstehe, “ begann Peter, „dieser Bernd, die Bohne, ist doch nicht nur ein Zuhälter, sondern auch ein Spieler. Was macht ein Spieler mit einer Mutter und ihrer Tochter?“
„Genau das fragen wir uns auch. In der Regel läuft das ganz anders, der hier ist aber ein anderes Kaliber, der ist Zuhälter, ja sicherlich, er steht auch auf junges Gemüse – sorry, so nennen die jungen Mädchen, aber Bernd die Bohne steht nicht auf Kinder.“
„Irgendwas übersehen wir bei alldem, vielleicht kommen wir tatsächlich nur auf Soulebda weiter.“ Warf ich ein. In diesem Moment flammte der zentrale Monitor an der Wand auf und ein E-Mail Symbol erschien. Eine zarte Frauenstimme gurrte ein „Ihre Verbindung mit Soulebda steht. Wollen sie sie anzeigen?“

Als ich auf „Ja“ drückte, erschien das Logo des Geheimdienstes von Soulebda, die goldene Harpyie über blauem Meer vor dem Kreuz des Südens mit gekreuzten Schwertern. Wieder einmal beeindruckte uns diese Fluglinie mit ihrer Technik. Die Videoverbindung stand und ich konnte mich authentifizieren und anmelden. Ab diesem Zeitpunkt war die Verbindung gesichert. Einen Moment später verschwand das Logo und Corinna Malou, die persönliche Assistentin von Seraph Ma’Gus, dem Geheimdienstchef Soulebdas, erschien.
Höflich wie immer stellte sich Corinna vor und Marion Perlacher übernahm das Gespräch, da sie annahm, es wäre extra für sie geschaltet worden.
„Seien sie gegrüßt Frau Malou, sie sind die Assistentin des Geheimdienstchefs, ich dachte, dass die Polizei von Soulebda sich melden würde.“
„Nun Frau Kriminalhauptkommissarin Perlacher, manchmal arbeiten wir mit der hiesigen Polizei zusammen und da sich der Polizeichef und der Geheimdienstchef gerade eh hier bei uns befinden, würde ich das Gespräch gerne durchschalten. Einen Moment bitte.“
Marion Perlacher schaute etwas verwirrt, fasste sich aber sofort, als Seraph Ma’Gus ohne Umschweife begann: „Hallo zusammen, ich stelle sie kurz vor, das hier ist Chief Ma’Anah Tau, der Polizeichef von Soulebda, hier die ehrenwerte Madame Ma’Difgtma, sie vertritt die Stämme Soulebdas und die beiden Herren hier drüben sind die Leiter von GIPSY, unserer Spezialabteilung. Ich selbst bin Seraph Ma’Gus, der hiesige Geheimdienstchef. Wir haben von ihren Büros bereits die Informationen erhalten, weshalb sie uns besuchen wollen. Die Bilder der kleinen Kette waren allerdings nicht sehr gut. Bitte legen die die Kette ausgebreitet auf den Teller links vor ihnen und lassen sie uns sehen.“
Peter schaute fragend in die Kamera. „Aber die Kette verschwindet jetzt nicht von selbst oder?“
„Typisch Peter“, brummte Victor im Hintergrund und schüttelte den Kopf, „immer ein lockerer Spruch auf den Lippen.“
„Ja“, stimmte ihm Ma’Gus zu während der Scanner die Kette abtastete, „Peter ist fast genauso schlimm wie Hauer.“
„Ich denke du magst Hauer?“
„Tu ich ja, aber so etwas darf man Typen wie Hauer oder Peter auf keinen Fall sagen, sonst werden sie noch schlimmer.“
„Naja, du hast Hauer, Brauer hat Peter und ich habe die Schadenfreude.“ Grinste Victor.
Während Peter die Kette auf dem flachen, weißen Teller platzierte fuhr ein röhrenförmiger Scanner aus dem Tisch und der Teller begann sich langsam zu drehen. Ein heller Lichtstrahl kam aus der Röhre und wir sahen zu dem Licht auch noch einen grünen Laser, der die kleine Kette abtastete.
Keiner der Beiden achtete auf Ma’Difgtma, die hinter ihnen stand und auf das 3D Bild starrte, welches auf den Tisch des Raumes erschien. Nach und nach wurde die Projektion immer schärfer, doch Ma’Difgtma starrte auf das kleine Amulett, welches zwischen den Muscheln befestigt war. Noch war die Auflösung nicht groß genug um die Inschrift lesen zu können, doch Ma’Difgtma musste sie nicht lesen, sie wusste auch so, was auf dem Amulett geschrieben stand… „Krusch’ta ku’lert nual her’nar“- „Dein Gott ruft Dich!“ Alles in ihr versteifte sich, als ihr die Bedeutung klar wurde! Konnte das sein?! Durfte es sein?! NEIN!

***

„Was wissen sie von dem fehlenden Kind?“ Wollte Seraph Ma’Gus wissen, während der Scan lief. „Leonie ist neun Jahre alt und wird kommenden Monat 10 Jahre. In Dresden hat man sie noch mit Ihrer Mutter gesehen, aber in Mainstadt kam sie offenbar nie an. Die kleine Leonie Langler ist für ihr Alter bereits gut entwickelt, aufgeschlossen und leutselig. Sie betreibt Judo und tanzt für ihr Leben gerne. Ihr Vater war ein Ingenieur aus Futuna. Die kleine Leonie wuchs mehrsprachig auf, dann vor ein paar Jahren starb der Vater auf einer Bohrinsel vor Florida.“
„Gut, danke, wir prüfen bereits, was wir über ihren Vater wissen. Haben sie auch noch etwas über die Mutter, das nicht in den Akten steht?“
„Leider nein, wir wissen tatsächlich deutlich mehr über den verstorbenen Vater, als über Mutter und Tochter.“
Der Scanner am Tisch schaltete sich ab, die Röhre versank irgendwo hinter dem Schreibtisch und der Teller hörte auf sich zu drehen.
Auf dem großen Bildschirm in dem Besprechungsraum auf Soulebda flammte ein Bild auf und zeigte die kleine Kette in einer unglaublich hohen Auflösung. Ma’Difgtma stemmte ihre Hände in ihre Hüfte und betrachtete das Bild, daraufhin drehte sie sich zu uns in die Kameraansicht. „Soulebda sicherlich, aber wir brauchen die Kette zur genaueren Bestimmung hier. Noch etwas Caroline, bitte melde dich nach deiner Ankunft bei Penelope ai Youhaahb, sie wünscht, dich zu sehen, sobald du gelandet bist.“
„Ja danke Ma, ich melde mich bei ihr. Eine Frage noch Seraph, das mit dem Upgrade in die Business Klasse, das war doch sicherlich kein Zufall?“
„Selbstverständlich nicht“, lächelte Ma’Gus, „wir brauchten aber eine sichere Übertragung. Ein Upgrade erschien uns da für eine plausible Lösung. Gut, dann wünsche ich noch einen guten Flug.“ Der Bildschirm wurde dunkel. Ein letztes Mal leuchtete das Logo auf und erlosch dann.
„Penelope ai Youhaahb – ist das nicht die Tochter der Regentin?“, wollte Marion Perlacher wissen und schaute uns beide fragend an…

***

„Krusch’ta ku’lert nual her’nar“- „Dein Gott ruft Dich!“ Alles in Ma‘Difgtma versteifte sich, als ihr die Bedeutung klar wurde! Konnte das sein?! Durfte es sein?! NEIN! Von einer Sekunde auf die andere befand sich Ma’Difgtma im Krieg! Im Krieg mit einem Verräter und Mörder aus den eigenen Reihen!

***

Xigola, die oberste Priesterin Soulebdas Ma’Difgtma. Xigola hatte gerade in Poh’tao einen Schrein zu Ehren ihrer Vorgängerin, Xialorenga, eingeweiht welche sich bei der Notzeremonie der Nymphen geopfert hatte, als Ma’Difgtma sie rief und ihr mitteilte, sie müsse sie umgehend sprechen. „Ma’Difgtma, erste Kriegerin Soulebdas“, antwortete ihr Xigola beinahe belustigt, „ich bin doch überrascht, dass ausgerechnet die Hüterin unserer Tradition, das Geheimnis der Sprache vergessen hat.“
„Ich habe es nicht vergessen, wie du wohl selbst gerade mitbekommst, doch das Gespräch darf nicht mitgehört werden!“
Nun lief es Xigola kalt den Rücken herunter! Das Geheimnis der Sprache, Xert’har’dur, kannten nur noch wenige Menschen hier auf Soulebda. „Sprachen“ zwei Eingeweihte miteinander, mussten beide Teilnehmer, wie bei einem „normalen“ Gespräch auch miteinander reden wollen. Einer sprach, der andere hörte zu. Dabei konnte der Kreis der Teilnehmer beliebig erweitert werden. Auf diese Art hatten die Krieger Soulebdas immer einen Vorteil gegenüber ihren Feinden gehabt, denn niemand konnte die Kommunikation, welche in Xert’har’dur geführt wurde abhören!
In den vielen Jahren ihres Lebens hatte Xigola nie gehört, dass es möglich war Xert’har’dur abzuhören, außer… der Feind war ein Eingeweihter! Nein, nicht einfach ein Eingeweihter, kein Krieger kannte das Geheimnis des „Barku’late“, dem Geheimnis, Xert’har’dur mitzuhören! Auch die Häuptlinge kannten es nicht und selbst die Kriegsschamaninnen wurden darüber nicht eingeweiht! Braku’late beherrschen nur noch eine Handvoll Menschen auf dieser Erde! Sie selbst, Ma’Difgtma und… Wer? Vor wem fürchtete sich Ma’Difgtma so sehr, dass sie auf solche Maßnahmen zurückgreifen musste?!
„Im Tempel, heute Abend!“, antwortete Xigola knapp und beendete die Zeremonie.

***

Marion Perlacher schaute uns beide fragend an. „Doch doch, sie ist die Tochter der Regentin, die Ehefrau von Soleab n’Amsala, dem Regierungspräsidenten und Caroline ist ihre Nun’tschula.“ Erklärte Peter ihr.
Marion schaute uns beide an und setzte sich. „Sie ist ihre Nunn … Nun’tschula. Was auch immer das wieder ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich noch nicht in alles eingeweiht wurde.“
Peter goss uns drei einen kühlen Fruchtsaft ein und ich schaute Marion genauer an.
„Keine Sorgen, wir sind keine Geheimnisträger oder Ähnliches, wir sind einfach nur gerne auf Soulebda, da kann man prima Urlaub machen.“
„Na ich weiß nicht. Einige Kollegen sagten mir etwas von komischen Riten, seltsamen Eingeborenen und ihr wärt auch nicht nur einfache Beamte im Strafvollzug, sondern so etwas wie – Hmm, er sagte tatsächlich Helden?“
„Nicht alles glauben, was man dir sagt. Mach dir dein eigenes Bild.“ Mit diesen Worten gingen wir zu Tisch und Marion Perlacher freute sich über ein besseres Menü, als sie es in der Holzklasse zu erwarten hatte.

***

Marion war eine Mittvierzigerin, sportlich und durchtrainiert. Ihr Gesicht war etwas länglich, schön anzusehen und ihre Augen waren gewinnend. Wen sie anblickte, der schmolz dahin. So hatte sie sicherlich auch ihren Mann, einen Physiker, erobert. Ihre schulterlangen, mittelblonden, gelockten Haare waren sehr gepflegt. Haut und Fingernägel waren bestens gerichtet, sie waren aber dennoch das Arbeiten gewöhnt. Sie liebte das Radfahren und Bogenschießen und regelmäßig nahm sie an Halbmarathonläufen teil. Im Urlaub brachte man sie offenbar nicht aus dem Wasser heraus, denn Marion war Gerätetaucherin und daher auch Nichtraucherin. Am Abend hatten wir reichlich Zeit uns zu unterhalten und Marion war sehr an meiner Zeit vor Deutschland interessiert und ich interessierte mich mindestens genauso für ihre Zeit in der „DDR“.
Zu dritt hatten wir reichlich Geschichten und Anekdoten zu erzählen, so dass die Zeit buchstäblich verflog wie im Flug. Marion las regelmäßig die Nachrichten online und informierte sich auch, was in ihrer Heimat Dresden los war.
„Diese Nazis und Neo-Nazis, die bei uns herumlaufen, die sind das Letzte.“, schimpfte sie, als sie einiges über die nächtlichen Ausschreitungen las. Dabei schaute sie uns beide fordernd an.
„Was ich bei euch nicht verstehe, ist, dass das Fernsehen und die Presse diesen Rummel mitmachen und weniger über die Bewegungen dagegen bringen. Ein paar Hundert Verrückter, die vor 1000 Jahren allesamt unter den ersten gewesen wären, die getötet würden, die Leute erhalten mehr Aufmerksamkeit als die vielen Tausende, die dagegen protestieren, da schau ich meine die „Wir sind mehr“ und all die anderen guten Menschen. Habt ihr das mit der leitenden Staatsanwältin Karin Winter mitverfolgt? Das ist übrigens die Karin Winter, welche unsere Sondergruppe leitet. Die hat mit denen ja so richtig aufgeräumt und eine null Toleranz Linie gefahren. Dabei hat sie sich sicherlich wenig Freunde gemacht. Die ist taff und ein verdammt guter Mensch.“
Während Peter sich um den Knabberkram kümmerte, schaute ich Marion interessiert an. „Du machst mich richtig neugierig auf die Frau, aber auch ich finde, dass TV und Presse da besser berichten sollten, was sich alles auf den Straßen abspielt.“
„Ja, ich weiß, all das lässt kein gutes Licht auf unsere Presse fallen.“ Während wir über die letzten Ausschreitungen in Dresden sprachen, zeigte der Sender einen aktuellen Polizeieinsatz. Dabei wurden offensichtlich mehrere Verdächtige abgeführt und eine Kamera zeichnete auf, was sie im Keller vorfand. Da wurden junge Frauen und einige Mädchen aus einem Keller befreit und wir sahen kurz eine bunte Kreidezeichnung auf dem Boden. „Was macht der Mercedesstern auf dem Boden und was sind das für Schriftzeichen?“

Fragte Peter, da hatte ich die Fernbedienung bereits in der Hand und ließ die Bilder noch einmal in Slow Motion laufen. „Eines ist klar Peter, das ist kein Mercedesstern, das ist ein Triparoth, ein uraltes mystisches Symbol und die Schriftzeichen sind auf Soulebdahea.“ Wir betrachteten das gestochen scharfe Standbild. In einem blauen Kreis, der dreigeteilt war, standen mehrere Worte in roter Schrift geschrieben. In jedem der drei Segmente standen unterschiedliche Worte. Die Worte waren in Soulebdahea verfasst aber die Bedeutung kannten wir nicht.
„Kann mir jemand erklären, wie ein Symbol aus Soulebda hier nach Dresden kommt und etwas mit jungen Frauen zu tun hat?“ Fragte uns Marion und wir hatten keine Antwort darauf. „Lasst uns die Bilder an Ma’Gus schicken, seine Leute finden mehr heraus als wir.“
„Ja, auf jeden Fall. Ich habe da allmählich ein ganz komisches Gefühl…“

***

„Bist du dir sicher?“ fragte Xigola Ma’Difgtma, welche wie eine Furie vor der obersten Priesterin stand.
„JA das bin ich! Ich habe diese verfluchte Kette selbst gesehen!“
Im Halbdunkel des Tempels Mualebdas berichtete Ma’Difgtma der Obersten Priesterin von ihrem Verdacht. „Ich sah das Amulett mit seiner Inschrift.“
„Es könnte sich um einen Zufall handeln. Leider werden Menschen ermordet, auch Menschen, welche hier Urlaub machten…“
„Versuche nicht, es wegzureden!“, fuhr Ma’Difgtma sie an. „Ja, täglich werden Menschen ermordet, aber welches Opfer bekommt eine Kette in den Mund gelegt? Welches Opfer bekommt DIESE unheilige Kette UNTER die Zunge gelegt?!“
Xigola schloss die Augen und senkte ihren Kopf. „Kum’do!“ flüsterte sie leise. „Ich hatte gehofft, wir hätten dieses verfluchte Spiel besiegt.“
„Man kann ein Spiel nicht besiegen! Man kann es verbieten, man kann es verfluchen, man kann die die Spieler bestrafen, aber man kann es nicht besiegen.“
„Auch wenn wir dieses Spiel verboten haben, so ist es dennoch nach Europa gelangt… Was ist mit dem Opfer? Wäre es denkbar, dass sie…“
„Freiwillig mitgespielt hat? Niemals! Die Frau hat eine Tochter, die verschwunden ist und sie selbst weist schwere Verletzungen auf, die darauf hindeuten, dass sie gezwungen wurde mitzuspielen. Und zu guter Letzt, die Stichwunde in das Herz! Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass man bei einer genauen Untersuchung feststellt, dass die Klinge gebogen war und eine exakte Breite von 2,7 cm besitzt!“
„Die Breite des Krum’la Dolches!“
„So ist es. Verstehst du nun?! Wir haben die Opferrückgabe in Form der Kette, gemäß der alten Tradition und wir haben den Krum’la Dolch!“
„Ja, ich verstehe!“, sagte die hohe Priesterin und nickte, „Jemand leitet die Zeremonie, so wie sie bis zum Verbot zelebriert wurde. Aber könnte es nicht einfach ein Kumla’ta Spieler sein, der die Zeremonie leitet?“
„Bei Mualebda! Nenn es nicht Zeremonie! Es ist ein verfluchtes Spiel! Nein, es ist kein Spieler, mein Gefühl und mein Instinkt sagen mir, dass es ein Priester ist der das Kum’do leitet.
Xigola wusste, dass sie Ma’Difgtmas Instinkt vertrauen konnte, doch auf Soulebda gab es nur noch wenige Priester… Das Kum’lata und das Kum’do wurden immer von Priestern geleitet, nie von einer Priesterin!

Dies lag in der Geschichte des Kum’la…

Damals vor hunderten von Jahren war das Kum’la ein gewaltiger Fortschritt auf Soulebda der viele Leben rettete, die sonst in Kriegen umgekommen wären. Die Beteiligten des Kum’la begaben sich zum heiligen Vulkan Beenec u’Alara und beteten zu dem Gott Koulne’bar um seinen Beistand zu erbitten. Dann, im Laufe der Jahrhunderte, wurde Mualebda zur Göttin Soulebdas. Dennoch wurden auch dann noch Streitigkeiten mit dem Kum’la ausgetragen. Da die Priesterschaft davon ausging, dass Mualebda mit jeder Maßnahme einverstanden war, die Leben rettete, stand das Kum‘la nicht im Wiederspruch, zu dem Glauben an Mualebda.
Erst als aus dem Kum’la das Spiel Kum’lata wurde und Teile der Priesterschaft das Spiel als Einnahmequelle entdeckt und das Kum’do mit seinem tödlichen Verlauf Einzug in der Gesellschaft hielt, war das Spiel nicht mehr mit dem Glauben an Mualebda vereinbar.
Priesterinnen und Priester stritten miteinander über die Frage der Rechtmäßigkeit und über die Einnahmen. Dem Vorwurf das Spiel sei unmoralisch, konterten die Befürworter, dass man mit den Einnahmen viele gute Dinge tue, was der Wahrheit wegen erwähnt sein sollte und auch in Einzelfällen geschah.
Die Diskussion darüber überdauerte viele Jahre, bis das Spiel schließlich durch die damalige Regentin verboten wurde. Dennoch wollten viele Priester nicht auf die Einnahmen durch das Kum‘lata verzichten und setzten sich über das Verbot hinweg. Auch den Herrscherinnen wussten, dass das Kum’lata im Verborgenen überlebte, doch allen Regentinnen war ebenfalls bewusst, dass ein rigoroses Durchsetzen des Verbotes, erstens kaum möglich war und zweitens in keinem Verhältnis stand, solange es bei den Spieleinsätzen „nur“ um Geld ging und so gab es auch weiterhin Priester, welche das Spiel leiteten.
Anders sah es beim Kum’do aus. Hier ging es um weit größere Summen, welche die Priester einnahmen, doch hier stellten sich die oberen Priesterinnen an die Seite der Regentin und verbot den Priestern jegliche Teilnahme, denn ein Menschenleben für ein Spiel zu opfern, war gegen alles, wofür der Glaube an Mualebda stand!

Leider setzen sich auch hier einige Priester über das Verbot hinweg, da die Summen, welche beim Kum’do erspielt wurden, um ein Vielfaches größer war, als die des Kum’lata. Entsprechend größer war der Teil, welcher der Priester erhielt, der das Spiel leitete. Hier zeigte sich, dass Priester eben auch nur Menschen waren.

Und nun das! Auf Soulebda gab es nur noch wenige Priester und Xigola kannte alle! Wer von ihnen würde es wagen sich gegen sie, gegen die Regentin und was noch schlimmer war, wer würde es wagen sich gegen Mualebda zu stellen? All diese Fragen stürmten auf die oberste Priesterin Soulebdas ein. „Wenn du Recht hast“, sagte sie, „müssen wir herausfinden, wer der Abtrünnige ist, das sind wir Mualebda und uns schuldig! Wenn die tote Frau gezwungen wurde beim Kum’do mitzuspielen, dann ist das ein ruchloses und frevelhaftes Verbrechen, dass aufgeklärt werden muss!“

„Mir bereitet etwas anderes viel größere Sorgen! Die verschwundene Tochter! Da ihre Mutter gezwungen wurde mitzuspielen, wird man auch die anderen Mitspieler dazu gezwungen haben. Wenn wir beide beginnen die Priester aufzusuchen, wird der Abtrünnige unsere Absicht erkennen und er wird vielleicht die anderen Mitspieler umbringen lassen, um seine Spur zu verwischen. Was aber, wenn die Tochter unter den Spielern ist?“

Selbst die sonst so gutmütige Xigola, konnte ihre Wut, bei dem Gedanken, dass man Menschen, ein Kind, dazu zwang dieses verruchte Spiel zu spielen kaum Unterdrücken und ihr Blick wurde hart. „Nein! Das darf nicht geschehen! Doch wie gehen wir vor?“
„Wer immer der Abtrünnige ist, er ist gut vernetzt und er reist unerkannt, denn meines Wissens hat keiner unserer Priester Soulebda verlassen, deshalb schlage ich zwei voneinander getrennte Wege vor. Ich werde die neuen Schamaninnen einweihen. Sie haben noch keinen Kontakt zur Priesterschaft und werde meine Augen unter den Stämmen sein. Der zweite Weg führt zu unserer Polizei. Ich werde Soleab bitten, die Inspektorin Shea Martin für die Ermittlungen freizustellen und außerdem werde ich ein Wort mit meiner zukünftigen Schwiegertochter reden. Sie soll Shea bei den Ermittlungen unterstützen. Beide, Shea und Rafaela sind nicht von hier und lassen sich so weniger von ihren Gefühlen zu der im Volk tiefverwurzelten Ehrfurcht gegenüber der Priesterschaft täuschen.“
„Was ist mit der Regentin?“ fragte Xigola, „Sollte sie nicht auch wissen, worum es geht?“
„Ich weiß es nun!“, erklang Heylahs Stimme durch den Tempel und sie trat aus dem Schatten der Statue Mualebdas. Xigola war sichtlich überrascht, dann stieg eine Welle der Wut in ihr auf, als sie Ma’Difgtma ansah.
„Es tut mir leid, meine oberste Priesterin“, entgegnete diese ihr, „doch ich musste zuerst deine Augen sehen.“
„Und was sagen dir meine Augen?“, wollte Xigola verbittert wissen. Doch als sie sich abwenden wollte, legte ihr Ma’Difgtma die Hand auf die Schulter. „Deine Augen sagen mir, dass es richtig war, mit dir zu reden.“
Nun kam auch Heylah zu Xigola und sagte, „Verzeih uns, doch wir müssen sehr vorsichtig sein. Lass dies nicht zwischen uns stehen, dafür geht es hier um zu viel.“
Xigola schwieg einen kurzen Moment, dann sah sie Heylah und auch Ma’Difgtma mit ihrer aufrichtigen Art an und sagte; „Ihr hattet Recht so zu handeln, nein, es soll nichts zwischen uns stehen. Lasst uns gemeinsam gegen dieses verfluchte Spiel kämpfen und dieses arme Kind retten!“

***

Soulebda international Airport (SUL)

Am anderen Tag schwebte die Maschine gegen 11 Uhr auf dem Zentralflughafen ein und landete butterweich. Vor etwa einer Stunde hatte es aufgehört zu regnen und die herrliche Luft der Südsee empfing uns.
An der Zollkontrolle wurden wir erwartet und durch den Sonderbereich gelotst. Ein Fahrer der Polizei fing Marion Perlacher ab und nahm sie in Empfang, und wir verabredeten uns für den Abend in meiner Dienstvilla. Während Marion auf den Polizeieinsatzwagen zuging, rollte eine andere Limousine vor und wir stiegen dort ein. Endlich waren wir wieder auf unserer Insel.
„Hallo, ich bin ihr Fahrer, Salman Kalpus.“ Begrüßte uns ein Soldat der Palastgarde. „Jerome, mein Oberst hat mir befohlen, sie abzuholen und zu ihrer Dienst-Villa zu bringen Miss Miles. Darf ich ihnen noch unsere herrliche Stadt zeigen, für heute stehen keine Termine mehr an, die Zeit hätten sie?“
„Fein, wir würden gerne sehen, was sich hier alles getan hat. Zuletzt waren wir vor einiger Zeit auf dieser wunderbaren Insel.“ So fuhren wir los und unser Fahrer bewies sich als hervorragender Fremdenführer.
„Schau Schatz, die haben die Universitätsklinik weiter ausgebaut.“ „Ja und die alte Bibliothek ist jetzt weg, dafür steht jetzt dieses wunderbare Gebäude da. Oh schau mal. Hier haben sie neue Statuetten aufgestellt.“
Der Fahrer erzählte, dass diese erst im Herbst aufgestellt wurden, zum Gedenken an einige heldenhaften Retter in der Not. Wir betrachteten die Statuetten und eine Figur mit Verbandmaterial ähnelte Vera.
Tatsächlich, alles in allem hatte sich Soulebda weiter geöffnet. Moderne Bauwerke waren dazugekommen und dennoch fand man kein Hochhaus. Dieser Linie war man treu geblieben, dafür war die Stadt in die Breite gewachsen. Der riesige Bereich im Südosten war inzwischen zur Hälfte bebaut und der Hafenbereich im Norden hatte ein neues Terminal erhalten. Überall standen Container herum, einige wurden aufgeladen, andere abtransportiert. Schon ging die Fahrt weiter.
Die Abtrennung von Stadt und Markt war geblieben, die Marktstände waren immer noch mit einer Unmenge frischer Früchte befüllt und es roch aus allen Ecken und Kanten nach etwas Verführerischem. Als der Wagen dann an den Bereichen der Stämme vorbeikam, da war es für uns so, als wären wir niemals weg gewesen. Fast alles sah noch so aus wie früher, neue Zelte und Hütten, Gebäude und Hallen waren auch hier dazugekommen und überall sah man entspannte Gesichtszüge und hier uns da lächelten uns auch einige Leute zu. Die Stadt war so friedlich wie immer, was konnte da schon geschehen?

***

In einer dunklen Halle

Die Spielhalle auf Masoko, einer der Solomon Inseln war verraucht und schlecht beleuchtet. „Albanatus was ist mit dir. Pinta’Kol hat vier Elemente gespendet und du nur eines?“
Albanatus schaute in die Runde. Das fahle Licht erleuchtete die hölzerne Figur eines mächtigen Gottes, der vor ihnen auf der Erde saß. Der vierhändige Gott Krasch’tus hatte in drei seiner Hände einen Dolch und in der anderen Hand einen Totenkopf. Die hässliche Fratze sah zum Fürchten aus. Mit seinen auf dem Rücken gefesselten Händen konnte er sich nur wenig bewegen.
Albanatus gegenüber saß Kant’Ulas, ein reicher Geschäftsmann aus Futuna. Zur rechten von ihm saß der dritte Spieler Para’Tau, ein undurchsichtiger Spieler aus Manaus, der bewegungslos an seiner Wasserpfeife saugte. Die drei Spieler saßen um einen kreisförmigen Spielteller, einem Roulette Tisch nicht unähnlich. Allerdings gab es an diesem Spieltisch nicht nur Rot und Schwarz, sondern Rot, Gelb und Schwarz. Im Zentrum befand sich ein Dolch, der auf eines von drei Feldern zeigte.
Um sie herum lief ganz langsam und leise der Spielleiter und hohe Priester Kall’Munz. Seine Kleidung war mit bunten Stickereien, welche Gott Krasch’tu gewidmet waren und bunten Federn dem uralten Ritual angepasst.
„Para’Tau, Kant’Ulas und Albanatus. „Sprach der Priester. „Ihr habt eure Talente gewählt und Gott Krasch’tu angefleht euch beim Kum’do zu helfen.“ Dabei hielt der Priester an einem hölzernen Zählwerk an. An diesem standen die drei Spielernamen und unter jedem Namen hingen drei hölzerne Fische.
Para’Tau und Kant’Ulas hatten jeweils zwei Fische mit dem Kopf nach unten. Nur Albanatus Anzeige hatte alle drei Fische mit dem Kopf nach unten. Er saß in seinem gelben Spielfeld und musste gewinnen, denn es gab jetzt kein Zurück mehr. Sein Leben stand auf dem Spiel, das wusste er genau. Kum’do war die Spielart mit dem höchsten Gewinn und dem höchsten Risiko überhaupt… dem Leben des Spielers.
Albanatus nickte dem Priester zu und sogleich ertönte in der Ferne ein Gong. Menschen raunten und murmelten und das, obwohl Albanatus keinen einzigen sehen konnte, dennoch rief er sich wieder ins Gedächtnis, dass Hunderte in dem Saal waren, darunter sein Gönner und Eigentümer. Auch die anderen Spieler waren nur Vertreter ihrer Eigentümer. Aber so knapp wie diesmal hatte Albanatus noch niemals gespielt.
„Das Spiel beginnt, die Talente sind gesetzt. Möge Gott Krasch’tu gnädig sein!“ Damit zog der hohe Priester Kall’Munz ein Seil bis ganz nach unten und ließ es danach wieder los. Ratternd begann sich der Dolch in dem Spielfeld zu drehen. Er rotierte und wurde dann allmählich langsamer.
Die drei Spieler betrachten angespannt, wie sich der Dolch immer langsamer drehte. Die Spannung war zu spüren, sogar der Spieler Para’Tau hatte die Wasserpfeife zur Seite gelegt und schaute auf den allmählich zum Stillstand kommenden Dolch.
Der Dolch stoppte auf Gelb!
Ein Raunen lief durch die dunkle Halle. Die stickige Luft schien zu dampfen. Da lief der hohe Priester zu Albanatus und stellte sich hinter dessen Rücken. „Gott Krasch’tu hat gewählt. Du hast verloren Albanatus. Damit ist dein Leben verwirkt. Wählst du den Tod durch deine Hand oder durch den geheiligten Priester?“
„Ich wähle den Priester!“ Sagte Albanatus und sogleich überdehnte der Priester ihm seinen Hals und fuhr ihm mit einem scharfen, gekrümmten Dolch über die Kehle. Während das Blut aus Albanatus Hals schoss, zogen zwei Helfer den sterbenden Körper nach hinten, in die Dunkelheit.
„Die Spielrunde ist vorbei. Gott Krasch’tu hat sein Opfer erhalten.“ Rief der Priester Kall’Munz. „Wir machen eine halbe Stunde Pause, dann beginnt die nächste Spielrunde.“ Das Licht flammte auf, Türen und Tore öffneten sich und endlich kam frische Luft in die große Halle. Hunderte Menschen begannen wie auf Kommando zu reden, Getränke und Esswaren wurden gereicht und ganz unten erhob sich einer der Besitzer und verließ wild schimpfend die Halle.
Er hatte soeben seinen besten Spieler verloren.

***

In der Dienstvilla von Caroline

Unser Fahrer hatte uns vor meiner Dienstvilla abgesetzt und die Bediensteten hatten unsere Koffer bereits übernommen und stellten sie vor dem Treppenaufgang in den ersten Stock zusammen, schienen sie auf etwas zu warten.
Wir vermissten Madame Ma’Difgtma, denn sonst war sie immer die erste, die uns begrüßte aber diesmal war weder sie noch ihr Sohn Jerome da. „Ist Madame Ma’Difgtma gar nicht im Haus?“ Fragte ich die Köchin auf Soulebdahea, der Landessprache.
„Madame ist im Landesinneren bei den Stämmen. Sie prüft die neuen Kriegerinnen und Krieger und wir haben das große Glück, dass diesmal auch zwei junge Schamaninnen dabei sind. Auf die freuen wir uns alle.“
„Oh gleich zwei Schamaninnen, deren Ausbildung dauert doch so lange und gleich zwei haben all die Prüfungen bestanden, das ist ungewöhnlich.“
Peter hatte auf die Übersetzung gewartet. „Wie lange dauert denn eine Schamaninnen Ausbildung?“
Unsere Köchin hatte die Frage von Peter durchaus verstanden und wies ihm sechs Finger. Darauf sprach sie in einem recht unsicheren englisch zu Peter.
„Sechs Jahre ist Ausbildung groß.“ Dabei nickte sie, um ihre Aussage zu untermalen, und verschwand in der Küche.
„Kein Wunder, dass es hier so wenige davon gibt. Sind das eigentlich auch Lehrjahre oder eher Semester, wie läuft das hier auf Soulebda?“
„Stellt euch das wie Semester vor,“ antwortete Penelope ai Youhaahb, die aus einer der Seitentüren herauskam. „Die Novizinnen brauchen vier Semester, dann legen sie die Kriegerinnenprüfungen ab und werden zu Berufenen ernannt. Jetzt kommen weitere vier Semester bis die Besten zu Schamaninnen berufen werden und dann werden die Besten der Besten weitere vier Jahre zu Kriegsschamaninnen ausgebildet. Im letzten Teil der Ausbildung sind die Ausfallquoten extrem hoch. Nur eine von zehn besteht diese Prüfungen, deswegen ist Ma’Difgtma auch so aufgeregt und nimmt die Prüfungen selber ab. Aber jetzt genug mit diesem Lehrplan der Schamaninnen. Ich grüße dich Peter, du tapferer Beschützer meiner Nun’tschula.“
Damit umarmte sie Peter und gab ihm zwei kräftige Küsse auf seine Wangen. Danach stellte sich Penelope vor mich und schaute mich lächelnd an.
„Ich grüße dich Caroline, meine Nun’tschula, meine Lebensteilerin, komm und begrüße mich, wie es sich für eine Nun’tschula gehört.“
Schon lief ich auf Penelope zu und umarmte und küsste sie leidenschaftlich und innig, so wie der uralte Brauch forderte. Noch während Penelope und ich uns in den Armen lagen, erschallte es aus dem ganzen Haus „Nun’tschula auma Kahlscha’daar namaija.“ Peter schaute sich verwirrt um, er hatte doch keine der Bediensteten gesehen. Penelope und ich lachten laut los und mein geliebter Peter schaute wie ein begossener Pudel aus der Wäsche.
„Was denn, ich bin es nicht gewöhnt, dass mich jederzeit und überall Leute beobachten und überwachen. Das macht mich jedes Mal ganz nervös …“

„Sag doch so etwas nicht Peter.“ Ertönte die kräftige Stimme von Soleab, der gemeinsam mit Jerome aus einem der Kellerräume nach oben kam. „Zu Hause hat dich Decker auch stetig im Auge und weiß auch immer, wo du dich herumtreibst. Seid mir gegrüßt meine Freunde.“ Sagte er, als er vor uns stand und wir begrüßten uns wie Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten. „Ihr habt euch aber seit gut vier Monaten nicht mehr bei uns sehen lassen. Ärgert euch Frank so sehr?“
„Nein, diesmal ist es nicht Frank, der uns schickt, es hat sich etwas Schreckliches ereignet, das wir mit Soulebda in Verbindung bringen.“
„Ah, ist deswegen auch die Polizistin mitgekommen. Sie hat in der Polizeiwachzentrale für etwas Verwirrung gesorgt.“
„Das ist Marion Perlacher, sie ist Kriminalhauptkommissar, also etwa Hauptmann bei der hiesigen Polizei. Sie ermittelt in der gleichen Mordsache zu der wir als Berater herangezogen wurden.“ Während wir redeten, huschten von überall her Mädchen und junge Männer und deckten den großen Tisch auf der Veranda. Als der Gong ertönte, bat Jerome uns, am Tisch Platz zu nehmen. Wir schauten die Anzahl der Teller an. „Wer kommt denn noch alles zum Essen?“
„Caroline, es kommt diese Marion Perlacher in Begleitung zweier Wachen. Die lassen sie keinen Augenblick mehr aus den Augen und es kommt Viktor Kubaliborow von GIPSY. Dein Onkel Dagan ist verhindert, er ist bei der Regentin.“
Im Eingangsbereich wurden weitere Gäste hereingelassen, darunter, gut zu hören, Marion Perlacher. Sie trug noch immer die Reisekleider und ihre große Sporttasche, lediglich ihr Koffer wurde von einem der Wachen geschleppt. Viktor Kubaliborow ging voraus und lachte laut auf, als er uns am Tisch sah.
Jerome war aufgestanden und ließ den Wachmann den Koffer an einer Ecke abstellen und sich stärken. Marion Perlacher hatte kein Problem die halbe Mannschaft auf Trab zu halten und jedem eine Aufgabe zuzuteilen. Jerome grinste verschmitzt zu Peter. Er und ich wussten, dass Jerome wieder einer seiner Scherze vorhatte. Marion Perlacher wuselte immer noch zwischen den Bediensteten umher, da nahm Jerome ihren Koffer und stellte diesen an die Wand, so dass Marion das sehen konnte.
„Hallo Kofferträger, was machen sie mit meinem Gepäck?“ Jerome stellte sich mit seinem über 1,92m aufrecht hin und alle anderen waren sofort still. Marion bekam mit, dass gerade etwas unpassendes Geschehen war und schaute Peter und mich hilfesuchend an. Peter kam auf Jerome zu und stellte sich neben ihn und nun wurde deutlich, dass Peter beinahe einen Kopf kleiner als Jerome war. Auch ich stand auf und kam zu Marion und schüttelte dabei leicht den Kopf.
„Liebe Marion, das ist kein Kofferträger, das ist Oberst Jerome n’Antacket, der Chef der Palastgarde. Und die Palastgarde hier, das sind alles echte Spezialeinheiten, Fallschirmjäger und mehr. Du sprichst also gerade mit einem der am höchsten dekorierten Soldaten von Soulebda.“
„Jerome n’Antacket…“, murmelte Marion und schaute mich kurz an, dabei schluckte sie leicht und lächelte Jerome gewinnend an, ihr Augenaufschlag war überaus gelungen. Da reichte sie Jerome die Hand „Verzeihen sie Herr Oberst, ich bin das erste Mal auf dieser Insel und kenne die Gepflogenheiten hier noch nicht.“
Jerome nahm die Hand an, erwiderte ihren kräftigen Händedruck und grinste Marion mit seinem breiten Lächeln an. “Na, dann werden wir sie heute doch nicht kochen und essen!“ Dabei schaute er Marion mit seinen großen Augen an, drehte sich und rief, „Sorry Leute, das Essen heute fällt aus.“
Marions Blick war unbezahlbar … danach drehte sie sich um und brummte zu uns, „Die haben alle denselben Humor wie ihr.“

***

Nach diesem kurzen Schrecken hatte sich Jerome als hervorragender Gastgeber um Marion gekümmert und ihr einiges über die Leckereien erklärt, die unsere Köchinnen hergerichtet hatten. Bei den Säften war Marion ebenso interessiert wie ich. Später, nach dem Abendessen kam dann Rafaela Mao, Jeromes Verlobte dazu. Sie trug eine Polizeiuniform und war an den Erzählungen von Marion sehr interessiert.
Rafaela fand sehr schnell einen Draht zu Marion und man sah die beiden ab da fast nur noch zusammen reden. Für uns hieß das, wir mussten uns um Marion Perlacher keine Gedanken machen. Inzwischen war es dunkel geworden. Die ersten Sterne des Südens prangten am rabenschwarzen Himmel.
„So, hiermit ist die Tafel aufgehoben!“ Bestimmte Jerome und wir Gäste sammelten uns auf der Terrasse. Viktor hatte eine seiner geliebten kubanischen Zigarren angezündet, reichte die Zigarrenkiste herum und natürlich konnte Peter nicht wiederstehen, anschließend begann das dienstliche Gespräch.
„Ich habe drinnen den Projektor herrichten lassen für die Einweisung. Marion Perlacher, sie sind von der Kriminalpolizei in Deutschland. Wir wurden unterrichtet, dass es ein Gewaltverbrechen gab und Soulebda darin eine Rolle spielt. Bitte erzählen Sie, wir hören ihnen zu.“

Und Marion Perlacher gab Viktor ihren USB Stick. Als die Präsentation an der hell erleuchteten Wand erschien, begann sie ihren Vortrag.

***

Marion hatte die ganzen Fakten aus Deutschland offengelegt. Die bekannten Informationen und die neuen Informationen, die mit dem Tod von Heidemarie Langler im Wald endete. Am Ende prangte das gestochen scharfe Bild der kleinen Halskette an der Wand und Monika wollte gerade beginnen, da kam von hinter ihnen die klare, bestimmende Stimme von Madame Ma’Difgtma entgegen.
„Das ist eine Kum’lau Halskette, eine Kette der verfluchten Kum‘do Spieler. Diese Kette ist das ultimative Geschenk und repräsentiert das Leben des Menschen, wo habt ihr dieses verfluchte Ding her?“

Marion erschrak, als die dunkelhäutige Frau, die gerade eben erst durch die Eingangstür gekommen war, mit einem Satz neben ihr auftauchte, denn der Sprung vom Eingang hierher in den Saloon war doch mindestens 12 Meter weit. Marion erkannte sofort, dass diese Frau etwas Besonderes war, so wie sie sich benahm und wie sie von allen anderen angesehen wurde.

„Oh Entschuldigung, wo bleiben meine Manieren, Mualebda zum Gruße, ich bin hier nur die Haushofmeisterin und nun, ehrenwerte Frau Polizistin fahre fort.“

Doch auch Marion Perlacher bewies, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte. „Ich grüße auch dich, edle Madame Ma’Difgtma, erste Kriegerin auf Soulebda.“ Dabei verbeugte sich Marion sogar ein wenig und Ma’Difgtma lächelte sie gewinnend an.
„Wir wissen in Deutschland zu wenig über die Bedeutung einer solchen Kette. Ist das etwas Besonderes oder nur einfacher Schmuck, den jeder kaufen und tragen kann?“ Madame Ma’Difgtma nahm am Tisch Platz, nickte den anderen nur kurz zu und schaute erneut zu Marion. „Gerne kann ich mein Wissen um diese Kette beisteuern, doch nimm Platz, das dauert etwas länger.“ Sie goss sich etwas Wasser ein, trank einen großen Schluck, sah kurz in die Runde und begann zu erklären, was es mit dieser Kette auf sich hatte.

Kum’la – Entstehung – Entwicklung – Verbreitung

„Gut mein Kind. Lasst mich etwas erzählen über Kum’do, dieses verfluchte Spiel, dessen Geschichte bis in uralte Zeiten zurückreicht und über die Unsitten dieses Spiels das so viele Leben gekostet hat. Alles begann mit dem Kum’la und ursprünglich war Kum’la gar kein Spiel. Es entstand hier bei uns auf der Pazifikinsel Soulebda etwa um das Jahr 600 v. Chr. und wurde bei Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen und den Dorfgemeinschaften, als eine Art „Gottesurteil“ eingesetzt um zu verhindern, dass eine kriegerische Auseinandersetzung zu viele Leben kostete. Damals huldigten die Menschen auf Soulebda sowohl weiblichen als auch männlichen Gottheiten, bis die Göttin Mualebda so ab 150 v. Chr. eurer Zeitrechnung alle anderen Götter hier auf Soulebda abgelöst hatte.

Zum Kum’la wählte jede Partei einen Vertreter, der meistens ein Krieger war. Dieser begab sich zum heiligen Vulkan Beenec u’Alara, um dort bei seinem Gott Beistand zu erbitten. Er reinigte sich dort und betete oft mehrere Tage lang. Danach brachte er der Priesterin, dem Priester oder dem Schamanen, der das Kum’la überwachte, ein Opfer, in Form einer Gabe dar, um sein Wohlwollen zu erlangen. Anschließend setzten sich die Krieger an einen Tisch aus Stein. Hier legte ein Priester den heiligen Dolch, Krum’ba genannt, in die Mitte des geweihten Tisches auf einen erhöhten Punkt.

Ähnlich wie beim heutigen Flaschendrehen, drehten die Krieger abwechselnd den heiligen Dolch und derjenige, auf den die Spitze zeigte, hatte verloren. Der Tisch hatte zwei Einfärbungen, hell und dunkel und jede Farbe stand für einen Spieler. Dieser Vorgang wiederholte sich, bis einer der Kontrahenten dreimal verloren hatte. Zwischen den einzelnen Runden konnten die Krieger weitere Opfer bringen, umso mehr göttlichen Beistand zu erbitten. Stand ein Verlierer fest, musste die unterlegene Partei das Urteil annehmen. Ging es aber um etwas wichtiges, wie z.B. Fang- oder Jagdgründe, konnte die unterlegene Parteie eine Blutrunde fordern. War der gegnerische Krieger einverstanden, begann die Zeremonie erneut, doch die Blutrunde überlebte nur einer der Kontrahenten.“
Madame Ma’Difgtma schaute in die Runde, alle Augen waren auf sie gerichtet, sie trank einen weiteren Schlug und erklärte weiter.
„Zeigte die Spitze zum dritten Mal auf denselben Krieger, konnte er wählen, sich selbst den heiligen Dolch ins Herz zu stoßen, was besonders ehrenvoll war, oder, es dem Priester zu überlassen. War der Krieger tot, bekamen seine Leute eine kleine Opfergabe zurück und die unterlegene Partei musste das Gottesurteil annehmen. So wurden Menschenleben unter den Stämmen verschont.
Aber um das Jahr 1800 n. Chr. entwickelte sich aus dem Kum’la das Spiel Kum’lata. Bei diesem Spiel ging es nicht mehr um Gottesurteile und Entscheidungen, sondern rein um das Spielen und um die Wetten. Folglich wurde jetzt auch keine Gottheit mehr angerufen, zumal Mualebda ein solches Spiel in ihrem Namen niemals geduldet hätte.

Die Runde wurde auf sechs Spieler erweitert, die keine Krieger waren, sondern professionelle Spieler. Die Profispieler erkannten schnell das Gewicht des Dolches, die Beschaffenheit der Unterlage und sie wussten, mit wie viel Schwung sie drehen mussten und wie sie es schafften ihre Gegner gezielt auszuspielen. Die unerfahrenen Spieler verloren daher fast immer.
Die Regeln blieben dieselben, wer zum dritten Mal die Dolchspitze sah, der hatte verloren, allerdings wurde bei diesem Spiel der Verlierer nicht getötet. Gewettet wurde in zwei getrennten Abläufen. Als Erstes setzte man auf den Spieler, von dem man glaubte, er würde mit den wenigsten Dolchspitzen gewinnen und zusätzlich konnte man in jeder Zwischenrunde auf den Verlierer wetten. So spielte man um Geld, ähnlich wie bei modernen Wettkämpfen.
Um dem Ganzen zumindest halbwegs Legalität zu verleihen, musste das Kum’lata von einem Priester, oder zumindest einem Gesalbten geleitet werden und die Spieler mussten vorher zum Vulkan Beenec u’Alara gehen um Beistand in Form einer Gabe erbitten. Auf diese Weise konnte man das Spiel als Zeremonie verkaufen, wenngleich es jetzt ein reines Glücksspiel war.“ Erneut trank Ma’Difgtma einen Schluck und ihre Stimme wurde tiefer und etwas bedrohlicher.

„Doch neben dem Kum’lata, entwickelte sich auch das Kum’do!
Bei dieser Variante galten dieselben Regeln, wie beim Kum’lata, doch hier setzten die Spieler erneut ihr Leben ein. Wer verlor, der starb. Eine Riege reicher Soulebdalesen hielt sich ihre Spieler, ähnlich wie die reichen Römer in eurer Welt damals ihre Gladiatoren. Hier beim Kum’do ging es um große Summen und die Kum’do Spieler lebten im Luxus und wurden, wenn auch im Stillen, vom einfachen Volk verehrt.
Um 1875 n. Chr. wurde das Kum’lata und das Kum’do schließlich auf Soulebda verboten. Doch da das Kum’lata für die Gesalbten und ehemaligen Priester eine wichtige Einnahmequelle darstellte, wurde es im Verborgenen gespielt, während das tödliche Kum’do ganz verboten und unterbunden wurde.
Doch wie beim Russisch Roulette, gab es weiterhin geheime Spiele und genug freiwillige Spieler. Da das Spiel auf Soulebda nie an der Herrschaft der Regentin rüttelte, überlebte es im Dunkeln. Mit der Inthronisierung von Heylah ai Youhaahb wurden schließlich alle Varianten des Spiels von Soulebda verbannt. Auf einigen anderen Inseln und anderen Kontinenten fasste das Spiel leider dennoch Fuß und so spielte man das Spiel dort im verborgenen weiter. Und so gelangte das Spiel dann schließlich auch zu euch nach Europa.“

***

Nachdem Ma’Difgtma ihren Vortrag beendet hatte, setzte sie sich und entspannte etwas, doch man sah ihr die Erregung an und dass sie kein Freund dieses Spiels war, wurde allen Anwesenden sofort klar. Als sie ihr Glas Wasser ausgetrunken hatte, schaute Ma’Difgtma zu Marion Perlacher. „Hast du mir bitte diese Kette, ich würde sie mir gerne ansehen?“
„Hier bitte Madame, die Kette ist ein Beweisstück, wir müssen sie wieder ganz nach Deutschland bringen und …“, jedoch Ma’Difgtma hatte die Kette bereits am Verbindungspunkt mit dem kleinen Silberstück auseinandergerissen und roch an dem gebrochenen Metall. „Dachte ich es mir doch. Das ist leider keine heilige Opferkette, wie sie beim Kum’lata benutzt wurde, das ist billiger Schmuck für die Touristen und Europäer!“ Damit gab sie die Reste an Marion Perlacher zurück. „Da unten auf dem Wochenmarkt, gleich neben dem grünen Wasserspender, dort kannst du Hunderte davon kaufen, die sehen alle so aus.“
Marion Perlacher blieb gefasst und schaute zu Peter und mir, doch als wir ihr zunickten, entspannte sie sich leicht.
„Madame, Ihr habt an der zerbrochenen Kette gerochen, riecht eine heilige Opferkette anders und wenn ja, weshalb?“
„Die heilige Kette wird aus einem edleren Metall hergestellt, nicht solch ein billiges Silber-Kupfer-Gemisch, wie das hier. Gut, habt ihr noch Fragen, denn ich habe Hunger bekommen.“
Während Ma’Difgtma in die Küche ging, flüsterte sie leise „Xigola hörst du mich? Es ist weitaus schlimmer als angenommen. Das Spiel ist organisiert.“

***

Als sich die Reihen lichteten, verabschiedete sich auch Ma’Difgtma von uns. „Caroline, hast du dich schon bei Penelope ai Youhaahb gemeldet, sie hatte um deinen Besuch gebeten.“
„Ja, wir trafen uns bei unserer Ankunft. Sie will mich morgen nach Be’a führen, um mir etwas Besonderes zu zeigen.“
„Verstehe“, lächelte sie verschmitzt, „ ja das wird all deine Kraft erfordern. Den Koffern nach zu urteilen bleibt Marion bei euch hier?“
„Ja, das Gästezimmer wird gerade für sie hergerichtet. Sie ist bereits mit Peter nach oben gegangen.“ Dabei lächelte ich sie an. „Wie schätzt du sie ein Ma?“
„Sie ist eine wahrhaftige Polizistin. Ehrlich und nicht hinterhältig, sie ist in ihrem Job bestimmt gut, ob sie allerdings mit den Gepflogenheiten hier zurechtkommt, das kann ich noch nicht sagen. Nun gut, sie kommt wieder herunter. Bis morgen und schlaft gut.“ Damit verabschiedete sich Ma’Diftgma und zusammen mit Marion und Peter schlenderten wir zu der großen Veranda. Zielsicher ging Marion auf den Galgen, der an der äußersten Ecke stand zu und betrachtete ihn genau. Das Holz war gepflegt und eingeölt, der Strick nicht eingerissen, wie sie es erwartet hatte und das ganze Gerät sah frisch gewartet aus.
„Sag mal Caroline, hast du keine Bedenken einen Menschen hinzurichten, ich meine, du bist eine ausgebildete Henkerin und …“, mit einer Handbewegung deutete Marion zum Galgen. „Das da schafft Fakten, kalte Fakten, ohne die Chance einer Korrektur. Was machst du, wenn sich die Richter geirrt haben und ein Unschuldiger hier stirbt?“
„Marion, diese Frage wird immer wieder gestellt. Zunächst werden hier seit Jahren keine Todesurteile mehr vollstreckt, aber wenn noch welche stattfänden, so wären sie rechtens und ich müsste das Urteil umsetzen. Aber ganz im Vertrauen, hier auf Soulebda haben wir eine letzte Eingreifstelle, die uns bisher immer unschuldige vom Galgen ferngehalten hat.“
„Aha, aber Menschen umbringen, damit kannst du leben?“
„Ja, ich bin Soldat und musste als Kind lernen zu überleben. Später dann, in der Armee bewies ich, dass ich auch um mein Leben zu kämpfen verstehe. Als Henkerin konnte ich damit leben, Verurteilten das Leben genommen zu haben. Wie ist das bei dir in Deutschland. Musstest du schon einmal die Waffe tödlich einsetzen?“
„Ja, ich musste schon zweimal in Notwehr schießen. Einmal war der Mann sofort tot, das andere Mal starb er an der Verletzung. Aber das war etwas anderes, das war Notwehr. Es hieß damals, das Leben des Verbrechers gegen das Leben der Unschuldigen abzuwägen und da ich bedroht wurde, schoss ich. Das obligatorische Untersuchen danach bestätigten, dass die Schussabgabe gerechtfertigt war.“
„Aber der Mensch war danach tot.“
„Ja, er war tot und ich verstehe, worauf du hinauswillst. Der Tod ist endgültig. Wieso wird aber der Galgen hier so gut gewartet und in Schuss gehalten?“
„Auf Soulebda wird nichts verrotten lassen. Von uns weiß keiner, ob nicht doch eines Tages dieses Werkzeug wieder Fakten schaffen muss.
Aber da wir gerade bei den Fakten sind. Wie kommst du mit der Dusche oben im Gästezimmer zurecht, ist die nicht zu stark eingestellt?“
„Ich liebe einen harten Wasserstrahl auf meiner Haut, es ist so massierend und kann einem die Lebensgeister zurückbringen. Wann wird morgen früh geweckt?“
„Wir werden euch morgen zur Levandalis-Zeit wecken, das ist nach eurer Zeit um 07:30“ sagte eine der Maids, die gerade mit einem Tablett mit Gläsern vorbeikam und uns anlächelte.
„07:30 Wecken, das Frühstück ist ab 08:00 Uhr aufgetischt. Haben sie noch einen Wunsch?“
Marion erbat sich noch eine Flasche Wasser und ein Glas und wir gingen hinauf zur Ruhe.

***

Als Peter bei mir im Arm lag, schaute er mich mit seinen großen Augen an. „Sag mal Schatz, hast du jemals mitgezählt, wie viele Leben du genommen hast?“
„Nein, ich habe mir immer versucht vorzustellen, wie viele Leben ich gerettet habe.“
„Ich hoffe, wir retten noch viele Leben. Wenn ich an diese arme Frau denke, die da ermordet wurde und ihr Kind, das fehlt. Ich hoffe nur, dass dem Kind nichts geschehen ist.“
„Das hoffe ich auch und ich hoffe, dass wir diese Schweine finden und ihnen das Handwerk legen können.“

***

Irgendwo in Deutschland

Leonie Langler lag im Bett und weinte. Sie hatte ihre Mutter jetzt seit zwei Wochen nicht mehr gesehen und der Kerl, der sie vor einigen Tagen in dem dicken Wagen mitgenommen hatte, der wirkte nicht sehr gut erzogen. Er hatte sie vor ein altes Haus, mit Hinterhofzugang gebracht und zu den dort lebenden Mädchen gesteckt. Leonie war die Jüngste der Mädchen, sie fühlte sich alleingelassen und hatte Angst.
„Hey Kleines, Zeit zum Aufstehen.“ Die junge Frau, die in ihr Zimmer gekommen war, hatte sie liebevoll geweckt und trocknete Leonie gerade die Tränen ab. Leonie kannte diese junge Frau nicht, aber sie schien zumindest nicht böse zu sein und lächelte sie ja auch an.
Als Leonie nach ihren Waschungen angezogen die Kellertreppe hinaufging, roch es bereits nach frischen Waffeln. Sie liebte Waffeln und mit einem großen Glas warmer Milch kamen ihre Kräfte schnell wieder zurück. An dem Frühstückstisch saßen noch drei andere Mädchen, alle aber älter als Leonie. Eine war bereits richtig geschminkt und sie hielt Händchen mit einem der Jungs, der neben ihr saß. Die andere saß mit hochgezogenen Füßen auf ihrem Stuhl und versuchte sich so klein wie nur möglich zu machen. Vermutlich damit man sie übersah, dachte sich Leonie.
„Nimm Platz, die anderen kommen auch gleich zum Frühstück. Schau, dass du satt wirst, wir haben da ein paar Jungs, die fressen wie die Scheunendrescher!“ Die Köchin, die das sagte, drehte sich zu Leonie um und schaute sie mit einem liebevollen Lächeln an, aber Leonie hatte Probleme nicht zu weinen, denn das Gesicht der Frau war blutunterlaufen.
An dem Tisch wurden einige Sprachen gesprochen, dennoch ging alles belanglos und entspannt zu. Englisch und Französisch war darunter, das andere war wohl irgendetwas aus dem Osten, es klang wie in dem russischen Film, den sie vor einigen Wochen gesehen hatte. „Ihr müsst euch für das Spieletraining vorbereiten.“, sagte die Köchin und winkte zwei älteren Jungs zu. „Kommt, es ist gleich soweit, dann werdet ihr abgeholt und Leonie muss heute mit euch gehen. Sie muss das Spiel lernen, sagt Olaf.“
„Richtig. Lerne das Spiel Kind, dann kann Olaf mit dir etwas anfangen!“ Polterte eine dunkle Stimme und Leonie erschrak, ebenso die anderen Kinder. „Keine Angst ihr Knirpse, ich mach euch nichts, ich sorge nur dafür, dass euch nichts geschieht, dass euch keiner uns weg klaut und dass ihr nicht weglauft, denn das wäre schade. Stimmts Margarete?“
Die Köchin stimmte dem großen Mann zu. „Wo bleibt der Wagen Gerhard?“, fragte Margarete.
„Ist bereits auf der Brücke, Kinder ihr habt noch zwei Minuten, dann gehts los und es gibt erst wieder heute Abend etwas zwischen die Backen, also macht hinne!“
Einige Minuten später hielt eine ältere Limousine mit verdunkelten Scheiben und zwei Männer stiegen aus. Beide hatten T-Shirts, schmierige Jacken und einige Goldkettchen an, sie sahen wirklich nicht angenehm aus.
„Seid ihr fertig, dann auf, alles einsteigen. Ihr da oben alle herunterkommen, es geht los!“ Schrie der größere von beiden in das dunkle Treppenhaus. Polternd kamen drei weitere, ältere Mädchen die Treppe runter und liefen direkt in den Wagen. Leonie konnte die nicht einmal richtig ansehen, da ging es auch schon weiter. „Ihr da, ihr steigt vorne ein und auf gehts los. Dalli dalli!“
Schon fuhren die Typen los. Der Wagen war voll, aber so richtig voll. Es roch nicht gut und hinter der großen Scheibe sah Leonie nicht, was da hinter ihr abging. Der alte Wagen ratterte aus der Stadt hinaus und fuhr durch einige Nebenstraßen. Schließlich fuhr er in die Tiefgarage einer Hotelanlage, die schon bessere Tage gesehen hatte. Holpernd hielt der Wagen an und die Türen wurden aufgerissen.
„Endstation, kommt alle mit, gleich hier ist der Aufzug.“, sagte eine Dame in einem anzüglichen enganliegenden Leopardenkostüm. Viel zu viel billiges Parfüm und zu viel Schminke versuchten die Frau um 20 Jahre jünger wirken zu lassen. Immerhin hatte sie es so zum Türsteher gebracht.
Mit dem quietschenden Aufzug ging es nach oben. Irgendwann öffnete sich die Tür und es ging in ein großes Zimmer. In der Mitte stand ein runder Tisch mit vier Stühlen, auf dem Tisch stand etwas, da mit einem Tuch bedeckt war. Um die Wände herum standen zwei Reihen Stühle, so ähnlich hatte Leonie einmal in einem Boxring gesehen, nur war das hier alles kleiner. Die starke Lampe über dem Tisch aber war da und beleuchtete den Raum.
„Du musst Leonie sein, ich bin Shaal’Ayns, du kannst mich aber Charly nennen. Bei mir wirst du lernen, wie dieses Spiel da läuft. Das Spiel ist für dich deine Zukunft. Damit kannst du Ruhm und Ehre gewinnen und auch Geld. Ich werde dir all das beibringen, was du wissen musst, zuerst aber komm mit mir, wir sitzen nicht in dem Raum, wir sitzen im Nebenraum, dort ist deine, na sagen wir Schulklasse und ich als dein Lehrer kann dich da besser betreuen, also komm bitte mit mir!“

Charly war elegant gekleidet, zumindest sah an ihm alles sauber aus und passte auch. Sowohl von den Farben als auch von der Größe. Seine Hautfarbe war braungebrannt, er sah aus wie einer der Eingeborenen der Schatzinsel und die geputzten Lederschuhe passten zu seinem eleganten Erscheinungsbild, wie auch sein Haar, welches kurz gewellt und angegraut war. Charly trug an seinem linken kleinen Finger einen schweren Siegelring und an der rechten Hand einen einfachen Goldring, die Armbanduhr an seinem Handgelenk war riesig und funkelte, wenn das Licht darauf fiel. Um den Hals trug er eine Figur einer Harpyie, eines Adlers mit Menschenkopf. Da Leonies Vater aus der Südsee kam, waren Menschen mit dunkler Hautfarbe für sie nichts Besonderes.

Aber Charly strahlte Vertrauen aus, Güte und eine gewisse Art Vertrauen so dass Leonie keine Angst vor ihm hatte und als Charly erwähnte, dass er, ebenso wie ihr Vater, aus Futuna kam, hatte er Leonies vollstes Vertrauen und sie folgte ihm, ohne Fragen zu stellen in einen der Nebenräume. Dort hing ein riesiger Bildschirm an der Wand, der zeigte den Raum, aus dem sie kamen und sie sah, wie die ersten Leute in dem Raum außen Platz nahmen und der Raum mit den vielen Stühlen füllte sich.
„Setz dich bitte, ich komme auch gleich, trinkst du Limonade oder lieber Wasser?“
„Limonade wäre gut.“, und Leonie setzte sich auf einen der bequemen Stühle, wobei sie sich umsah. Der Raum war sauber, es gab einige Schränke, noch einen kleinen Schreibtisch mit drei Telefonen und einem Computer, dazu stand auf dem Tisch vor Leonie ein abgedecktes Ding. Also wartete sie, bis Charly zurückkam und die Limonade brachte. In dem Raum nebenan waren inzwischen bis auf acht Plätze alle anderen Stühle besetzt. Aus einer der Türen traten vier junge Frauen herein, die ein paarmal in Reihe und Glied um den Tisch herumgingen und sich dann hinsetzten. Ein junger Mann trat dazu und zog das Tuch von dem Tisch.
Zum Vorschein kam das, was abgedeckt war. Ein Rad, vielleicht 30 cm im Durchmesser, das in vier farbige Teile unterteilt war. In der Achse gab es eine Erhöhung. Es sah aus, als ob da etwas in der Erhöhung fehlte.
Charly kam zurück, stellte die Getränke und etwas zum Knabbern auf den Tisch und setzte sich neben Leonie. Er nahm ein Smartphone und drückte einige Tasten, jetzt konnten sie hören, was da unten geredet wurde und auch, dass Musik lief.
„Das da unten sind die vier Spieler und die spielen mit so etwas.“, damit hob Charly das Tuch von ihrem Tisch auf und darunter befand sich der gleiche Apparat wie unten, nur wesentlich kleiner. „Das ist so eine Art Spiel Rad, da oben kommt ein Pfeil drauf und auf wen der Pfeil zeigt, der ist dran, das ist, wie bei anderen Spielen auch.“
„Ich habe einmal im Fernsehen Roulette gesehen, das ist doch auch so etwas?“ Charly lachte die kleine Leonie an. „Genauso ist das, das ist wie Roulette, eine andere Art vom Glücksrad aber sonst passt das, es gibt hier nicht nur Rot und Schwarz, sondern vier Farben, siehst du das?“, und Leonie lächelte, „Ja ich sehe Gelb, Rot, Grün und Blau.“
„Sehr gut und gleich gehts los, jetzt fehlt noch der Schiedsrichter, der aufpasst, dass das alles richtig läuft.“
„Was kann man denn da gewinnen Charly?“
„Bei diesem Spiel kann der Gewinner Geld gewinnen. Jeder versucht natürlich, viel zu gewinnen, aber am Ende kann eben nur einer gewinnen. Siehst du die drei Lampen hinter den vier Stühlen der Spieler?“
„Ja die sehe ich und vorhin hat die Frau auf dem gelben Platz den Pfeil bekommen und eine Lampe ging aus, das zeigt also an, wie oft man gewonnen hat?“
„Die Kunst hier besteht darin, so wenig wie möglich Lampen zu verlieren, also so wenig wie möglich von dem Pfeil ausgewählt zu werden. Das da unten ist auch kein Pfeil, das ist ein spezieller Dolch, der aber auch wie ein Pfeil mit der Spitze auswählt.“
„Jetzt hat die Frau in Grün ein Licht verloren und sie schaut unglücklich aus.“
„Du lernst schnell.
„Warum dreht der Schiedsrichter den Dolch so fest, der dreht sich ja viel zu lange und weshalb ist der so geformt?“
„Das Glück soll sich ja den Gewinner suchen und ich denke, es ist besser, wenn der Dolch öfter dreht, dann kannst du schlecht sagen, wo er anhalten wird. Die Form ist uralt, so sahen früher die Opferdolche aus.“
„Der da wird aber auf Rot anhalten, das glaube ich.“
Der Dolch drehte und drehte, wurde langsamer und hielt auf Rot an.
„Na habe ich Recht gehabt?“ Charly schaute Leonie lächelnd an und trank aus seinem Wasserglas. Schon drehte sich der Dolch erneut und Leonie schaute gebannt auf das Spielfeld. „Diesmal wird er auf Gelb halten!“, beschloss Leonie und der Dolch drehte und drehte … Schließlich hielt er auf Gelb an und Leonie schaute Charly an.
„Mach weiter Kleines, ich glaube, das Spiel gefällt dir.“ Leonie schaute Charly an, lächelte und schaute auf den Spieltisch, an dem der Schiedsrichter erneut den Dolch drehte.
„Der Mann hat den Dolch anders gedreht, der wird schneller anhalten und zwar auf …“, Leonie schaute zu Charly, „ich weiß es jetzt nicht, da ist etwas anders, ich sehe nicht, ob das Gelb oder Rot wird.“ Charly schaute gespannt auf Leonie, die offenbar eine sehr genaue Auffassungsgabe hatte und ein Gespür für das Spiel entwickelt hatte.
„Doch jetzt wieder, das wird Gelb!“, stellte Leonie fest und der Dolch hielt bei Gelb. Charly schaute Leonie lächelnd an und sie lächelte ihn auch an.
„Das machst du sehr gut meine Liebe, jetzt ist noch eine Gelbe, eine Rote und jeweils zwei der anderen Lampen an, wie gehts weiter?“
Leonie schaute, wie der Mann den Dolch drehte und lachte, „Der läuft jetzt aber lange.“ Der Dolch drehte und drehte sich, schließlich lächelte Leonie Charly an, „Ich glaube, dass das diesmal wieder Rot wird.“ Der Dolch drehte langsamer und langsamer und hielt schließlich bei Gelb an.
Leonie wirkte enttäuscht. „Ich dachte das wäre jetzt wieder Rot, das sah nach Rot aus.“ Noch während sie mit Charly sprach, wurde der Ton abgestellt und Leonie sah nicht, dass die Spielerin auf dem gelben Feld von vier kräftigen Männerhänden aus dem Raum gezogen wurde. Dabei strampelte die Spielerin, als wenn sie etwas Wertvolles verloren hätte, gegen die starken Männerhände kam sie aber nicht an. Eine neue Spielerin kam unten dazu, alle Lampen wurden wieder eingeschaltet und erneut ging das Spiel von vorne los.

Charly betrachtete Leonie ganz genau und erkannte, dass das Mädchen ein Diamant war, zwar ungeschliffen, aber ein Diamant, der ein riesiges Potential hatte.

Leonies Voraussagen wurden im Verlauf der nächsten Spiele immer besser und Charly erkannte, dass sie Spaß an dem Spiel gefunden hatte. Sie trank ab und zu etwas, aß zwischendurch einen Keks und gab ihre weiteren Vorhersagen ab. Bei vier von fünf lag sie richtig und das schien sich zu halten. Nach vier Spielen war jeweils eine Stunde Pause und Leonie ging mit Charly auf die Dachterrasse, die Füße vertreten.
Dabei stellte sie unglaublich viele Fragen zu dem Spiel, zu dem Dolch und dem Schiedsrichter. Der gefiel Leonie gar nicht, sie mochte ihn nicht, das merkte Charly gleich. Danach gab es noch insgesamt acht Spiele, dann stand ein Rundengewinner fest und die Spieler wurden komplett ausgetauscht.
Am Tagesende, gegen 16:00 Uhr hatte es zwei Sieger gegeben, die die Spiele gewonnen hatten. Die Gewinner hatten lachend und freudestrahlen je einen großen Briefumschlag erhalten und waren überglücklich. Während Leonie mit den anderen zurück in das Wohnhaus fuhr, wo es ein gutes Abendessen gab, berichtete Shaal’Ayns über die TV Leitung dem „Vorstand“.

„Die Kleine ist gut, ich werde sie noch ein paarmal den Vierspieler Tisch ansagen lassen, dann sehen wir, wie sie sich am Sechspielertisch macht. Dort ist das große Geld.“ Als Shaal’Ayns die Quoten der kleinen Leonie nannte, begannen deren Augen zu leuchten.
„Wenn die Kleine wirklich nicht nur geraten hat und das auch am Sechser bestätigt, dann ist das tatsächlich der Diamant, der uns gutes Geld bringen kann.
Shaal’Ayns, dein Auftrag ist jetzt alles zu unternehmen, die Kleine zu fördern und sie mit dem Sechser vertraut zu machen.“

***

Rafaela

Soulebda. Wie jeden Morgen um 05Uhr30 joggte Rafaela auf dem Weg, der vom Palast zu Hauptwache der Polizei Soulebda-Stadt führte und der teilweise durch dichten Dschungel führte.
Rafaela liebte diesen Weg, denn er erinnerte sie an den Weg, den sie in ihrer Heimat Brasilien, als Kind zur Schule zurücklegen musste. Anders als viele ihrer Freundinnen hatte sie den Dschungel immer als ihren Freund gesehen, als ein Freund der ihr Abenteuer, Versteck und manchmal auch Schutz bot. Rafaela Mao war nicht nur eine der wenigen Offizierinnen der brasilianischen Polizei, nein sie war auch eine der Schönheitsköniginnen, die Piraten in die Hände fiel, welche die Misswahl auf den Philippinen überfallen und sie gemeinsam mit anderen Geiseln nach Makira verschleppten.
Doch während ihrer Gefangenschaft schwor sie sich nicht zu zerbrechen und als die Armee Soulebdas die Piratenfestung auf Makira angriff, bekam sie ihre Chance. Mit einer kleinen Einheit aus Kriegerinnen Soulebdas und befreiten Geiseln verteidigte Rafaela ein verlassenes Dorf, bis die Armee eintraf und alle Geiseln Makiras befreite. Im Laufe dieses Kampfes traf sie zum ersten Mal auf Jerome, der zwar eine Uniform, aber keinerlei Rangabzeichen trug. Da Rafaela Einzelheiten über das Lager auf Makira kannte, schloss sie sich kurzerhand Jeromes Garde an und kämpfte mit ihm Seite an Seite, bis das ganze Piratenpack gefangen oder tot war.
Während der Kämpfe auf Makira und Alofi konnte sie kaum glauben, wie schnell und katzengleich sich der hünenhafte Jerome bewegen konnte. Einmal verschwand er praktisch vor ihren Augen, nur um mitten zwischen ihren völlig überraschten Feinden aufzutauchen. Erst nach und nach begriff sie, was es hieß, ein Schattenkrieger zu sein … Als sie dann erfuhr, dass Jerome nicht nur der Befehlshaber des Eliteregimentes, der Palastgarde war, zugleich enger Berater der Regentin und auch noch der Sohn Soulebdas erster Kriegerin, da war sie schon etwas eingeschüchtert, doch das ließ sie sich bei dem ersten Aufeinandertreffen mit der legendären Ma’Difgtma nicht anmerken und so trat sie dieser selbstsicher entgegen. Ma‘Difgtma begrüßte sie kurz, dann sah sie ihr lange und bohrend in die Augen, so dass es sie alle Kraft kostete, doch sie hielt dem Blick stand und plötzlich wurde die Miene Ma’Difgtmas viel freundlicher. „Sei willkommen meine Tochter.“ Sagte sie schließlich und umarmte sie. Jerome, der lächelnd zusah vermittelte ihr jedoch nicht den Eindruck, dass er das Wohlwollen seiner Mutter unbedingt gebraucht hätte, vielmehr vermittelte Jerome den Anschein er hätte sich auch über den Willen seiner Mutter hinweggesetzt! Und verdammt, Rafaela musste zugeben, sie mochte ihn dafür! Naja, mochte, war das falsche Wort, denn je länger sie mit Jerome zusammen war, umso stärker fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Natürlich hatte Rafaela die Blicke, die Jerome ihr zuwarf, bemerkt, doch auch eine Schönheitskönigin war „nicht einfach so zu haben“. Allerdings, weniger als zwei Wochen nach ihrer Ankunft auf Soulebda musste sich Rafaela eingestehen, dass sie diesen riesigen Kerl liebte.
Soleab, dem als Parlamentspräsident die Polizei unterstand, bot ihr an, hier auf Soulebda zu bleiben und ihr Wissen mit den hiesigen Kollegen auszutauschen. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit, welche sie erbat nahm Rafaela das Angebot an und trat der Polizei Soulebdas bei. Soleab regelte die Verhandlung mit der brasilianischen Polizei und ein Kommissar der Soulebdalesischen Polizei nahm ihren Platz ein. Seitdem lief Rafaela jeden Morgen den Weg zur Wache, um sich fit zu halten, und hatte jeden Vorschlag, einen Wagen zu benutzen abgelehnt.
Gerade passierte sie Stück dichteren Dschungel, als sie bemerkte, dass sie nicht mehr alleine war!
„Ich grüße dich Ma’Difgtma.“ Sagte sie, ohne sich umzudrehen. „Wie lange bist du schon bei mir?“
„Oh meine Tochter“, antwortete Ma’Difgtma, schloss auf die gleiche Höhe auf und lief trotz ihres Alters scheinbar mühelos neben Rafaela her, „deine Instinkte werden mit jedem Tag besser, ich begleite dich erst seit der letzten scharfen Biegung.“
Rafaela schüttelte innerlich den Kopf… die letzte scharfe Biegung lag zwanzig Minuten hinter ihr, was bedeutete, dass Ma’Difgtma seit mehr als fünf Kilometern hinter ihr lief, ohne dass sie diese bemerkt hatte!
„Nun, ich nehme nicht an, dass du ebenfalls nur joggen möchtest.“
„Nein meine Tochter, ich muss mit dir reden und das unter vier Augen, doch wir müssen unseren Lauf dafür nicht unterbrechen.“ Antwortete Ma’Difgtma, als Rafaela stehen bleiben wollte und so lief sie einfach weiter.
Mühelos sprach Ma’Difgtma weiter. „Ich habe einen Spezialauftrag für dich, als Angehörige der Polizei Soulebdas.“
„Weiß mein Vorgesetzter, Superintendent Lastre’lar davon?“
„Nein! Ihm wurde heute Morgen nur mitgeteilt, dass du für einen Sonderauftrag des Palastes herangezogen wirst.“
„Ein Sonderauftrag des Palastes? Um was geht es?“
„Das erfährst du später. Sei um 09Uhr in Carolines Villa! Und meine Tochter… zu niemanden ein Wort!“ Damit beschleunigte Ma’Difgtma ihren Lauf und lief Rafaela mühelos davon.
– Verdammt, wie alt ist die eigentlich?!- fragte sich Rafaela zum tausendsten Mal und erreichte nach weiteren zwanzig Minuten die Stadtgrenze.

***

Pünktlich um neun Uhr betrat Rafaela Carolines Villa. Als eine der Angestellten ihr die Tür öffnete, hielt ein Wagen hinter ihr. Sie drehte sich um und sah Shea Martin, ebenfalls eine Austauschpolizistin, aussteigen. Rafaela hatte Shea schon einige Male gesehen und wusste, dass Shea aus London kam und letztes Jahr maßgeblich daran beteiligt war, Soulebda von Piraten zu säubern. Rafaela wartete an der Tür, bis Shea bei ihr war und begrüßte ihre Kollegin herzlich. „Hallo Shea, wurdest du auch von Ma‘Difgtma zu diesem geheimnisvollen Treffen geladen?“
„Ja, stell dir vor, heute Morgen sitze ich an meinem Tisch, da fällt mir ein Löffel herunter, ich bücke mich und als ich mich wiederaufrichte, sitzt Ma’Difgtma neben mir. Ich bekam fast einen Herzinfarkt.“
„Ich traf sie auch heute Morgen, es muss etwas sehr Wichtiges sein.“, meinte Rafaela, während sie in der Villa zum Empfangsraum geführt wurden. Dort angekommen öffnete die Bedienstete die Tür, ließ sie eintreten und ließ anschließend alleine. Als die zwei Polizistinnen den Raum betraten, stellten Shea fest, dass noch eine Frau anwesend war, welche sie aber nicht kannte.
Die Unbekannte war etwa im gleichen Alter wie Shea und die erfahrene Inspektorin erkannte sofort, dass sie einer Kollegin gegenüberstand und so trat sie zu ihr und reichte ihr die Hand. Raphaela, die Marion ja schon am Abend davor kennengelernt hatte, übernahm die Vorstellung. „Hallo, Marion, das ist Shea Martin, ehemals Scotland Yard, jetzt Polizei Soulebda Stadt. Das ist Marion.
„Marion Perlacher, vom LKA Mainstadt.“ Sagte die Frau, trat vor und erwiderte die Grüße ihrer Kolleginnen.
„Sie kommen aus Deutschland?“, fragte Shea.
„Ja, ich ermittele in einem möglichen Ritualmord, der mit Soulebda zusammenhängen könnte.“
Shea zog die Augen zusammen und warf Rafaela einen vielsagenden Blick zu, dem Marion natürlich bemerkte. „Ermitteln sie ebenfalls in einem ähnlichen Fall?“
„Nein, wir beide haben keine Ahnung, um was es hier geht, aber mir wird gerade einiges klar.“
„Und das wäre?“, wollte Marion wissen.
„Es ist doch wohl klar, dass dieses Treffen kein Zufall ist und keine von uns stammt von hier, sie kommen aus Deutschland, Rafaela aus Brasilien und ich aus Großbritannien. Die Frage lautet also, wenn es sich um ein soulebdalesische Ritual handelt, warum ist kein Soulebdalesischer Polizist anwesend?“
„Weil ich, um ein ruchloses Verbrechen aufzuklären, Außenstehende brauche!“, erklang Ma’Difgtmas Stimme, aus der Tür und sie trat aus dem Nachbarraum ein.

***

Irgendwo in Deutschland

Leonie Langler war die letzten drei Wochen jeden Tag mit in die Stadt gefahren, um mit Shaal’Ayns, den sie Charly nennen durfte, das Spiel zu lernen. Charlys erste und wichtigste Aufgabe war dafür zu sorgen, dass Leonie nicht erkannt wurde, denn ihr Bild war überall in der Öffentlichkeit präsent. Durch Maßnahmen wie eine neue Frisur und neue Kleidung, schatte es Charly, dass Leonie unerkannt blieb. Dabei kam ihm die Tatsache, dass Leonie ein gutes Stück älter aussah, als sie tatsächlich war, sehr zu gut. Keiner der Leonie sah, bracht sie mit der verschwundenen Zehnjährigen in Verbindung! Die erste Woche hatte Leonie erlernt herauszufinden, wo der drehende Dolch zum Stillstand kommt.
Dabei war ihre Trefferwahrscheinlichkeit auf unglaubliche 91% angestiegen, aber mehr war -noch- nicht drin.
In der zweiten Woche musste sie den Dolch drehen und Charly zuflüstern, wo sie denkt, dass der Dolch stehenbleiben wird. Das bekam Leonie die beiden ersten Tage gar nicht auf die Reihe, aber dann war es so weit und plötzlich lief es.
„Charly, schau ich schaffe es, den Dolch gut eine halbe Minute drehen zu lassen.“
„Super Leistung, das schaffen selbst die ältesten Spieler kaum. Wo wird der Dolch stehenbleiben, na wie schauts aus?“
„Gelb, der wird auf Gelb stehenbleiben.“ Tatsächlich blieb der Dolch, nachdem er so lange sich gedreht hatte, auf Gelb stehen und schaffe so Klarheit.
Leonie flüsterte jedes Mal so leise, dass Charly genau hinhören musste und die Trefferwahrscheinlichkeit von Leonie war unglaublich. Allerdings bekam das Mädchen noch nicht mit, was das für die Spieler im schlimmsten Fall bedeutete, denn sie hatte nur Augen für das Spiel.

„Charly, das ist jetzt langweilig, immer nur diese vier Felder, das kann ja jedes Kleinkind.“, moserte sie an der Aufgabe herum, „geht es nicht auch anspruchsvoller, was ist mit mehr Feldern?“ und stellte damit genau die Frage, auf die Charly gewartet hatte.

„Oh ja, ich nehme dich morgen mit zu den anderen Spielern. Das ist eine andere Klasse, da spielen dann sechs Spieler gleichzeitig und es geht um bedeutend mehr Geld. Die Leute da, werden nicht so ruhig und still bleiben. Was ist, bist du der Aufgabe gewachsen, meine Liebe, das ist nämlich so richtig anspruchsvoll.“
„Sechs Farben, also sechs Spieler. Das klingt besser als das Langweilige mit vier. Ja ich freue mich darauf.“
„Gut, dort wirst du aber ein Kostüm anziehen, damit die Leute dich akzeptieren und auch dort sprichst du mit keinem der anderen Spieler ist das klar?“
„Ein richtig schönes Kostüm, au ja!“ Leonie freute sich tatsächlich und Charly rief über das Telefon eine Frau namens Jane an, sie solle zur Anprobe von Leonie zu ihm kommen. Jane kam in Begleitung zweier junger Männer und sie trugen einige Taschen mit Kleidern. Jane war hochgewachsen, hatte rabenschwarzes Haar und einen Blick, der einer Henkerin gutgestanden hätte.
„Hallo Charly, du hast mich gerufen. Was ist zu tun?“
„Diese junge Frau wird in der großen Runde den Sechser drehen und braucht dafür ein sehr gutes Kostüm. Schaut was ihr machen könnt, ich bin für eine Stunde bei den Herren da oben, bis dann solltet ihr zumindest einen fertigen Entwurf haben.“
Jane schaute lächelnd die süße Leonie an und nickte ihren beiden Begleiter zu. Diese legten die Kleidertaschen auf den Tisch ab.
„Eines noch, die kleine Leonie ist mir wichtig und steht unter meinem persönlichen Schutz. Ihr wisst, was das bedeutet, also bitte ein sehr gutes Kostüm und nicht mehr.“ Damit schaute Charly noch einmal eindringlich zu Jane und ihren beiden Helfern, ehe er den Raum verließ.
„Also gut meine Kleine, komm, lass dich einmal vermessen, damit wir dich schön anziehen können.“ Die nächsten zehn Minuten kümmerten sich die drei vorbildlich um die kleine Leonie, ab und an musste sie ein Kleidungsstück ablegen, damit die Maße genommen werden konnten und die beiden jungen Männer wurden zusehends nervöser.
„Beherrscht euch ihr beiden, ist das klar?“ Ich hole die Exotensammlung, also Finger bei euch lassen. Leonie, ich bin gleich wieder da.“ Leonie schaute etwas erstaunt, aber da war Jane bereits aus dem Zimmer und die beiden Jungs standen Leonie gegenüber und schauten sie ganz aufgeregt an.
„Du wirst wunderschön aussehen kleine Leonie, wir zaubern mit dir ein wunderbares Kleidchen und wir können auch zaubern, willst du mal sehen wie wir zaubern?“
Neugierig wie Kinder sind, nickte Leonie und einer der Jungs stellte sich hinter Leonie, schien sich verkleiden zu wollen, während der vordere Junge Grimassen schnitt. Mit einem Mal packte der Junge, der hinter Leonie stand und hielt ihr den Mund zu, während der andere ihr Höschen runterzog. Strampelnd versuchte Leonie, sich zu wehren, doch die beiden Jungs waren deutlich stärker. Als der Junge vor ihr sich dir Unterhose auszog und sich an Leonie heranmachen wollte, ging die Tür auf und Charly stand vor den anderen.
Jane kam dazu und Charly schaute sie mit bösen Augen an. „Zieh sie an und bring Leonie in den Raum B3, ich kümmere mich um die beiden hier!“ Damit drängte er Jane mit Leonie, die inzwischen wieder angezogen dastand und nicht verstand, was da gerade geschehen war, aus dem Zimmer und schloss die Tür.
„Komm kleine Leonie, das da ist jetzt nicht für kleine Mädchen, lass uns lieber sehen, ob das Kleid, das ich dir mitgebracht habe steht, ich glaube, darin schaust du wirklich wunderbar aus.“ Schnell nahm sie Leonie an die Hand und brachte sie aus dem Raum, führte sie den Flur entlang und schon waren sie in einem Nebengang, liefen etwas weiter und da war dann auch schon der Raum B3 und sie gingen hinein.

Aus den Nebenräumen drangen vereinzelt die Schreie der Jungen und schließlich wurde es still. Unheimlich still. Etwa 10 Minuten später kam Charly zu den beiden, die gerade das wunderschöne Kostüm anprobierten und Charly trocknete sich die Hände an einem Tuch ab. Er stellte eine zugeknotete Plastiktüte ab und bewunderte die kleine Leonie.
„Ich wusste es, du schaust in diesem Kostüm wunderbar aus. Na, wie fühlst du dich jetzt?“
„Ich fühle mich, wie eine große kleine Dame und ich habe mich im Spiegel gesehen, da fehlt noch ein Hut!“, bestimmte Leonie und Jane als auch Charly lachten.
Eine halbe Stunde später war Leonie ganz zufrieden, Das Kostüm stand ihr, sie trug Stiefelchen und einen modischen Hut in Weiß. Jane und Charly waren hochzufrieden. „Die junge Dame weiß ganz genau, was sie will, das habe ich bei so jungen Damen selten erlebt, eigentlich bisher noch nie.“ Meinte Charly.
„Siehst du Jane, deswegen ist sie auch mein Juwel und sie steht unter meinem Schutz.“ Jane schaute ihn an und nickte traurig.
„Wo sind die beiden Jungs geblieben?“, wollte Leonie wissen. Jane schaute sie schweigend an und Charly sagte nur: „Die beiden haben uns verlassen und sind schon weg.“
„Hab ich etwa etwas schlimmes oder falsches gemacht?“ fragte Leonie erschrocken?
„Nein mein Schatz“, beruhigte sie Jane, „Die zwei haben nur einen Sonderauftrag von Charly erhalten, der sie eine ganze Weile unterwegs sein lässt.“

In dem Zimmer, in dem sich die beiden Jungs an Leonie vergreifen wollten, hingen die Jungs in zwei schwarzen Plastiktüten, zusammengebunden und bewegten sich kaum. Was Charly den beiden abgeschnitten hatte, sollte die kleine Leonie niemals erfahren. Ebensowenig würde sie erfahren, dass die beiden gerade jämmerlich erstickten. Jane aber musste die Tüte nehmen und die Testikel entsorgen.

***

Der erste Sechser

Charly hatte Leonie besonders gut auf den großen Tag vorbereitet. Sie trug ihr neues Kostüm und sah in den passenden Schuhen sehr hübsch aus. Einige der neugierigen Gäste in dem großen Saal winkten auch Leonie zu. Dass das Mädchen noch keine 14 Jahre alt war, fiel niemandem weiter auf.
„Diesmal ist das ein richtig großes Spiel, das wirst du schnell erkennen. Da passen dreimal so viele Gäste in den Saal und die sechs Spieler nehmen das Spiel sehr ernst. Dennoch ist es im Grunde das gleiche Spiel, wie in der kleinen Viererrunde. Deine Aufgabe, meine liebe Leonie, ist es, den Dolch da oben, in die Halterung zu legen und zu drehen. Der dreht sich so schnell und vor allem genauso leicht wie in dem anderen Spiel, danach kommst du zu mir in diesen Glaskasten zurück. Von da kannst du alles gut sehen, wir werden aber auch von allen gesehen.“
„Ich mache genau das Gleiche wie in dem anderen Speil, einfach nur gut und kraftvoll andrehen und aufpassen, dass der Dolch nicht herausfällt?“
„Ganz genauso machst du es und dann komm zu mir zurück.“
Der neue Spielraum war eine richtige Halle mit viel Licht. An drei Seiten gab es Getränke im Ausschank und hier waren vielleicht 150 Menschen versammelt. Leonie ging hinunter und jeder ließ sie passieren. Es war, als hätte man alle informiert, dass sie käme und keiner ihr weh tun dürfe. Also ging die kleine Leonie an den vorgesehenen Platz des Spieltisches und die sechs Spieler, drei Frauen und drei Männer sahen sie mit großen Augen an.
Mit einer Gelassenheit der Unbescholtenen nahm sie den Dolch auf, setzte ihn in die Lagerung, und drehte den Dolch. Leonie sah, dass der Dolch sich gut und schnell drehte, das wird schön werden, dachte sie sich und lief zurück, um sich neben Charly einzufinden.
„Gut gemacht Leonie. Du warst die Glücksfee. Nachher wird ein Mädchen den Dolch drehen, jetzt lass uns sehen, wo der Dolch stehen bleibt. Was meinst du?“
„Ich weiß nicht, ich habe ja den Anfang nicht gesehen, weißt du Charly, mit der ersten Drehung bekomme ich so ein Gefühl und das sagt mir, wo der endet. Das hatte ich jetzt nicht. Aber so wie der Dolch sich dreht, ist das vermutlich Rot.“
Charly schaute zu, der Dolch drehte langsamer und die Spannung stieg. Die Buchmacher in dem Saal waren noch voll dabei, da erklang eine Glocke und es wurden keine Wetten mehr angenommen. Der Dolch wurde nun langsamer und langsamer, endlich hielt er auf der Blauen Markierung und ein Raunen ging durch den Saal.
Nach einer Viertelstunde ging es weiter und eine junge Dame in einem sexy Kleid drehte diesmal den Dolch und verließ die Halle.
„Die dreht aber komisch!“, stellte Leonie fest.
„Was meinst du Leonie?“, Charly schaute ihr genau in die Augen und Leonie erklärte, was sie gesehen hatte.
„Für mich sah das so aus, als ob die Frau mit der ersten Drehung einmal den kleinen Finger in die Mitte von dem Dolch gesteckt hatte, nur ganz kurz und nur ganz leicht, aber mir fiel es eben auf, dass der Dolch danach nicht mehr eierte.“
„Interessant, danke meine Liebe. Was glaubst du, welche Farbe kommt?“
Leonie schien aufzublühen, jetzt war sie wieder in ihrem Element, dazu das schöne Kostüm und diese gute Aussicht in den Saal voller Menschen. Sie fühlte sich sichtlich wohl, etwas, dass Charly natürlich durchaus bemerkte.
„Das wird ein Gelb!“
Der Dolch blieb im Gelben Feld stehen und Leonie strahlte über das ganze Gesicht. Charly lobte sie und motivierte sie weiter. Nach und nach liefen die Runden. Inzwischen waren die Spieler getauscht worden und die Runden liefen weiter.
Wieder legte sich Leonie für eine Farbe fest und erneut gewann ihre Farbe.
„Ich wusste es genau, dass Schwarz kommt, das sah ich dem Dolch an.“ Charly hatte seine Augen überall und registrierte alles um sie herum. Dann kam der letzte Durchlauf in diesem Spiel. Erneut drehte die junge Dame in dem sexy Kleid und erneut wie Leonie auf den Finger der Frau hin. Diesmal war es Charly auch aufgefallen, der Dolch drehte ein ganz klein wenig langsamer. Die junge Dame unten am Spieltisch schaute vorsichtig nach oben in die Glasvitrine, in der Charly mit Leonie standen und es war, als ob sie erschrak. Rasch verließ sie den Saal.
Charly sprach etwas in sein kleines Telefon und lächelte die süße Leonie wieder freundlich an. „Na welche Farbe kommt?“
„Ich weiß es nicht. Eigentlich musste das ein Rot werden, aber der Dolch dreht komisch.“
„Soso komisch!“ Charly lächelte etwas weniger, aber ließ es Leonie nicht merken. Der Dolch hielt bei Weiß an. Unten murmelten die Buchmacher, der Außenseiter hatte gewonnen. Ein Raunen lief durch die Halle. Charly hielt Leonie bei sich. „Bleib meine Liebe, bleib noch etwas bei mir. Für heute sind wir fertig. Wie gefiel dir das?“
Leonie antwortete und merkte nicht, dass Charly nur Zeit schindete, bis sich der Saal fast ganz geleert hatte. Dann ging er mit Leonie, die immer noch im Redefluss war nach draußen zu der Tür, durch die sie gekommen waren.
An einer der Türen, die sich gerade schloss, konnte Leonie noch die junge Frau sehen, die den Dolch angestoßen hatte, sie war in Begleitung zweier starker Männer und sah gar nicht wohl aus.
„Was ist mit der Frau, die sah nicht gesund aus?“
„Die ist bestimmt nur krank, da kümmere ich mich nachher drum, jetzt lass uns gehen.“
Während Leonie mit den anderen Mädchen in einer besseren Limousine heimgefahren wurde, hatte sich Charly erneut in den Keller begeben und ging direkt in den einen Raum mit der Frau, der es offenbar nicht gutging. Er vergewisserte sich, dass die Tür verschlossen wurde und dass die Frau in der Mitte auf einem Blechstuhl saß. Ihre Beine waren auseinandergespreizt und an die Füße des Blechstuhls gebunden. Die Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt und ihre Augen waren blutunterlaufen. Offenbar hatte sie geweint. Die Folterspuren in ihrem Gesicht waren nicht zu übersehen.
„Ich bin Shaal’Ayns, der Spielemeister von Futuna… Glaubst du wirklich, dass wir nicht mitbekommen, wenn jemand wie du versucht, das Spiel zu beeinflussen?“
„Ich weiß nicht, was sie mit vorwerfen, ich habe…“ Mit einem fiesen, festen Schlag seines Handrückens hatte Charly der Frau eine Ohrfeige verpasst, die an Klarheit nichts offenließ. Der Schlag war hart und sehr schmerzhaft.
„Du versuchst, mich zu belügen. Ich lese dich wie eine Flatarinenpflanze, die fängt Fliegen, indem sie ihnen vorlügt, sie sei eine süße, gute Pflanze und dabei ist sie tödlich. Ich lese dich genau und gebe dir noch eine Chance. Wer hat dich beauftragt? Wer ist dein Meister? Sag es mir und ich muss dich nicht leiden lassen. Ich weiß, dass du mehrere Male den Dolch genippt hast. Glaubst du allen Ernstes, ich erkenne das abbremsen, das nippen des Dolches nicht?“
„Bitte glauben sie mir, ich habe nicht…“ Erneut schlug Charly zu und diesmal musste die Frau Blut spucken.
„Letzten Monat hatten wir eine, die hat dieses Spiel volle zehn Minuten mitgemacht, ehe ich sie ziehen ließ. Wer hat dich beauftragt? Wer ist dein Meister?“ Charlys Blick verfinsterte sich und der jungen Frau wurde angst und bange. „Ich weiß, dass du nicht alleine handelst. Weshalb willst du sterben? Nur, um deinen Meister zu schützen? Der hat dich schon längst aufgegeben und sucht sich eine Neue. Für ihn bist du bereits abgeschrieben.“
Charly lachte die Frau aus. „Du bist ihm völlig egal, ich kann mit dir machen, was immer ich will. Er weiß genau, dass du hier nicht mehr lebendig herauskommst. Also zum allerletzten Mal: Wer hat dich beauftragt. Wer ist dein Meister?“
Die Frau hatte eine fahle Blässe im Gesicht und als sie unter sich urinierte.
„Bitte tun sie mir nicht mehr weh. Mera’Alingo ist mein Meister, bitte nicht mehr schlagen.“ Flehte sie Charly an.
Charly nickte einem der muskulösen Wächter zu und dieser lief langsam hinter den Stuhl.
„Mera’Alingo also. Dieser alte ausrangierte Hilfspriester. Er hat sicherlich genug Kraft um dich zu beeinflussen, aber er kann nicht zurückkehren, dafür hat er zu viele Fehler gemacht. Das wird er gleich wissen.
Dummerweise wirst du ihm das nicht sagen können, aber es reicht, wenn ich ihm dein Herz schicke. Ich werde es in bester Priestermanie aus dir herausschneiden und mit einem glühenden Eisen brandmarken. Das Zeichen wird er verstehen. Mach dich bereit meine Liebe, dein Gott wartet auf dich und deine Blut Gabe!“ Als sich Charly zu der Frau umdrehte, hatte er einen Krum’la Dolch in der Hand, wie er zum Spiel eingesetzt wird. „So meine Liebe, jetzt wirst du sterben. Ich habe das Hunderte Mal gemacht und das tut jetzt richtig weh.“

***

Erste Ermittlungen, Soulebda, Carolines Villa

Ma’Difgtma betrat den Empfangsraum in dem Marion, Rafaela und Shea sich zu ihr umgedreht hatten. „Bitte nehmt Platz“, forderte sie die drei Polizistinnen auf und wies zu dem Tisch mit seinen Stühlen, „das hier könnte etwas länger dauern und ich bin nicht mehr die Jüngste.“ Shea und Rafaela warfen sich einen vielsagenden Blick zu, wobei sich Rafaela auf die Lippen biss, um nicht zu grinsen, dann suchte sie sich einen Platz. Als auch Marion Platz genommen hatte, begann Ma’Difgtma zu erklären, warum sie hier waren.
„Marion, bitte berichten Sie uns von dem Opfer in Mainstadt.“
Marion, nickte, stand auf und holte ihre Unterlagen aus ihrem Zimmer. Als sie zurückkam, verteilte sie Fotos, welche am Fundort, sowie in der Gerichtsmedizin gemacht wurden und auf der die Kette abgelichtet war, welche der Pathologe in Heidemarie Langlers Mund fand, dann begann sie zu berichten. „Man fand Heidemarie Langer tot in einem Park bei Mainstadt. Ihr Körper wies Merkmale großer Gewalt auf und in der Gerichtsmedizin fand der zuständige Pathologe eine Halskette in ihrem Mund. Die Kette ist der Grund, weshalb ich hier bin, da man einen Ritualmord nicht ausschließen will. Das ist der Schnelldurchlauf.“
„Der soll uns jetzt reichen.“ Entschied Ma’Difgtma und wandte sich nun an Shea und Rafaela. „Es war kein Ritualmord in eigentlichem Sinn. Ich habe Marion und Raphaela gestern Abend einen Vortrag über das Kum’la, das Kum’lata und das Kum’do gegeben. Sie werden dich Shea darüber näher informieren, sollte es erforderlich sein. Kurz zusammengefasst, das Kum’do ist ein Glückspiel, bei dem der Gewinner sehr reich wird, der Verlierer aber sein Leben verliert.“

„Von diesem Spiel habe ich noch nie gehört.“ Antwortete Shea.
„Hier auf Soulebda ist das Kum‘do seit beinahe einhundertfünfzig Jahren verboten, dennoch wurde es im Verborgenen weitergespielt. Doch schon bevor Heylah Regentin wurde, schafften das Kum’lata und das Kum’do den Sprung auf den Kontinent, wo es heute ganze Kum’lata Spielhallen gibt. Zwar ist auf dem Kontinent das Kom’do auch überall verboten, aber das ist Russisch Roulette auch und dennoch gibt es eine Menge Schwachköpfe die ihr Leben für Ruhm und Geld bei diesem irrsinnigen Spiel riskieren.“
„Du willst uns also mitteilen, dass es in Mainstadt, oder der näheren Umgebung, eine Spielrunde gab, bei dem eine Kum’do Spielerin ihr Leben verlor.“ Stellte Rafaela fest.
„Ja, und die vielen Verletzungen lassen vermuten, dass sie nicht freiwillig an diesem Spiel teilgenommen hat.“
„Ich verstehe“, sagte Shea, „doch ich nehme an, dass die Polizei in Mainstadt diese Informationen schon von unseren Kollegen bekommen hat, wie können wir Zwei“, Shea sah dabei zu Rafaela, „dabei helfen?“
Ma’Difgtma nahm eine Kette aus ihrer Tasche und warf sie auf den Tisch. „Das ist eine Opferkette. Dieselbe Kette, welche man der Toten nach ihrer Ermordung unter die Zunge gelegt hat. Diese Kette gibt es an fast jedem Souvenirstand auf Soulebda, selbst meine erstgeborene Tochter, verkauft diese Kette in ihrem Souvenirladen. Vor weniger als fünfzig Jahren wäre das unvorstellbar gewesen, denn diese Kette galt als ein Zeremonien Relikt. Heute wird sie gekauft, da den Menschen die bunten Muscheln gefallen, ganz gleich, wofür diese Kette früher stand. Dabei mache ich den Touristen keinen Vorwurf, wenn schon der größte Teil unserer Bevölkerung kaum noch etwas über die alten Riten wissen, woher sollen es dann die Touristen wissen? Fest steht nur, dass die Kette nicht zufällig in den Mund der Toten kam.“
„Ma’Difgtma, es fällt mir schwer, das zu sagen, aber wären dir nicht Kollegen, die hier geboren und aufgewachsen sind und welche die Kultur unseres Landes eingehender kennen, eine bessere Hilfe als wir?“, fragte Shea.
„Nein, denn es ist wichtig, dass ihr davon nichts wisst! Also hört weiter zu! Der Schlüssel zu diesem Mord ist diese Kette! Seit jeher muss jeder Teilnehmer des Kum’la zum heiligen Vulkan Beenec u’Alara pilgern, um dort etwas zu opfern! Um das Kum’lata und das Kum’do als Zeremonie zu zelebrieren, mussten auch die Spieler zum Vulkan Beenec u’Alara um dort ein Opfer zu bringen. Der Einfachheit halber, ging man später dazu über, dass die Spieler einfach dem Priester, welcher das Spiel leitete, eine Kette abkauften. DIESE KETTE! Und diese Kette bekam der Verlierer des Kum’do auch nach seinem Tod, als Opfergabe von dem Priester zurück in den Mund gelegt.“
„Du denkst also“, schlussfolgerte Rafaela, „Dass das Spiel zwar in Mainstadt abgehalten wurde, aber von einem Priester aus Soulebda geleitet wurde.“
„So ist es, meine Tochter. Bei keinem Opfer, welches das Kum’do auf dem Kontinent oder sonst auf der Welt forderte, wurde diese Opfergabe gefunden. Wer immer das Spiel leitet, er kennt die Riten und muss ein Priester sein.“
„Oder eine Priesterin.“ Warf Shea ein.
„Nein! Nur Priester leiten das Kum’do. Die Priesterinnen schworen das erste Mal 1801, niemals ein Kum’do zu leiten und dieser Schwur ist bis heute heilig und noch fester Bestandteil des Eides gegenüber Mualebda.“
„Und Priester leisten diesen Schwur nicht?“
„Nein, dieser Passus ist bei der Weihe der Priester gestrichen.“
„Aber warum?“
„Warum… nun in den hundert Jahren gab es keine Veranlassung Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen… Das rächt sich nun.“
„Wie viele Priester gibt es denn auf Soulebda?“, wollte Marion wissen.
„Nun, die Priesterschaft auf Soulebda umfasst etwa einhundertfünfzig Würdenträger.“ Teilet Ma’Difgtma mit. „Davon sind etwa, ein Viertel Männer.“
„Ich dachte, die Priesterschaft ist viel größer.“ Meinte Rafaela. „Alleine bei den Stämmen…“ Sie brach ab, als Ma’Difgtma den Kopf schüttelte.
„Nein, bei den Stämmen gilt die Schamanin als Vertreterin Mualebdas.“
„Wo genau liegt der Unterschied zwischen Schamanin und Priesterin?“, fragte Marion.
„Ein Priester, oder Priesterin ist vergleichbar mit euren Würdenträgern. Er oder sie kümmert sich um die… nennen wir es, seelischen Belange der Menschen. Eine Schamanin ist für alle wichtigen Belange der Stammesgemeinschaft zuständig. Sie ist für die Heilung Kranker zuständig, sie schützt den Stamm vor Gefahren, vermittelt in Streitereien und kümmert sich nebenbei noch um Fragen des Glaubens. Natürlich gibt es auch Schamanen, doch die kann ich ausschließen, denn kein Schamane, oder Schamanin verlässt ihren Stamm. Der Schuldige kann nur ein Priester sein!“
„Nun, die Anzahl der Priester ist ja überschaubar, doch das erklärt alles noch nicht, warum wir als Außenstehende für die Ermittlungen so wichtig sind.“
„Der Glaube und die Bedeutung Mualebdas schwindet im Leben unserer Bevölkerung, wie der Glauben in allen anderen modernen Gesellschaften auch, doch der Glaube, dass unsere Priester für das Gute stehen, ist tief in unserer Kultur verankert. Die meisten Soulebdalesen können sich schlicht nicht vorstellen, dass ein Priester ein solch schlimmes Verbrechen begehen könnte und daher wird ihre Objektivität nicht wirklich gegeben sein.
Ihr seid von diesen Scheukappen befreit und könnt darum unvoreingenommen ermitteln.“
„Jetzt verstehe ich“, sagte Shea, „wer sonst weiß alles von dieser Ermittlergruppe?“
„Nur die Regentin, die oberste Priesterin Xigola, und Soleab der Parlamentspräsident. Soleab ist euer Ansprechpartner bei allen Schwierigkeiten. Hier“, Ma’Difgtma zog ein Stück Papier hervor und reichte es Rafaela, „das ist ein Zugangscode, mit dem ihr euch direkt in die Datenbank des Palastes einloggen könnt.“ Sie stand auf, nahm die Kette wieder an sich und sah die Drei an. „Es gibt viel zu tun, doch ich bin sicher, ihr seid die Richtigen dafür.“ Damit ging sie in Richtung Tür, doch Marion hatte noch eine Frage.
„Entschuldigt, Ma’Difgtma.“ Diese blieb stehen und drehte sich zu Marion um. „Ja?“
„Das ist alles gut und schön, doch warum ich? Ich meine, dass meine Kolleginnen, die hier auf Soulebda leben in diesem Fall ermitteln, ist nachvollziehbar, doch was hat das alles mit mir zu tun? Ich sollte nur in Erfahrung bringen, was es mit der Kette auf sich hat und das konnte ich, dank euren Ausführungen.“
Ma’Difgtmas Augen wandten sich ihr zu und Marion hatte das Gefühl, dass diese sie durchbohrten. „Marion aus Mainstadt! Ihr ermittelt nicht nur in einem Mordfall! Ihr sucht auch ein verschwundenes Kind! Heidemarie Langler war mit ihrer Tochter hier auf Soulebda und hat irgendwo eine Kette gekauft, und damit ein Opfer gebracht, das war sozusagen ihre Eintrittskarte für das Kum’do. Wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit, dass sich nur die Mutter eine Kette als Souvenir gekauft hat?! Heidemarie Langler wurde gezwungen am Kum’do teilzunehmen und jede Faser meines Verstandes sagt mir, dass man Leonie ebenfalls zwingt Kum’do zu spielen, denn auch sie hat ein Opfer gebracht!“
Marion wurde mit jedem Wort blasser, das Ma’Difgtma ihr entgegenhielt, doch das Schlimmste sollte erst kommen…

„Leonie ist neun Jahre, sieht aber bereits älter aus. Man wird sie nicht einfach an einen Tisch setzten und spielen lassen, nein, sie werden sie gefügig machen, sie brechen und danach ausbilden und trainieren, was in etwa sechs Monate dauern wird. Gleichzeitig wird man anfangen, sie bei den Wettteilnehmern bekannt zu machen und diese dazu verleiten große Summen auf sie zu setzten. DANN wird man sie an einen Tisch setzen und sie zwingen Kum’do zu spielen und die Chancen, dass sie diesen Tisch nicht lebend verlässt, stehen bei jedem Spiel eins zu fünf!
DAS ist der Grund warum DU hier bist!
Findet heraus, wer der abtrünnige Priester ist, und ihr werdet Leonie finden! Doch ihr habt nicht ewig Zeit, sobald Leonie die Ausbildung abgeschlossen hat, arbeitet die Uhr gegen euch!“ Damit drehte sie sich um und verließ den Raum.

***

„Hui, das ist starker Tobak!“, sagte Shea. Die Stille in dem Raum war fast zu spüren. „Wenn Ma’Difgtma Recht hat… und sie hatte bis jetzt immer Recht, dann steht uns einiges bevor!“
Marion, die immer noch über Ma’Difgtmas Worte nachdachte, fragte Shea und Rafaela, „Glaubt ihr wirklich, dass jemand eine tödliche Spielrunde organisiert, an der ein Kind teilnehmen muss?“
„Glaub mir“, antwortete Rafaela, „ich hab vor gar nicht langer Zeit ganz andere Sachen gesehen! Wenn es den bestimmten Leuten genug Profit bringt, zählt das Leben eines Kindes gar nichts!“
„Da muss ich Rafaela leider Recht geben“, pflichtete Shea ihr bei, „wenn es um viel Geld geht…“
„Also gut, wo beginnen wir?“ wollte Marion wissen.
„HMM“, überlegte Shea, „wir beginnen mit der Frage, wer sind die vierzig Priester?“

***

Einen Tag später saßen die drei Ermittlerinnen am selben Tisch und verglichen ihre Ergebnisse. Um die Geheimhaltung weiter zu gewährleisten, hatten sie beschlossen ihr Hauptquartier weiterhin hier in Carolines Villa aufzuschlagen.
Als Rafaela sich das erste Mal mit ihrem Laptop in den Computer des Palastes einloggte, erschien Hauers Bild auf dem Monitor. „Hallo Miss zukünftige n’Antakcket, Sie haben ein Gewinnlos gezogen und wollen es einlösen?“
„Hallo du Schreck aller Geheimdienstchefs!“, antwortete Rafaela lachend, „Ja, ich habe einen Code zum Einloggen in den Palastserver.“
„Ich weiß, denn ich habe ihn dir selbst ausgestellt. Das wichtigste zuerst, ich habe keine Ahnung, um was es geht und ich bin mir sicher, dass ich das auch gar nicht wissen will. Alles klar?“
„Ganz klar.“ Bestätigte Raphaela.
„Gut, ihr seid in Carolines Villa?“
„Ja. Im Büro, wo die beiden Rechner stehen.“
„Gut…“ Hauer ließ seine Finger über die Tastatur fliegen, dann nickte er Rafaela zu. „Also ich habe die Leitung jetzt auf AS, also absolut sicher, geschaltet. Nutzt du gerade WLAN?“
„Ähm… Ja.“
„Dann schnapp dir ein Kabel und verbinde den Laptop mit dem Router, dann schaltest du das WLAN aus, sonst nützt meine ganze Sicherheitsmache nichts.“
„Ok, Moment…“ Rafaela suchte sich eine der Bediensteten und ließ sich ein LAN Kabel geben, mit dem sie dann den Laptop mit dem Router verband. „Ralf, ich habe den Laptop jetzt per Kabel verbunden und das WLAN deaktiviert.“
„Wunderbar, dann ist die Leitung jetzt sicher. Also, ab sofort hast du mit deinem Code Zugriff auf alles. Und ich meine ALLES! Verdammt, nicht einmal ICH habe Zugriff auf ALLES!“ Er brach ab, als er Rafaelas amüsiertes Gesicht sah, „Also gut, ich habe keinen legalen Zugriff auf alles, aber das bleibt unter uns. Jetzt zurück zu dir, ich habe den Auftrag euch eine Handynummer zu geben. Wenn ihr sie anruft, landet ihr sofort bei Soleab. Die Nummer ist 24/7 erreichbar. Soleab hat, als Chef der Polizei, auch ein Interventionsteam aufgestellt, das rund um die Uhr bereitsteht, um Euch zu unterstützen, Anruf genügt. Die Nummer sollte jetzt am oberen Bildschirmrand zu sehen sein.“
„Ja, ich sehe sie und speichere sie gerade ab.“
„Gut, noch Fragen an mich?“
„Nein Ralf, vielen Dank.“
„Dann viel Glück! Schnappt euch die Schweinebande und bringt die Kleine heil zurück.“
„HE! Ich dachte, du weißt nicht, um was es geht?“, fragte Rafaela und sah noch, wie Ralfs Mundwinkel nach oben gingen, dann wurde der Bildschirm schwarz. „Typisch!“, grinste sie, gab den Zugangscode ein und begann mit ihrer Recherche.

***

„So, ich habe eine genaue Zahl.“ Begann Shea die Besprechung am Abend des ersten Tages. „Es gibt zweiundvierzig Priester auf Soulebda. Siebenunddreißig auf der Hauptinsel, Zwei auf Ni’jamong, und je einer auf den Inseln Manin’kal. Ka’Ihlih und Poa’holh.“ Shea zauberte eine Namensliste unter ihrem Laptop hervor, auf der die obersten drei Namen durchgestrichen waren. „Diese Drei können wir mit Sicherheit ausschließen, die drei obersten Priester haben ihren Sitz im Palast, sowie in den Tempeln von Poh’tau und Uhr’luu. Das Zeremonienprotokoll legt fest, dass diese Drei immer mit einem ganzen Stab von Untergebenen umgeben sind und keiner dieser Drei könnte die Insel verlassen, ohne dass es jemand mitbekommen würde. Bleiben also neununddreißig Priester übrig.“
„Ich schlage vor“, sagte Marion, „wir beginnen mit den Priestern der Inseln, dann fangen wir mit den Jüngeren an und arbeiten uns altersmäßig nach oben.“
„Gute Idee.“ Nickte Shea zustimmend. „Dann lasst uns loslegen!“

***

„Ich wusste gar nicht, dass die Priester hier auf Soulebda ein so umfangreiches Programm haben.“ Seufzte Rafaela drei Tage später. Wie Marion es vorgeschlagen hatte, begannen sie damit die fünf Priester, welche auf den „Außeninseln“ lebten und arbeiteten zu überprüfen. Dazu flog Shea nach Manin’kal und Ka’Ihlih, während Rafaela nach Poa’holh flog. Marion sollte nach Ni’jamong fliegen und sich die dortigen Priester ansehen.
Zur Überraschung der Polizistinnen hatten die Priester ein sehr straff organisiertes Tagesprogramm. Das begann früh morgens mit den täglichen Besuchen der Tempel, dem Empfang von Menschen mit allen Arten von Gesuchen, Besuch von Kranken und schließlich mit den Besuchen von Einrichtungen, für die die Priester zuständig waren, wie z.B. Gedenkstätten. Dazwischen lagen öffentliche Gebete und schließlich endete der Tag wieder im Tempel.
Für die Ermittlerinnen war das gut und schlecht gleichermaßen… schlecht war, dass sie dieses Programm nachvollziehen mussten, ohne aufzufallen, gut war, dass es dutzende Zeugen gab, welche den Priester täglich sahen und mit ihm arbeiteten. So wäre jede Abwesenheit, welche länger als einen halben Tag gedauert hätte sofort aufgefallen. Schon nach zwei Tagen konnten sie die Inselpriester als den Abtrünnigen, der das Kum’do bei Mainstadt geleitet hatte ausschließen.
„Also gut“, meinte Shea danach, „lasst uns mit den Priestern auf der Hauptinsel beginnen.“

***

Die Priester der Hauptinsel waren weniger einfach zu überprüfen. Es stellte sich heraus, dass es auch hier ein festes Regelwerk gab, welches festlegte welcher Priester, wo, seinen Platz hatte. Dabei gab es keinen Unterschied zwischen Priester und Priesterin, den jüngeren wurden kleinere Bezirke zugewiesen, in denen sie sich bewähren mussten. Wurden sie den Anforderungen gerecht, bekamen sie einen größeren Bezirk und schließlich einen Bezirk in den Städten. Mit der Größe des Bezirkes änderte sich natürlich auch der Umfang ihrer Pflichten.
Allerdings, je größer die Pflichten, umso mehr „Mitarbeiter“ hatte der Priester.
„Es ist zum Davonlaufen!“, schimpfte Shea abends, als die Drei ihre Ermittlungen abglichen. Egal wo sie auch ansetzten, sie kamen nicht weiter! Die jüngeren Priester hatten zwar keine Mitarbeiter, wie ihre älteren Kollegen, dafür aber ein sehr straffes Programm, bei dem jede Abwesenheit sofort aufgefallen wäre. Die älteren Priester hatten zwar ein weniger straffes Programm, waren aber im Gegenzug immer von mehreren Menschen, wie den Novizen umgeben.
Marion, welche sich, als Touristin getarnt, relativ unbemerkt in den Städten bewegen konnte, hatte keine Probleme in Tempel zu gehen und sich so umzusehen. Rafaela, welche zwar in Soulebda-Stadt bekannt war, tat dasselbe in den Fischerdörfern West und Nordsoulebdas. Shea war zwar bekannt, doch ihre Erfahrung ließ sie praktisch unsichtbar werden in Soulebda-Stadt, Nih’tan und Poh’tau. Doch jedem Abend zeigte sich das gleiche Bild! Kein Priester kann die Insel verlassen, ohne dass es jemand bemerken würde.
„Wir haben ein genaues Zeitfenster.“ Stellte Rafaela fest. „Langler wurde am siebten Juli ermordet, also muss der Priester um diese Zeit in Deutschland gewesen sein, aber keiner der Priester hatte die Insel zu diesem Zeitpunkt verlassen.“
„Uns läuft die Zeit davon. Wer weiß schon ob diese Mistkerle tatsächlich sechs Monate brauchen um Leonie zum Spielen zu zwingen?“
„Jetzt mach dich nicht verrückt!“, beruhigte Shea sie. „Ich habe in der Datenbank nachgelesen. Die Ausbildung zum Kum’do Profi dauert, wie Ma’Difgtma sagte Monate… Aber selbst, wenn sie sie nicht zum Profi machen wollen, müssen sie Leonie erst einmal die Grundzüge beibringen und sie bei den Wettern richtig verkaufen. Das dauert seine Zeit, so lange ist Leonie in relativer Sicherheit.“
„Ich weiß, aber das macht es nicht besser! Ich habe Angst, Angst dass wir zu spät kommen…“ Sie brach ab und konzentrierte sich wieder. „Irgendetwas übersehen wir!“
„Fangen wir doch einmal ganz von vorne an.“ Schlug Rafaela vor. „Beginnen wir mit der Frage, wie wird man überhaupt Priester?“

***

Priester

„Wie wird man Priester…?“ Xigola bot im Tempel von Soulebda-Stadt dem Ermittlerteam einen Platz an und ließ sich dann selbst vor dem Schrein Mualebdas nieder. „Nun, man bewirbt sich.“
„Das ist alles?“ wollte Rafaela wissen. „So einfach geht das?“
„Nein“, lächelte Xigola, „so einfach wie ihr euch das nun vorstellst, ist es natürlich nicht.“ Und fuhr nach einer kleinen Denkpause weiter. „Wenn sich jemand zum Priester oder Priesterin berufen fühlt, begibt er sich zum Tempel und spricht mit dem dortigen Priester. Meistens sind es junge Menschen, die etwa um die fünfzehn Jahre alt sind. Der amtierende Priester führt dann ein ernstes Gespräch mit dem Bewerber und prüft seine Ernsthaftigkeit. Ist er der Meinung, dass diese vorliegt, verweist er den Bewerber zu uns in den Haupttempel. Hier werden die Bewerber dann aufgenommen und in einem sechsmonatigen Verfahren geprüft. Wer dieses Verfahren mit Erfolg absolviert, wird ein offizieller Kandidat. Die Zeit der Seminare ist so gelegt, dass sie zu den Sonnenwenden beendet sind. Bei den Sonnenwendenzeremonien wird dann aus den Kandidaten die Auslese getroffen, wer ein Novize wird. Mit der Ernennung zum Novizen beginnt die fünfjährige Ausbildung, welche mit dem Schwur zu Mualebda endet.“
„Xigola“, begann Shea, „wir sitzen in einer Sackgasse. Was wir bisher feststellen konnten, ist, dass es kein Priester geschafft hätte, Soulebda für mehrere Tage zu verlassen, ohne dass dies bemerkt worden wäre.“
„Nun, dass die Ermittlungen nicht einfach sind, das wussten die Regentin, Ma’Difgtma, und ich, deswegen haben wir auch die besten Polizistinnen damit beauftragt.“
„Wäre es denkbar, dass es ein Priester, beispielsweise aus Futuna oder Samoa sein könnte?“
„Nein, denn Kum’do wurde das erste Mal 1869 außerhalb Soulebda gespielt und es wurde überall sofort verboten. Natürlich wurde es auch dort im Geheimen gespielt, doch die dortigen Priester haben nie die alten Zeremonie gelernt.“
Wieder folgte ein langes Schweigen. Shea, Rafaela und Marion gingen langsam die Ideen aus. Fest stand, es war kein „amtierender“ Priester, der das Kum’do in Mainstadt geleitet hatte.
„Was ist mit Priestern, welche aus Altersgründen aus dem Amt scheiden?“, fragte Rafaela.
„Nun, niemand von uns scheidet aus Altersgründen aus.“ Antwortete Xigola beinahe belustigt. „Der Bund mit Mualebda“, sie sah zu der steinernen Figur einer Harpyie über sich, „ist ein Bund fürs Leben.“
„Es werden also nur so viele Priester ausgebildet, wie gebraucht werden.“ Stelle Shea fest.
„Nicht ganz, ein paar werden, sagen wir auf Vorrat ausgebildet, schließlich weiß man nie was geschieht, doch die letzten zwölf Jahre waren es ausschließlich Priesterinnen, die ausgebildet auf ein Amt warteten.“
„Was tun diese in der Zeit?“
„Sie übernehmen Krankheitsvertretungen, arbeiten in Tempeleinrichtungen oder kümmern sich um andere Angelegenheiten. Eine Priesterin arbeitet sogar mit diesem Computergenie Hauer zusammen, wo man ihr beibringt, sich um die IT hier im Tempel zu kümmern, denn auch wir müssen mit der Zeit gehen.“
Marion, die Rafaelas Gedankengang aufgenommen hatte, fragte; „Und die Novizen? Wäre es denn denkbar, dass es ein Novize ist. Einer der noch kein geweihter Priester ist, aber die Riten dennoch kennt?“
„Das wäre theoretisch denkbar, die Novizen leben die ersten beiden Jahre ihrer Ausbildung in ihren Tempeln, dann werden sie den verschiedenen Priesterinnen, oder Priestern zugeteilt… ich denke auch hier würde eine Abwesenheit auffallen.“
„Habe ich mir beinahe gedacht.“ Brummte Marion resigniert.
„Ich sehe schon, wir müssen weitersuchen.“ Seufzte Shea und bedankte sich bei der obersten Priesterin Soulebdas. „Habt dank für die wertvolle Zeit, nun da ich nun euer tägliches Tagesprogramm kenne, weiß ich, die Zeit umso mehr zu schätzen.“
Xigola erhob sich von ihrem Platze und lächelte leicht. „Das Privileg der obersten Priesterin ist, sich die Zeit zu nehmen, welche sie für nötig erachtet und dafür andere die Arbeit erledigen zu lassen.“
Darüber mussten die drei Polizistinnen grinsen und nachdem sich jede persönlich von Xigola verabschiedet hatte, strebten sie dem Ausgang entgegen. Kurz bevor Marion die Tür erreichte, drehte sie sich noch einmal zu dem Schrein Mualebdas um.

– Du bist auf dem richtigen Weg! –

Schoss ihr eine gewaltige, aber eindeutig Weibliche Stimme durch den Kopf!
„Was?“, fragte sie Rafaela, die neben ihr ging.
„Bitte?“
„Was hat du gesagt?“
„Ich habe nichts gesagt.“
Marion schaute zu Shea. „Welcher Weg?“
Doch Shea sah sie nur verständnislos an. „Weg?“
„Eine von Euch sagte, ich sei auf dem richtigen Weg.“
Ihre beiden Kolleginnen schüttelten die Köpfe und schließlich meinte Marion „Dann hab es mir wohl nur eingebildet, die Sorge um Leonie lässt mich anscheinend langsam verrückt werden.“

Shea blieb stehen und fasste Marion am Arm, „Wenn ich etwas über diese Insel gelernt habe, dann, dass es NICHTS gibt, dass verrückt oder bloße Einbildung ist! An was hast du gedacht, als du die Stimme gehört hast?!“

Marion schaute etwas verwirrt und fasste sich dann aber ein Herz, „Es ist schon verrückt… aber ich habe mich gefragt, ob es möglich ist, dass sich jemand heimlich, sozusagen inoffiziell, zum Priester ausbilden lassen kann.“
„Wer sollte das tun und warum?“, fragte Rafaela.
„Ich weiß nicht! Ich sage ja, es ist verrückt.“
„Nein!“, antwortete Shea. „Ganz im Gegenteil. Der Gedanke ist gut!“
„An was denkst du?“
„Xigola hat gesagt, diejenigen welche sich als Priester berufen fühlen müssen sich bewerben. Was ist, wenn sich jemand beworben hat, aber abgelehnt wurde und das nicht hinnehmen will.“
„Du meinst, jemand der aus gekränktem Stolz heimlich eine Ausbildung als Priester macht und sich nun an der gesamten Priesterschaft rächen will und nun das Kum’do als Einnahmequelle für sich entdeckt hat?“
„Ja! Etwas in dieser Art.“
„HMM“, dachte Rafaela laut nach, „ja, der Gedanke ist völlig verrückt, aber der beste Ansatz, den wir haben. Lasst uns herausfinden, ob das möglich ist.“

***

Eine Glocke läutete hell, als Ma’Difgtma den Souvenirladen Same’Lahes, ihrer Tochter, betrat. Sie durchquerte den Verkaufsraum und blieb vor dem Tresen stehen, wo sie ihre Tochter lächelnd erwartete.
„Hallo Mama.“
„Guten Morgen, mein Kind.“ Erwiderte sie, zog die Opferkette aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tresen. „Hier, ich bringe dir deine Kette zurück, danke dass du sie mir ausgeliehen hast.“
„Das ist doch selbstverständlich.“ Antwortete Same’Lahe, nahm die Kette und hängte sie wieder an den Ständer, wo noch andere Schmuckketten auf ihren Käufer warteten. Ma’Difgtma sah mit schmalen Augen zu, sagte aber nichts dazu, stattdessen sagte sie nur, „Ich werde dann weiterarbeiten. Noch einmal, danke.“ Sie drehte sich, um zu gehen, als Same’Lahe, die den enttäuschten Blick ihrer Mutter durchaus bemerkt hatte, sagte; „Warte.“

Ma’Difgtma wandte sich ihr zu und Same’Lahe kam um den Tresen herum zu ihr. „Mama, es tut mir leid, dass ich nicht die große Schamanin oder die tapfere Kriegerin wurde, wie du es dir bestimmt erhofft hast, so wie Ma’Fretama, oder so wie Jerome.“
Ma’Difgtma sah ihre Tochter lange an und fragte dann, „Same’Lahe… weißt du, was dein Name in der Stammessprache bedeutet?“
„Ja, natürlich! Er bedeutet, leuchtender Stern.“
„So ist es! Same’Lahe… der Sinn deines Lebens besteht nicht darin, ein Leben zu führen, welches ich möchte, sondern ein Leben zu führen, dass du möchtest! Du bist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und ich habe gehört, dass du in diesem… Internethandel die größte Händlerin Soulebdalesischer Kunst bist, die es gibt. Außerdem, um eine Kriegerin zu sein, muss man nicht, wie deine Schwester, in einer Kriegstracht und mit einer Keule bewaffnet herumlaufen! Du bist sehr wohl eine Kriegerin, denn wie weit wäre die Rebellion gekommen, ohne deine Hilfe und deinem Wissen über Computer? Was hätten Jerome und Peter, ohne dich, in jener schicksalhaften Nacht ausrichten können?“ Ma’Difgtma trat auf sie zu und umarmte ihre Tochter, der jetzt die Tränen über das Gesicht liefen. „Same’Lahe… dein Stern leuchtet nicht weniger hell, als die meiner anderen Kinder! Ich bin sehr stolz auf dich!“

Die Beiden umarmten sich und hielten sich lange fest, bis Ma’Difgtma sich verabschiedete. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und grinste ihre Tochter an, „Weißt du, wenn die ersten Menschen Soulebdas alle Krieger gewesen wären… dann hätte sich Mualebdas Volk wohl nach kurzer Zeit gegenseitig aufgegessen.“ Damit verließ die erste Kriegerin Soulebdas das Geschäft und ging zurück in Richtung Palast. Same’Lahe wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, anschließend ging sie hinter den Tresen zurück, dabei fiel ihr Blick auf den Ständer, an dem die Opferkette hing, dann blieb ihr Blick an dem Computer hängen, über den sie ihren Kunsthandel betrieb und plötzlich fuhr ein Blitz durch ihre Gedanken! „Die KETTE! Verdammt, warum bin ich da nicht gleich drauf aufmerksam geworden!“, fluchte sie, rannte aus dem Laden und lief ihrer Mutter hinterher.

***

„Was meinst du mit dem Vorteil der Marktdominanz?“, fragte Ma’Difgtma Same’Lahe, nachdem diese sie eingeholt hatte.
„Na ich habe auf ganz Soulebda einzig und alleine die Lizenz diese kleinen Kettchen herzustellen und zu verkaufen, aber natürlich habe ich viele Lizenznehmer in ihren Ständen, die ebenfalls diese Ketten in meinem Auftrag verkaufen.“
Beide gingen sie in die private Kammer von Same’Lahe und setzten sich. Der Laden war jetzt zur Mittagszeit gerade leer, so dass sie nicht von Kunden gestört wurden.
„Ja und wo ist jetzt die Verbindung?“
„Die Verbindung ist die Registrierkasse. Jeder Kauf wird bei uns über die Registrierkasse abgewickelt. Aber die meisten Kunden wissen nicht, dass sie dabei fotografiert werden. Die Daten werden hier auf meinem Server abgespeichert.“
„Weshalb macht ihr das, alle Käufer zu fotografieren?“
„Vor Jahren hatte ich einen schweren Diebstahl aufzudecken und kam dem erst mit der Überwachungskamera auf die Spur. Seither laufen die Kameras.“
„Damit kannst du alle Käufer der Opferketten schnell und einfach auflisten, sehe ich das so richtig, Same’Lahe?“
„Ja Mama. Was brauchst du alles an Daten? Ich sitze hier auf 12 GB Rohdaten, damit kann ich dir allesmögliche filtern.“
„Sehr gut, ich schicke dir heute noch Itz’Cherab vorbei, den IT Wunderknaben aus dem Palast, bitte gib im die Rohdaten mit.“
„Itz’Cherab, den blonden Jüngling, der auf dem Großrechner der Regentin spielen darf, wie nennen ihn die Europäer – Ralf Hauer?“
„Ja genau der, Itz’Cherab, Ralf Hauer aus Deutschland.“
„GUT Mama; ich halte alle Daten bereit.“
„Siehst du mein Kind, ich sagte doch, dass du eine richtige Kriegerin bist.“ Lächelte Ma’Difgtma.

***

Am Nachmittag des gleichen Tages tauchte Ralf Hauer bei Same’Lahe auf und nickte ihr freundschaftlich zu. Im Verkaufsraum standen gerade einige Besucher und betrachteten die wunderbaren Geschenke der Südsee. Was die einzelnen Muscheln und Federn darstellten, war den Besuchern egal, es sah gut aus und würde sich als Geschenk gut machen. Schließlich hatte man ja etwas Einzigartiges mitzubringen. „Ah der Herr Computerexperte, kommen sie junger Mann, der Drucker spinnt mal wieder.“ Same’Lahe nahm Ralf in Empfang und führte ihn in das Hinterzimmer. Die anderen Verkäuferinnen kümmerten sich weiter um die unentschlossenen Kunden. Im kühlen Keller summte hinter einer verschlossenen Tür ein Dell Server und Same’Lahe erklärte Ralf kurz, was er wo finden konnte.
Ralf schloss eine externe USB 3.0 Festplatte an und begann mit dem Dateitransfer. „Wunderbar, das passt ja alles, ich habe das in einigen Minuten auf der Platte und bin dann schon wieder weg. Liebe Grüße an die Frau Mama.“
„Ja, werde ich ausrichten Itz’Cherab.“
Ralf musste lachen. „Diesen Namen habe ich jetzt schon so oft gehört, aber niemand sagte mir, dass ich damit gemeint bin. Bitte, was bedeutet Itz’Cherab?“

Same’Lahe schaute ihn mit ihren großen schwarzen Augen verwundert an. „Das hat dir noch niemand erzählt? Dabei ist das gar nicht einmal ein böser Name, kein Spitzname, sondern eine Auszeichnung. Itz’Cherab bedeutet nämlich – der ehrenwerte Betreuer des Archivs. Das ist bei uns hier eine Ehrenbezeichnung.“
„Cool“, grinste Hauer, „das werde ich dem alten Ma’Gus unter die Nase reiben.“.

***

Köln – Und heute! Gratis, für nur fünf Euro Zuzahlung!

„Riechst du das?“ fragte Benny, während er demonstrativ tief einatmete.
„Oh ja!“ antwortete Karen und holte ebenfalls tief Luft. „Dieser Duft, da läuft mir jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Ich könnte direkt ein paar dieser wundervollen Kekse essen.“
„Warte lieber, bis die Kekse fertig sind.“ Lachte Benny, als er sich der Kamera zuwandte, die ihn und Karen neben dem CakeMulti zeigte. „Mit diesem tollen Gerät gelingen Ihnen einfach alle Kekse. Karen, jetzt ist es draußen heiß, aber was ist in ein paar Monaten?“
„Kalt?“
„Nicht nur kalt, es ist auch Weihnachten! Die Zeit der Weihnachtsplätzchen!“
„Oh, jetzt verstehe ich, du willst uns sagen, dass wir mit dem CakeMulti auch die besten Weihnachtsplätzchen backen können.“
„Genau Karen!“ Nickte Benny ihr zu und schaute dann wieder in die Kamera. „Die neue Rundum Heiztechnik des CakeMulti garantiert einen viel bessere Garvorgang, als jeder herkömmliche Backofen. Ich verspreche Ihnen, so lecker wie mit dem CakeMulti Haben sie ihre Kekse und Plätzchen noch nie gebacken!“
Ein Pling erklang und Karen rief, „Benny, ich glaube, unsere Kekse sind fertig.“
„Dann werde ich dich nun auch geschmacklich von diesem tollen Gerät überzeugen.“ Antwortete Benny, nahm einen Topflappen, öffnete die Tür des CakeMulti und nahm ein Blech mit heißen Keksen heraus. „Hier Karen, siehst du? Die Kekse sind durch das patentierte Verfahren des CakeMulti perfekt gebacken.“
„So tolle Kekse habe ich noch nie gesehen, ich könnte direkt zugreifen.“
„Vorsicht, verbrenn die nicht die Finger.“ Lachte Benny, wandte sich erneut der Kamera zu, während Karen mit spitzen Fingern einen der Kekse vom Blech nahm. „So gute und leckere Kekse können sie auch haben. Bestellen sie noch heute den CakeMulti und sie bekommen ihn zum Vorteilspreis für nur 89 Euro 99. Und wenn sie schnell sind, bekommen sie gratis, für nur fünf Euro Zuzahlung ein zweites Blech um doppelt so viele Kekse backen zu können.“ Benny drehte sich zu Karen, die sich gerade den heißen Keks in den Mund schob und fragte. „Und Karen, wie schmecken die CakeMulti Kekse?“
„HHMM.“ Lächelte Karen kauend. „Fafastisch.“ Und biss ein weiteres Mal ab und zwinkerte ertappt in die Kamera.
„UND RAUS!“ rief der Regisseur und das rote Licht an der Kamera ging aus.
Kaum erlosch das rote Licht, spuckte Karen den Keks aus und wischte sich würgend den Mund ab. „Was zum Teufel habt ihr da in den Teig gemacht? Beton, gemischt mit Rattengift?!“ schimpfte Karen in Richtung des Regisseurs.
„Der Teig soll nicht schmecken, sondern vor der Kamera gut aussehen.“ Gab dieser gelangweilt zurück, während er sich seinem Team zuwandte, welches schon die Aufnahmen bearbeitete. „Wie sieht’s aus?“
„Ich denke wir haben die Sache im Kasten, den Rest basteln wir im Schnitt zusammen.“ Meinte einer der Mitarbeiter, der schon hunderte solcher Werbevideos hergestellt hatten.
„OK, ihr Zwei, wir sind fertig. Geht in das Büro des Produktionsleiters, dort bekommt ihr euer Geld.“ Wandte sich der Regisseur an Karen und Benny.
„Vielen Dank, war uns ein Vergnügen.“ Antwortete Benny und drehte sich zu Karen um und frage. „Stimmt’s Schatz?“, doch Karen rannte schon wutschnaubend aus dem Aufnahmestudio, während Benny hinter ihr herlief.
„He, Karen warte mal.“
„Verpiss dich, du Arsch!“
„Karen…“ er brach ab und blieb resigniert stehen, als Karen ihn ignorierte und weiterging, dann seufzte er und begab sich zum Büro der Produzenten um sein und Karens Geld abzuholen. Als er das Produktionsgebäude verließ, saß Karen immer noch wütend neben seinem Auto, auf einer Mauer und rauchte eine Zigarette.
„Hier, dein Geld.“ Benny hielt Karen die vierhundert Euro hin, die sie ohne Kommentar einsteckte. „Weißt du“, sagte sie schließlich, „das ist der absolute Tiefpunkt. Von all den Sachen, die du mir versprochen hast, konntest du NICHTS umsetzen. Aber… Ich habe mir immer wieder gesagt, gib ihm noch etwas Zeit, wir schaffen den Durchbruch… aber DAS… Kekse backen… das verzeihe ich dir nie! Mir reicht’s! Ab jetzt sind wir geschiedene Leute!“
„Karen…“
„Halt deine verfluchte Klappe!“ schrie sie ihn an und sprang auf. „Ich wollte ins Fernsehen! Ich wollte Nachrichtensprecherin werden! Ich SOLLTE Nachrichtensprecherin sein! Du hast mir versprochen, dass du mir hilfst! Hilfst du mir?! NEIN! Erst lässt du zu, dass diese verfickte Schlampe Haufberger mir den Job beim ACP wegschnappt und jetzt lässt du mich scheiß Kekse backen! ICH HASSE DICH!“ Damit verpasst sie Benny einen heftigen Tritt in die Eier, der ihn zusammenklappen ließ. Noch während Benny sich vor Schmerzen krümmend auf dem Boden wälzte griff Karen in seine Tasche, holte sich auch Bennys Anteil von den CakeMulti Einnahmen und ließ ihn einfach liegen.

***

Kochend vor Wut ging Karen in Richtung Innenstadt.
Karen Wilson, eine brünette Mitdreißigerin und gebürtige Deutschamerikanerin, hatte schon früh ihre Liebe dafür entdeckt, vor einer Kamera zu stehen und sich einem Publikum zu präsentieren. Dabei galt, je größer das Publikum, umso besser für sie. Doch anders als viele „Sternchen“ war Karen klar, dass man, um vor die Kamera zu kommen, neben einer tadellose Figur, auch eine gute und umfassende Bildung haben sollte, also achtete sie schon als Teenager sehr auf ihre Ernährung, ging ins Fitnessstudio und büffelte über ihren Schulbüchern, während ihre Freundinnen miteinander abhingen. Neben der Schule und der darauffolgenden Ausbildung suchte sie sich gut bezahlte Nebenjobs und investierte ihre Einnahmen in ihren Körper und so war es auch kein Wunder, dass Karen den Männern auffiel.
Diesen Umstand nutzte Karen gnadenlos aus und suchte sich gezielt Bekanntschaften, welche sie in die Nähe von Produzenten und Stars brachten wobei sie versuchte, dort den richtigen Leuten aufzufallen. Doch immer wenn sie dachte, sie hätte das große Los gezogen, stach sie irgendeine andere Kandidatin aus, oder der „große Produzent“ entpuppte sich als Luftnummer!
Doch dann traf sie auf einer Party Benny. Benny sah gut aus, war charmant und sprach sie mit seiner Art an. Und er hatte eine Idee! Benny hatte das Gerücht gehört, dass der ACP demnächst eine gutaussehende Nachrichtensprecherin suchen würde und er könnte sie mit ein paar Leuten bekannt machen. Sofort war Karen elektrisiert! Nachrichtensprecherin… das klang genau nach ihrem Ding! Als Nachrichtensprecherin würde sie JEDEN Tag ein MILLIONENPUBLIKUM haben! Sie sah sich Benny etwas genauer an, ok, er war kein belgischer Riese, aber er hatte Charme und konnte gut reden, denn Benny schaffte es spielend Leute um den Finger zu wickeln um das zu bekommen, was er wollte.
Zumindest sah es damals so aus! Karen überschlug die Möglichkeiten, welche Benny bot und in weniger als einer Minute hatte sie sich Karen Benny geangelt und beschloss ihn für ihre Ziele einzuspannen. Klar wusste Benny, dass das der Grund war, warum Karen ihn überhaupt „ranließ“ aber Benny war ein Pragmatiker, dem klar war, dass er eine Frau dieser Klasse sonst nie ins Bett bekommen würde, also arrangierte er sich mit der Situation und schaffte es auch Karen innerhalb kurzer Zeit ein paar gute Jobs zu besorgen. In der Zwischenzeit arbeitete Benny darauf hin, Karen beim ACP unterzubringen. Dabei war er durchaus erfolgreich, Karen hätte einige Jobs beim ACP bekommen können, aber eben nicht als Nachrichtensprecherin. Außerdem… würde sie noch mit ihm ins Bett gehen, wenn sie den Job hätte? Da sich Benny ziemlich sicher war, dass die Antwort –nein- war, beschloss er, ihre Beziehung eine Ebene höher zu bringen, doch Karen ließ ihn abblitzen. Dennoch blieb Benny am Ball und sorgte weiterhin dafür, dass Karen Jobs bei verschiedenen Produktionen bekam.
Dann kam der langersehnte Anruf des ACP! Eine neue Nachrichtensprecherin wurde gesucht und Karen kam in die nähere Auswahl. Darauf hatte Karen ihr ganzes Leben gewartet und dann… dann kam Fransiska Haufberger! Eine billige Klatschreporterin bekam einen der besten Jobs der Nachrichtenwelt, bloß weil sie irgendein Psycho entführt hatte und sie danach ein paar anderen Spinnern half die Welt zu retten! „Tut es uns leid ihnen mitzuteilen, dass die Stelle als Nachrichtensprecherin leider schon anderwärtig vergeben ist.“ Lautete die unpersönliche Absage. Nicht einmal einen anderen Job hatten sie ihr angeboten! An diesem Tag schwor sich Karen Rache zu nehmen! Rache am ACP, Rache an der ganzen Nachrichtenbranche und ganz besonders Rache an Fransiska Haufberger! Und Benny? Bis zur Absage des ACP hatte sie Benny zumindest etwas gemocht, doch das hatte sich mit einem Schlag geändert. Allerdings war Karen bewusst, dass sie, um ihre Rache zu bekommen Geld, einen Job und einflussreiche Freunde brauchte und dass sie jetzt, zu diesem Zeitpunkt, keines dieser Dinge hatte. Also ließ sie Benny in dem Glauben, er wäre weiterhin ihr Manager, ging weiter mit ihm ins Bett und wartete auf die passende Gelegenheit… und jetzt drei Jahre später wartete sie immer noch!
-Scheiße!- fluchte sie und ging wütend weiter. Da das Gebäude der Werbefirma, welche unter anderem auch dem CakeMulti vermarktete, in einem etwas heruntergekommenen Stadtteil außerhalb lag, musste sie eine gute Strecke zu Fuß zurücklegen… oder zurück zu Benny zugehen … NEIN! -Mit diesem Versager bin ich fertig!- schwor sie sich und ging weiter. Sie passierte gerade ein längeres gerades Wegstück, als wenige Meter vor ihr, eine dicke Limousine am Straßenrand hielt. Ein Mann, der vom Beifahrersitz ausstieg öffnete die Tür zum Fond und machte zu Karen eine einladende Geste.
Misstrauisch trat Karen einen Schritt zurück und sah sich um. Hier war weit und breit niemand und die Gebäude beiderseits der Straße schienen alle verlassen zu sein. –Verdammt;- fluchte sie still, -warum bin ich nicht bei Benny geblieben?!- doch der Mann, welcher die Tür aufhielt, machte keinerlei Anstalten auf sie zuzugehen, er stand einfach nur da und wartete. Da auch niemand aus dem Wagen ausstieg, sah sich Karen den Mann, der die Tür aufhielt etwas genauer an. Der Typ trug keinen Anzug von der Stange und selbst Karen erkannte, dass alleine der Anzug eine Menge Geld gekostet hatte, dazu trug der Kerl italienische Designerschuhe, die ein Vermögen wert waren… und dieser Mann hielt nur die Tür auf!

Zögerlich trat Karen einen Schritt näher um nachzusehen, wer im Wagen saß, blieb dabei aber weit genug von dem Mann und der Wagentür entfernt, um notfalls doch noch Fersengeld geben zu können.
Schließlich konnte sie einen Blick auf den Mann im Fond werfen, der amüsiert zu ihr schaute. Schon der erste Eindruck machte Karen klar, dass dieser Mann etwas hatte, das den meisten Männern fehlte, es war die klare Ausstrahlung von Macht!
Dennoch wirkte sein Lächeln nicht berechnend, sondern ehrlich, als er sagte, „Das war längst überfällig, Miss Wilson! Der Versager hat sie viel zu lange von ihrer wirklichen Berufung abgehalten.“
„Meiner Berufung? Was meinen sie damit?“
„Ganz einfach, sie sind ein Talent, nein, sie sind ein Naturtalent, das sein Genie auf keinen Fall mit dem Backen von irgendwelchen Keksen verschwenden sollte. Sie gehören in die oberste Liga!“
„Scheiße“, schüttelte Karen den Kopf, „das hab ich schon oft gehört und alle Kerle die mir das versprochen haben, wollten schließlich nur eines, mich ficken!“
„Miss Wilson, glauben sie mir, auch wenn sie sehr attraktiv sind, so ist mein Interesse an ihnen rein geschäftlicher Natur.“
„Und wer sind sie?“
„Bitte entschuldigen sie meine Unhöflichkeit, mein Name ist James Kitzinger und ich bin derjenige, der all ihre Träume Wirklichkeit werden lässt.“ James Kitzinger grinste breit und lud Karen mit einer Handbewegung ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Als Karen einen Schritt auf das Auto zuging, warnte sie plötzlich eine innere Stimme, die ihr sagte, dass sie dabei war, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen und für einen Sekundenbruchteil zögerte sie, doch dann kam eine zweite Stimme dazu und sagte, „Scheiß drauf! Nimm, was dir zusteht!“

***

Mainstadt

KARIN WINTER stand auf dem Türschild und Mohrle, der die fehlende Amtsbezeichnung bemerkte, warf Kämpfer einen vielsagenden Blick zu und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf das Namensschild. „Das kann heiter werden.“ Brummte er und klopfte an die Tür.
„Kommen sie herein!“ kam eine klare Ansage durch die Tür und Kämpfer öffnet die Tür zu Winters Büro. Kaum waren die Beiden eingetreten, da schauten sie sich verwundert um, denn Büro war eigentlich kein Büro, sondern eher eine vollgestopfte Besenkammer mit einem Schreibtisch vor einem kleinen Fenster, der mit Akten vollgepackt war. Dazu lagen noch überall Akten auf Stühlen, Aktenböcken und Regalen. Irgendwo zwischen diesem Chaos ragte ein hennafarbener Haarschopf heraus, der nun um einen Stapel herum kam und sich vor die beiden Ermittler stellte. Karin Winter, die unerschrockene Staatsanwältin aus Chemnitz sah genauso aus, wie Hummel sie beschrieben hatte. Sie war zweiunddreißig Jahre alt, mit 1,62 nicht allzu groß, besaß eine durchschnittliche Figur und hatte eine nicht zu übersehene Vorliebe für die Farbe Henna. Doch was Mohrle sofort auffiel, waren die wachen und intelligenten hellblauen Augen, welche jeden „Durchschnitt“ an dieser Frau Lügen straften. Nun stand sie mit den Armen in den Hüften gestemmt vor ihnen. „Kämpfer und Mohrle?“ wollte Winter wissen.
„Ähm ja, ich bin KHK Kämpfer“, stellte dieser sich vor „und das ist mein Kollege Mohrle vom BND.“
„BND?“ fragte Winter und kniff die Augen zusammen. „Was macht der BND in dem Fall?!“
„Frau Winter“, begann Mohrle, „wir unterstützen die Kollegen des LKA bei der Suche nach dem vermissten Kind mit allen Ressourcen, die wir haben.“
Winter schien einen Augenblick zu überlegen, ob sie Mohrle glauben sollte, dann nickte sie und sah sich um. „Tut mir leid, dass hier so ein Caos herrscht, ich bekam das Büro heute Morgen erst zugeteilt, aber allem Anschein nach, hat man vergessen, es vorher leer zu räumen. Suchen Sie sich einen Platz.“
Winter ging zu ihren Schreibtisch, hob einen Stapel Akten auf und ließ ihn neben dem Tisch auf den Boden fallen, dann setzte sie sich auf der freigewordenen Stelle der Tischplatte. „Ich hab ihren Bericht gelesen Kämpfer, Sie glauben, dass jemand Menschen im großen Stil verschwinden lässt, die eines gemeinsam haben, einen Urlaub in der Südsee?“
„Das ist korrekt, Heinz, ich meine Herr Mohrle, hat uns darauf gebracht, als seine Abteilung eine entsprechende Statistik erstellt hat.“
„Eine Statistik?! Wie bitte, kamen sie auf die Idee, eine solche Statistik zu erstellen?“ wandte sich Winter an Mohrle.
„Wie gesagt, wir unterstützen die Kollegen mit allem, was wir haben. Und Statistiken oder andere „trockene“ Themen sind oftmals eine große Hilfe für die Kollegen auf der Straße.“
„Also gut, sie sagten am Telefon, dass sie wichtige Informationen zu dem Fall haben. Schießen sie los.“
„Stimmt.“ Antwortete Kämpfer. „Es betrifft die Kette, welche man im Mund von Heidemarie Langler gefunden hat, wir kennen jetzt ihre Bedeutung.“
„Die Kette, die den Psychologen vermuten ließ, dass es sich um einen Ritualmord handelt?“
„Exakt. Um die Bedeutung der Kette herauszufinden, haben wir eine unsere Kolleginnen nach Soulebda geschickt.“
„Wer oder was ist Soulebda?!“
„Eine Insel im Südpazifik, die Insel, von der die gefundene Kette stammt. Unsere Kollegin Perlacher…“
„Etwa Marion Perlacher aus Dresden?“
„Ja, Marion Perlacher aus Dresden.“
„Ich kenne Marion, wie kommt sie zu dem Fall?“
„Das hängt mit dem Verschwinden von Heidemarie und Leonie Langler zusammen, mehrere Spuren führten nach Dresden, also haben wir die dortigen Kollegen um Hilfe gebeten. Jedenfalls konnte Perlacher herausfinden, dass es sich nicht um einen Ritualmord im eigentlichen Sinn handelt, Das platzieren der Kette im Mund ist eine Art Opfergabe für den Verlierer eines Spieles.“
„Eines Spieles?!“
„Ja, sehen sie… stellen sie eine Runde Russisch Roulette vor, bloß das dieses Spiel nicht mit einem Revolver gespielt wird, sondern mit einem Dolch. Sechs Spieler, fünf Überlebende, davon einer jetzt sehr reich und ein toter Verlierer, oder wie im Falle Langler, eine tote Verliererin.“
„Langler starb bei einem Spiel?!“
„Ja, und so wie Langlers Leiche aussah, hat sie das Spiel nicht freiwillig mitgespielt.“
Winter stieg von dem Schreibtisch auf und ging ein paar Schritte hin und her, was in dem kleinen vollgestopften Büro nicht so einfach war. „Weiter!“ sagte sie schließlich.
„Momentan sieht es so aus, dass alle vierundsechzig verschwundenen Personen entführt wurden und als Spieler entweder noch um ihr Leben spielen oder bereits tot sind.“
Während Kämpfers Bericht konnte Mohrle, dank seiner guten Menschenkenntnis sehen, was in Winters Kopf vorging. Winter war fassungslos und sie war wütend!
„Also gehen sie davon aus, dass man Mutter und Tochter erst entführt hat, dann die Mutter gezwungen hat an diesem Spiel… wie heißt das Spiel?“
„Kum’do.“
„Das man sie gezwungen hat, Kum’do zu spielen. Wenn das so ist, dann ist die kleine Leonie mit Sicherheit tot!“
„Nein!“ sagen Kämpfer und Mohrle gleichzeitig. Mohrle nickte Kämpfer zu. „Marion Perlacher auf Soulebda konnte einige gute Kontakte aufbauen, welche sich mit dem Kum’do und dessen Spielablaufes befassten. Diese Kontakte vermuten, dass ein Soulebdalesiche Priester hier in Mainstadt ist, der das Kum’do nach den alten Regeln der Soulebdalesischen Tradition leitet. Diese Tradition besagt, dass der Spieler vor Beginn des Spieles ein Opfer erbringen muss. Exakt bedeutet dies, dass der oder die Spielerin eine Opferkette kaufen muss. Und diese Kette wurde Heidemarie Langler nach ihrem Tod in den Mund gelegt, es war eine Opferrückgabe an die Verliererin. Wir nehmen an, Langler hat sich die Opferkette während ihres Uraubs auf Soulebda, aus Unwissenheit gekauft, oder sie wurde geschickt dazu gebracht diese Kette zu kaufen und somit „durfte“ sie an dem Spiel teilnehmen. Man vermutet auf Soulebda, dass Leonie ebenfalls eine Kette gekauft hat, also muss sie nach ihrer Entführung ebenfalls Kum’do spielen.“
Winter war stehen geblieben und starrte Kämpfer an. Dabei wurde sie so blass, dass der Kontrast zu den hennaroten Haaren noch größer schien.
„Wissen sie, was sie da sagen?“ fragte sie fassungslos.
„Leider nur zu genau. Wir gehen davon aus, dass man Leonie aber nicht sofort spielen lässt, sondern sie zuerst zu einer Profispielerin ausbildet, was etwa sechs Monate dauert, das tun die Entführer, um Leonie so lange wie möglich im Spiel zu halten.“
„Was gedenken sie zu tun, um Leonie zu finden und diese Spielrunde zu sprengen?!“
Das war der Moment, für den sich Kämpfer und Mohrle abgesprochen hatte.
„Ich… Ähm, bitte entschuldigen Sie mich für einen Moment.“ Sagte Kämpfer, stand auf und ging zur Tür. „Ich muss ein paar Unterlagen aus dem Auto holen.“ Damit drehte er sich um und verließ den Raum.
„Was soll das?!“ frage Winter sichtlich angefressen, nachdem sich die Tür hinter Kämpfer geschlossen hatte.
„Nun, wie es scheint, hat Kollege Kämpfer etwas im Wagen vergessen.“
„Hören sie auf mit dem Scheiß! Denken sie, ich bin blöd? Was läuft hier?“
Mohrle lachte trocken auf. „Hummel hat Recht, ihnen kann man nichts vormachen.“
„Sie haben mit Hummel über mich geredet!?“ fragte sie ungläubig.
„Ja, ich sagte Hummel, dass wir jemanden brauchen der nicht nur clever ist, sondern auch jemand der, bitte verzeihen sie mir den Kraftausdruck, Eier in der Hose hat! Die Antwort auf unsere Anforderung waren sie.“
Winter starrte Mohrle fassungslos an! Was wurde hier gespielt?! Seine ANFORDERUNG!?! Mohrle sah, wie sich Winters Hände zu Fäusten ballten und sie wartete ein paar Sekunden, dann entspannte sich ihr Körper plötzlich und wurde ganz ruhig. Winter ging zurück zum Schreibtisch und setzte sich wieder hin. „Also gut, es gibt zwei Möglichkeiten! Erstens: Jetzt kommt ein wirklich guter Grund, oder zweitens: Ich haue dermaßen auf ihren Scheißhaufen, dass ihnen alles um die Ohren fliegt!“
Mohrle räumte einen der mit Akten belagerten Stühle frei und nahm gegenüber von Winter Platz. „Wir konnten die Namen aller verschwundenen Personen feststellen. Vierundsechzig Personen, davon siebenundvierzig Frauen. Stellen sie sich noch einmal eine Runde Russisch Roulette vor, das in einigen Teilen dieser Welt tatsächlich als organisiertes Spiel abgehalten wird. Haben sie schon einmal gehört, dass dort Frauen am Tisch sitzen, um sich einen Revolver an den Kopf zu halten?
Nein, die Bescheuerten die da mitspielen, sind alles Männer! Jetzt wird hier, mitten in Europa, ein ähnliches Spiel abgehalten. Und die Spieler sind überwiegend Frauen! Was sagt mir das? Ganz einfach, KEINE dieser Frauen, oder Männer spielt dieses Spiel freiwillig! Wir wissen, dass an jedem Spiel sechs Spieler beteiligt sind und dass einen Verlierer gibt. Wer immer also diese Spiele abhält, er tut es schon eine ganze Weile, ohne dass es jemand aufgefallen ist. Warum ist es keinem aufgefallen? Ganz einfach, weil es Profis sind. Ich gehe von einem sehr kleinen Kreis, von maximal fünf Personen aus, die tatsächlich über alles Bescheid wissen. Und diese Handvoll Hintermänner sind so gut, dass man sie nicht greifen kann. Diese Profis haben nur einen einzigen Fehler gemacht, Langler! Aber ich wette, dass alle Verbindungen zwischen ihnen und Langler mittlerweile verwischt sind.“
„Sie meinen, die Mistkerle haben alle umgebracht, die mit Langler zu tun hatten.“
„Ja, und es gab hier im Raum Mainstadt keinen einzigen ungeklärten Mordfall in den letzten acht Tagen. Was beweist, wie gut die Kerle sind.“
„Weiter!“
„Also, warum tun die Bösen das überhaupt, warum entführen sie ein Kind? Ganz einfach es geht um VIEL Geld! Perlacher konnte feststellen, dass es beim Kum’do, genau wie Russisch Roulette, hauptsächlich um die Wetten neben dem Spieltisch geht. Man wettet auf den Gewinner, oder eben auf den Verlierer und kann mit einem Mal sehr reich werden. Das Problem der Bösen hier in Deutschland ist, das eine solche Spielrunde nicht ewig unerkannt bleibt, doch hätten wir die Leiche von Langler nicht gefunden, wüssten wir noch immer nichts von diesen Spielen. Die Mistkerle wissen, dass die Zeit gegen sie arbeitet und sie bei möglichst wenig Spielen, so viel Geld wie möglich verdienen müssen, um ihre Ziele zu erreichen.
Wie können sie das? Sie suchen sich ein exotisches Spiel, dass man als geheimnisvolle Zeremonie verkauft, deswegen auch der soulebdalesische Priester, denn die Südsee und ihre geheimnisvollen Rieten, lösen bei uns Europäern noch immer eine gewisse Sehnsucht aus. Dann sucht man sich eine zahlungskräftige Zielgruppe, beginnt in einem ganz kleinen Rahmen die Spiele abzuhalten und lässt die Zielgruppe auf den Ausgang des Spieles wetten. Ein Spiel mit tödlichem Ausgang strahlt morbide Faszination aus, also werden die Wetteinsätze entsprechend hoch sein. Natürlich wird keiner der Zuschauer Zeuge des Mordes am Verlierer, aber man wird ihnen sicher die Leiche präsentieren und somit wird das Spiel zum Selbstläufer für stinkreiche Schnösel, die nicht wissen wohin mit ihrem Geld. Und hier kommt Leonie ins Spiel. Ich denke nicht, dass es von Anfang an geplant war, das Kind zu entführen, denn eine Kindesentführung ist immer ein Stich ins Wespennest, ich glaube, Leonie war nur zur falschen Zeit am falschen Ort, aber nun ist sie in der Fängen der Spielemafia und die hat erkannt, dass die Einnahmen durch die Decke gehen, wenn sie Leonie richtig vermarkten.“
„Vermarkten!“ Wieder war Winter blass vor Wut geworden.
„Ich weiß das ist ein Scheißwort, aber genau so wird es sein. Also sie bringen der kleinen Leonie das Spiel bei, vermarkten die Kleine, bauen sie auf, setzen sie anschließend an den Spieltisch und lassen sie spielen, bis sie genug Geld haben und dann…“ Mohrle brach ab, denn er wusste, dass Winter verstanden hatte, so dass er das traurige Ende nicht aussprechen musste.
„Und genau hier kommen wir ins Spiel, um bei der Wortwahl zu bleiben. Wir haben nicht ewig Zeit um die Bande zu schnappen, denn die Deadline ist erreicht, wenn Leonie genug Geld eingespielt hat. An die Profis kommen wir in der knappen Zeit nicht heran, aber an die Wetter. Das sind keine Profis, einer von denen wird Mist bauen und uns zu den Hintermännern führen. Aber denen etwas nachzuweisen wird verdammt schwer werden. Um Leonie zu retten, haben wir keine Zeit um uns an die Vorschriften zu halten!“
Winter schwieg eine Zeit lang, dann fragte sie; „Vorschlag?!“
„Wir machen es auf die harte Tour.“
„Das ist schon einmal schief gegangen.“
„Ich weiß, aber ich bin bereit es durchzuziehen. Sie machen die Arbeit und ich gebe den Sündenbock. Haben wir Erfolg, kommen wir mit alle mit einem blauen Auge davon, geht die Sache schief, werde ich die Schuld auf mich nehmen.“
Winter ließ sich Mohrles Vorschlag durch den Kopf gehen und fragte schließlich: „Warum tun sie das?“
„Ganz ehrlich? Im Gegensatz zu Kämpfer kann ich es mir leisten. Ich bin in der Endstufe meiner Laufbahn angekommen und hab nur zwei Jahre bis zur Pension. Und selbst wenn ich zurückgestuft und zwangspensioniert werde, kann ich morgens aufstehen und in den Spiegel schauen.“
„Was schwebt ihnen genau vor?“
„Wir haben es hier mit Profis zu tun, also dürfen wir nicht nach den Regeln spielen. Ich baue eine Truppe auf, die die Informationen beschafft und leiten sie, natürlich anonym, an das LKA unter Kämpfer weiter, so dass dieser nicht komprimiert wird, oder lügen muss, wenn die Frage auftaucht, woher die Informationen stammen.“
Winter stand auf und begann wieder hin und her zu gehen, bis sie nach einer Weile sie stehen blieb und fragte. „Wenn wir die Hintermänner kennen, ihnen aber nichts nachweisen können? Was dann?“
„Wir müssen sie dazu bringen Fehler zu machen.“
„Und wie?“
„Wir reizen sie bis zur Weißglut, solange bis einer etwas Dummes tut und wir die Scheißbande festnageln können.“
„Klingt so, als ob sie schon wissen, wie wir das anstellen sollen.“
„Oh ja, im Pott gibt’s da eine Truppe um einen Kommissar der sowas dauernd macht und sein Erfolg ist der einzige Grund, wieso er nicht schon lange selber im Knast sitzt, aber er und seine Truppe sind in diesen Kreisen zu bekannt, ich habe aber eine andere Idee… ich kenne die beiden richtigen Leute für diesen Job, eine Truppe Justizbeamte hier aus Mainstadt.“
„Justizbeamte?“
„Keine gewöhnlichen Justizbeamten, da sind zum Beispiel Caroline Miles und Peter Stein. Die beiden sind ein Paar, die hier in der JVA arbeiten. Miles ist eine ehemalige Mossad Agentin, und gemeinsam mit ihrem Mann hat sie sich mit der Fremdenlegion und anderen diversen Organisationen angelegt und dass Beide noch am Leben sind, spricht für sich.“
„Und diese Truppe sollen das schaffen?“ fragte Winter zweifelnd, was Mohrle, trotz der ersten Situation zum Grinsen brachte.
„Glauben sie mir, wenn es einer schafft, jemanden bis zur Weißglut zu reizen, dann Peter Stein!“

***

Soulebda

Same’Lahe und Ralf Hauer hatten die Daten in den Rechner eingespielt und Ralf zauberte einige schöne Graphen daraus. Same’Lahe schaute auf die Kurven die entstanden und als ausgebildete Kauffrau erkannte sie schnell, dass da zumindest einige Daten sehr ungewöhnlich waren, denn es sie sah mehrere unglaublich hohe Kurven darunter.
„Wieso kaufen diese Kunden so viele Kettchen? Im Normalfall denke ich, sind die doch mit vier oder fünf versorgt und fahren brav nach Hause, aber die haben ja über Hundert gekauft, und zwar jeder von ihnen.“, bemerkte Ralf und schaute Same’Lahe fragend an.
„Ja, da bin ich bereits dran, das passt nicht zum einfachen Urlauber. Ich prüfe gerade die Daten, seid ihr die ersten Verkäufe eingetragen habt. HHMM, das ist ungewöhnlich… Innerhalb von vier Jahren haben acht Käufer immer wieder größere Mengen der Ketten gekauft. jedesmal über zehn aber unter zwanzig. So fiel das nicht auf, aber wenn ich das akkumuliere, kommen wir schnell auf 180 Stück, bei dem Käufer sogar auf 205 und bei dem da sind das 195. Den Vogel aber schießt der da ab, der hat insgesamt 285 Kettchen gekauft.“
„Aber das sind ja unglaubliche 865 Kettchen. Kein einfacher Kunde kauft solche Mengen. Das stinkt doch. Was wissen wir von den Kunden, also von genau diesen vier Käufern?“, fragte Ralf.
„Lass mich mal sehen, du bist zwar Mister Superhirn, aber ich kenne die Kunden, wie ordne ich die Nummern den Gesichtern zu und …“, Ralf hatte ihr bereits die Tastatur abgenommen und die vier Gesichter auf den Bildschirm gezaubert.
„Hier, bitte da kannst du die vier Käufer sehen, in verschiedenen Aufnahmen. Hilft dir das weiter?“ Auf dem Bildschirm wurden mehrere Bilder zu den einzelnen Käufern angezeigt. Seitliche, im Portrait, einige ganz nahe an der Kasse und einige weitere aufgenommen vom Eingang aus.
„Kennst du diese Leute?“
„Oh ja, die drei sind Einheimische, die kommen aus Ka’ihlih, aber den anderen kenne ich nicht. Dafür ich sehe den Mann hier öfter auf dem Markt.“
„Auf dem Markt, was kauft er denn da ein und was für Mengen?“, wollte Ralf wissen.
„Jede Menge gute Früchte, Gemüse, Obst, Salatköpfe vor allem die Grem’lis das sind grüne Salate, ähnlich eurem Kopfsalat. Die sind gut für Salate, man kann mit ihnen allerlei Einlagen machen und vieles mehr. Oh ja und dann kauft er noch regelmäßig die Pistaya Frucht ein, die ist sehr nahrhaft, sehr gesund und gilt als heilige Frucht.“
„Heilige Frucht, dazu jede Menge Obst und Gemüse, das klingt so, als würde er mehrere Vegetarier durchfüttern.“
„Stimmt, das sind schon Mengen, die eine Familie ernähren können. Unsere Priester, Novizen und auch die Jünglinge sind fast ausnahmslos Vegetarier.“
„Jünglinge? Ich dachte die gäbe es nur bei Star Wars und den Jedis?“, murmelte Ralf mehr vor sich hin und Same’Lahe musste laut lachen. „Noch viel lernen du musst, junger Padawan.“ Zusammen lachten sie und grinsten sich gegenseitig an.
„Glauben sie nur nicht, dass wir hier in der Südsee von der restlichen Welt abgeschnitten sind.“, grinste Same’Lahe Ralf Hauer an und er nickte nur. „Ich weiß, euer Internetknoten ist einer der dicksten im Pazifik Raum, ich habe ihn schon einige male gestresst.“, dabei grinste er etwas.
„OK also Jünglinge.“, fuhr Same’Lahe weiter fort, „Jünglinge sind die Interessierten, die Priester werden möchten und in den ersten Kursen stehen. Da werden auch die meisten von ihnen ausgesiebt, weil sie nicht die passenden Anforderungen mitbringen. Zumeist fehlt die rechte Berufung bei den jungen Menschen.“
„Also dann versorgt der Einkäufer noch andere Mitesser, was ist mit den drei anderen, die so viele Ketten gekauft hatten, ist da auch etwas Genaueres bekannt?“
„Ja, ich habe die Daten gesehen und kann die drei auf die Insel Ka’ihlih einordnen, das war die Insel der Briten, bis zum…“
„… bis zum Bürgerkrieg, dann habt ihr die Teebeutel hinausgeworfen, ja ich habe die Geschichte genau studiert, von den Briten dürfte nur noch dieses Pioniercorps hier sein, ist das richtig?“
„Genau. Die vier Siedlungen im Westen sind inzwischen wieder von unseren Leuten in Beschlag genommen, die kleine Siedlung im Süden, nahe dem kleinen Naturhafen, ist verlassen und die Hauptsiedlung der Mehrheit der Bewohner und der restlichen Pioniere ist die um den Flughafen.“
„Gut, ich gebe das alles weiter, und ich bin gespannt. All das Gemüse und Obst haben denn die Menschen dort keine Möglichkeiten Essen zu erhalten?“
„Doch, doch auf allen der Inseln gibt es kleine Märkte, aber hier auf Soulebda ist der Markt natürlich vielfach größer und auch vielfältiger.“
„Und unauffälliger…“ fügte Hauer leise hinzu.
„Ja, und unauffälliger.“
„Gut, ich danke dir, die Daten auf dem Notebook brauche ich noch, ich möchte da noch einige Abfragen machen.“
„Ja meine Mutter sagte ja, ich soll dir die Daten geben. Bitte gib mir einfach nur Bescheid, wenn du erneut etwas brauchst.“
„Klar, aber eine Frage habe ich noch, werden auf den Inseln auch Priester ausgebildet?“
„Nein, nur auf Soulebda selbst erfolgt die Ausbildung zum Priester. Das war immer so.“
Ralf Hauer verabschiedete sich von Same’Lahe und ging zurück zum Palast. In seinem Kopf hatte er bereits einige Pläne, die er sich absegnen lassen würde.
Im Palast angekommen, lief Ralf Hauer geradewegs der Regentin in die Arme, die zusammen mit Dagan ein fliegerisches Thema diskutierten.
„Regentin, unsere beiden Aufklärer fangen noch an zu rosten, wenn wir die nicht öfter auslasten, ich empfehle mit Nachdruck einige Flüge zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeiten.“
„Ja, das verstehe ich, ah Ralf Hauer, bitte nenne mir ein nennenswertes Aufgabenziel für unsere Aufklärer.“ Dagan schien etwas überrascht, so schnell einen Einsatz für die beiden Flugzeuge zu erhalten.
„Ka’ihlih sollte mal wieder genauer untersucht werden. Die Briten haben da sicherlich noch einige Dinge vergessen oder zurückgelassen. Am besten auch mit Infrarotsensoren.“
„Weshalb denn gerade Ka’ihlih?“, wollte Dagan wissen und Heylah sah Hauer an.
„Ich denke, das ist so in Ordnung, irgendwo müssen die ja anfangen und weshalb nicht Ka’Ihlih. Ich möchte, dass die Insel genaustens untersucht wird mit allen Sensoren, so werden die Maschinen auch wieder einmal genutzt. Und nach Ka’ihlih kommen die anderen Inseln dran. Dagan bitte veranlasse das.“
Als sich Dagan verabschiedet hatte schaute Heylah Ralf Hauer etwas genauer an. „Passt das in deine Überlegungen?“
„Oh ja, bestens, ich habe einen Verdacht und wenn die Aufklärer ungewollt dabei helfen können, sage ich nicht nein.“

***

Ich sehe dich.

Über der ehemaligen britischen Insel Ka’Ihlih kreisten zwei Aufklärungsflugzuge vom Typ Grob G 520E. Das erste der beiden Flugzeuge kreiste in über 24.000 Fuß und das zweite flog deutlich darunter, gerade einmal auf 9.000 Fuß, während sich auf dem Julam’da Airfield sich die Räume für die Missionskontrolle befanden. In jedem der Räume saß eine Crew an den Geräten und steuerten jeweils eines der beiden Flugzeuge. Die Kommandozentrale indes befand sich in der Technik Abteilung im Palast, dort verfolgte man den Flug der beiden Maschinen. „Magic Eye Eins fliegen sie weiter Schleife und vergewissern sie sich, dass alle Kameras aufzeichnen.“
„Magic Eye Eins hier, verstanden, alle Kameras laufen, Flugrichtung Schleife eins.“
„Sehr schön. Magic Eye Zwo, sie kreisen über den Siedlungen. Schalten sie die Infrarot Systeme ein, ich will alles in den Gebäuden und unter der Erde sehen, was größer als eine Waldkatze ist.“
„Magic Eye Zwo verstanden, Infrarot läuft und zeichnet.“
Auf den großen Bildschirmen in der Kontrollzentrale konnte man sehen, dass im Westen, der sogenannten Schnabelspitze, die Einheimischen ihren Aufgaben nachgingen, sie bereiteten das Mittagessen vor und man konnte genau sehen, was geschah, denn die Optiken der Flugzeuge waren allerbeste Qualität. Selbst die Infrarotaufnahmen zeigten, dass in den Hütten wenig los war. Die Tierwelt der Insel war zu erkennen und bei dem Flug zur Mitte der Insel kam die nächste der kleinen Siedlungen in das Blickfeld der Sensoren. Diese war verlassen, lediglich einige Tiere streiften umher, ansonsten war die Siedlung menschenleer.
Im Süden erwarteten die Kontroller auch, dass die beiden kleinen Siedlungen verlassen waren, das traf aber nur auf die linke, dem Flughafen abgewandte Siedlung zu. Die andere, kleinere Siedlung war mit 32 Menschen besetzt.
„Magic Eye Zwo, ich will Großaufnahmen der Menschen aus der Siedlung, ich will sehen was die tun und die Gesichter sehen.“
„Verstanden Zwo, ich gehe tiefer auf 5.000 Fuß, damit werden die Aufnahmen am besten.“
„Magic Eye Zwo, verstanden, achten sie auf die Vogelschwärme, ich will keines der Flugzeuge verlieren.“
Die Aufnahmen, die von den Kameras geliefert wurden, zeigten drei Gruppen Menschen bei ihrer Arbeit. Sie saßen jeweils zu acht im Kreis und in der Mitte stand ein Mann in Priesterbekleidung und unterrichtete. Zwei weitere kochten am Feuer etwas und die letzten drei befanden sich in einer Hütte. An einem Schreibtisch saßen zwei Menschen davor und einer dahinter, das war offensichtlich der Anführer.
Als Nächstes sah man, dass die beiden am Feuer einen großen Kessel zu den Tischen trugen und anhand der Bewegungen der drei Gruppen wurde zum Essen gerufen. Selbst die drei Leute aus der Hütten kamen langsam dazu und nahmen Platz, der Anführer am Kopfende der langen Tafel.
Der Anführer erhob seinen Trinkbecher und schaute dabei in den Himmel, genau in die Kameras des anfliegenden Aufklärers hinein und das Gesicht war gut zu erkennen.

***

„Gesichtserkennung läuft bereits.“, kam es aus der Kommandozentrale. Corinna Malou, die persönliche Assistentin von Seraph Ma’Gus suchte bereits in den Datenbanken. Da liefen auf einem der seitlichen Monitore die Gesichter im Schnelldurchgang und nach weniger als zwei Minuten blieb ein Gesicht im Display stehen. Weitere Ansichten dieses Menschen wurden dazugeschaltet und dazu das Portrait der soeben gelieferten Aufnahmen.
„Wir haben einen Treffer!“
„Gut gemacht Corinna, ich komme gleich. Magic Eyes Eins und Zwo, weiter Richtung Flughafen, Zwo, steigen sie wieder auf 8.000 Fuß. Nach Abschluss der Mission auf Ka’lhlih geht es weiter entgegen dem Uhrzeigersinn. Ich möchte auch Aufnahme des neuen Vulkans haben, wir sollten das Wachstum genau beobachten, im Anschluss Poa’holh, B’ea, die Amerikaner und die Franzosen. Verärgern sie die Amerikaner nicht zu sehr mit ihren Fliegern, die werden gerne nervös. Magic Control Ende.“
Seraph Ma’Gus drehte sich zu Corinna Malou und sie betrachteten die Bilder der Gesichtserkennung.
„Kein Zweifel, Corinna. Lade mir bitte die Bilder auf den Stick, achte darauf, dass die Mission abgeschlossen wird, ich bin auf dem Weg zur Regentin.“
„Verstanden, das hier wird leise enden und ohne Aufregung, wie immer!“
„Genau, danke für den Stick, wir sehen uns nachher.“

***

Soulebda, im Palast

„Das ist ganz eindeutig Shau’Gra’Zin!“, sagte Xigola, die oberste Priesterin und Ma’Difgtma bestätigte das. „Zweifellos ist das Shau’Gra’Zin, ich hatte angenommen, dass der Taugenichts bei einem Schiffsunglück vor sechs Jahren umgekommen sei. Zwei der achtzehn Leichen konnten nicht identifiziert werden.“
Heylah, die Regentin von Soulebda stand daneben und nickte ebenfalls mit ihrem Kopf. „Ich kenne Shau’ noch als kleinen Jungen. Beim Ballspielen hatte er immer einen Trick auf Lager, um den Ball zu bekommen aber er konnte das Loch nie so richtig treffen und wurde immer sehr schnell wütend. Später erfuhr ich, dass er sich für das Lehreramt beworben hatte aber die zweite Prüfung nicht bestand und sich dafür bei der Priesterschaft beworben hatte. Ab da hatte ich keine Kenntnis mehr über ihn.“
Xigola schaute zu Ma’Difgtma und Heylah, „Auf dieser Insel wächst eine unechte Priesterschaft heran, angeführt von einem Taugenichts und die anderen Teilnehmer sind dann wohl die abgelehnten Novizen, die dennoch eher als unechte Priester leben wollen, anstatt der Allgemeinheit zu helfen. Ich glaube hier haben wir den Urquell der Priesterschaft für das Spiel Kum’la. Wir müssen sofort eingreifen Regentin.“

***

„Ich hätte da einen Vorschlag.“, sagte Seraph Ma’Gus und die anwesenden Frauen schauten ihn neugierig an. „Ich habe die letzten drei Jahre weitere Agenten für meinen Dienst gewonnen, darunter ist auch ein recht guter aus der Priesterschaft.“, dabei sah Ma’Gus Xigola prüfend an und sie wurde schlagartig wütend.

„Du hast einen Agenten bei mir eingeschleust, du spionierst meine Priester aus, wie soll ich mir das vorstellen?“
„Ich habe keinen Agenten bei dir eingeschleust, vielmehr einen fast ausgebildeten Priester überzeugt, dass auch das weltliche Leben schutzbedürftig ist und nicht nur die Seelen der Bürger.“
„Was ich allerdings nicht verstehe, weshalb hast du dir keine Priesterin herangezogen, sondern nur einen Priester, die bekommen doch stets weniger Informationen als die Priesterinnen?“
Seraph Ma’Gus lächelte Xigola wissend an und lächelte dazu. „Wir brauchen jetzt einen Priester, den Rest kannst du dir sicherlich denken.“ Xigola wechselte die Farbe und deutlich blasser. „Wieviel Spione hast du bei mir eingeschleust.“
„Xigola, es sind weniger, als denkst. Ihr habt eine interne Überwachung, die ich bewundere, da kann ich bei dir noch einiges dazulernen.“
Heylah mischte sich ein „Wie aber bringen wir den Priester auf die Insel, wir können ja nicht einfach eine Inventur ankündigen und Kerzen zählen?“
Xigola lachte kurz auf und lächelte sofort wieder. „Du glaubst nicht, wie nahe du an der Lösung bist, die Priesterschaft erhält alle zwei Jahre neue Ringe. Die alten werden für einen guten Zweck gespendet und die neuen sind ein Geschenk eines reichen Kaufmanns, dem edlen Spender haben wir das Leben seiner Zwillinge gerettet und er hat sich sehr spendabel gezeigt.
Die Priester auf der Insel und auch diese Dunkelpriester, ich nenne sie einfach einmal Dunkelpriester, sind immer noch Priester und unterliegen den Vorschriften. Wie weit ausgebildet ist eigentlich dein Spionagepriester?“
„Die letzten Weihen hat er noch nicht erhalten, er ist jetzt mit ¾ der Ausbildung durch und hat alle Prüfungen mit sehr guten Bewertungen abgelegt. Er ist gut und nimmt seinen Job ernst, das kann ich dir versichern Xigola.“
„Gut,“, sprach Heylah, „dann haben wir ja einen Plan. Der Austausch der Ringe wird noch heute angekündigt, dann ist das auch offiziell und keiner schöpft Verdacht. Dein Mann sollte bereits morgen einsatzbereit sein, ihr wisst, dass wir stets rasch handeln und Änderungen nach spätestens einem Tag greifen. Alles andere wäre verdächtig. Seraph, wie schaut dein Plan B aus, wenn dein Mann fliehen muss?“
„Am Flughafen sollten wir ein Eingreifteam platzieren, das jederzeit aktiviert werden kann. Wir haben dort ohnehin die Richtfunkanlage zu ergänzen, das kommt uns da gelegen.“
„Gut du bekommst ein Team der Palastgarde und ein Team der Gruppe IV, unserer Technik-Teams und ich sorge dafür, dass die so schnell aktiviert werden, wie möglich. Wie schnell ist dein Mann startklar, denn ich möchte ihn vorher einmal sehen.“
„Der Name des Mannes ist Tar’Lin Torvak, er ist unterwegs zum heiligen Tempel, wo möchtest du ihn treffen?“
„Ich schlage den Schrein der oberen Besinnung vor, der wird in diesem Monat selten besucht.“, schlug Xigola vor und Heylah als auch Seraph stimmten dem zu.
„Gute dann wird Tar’Lin heute in genau drei Stunden dort sein.“

***

Soulebda / Palast

In Carolines Villa starrte Marion die Bedienstete an, welche ihr die Kleider für den offiziellen Empfang im Palast entgegenhielt. „NIEMALS!“ sagte sie entschieden und schüttelte den Kopf.
„Was hast du?“, fragte ich Marion. Sie, Caroline und ich hatten eine Einladung in den Palast bekommen. Jeder Bewohner Soulebdas wusste, das Caroline Penelopes Nun’tschula war und es würde mit Sicherheit Verdacht erregen, wenn Penelope Caroline nicht mindestens einmal offiziell einladen würde.
Also hatten wir uns entschieden, einen großen Empfang daraus zu machen, so dass niemand auf Soulebda daran zweifeln konnte, dass wir diesmal nur als „Touristen“ auf der Insel waren.
Außerdem konnten wir uns bei dieser Gelegenheit mit Heylah, Soleab und Penelope unterhalten, ohne Verdacht zu erregen. Marion war diesem Vorgehen einverstanden, denn sie konnte Heylah so einen Zwischenbericht geben, den sie mit Shea und Rafaela ausgearbeitet hatte. Doch als sie nun die Kleidung betrachtete, schien sie es sich anders zu überlegen.
„Was ich habe?!“ Fuhr mich Marion an und zeigte auf die Kleider, „Das sind ein Baströckchen und ein Paar Sandalen! Wo ist der Rest?!“
„Es gibt keinen Rest.“ Belehrte ich sie.
„Dann bleibe ich hier! Auf keinen Fall laufe ich nur im Röckchen und Sandalen herum!“
„Kannst du mir sagen, wo das Proben ist?“
„Wo das Problem ist? Das Problem liegt darin, dass es von meinen Haarspitzen, bis zu meinem Busen zwanzig Zentimeter zu wenig sind! DA liegt das Problem!“
„Das ist kein Problem.“ Beruhigte ich sie und erklärte der Bediensteten mit meinen bescheidenen Kenntnissen der Landessprache, worin Marions Bedenken lagen und die nickte verständnisvoll.
„Darum werden sich Mädchen kümmern“, versicherte ich Marion, „die Mädchen flechten die Haarverlängerungen en und es gibt auch Klebeband, damit nichts verrutschen kann und wenn es dich beruhigt, ich werde auch einen Rock anziehen, allerdings einen etwas längeren als du.“ Grinste ich und sah zu, wie Marion der Bediensteten misstrauisch folgte.
„Das wird interessant.“ Dachte ich laut, denn hier auf Soulebda gab es für offizielle Empfänge eine strikte Kleiderordnung, welche auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurückging. Diese besagte, dass Kriegerinnen (und als Polizisten zählte Marion zu diesen) bei einer Begegnung mit der Regentin nur einen Bast Rock und ein Paar Schuhe tragen durften und die Krieger lediglich einen Bodenlangen Rock aus Stoff, dessen Muster seinen Rang bzw. Status bezeugten.
Einmal hatte ich den Mut gefasst und bei Ma’Difgtma diese Tradition hinterfragt. Erstaunlicherweise bekam ich kein „Es ist ebenso!“ zu hören, sondern sie erklärte mir, dass es um das Jahr 710 einmal einen Anschlag mehrerer Kriegerinnen gab. Diese Kriegerinnen waren der festen Überzeugung, der Gemahl der Regentin wäre mit Dämonen im Bunde und er wolle seine Frau töten um die Macht zu übernehmen. Gemäß ihrem Schwur, wollten die Kriegerinnen ihre Regentin beschützen und den Mann töten.
Um ihr Ziel zu erreichen schmuggelten sie unter ihren Kriegstrachten Waffen in den Audienzsaal und griffen den Mann der Regentin bei einem Festmahl an. Dabei entbrannte ein wilder Kampf zwischen den Angreiferinnen und der Leibwache, bei dem auch die damalige Regentin getötet wurde. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regentin bestand aus den Kleidervorschriften, die sicherstellte, dass es unmöglich war, Waffen in den Palast zu schmuggeln und die auch heute noch ihre Gültigkeit hatten.
„Was wird interessant?“ frage Caroline, die dazugekommen war. Sie hatten die Bediensteten schon fertig eingekleidet und da Carolines Haare lang genug war um ihre Oberweite zu bedecken, musste die Mädchen hier keine künstlichen Haare einflechten. Dafür hatten sie Caroline mit einer mit Goldfragmenten versetzten Creme eingerieben, so dass ganzer Körper golden schimmerte.
„Marion hat soeben die offizielle Empfangskleidung bekommen. Vielleicht gehst du einmal zu ihr, ich befürchte nämlich, sie hat damit so ihre Probleme.“
„Du hast offensichtlich kein Problem damit, sie im Baströckchen zu sehen.“ Stellte Caroline fest.
„Was soll ich sagen…“ zuckte ich mit der Schulter, „Tradition ist eben Tradition. Ich erachte es als wichtig, dass sich Menschen an feste Rituale halten.“
„Schon klar“, rollte Caroline mit den Augen, „besonders dann, wenn das Ritual aus kurzen Röcken besteht! Pass bloß auf, dass DEIN Rock vorne nicht zu sehr absteht!“ schüttelte Caroline den Kopf und ging Marion hinterher.

***

Der Wagen hielt vor dem Palasteingang und ein Offizier der Garde öffnete Caroline die Tür, Caroline stieg aus und die Garde stand stramm. Jerome nahm Caroline neben dem Wagen in Empfang und verbeugte sich tief, während er zum Palast wies. Marion, die ebenfalls aussteigen wollte, wurde von mir mit einem, „warte noch eine Sekunde“ aufgehalten.
Erst als Caroline auf die Treppe des Palastes zuging, nickte ich Marion zu, wir stiegen aus und gemeinsam folgten wir Caroline in einem Abstand von etwa drei Metern.
„Macht dir das nichts aus?“, wollte Marion wissen.
„Was?“
„Na, dass du hinter deiner Frau gehen musst.“
„Nein, als Penelope Caroline fragte, ob sie ihre Lebensteilerin sein möchte, wurde ich über die Tradition und die Abläufe eingeweiht und hätte „Nein“ sagen können.“
„Aber?“
„Caroline liebt Penelope und ich weiß, dass es ihr sehr viel bedeutet, dass Penelope sie als Nun’tschula erwählt hat. Und wenn das heißt, dass ich ab und an, ein paar Schritte hinter ihr gehen muss, dann tue ich es gerne.“
„Was genau teilen die Zwei denn als Lebensteilerinnen?“
„Die Beiden teilen alles miteinander.“
„Alles? Auch das Bett?“
„Ja, auch das Bett.“
„Bist du nicht eifersüchtig?“
Sollte ich Marion jetzt erklären, dass ich als „Entschädigung“ für Carolines Abwesenheit als Penelopes Nun’tschula, Sarah und Vera bekam? Nein, besser nicht, denn das würde ihr Weltbild mit Sicherheit auf den Kopf stellen.
Also sagte ich einfach, „Nein, auch das Opfer bringe ich gerne für Caroline, außerdem… Caroline ist zwar Penelopes Nun’tschula, aber verheiratet ist sie mit mir und nur das zählt.“
Am oberen Ende der Treppe war nun Penelope hervorgetreten und sah Caroline entgegen, die nun genau eine Stufe unter ihr, wartend stehen blieb. Dann streckte Penelope ihre Hand nach ihr aus und geleitete Caroline, welche ihre Hand ergriffen hatte, die letzte Stufe nach oben. Nun nahmen sich die Zwei in den Arm und küssten sich leidenschaftlich vor allen anderen Anwesenden, während das schon bekannte Nun’tschula auma Kahlscha’daar namaija erklang.
Marion und ich standen vier Stufen darunter und warteten, bis Penelope uns mit einer Geste aufforderte, ihnen zu folgen, dann erst betraten wir den Palast.

***

Der Schrein der Besinnung war ein abseits gelegener uralter Schrein, der aus der Mode gekommen war. Heute beteten die Novizinnen und Novizen vor den jüngeren Schreinen, die deutlich farbenprächtiger geschmückt waren.
Ein älterer Priester säuberte den Schrein und ließ sich dabei sehr viel Zeit. Dafür reinigte und putzte er sehr sorgfältig. Heylah kam in Begleitung von Xigola zum Schrein und beide hatten ihre Kaputze übergezogen, so wirkten sie sehr unauffällig. Sie setzten sich in die Mitte des Schreines auf eine Bank und lasen in den Schriften, die hier überall lagen.
„Wann geht der Alte endlich, der hat doch genug geputzt, die drei Stunden sind vorbei.“
Ein junger Priester kam auf sie zu, grüßte ruhig und ging weiter. Erneut vergingen einige Minuten, doch kein Jungpriester kam dazu. Da drehte sich der Alte zu Heylah und Xigola, grüßte höflich und kam näher auf die beiden heran.
„Brauchen sie etwas, oder warten sie auf jemanden?“ Xigola sah den Alten an und lächelte ihm wissend zu. „Nein Meister Tal’afu, wir brauchen nichts. Danke der Nachfrage, aber wir warten hier auf jemanden.“
„Nein, ich bin nicht Meister Tal’afu, Tar’Lin ist mein Name, ehrenwerte Xigola, ich bin euer Kontakt. Es war gut so lange zu warten.“
Xigola war mehr als überrascht, nicht ihren alten Freund Meister Tal’afu vorzufinden, aber die Tarnung war einzigartig.
„Begleite uns in meine Gemächer, da sind wir alleine und sicher.“, ordnete Xigola an und zusammen gingen die drei langsam und bedächtig den schmalen Gang entlang, um in einem Nebengang zu verschwinden.
In den Gemächern der hohen Priesterin gingen einige Priesterinnen ihrer Arbeit nach, als Xigola die Order erteilte: „Bitte lasst uns allein, Leibwache, den Raum absichern!“ Fünf Minuten später waren die drei alleine und die Leibwachen tat wie ihnen befohlen wurde.
Als Xigola gerade etwas sagen wollte, hob Heylah ihre Hand und zog aus ihrer Tasche ein kleines Gerät in Form einer Zigarettenpackung.
„Ich wusste nicht, dass du rauchst Heylah!“, schaute Xigola überrascht und Heylah lächelte, drückte eine der Zigaretten in die Packung, da leuchtete eine Reihe kleiner LEDs auf und nach einem kleinen Peep, leuchteten alles LEDs grün.
„Gut, wir werden nicht belauscht. Das hier hat mir Seraph mitgegeben, Sicher ist sicher. Nun Tar‘Lin, ich möchte gerne dein Gesicht sehen, ich meine dein richtiges Gesicht.“
Der hagere Mann hatte seine Kapuze abgenommen und seine Kutte abgelegt. Als Nächstes zog er sein bärtiges Gesicht nach oben weg und zum Vorschein kam ein eher durchschnittliches, langweiliges Gesicht, allerdings mit pfiffigen Augen, die alles sahen.
Xigola war überrascht, den Alten hatte sie schon einige Male gesehen und er war ihr nie aufgefallen, den Jungen aber kannte sie gar nicht. Sie ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken, Heylah aber las in ihr, wie in einem offenen Buch.
„Gut,“, begann Heylah, „hier sind wir und ich denke Tar’Lin, du hast eine ganz besondere Aufgabe vor dir, hat dich Seraph Ma’Gus bereits eingewiesen?“
„Oh ja, Seraph hat mich eingewiesen, ich habe die Informationen über das Beta-Team und kenne die Abläufe. Was soll ich sonst noch auf der Insel der Verräter herausfinden?“
„Nun finde heraus, ob das wirklich alles Verräter sind, oder, ob, da nur ein Teil für das Kum’la arbeitet. Das nächste was wir brauchen, ist, wie viele Priester sind außerhalb Soulebda und wenn möglich wer und wo. Hat dir Seraph etwas über das Mädchen gesagt?“
„Ja ich weiß um die Dringlichkeit und weiß, dass es tatsächlich um Leben und Tod geht. Was mache ich, wenn ich in eine ausweglose Lage komme und nicht fliehen kann, ich kann nicht in den Schatten treten, ich bin kein Krieger.“
„Dein Leben und die Informationen sind wichtiger als das Leben deines Angreifers, handle entsprechend.“
„Verstehe, ich habe meine Ausrüstung und die Ringe bereits erhalten. In genau 21 Minuten muss ich vor dem Tempel sein, dann geht es los.“
Xigola stand auf und segnete Tar’Lin. „Möge dich Mualebda beschützen und ein waches Auge auf dich haben.“

***

Das kleine Wasserflugzeug, eine Be-103 aus russischer Produktion, war eines von vier Flugzeugen, die auf Soulebda eingesetzt wurden um die umliegenden Inseln mit den kleineren Dingen des Alltags zu versorgen. Der tägliche Postversorger kam zweimal am Tag und die diversen Kleinflugzeuge der hier ansässigen Firmen flogen nach keinem geregelten Zeitplan. So fiel auch die kleine Be-103 nicht weiter auf.
Der Südhafen von Ka’ihlih lag windgeschützt und sorge dafür, dass die Wellen klein genug blieben, um solchen Kleinflugzeugen wie der Be-103 die Chance zu geben, hier zu landen. Noch vor der eigentlichen Siedlung befand sich eine Anlegestelle, die an den Abenden gerne genutzt wurde, aber frühmorgens war sie uninteressant. Hier landete der Flieger an und ein Schatten huschte an Land um im nahen Gebüsch zu verschwinden. Schon drehte das kleine Flugzeug und erhob sich wenig später, um in Richtung des neuen Vulkans zu verschwinden. Der Priesteragent Tar’Lin war gelandet.

***

Shau’Gra’Zin, der selbsternannte Oberpriester der kleinen Enklave hatte seines gleichen um sich versammelt. Wie jeden Morgen hielt er eine kleine Andacht und verkündete, was es an Neuigkeiten gab.
„Aus Soulebda wurde angeordnet, die Priesterringe auszutauschen. Diese Aktion wird alle paar Jahre wiederholt. Wie immer hat die oberste Priesterin den Wunsch geäußert, umgehend die Ringe zu tauschen, daher wird wohl heute schon ein Bote auftauchen. Ich möchte, dass das schnell und unkompliziert vonstattengeht.
Dieses Jahr werden die Gelder der Ringsammlung für die Alten und Kranken auf den äußeren Inseln verwendet.
Die Prüfungen für die Pflichtübungen III und IV werden diese Woche am Mittwoch im Prüfungshaus abgehalten. Die Absolventen dürfen sich danach für die Kum’la Weihen einschreiben.“
Ein Novize eilte über den Seiteneingang zu Shau’Gra’Zin. „Ehrenwerter Shau’Gra’Zin, aus Soulebda ist ein Priester mit neuen Ringen eingetroffen. Was soll ich tun?“
„Bitte ihn herein, wir sind hier versammelt, ruf all die Priester zusammen und ihr Novizen, sollten währenddessen draußen beten und wachen, ich wünsche keine Störungen während des Ringtausches.“
Der junge Novize verbeugte sich überschwänglich und eilte aus dem Betraum. Kurz danach kehrte er mit einem älteren Priester zurück. Auf seinem Rück trug er einen schweren Rucksack, der mit zahlreichen Schnallen gesichert war.
„Mualebda zum Gruß. Ich bin Mirl’And aus dem zentralen Tempel auf Soulebda. Ich bringe frohe Kunde aus Soulebda und neue Siegelringe dazu. Sicherlich wurdet ihr bereits über den Ringtausch informiert und wie immer wünscht die oberste Priesterin, dass alles schnell geht. Wie viel Priester sind hier versammelt oh Shau’Gra’Zin?“
„Wir sind hier sechs Priester Mirl’And. Lasst uns rasch die Ringe tauschen, du hast sicherlich noch eine weitere Reise vor dir.“
„Danke Shau’Gra’Zin.“, sagte Mirl’And und legte seinen Rucksack ab, einen der Seitenteile öffnete er und es kamen acht Ringe zum Vorschein.
„Shau’Gra’Zin, eine Frage habe ich noch, wart ihr nicht früher acht Priester?“
„Doch aber die beiden Ältesten wurden in die Ferne versetzt, jetzt sind wir hier noch sechs, wenn die Prüfungen gut ausgehen, sind wir aber in einem Jahr wieder vollzählig.“
Der Austausch ging rasch vorüber. Jeder Priester übergab seinen Ring, der an dem kleinen Finger der linken Hand steckte und erhielt einen neuen Ring, der aufgesteckt und in eine Röhre aus einem seltsam leuchtenden Metall bestand. Darin wurde der Ring auf die benötigte Größe eingestellt. Das Verfahren war uralt und hatte sich bestens bewährt. Gleichzeitig erhielt jeder Ring eine Signatur. Damit war jeder einzelne Ring dem persönlichen Träger zugeordnet. Mit einer kleinen Segnung wurde die Hand aus aus der Röhre gezogen und der neue Ring befand sich nun auf der Priesterhand.
„Was macht ihr mit den alten Ringen?“, wollte einer der jüngeren Priester wissen. „Die werden hier und jetzt zerstört. So kann es keine Fehler oder doppelten Ringe geben und sowohl die oberste Priesterin als auch die Regentin sind zufrieden.“
Nacheinander verließen die Priester den Raum und als nur noch Shau’Gra’Zin und Mirl’And anwesend waren, betrachteten Shau’Gra’Zin und Mirl’And die glänzenden alten Ringe.
„Eigentlich schade …“, murmelte Shau’Gra’Zin und sah Mirl’And von der Seite an. „Ich hatte mich gerade so an meinen Ring gewöhnt. Wie zerstört ihr die Ringe denn?“
„Ich habe eine Zange und zerteile den Ring, die Teile kommen in ein Glas mit Zelothenwasser, das ist, wie du weißt, dem Königswasser der Europäer sehr ähnlich. Einmal aufgelöst kann man es nur noch zurück in den Vulkan geben, damit sie den Weg zurück in die Erde finden.“ Wie durch Zufall kullerte Mirl’And ein alter Ring aus den Utensilien.
„Na, offenbar finden doch nicht alle Ringe den Weg zurück in die Erde, oder?“
Mirl’And fühlte sich ertappt und fing an zu schwitzen. Shau’Gra’Zin lächelte, hatte er doch gerade den gesendeten Priester, der die Ringe tauschen sollte, der Veruntreuung überführt.
Mit großen Augen sah er Shau’Gra’Zin an und seine Augen flehten geradezu um Gnade. „Das ist ja sicherlich nicht der erste Ring, der nicht aufgelöst wird, oder?“
„Ich … nein, ist es nicht. Ich habe eine kranke Schwester und mein Bruder hat sich mit irgendwelchen Spielern eingelassen und schuldet ihnen Geld, ich musste etwas unternehmen. Aber jetzt ist es ja aus.“
„Das muss nicht dein Ende sein Mirl’And. Wir beide wissen, wenn die oberste Priesterin das erfährt, wirst du hart bestraft, aus der Gemeinschaft ausgestoßen und kannst nur noch im Lager der Verfallenen, auf der Insel Ibnoa den Sterbenden helfen. Aber es gibt für alles eine Lösung.“
„Eine Lösung?“ Mirl’And schaute Shau’Gra’Zin fragend an und dieser erkannte, dass er von dem übertölpelten Priester jetzt alles verlangen konnte.
„Ja, es gibt eine Lösung. Siehe, wir beten hier zu den alten Göttern und zu Mualebda. Die alten Götter aber, sind viel älter und ehrbarer und sollten nicht so vernachlässigt werden. Schon früher wurde mit dem Kum’la und den beiden anderen Spielvarianten Kum’lata und Kum’do den alten Göttern gehuldigt und zugleich konnten wir Priester zu Gold kommen.“
„Ich dachte die Spiele seien verboten?“
„Ja, hier auf Soulebda spielen wir sie auch nicht, wir spielen sie im Land der Europäer.“
„Dort kann man die spielen, ohne bestraft zu werden?“, fragte Mirl’And unwissend und Shau’Gra’Zin erkannte, dass er wohl einen jungen Priester ohne irgendwelche weltliche Erfahrung vor sich hatte.
„Tatsächlich kann man im fernen Europa diese Spiele spielen, ohne bestraft zu werden, aber …“, jetzt machte es Shau’Gra’Zin spannend, „aber das bedeutet, dass wir Priester ausbilden müssen um sie als Spielführer in Europa einzusetzen.“
„Ja, was hat das alles mit mir zu tun, ich kann das Spiel nicht spielen, ich bin noch nie außerhalb Soulebda gewesen, wie kann ich dabei helfen?“
„Wir brauchen Augen und Ohren im Tempel. Wir müssen wissen, wann jemand aus dem Tempel zu uns kommt und was der Grund ist. Das soll deine Aufgabe sein, dann und nur dann schaue ich über deine Verfehlung hinweg. Na, ist das eine Alternative zum Leben in der Verbannung?“
Shau’Gra’Zin erkannte, dass es in dem jungen Priester brodelte, im Moment schien alles, an das er geglaubt hatte innerlich zu zerbrechen und er wusste genau, wofür sich der junge Priester entscheiden würde.
„Ich kann mich nicht gegen meine Familie stellen, sie ist mir näher als alle Götter. Ich willige ein, jedoch wie soll ich wissen, auf was ich aufpassen muss?“
„Wir werden dich in die Abläufe einweihen, sofern es deiner Sache dienlich ist, dann weißt du auch, auf welche Namen und Orte du besonders aufpassen musst.“
„Ja, ich werde euch helfen, ich werde zu euch stehen, danke Shau’Gra’Zin für dein Vertrauen.“
Im Laufe der drei nächsten Stunden wurde Mirl’And in die Geheimnisse eingeweiht. Anfänglich nur oberflächlich, schließlich wollte Shau’Gra’Zin ja kein Risiko eingehen, und so erfuhr Mirl’And nur die ersten beiden Priesternamen, die in Europa an den Spielen teilnahmen, es waren genau sechs Priester und die ersten beiden kannte er nun.

***

Dressler, Dresden

BUM BUM BUM hämmerte es an die Tür von Silka Vence und riss diese aus dem Schlaf. Silka lebte in einem heruntergekommenen Haus, am Rande der Dresdner Altstadt und sicherlich war weder das Haus, noch ihre Zweizimmerwohnung ein Schmuckstück, doch es war eine Wohnung, die sich Silka leisten konnte, ohne auf Stütze angewiesen zu sein, etwas worauf sie verdammt stolz war. Seit sie vor einigen Monaten den Absprung aus der Rotlichtszene geschafft hatte, schlug sie sich mit schlecht bezahlten Jobs durch, musste sich immer wieder etwas Neues suchen, doch sie schaffte es!
Nun hämmerte irgendwer nach Mitternacht gegen ihre Tür und Silka stieg aus dem Bett, um nachzusehen, wer ihre Nachtruhe störte. –Wahrscheinlich hat der senile Sack gegenüber wieder seinen Haustürschlüssel in der Wohnung liegen lassen! – schimpfte sie im Leisen, denn der ältere Mann, der mit ihr den obersten Stock des zweigeschossigen Hauses bewohnte, hatte sie gebeten einen Ersatzschlüssel bei ihr zu deponieren, da er öfter seinen Schlüssel vergas oder verlegte.
Silka vergewisserte sich, dass die Sicherheitskette eingehängt war, dann öffnete sie die Tür, soweit die Kette es zuließ. Zu ihrer großen Überraschung stand nicht ihr Nachbar vor ihrer Tür, sondern ein Häufchen Elend, eben das, was von Dressler noch übrig geblieben war. Dressler kauerte zusammengesackt auf dem Flurboden und sah mit blutunterlaufenen Augen zu ihr auf. „Silka… ich hab Scheiße gebaut!“ krächzte er und verlor das Bewusstsein.
Wütend schlug Silka die Tür zu und ließ die Kette davor. Verdammt! Woher wusste Dressler, wo sie wohnte?! Ihr erster Impuls lag darin ihn einfach liegen zu lassen, denn Dressler war ein Arsch! Dressler war eine Zeitlang ihr Zuhälter… einer der vielen Zuhälter, mit denen sie sich, während ihres Lebens als Prostituierte, herumschlagen musste. Und das Wort herumschlagen konnte man durchaus wörtlich nehmen! Doch Dressler, Arsch hin oder her, hatte sie nie geschlagen …
Ok, es gab Streit, Herumgeschubse, und böse Worte, aber im Gegensatz zu anderen, hatte Dressler sie nie geschlagen. Allerdings waren sie auch nicht im Guten auseinandergegangen. Als Silka ihm mitteilte, dass sie ab jetzt aus dem Geschäft ausstieg, hatte es einen heftigen Streit gegeben. „Hau doch ab du Schlampe!“ hatte er ihr nachgebrüllt. „Ich schwöre dir, in ein paar Wochen, kommst du zurück gekrochen!“… und nun, kam Dressler zu ihr gekrochen!
Verflixt! Fluchte sie und hängte in dem Wissen, seinen riesengroßen Fehler zu machen, die Kette aus!

***

Nachdem Dressler bei Rostock Glöckner und seinen Häschern entkommen konnte, versteckte er sich erst einmal im Wald und wartete einen ganzen Tag, bis er sich nach Beselin wagte. Von dort fuhr er mit dem Bus nach Rostock, um zum Hauptbahnhof zu kommen. Wieder verbrachte er eine Nacht im Freien und wartete bis zum Morgen, um in der Masse der Berufspendler untertauchen zu können. Als er sich zwischen den anderen Reisenden zu seinem Gleis bewegte, sah er Männer, welche die Leute beobachteten und anscheinend Gesichter mit Bildern auf ihren Smartphones abglichen, allerdings war er sich nicht sicher… die Männer konnten genauso gut einfach Musik hören, oder sich etwas anderes ansehen. – werde ich paranoid? – fragte er sich jedes Mal, wenn er einen potentiellen Beobachter sah… Dressler beschloss kein Risiko einzugehen und blieb in der Masse der Pendler.

Mit seinem letzten Geld kaufte er sich eine Fahrkarte nach Dresden und bestieg einen Zug. Dass er nicht paranoid war, zeigte sich eine halbe Stunde nach Abfahrt des Zuges. Eigentlich hatte sich Dressler etwas entspannt, dann bis Berlin war es nur noch eine gute halbe Stunde, als er einen der Männer, welche ihm schon auf dem Bahnsteig aufgefallen war, in sein Abteil kommen sah. Noch immer hatte der Kerl sein Handy vor sich und schaute sich die Zugpassagiere genauer an, wobei selbst Dressler auffiel, dass er nur nach Männern schaute. Der Mann war noch etwa vier Meter entfernt, als eine andere Reisende aufstand und in Dresslers Richtung kam.
Sofort ergriff Dressler die Chance, stand in dem Moment auf, als die Frau zwischen ihm und Glöckners Spürhund stand und ging vor der Frau her, aus dem Abteil heraus. Als er zu der Zugtoilette kam, stieß er ein Stoßgebet dafür aus, dass diese nicht besetzt war, und hatte Glück. Schnell verschwand er in der Toilette und verschloss die Tür. „Verdammt!“ fluchte er, „Was jetzt?!“ Dressler war klar, dass er nicht ewig in der Toilette bleiben konnte, also wartete er und überlegte, wie lange der Spürhund wohl brauchen würde, um hier vorbeizukommen. Schließlich, nach zehn Minuten, beschloss Dressler, zum entgegengesetzten Ende des Zuges zu gehen, doch als er Tür öffnen wollte, hämmerte jemand dagegen und er zuckte er heftig zusammen. „Verdammt!“ tönte die Stimme einer jungen Frau, „Es gibt noch andere Leute, die aufs Klo müssen!“
Eine Entschuldigung murmelnd öffnete Dressler die Tür und trat vorsichtig aus der Toilette, dabei konnte er ein paar Meter weiter den Spürhund sehen, der an der Toilette schon vorbei gegangen war und gerade einen jungen Teenager anscheinend versehentlich anrempelte und ihn so dazu brachte, ihn anzusehen. Beschwichtigend hob er die Hände und ging weiter in Richtung des Zuganfangs.
Dressler drückt sich aus der Tür, darauf bedacht die Frau zwischen sich und dem Spürhund zu halten. Er begab sich so unauffällig wie möglich zum Ende des Zuges wo er sich auf die Stufen der Tür setzte, hoffte und wartete. Endlich rollte der Zug in den Hauptbahnhof von Berlin ein und Dressler sprang sofort aus dem Zug direkt, in die nächste Wartezone, welche nur ein paar Meter von der Zug Tür entfernt war. Dort zwischen anderen Reisenden schaute er unauffällig zum Zug, aus dem der Spürhund gerade ausstieg und sich auf dem Bahnsteig umsah. Verzweifelt sah Dressler auf die Uhr und stellte fest, dass der Zug noch eine halbe Stunde Aufenthalt hatte, bis er nach Dresden weiterfahren würde.
Am Bahnsteig kam ein weiterer Mann zu dem Spürhund, mit dem sich dieser unterhielt und dann zum Zug wies. Schließlich verließen die Zwei den Bahnsteig und begaben sich zu einem anderen Gleis. Dressler wartete wieder, bis eine Gruppe junger Leute mit Rucksäcken und Sportsachen den Zug bestieg, dann schloss er sich der Gruppe an und suchte sich einen Platz in Nähe der Toilette.
Nach einer scheinbar endlos langen Fahrt erreichte Dressler schließlich Dresden. Dresslers fünf Watt reichten aus, um ihn vermuten zu lassen, dass man seine Wohnung mit Sicherheit überwachte, also lungerte er bis zum Einbruch der Dunkelheit am Bahnhof herum. Als es dunkel war, schlich Dressler los um zu seiner Wohnung zu kommen. Dort lagen sein Geld und der gefälschte Ausweis, den sich Dressler für viel Geld einmal gekauft hatte. Da er sich hier bestens auskannte, schlich er über Hinterhöfe und dunkle Ecken immer näher an das Haus heran, indem seine Wohnung lag.
Schließlich kletterte er über einen Zaun und duckte sich dann im Schatten eine Einfahrt bis er die Straße vor seiner Wohnung beobachten konnte. Über eine Viertelstunde wartete Dressler regungslos in der Einfahrt und sah sich jedes Auto an, das in der Straße stand. Da ihm nichts auffiel, beschloss er es den Versuch zu wagen, doch gerade als er loslaufen wollte, sah er in einem Van, etwa fünfzehn Meter von der der Eingangstür entfernt eine Zigarette aufglimmen. Sofort duckte sich Dressler noch tiefer in den Schatten. „Scheiße!“ fluchte er und sah zu dem Van. Erst jetzt erkannte er die abgedunkelten Scheiben, die verhinderten, dass er den Fahrer sehen konnte. Hätte nicht einer von denen eine Kippe geraucht, wäre er blind in die Falle gelaufen!
Langsam kroch Dressler zurück in den Hinterhof und kauerte sich zusammen. Verdammt! Irgendwie musste er in die Wohnung kommen…

***

„Du Arsch, wolltest mich die Treppe herunterschubsen!“ schrie Tallia Dressler an. Hier im Rotlichtviertel von Dresden kannte sich Dressler aus, hier konnte er untertauchen und sich verstecken. Da er selbst nicht in seien Wohnung gehen konnte, musste es wohl oder über jemand anderes tun, also beschloss Dressler eine der „Mädchen“ zu fragen.
„Ich hab nur so getan.“ Schwor Dressler. „Ok, ich war nicht immer nett…“
„Nett?! Du blödes Arschloch hast mir beinahe alle Knochen gebrochen!“
„Tallia, es tut mir leid ok? Ich brauche dich und du bekommst fünfhundert Euro! Bar auf die Kralle!“
Tallia starrte ihn einen Moment an, dann hielt sie die Hand auf.
„Ich hab das Geld nicht hier.“
„Ich wusste es! Verschwinde, bevor ich Eddi rufe!“ fauchte Tallia und wies in Richtung des Bordelleingangs, wo ein Schrank von Kerl stand und Passanten ansprach, ob sie nicht hereinkommen wollten.
„Das Geld ist in meiner Wohnung! Du musst es nur holen.“ flehte Dressler, der Tallia auf keinen Fall sagen wollte, was wirklich geschehen war, also dachte er sich schnell etwas aus. „Ich, ich hab ein paar Typen um Geld beschissen, die wollen mich fertig machen und warten vor meiner Tür. Ich muss eine Zeit untertauchen, aber ich brauche mein Geld. Dich kennen sie nicht, du gehst rein, holst mein Geld und bekommst dafür fünfhundert Euro. Also was ist?“
Tallia kämpfte noch einen Moment mit sich, dann nickte sie und sagte; „Ich warne dich Dressler! Wenn du mich reinlegst, wird Eddi dich in Stücke reißen!“

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Gemeinsam schlichen die Beiden zurück zu Dresslers Haus und nahmen dabei denselben Weg wie Dressler vorher. In der Einfahrt gegenüber seiner Wohnung zeigte Dressler auf den Van mit den abgedunkelten Scheiben. „Da sitzen die Kerle. Du gehst einfach über die Straße und gehst in die Wohnung. Das Geld ist in einer Kassette unter dem Bett.“
„Du versteckst dein Geld unter dem Bett, wo jeder Idiot als erstes nachsieht?“
„Scheiße! Na und?!“ schimpfte Dressler, als ihm klar wurde, dass Tallia völlig Recht hatte, sein Versteck war wirklich bescheuert. Statt weiter darauf einzugehen, gab er Tallia den Wohnungsschlüssel. „Wenn jemand im Treppenhaus ist, gehst du einfach wieder.“
Tallia nahm den Schlüssel und schlich ein paar Hinterhöfe weiter, dann trat sie auf die Straße und ging zielstrebig, ohne dem Van einen Blick zuzuwerfen, auf das Haus zu. Da die Eingangstür nicht verschlossen war, betrat sie das Treppenhaus, schaltete die Flurbeleuchtung ein und schaute zur Treppe.
Im hell erleuchteten Treppenhaus sah sich Tallia um, konnte aber niemanden sehen, also ging sie langsam in den zweiten Stock. Auch hier war weit und breit niemand zu sehen, also schloss sie Dresslers Wohnung auf und betrat die Wohnung. – Soll ich das Licht einschalten? – fragte sie sich und entschied sich dagegen, da durch die Fenster genug Licht einer Straßenlaterne in die Wohnung fiel. „Was für ein Saustall!“ flüsterte sie und fragte sich, ob Dresslers Wohnung immer so aussah, oder ob jemand sie durchsucht hatte. Als sie unter das Bett sah und die Geldkassette fand, kam sie zu dem Entschluss, dass Dressler wohl einfach eine faule Sau war.

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Als Tallia unter das Bett griff um die Kassette zu holen, schaute sie genau in eine der vielen Kameras, die Glöckners Leute überall angebracht hatten. „Hallo Puppe.“ Grinste einer der Männer, welche im Van saßen. Dressler hatte zwar den Van gesehen, doch er hatte keinen Schimmer, wie er überwacht wurde. Die Zeiten, in denen sich finstere Gestalten im Treppenhaus verstecken mussten, waren lange vorbei. Das Treppenhaus, die Wohnung und die Straße vor dem Haus war mit Kameras gespickt und Dressler hatte aus Zufall den einzigen toten Punkt der Überwachung gefunden, die Einfahrt gegenüber.
Im Van saßen vier Leute, zwei welche die Straße und die Tür im Auge behielten, und zwei, welche die Monitore überwachten. „Er muss in der Nähe sein!“ sagte der Mann, den Tallia ansah, ohne es zu wissen.
In der Wohnung steckte Tallia die Kassette in ihre Umhängetasche und verließ Dresslers Saustall wieder. „Sehen wir mal, wohin sie geht.“ Brummte der Fahrer, als Tallia wieder auf der Straße stand. Auch auf dem Rückweg hütete sich Tallia einen Blick zum Van, oder in Richtung der Einfahrt zu werfen und ging die Straße hinunter zur nächsten Kreuzung.
„Die Puppe kommt in Eure Richtung.“ Meldete der Mann im Van dem Team, das eine Straße weiter, ebenfalls in einem Van saß.
„Ich sehe sie.“ Kam die Antwort von dort, als sie auf das zweite Team zukam. Doch etwa zehn Meter bevor Tallia den Van erreichte, verschwand Tallia in einem Durchgang zu den Hinterhöfen.
„Scheiße!“ fluchte der Fahrer des zweiten Vans und stieg mit dem Beifahrer aus. So leise wie möglich schlichen sie Tallia nach und sahen gerade noch, wie diese über einen Müllcontainer kletterte um über eine Mauer zum Nachbargrundstück zu kommen.
„Achtung!“ meldete der Fahrer, „Sie geht in die Hinterhöfe, er muss in Nähe sein, irgendwo hier in den Höfen.“
Die sechs Männer schwärmten aus und begannen so leise wie möglich die Hinterhöfe abzusuchen. Ein paar Höfe weiter, wartete Dressler auf Tallia, die mit ihrer Tasche eine Mauer heruntersprang und zu ihm kam.
„Und es hat dich niemand gesehen?“ wollte Dressler wissen als Tallia vor ihm stand.
„Nein, die beobachten nur die Straße, nicht das Hausinnere.“ Antwortete Tallia und holte die Kassette aus ihrer Handtasche.
„Los, lass uns abhauen!“ sagte Dressler und wollte los, als Tallia ihn am Arm packte. „Mein Geld! Jetzt!“ forderte sie und stellte sich vor ihn.
„Lass uns erst abhauen.“
„Nein, ich kenne dich! Jetzt sofort!“
„Na schön!“ fluchte Dressler, fischte einen Schlüsselbund aus seiner Tasche und sperrte die Kassette auf. Schnell zählte er zehn Fünfziger Scheine ab und hielt sie Tallia entgegen. „Hier.“
Tallia ersparte sich jeden Kommentar, griff nach dem Geld, als ihr Schädel explodiert und Dresslers Gesicht mit Blut und Gehirnmasse bespritzt wurde. Erst als Dressler Sekundenbruchteile später einen fruchtbaren Schmerz an seinem Ohr spürte, begriff er, was hier geschah. Tallia war noch am umnfallen, als Dressler losspurtete. Dabei fiel die Kassette mit dem Geld und dem Pass scheppernd zu Boden, doch das interessierte ihn nicht mehr im Geringsten. ZIP ZIP sausten Kugeln an ihm vorbei, als er über den Hof rannte, um über die nächste Mauer zu springen.
– Die müssen mit Schalldämpfern schießen. – ging ihm durch den Kopf, ohne das er es selbst wahrnahm. Mit einem verzweifelten Sprung über eine Mauer rettete sich Dressler in den nächsten Hof, wo er zwischen Autos zur nächsten Mauer rannte. Gerade als er diese erklomm, kam ein neuer Schmerz an seinem Bein hinzu, den er dank des vielen Adrenalins in seinem Blut einfach ignorierte und weiter rannte. Immer wieder hörte er Kugeln in seiner Nähe einschlagen, doch Dressler rannte weiter. Bis er über eine Einfahrt zu einer belebten Straße kam.

***

Nachdem Silka die Tür wieder geöffnet hatte, packte sie Dressler am Arm und zog ihn in die Wohnung. Dabei sah sie nach rechts und links, ob jemand mitbekommen hatte, was hier geschah, doch sie konnte im Dämmerlicht der alten Glühbirnen niemanden sehen und auch ihr seniler Nachbar hatte nichts gehört.
Dressler, der wieder halbwegs bei Bewusstsein war, jammerte und wimmerte, als ihn Silka in die Wohnung zog. Erst jetzt, als sie Dressler durch den Flur in ihr kleines Wohnzimmer gezogen hatte, bemerkte sie die Blutspur, die Dressler auf dem Boden hinterließ.
„Verdammt?!“ fragte sie sich, „Was ist bloß passiert?“

***

Palastleben

Marion Perlacher hatte sich inzwischen an diese seltsame Dienstbekleidung gewöhnt. Ihr freier Oberkörper mit den kunstvoll verlängerten Haaren verdeckten ihre Brüste und selbst Peter, von dem sie dachte, er würde sich pausenlos an ihrem kräftigen Busen ergötzen, verhielt sich brav. Da ihr andere Mädchen und auch erwachsene Frauen entgegenkamen, die ebenfalls so bekleidet waren, empfand sie es alsbald als natürlich.
Hinzukam, dass die Temperaturen so besser zu ertragen waren. Die warme Luft strich durch die Gänge und es war angenehm.
„Das ist also der Palast von Soulebda, Peter, irgendwie habe ich von einem Palast in der Südsee eine ganz andere Vorstellung. Ich dachte, da wäre viel exotisches dabei, viele huschende junge Mädchen, wehende Fahnen und alles Mögliche, aber das ist ja so richtig nüchtern.“ Marion Perlacher schaute mich geradezu enttäuscht an.
„Na warte, wir sind gerade erst in der Empfangshalle und die ist heute nicht besonders geschmückt, es ist ja nur ein kleiner Empfang, den Penelope für uns arrangiert hat, aber vielleicht gefällt dir der Saloon Teil dann besser.“, beruhigte ich Marion.
Penelope und Caroline gingen Hand in Hand auf eine geschlossene edle Holztür zu, die von der Palastgarde geöffnet wurde. Als die beiden hindurch gingen, hörte man erneut das allgegenwärtige „Nun’tschula auma Kahlscha’daar namaija“.
„Was bedeutet eigentlich dieses Nun’tschula auma?“
„Das ist der Nun’tschula Ehrengruß, damit geben alle zu verstehen, dass die Tochter der Regentin ihre Nun’tschula, also ihre Lebensteilerin, an ihrer Seite hat und dass dies eine ganz besondere Ehre ist. Caroline ist für Penelope viel mehr als eine offizielle Geliebte, sie teilt mit ihr ihr Leben, und das meine ich wörtlich, wenn also irgendwann einmal ein Angriff auf Penelope…“

Weiter kam ich nicht. Aus zwei verwinkelten Seitenbereichen huschten zwei vermummte Gestalten mit blitzenden Messern herbei und stürzten sich auf Penelope. Zwei der Gardistinnen warfen sich heldenhaft auf eine der Angreiferinnen und Caroline sprang die zweite Angreiferin an und riss sie von Penelope weg. Marion war völlig perplex und stand wie angewurzelt da, während Peter einen Säbel von der Wand reißen wollte, um sich ebenfalls ins Getümmel zu stürzen, doch Jerome trat dazwischen und gab ihm zu verstehen, dass er das zu unterlassen hätte. „NEIN!“ flüsterte er Peter und Marion zu „Kommt, schaut zu und schweigt.“

Die Angreiferin, die mit Caroline kämpfte, war wieselflink und hatte unglaubliche Kräfte. Sie warf eine schwere Blumenschüssel nach Caroline und sprang sie wie eine Raubkatze an, aber Caroline wich aus und die beiden kämpfenden Frauen bogen sich wie Grashalme im Wind.
Caroline hatte keinen Blick für uns, wusste sie ihre Begleiter bei Jerome doch in Sicherheit. Die Angreiferin setzte alles ein und schlug um sich wie eine Berserkerin. Dabei ging einiges zu Bruch, ein klares Anzeichen dafür, dass hier nicht gespielt wurde.
In der Zwischenzeit hatten sich weitere Gardistinnen um Penelope und um uns gestellt und sicherten uns ab, während Caroline und die Angreiferin wild kämpfend unter einen Tisch rollten und auf der anderen Seite wiederauftauchten. Jetzt flog das Messer der Angreiferin weg und Caroline riss mit einem weiteren Sprung die Angreiferin zu Boden.
Schließlich schrie die Angreiferin laut auf und rollte bewusstlos zur Seite. Caroline hechtete zu dem am Boden liegenden Messer, ergriff es, um zum Todesstoß anzusetzen. In dem Moment erklangen Fanfaren und Penelope rief laut „Genug jetzt, haltet ein!“
Die beiden Gardistinnen schleppten die bewusstlose erste Angreiferin und legten sie neben die von Caroline besiegte Zweite. Beide atmeten noch, waren aber ohne Bewusstsein. Caroline stand auf und richtet sich kurz, schon lief sie zu Penelope.
Zwei Bedienstete eilten zu Caroline, trockneten sie ab und erfrischten sie mit einem herrlichen Blütensaft. Frisch abgetrocknet trat Caroline zu Penelope und umarmte ihre Nun’tschula und Caroline streichelte sie sanft. „Ihr wurdet soeben Zeuge eines Übungsangriffes.“ Rief Jerome laut. „Damit wird die ständige Bereitschaft einer Nun’tschula unter Beweis gestellt, so will es der Brauch.“
Die Angreifer waren Nahkämpfer der Palastgarde und sie kämpften mit harten Bandagen, wie sie alle sehen konnten.
Penelope trat nun in die Mitte des Ganges und sagte „Nun ist dem Brauch genüge getan, lasst uns in meine Privatgemächer gehen und reden.“
Einige Sanitäter kümmerten sich um die noch am Boden liegenden „Attentäter“ und eine weitere Sanitäterin tupfte Carolines blutende Augenbraue ab. Mit einem kleinen Stift stoppte sie die Blutung und die Haut schien sich bereits zu regenerieren.
Caroline hatte sich einige blaue Flecken eingefangen, aber keinerlei Brüche davongetragen. Lächelnd verabschiedete sich die Sanitäterin und verbeugte sich ordnungsgemäß vor Penelope, während wir in die Privatgemächer geführt wurden. Als die Gardistinnen die Tür von außen schlossen, drehte sich Penelope zu uns um und lächelte Caroline an.
„Verzeih mir meine geliebte Nun’tschula, aber ich durfte dich nicht vorwarnen, die Überprüfung musste so hart sein.“ Fast weinend fielen sich Penelope und Caroline in die Arme und küssten sich. „Du bist meine Lebensteilerin und ich hatte niemals daran gezweifelt, der Brauch fordert aber diese unangemeldeten Bestätigungen.“
„Das werde ich nie verstehen“, sagte Peter laut und alle lachten. „Peter, mein Schatz“, lächelte Caroline mich an, „es gibt noch so vieles, was du noch lernen musst über die Geheimnisse von Soulebda und über die Aufgaben einer Nun’tschula.“
Marion Perlacher sah immer noch überrascht aus und fragte bei Caroline nach. „Hättest du denn die Angreiferin tatsächlich getötet, Caroline?“
„Ja, ich war bereits dazu, mein Leben für das von Penelope zu geben. Ich habe einen heiligen Eid geleistet und dem folge ich.“
„Was geschieht mit den beiden Angreiferinnen?“, wollte Marion wissen.
Penelope kam zu uns und bat uns an einem edlen Tisch Platz zu nehmen. „Die Angreiferinnen werden natürlich allerbesten versorgt. Es ist eine Ehre an einer solchen Überprüfung teilzunehmen und die beiden erhalten eine Auszeichnung, weil sie gut gekämpft haben.“
Eine Gardistin kam zur Tür herein, flüsterte Penelope etwas ins Ohr und entschwand wieder. Mit Blick auf Marion Perlacher fuhr Penelope fort, „Die Gardistinnen werden Caroline keineswegs nachtragend sein, ganz im Gegenteil, sie wissen jetzt ja, dass Caroline für mich eintritt und das ist für sie mehr als alles Lob der Welt. Damit wird Caroline quasi zu einer der ihrigen. Man sagte mir eben, dass deine Angreiferin zwei gebrochene Rippen und eine Verletzung an der linken Hand hat, die andere wurde nur bewusstlos geschlagen.“
Caroline schaute kurz in die Runde und nickte. „So weit, so gut, jetzt sind wir unter uns, gibt es etwas zu berichten?“
Penelope reichte die gefüllten Gläser und drückte einen Button auf dem Tablet vor ihr.
„Meine Mutter kommt gleich, dann reden wir.“
Aus einer Seitentür traten zwei Gardistinnen und flankierten die Tür. Danach trat Heylah ai Youhaahb, die Regentin, ein und die Gardistinnen verließen wieder den Raum.
Heylah war wie immer eine Erscheinung, die jeden im Raum in seinen Bann zog. Sie begrüßte uns alle und nahm neben ihrer Tochter am Kopfende Platz. Beide begrüßten sich, während neben mir eine Stimme erklang.
„Mach dich mal nicht so breit!“ Sagte Madame Ma’Difgtma, die urplötzlich neben Peter aufgetaucht war und wie so oft hatte sie keiner kommen gesehen. Der Schreck saß Peter und Marion noch in den Knochen und Caroline war überzeugt, ein leichtes Lächeln in Ma’Difgtmas Augen bemerkt zu haben. Ma’Difgtma hatte Caroline kurz angelächelt und nickte ihr kurz anerkennend zu.
„Du hast gut gekämpft, Tochter der Messer, dennoch musst du auf deine Absicherung achten, der Hieb an deinem Auge soll dich dabei anspornen noch besser zu werden!“
Als Nächstes schaute Ma‘ zu Marion Perlacher, die immer noch mit offenem Mund dasaß. „Und du kannst dich entspannen, Mädchen, jetzt droht keine Gefahr mehr, wir sind unter uns und nein, ich bin kein Gespenst.“
Marion fühlte sich ertappt und ließ kurz rot an. Peter schaute sie an und lächelte ihr zu. „Keine Sorge, ich wundere mich über Ma’Difgtma seit langem nicht mehr, wenn sie eines Tages neben mir erscheinen und schweben würde, dann wäre das auch keine Überraschung mehr.“
Alle, wie sie am Tisch saßen, lachten kurz und sogar Ma‘ schaute mich kurz schelmisch lächelnd an, ihre Augen funkelnden dabei wie die einer Zwanzigjährigen.
Heylah ergriff das Wort. „Bitte Ma‘, berichte, was wir über den Fall des verbotenen Spieles bisher wissen.“
„Es ist uns gelungen, einen Priester als Agenten auf Ka’Ihlih einzuschleusen. Der Ober Priester dort glaubt, unseren Mann durch Erpressung, gefügig gemacht zu haben, und unser Mann ihm hat die ersten präparierten Geheimnisse geliefert.
Als Nächstes haben wir die Namen zweier Priester herausbekommen, die auf den nördlichen Inseln als Spielleiter für das Kum’lata Spiel agieren und wir haben die beiden überprüft. Sie gehören zu der Kum’lata Bande auf dem Bikini Atoll und auf Kiribati, aber die beiden bilden derzeit keine Gefahr, da sie nur neue Spieler und Interessenten anlocken. Deswegen blieben sie unbehelligt.
Gestern hat unser Agent die nächsten Namen erfahren. Das sind jetzt allerdings zwei ganz andere Kaliber. Diese beiden Priester sind auf Hawaii und auf Guam aktiv. Wir haben bereits jeweils ein Team vor Ort. Soweit wir herausgefunden haben, werden dort auch nur die harmloseren Varianten des Kum’lata gespielt.“
„Was machen die ganzen Priester dort. Uns wurde von den Inseln kein Kum’do gemeldet?“, fragte Heylah.
„Marketing, das sind nichts als Marketingmaßnahmen, die rühren die Werbetrommel für die wirklich reichen und bösen Jungs.“
„Und wo finden diese ersten wirklich gefährlichen Spiele statt?“
„Das versuchen wir gerade herauszufinden. Allem Anschein nach nicht in unserer Region also im Pazifikraum. Bisher deutet alles auf Europa, was sich mit dem Fall Heidemarie Langler auch deckt.“
Heylah überlegte laut. „Also in Europa. Damit würde sich der Kreis auch schließen. Die Bösen brauchen den Vulkanzugang nicht mehr, sie haben die Ketten im Hunderterpack. Damit ist euer Ausflug beendet meine Lieben. Ich denke, dass ihr jetzt bei euch weiterkommt.“
Caroline schaute mich kurz an und fragte in die Runde.
„Was macht ihr mit den Priestern auf der Insel, wenn die weiterhin neue Priester ausbilden und nach Europa schicken, dann endet das ja nie?“
„Wir werden dem hier früher oder später ein Ende bereiten. Momentan brauchen wir noch Informationen. Ein Team ermittelt bereits im Verborgenen und ich erwarte noch heute weitere Neuigkeiten.“, stellte Ma’Difgtma fest und Heylah nickte ihr zu.
„Also dann ist das beschlossen, ich schicke euch kommende Woche zurück nach Deutschland.“ Heylah drückte einen Button auf ihrem Tablet und ihre Assistentin erschien neben ihr. Ihr flüsterte sie etwas zu und die Assistentin antwortet ebenfalls leise, danach verabschiedete sich die junge Dame umgehend.
„Kommenden Montag in der Frühe geht euer Flug zurück nach Deutschland. Die Plätze werden gerade gebucht. Caroline, du und Penelope habt noch eine andere Verabredung, ihr könnt schon gehen. Peter, du wirst von Jerome erwartet, er ist im Keller auf dem Schießstand II.
Und nun zu dir Marion. Bitte behalte Platz, deine beiden Kolleginnen kommen auch jeden Moment, ich möchte wissen, was ihr bisher herausgefunden habt.“
Aus einem der Nebenräume wurde ein Servierwagen herbeigerollt und die Mädchen servierten einige Knabbereien und gekühlte Getränke. Aus einer anderen Tür wurden Rafaela Mao und Shea Martin zu uns geleitet, sie setzten sich zu Marion Perlacher, tranken etwas und warteten auf Heylahs Worte. Auch Heylah trank etwas, darauf lächelte sie die drei an. „Schön, dass ihr drei jetzt zusammen seid, was habt ihr herausgefunden?“, fragte Heylah.

***

Penelope ging mit Caroline durch einige der Geheimtüren und sie kamen schließlich in den Privatgemächern von Penelope heraus.
„Lass uns duschen gehen, ich habe etwas mit dir zu besprechen Caroline.“ Damit schloss sich die Tür und beide entkleideten sich. Ihre makellosen Körper glänzten im Sonnenlicht und Penelope trat vor Caroline, küsste sie sanft und zog sie mit sich.
„Komm meine Nun’tschula, lass mich dir die neue Dusche zeigen. Meine Mädchen haben mir Dinge erzählt, die ich nicht glauben kann, deswegen brauche ich dich. Wir werden diese gemeinsam erkunden.“
Dusche war sicherlich ein etwas zu klein gefasster Begriff. Der Raum war hell gekachelt, die ganze Decke schien ein einziges Leuchten Meer zu sein. Zwei Becken, beide nicht mehr als 20 tief, waren im vorderen Bereich und vom oberhalb rieselte aus einer unglaublich großen Brause das herrlich warme Wasser.
„Meine Mädchen berichten von ihrer Verzückung, die Elektrizität auf der Haut vollbringen kann, wenn man das nur richtig macht. Dies will ich erkunden und habe mich beraten lassen. Also wirst du mir zeigen, was das ist, wie ich die erleben kann und was das mit mir macht. Wir werden dazu beide in den Rahmen gebunden und rücklings in das Becken gelegt. Kleine Palatunier werden ihre zarten Stromstöße auf unserer Haut verteilen. Da möchte ich sehen, wie man das ertragen kann und ab wann die Lust, zum Vorschein kommt.“
„Ich verstehe, Lust und Schmerz sind sehr nahe Verwandte. Ich will versuchen, dir das nahezubringen, geliebte Penelope.“ Mit diesem Worten huschten einige Mädchen herbei und sie banden Caroline in den ersten Rahmen. Penelope kam dazu und liebkoste Carolines Körper. „Wird es wehtun?“, fragte sie Caroline.
„Eher nicht, ich werde dir aber ganz genau berichten. Aber was bitte sind kleine Palatunier?“
„Du kennst eine verwandte Art als Zitteraal. Unsere Palatunier sind kleiner, nicht so lang und sie geben deutlich schwächere Stromschläge ab.“
„Gut, dann soll es losgehen.“ Penelope verließ das niedrige Becken während Caroline rücklings in das Wasser gelegt wurde.
„Die Palatunierfische sind wie Katzen, sie finden die wichtigen Knotenpunkte auf deiner Haut, bitte entspann dich Caroline, es geht jetzt los.“
Zwei Mädchen brachten in großen durchsichtigen Eimern die kleinen Fische herbei. Etwa fünf je Eimer. Die kleinen Fische waren etwa 15 cm lang und sie wurden in das Becken gegeben, von wo sie sich verteilten und Caroline umkreisten, ganz so, als wollten sie sie erst einmal abmessen.
Eine ältere Frau kam dazu. Sie hatte in ihren Händen kleine Stöckchen, mit diesem dirigierte sie die Fische an Carolines Körper, wo die kleinen Fische andockten.
Die ersten beiden Fische suchten sich ihren Weg auf die Haut von Caroline und blieben auf ihren Brüsten liegen, mit ihren Leibern saugten sie sich fest und Caroline fing an etwas schwerer zu atmen.
Weitere Fische verteilten sich an und auf Caroline und ihr Atem ging deutlich tiefer. Die alte Frau schien genau zu wissen, wo sich die Nervenknoten befanden. Sie dirigierte die kleinen Fische an die richtigen Stellen. „Herrlich ist das, wie ein sanftes Kribbeln, das dich durchzieht…“
Penelope schaute mit großen Augen dem Treiben zu. Eine zweite ältere Dame kam dazu und schaute, dass auch alles mit rechten Dingen lief.
„Penelope, es geht jetzt los, die Palatunierfische sind jetzt in Stimmung. Caroline begann leicht zu zucken und sie war nun sichtlich erregt.
Während die kleinen Fischlein auf der Stelle zu tanzen schienen, zuckte Caroline und ihr Gesicht zeigte ein verzücktes Lächeln. Ab und zu spritzte es im Wasser auf, als die Parunierfische den Platz wechselten oder neue angesetzt wurden.
Inzwischen wand sich Caroline in dem Rahmen. Die ältere Frau sprach leise mit Penelope und erklärte, was sich da gerade abspielte.
„Penelope, das ist unglaublich stimulierend für deine Nun’tschula, ich glaube, jetzt geht es ihr besonders gut.“ Penelopes Augen wurden großer und sie lächelte jetzt Caroline mit ihren wunderschönen Augen an.
Nach und nach wurde Carolines Körper von den Fischen bedeckt. Als die Mädchen mit den Eimern die Dusche verließen, begann Caroline rhythmisch zu zucken. Der größte Fisch kroch an Carolines Beinen weiter nach oben und haftete sich an ihrer Scham fest. Danach begann sich der Fisch rhythmisch zu bewegen.
Die ältere Frau erklärte Penelope genau, was nun kommen würde. „Es ist jetzt gleich soweit, der größte Fisch wird sich jetzt an ihr festsaugen und sie in den Himmel der Wonnen treiben, da schau.“
Caroline tobte in dem Wasser und wurde von den Wogen der Lust übernommen, die Fische stimulierten sie auf unglaubliche Weise und jagten sie von einem Höhepunkt zum nächsten.
„Ich habe jetzt genug gesehen. Jetzt will ich es auch erleben, unterbrecht das und bringt mich zu meiner Nun’tschula in das zweite Becken.“
Während Penelope in den zweiten Rahmen gebunden wurde, legte man sie in das warme Wasser. In der Zwischenzeit erhielt Caroline ein erfrischendes Getränk, dann ging das Spiel mit den Parunierfischen weiter, diesmal aber zu zweit. Es dauerte nicht lange und beide Schönheiten zuckten und gingen auf eine unsagbare Reise der Lüste.
„Soweit die Stufen eins und zwei, nun lasst uns die Stufe drei starten, bringt die Saugerfische herein.“, ordnete die ältere Frau an. Die Mädchen brachten zwei neue Fische mit dazu, diese waren aber deutlich größer und wurden auf den Nabel gelegt, wo sich die Fische sogleich orientierten und die kleinen Parunierfische von der Scham der Mädchen vertrieben, um stattdessen selbst den Platz einzunehmen.
Einige Minuten späten trieben sich Caroline und Penelope in den Wonnen der Lust umher und gerieten von einem Höhepunkt zum nächsten.
„Lasst die großen Parunierfische noch für 10 Minuten an den beiden, dann löst sie sanft ab und schaut, dass die beiden langsam aus ihrer Ekstase herunterkommen. Die heutige Nacht wird für beide unvergessen bleiben.“ Die anderen Mädchen nickten und schauten zu, wie sich Penelope und Caroline vergnügten.

***

Etwas außerhalb der Altstadt von Soulebda

Rafaela Mao, Marion Perlacher und Shea Martin saßen zusammen mit Harf’Unla, einem älteren Soulebdalesen, der mit anderen alten Frauen und Männern in einer kleinen Siedlung lebte. Über Umwege hatten die beiden zu Harf‘ gefunden und er war bereit, mit ihnen, einiges über die schwarzen Priester zu reden.
„Danke, ehrenwerter Harf’Unla, dass du Zeit für uns gefunden hast.“
„Schon gut ihr Beiden. Mein bester Freund hat mich gebeten, euch zu helfen und ich bin ihm gegenüber zu Dank verpflichtet. Aber dass sich zwei so schöne und junge Mädchen für die schwarzen Priester interessieren, das hätte ich nie geglaubt.“
„Weshalb sagst du immer schwarze Priester, das klingt wirklich böse?“
„Schaut ihr Lieben. Auf Soulebda leben wir zufrieden und glücklich. Wir haben die meisten Probleme gelöst und können dreimal im Jahr ernten. Wir haben eine liebenswerte Regentin mit einer ebenso liebenswerten Erbin, Penelope. Penelope lebt und liebt die alten Riten und liebt und lebt mit ihrer Nun’tschula das Leben gerade neu. Das ist etwas, was wir allen Regentinnen wünschen.
Aber es gibt nicht nur die guten Menschen auf Soulebda. Wir haben hier auch einige wenige schlechte, die hängen den uralten Geschichten nach, als die Götter noch grauenhaft waren und die Menschen bestraft hatten.
Da sind auch einige abgefallene Priester dabei, die sich dem Bösen verschworen haben und sie versuchen, neue Priester zu finden, die ihren schwarzen Zirkel anbeten wollen. Das sind die schwarzen Priester. Die alten, abgefallenen Priester und die jungen fehlgeleiteten, die die Prüfungen im Tempel nicht bestehen oder bestanden haben.“
„Was machen die alten Priester, wenn sie Nachwuchs brauchen. Die neuen Priester werden im Tempel ja nicht zugelassen.“
„Tja, schaut, es gibt immer mehr als eine Art Priester zu werden. Die richtige und die falsche Art. Die Richtigen kommen in die Tempel und helfen den Menschen. Die Falschen aber wollen ihr Glück, ihr persönliches Glück und ihren eigenen Reichtum. Das ist alles, was Mualebda niemals für gut finden würde.“
„Und was für Erlaubnisse, was für Rechte haben die schwarzen Priester?“
„Genaugenommen keine, denn sie sind nicht berufen, nicht vollständig geweiht. Aber einer der Schwarzen, der Oberste von denen, hatte seinerzeit fast alle Weihen durchlaufen und wäre ein guter Priester geworden, jedoch hat er bei der letzten Prüfung versagt und sich gegen die Menschen und gegen Mualebda entschieden.“
„Wurde der nicht aus dem Priesterverband ausgeschlossen, oder wie nennt man das hier?“
„Ja, schon klar. Der oberste Priester wurde ausgeschlossen und man entzog ihm alle früheren Weihen. Aber er erklärte, dass ihm nur ein Gott die Weihen entziehen kann und er lief weg. Seither macht er seine eigene Sache mit den jungen Novizen, die die Prüfungen nicht bestanden haben. All jene, die sich ihm anschließen nimmt er auf, aber wer seine schwarzen Prüfungen nicht besteht, der kommt nicht wieder aus der Prüfungskammer. Versagen ist bei ihm letal.“
„Du meinst, er hat schon Bewerber umgebracht?“
„Das wurde nie bewiesen, da es sich angeblich um Gottesurteile handelte.“
„Aber könnt ihr den Priester nicht einfach festnehmen und überprüfen, ob er Menschen getötet hat?“
„Meine liebe Tochter. Du stellst dir das alles zu einfach vor. Man nimmt hier auf Soulebda einen Priester, der die höchsten Würden erhalten hat und gesegnet wurde, nicht so einfach fest.“
„Aber du sagtest doch, die Würden seien ihm aberkannt worden?“
„Ja, aber nur von der Priesterschaft, er aber hat erklärt, dass einmal geweiht auch geweiht bleibt und nur ein Gott dies aberkennen kann. Also ist er, so seine Argumentation, noch immer ein geweihter Priester.“
„Kann da die Regentin nichts tun?“
„Heylah ist klug genug und hält sich da heraus, sie weiß genau, dass alles, was sie tun würde, falsch interpretiert würde und solange man dem Priester nichts Definitives vorwerfen kann, wird sie nichts gegen ihn tun. Aber wenn es Beweise gäbe, dann wäre das Spiel sehr schnell vorbei. Da macht Heylah, unsere Regentin kurzen Prozess.“
„Kann die Regentin tatsächlich so hart sein, sie wirkt fast zu zart und angreifbar?“
„Vertrau mir Kind. Heylah hat bewiesen, dass sie sehr hart entscheiden kann. Informiere dich über die Piratenangriffe. In der Bibliothek gibt es einiges darüber nachzulesen.“
Rafaela schaute Shea an und nickte. „Stimmt, mein Bekannter hat schon einmal darüber etwas gesagt.“
„Dein Bekannter? Du meinst wohl deinen Verlobten Jerome. Vergiss niemals Kind, du bist hier auf einer Insel, hier sehen wir alles und alle sind wir an guten, schönen Geschichten interessiert.“
Rafaela lächelte und ihr Gesicht errötete. Shea hatte noch einige andere Fragen an Harf’Unla. „Wisst ihr denn, wo der schwarze Oberpriester seine Zentrale hat, seinen schwarzen Tempel, oder was er so braucht?“
„Ich weiß nur, dass das nicht auf Soulebda ist, es müssen also die umliegenden Inseln sein. Aber vielleicht können euch meine Töchter da etwas helfen, die machen oben im Airfield ihre Ausbildung. Ich könnte ein Treffen mit ihnen arrangieren. Sie sind aber Binamora.“
„Binamora, was bedeutet das?“
„Ach das kennt ihr Europäer nicht. Die beiden sind eineiige Zwillinge und treten immer zu zweit auf, sie sind schon immer zusammen und leben und lieben zusammen. Die sind ein Paar, allerdings sind sie unfruchtbar. Bei euch ist das sicher nicht gewünscht oder sogar verboten, aber hier auf Soulebda genießen diese Personen einen besonderen Schutz.“


„Stimmt bei uns in Südamerika aber auch in Europa wird das als falsch angesehen und steht teilweise sogar unter Strafe.“
„Ja das dachte ich mir, dass ihr das nicht erkennt. Binamora Menschen empfinden unglaublich intensiv, sie können erkennen, was gut und falsch ist, sie sind lebende Xilobaten. Hmmm ihr sagt dazu lebende Polygraphen. Sie erkennen also die Lügen und sie haben ein Händchen für die gleichgeschlechtliche Liebe. Das scheint einige in Europa und Amerika heute noch zu verwirren.“
„Zugegeben, wir sind da erst ein Stück weiter, aber auf dem richtigen Weg.“
„Ja das hat mir Caroline schon berichtet, dass ihr Europäer euch bessert. Es wurde aber auch Zeit, diese alten Vorurteile endlich fallen zu lassen.“
„Caroline spricht mit dir über so etwas?“
„Naja, meisten spricht sie mit meinen Töchtern, sie hat eine Fähigkeit, sich einzubringen die ist …“
Er stutzte kurz und lächelte dann wieder.
„Ihr habt Glück, meine Töchter kommen Morgenfrüh zu mir in mein kleines Haus oberhalb des Airfield, neben dem Haus der alten Flugaufsicht, schön wäre es, wenn Caroline mitkommen könnte. Kommt bitte gegen neun Uhr wieder vorbei und nun geht bitte.“

***

Am Abend trafen sich Rafaela Mao und Shea Martin mit Peter Stein und mir in meiner Dienstvilla. „Wir haben erfahren, dass der oberste schwarze Priester auf einer der umliegenden Inseln agiert und Harf’Unla hat uns einiges über die schwarzen Priester erzählt.“
„Habt ihr auch seine Töchter kennengelernt?“
„Nein Caroline, die Töchter kommen aber morgen früh zu ihrem Vater und wir sollten dann wieder bei ihm sein.“
„Gut, wir kommen mit, ihr werdet erkennen, seine Töchter Bino’Unla und Bina’Unla sind etwas ganz Besonderes, das werdet ihr noch früh genug sehen.“
„Das trifft sich gut.“ Aus dem Nebenraum trat Madame Ma’Difgtma dazu und setzte sich mit an den Tisch und wie üblich hatte sie keiner kommen gesehen oder gehört.
„Für morgen früh solltet ihr noch einiges wissen. Bino’Unla und Bina’Unla sind nicht nur die Töchter meines alten Freundes Harf’Unla, sie arbeiten auch für Seraph Ma’Gus, ihr könnt den beiden also vertrauen. Und noch eine weitere Information.
Im Stab des schwarzen Priesters arbeitet ein Mann namens Malenk’Haus, auf den Mann habe ich Einfluss genommen und er wird den weiblichen Reizen gegenüber sehr aufgeschlossen sein.“
Ma‘ legte einige Bilder auf den Tisch, sie zeigten einen hochgewachsenen Mann Mitte 30 mit einem deutlichen Glatzenansatz.
“Eure Aufgabe wird es sein, ihn auszuhorchen. Malenk’Haus ist der Stellvertreter von Shau’Gra’Zin. Tar’Lin hat mir diese Information zukommen lassen und er hat den speziellen Trank für Malenk’Haus zubereitet.“
„Was hast du mit dem Trank vor Ma‘?“, fragte ich und Ma’Difgtma lächelte. „Malenk’Haus hat den Trank bereits getrunken und er zeigt bereits seine Wirkung. Er wird sich bei Frauen für unwiderstehlich halten, da auf der Insel aber keine Frauen sind, bleibt die Wirkung verborgen, bis ihr auftaucht.“
„Aber der schwarze Oberpriester ist doch nicht blöd, der riecht doch die Falle, wenn Caroline mit uns dort auftaucht.“, stellte Peter fest.
„Genauso ist es, deswegen haben wir Informationen durchsickern lassen, dass an dem Funkturm der britischen Armee Änderungen vorgenommen werden müssen. Seit zwei Wochen haben die dortigen WLAN Netze Ausfälle und auch wenn das Priester in der Ausbildung sind, so sind die nicht von gestern. Da hat ein jeder sein Handy. Die surfen auch recht häufig und glaubt mir, nichts ist nerviger als ein instabiles WLAN Netz. Dank Ralf Hauer ist das so und das wird sich erst mit dem Besuch von Caroline ändern. Ihr müsst wissen, hier auf den Inseln gilt Caroline als eine Art eierlegende Wollmilchsau, also als jemand, dem man alles zutraut.“
„Soso ich bin mal wieder die Wunderwaffe der Nation und ich dachte, dass das endlich einmal vorbei wäre.“ Stellte Caroline fest.
„Caroline, du bist für diese Aufgabe einfach prädestiniert und dir nimmt man das auch ab, dein Fachwissen ist vorhanden, das hat auch Hauer gesagt und wenn der jemand lobt, dann hat das seine Gründe.“
„Also gut, dann werden wir morgen mit den Binamora auf der Insel den Priestern auf den Zahn fühlen.“
„Ihr beide aber,“ Ma’Difgtma schaute Rafaela und Shae an, „ihr beide bleibt morgen früh bei mir, bei dem ersten Treffen sollten wenig Fremde dabei sein.“
„Und was mache ich bei der Runde?“ Peter stand da und hatte mehr Fragen als wir alle gemeinsam. Ma’Difgtma schaute Peter mit ihren dunklen, wachen Augen an und lächelte ihn an.
„Du machst das, was du am besten kannst. Du wirst den Oberpriester ablenken und ärgern. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du dafür wie gemacht bist.“
Alle, außer Peter begannen laut zu lachen. Ich nahm Peter in den Arm. „Schatz, es ist nun einmal so, wir setzen jeden nach seinen Fähigkeiten ein.“
Erneut lachten alle. Alle, bis auf Peter. Der nahm mich in den Arm und flüsterte mir zu, „Ich nehme dich nachher auch mit all deinen Fähigkeiten.“

***

Das alte Haus der Flugaufsicht lag oberhalb des Julam’da Airfield in der kleinen Siedlung Julam’da. Seit das Airfield zu einem richtigen Flughafen ausgebaut war, brauchte man die alten Hütten der Flugaufsicht und die alten Lagerräume nicht mehr. Zwischen Julam’da und Uhr’Luu hatte das Airfield neue Gebäude erhalten, die dichter am Flugfeld lagen und die Hangars befanden sich gut getarnt in dem weitläufigen Waldstück. Das alte Airfield hatte sich zu einem modernen Militärflughafen entwickelt.
Als Peter und ich dort eintrafen, begann gerade der Flugbetrieb und sie konnten einige der Transportflugzeuge stehen sehen. „Soulebda entwickelt sich immer weiter, mich wundert, dass die Natur so gut mit eingebunden ist. In Europa wäre deutlich mehr betoniert.“
„Ja Peter, die haben erkannt, dass man besser mit der Natur leben sollte, wir könnten in Europa noch einiges dazulernen, das da vorne ist die Abfahrt zum alten Airfield Gelände. Da, die Hütte der alten Flugaufsicht und da kommt das Haus von Harf’Unla.“ Neben dem Jeep von Harf’Unla fuhr gerade ein weiterer Geländewagen vor und zwei braungebrannte, hochgewachsene Schönheiten stiegen aus.

„Ich wusste gar nicht, dass diese Binamora solche Gazellen sind. Sag mal Schatz, wirst du dabei nicht ganz unruhig, wenn du die Mädels siehst?“
„Peter, Peter, du bist und bleibst ein Testosteronbolzen, wir sind mit einem klaren Auftrag hier und du denkst schon wieder nur an das eine.“
„Sorry Schatz, die Nacht war herrlich mit dir, aber sie war so schnell vorbei.“
Lächelnd stieg ich aus und wartete bis Peter auch neben ihr stand. Zusammen gingen wir auf das Haus zu, vor dem die Binamora warteten.
Caroline betrachtete die eineiige Zwillinge Bino’Unla und Bina’Unla und lächelte ihnen freundlich zu. Die Zwillinge waren hochgewachsen, hatten eine schöne braune Haut, dunkle, glatte Haare und ein Gesicht, in das man sich sofort darin verlieben konnte. In Europa würde solch ein Zwillingspaar ganz sicher einen Ehrenplatz im Fernsehen erhalten.
Die Zwillinge bewegten sich so leicht und elegant, als würden sie über den Boden schweben. Peter schaute mich an und grinste vor sich hin.
„Du kannst mir sagen, was du willst, aber diese Blicke waren nicht nur fachkundig und auf die heutige Aufgabe ausgerichtet, oder?“
„Schatz, die beiden sind einfach herrlich anzuschauen, nicht mehr und nicht weniger.“

***

Caroline begrüßte die Mädchen freundlich auf Soulebdahea und die Binamora Zwillinge verbeugten sich vor Caroline und antworteten auf Deutsch wie aus einem Munde, „Caroline Miles, oh erlauchte Nun’tschula von Penelope, es ist uns beiden eine Ehre, dich mit deinem Ehemann begrüßen zu dürfen.“
„Oh ihr sprecht unsere Sprache ja perfekt, das ist aber eine besondere Ehre.“
Nachdem Peter auch begrüßt war, öffnete sich die Haustür und Harf’Unla bat seine Gäste zu Tisch.
Peter war überrascht, denn an dem Tisch saßen die Ehefrau und die jüngste Tochter von Harf’Unla, die er als Gastgeber brav vorstellte.
„Das ist mein geliebtes Weib, Pin’Miala, die beste Ehefrau von allen und meine jüngste Tochter Minit’Rix, sie bereitet sich hier auf ihre Pilotenausbildung vor und will später einmal Linie fliegen.“
Pin’Miala verabschiedete sich in Richtung Küche und Minit’Rix nahm Peter an der Hand und ging mit ihm vor die Tür.
„Meine Eltern sagten, dich könne ich einiges über den Bürgerkrieg fragen, du musst wissen, ich schreibe meine Masterthesis über Soulebda und ich habe da noch einige Fragen.“
Nachdem die Tür geschlossen war, verabschiedete sich auch Harf’Unla und die Mädchen erhoben sich, führten Caroline in eine Ecke des Häuschens und knieten sich auf den weichen Teppichen Platz. Als sie ein Dreieck gebildet hatten, kamen sie sich mit den Gesichtern so nahe, wie es nur ging und die Zwillinge schlossen ihre Augen. Auf Soulebdahea begannen sie einen leisen Singsang, in den Caroline mit einstieg. Jetzt knieten die drei Grazien und sangen leise eine uralte Weise. Der Gesang ging noch eine Weile, doch dann sprachen sie, wie aus einem Munde. „Caroline Miles, wir stehen dir zur Verfügung. Wie können wir dir helfen?“ Ich öffnete meine Augen und schaute tief in die Augen der Zwillinge.
„Ich brauche Informationen von den schwarzen Priestern, wo sie sich treffen, was sie für ein Ritual haben und ich sollte ihre Geheimnisse kennen. Die schwarzen Priester haben in meiner Heimat Menschen gemordet und jetzt ist sogar ein junges Mädchen entführt worden. Ich bitte euch um Hilfe.“
Jetzt umarmten die Zwillinge mich und die beiden Grazien streichelten und küssten mich. „Entspanne dich, werde eins mit uns, entspanne dich, schließ dich unserem Geist an, entspanne dich, wir machen jetzt eine Reise zu den schwarzen Priestern.“
Wie in Trance bewegten sich die drei Mädchen hin und her, ein leiser Singsang erklang, der immer eindringlicher und beruhigender wurde. Aus dem Nebenraum trat der Vater mit einem Modernen Gewehr, wie sie auch von der Garde benutzt wurden, lud die Waffe durch und schaute zur Tür, danach sicherte er den Raum ab.

***

Auf ein Neues

Caroline öffnete ihre Augen und fühlte sich wie in einem sehr lebendigen Traum. Sie schwebte in den Wolken, danach schwebte sie über den Wolken und erkannte, dass sie von den Zwillingen begleitet wurde. Allesamt trugen sie ein hauchdünnes Gewand, das weniger verbarg, als es abdeckte.
Vor ihnen erschien die Insel Ka’lhlih aus dem Meer und sie näherten sich der Insel immer schneller.
„Keine Angst, niemand kann uns sehen.“, drang es in Carolines Gedanken ein. Sie schwebten wieder tiefer, durchbrachen die Wolkendecke auf dem Weg zum Meer.
Nun schwebten sie nahe der großen Landebahn in Richtung Westen und kamen zu dem Naturhafen in der südlichen Landesmitte.
Da befand sich in der rechten Ortschaft der Trainingspunkt der schwarzen Priester, sie drehten eine Runde und schon flogen sie weiter nach Nordwesten, über die Urwaldgebiete und gelangten zu den aufgegebenen britischen Ortschaften, im sogenannten Vogelschnabel.
Hier fanden sich zwei leere Orte und im Norden, vor der großen Siedlung, die einst hier war eine weitere Siedlung. Allesamt waren sie inzwischen verlassen.
Entlang einer hohen Scheune flogen sie zu einem alten Stollen. Der Stollen trug die Aufschrift „Talamunatara“, was so viel bedeutete wie Kupferbergwerk.
In den Eingangsstollen schwebten die drei Mädchen hinein. Ohne langsamer zu werden, flogen sie direkt dem Hauptstollen nach und gelangten in einer riesigen beleuchteten Kaverne.
In dem gewaltigen Rund befanden sich mehrere Lagerfeuer und an jedem der Feuer wurde eine Vierergruppe Priester im Nahkampf trainiert. Priestertraining im Nahkampf, etwas, das gar nicht so recht zusammenpasste.
Im Zentrum befand sich eine gut fünf Meter breite Erhöhung und darauf eine auf den Felsboden eingebrachte Zeichnung mit einer unleserlichen Inschrift.
Von der Seite kam jetzt der oberste schwarze Priester und einige der Wachen. Die Wachen schleppten einen Mann herbei, den man vorher ganz offensichtlich hart ausgepeitscht hatte. Den armen Mann banden sie in einen hölzernen Rahmen und legten ihn mit dem Rücken auf das eingezeichnete Symbol am Boden. Als der oberste Priester die Arme hob, da verwandelte sich die unleserliche Schrift am Boden in ein bewegliches etwas und eine Hand formte sich, die den armen Gefesselten umschlang und mit brachialer Gewalt aus dem Holzrahmen herausriss.
Dabei musste eine Hand des Gefangenen abgerissen sein, denn die hing noch da, während alles andere in dem kochenden Zeichen wie in einem Kochtopf brodelnd versank. Wie ein lebendiges Wesen krabbelte etwas dunkles aus dem Opferplatz und umschlang die abgerissene Hand. Fast sah es so aus, als koche die Hand. Als die schwarzen Schatten von der Hand abließen, da befanden sich da nur noch glatt abgenagte Knochen.
Da erhob der oberste Priester erneut seine Hände und rief Worte, die die drei Mädchen diesmal verstanden.
„Bringt mir jetzt die Verräter zur Opferung an unseren Gott, bringt mir die Verräter.“

***

Jedoch, noch ehe sie sehen konnten, wer da in den Raum gebracht wurde, erschütterte ein heftiger Stoß die Höhle und die drei Mädchen wurden zurückgerissen. Wie von einem gespannten Gummiseil gezogen, wurden sie aus der Höhle gerissen.
Rasend schnell verschwanden sie von der Insel und da wurde es urplötzlich hell und Caroline schaute in Peters Gesicht.
„Schatz, was ist los mit dir, ist alles klar?“
Am Tisch saß Harf’Unla und hielt sich sein Gesicht, er hatte offensichtlich ein blaues Auge.
„Schatz, bist du, seid ihr wieder bei mir?“ Wiederholte Peter seine Frage und ich sprang ihn wie eine Furie an.
„Verdammt, wir standen gerade davor das Geheimnis zu lüften, da reißt du uns aus der Trance, was sollte das?“
Die Zwillinge waren bereits bei ihrem Vater und sorgten sich um sein blaues Auge.
„Ich kam zurück und lief ihm da mitten in das Gewehr, ich glaube, der wollte mich erschießen.“
„Niemals!“ Riefen die Zwillinge im Duett, „er wollte uns drei doch nur beschützen.“
Ich stand da mit gespreizten Armen in die Hüfte gestemmt und mein Blick verhieß nichts Gutes. Draußen hörten wir gerade noch einen Wagen wegfahren, als Caroline Peter klar machte: „Du entschuldigst dich auf der Stelle bei allen hier, du hast eine heilige und sehr wichtige Erkundung gestört. Jetzt mach das wieder gut!“
Peter schaute in die vorwurfsvollen Augen der Anwesenden. Er hatte da offenbar einen schweren Fehler gemacht und die Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Jetzt begann er sich bei allen zu entschuldigen und nach und nach kam wieder etwas Entspannung auf. Der Vater nickte und winkte ab. „Ist gut, du hast es falsch gedeutet.“

„Wo ist eigentlich Minit’Rix?“, fragte Peter, als er mit seiner Bitte um Vergebung durch war.
„Lenk nicht ab. Vermutlich hält sie Wache da draußen.“ Meinte ich. „Moment, ich schau nach.“ Mit diesen Worten war Harf’Unla bereits draußen vor der Tür und kam kurz danach zurück. „Minit’Rix fehlt, ich fand ihre Waffe und ihr Messer, sie fehlt, aber da draußen sind Spuren eines schweren Fahrzeugs. Offenbar ein Transporter.“
„Das war das Fahrzeug von eben, das wir hörten.“
„Irgendwer hatte uns in der Beobachtung, oder habt ihr Feinde?“
„Wir haben hier Freunde aber keine Feinde, das war etwas anderes, ich glaube, man will uns warnen.“
Rasch nahm ich mein Smartphone. „Hallo Control, hier spricht Caroline Miles …“, Ich schilderte den Vorfall und eine Minute später erhielt sie eine Rückmeldung. „Wir haben noch zwei Hubschrauber mit Suchteams in der Luft, die kommen gerade von einer Übung und haben noch Sprit für eine Stunde. Von euch aus können die Entführer nur in zwei Richtungen fahren, wir melden uns. Ein Tanklaster wird zu euch kommen, um die Hubschrauber zu betanken.“
„Glück im Unglück, jetzt sollten wir warten.“, fand Harf’Unla zu den Zwillingen.

***

Eine halbe Stunde später flogen zwei BK-117 Hubschrauber mit Kampfbesatzung ein und landeten vor dem Haus auf dem freien Platz der alten Flugaufsicht. Sofort fuhr der bereits wartende Tanklaster zwischen die beiden und begann das Nachtanken. Eine Wartungsmannschaft überprüfte kurz die beiden Maschinen.
Zehn Minuten später flogen Peter und ich mit der Einsatzgruppe los. Peter im rechten und ich im linken Hubschrauber.
„Da vorne ist die Kreuzung, ab da gibt es zwei mögliche Fluchtrichtungen.“, sagte der Kommandoführer und beorderte die zweite Maschine auf den anderen Weg. Wir folgten dem ersten Fluchtweg und fanden deutliche Fahrspuren. Das Fluchtfahrzeug war hier unterwegs gewesen und es fuhr schnell, zu schnell für die Gegebenheiten, also kannten die Entführer die Gegend nicht.
Der Kommandoführer befahl den anderen Trupp, die keinerlei Spuren gefunden hatten, wieder zu uns und wir suchten weiter. Im starken Scheinwerferlicht erkannten wir, dass es da vor uns einen Unfall gegeben hatte. Das Fluchtfahrzeug hatte einen Baum gestreift und dabei war die Heckklappe aufgerissen worden. Verbeult lag die abgerissene Tür am Straßenrand.
Ein vermummter Entführer lag still in seinem Blut. Vor uns fuhr der Kastenwagen und schlingerte über die schlechte Fahrbahn, kam in einer Kurve aus der Spur, schleuderte und kippte schließlich um. Aus der offenen Heckklappe rannte das Mädchen auf die gelandeten Männer zu, während der zweite Hubschrauber von der anderen Seite absicherte. Mit seinen starken Scheinwerfern blendete er die Entführer in dem Fahrzeug und Minit’Rix rannte weiter zu uns. Sie erkannte uns als Soldaten und lief direkt in meine offenen Arme.
Das war das Zeichen und die beiden Mannschaften der Einsatzgruppe schlugen zu!
Der Kampf war kurz und von den drei an Bord befindlichen Entführern kamen zwei im Kugelhagel um. Einzig der Beifahrer, der anders gekleidet war, wurde abgeführt.
Peter wechselte wieder zu mir in den ersten Hubschrauber und während die des zweiten Teams mit dem Gefangenen wegflogen, kehrten wir zurück zum Elternhaus von Minit’Rix.
Nachdem wir uns ausgiebig bedankt hatten, flog der Hubschrauber weiter. Peter aber sah mich an und meinte „Das sollte eine Warnung an uns sein. Die Familie war es sicher nicht, die sind hier zu unbekannt, also ist man hinter uns her, irgendwer wurde aufmerksam auf uns.“
Drinnen im Haus verabschiedeten wir uns von dieser netten Familie. Wir hatten neue Freunde gefunden und ich würde hier bestimmt nochmals vorbeikommen, das hatte ich mir fest vorgenommen. Minit’Rix verabschiedete sich ausgiebig von Peter und die beiden machten einen Folgetermin aus, um Minis Arbeiten weiter zu fördern, und die Zwillinge standen vor mir und wir tauschten unsere Adressen aus.
„Das war eine unglaubliche Reise, ich danke euch beiden dafür, verzeiht Peter, er hat da etwas falsch verstanden aber gut und schnell reagiert.“
„Caroline, wir haben das mit Papa bereits besprochen und bei unserem nächsten Treffen wird das besser ablaufen, lass uns auf das Treffen nicht so lange warten, je frischer die Erinnerungen, desto besser sind die Ergebnisse.“
Bereits am nächsten Tag wollten wir uns wieder treffen und wir würden da auch einige Gardisten mitbringen, sicher ist sicher. Damit verabschiedeten wir uns.
„Ja Schatz, lass uns nach Hause fahren.“ Peter schwang sich hinter das Lenkrad und ich lud meine Waffen durch. „Bereit Schatz?“ Peter grinste wieder, „Bereit wie immer, ich fahre und du schießt.“

Mit diesen Worten fuhren wir los, doch uns folgte kein Fahrzeug.

***

Heylah hatte unseren Bericht im Palast vernommen und uns noch ein paar Fragen gestellt. Der Kommandoführer der Einsatzgruppe, Hauptmann Vergel’Tham, ein Mann mit vielen Auszeichnungen, war ebenfalls da und wartete, bis er an die Reihe kam.
„Gut ihr beiden, dann wünsche ich euch diesmal mehr Glück, ihr bekommt einen Trupp Gardisten mit. Die warten bereits draußen vor der Tür.“ Damit waren wir entlassen und Heylah sprach mit dem Hauptmann der Einsatzgruppe, als wir das Zimmer verließen. Draußen standen oder saßen ein Dutzend Gardistinnen in leichter Kampfausrüstung und sie stellten sich um uns auf.
„Caroline Miles und Peter Stein, wir grüßen euch.“, begrüßte uns lächelnd eine junge, drahtige Frau. Ich bin Oberleutnant Jihn’Nieh, ihr könnt mich Jinny nennen und das ist mein Kommando.“ Sie stellte uns ihr Kommando vor und war ganz offensichtlich stolz, dass sie uns begleiten durften.
Die anderen Gardistinnen lächelten uns an.
Jede der Mädchen hatte mindestens die goldene Nahkampfspange und ein, oder zwei Kampfabzeichen, das waren also keine unerfahrenen Vorzeigesoldatinnen.
Mit einem Jeep und zwei Kleinbussen fuhren wir erneut zum Haus von Harf’Unla. Unterwegs wies ich Jinny ein und erzählte auch von der Entführung. Am Airfield angekommen, übernahm Jinny die Einteilung und wir gingen bereits in das Haus hinein.
Harf’Unla, Minit’Rix, Bino’Unla und Bina’Unla erwarteten uns bereits am Tisch sitzend und nach einem Tee nahmen die Mädchen mich zu sich und wir gingen wieder in die Ecke, und erneut bereiteten die Mädchen mich auf die Reise vor.
Peter, Harf’Unla und Minit’Rix hielten sich zurück. Harf‘ hatte wieder sein Gewehr geladen und Minit’Rix schaute gebannt ihren Schwestern zu.
„Keine Sorge, diesmal haben wir Gardisten mitgebracht, eine zweite Entführung wird es nicht geben. Minit’Rix, bitte bleibe im Haus, bei deinem Vater, ich gehe draußen zu den Gardistinnen.“
Harf’Unla legte seine Hand auf Peters Schulter. „Bitte gebt auf euch acht, das waren böse Menschen.“ Peter bestätigte den Händedruck und lächelte zurück. „Wir versuchen unser Bestes.“
Inzwischen hatten die Zwillinge mich wieder in ihren Bann gezogen und ich fühlte, wie ich mich leichter fühlte, gerade so, als würde ich mich aus meinem Körper lösen. Schon schwebte ich inmitten der Zwillinge über dem Haus und unsere Körper blieben gesichert im Haus. Wir konnten sogar die Gardistinnen sehen, die in zwei Reihen absicherten, da schwebten wir nach Westen auf das Meer zu und ab da zogen mich die Zwillinge durch die Wolken und wir wurden schneller und schneller.

***

Nahe der Insel verließen wir die Wolken und schwebten am dortigen Flughafen vorbei nach Westen, am Trainingspunkt vorbei. Das Camp schien verlassen. Von den zwei Dutzend Männern, welche wir gestern noch sahen, gab es keine Spur.
So schwebten wir über die Insel und ich erschrak, als ich einen Schatten bemerkte. Etwas Großes flog über uns.
„Habt ihr das bemerkt. Über uns schwebt etwas, könnt ihr etwas erkennen?“
„Nicht richtig, es ist zu hoch, schaut aber wie eine Art Raubvogel aus. Wir haben diese Erscheinung schon ein paar Mal bemerkt, aber da sie sich uns nicht genähert hat, ignorierten wir sie.“
Wir schwebten weiter und ich war mir sicher, dass ich diese Umrisse bereits gesehen hatte, aber einige Wolken verdeckten mir die Sicht.
Und so ging es weiter auf die Westseite, zu dem alten Kupferbergwerk und drangen in den Stollen ein. Erneut flogen wir den langen Weg bis zu dieser großen Kaverne und schwebten endlich langsam zu Boden und in Deckung.
Vor uns hatten sich die schwarzen Priester versammelt. Das waren über zwanzig an der Zahl und der oberste Priester stand wie ein Gelehrter vor den anderen, sein Stellvertreter neben ihm und da erkannten wir die am Boden knienden. Das waren Novizen, die mit nacktem Oberkörper da knieten und ich konnte ihre mit blutigen Striemen übersäte Rücken sehen, man hatte sie also gefoltert.
„Ihr seid eines schwarzen Priesters nicht würdig. Ihr habt uns entehrt und habt versagt. Ihr verdient die Ehrung nicht. Und jetzt du da, bringt ihn her, den Unwürdigen.“
Ein weiterer Mann wurde von zwei anderen flankiert halbwegs hergeschleppt. Auch er hatte überall am Körper rote Striemen.
„Du solltest die Spione des Palastes ausschalten und die Tochter zu mir bringen. Aber anstatt, dass du selbst mitgehst, hast du diese Unwürdigen geschickt und das Ende war ein Versagen. Du hast versagt und du wirst dafür bestraft. Bindet ihn in den Läuterungsrahmen und dann bringt ihn zu Opferplatz.“
Wie bereits am Vortag, wurde der arme Mann in einen schweren hölzernen Rahmen x-förmig gestreckt fest eingebunden. Den Rahmen trugen vier kräftige Novizen zu der runden Opferungsstelle und stellten ihn am Rand auf.
Unten in der Kaverne knieten noch die beiden anderen gefesselt und von vier Novizen bewacht. Vier weitere standen am Holzrahmen und neben dem obersten Priester stand sein Stellvertreter. Zusammen mit all den anderen zählten wir in der Kaverne 25 schwarze Priester, das musste offenbar alle auf der Insel sein. Hier sollte ein Exempel statuiert werden und das machte ja nur Sinn, wenn alle dies sehen konnten.
„Hängt den Verräter im Rahmen in die vier Ketten ein und kommt dann herunter, ehe ich unseren Gott Koulne’bar anrufe.“, bestimmte der oberste Priester.
In meinem Kopf hörte ich die Zwillinge. „Vergiss niemals Caroline, hier ist nur dein Geist, du kannst hier nicht interagieren, du bist hier nicht körperlich, du kannst nur zusehen, mehr nicht.“
„Ja, leider, wie gerne würde ich den obersten Priester hier zur Rechenschaft ziehen.“
„Das wissen wir, wir können in der Geisterform in dir lesen, wie in einem offenen Buche. Caroline Miles und sei dir versichert, wir lieben dich, dein Geist ist wach und ehrbar und du hast ein unglaubliches Potential. Wir glauben … Achtung, da vorne geht es jetzt los.“

Die vier Schergen hatten den armen Menschen im Holzgestell an die vier Ketten gebunden und über die runde Opferstätte gehoben, jetzt hing er gerade 30 cm über dem Opferplatz und unter ihm schien sich die Aufschrift zu ändern. Es sah so aus, als würde die Schrift verlaufen.
„Oh Gott Koulne’bar, komm herbei und nimm dieses unwürdige Opfer dar. Verzehre es bei lebendigem Leib und strafe es durch ewige Verbannung!“ Nun senkte der oberste Priester seine Hand und die Kette bewegte sich herab. Langsam senkte sich der Rahmen tiefer und als er noch knapp 10 cm vom Boden entfernt war, da schien es, als griff eine Hand aus dem Opferplatz nach dem Gefesselten. Zappelnd und schreiend durchlitt der Mann in dem Holzrahmen Todesqualen.
„Was ist das da, erkennt ihr etwas?“
„Ja, das ist kein Gott, das sind fleischfressende Karabäas Käfer, eine Unterart der Speckkäfer oder Skarabäus Käfer, die ihr kennt. Oh Mualebda, das müssen Abermillionen von denen sein. Diese Käfer Art wird bis zu einem cm groß und frisst Aas, aber alles was lebt und sich in ihrer Reichweite befindet. Das muss ein grausamer Tod sein, lebendig gefressen zu werden.“
Inzwischen war der Gefesselte vollständig von den herumwuselnden Tieren bedeckt und die Schreie des Mannes wurden allmählich leiser. Schließlich verstummte das Geschrei und es wurde stiller. Jetzt hörte man auch, wie die Millionen Käfer sich am Fleisch gütig taten und Stück für Stück das Fleisch abnagten. Da jeder Käfer nur einige Bissen zu sich nahm und dann wieder verschwand, machte er so neuen Käfern Platz.
„Gott Koulne’bar hat sein Opfer angenommen. Der Unwürdige ist zunichtegemacht.“ Rief der oberste Priester. An dem Holzgestell kochte der Boden. Wir wussten ja, dass hier Unmengen von Käfern waren, die sich satt fraßen, aber ein Unwissender würde darin ein Gottesurteil sehen.
„Oh Mualebda hilf uns, dass dieses Grauen hier endet!“, rief ich voller Inbrunst und die Zwillinge sahen mich mit ihren großen Augen an. Sie spürten, dass ich das wirklich ernst meinte. „Oh Mualebda, hilf uns, lass das hier enden!“
Jetzt schauten sich die Zwillinge an, um dann ihren Blick wieder auf mich zu richten. Sie waren beeindruckt, das merkte ich aber erst jetzt.
„Caroline, woher hast du diese unglaubliche Willenskraft, wir können diese Kraft in dir spüren, die ist so stark… solch einen Willen haben wir lange nicht mehr erlebt. Du bist so stark und laut in deinen Gedanken, dich wird Mualebda bestimmt hören. Wie kommt es eigentlich, dass eine Europäerin wie du an unsere Göttin glaubt?“

Ehe ich antworten konnte, drang aus dem zentralen Zugang der Höhle ein lauter Schrei eines Greifvogels. Die Zwillinge schauten mich an und riefen zugleich „Sie kommt, Mualebda hat uns gehört, sie kommt, duck dich Caroline.“

Was dann geschah, konnte ich erst nicht glauben. Eine riesige Harpyie kam hereingeflogen und ich wussten ja, dass diese Raubvögel in Höhlen jagen konnten, aber das da vor uns war keine normale Harpyie. Sie war deutlich größer und schien am ganzen Körper zu leuchten. Ihr Gesicht war voller Zorn und diese strahlenden, bernsteinfarbenen Augen kannte ich.
Die beiden Wächter am Höhleneingang wurden beiseite gefegt und stürzten zu Boden, da begann die Harpyie in der Kaverne zu kreisen und wurde schneller und schneller. Die ersten Novizen schrien auf, konnten aber nicht entkommen. Schneller und immer schneller werdend, flog dieser Raubvogel durch die riesige Kaverne.
„Verbrennt sie, verbrennt sie!“, schrie der oberste Priester und die Novizen warfen alles Brennbare nach dem riesigen Vogel, Fackeln und brennende Ölschalen flogen auf die Harpyie zu und irgendwann trafen die brennenden Fackeln die ölgetränkte Harpyie und ein Flammenmeer erhob sich. Die brennende Harpyie schien großer zu werden und kreiste durch die Höhle, einen brennenden Feuerschweif hinter sich herziehend.
Die ersten Novizen wurden von ihren Plätzen vertrieben und standen kurz danach in Flammen. Der oberste Priester, der vor einem dunklen Tunnel stand, fluchte dunkle Sprüche, die wir nicht verstanden, aber nach und nach schien die ganze Höhle Feuer zu fangen. Die flammende Harpyie raste weiter, drehte zur Mitte der Kaverne und drehte nach einer halben Drehung direkt auf die Opferstätte zu. Mit einem Fauchen schlug sie in der Stätte ein und eine wahre Feuer Explosion ergoss sich in diese unglaublich große Kaverne. Was bisher noch nicht gebrannt hatte, stand spätestens jetzt in Flammen. Mit einem mächtigen Feuerschlag tauchte die brennende Harpyie wieder auf, sie brannte mit unglaublich heller Intensität, dass es sogar uns unangenehm wurde.
Wieder kreiste die Harpyie durch die Höhle, aber die Feuer erloschen nach und nach. Keiner der Novizen stand noch auf den Beinen. Sie lagen brennend auf dem Boden und brannten lichterloh. Von dem obersten hohen Priester aber fehlte jede Spur.
Langsam kam die Harpyie auf uns drei zu. Die Flammen an und um sie, waren erloschen und wir konnten ihre bernsteinfarbenen Augen sehen. Ihr Gesicht war nicht mehr zornig. Sie verbeugte sich kurz vor uns, drehte und flog durch den Tunnel wieder hinaus.
„Hast du diese Augen gesehen Caroline? Was war das eben, hat sich diese Harpyie vor uns verbeugt Caroline?“
„Nein, ich denke, sie hat sich nicht vor uns verbeugt, sie hat uns zu verstehen gegeben, dass sie uns durchaus sehen kann und wir sollten jetzt besser sofort diese Kaverne des Todes verlassen.“
Wir schwebten zurück über die Insel und näherten uns wieder Soulebda. Bei einem Blick zurück erschraken wir, da sahen wir oben aus dem Himmel etwas Glühendes auf die britische Insel stürzen. Etwas glühendes, Brennendes stürzte rasend schnell vom Himmel herab.
Das rasende glühende Etwas schien am Ende fast senkrecht auf die Insel zu treffen und schlug mit einer mächtigen Explosion auf der Westseite der Insel ein.
Eine mächtige Wolke hatte sich gebildet und wir waren uns sicher, die Menschen würden das für einen Einschlag halten. Nur wir, die wir dabei gewesen waren, wussten es ja besser.
Wir sammelten unsere Kräfte und betrachteten diese ferne Wolke am Horizont. Zurück im Haus schauten in die fragenden Gesichter von Harf’Unla, Minit’Rix und Peter.
„Was war denn das wieder?“, legte Peter los. Wir atmeten durch und tranken etwas, daraufhin erzählten Bino’Unla und Bina’Unla wie aus einem Mund.
„Wir waren auf der Insel in dem Stollen, in dem die schwarzen Priester ihre Opferungen abhalten. Sie bestraften gerade einen ihrer Gefangenen, da stürzte sich Mualebda in der Form einer riesigen Harpyie auf die Priester und hat sie alle getötet. Der ganze Stollen ist danach explodiert.“ Harf’Unla, Minit’Rix und Peter schauten uns fragend an, da kam Jinny von draußen hereingerannt und unterbrach uns.
„Gerade wird berichtet, es hat auf Ka’lhlih eine gewaltige Explosion gegeben, die Verwaltung der Insel sagte, dass eventuell ein kleiner Komet in der alten Kupfermine im Westen eingeschlagen sei. Die Westinsel am Schnabel ist wohl total verwüstet.“
„Nur gut, dass dort keine Menschen mehr lebten, das hätte die alle mitgenommen.“
„Genau, ansonsten ist alles ruhig, ich geh zurück zu meinen Leuten von der Palastgarde, wie lange braucht ihr hier noch?“
„Maximal eine Stunde.“, antwortete ich und die Zwillinge nickten mir zu. Damit war die Tür geschlossen und die Zwillinge konnten nicht mehr an sich halten.

***

„Papa, Minit’Rix, Peter, wir haben sie gesehen, wir haben sie gesehen!“, sagten die Zwillinge, wie aus einem Munde.
„Wen habt ihr gesehen Kinder?“
„Wir haben unsere Göttin gesehen, Mualebda, wir haben Mualebda gesehen, sie hat das getan, sie war das mit der Explosion, das waren keine Sprengstoff Reste, Mualebda hat die schwarzen Priester ausgelöscht. Sie hat den halben Schnabel vernichtet.“
Peter sah die Zwillinge und danach schaute er mich an. „Wie sahen ihre Augen aus?“ Dabei lächelte er mich an. „Wie leuchtender Bernstein, diese leuchtenden Augen werden wir nie vergessen.“
Die Zwillinge strahlten uns mit einem Leuchten im Gesicht an, denn sie hatten etwas gesehen, an das sie bisher nur geglaubt hatten und nun hatten sie eine Bestätigung ihres Glaubens erhalten.
„Bino’Unla und Bina’Unla, ihr beide habt etwas ganz Seltenes gesehen. Bewahrt das in euren Herzen auf und überlegt euch gut, wem ihr das erzählt. Eines aber wollen wir euch sagen. Wir beide haben die Göttin auch schon gesehen und wer einmal in ihre Augen gesehen hat, der vergisst sie niemals wieder. Haltet diesen Gedanken fest in euren Herzen.“
„Ihr beiden habt sie auch gesehen, aber ihr seid doch Europäer. Glaubt ihr wirklich an unsere Göttin Mualebda?“
„Oh ja, wir glauben an sie, selbst Peter hier hat sie gesehen und er glaubt inzwischen fest an sie.“
Nun erzählten wir der Familie, von unseren Erlebnissen von Alofi und dem Piratenschiff Wu Dong, blieben dabei allerdings in der Kurzform und waren doch so überzeugend, dass die Zwillinge uns beide küssten.
„Ihr beiden seid gesegnet. Wir danken euch, dass ihr uns geholfen habt die schwarzen Priester zu vernichten. Wenn man uns fragt, dann haben wir nichts gesehen. Wie auch, wir waren ja hier, die ganze Zeit über.“
Nach der Verabschiedung von der Familie schaute mir Peter genau in die Augen. „Und du bist sicher, dass ihr alle schwarzen Priester vernichtet habt?“
„Ich hoffe doch, der oberste Priester stand sehr nahe an einem Loch, mehr kann ich nicht sagen, aber ich hoffe, dass gerade der Anführer verbrannt ist.“
„Lass uns heimgehen Schatz.“ Damit umarmte ich meinen Peter und küsste ihn lange, bis Jinny kam mit der Einsatztruppe und wir fuhren heim. Dabei verlief die Rückfahrt seltsam ruhig und still.

***

Von der Insel Ka’lhlih stieg schwarzer Rauch empor. Aus einem am Wasser gelegenen kleinen Tunnel kroch ein dampfender Mann, dessen Kleidung zerrissen und in Fetzen vom Körper herabhing. Der Mann zitterte am ganzen Leib und die Haut des Mannes war an vielen Stellen massiv verbrannt, so dass Schmerzen den Mann durchliefen, der sich mit letzter Kraft in ein kleines Motorboot zog und auf das Meer hinaus verschwand.

***

JVA Mainstadt

„Dafore.“ Meldete sich Jessica, als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Wie bei jedem Abenteuer war sie die Hauptleidtragende, denn zu ihrer sowieso schon umfangreichen Arbeit, kamen auch einiges von Carolines und meiner Arbeit hinzu, die sie erledigen musste. Allerdings hatte sich Thekla, Franks Vorzimmereminenz, bereiterklärt sie in diesen Situationen zu unterstützen, und dies, ohne dass Frank sie extra darum bitten musste. Auch dies zeigte den Geist, der unter uns herrschte, dennoch hatte Jessica einiges mehr um die Ohren.
„Guten Tag, hier ist Hubert Neid vom Autohaus Mainstadt am Südring. Herr Stein gab mir diese Telefonnummer, ich sollte Bescheid geben, wann der Neuwagen von Herrn Stein und Frau Miles abholbereit sei. Der Wagen könnte jetzt abgeholt werden.“
„Abgeholt?!“
„Ähm… ja… der Wagen steht zur Abholung bereit.“
„Herr Neid! Denken sie nicht, bei einem Auto dieser Preisklasse, wäre es angebracht, wenn sie den Wagen vorbeibringen würden?“
„Nun… ich…“
„Fernstraße 34. Ich erwarte sie gegen vierzehn Uhr. Danke!“ Wies ihn Jessica an und legte den Hörer auf, während am anderen Ende der Leitung ein ratloser Herr Neid auf den Hörer starrte.

***

14:00 Uhr
„Jede Wette, das ist er.“ Sagte Hannes zu Johann, die gemeinsam an der Außenpforte der JVA standen und zusahen, wie ein verzweifelter Fahrer sich ratlos suchend umsah. Das letzte Wohnhaus vor der JVA hatte die Hausnummer 28, dann kam schon die JVA und das nächste Wohnhaus hatte die Nummer 42. Mittlerweile war der Mitarbeiter des Autohauses vier Mal an der JVA vorbeigefahren und suchte die angegebene Hausnummer. Etwas abseits der Einfahrt blieb er nun stehen und telefonierte mit dem Handy.
„Wollen wir ihn erlösen?“ fragte Gratzweiler, „Wenn der noch ein paar Mal vorbeifährt, macht er die ersten tausend Kilometer voll, bevor die zwei Chaoten ihr Auto bekommen.“
„Ok, gehen wir.“
Die Drei verließen die Pforte und gingen auf das Auto zu, in dem der Mitarbeiter in Schweiß ausbrach, als er die Männer, in voller Montur auf sich zukommen sah. Am Wagen angekommen klopfte Hannes mit seinem zusammengeschobenen Schlagstock leicht an das Fenster und der Mitarbeiter ließ die Scheibe herunter.
„Bitte?“
„Ist das der Wagen von Miles und Stein?“
„Ähm… ja… es hieß Hausnummer 34…“
„Sie stehen vor Nummer 34.“ Teilte ihm Hannes mit, zeigte auf die JVA und öffnete die Tür, was den Mann dazu veranlasste auszusteigen, während Hannes sich hinter das Lenkrad setzte. Anerkennend nickend ließ der seinen Blick über die Armaturen und den Innenraum schweifen, als der Mann fragte, „Und sie sind Herr Stein?“
Hannes schloss die Tür, schüttelte den Kopf und meinte dann nur „Nö!“, legte den ersten Gang ein und brauste zur Schleuse.
„Aber…“
„Nur die Ruhe.“ Brummte Johann und legte dem Mann die Hand auf die Schulter, „Das geht in Ordnung. Kommen sie einfach mit.“ Und um den Spaß abzurunden, nahmen er und Gratzweiler den armen Kerl in die Mitte und führten ihn zur JVA.
Nur fünf Minuten später verließ ein sichtlich erleichterter Mitarbeiter des Autohauses die JVA, nachdem ihn Jessika mit einer Vollmacht von Caroline und mir ihn erlöst hatte.
Im Vorhof zum inneren Schleusentor standen unsere Freunde und nahmen das Auto genau unter die Lupe. „Nicht schlecht die Karre“. meinte Johann und grinste, „was glaubt ihr, wie lange sieht sie bei Peter so neu aus?“
„Definiere das SO NEU etwas genauer.“ Fragte Gratzweiler, der die Wette hinter der Frage erkannte.
„Ich meine; ohne Dellen, Rammspuren, Einschusslöcher oder Explosionsschäden.“
„Drei Monate!“
„So lange?“ fragte Hannes und legte nach. „Ich gebe der armen Karre höchstens zwei Monate.“
„Sechs Wochen.“ Gab Johann sein Gebot ab. „Der Verlierer gibt eine Party mit Stoff.“
„Mit oder ohne Stripperinnen?“ wollte Hannes wissen.
„Ohne!“ Stellte Gratzweiler klar, der die Gefahr sah, dass seine Freundin IHN, beim der nächsten Schützenmeisterschaft als Zielscheibe aufstellen könnte.
„Ok, dann eben eine Party mit Stoff, aber ohne Stripperinnen, die Wette gilt.“

***

Tel Aviv

„JA?“ fragte General Lem, Chef des Mossad, als Soraya, seine Sekretärin, ihn anrief.
„Frank Brauer ist am anderen Ende der Leitung, er sagt, du hättest ihn gebeten anzurufen, wenn etwas Bestimmtes geliefert wird.“
„Stell ihn durch… und herzlichen Glückwunsch zur Beförderung.“
„Danke, ich habe übrigens gehört, dass noch NIE jemand vom OF-2 direkt zum OF-4 befördert wurde. Da hattest nicht zufällig du die Finger im Spiel?“
„Natürlich nicht! Du kannst die Regeln, keine Beförderungshinweise in der eigenen Abteilung.“ Log Lem, was Soraya natürlich sofort durchschaute. „Aber, wer immer so entschieden hat, er hat das Richtige getan und du hast es mehr als verdient.“ Und das war die absolute Wahrheit!
Soraya hatte immer im Schatten von Lem und Levi gestanden, doch sie war seit ihrem Zusammenkommen als Team unter Dagan, immer ein wichtiger und nicht selten, ein entscheidender Kopf in ihrem Kampf.
So hatte Soraya, als die Piraten des Stechers das Hotel auf Alofi angegriffen, in dem die Familienmitglieder der UNO untergebracht waren, neben ihrem General im gleichen Dreck gelegen und einen Angriff nach dem anderen abgewehrt, bis die Armee schließlich die Lage unter Kontrolle bekam.
Als man Soraya dann zu Major befördern wollte, griff Lem ein und beförderte sie über den Kopf der Armeeführung eine weitere Stufe.
Natürlich wollte die Armeeführung das nicht einfach hinnehmen, als Dagan, mittlerweile Leiter von GIPSY bei der neuen Ministerpräsidentin anrief und diese an Heylah, der Regentin von Soulebda weiterleitete.
Weniger als drei Stunden später, kam die Bestätigung, dass Soraya Davidson mit sofortiger Wirkung zum Oberstleutnant befördert wurde!
Allerdings machte Soraya die Annahme der Beförderung davon abhängig, weiter unter Lem dienen zu können und der hatte nicht das geringste Verlangen, eine seiner engsten Freundinnen und beste Mitarbeiterin ziehen zu lassen. Also blieb „alles beim Alten“ und alle waren damit zufrieden.
„Hallo, Exfreund des Stechers.“ Meldete sich Lem, nachdem Soraya durchgestellt hatte.
„Na, du Schreck aller Piraten?“, konterte Frank und grinste. Mittlerweile kannten sich Frank, Lem, Levi, Soraya und Decker seit fast dreißig Jahren. Gemeinsam hatten sie einiges er- und überlebt. „Hast du deine neue Ministerpräsidentin im Griff?“
„Natürlich, abgesehen davon, dass sie aus der zweiten Reihe kommt, verfolgt sie tatsächlich eine vernünftige Politik.“ Bei Lem hieß das, dass sie für Stabilität und Frieden in der geplagten Region Nah-Ost eintrat, sich aber auch nicht einschüchtern ließ.
Frank kannte Lem genug, um zu wissen, dass dies das größte Lob darstellte, welches sich dieser abringen konnte.
„Das Auto ist da?“, wollte Lem wissen.
„Ja, es kam vor einer Stunde an. Also, warum interessiert es den Mossad, wenn sich zwei meiner Beamten ein neues Auto kaufen?“
„Dagan und ich machen uns etwas Sorgen um die Sicherheit, einer unserer… ehemaligen Mitarbeiterinnen.“
„Ehemalige Mitarbeiterin?“
„Ach, du kennst doch Normans Meinung dazu, einmal dabei, immer dabei, dem habe ich nichts hinzuzufügen. Jedenfalls würde ich gerne ein Team vorbeischicken, das sich den Wagen einmal genau ansehen soll, um gegebenenfalls angebrachte Sender oder andere Vorrichtungen zu finden, die da nichts verloren haben.“
Das konnte Frank nachvollziehen. Wusste ein potentieller Gegner, dass sich eine Mossad Agentin ein neues Auto kaufte, konnte er schon früh eine Abhöranlage, einen Ortungssender, oder gar eine Sprengladung anbringen. „Natürlich geht das klar.“ Antwortete Frank. „Der Wagen steht in unserer Werkstatt, die kann ich ohne Probleme absperren.“
„Dann kommt morgen ein Team, gegen acht Uhr zu euch.“
„Alles klar. Sag mal, was hat es mit der Toten im Park auf sich, hast du irgendwas gehört?“
„Bis jetzt haben wir nur eine Menge Vermutungen. Dagan meint, dass man irgendwo in Mainstadt oder Umgebung eine tödliche Runde Kum’do spielt, aber bei der Frage, wer die Spiele veranstaltet, tappen wir völlig im Dunkeln. Aber es gibt erste Spuren auf Soulebda, die auf einen der Beteiligten deuten. Es soll sich um einen schwarzen Priester handeln.“
„Was ist denn das schon wieder?“
„Keine Ahnung, auf Soulebda geht man der Sache mit Hochdruck nach, sobald ich etwas weiß, melde ich mich bei dir.“
„Das solltest du auch, denn unser Freund Mohrle ist mit der Bitte an mich herangetreten Caroline und Peter in dieser Sache mit einzubinden.“
„Ich weiß, um ehrlich zu sein… solange wir nicht wissen, wer diese Spiele veranstaltet, sollten wir vom Schlimmsten ausgehen. Deswegen werde ich, für alle Fälle, Fabienne und Finja nach Mainstadt schicken. Außerdem werde ich Dana anweisen, mit den Beiden zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Levi wird das dann als wichtiges Einsatzteam bereitstehen … Du und Decker hättet ihr nicht zufällig Lust, für kurze Zeit in den aktiven Dienst zu uns zurückzukehren?“
„Ich?“
„Als ich mit Mohrle wegen Caroline und Peter gesprochen habe, teilte er mir mit, dass er der Staatsanwältin Karin Winter vorgeschlagen hat die harte Tour zu fahren und Winter macht mit, also braucht sie auch ein Team, das so richtig zuschlagen kann und bei denen sich die Bösen notfalls eine blutige Nase holen, sollten sie sich mit uns anlegen. Natürlich dürfen das keine Beamte des BND oder des LKA sein…“
„Ich verstehe…“
„Der Teamführer in Mainstadt muss Ortskenntnis haben und was noch wichtiger ist, er muss wissen, wie Hase läuft.“
Natürlich konnte Frank nicht für Decker sprechen, auch wenn er wusste, dass Decker sofort ja sagen würde, sobald er Lem eine Zusage erteilte. Dasselbe galt selbstverständlich auch für Hannes, Johann und Gratzweiler, die zwar nie Angehörige des Mossad, oder eines anderen Geheimdienstes waren, doch gemeinsam mit ihnen einige Abenteuer durchgestanden hatten… doch er überlegte kurz, was würde seien Frau Iris sagen?… Sie würde ihm die Hölle heiß machen, aber noch schlimmer würde sie ihm die Hölle heiß machen, wenn sie erfahren sollte, dass er bei der bei der Suche und Rettung eines vermissten Kindes auch nur eine Sekunde gezögert hatte. „Du kannst auf uns zählen!“

***

Dresden

Mit zitternden Händen griff Dressler nach der Tasse heißen Tees, die ihm Silka entgegenhielt, nickte dankbar und nippte an der Tasse, als irgendwo im Haus eine Tür zuflog. Dressler erschrak dermaßen, dass er einiges von dem Tee verschüttete und sich die Finger verbrannte. Doch statt dem von Silka erwarteten Wutausbruch begann Dressler nur zu wimmern und egal wie sehr sie sich dagegen auch wehrte, Dressler tat ihr leid, dennoch beschloss Silka sich das auf keinen Fall anmerken zu lassen!
Von dem überheblichen Zuhälter, Bernd der Bohne, war nichts mehr übriggeblieben! Dressler war nie der Hellste gewesen, aber er hatte immer Wert auf sein Äußeres gelegt. Gute und saubere Klamotten, die zwar teuer aussahen, aber aus dem billigen Modehaus kamen, Goldschmuck und teure Uhr, meist vom Pfandleiher… jetzt war Dressler schmutzig, stank und trug nicht einmal eine Uhr aus Plastik. Dafür fehlte ein Stück seines Ohres und die dreckige Hose zeigte in Hüfthöhe einen deutlichen Blutfleck.
„Mit wem hast du dich angelegt?“ wollte Silka wissen.
„Ich weiß es nicht.“ Wimmerte Dressler.
„Hör zu, entweder du sagst mir sofort, was passiert ist, oder ich werfe dich auf der Stelle raus!“
„Ich weiß es wirklich nicht!“ schwor Dressler und sah ihr in die Augen. Silka wandte den Blick ab, aber sie war sich sicher, dass Dressler die Wahrheit sagte. Er schien an einem Punkt zu sein, an dem die Verzweiflung alle Lügen verdrängt hatte.
„Ok!“ sagte sie und stand auf, um Verbandsmaterial zu suchen. „Zieh die Klamotten aus, ich sehe mir das mal an.“
Während Dressler stöhnend anfing, seine Kleider auszuziehen, suchte Silka Desinfektionsmittel und ein paar Mullbinden zusammen. Als zu Dressler zurückkam, musste Silka feststellen, dass dieser unter der Kleidung genau so dreckig war, wie die Kleidung selbst. „So wird das nichts!“ entschied sie und wies in Richtung Badezimmer. „Los ab unter die Dusche!“
Eine Viertelstunde später legte Silka Dressler ein paar Mullbinden um, nachdem sie die Wunde am Bein ausgiebig mit Desinfektionsmittel übergossen hatte, was Dressler zum Jammern gebracht hatte.
„Also“, fragte sie ihn, „was ist passiert?“
„Ich habe keine Ahnung.“ Begann Dressler, sah wie Silka einen wütenden Gesichtsausdruck bekam und fuhr schnell fort. „Ich habe ein Angebot bekommen. Eines, dass man nicht ablehnen konnte.“
„Hast du Marlon Brando getroffen?“
„Nein! Ich sollte einfach eine Spielrunde organisieren. Poker, Black-Jack, Würfel… was war egal, Hauptsache Glücksspiele. Mein erster Job war es für fünf Spieler eine Lokation zum Pokerspielen klarzumachen, die hab ich besorgt, dann bekam ich einen Namen. Es war eine Frau, die ich überreden sollte in diese Spielrunde mit einzusteigen. Natürlich war mir sofort klar, dass das Spiel gefakt sein musste und ich dachte mir, die wollen die Frau nur ausnehmen, aber ich bekam so viel Geld… also habe ich einen Kontakt zu der Frau hergestellt und sie dazu überredet mitzuspielen.“
„Wer war die Frau?“
„Weiß ich nicht mehr genau, sie hieß Bernadette und kam aus Berlin.“
„War sie reich?“
„Nein! Sie fuhr Pakete aus und hatte kaum genug Geld, um vernünftig zu leben.“
„Und du hast sie einfach überredet?“
„Pah, die wussten alles über Bernadette. Sie wussten, wo sie wohnt, wo sie arbeitet, das genaue Gehalt und wo sie Schulden hat. Und sie wussten, dass Bernadette eine Schwäche für Spielautomaten hat. Das war mein Ansatz. Ich musste sie bloß dazu überreden, das Geld, welches sie sonst in den Spielautomaten steckte in eine Pokerrunde zu investieren und Bernadette gewann an ersten Abend fünfhundert Euro.“
„Sie gewann? Ich dachte, sie wollten sie ausnehmen?“
„Ja, das dachte ich auch, nahm aber an, dass sie Bernadette nur am ersten Abend gewinnen lassen um sie bei der Stange zu halten, doch Bernadette gewann immer mehr, insgesamt über zehntausend Euro, da wurde mir klar, dass es nicht darum ging, Bernadette auszunehmen, sie wollten sie zur Spielerin machen.“
„Und dann?“
„Dann wurde Bernadette zu einer großen Runde eingeladen, Mindestsatz pro Spiel Tausend Euro.“ Dressler brach ab und schwieg.
„Weiter!“
„Ich habe nichts mehr von ihr gehört. Ich dachte… ich dachte wirklich, Bernadette hat das große Los gezogen und verdient ihr Geld jetzt am Kartentisch.
„Eine Paketbotin!“ schüttelte Silka den Kopf. „Dressler, du bist ein Vollidiot!“
„Ich schwöre, ich habe mir darüber keine Gedanken mehr gemacht. Ich dachte besser am Tisch, als an der Stange.“
„Schon klar, dir ging es nur um Bernadette. Arschloch! Und danach?“
„Insgesamt habe ich vier bekommen und alle vier Frauen wurden irgendwann abgeholt… Dann habe ich herausbekommen, dass es die Spielerinnen verschwinden und bin mit der Frau abgehauen, die als nächstens „eingeladen“ wurde.“ Dabei betonte Dressler das Wort „eingeladen“ überdeutlich. „Es war die Frau, die man in Mainstadt tot im Park gefunden hat. ICH SCHWÖRE!! Ich habe sie nicht umgebracht! Sie hatte eine Verwandte bei Rostock, bei der wir uns verstecken wollten, aber die Typen die hinter alldem stecken haben und gefunden und sind uns aufgelauert.“
„Wer sind diese Typen?! Wer hat euch aufgelauert?“
„Das weiß ich ja nicht! Ich habe immer nur die Spieler der Fake Runden gesehen und die wussten wahrscheinlich so viel wie ich. Ich hab alle Anweisungen am Telefon bekommen, oder sie wurden mir nachts in den Briefkasten eingeworfen. Ich hab keine Ahnung, wer dahintersteckt! Bei Rostock konnte ich gerade noch abhauen, aber Heidemarie und Leonie haben sie erwischt.“
„Wer ist Leonie?“
„Heidemaries Tochter.“
„Du meinst, sie haben nicht nur die Frau ermordet, sie haben auch noch jemanden ermordet?“
„Ja, ein Kind… war davon nichts in den Nachrichten?“
„Nein, nur das man in Mainstadt eine Tote in einen Park gefunden hat. Das Kind wird noch gesucht.“
Diese Nachricht gab Dressler neue Hoffnung und plötzlich sah er einen silbernen Streif am dunklen Horizont. Vielleicht lebte Leonie noch! Wenn ja, und man sie lebend fand… wäre er nicht der Helfer einer Horde Kindermörder, dann bestand, zumindest die theoretische Möglichkeit, den Knast zu überleben… „Du musst mir helfen“, flehte er Silka an, „ich weiß, ich war ein Arschloch, aber du bist die Schlaue von uns Beiden, das warst du immer, wir müssen einen Weg finden das Kind zu retten.“
„Ja! Und das trifft auf Beides zu, JA, du warst ein Arschloch, und JA ich war immer schlauer als du. Aber, NEIN, halt mich da raus! Geh zu den Bullen und erzähl ihnen, was passiert ist! Mich geht das nichts an, ich habe auch so genug Probleme!“
Dressler nickte geknickt und wischte sich die Augen ab, „Ok, ich habe verstanden. Ich versteh dich… Hast du wenigstens ein paar saubere Klamotten für mich?“
Silka suchte ihm eine Jogginghose und einen Hoody die in etwa Dresslers Größe hatten und die sich dieser mühsam überzog. Als er fertig war, sah er Silka noch einmal an. „Ach ja… die Schweine haben heute Nacht Tallia umgelegt. Ich dachte, das interessiert dich.“ Er wandte sich um und humpelte zur Tür, als Silka ihn herumriss. „Tallia?!“
„Ja, sie haben sie einfach abgeknallt.“
Für einen Moment stand Silkas Welt still, denn sie und Tallia waren gute Freundinnen, dann begann sie weinend, schreiend und fluchend, mit bloßen Händen auf Dressler einzuschlagen, der sich nicht wehrte, ja nicht einmal die Hände vor das Gesicht hielt und irgendwann einfach umfiel.

***

„Vorstandssitzung“

Mainstadt – Restaurant zum „Zum Kreuzritter“ Die drei „Vorstände“ Hombacher, Gernfried und Kitzinger saßen in ihrem Schloss hinter verschlossenen Türen und berieten sich, wie es nun weitergehen sollte.
Das Auffinden der toten Heidemarie Langler im Park, hatte unangenehme Folgen für ihr Unternehmen gebracht. Wäre es nur um Langler selbst gegangen, wären die Folgen absehbar gewesen, denn irgendwann hätte die Polizei andere, dringendere Fälle bearbeiten müssen. Doch jetzt, da klar war, dass ein Kind verschwunden war, ruhten die meisten Fälle und die Polizei konzentrierte sich darauf, Leonie zu finden. Noch immer durchsuchten Hundertschaften den Stadtpark, sowie den umliegenden Wald und die Stadtteile, außerdem hatte die Polizei die Presse eingeschaltet, denn jeden Tag erschien ein Bild von Leonie, mit der Überschrift „Wo ist sie?“ Glücklicherweise hatten Charly und seine Leute Leonies Aussehen so weit verändert, dass sie keine Ähnlichkeit mehr mit dem Bild in den Zeitungen hatte.
„Verdammt Manfred!“ schimpfte Gernfried, „Wie konnte dir ein solcher Patzer unterlaufen.“
„Langler schien keine nähren Familienkontakte zu haben, als das Kind auftauchte, war es zu spät. Ich würde es auch gerne ungeschehen machen.“
„Wir könnten die Kleine verschwinden lassen.“ Schlug Gernfried vor. „Bringen wir die Kleine um… ein Stich ins Herz und das war es. Wir schnappen uns irgendeinen Obdachlosen, schieben ihm Sachen von Leonie und die Tatwaffe unter, legen die Leiche in den Wald, zusammen mit dem Täter. Problem gelöst.“
„Nein!“ brummte Hombacher. „Das hätten wir am ersten Tag machen können, aber jetzt ist der Zug abgefahren. Wo soll ein Obdachloser ein Kind so lange versteckt haben? Er war mit Sicherheit mit anderen Obdachlosen zusammen. Die Story hält noch keinen Tag den Ermittlungen stand… egal wen wir aussuchen würden, die Sache geht nach hinten los.“
„Dann mach du doch mal einen vernünftigen Vorschlag…“
„Das reicht!“ mischte sich Kitzinger in das Gespräch ein. „Und gegenseitig Vorwürfe zu machen, bringt uns nicht weiter. Lasst uns einfach den Plan, den neuen Gegebenheiten anpassen.“
„Und wie sind die neuen Gegebenheiten?“
„Die Polizei sucht nach der Kleinen, das ist durchaus ein Vorteil für uns, denn jeder Polizist der nach Leonie sucht, hat keine Zeit uns ins Handwerk zu pfuschen. Solange dieser Charly die Identität von Leonie geheim hält weiß keiner, dass das Gör, welches hier herumläuft, das Kind ist, dass ganz Mainstadt sucht und wir haben die Sache unter Kontrolle.“
„Wer außer Charly kennt ihr Geheimnis noch?“
„Nur dieser Voodoo Priester von dieser unaussprechlichen Insel und der wird ganz sicher die Klappe halten, denn wir haben ihn am Arsch. Schließlich haben wir all seine „zahlende Verlierer“ auf Video, zusammen mit ihm. Dennoch, da gebe ich euch Recht, das Risiko ist gestiegen. Wir müssen den Zeitablauf neu überarbeiten.“
„Was schlägst du vor?“ wollte Gernfried wissen.
„Eigentlich hatte ich vor, Leonie am Wochenende zum ersten Mal an einer echten Runde teilnehmen zu lassen, das müssen wir verschieben.“
„Warum?“
„Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, mit Leonie etwa zehn Spiele abzuhalten, doch sobald wir sie das erste Mal öffentlich zeigen wird man alles auf den Kopf stellen um sie zu finden. Wir schaffen höchstens fünf Runden, bis wir entdeckt werden. Wir müssen die ersten fünf Spiele ohne Leonie abhalten und sie erst dann an den Tisch setzten. In der Zwischenzeit muss Charly eine Spitzenspielerin aus ihr machen, denn Leonie muss die fünf Spiele auf jeden Fall überleben, wenn wir die finanziell gesteckten Ziele erreichen wollen. Die fünf Spiele davor nutzen wir, das Finale, um Leonie so richtig groß aufzuziehen.“
„Was wir also brauchen, sind zehn Lokationen, die als Spielorte genutzt werden… Dazu die Spielorte für die Irren, die freiwillig spielen…ja, das bekomme ich hin.“ Meinte Gernfried. Dass jede Lokation, besonders diese in denen Entführte spielen mussten, nur ein einziges Mal genutzt werden konnte, musste Gernfried nicht aussprechen und auch, dass alle Personen, die an dem Aufbau der Lokation beteiligt waren verschwinden mussten, war den Anwesenden klar.
„Wie viele Spieler sind noch übrig, Manfred?“ „Momentan genießen noch fünfzehn Spieler unsere Gastfreundschaft, elf Frauen, vier Männer.“
„Wir brauchen also noch gegebenenfalls einen oder eine Spielerin.“ Stellte Gernfried fest.
„Kein Problem, wir haben noch ein paar „Reservisten“, die schnell unter Kontrolle haben werden. Erspar dir einen Kommentar dazu, John!“ sagte Hombacher warnend zu Gernfried. „Wie lange brauchst du für die Spielorte?“
„Für die ersten Spielorte etwa eine Woche, da das Publikum überschaubar sein wird, für jeden weiteren Spielort… zwei Wochen. „Was ist mit dem Publikum?“ wollte Gernfried von Kitzinger wissen. „Steht die Vermarktung?“
„Oh nicht nur das, ich habe Karen Wilson an Land gezogen, mit ihr habe ich in zwei Stunden einen Termin, aber ich bin zuversichtlich, dass sie und gute Dienste leisten wird.“
„Und wenn nicht?“
„Nun, dann wird Frau Wilson eine Reportage, direkt aus einem Krematorium senden können, allerdings ohne Zuschauer.“
„Und wie viel Geld haben wir bis jetzt eingenommen?“
„Die ersten Spiele haben wir nur mit einer Handvoll Wettern abgehalten und so lediglich viereinhalb Millionen eingenommen. Für die fünf Spiele ohne Leonie schätze ich die Einnahmen auf zwölf Millionen und für die Spiele mit Leonie… achtundzwanzig Millionen Euro, wenn wir die Kleine richtig vermarkten. Alle Beträge sind natürlich rein netto, ohne Ausgaben für die laufenden Kosten.“
Es klopfte an die Tür und ein Bediensteter trat ein und meldete, dass Glöckner angekommen sei.
„Gut, er soll hereinkommen.“ Sagte Hombacher und meinte dann zu den anderen, „Zeit, um uns über die Ermittlungen zu informieren.“

***

„Was macht die Polizei?“ fragte Hombacher, als Glöckner Platz genommen hatte.
„Offiziell werden alle Kräfte dazu eingesetzt Leonie Langler zu finden.“
„Und inoffiziell?“
„So wie es aussieht, hat man mit Hilfe des BND herausgefunden, dass ein Netzwerk hinter den Entführungen unserer Spieler stehen muss. Allerdings weiß weder der BND, noch das LKA, wonach sie suchen sollen.“
„Woher haben sie diese Informationen?“
„Nun, mit Hilfe des von ihnen bereitgestellten Geldes, konnten wir einige Informanten anwerben, sowohl bei der Polizei selbst, als auch im deren näheren Umfeldes.“
„Wie ist uns der BND auf die Schliche gekommen?“
„Irgendein Bürohengst ist wohl auf die Idee gekommen eine Statistik zu erstellen, welche erfasst, wo verschwundene Personen Urlaub machten, bevor sie verschwanden.“
„Eine Statistik? Sie konnten einen Zusammenhang zu uns herstellen, mittels einer beschissenen Statistik?!“
„So ist zumindest der Anschein.“
„Gibt es konkrete Schritte uns zu finden?“
„Natürlich, doch noch sind die meisten Polizisten an den Suchmannschaften beteiligt. Ich habe gehört, dass morgen ein Tornado der Bundeswehr eingesetzt werden soll, um mit Wärmekameras nach Leonie zu suchen. Doch es gibt anscheinend auch andere Schritte. Karin Winter, eine abmontierte Staatsanwältin aus Chemnitz wurde nach Mainstadt versetzt, welche nun die Soko Stadtpark leitet. Dieser Soko gehören neben dem LKA auch inoffiziell Mitarbeiter des BND an.“
„Gibt es denn Ansätze, welche diese Soko verfolgen kann?“ wollte Kitzinger wissen.
„Nein, wir konnten die Bekannten von Betz, welche die Leiche von Langler in den Park legten, noch am selben Tag ausfindig machen und befragen. Wir sind sehr sicher, dass die Beiden niemanden davon erzählt haben.“
„Wo sind die zwei Idioten jetzt?“
„Ein paar Partikel von ihnen sind wahrscheinlich in einem Filter der Verbrennungsanlage hängen geblieben, der Rest schwebt, genau wie Betz, als Feinstaub durch die Atmosphäre.“
„Was gedenken sie gegen diese Soko zu unternehmen?“
„Wir sollten die weitere Entwicklung abwarten. Solange Winter keine Ansätze hat, wird sie alle Spuren verfolgen und ihre Kräfte aufteilen müssen. Sollte sich eine konkrete Spur ergeben, welche zu uns führt, sollten wir in Betracht ziehen, den Kopf der Soko, also Winter auszuschalten, doch das wäre die letzte Option, denn eine getötete Staatsanwältin würde einen großen Rummel verursachen.“
Hombacher, Gernfried und Kitzinger ließen sich die Informationen durch den Kopf gehen, dann sagte Hombacher, „Herr Glöckner, es wäre möglich, dass wir noch eine Spielerin brauchen… eine die sich nicht aus den Freiwilligen rekrutiert, sie verstehen, was ich meine. Bitte bereiten sie das Übliche vor. Die endgültige Auswahl treffe ich dann selbst.“
„Muss diese Person auf Soulebda gewesen sein und muss sie eine dieser Ketten gekauft haben?“
„Bedauerlicherweise ja, in diesem Punkt lässt dieser Priester nicht mit sich reden.“
„Darf ich dazu einen Vorschlag machen?“
„Schießen sie los.“
„Die Polizei wird sich sicher schon fragen, wie wir an die Passagier- und Reisedaten kommen und dementsprechend sensibel werden sie auf jede Anfrage reagieren… Wir sollten eine Person nehmen, welche zwar früher auf Soulebda war, aber nicht in letzter Zeit. Nachdem die Person dann hier ist, kaufen wir ihr die Kette in ihrem Namen. Damit sollte der Priester doch zufrieden sein.“
„Kommen wir an Daten solcher Personen heran?“
„Selbstverständlich, es dauert allerdings etwas länger, als die Daten direkt vom Soulebdalesischen Zoll abzugreifen.“
„Gut, dann kümmern sie sich darum. Wir kümmern uns um den Priester.“ Damit entließ Hombacher Glöckner und nachdem dieser den Raum verlassen hatte, meinte Hombacher, „Ich habe diese Karin Winter im Fernsehen gesehen… diese Frau sollten wir auf keinen Fall unterschätzen, ich habe es im Gefühl, dass sie uns Ärger machen wird.“
„Denkst du an etwas Bestimmtes?“
„Es könnte sein, dass wir eine härtere Gangart gegen Winter und die Schnüffler des LKA an den Tag legen müssen… Ich habe Kontakte zu den Singhs, einer Familie, die mir schon öfter gegen gute Bezahlung in Asien Probleme vom Hals geschafft hat, wir sollten sie kontaktieren gegebenenfalls den ein oder anderen Schnüffler aus dem Verkehr ziehen. Notfalls wird die letzte Runde Kum’do nicht mit einem Verlierer enden, sondern mit Karin Winter und sechs Verlieren.“
„Der Vorschlag ist gut. Um schnell reagieren zu können, sollten diese Singhs am besten schon einen oder mehrere Killer zu uns abordnen.“ Nickte Kitzinger.

***

„Ich soll was?!“ tobte Karen einige Zeit später in Kitzingers Büro. „Ich soll eine scheiß Spielrunde kommentieren?“
„Im Großen und Ganzen ja.“ Antwortete Kitzinger gelassen, ohne auf Karens Wut einzugehen.
„Verdammt! Warum bin ich bloß auf sie hereingefallen? Ich hätte es wissen müssen… Naturtalent! Oberste Liga! Scheiße!“ fluchte Wilson.
„Miss Wilson… Wie viel Geld haben sie für die Keksnummer bekommen?“ fragte Kitzinger und fuhr fort, als Karen nicht antwortete. „Sie und dieser Versager Benny bekamen insgesamt achthundert Euro. Diese achthundert Euro waren ihre gesamten Einkünfte dieses Monats. Dabei bekommen ihre Pendants in den Staaten ein Vielfaches dieses Betrages.“ Kitzinger machte eine kleine Pause um seine Worte wirken zu lassen und um sein kommendes Angebot richtig wirken zu lassen. „Sie bekommen als Kommentatorin für jede Spielrunde einhunderttausend Euro. Und wenn sie es nicht dem Finanzamt melden, werden wir das auch nicht.“
Karen, deren Ohren eigentlich schon auf Durchzug standen, blickte Kitzinger sprachlos an. „Wie viel Euro?“
„Einhunderttausend, steuerfrei.“
„Und wie viele Runden soll ich kommentieren?“
„Zehn… Vorerst.“
„Das ist eine Million…“ flüsterte Karen, was Kitzinger zum Lächeln brachte.
„So ist es! Und das beste daran ist, sie brauchen sich im nichts zu kümmern, wir stellen die Ausrüstung und jedes erdenkliche Equipment. Außerdem, werden sie hier mit Sicherheit während ihrer Tätigkeit, einige gute Kontakte knüpfen können, welche sie ihrem Traum, Nachrichtensprecherin zu werden, ein gutes Stück näherbringen werden.“
„Eine Million…“ flüsterte Karen erneut, doch dann gewann das Misstrauen wieder Überhand. „Was sind das für Spiele?“
„Das Spiel ähnelt dem Flaschendrehen. Mit dem Unterschied, dass man nicht an einer Falsche dreht, sondern an einem Dolch. Wer dreimal die Spitze sieht, verliert.“
„Das ist alles?“
„Ja, das ist der ganze Spielablauf.“
„Was ist ihnen da eine Million wert?“
„Miss Wilson, das Spiel selbst ist nur Nebensache. Es geht um die Wetten, welche auf den Gewinner, beziehungsweise den Verlierer abgeschlossen werden. Je größer und besser das Spiel kommentiert wird, umso größer sind die Beträge, welche die Wetter einsetzten. Ihre Aufgabe als Kommentatorin ist dafür zu sorgen, dass die Wetteinsätze entsprechend hoch sind.“
„Kann ich mir ein solches Spiel einmal ansehen, damit ich weiß, auf was ich mich vorbereiten muss?“
„Selbstverständlich. Heute Abend um zwanzig Uhr, wird ein Wagen sie an ihrem Hotel abholen.“
„Also gut Herr Kitzinger, ich werde mir das Spiel heute Abend ansehen und ihnen morgen Bescheid geben, ob ich mitmache.“
„Ganz wie sie wünschen, Miss Wilson.“ Antwortete Kitzinger, in dem Wissen, dass Karen sich längst dazu entschieden hatte auf sein Angebot von einer Million Euro einzugehen.

***

Dresden

Wie lange Silka auf dem Boden saß, wusste sie nicht mehr. Nachdem sie über Dressler hergefallen war, hatte sie sich in eine Ecke ihrer Wohnung verkrochen und starrte in die Luft. Tallia war tot! Tallia… so viele Erinnerungen stürmten auf sie ein… Irgendwann stand Silka auf, warf einen Blick zu Dressler, der zusammengekauert auf dem Boden lag und schlief, dann ging sie zu ihrem Laptop. Nachdem sie ihn gestartet hatte, suchte sie im Internet nach einem Mord in Dresden, fand aber nicht den geringsten Hinweis, also beschloss sie Eddi anzurufen, der noch immer für den Club arbeitete, in dem Tallia noch immer und sie früher gearbeitet hatte. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, dann meldete sich jemand mit einem rauen „JA!“.
„Eddi, hier ist Silka.“
„Silka! Verdammt du fehlst uns, was kann ich für dich tun?“
„Ich wollte Tallia sprechen, aber sie geht nicht an ihr Handy.“
„Das wissen wir. Wir suchen sie auch, aber sie ist seit gestern Abend verschwunden.“
„Verschwunden?“
„Ja, ich sah wie sie mit Bernd der Bohne Dressler weggehen, und seitdem ist sie verschwunden und Dressler findet auch keiner. Hör zu… wir machen uns etwas Sorgen um Tallia und auch um dich, wo bist du?“
Ohne Antwort zu geben, legte Silka auf und ließ das Handy zu Boden fallen um anschließend ihren Kopf in ihre Arme zu legen. Es stimmte also, Tallia war tot! Doch wie konnten diese Verbrecher, wer immer sie auch waren, mitten in Dresden einen Mord begehen, ohne dass es jemand bemerkte? Erneut setzte sich Silka an ihren Laptop und begann nach der toten Frau in Mainstadt zu suchen.

***

Pünktlich um zwanzig Uhr hielt eine Limousine vor Karens Fünf-Sterne Hotel und augenblicklich war ein Portier zur Stelle der Karen die Wagentür öffnete, als diese darauf zuging. Auch wenn es Karen nicht zugeben wollte, sie war sehr von dem Luxus beindruckt, den sie umgab! Das war genau das Leben, das sie sich immer vorgestellt hatte… Die Limousine, deren Scheiben abgedunkelt waren, brachte sie schließlich zu einem größeren Komplex, den sie über eine Tiefgarage erreichte. Dort angekommen, erwartete sie ein charmanter Mann, der eindeutig nicht von hier stammte. „Guten Abend Miss Karen, mein Name ist Shaal’Ayns, oder Charly, wenn dies für sie einfacher ist. Ich freue mich, sie in die Welt des Kum’dos einzuführen.“
„Kum was?“
„Kum’do, ein Spiel aus meiner Heimat Soulebda.“
„Ist das diese Insel im Pazifik?“
„Sie kennen sich sehr gut aus in der Welt, ja, meine Heimat liegt im Pazifik.“
„Und was treiben sie hier?“
„Ich wurde als Experte zu diesen Spielen eingeladen.“
„Ist das, an einem Doch drehen, denn so schwierig?“
Charly lachte leicht amüsiert. „Nun, das werden sie gleich selbst sehen.“ Damit machte er eine einladende Geste zu einer Empore. Auf der Empore angekommen betrat Charly einen kleinen Raum, welcher auf der gegenüberliegenden Seite der Tür eine Glasscheibe von der Decke bis um Boden hatte. Von dieser Empore hatte Karen, durch eine Glaskuppel, freien Blick auf einen Raum unter sich mit einem runden Spieltisch, an dem vier Frauen und zwei Männer saßen, und auf dessen Mitte ein gebogener Krummdolch lag. Außerdem erkannte Karen, dass es neben ihrem Separee, noch fünf weitergab, die ebenfalls im Kreis über dem Spieltisch angeordnet waren. Allerdings konnte sie durch die, von außen, verspiegelten Scheiben nicht erkennen, ob und wer sich darin aufhielt.

***

Was weder Karen, noch einer der Wetter in den anderen Separees sehen konnten, waren die Wachen sowie die Ketten, mit denen die Spieler an dem Tisch angekettet waren. Die sechs Spieler am Tisch wussten genau, dass einer von ihnen diesen Tisch nicht lebend verlassen würde!

***

Als man die zu Beginn acht Entführten zum ersten Mal an einen Tisch setzen wollte, um ihnen das Spiel zu erklären, weigerte sich eine Frau aus Frankreich kategorisch, mitzuspielen. Die Antwort ihrer Entführer kam schnell und grausam! Vor den Augen der anderen packten sie zwei Männer und hielten sie unerbittlich fest, während ein dritter Mann ihr die Kleidung vom Leib riss. Nachdem er die Bluse zerrissen hatte, nahm er ein Kampfmesser und zerschnitt ihren BH. Anschließend trat er etwas zur Seite, damit auch jeder sehen konnte, was nun geschah! Ganz langsam steckte der Mann das Messer eine Handbreit über der Scham in den Leib der Frau, öffnete die Bauchdecke und entnahm ihre Organe, sorgfältig darauf bedacht sie nicht zu töten! Nicht wenige der entsetzten Zuschauer fingen an sich zu übergeben und manche wurden gar ohnmächtig, doch mit Tritten und Schlägen wurden sie schnell wieder zu Bewusstsein gebracht. Anschließend ließen die Männer, welche die Frau festgehalten hatten diese einfach los, so dass sie mit neben ihren Organen in ihrem Blut liegen blieb. Die arme Frau lebte noch über eine halbe Stunde, bevor sie schließlich unter unsäglichen Schmerzen starb.
„Ihr habt die Wahl!“ hatte der Anführer der Entführer ihren Opfern mitgeteilt und war zwischen ihnen hin und her gegangen. „Ihr könnt so enden“, dabei zeigte er auf die Tote, „oder so!“ mit einer flüssigen Bewegung stach er der Frau, vor der er stehengeblieben war, in das Herz. Die Frau wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass sie gerade starb, so einen überraschten Gesichtsausdruck hatte sie noch, als sie tot zu Boden fiel.
„Aber, und das ist die gute Nachricht für Euch, ihr müsst vielleicht gar nicht sterben! Die Chance für jeden von Euch, stehen pro Spiel fünf zu eins, dass ihr überlebt. Die Chance zu überleben, wenn ihr euch weigert zu spielen, ist gleich Null! Die Entscheidung liegt nun bei Euch!“
Diesem Druck hielten nicht alle Entführten stand. Im Laufe der kommenden Wochen drehten zwei der Entführten völlig durch und mussten „ersetzt“ werden, dann setzte man sechs auserwählte Entführte erneut an einen Tisch und ließ sie spielen, wobei das blutige Messer, mit der man die Französin getötet hatten, sichtbar getragen, immer als Warnung diente.

***

Ein lauter Gong ertönte und Karen sah einen Mann mit buntem Kopfschmuck und einem seltsamen Gewand den Raum betreten.

***

„Wer ist das?“ wollte Karen wissen.
„Ein Priester aus Soulebda, er leitet das Spiel und achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Außerdem segnet er nun die Spieler.“

***

Als der Priester mit der „Segnung“ begann, wussten auch die sechs Spieler am Tisch, dass nun die Uhr für einen von ihnen ablief. Der Priester begann einige Verse aufzusagen und überzeugte sich davon, dass vor jedem Spieler eine Opferkette lag. Anschließend zog er den Dolch unter seiner Tracht hervor, legte ihn auf die Tischmitte. Anschließend hob er die Hände über die Spieler, murmelte etwas und zeigte dann auf eine der Spielerinnen. Als diese nur zitternd dasaß und sich nicht bewegte, trat aus dem Hintergrund eine der Wachen hervor und legte seine Hand auf das blutige Messer der Französin. Das genügte als Drohung und die Frau griff zitternd nach dem Dolch und drehte diesen zur ersten Runde, der nach einigen Drehungen mit der Spitze auf die Frau rechts neben ihr zeigte, die nun dasaß und nun begann zu weinen.

***

„Ich verstehe zwar das Spiel, aber ich verstehe den Hype nicht.“ Sagte Karen, die von oben zusah einige Runden später.
„Der „Hype“ besteht in der Faszination eines geheimnisvollen Rituals. Sehen sie.“ Charly hielt ihr ein Tablet entgegen, welches die aktuellen Wetteinsätze verzeichnete. Auf dem Display war der Tisch abgebildet, Bilder der Spieler an ihrem Platz und über den Bildern die Beträge, welch aktuell auf die Spieler gewettet wurden. Als Karen die Zahlen sah, wurde sie beinahe blass. Automatisch blickte sie zu den anderen Kabinen, sah aber nur Spiegelglas.
„SO VIEL?!“ fragte sie sprachlos. „Auf den Kerl da sind zwei Millionen gesetzt!“ Karen zeigte auf einen der Männer und suchte diesen durch die Glasscheibe am Tisch. „Wieso ist der Kerl so wertvoll?“
„Dieser Spieler hat verstanden, wie das Spiel läuft. Er will selbst gewinnen und die Frauen nicht verlieren lassen, also ist er bemüht seinen Konkurrenten, den zweiten Mann, auszuschalten. Bis zu einem gewissen Punkt können die Einsätze auf den Verlierer oder Gewinner verschoben werden, allerdings ähnlich wie beim Roulette heißt es dann im Verlauf des Spieles, „rien ne vas plus.“ Außerdem kann man vor jeder weiteren Runde auf den Gewinner, oder Verlierer der nächsten Runde wetten.“
„Das sind ab er eine Menge Wetten, für ein Spiel… So kommen also die hohen Beträge zusammen.
„So ist es und bis jetzt sieht es so aus, als ob die Wetter einen Favoriten hätten.“

***

Tatsächlich versuchte der Spieler auf dem die größten Einsätze lagen, den anderen Mann am Tisch verlieren zu lassen, um den Frauen den Tod zu ersparen. Der bemerkte das natürlich und versuchte nun ebenfalls seinen Gegenspieler auszuschalten, allerdings ging es ihm nicht darum eine der Frauen zu verschonen, sondern den Mistkerl gegenüber, allein aus Rache, verlieren zu lassen. Doch die Beiden hatten ein Problem! Keine der vier Frauen spielte „ihr Spiel“ mit! Den vier Frauen ging es nicht darum, einen anderen Spieler verlieren zu lassen, ihr Ziel war es, nicht selbst zu verlieren!

***

Da, immer wenn der Dolch ruhte, eine Pause entstand, dauerte das Spiel nun schon über eine Stunde. Zehn Mal hatte sich der Dolch gedreht. Der aktuelle Spielstand zeigte zwei Dolchspitzen für jeden Spieler, bis auf die Spielerin, welche begonnen hatte und den Spieler mit den größten Einsätzen, die sich nun mehr als verdoppelt hatten.
Karen, die mittlerweile begriffen hatte, wo Kitzingers Interesse lag, (zumindest glaubte sie es zu wissen), war in ihrem „Arbeitsmodus“ angekommen.
In Gedanken legte sie sich Kommentare zurecht, überlegte sich die passenden Stellen, um das Geschehen zu dokumentieren, und wo sie die besten Einstellungen bekommen würde.
„Wenn ich ein Spiel kommentieren soll, dann wäre es besser nicht von hier zu tun, sondern direkt am Tisch.“
Charly, dessen Augen für einen Moment schmal wurden, nickte und meinte dann, „Ich werde ihren Vorschlag Herrn Kitzinger unterbreiten.“
Ein Brummen des Tablets erweckte Karens Interesse und sie sah auf das Display. Die Einsätze schienen sich zu verschieben, obwohl der Dolch sich noch drehte. „Was ist?“
„Das war das „rien ne vas plus“. Ein paar Wetter scheinen der Meinung zu sein, dass das Spiel sich dem Ende zuneigt. Sie haben ihre Einsätze auf ihren endgültigen Favoriten festgelegt. Sie denken, der Spieler mit den meisten Einsätzen gewinnt, die Frau auf Platz vier verliert.“
„Was denken sie?“
Charly starrte auf den Tisch und den Dolch, der sich noch langsam drehte. „Nein, der Favorit verliert diese Runde.“

Karen trat zu dem Tisch und sah, wie der Dolch langsam mit der Spitze auf den Favoriten zukam und schließlich auf seinem Feld stehenblieb.

***

Was folgte war ein hektisches Wetten, sowie ein hektisches Verschieben von hohen Beträgen. Da die ersten Einsätze auf Gewinner und Verlierer festgelegt waren, sahen einige der Wetter ihr Geld verschwinden und versuchten, nun mit der Wette auf den Verlierer der letzten Runde noch einen Gewinn herauszuholen.

***

Karen schluckte, denn insgesamt waren Wetten im Wert von sechseinhalb Millionen Euro auf dem Tablet verzeichnet.
„Wie sie sehen Miss Karen“, sagte Charly, „sind die Wetten der eigentliche Höhepunkt, oder, wie sie es nannten, der Hype, des Abends.“
„Oh ja, also gut, ich denke, ich kann ihr Spiel noch um einiges populärer machen und dafür sorgen, dass die Wetten um einiges Steigen. Allerdings mit den paaren Wettern“, Karen zeigte auf die kleinen Separees, in denen nur weniger als zwanzig Personen sein konnten, „werden die Einsätze nicht sehr viel höher werden.“
„Das ist uns klar, darum werden die nächsten Runden in größeren Spielstätten und vor einem deutlich größeren Publikum stattfinden.“
Mit einem innerlichen Grinsen nickte Karen… so leicht eine Million verdienen… Das würde sie Benny unter die Nase reiben!
„Die nächste und wahrscheinlich letzte Runde beginnt.“ Teilte Charly ihr mit und trat mit Karen an die Glasscheibe um zuzusehen, wer gewann, oder was für die Spieler wichtiger war, wer verlieren würde…

***

Während die Männer mit steinernen Mienen dasaßen, wimmerte eine der Spielerinnen und weinte, als diejenige, welche das Spiel begonnen hatte, den Dolch griff und ihn drehte.
„NEIN!“ flehte eine Spielerin, als der Dolch in ihrem Feld immer langsamer wurde und in ihrem Feld stehen zu bleiben schien, doch dann bewegte sich die Spitze mit letztem Schwung in das Feld ihres Tischnachbarn. Ausgerechnet der Spieler, der den Frauen das Los des Verlierers ersparen wollte, hatte verloren!

***

Von oben sah Karen, wie sich ein dichter Vorhang unter der Kuppel vorschob und ihr sowie den anderen Wettern die Sicht auf den Spieltisch nahm und sie fragte Charly, „Und jetzt?“
„Nichts, das war es, das heutige Spiel ist aus.“

***

Unten am Tisch wartete der Priester, bis sich der Vorhang ganz geschlossen hatte, dann nahm er die Kette des Verlierers vom Tisch auf und zog den Krum’la Dolch aus seiner Tracht heraus. Doch der Verlierer war nicht gewillt einfach zu sterben! Er sprang auf und wehrte sich verzweifelt, als zwei der anwesenden Wachen ihn packten und festhielten.
„Krusch’ta ku’lert nual her’nar!- Dein Gott ruft Dich!-„ rief der Priester und stieß dem Mann den Dolch in das Herz. Die Frauen schrien auf, als ihr Mitspieler sterbend auf dem Tisch fiel und zuckend liegen blieb. Nach einigen Sekunden, als der Todeskampf vorbei war trat der Priester zu seinem Opfer, öffnete dessen Mund und legte ihm die Kette als Opfergabe unter die Zunge. „Krusch’ta bal’sei Mur! -Nimm das Opfer zurück!-“ murmelte er, während eine Wache die Ketten des Toten löste und gemeinsam mit einer anderen Wache die Leiche auf eine Rolltrage legte.
Was zurückblieb, waren fünf Spieler, die weinten, jammerten und darum beteten, aus diesem Alptraum endlich aufzuwachen.

***

Unterdessen brachte Charly Karen zu ihrem Wagen zurück. Auf einer Treppe, sah Karen mehrere der Wetter, in Richtung des Spielfeldes zu gehen, wobei sie überrascht feststellte, dass alle Wetter eine Maske trugen. „Wieso tragen die Masken?“ fragte sie Charly.
„Sie haben die Höhe der Einsätze doch selbst gesehen.“ Antwortete der und hielt das Tablet mit den verzeichneten Einsäten hoch. „Diese Menschen haben genug Geld um damit um sich zu werfen… Wie sie sich sicher vorstellen können, wollen diese Leute nicht, dass man sie erkennt. Und wir stellen auch keine Fragen, woher das Geld kommt.“

Karen, die sich mit der Antwort durchaus zufriedengab, denn sie erklang sehr logisch für sie, blieb noch einmal stehen und fragte, „Kann ich mit Spielern reden?“
„HHMMM“ Charly schaute auf seine Uhr und meinte, „Die Spieler sind sicher schon auf dem Weg in ihr Hotel, doch ich werde Herrn Kitzinger fragen, ob dies bei der nächsten Spielrunde möglich ist.“

***

Was Karen nicht mehr sah, war, wie die Wetter an der Rollliege vorbeigingen, auf der der Verlierer lag. Als sich die Wetter selbst vom Tod des Verlierers überzeugt hatten, gaben sie ihre Einsätze frei und Hombacher, Gernfried sowie Kitzinger hatten an diesem Abend, nach Abzug der Kosten, einen Reingewinn von 2.125.698,46 Euro…

***

Pünktlich um acht Uhr hielt ein Lieferwagen an der Schleuse der JVA. Hannes der „zufällig“ als zweiter Beamter Dienst an der Außenpforte hatte, verließ die Pforte und kontrollierte die Insassen, von denen der Fahrer ihn breit angrinste.
„Na Großer“, fragte Levi, „langweilst du dich nicht, wenn du hier Dienst machst, anstatt in der Welt irgendwelche böse Buben zu jagen?“
„Da Caroline und Peter hier auch arbeiten, denke ich, dass es sicher nicht allzu lange dauern wird, bis ich wieder etwas von der Welt sehe.“
„Da könnte etwas dran sein.“ lachte Benjamin, während Simon, der Beifahrer und nebenbei Ingenieur und Chefmechaniker der technischen Abteilung aus- und hinten wieder einstieg, um Hannes auf den Beifahrersitz zu lassen. Als dieser Platz genommen hatte, gab Hannes seinem Kollegen einen Wink und schon öffnete sich die innere Schleusentür, so dass Levi mit dem Lieferwagen zur Werkstatt der JVA fahren konnte.
Dort lenkte Ben den Lieferwagen durch das Tor und Hannes stieg aus, verschloss die Eingangstür und stellte sicher, dass es keine neugierigen Blicke gab. Kaum waren die Türen zu, stiegen die Techniker und Mechaniker des Mossad aus und begannen unser neues Auto genau mit Hilfe von elektronischen und mechanischen Mitteln, wie Spiegel unter die Lupe zu nehmen.
„Was wird das denn?“ fragte Hannes Simon, als die Mechaniker den Wagen aufbockten und anfingen Getriebe und Motor zu entfernen.
„Wir bauen um“, teilte ihm Simon mit. „hast du schon einmal einen Unimog gefahren?“
„Klar, beim Bund.“
„Erinnerst du dich an die Schaltung?“
„Der Unimog hat zwei Mal acht Gänge, H-Schaltung…“
„Und was war mit dem Rückwärtsgang?“
„Der Unimog hat keinen eigenen Rückwärtsgang. Du legst einen Hebel um und… Im Ernst jetzt?“
Simon grinst und zwinkerte Hannes zu. „Genau! Die Karre hat nachher sechs Rückwärtsgänge und kann rückwärts genauso schnell fahren wie vorwärts.“
„Und der eigentliche Rückwärtsgang?“
„Das R heißt dann nachher tatsächlich –Rallye- Gang.“
„WOW, darauf wird Peter sicher voll abfahren.“ Entgegnete Hannes und drehte sich um, als die Tür aufgeschlossen wurde und sah, wie Dana und Randy ebenfalls in die Werkstatt kamen. Randy der einen Laptop unter dem Arm trug, ging in Richtung des Autos, während Dana auf Levi zuging. Die Beiden zogen sich in eine ruhige Ecke zurück und Randy begann seinen Laptop mit dem Bordcomputer des Wagens zu verbinden.
„Hallo Randy.“ Begrüßte ihn Simon, der gerade noch mit Hannes geredet hatte.
„Hallo Simon, wie läuft’s?“
„Naja, mit Dana lief es besser. Deinetwegen schiebe ich jetzt mehr Überstunden.“
„Meinetwegen?“
„Klar, deinetwegen! Du hast Dana doch geschnappt und hierher verschleppt.“
„Sorry“, grinste Randy, „das war nicht ich, das war die Liebe, aber da kann ich dir leider nicht helfen. Dana bleibt bei mir.“
„Ich will sie ja nicht von dir trennen, du könntest doch mitkommen, für einen klugen Kopf wie dich, hätten wir mit Sicherheit auch einen guten Job.“
„Lass mal, ich behalte lieber meinen Job hier.“ Antwortete Randy und startete seinen Laptop.
„Was tust du dann da?“, wollte Simon wissen.
„Ich verpasse dem Motor ein Chiptuning. Mit meinem neuen Programm hole ich locker achtzig PS mehr aus der Karre heraus.“
„So viel?“
„Kein Problem mit der Software. Wenn du willst, ziehe ich dir das auf einen Stick und gebe es dir mit.“
„Super.“ Bedankte sich Simon und tastete mit dem Analysegerät weiter den Wagen ab. „Wenn du schon einmal dabei bist…“ er griff in seine Tasche und reichte Randy einen USB Stick. „Das könntest du auch gerade auf den Bordcomputer aufspielen.“
„Was ist das?“
„Das ist das Update für das neue Getriebe, es verhindert, dass der Fahrer beim Rückwärtsfahren das Lenkrad überzieht und ins Schleudern kommt… außerdem… Wir haben da ein neues Spielzeug…“ grinste Simon und erklärte Randy welches neue Spielzeug der Mossad eingebaut hatte.
„Sowas gibt’s?“
„Ja, daran hat dein Freund mitgearbeitet.“
„Hauer?!“
„Ja, genau der. Du weißt ja, mit tödlichen Waffen hat er ein Problem.“
„Dann werde ich mal ein Wort mit ihm reden müssen.“

***

Im hinteren Bereich der Werkstatt übermittelte Levi Dana ihre Anweisungen von Lem.
„Wann kommen Fabienne und Finja hier an?“
„Sie sind auf dem Weg und werden heute Abend in meiner Wohnung in der Keilstraße ankommen.“ Die Wohnung in der Keilstraße hatte Levi, der mittlerweile bei Jessica wohnte, unter dem Namen Julius Becker angemietet, als sie damals Froody, einen ehemaligen Direktor der CIA jagten, der Caroline umlegen wollte.
Danach, nach einem SEHR großzügigen Angebot, hatte der Mossad in Gestalt von Levi die Wohnung gekauft und sie galt als offizielle Airbnb Unterkunft. So stellte auch niemand Fragen, wenn wie heute, zwei junge Frauen für einige Tage einzogen. Da die Wohnung auch regelmäßig auf Abhöreinrichtungen geprüft wurde, nutzte sie Levi auch, um Besprechungen abzuhalten. „Wir treffen uns um achtzehn Uhr.“ Teilte er Dana mit. „Unser neuer Einsatzleiter kommt auch.“
„Neuer Einsatzleiter, ich dachte, du bist der Einsatzleiter?!“
„Nein, diesmal nicht. Lass dich überraschen und bring Randy mit.“

***

Dresden

Seit einem ganzen Tag durchsuchte Silka das Internet! Weder zu Tallia war ein Wort zu finden, noch zu einem Mord an einer Unbekannten. Wer immer Tallia umgebracht hatte, er würde dafür sorgen, dass ihre Leiche niemals auftauchen würde. Das Tallia tot war, stand mittlerweile für Silka fest, denn Tallia und sie hatten eine enge Bindung und standen in Kontakt zueinander, doch nun war Tallia nirgendwo mehr aufgetaucht! Zudem hatte Dressler Schusswunden, was zu seiner Schilderung passte, auch wenn sie ihm nicht jedes Wort glaubte, doch ihr Unterbewusstsein sagte ihr, dass Dressler, was Tallia anging, nicht gelogen hatte!
Also recherchierte Silka weiter. Zu der Toten in Mainstadt und ihrer verschwundenen Tochter fand Silka dagegen eine Menge Seiten, was nicht zuletzt daran lag, dass man die Tochter der Toten immer noch suchte… Bei ihren Nachforschungen fiel Silka ein Gesicht immer wieder ins Auge… Karin Winter! Mit ihren Hennaroten Haaren war sie ein Blickfang für jeden Fotografen und Reporter, die über Leonies Verschwinden berichtete. Mehrfach hatte sich Winter an die Öffentlichkeit gewandt, um Hinweise zu bekommen. Auch an die vermeidlichen Entführer Leonies hatte sie, ohne Erfolg, eindringlich appelliert Leonie freizulassen.
Als irgendwo im Haus eine Tür zugeschlagen wurde, zuckte Silka zusammen, doch niemand trat ihre Tür ein und langsam redete sie sich ein, hier in ihrer Wohnung sicher zu sein, denn wüssten Tallias Mörder, wo sich Dressler versteckt hielt, wären sie sicher schon längst hier gewesen.
Für Silka war die der nächste Schritt völlig klar! Dressler musste zur Polizei! Aber er würde niemals freiwillig zu den Bullen gehen und ganz abwegig, waren Dresslers Bedenken nicht… Silka kannte Dresslers geistige „Stärke“ und seine Fähigkeiten zu lügen. Bis zu einem gewissen Punkt konnte Dressler ein sehr guter Lügner sein, doch je komplexer die Lüge war, umso mehr vermied Dressler diese, denn er war sich über seine Schwäche durchaus bewusst und vermied solche Lügengebilde… Dresslers Geschichte war zu fantastisch, um erlogen zu sein, und wenn das, was er über die fingierten Pokerrunden und dem Verschwinden seiner Spielerinnen stimmte… dann hatte Dressler und jetzt wohl auch sie, ein echtes Problem!
Dressler hatte berichtet, dass seine Verbindungsmänner ALLES über seine Opfer wussten! Sie hatten anscheinend Langler überwacht und abgefangen, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Sie hatten überall ihre Augen und sie hatten, mitten in Dresden, Tallia umgebracht, ohne erwischt zu werden… Nein, einfach die Polizei anrufen war keine gute Idee!
Doch während sie sich zum zigsten Mal das Video ansah, auf dem Winter die Bevölkerung aufrief, Hinweise zu geben, kam ihr eine Idee und Dressler würde mitmachen!

***

Mainstadt

Dana nahm Fabienne und Finja in ihre Arme und drückte sie herzlich. Sie alle waren „Nichten“ Dagans bzw. Lems und somit „Schwestern“. Die drei begrüßten sich noch, als es leise klopfte und Levi die Tür öffnete. Sprachlos starrten die Vier die Gestalt an, welche geklopft hatte. „Was?!“ fragte Hannes und sah an sich herunter. Er trug Flip-Flops, eine kurze Shorts und ein knallbuntes ärmelloses T-Shirt. „Das ist meine Tarnung und falls ihr es nicht erkennt, ich bin ein Tourist!“
„Du bist eine modische Katastrophe.“ Kommentierte Johann, der sich hinter Hannes durch die Tür schob, danach kam Gratzweiler, der ebenso wie Johann in „normaler“ Freizeitkleidung gekleidet war. Randy hatte gerade den Beamer aufgebaut, als es erneut klopfte und Decker mit einem „ACHTUNG!“ eintrat. Unwillkürlich nahmen Fabienne, Finja und Dana Haltung an, dann grinste Decker und zwinkerte Levi zu. „Alte Gewohnheit.“ Grinste er, als Frank als letzter die Wohnung betrat.
Levi lachte noch, als Frank hinter sich die Tür schloss und die Anwesenden musterte. „Schön!“ Stellte er fest. „Alle da, dann können wir loslegen.“

***

Dresden

„Du hast ja nicht mehr alle Tassen in Schrank!“ fuhr Dressler Silka an. „Einen Scheiß werde ich tun, und schon gar nicht, gehe ich zu den Bullen!“
„Was willst du denn sonst bitte schön tun?“ fragte ihn Silka, „Hast du vor dich den Rest deines Lebens, hier unter meinem Bett verstecken?!“
„Ich brauche nur etwas Zeit, dann tauche ich unter und dann werden mich diese Schweine niemals erwischen!“
Silka stieß ein trockenes Lachen aus. „So wie vor deiner Wohnung?“ fragte sie spöttisch. „Du hast weder Geld, noch einen Pass, wie weit wirst du wohl kommen?“
„Weit genug!“
„Schluss jetzt!“
„Silka! Ich bin vielleicht am Tod von mindestens vier Frauen beteiligt! Und Leonie! Wenn ich zu den Bullen gehen, bin ich so gut wie tot, die sperren mich den Rest meins Lebens ein und das Leben im Knast wird sehr kurz sein. Wenn die Schweine Leonie umbringen, bin ich ein Gehilfe von Kindermördern und ich überlebe den Knast keine zwei Tage!“
„Halt deine verfluchte Klappe, du Arschloch!“ schrie ihn Silka an.
„Du denkst immer nur an dich! Tallia ist TOT! Fünf Frauen sind TOT! Ein Kind wird irgendwo da draußen gefangen gehalten und du jammerst hier herum! Du wolltest meine Hilfe, also wirst du verdammt nochmal tun, was ich sage, weil ich ansonsten deinen Arsch vor die Tür treten werde und die Bullen selbst rufe! Und ich denke nicht, dass du dir Sorgen um den Knast machen musst, denn wenn die wissen wo du bist, dann wirst du dort NIEMALS lebend ankommen! Hast du das verstanden?!“
„Silka…“
„Schnauze! JA oder NEIN?!“
Dressler starrte Silka eine Ewigkeit an, so als ob ihm bewusst wurde, dass er nun an dem Punkt stand, an dem es kein Zurück mehr gab. „Ja…“ flüsterte Dressler und sank in sich zusammen.

***

Mainstadt

In der Keilstraße in Mainstadt hatten alle Anwesenden Platz genommen und ganz selbstverständlich saß Frank am Kopfende des Tisches, flankiert von Decker auf der einen Seite und Levi auf der anderen. Am anderen Ende des Tisches standen zwei Bildschirme auf denen Dagan und Lem zugeschaltet waren.
„Auf Soulebda überschlagen sich die Ereignisse.“ Berichtete Dagan. „Unser Ermittlerteam hier konnte einen geheimen Priesterorden ausfindig machen, welche wir als die schwarzen Priester bezeichnen. Da sie im geheimen agierten, konnten sie sich unerkannt bewegen und Soulebda nach Belieben verlassen. Wir gehen davon aus, dass der Priester, der das Kum’do in Mainstadt leitet, ein Angehöriger dieses schwarzen Ordens ist.“
„Was ist das für ein Orden?“ wollte Frank wissen.
„Es ist kein offizieller Priesterorden. Die Angehörigen dieses Ordens beten nicht zu Mualebda, sondern huldigen mehreren alten Gottheiten, unter anderem Koulne’bar, einem Gott, dem man früher Menschenopfer darbrachte, bis er von Mualebda als „Oberste Göttin“ abgelöst wurde.
Die oberen Priester dieses Ordens aber, lassen ihre Anhänger aber weiter zu Koulne’bar beten, denn mit ihm als Gott, können sie das Kum’do weiterhin als „Zeremonie“ verkaufen. Die Polizei Soulebdas hat, gemeinsam mit dem Geheimdienst, einen gewissen Shau’Gra’Zin als Oberpriester feststellen können, der von Ka’ihlih aus agiert.“

„Worin besteht der Zusammenhang zwischen der Toten hier in Mainstadt und diesem schwarzen Orden?“ meldete sich Finja.
„Die Priester sind fester Bestandteil der Spielrunde, denn sie leiten das Spiel, außerdem sind sie an den Wetterlösen der Spiele beteiligt und ihr Anteil beträgt zehn Prozent aller Einnahmen.“
„Kann man in etwa beziffern?“
„Bei großen Turnieren des Kum’lata, also der nicht tödlichen Variante welche auf dem Kontinent gespielt wird, betragen die Einnahmen eines Spielleiters, pro Spielrunde, etwa dreitausend Euro… Beim Kum’do ist es mindestens das Hundertfache.“
„Moment…“ rechte Dana nach, „vierundsechzig entführte Menschen, sechs Spieler, ein Opfer pro Spiel… das macht achtundfünfzig Spiele zu je dreihunderttausend Euro… Scheiße…das sind siebzehneinhalb MILLIONEN!“
„Jetzt kennt ihr die Dimension dieses Verbrechens und die Motivation der Priester hinter dem Spiel.“
„Weiß die Polizei wo sich Shau’Gra’Zin aufhält?“ wollte Lem wissen.
„Tja, sie wusste es… aber als man eine Festnahme vorbereitete, kam es zu gewissen Schwierigkeiten.“
„Schwierigkeiten welcher Art?“ fragte Frank nach.
„Auf Ka’ihlih hat es eine gewaltige Explosion gegeben, der untere Schnabel des Papageis ist seit gestern Abend nur noch ein rauchendes Loch.“ Teilte Dagan mit und bezog sich auf den Namen der Insel, welche „singender Papagei“ bedeutete. „Die ersten Berichte aus Ka’illih deuten nicht auf Opfer unter den Einwohnern hin, da das betroffen Gebiet nicht besiedelt ist, doch es hieß, der Orden habe dort seine geheimen Höhlen.“
„Wie konnte es zu einer derart heftigen Explosion kommen?“ fragte Levi.
„Keine Ahnung!“ gestand Dagan ein. „Wir wissen es nicht! Mehrere Einheiten der Armee und des Zivilschutzes sind seit zehn Stunden im Einsatz. Erste Untersuchungen und Messungen haben ergeben, dass es sich nicht um eine, durch Explosionsstoffe herbeigeführte, Detonation handelt. Es gibt keinerlei Rückstände von Sprengstoff oder andere Rückstände… auch eine vulkanische Eruption oder der Einschlag eines Meteors wird ausgeschlossen, weswegen die Rettungskräfte vor einer halben Stunde Entwarnung gaben.“
„Aber…“ begann Hannes, „eine Insel explodiert nicht einfach so.“
„Das wissen wir alle, wir wissen bloß nicht, wieso plötzlich ein Teil Ka’Ihlih ein rauchendes Loch ist, und warum es gerade der Teil von Ka’ihlih ist, der dem schwarzen Orden als Unterschlupf diente.“
„Was ist mit diesem Shau’Gra’Zin?“ wollte Decker wissen.
„Tja, da sich im Moment alles darauf konzentriert herauszufinden, was überhaupt geschehen ist und die Armee, Polizei und Küstenwache zum Schutz der Bevölkerung abgestellt ist, können wir es nicht ausschließen, dass zumindest einige der schwarzen Priester in diesem Chaos unerkannt untertauchen konnten.“
„Hmm“, meinte Fabienne, „wenn dieser Shau’Gra’Zin mitbekommen hat, dass es auf Soulebda zu heiß für ihn wurde, könnte ich mir vorstellen, dass er hierher nach Mainstadt kommt. Hier findet er bei seinem Ordensbruder Unterschlupf und nicht zuletzt warten hier siebzehn Millionen Euro auf ihn.“
„Ma’Gus überwacht natürlich alle Fluchtwege, aber ich nehme an, wenn sich Shau’Gra’Zin abgesetzt hat, wird er sich sicher nicht die üblichen Fluchtrouten, also Fidschi oder Alofi absetzten… ihn zu finden dürfte schwierig sein.“
„Wenn er hier nach Mainstadt kommt, werden wir ihn früher oder später aufspüren.“ Meinte Fabienne. „Eher früher.“
„Das sehe ich anders.“ Entgegnete Decker und legte seine Stirn in Falten. „Wenn die siebzehn Millionen nur zehn Prozent darstellen, was glaubt ihr, werden die Typen anstellen, die die restlichen einhundertdreiundfünfzig Millionen kassieren, wenn sie mitbekommen, dass wir hinter ihnen her sind?“

***

Dresden / Mainstadt

„Winter!“ erklang die Stimme der Staatsanwältin eisig. Karin Winter, oder CW (Chemnitz Winter) wie man sie mittlerweile hinter ihrem Rücken nannte, war müde und hatte die letzten Tage nur wenig geschlafen. Immer wieder trieb sie die Suchmannschaften an, die Leonie noch immer suchten, besuchte und koordinierte Kämpfers Abteilung mit anderen Ermittlungsbehörden in beinahe ganz Europa und stachelte sie alle zu Höchstleistungen an. Ein Außenstehender konnte sich kaum vorstellen, welche Arbeit es war, mehrere Polizeibehörden Europas dazu zu bringen, miteinander zu arbeiten, denn es durfte auf keinen Fall durchsickern, dass man den Zusammenhang zwischen den Entführten und der Toten im Park entdeckt hatte! Gerade kam sie aus dem Polizeipräsidium, wo sie sich von Merlenbach über den Stand der Suche nach Dressler erkundigt hatte, wobei das Ergebnis nicht allzu überraschend war… man suchte Beide mit Hochdruck, aber Dressler und das Kind blieben verschwunden.

„JA!“ fragte sie unwirsch, als sich niemand meldete.
Am anderen Ende der Leitung erklang erst einmal nichts, doch Winter konnte deutliche Atemgeräusche vernehmen. „Hallo?!“
„Hier… hier ist Silka Vence…“ erklang schließlich eine verängstige, leise Stimme, „ich rufe wegen der Toten im Park an.“
Sofort erklangen bei Winter die Alarmsirenen, denn man hatte zwar überall eine Nummer für Hinweise gezeigt und diese Nummer stand auf tausenden Plakaten, doch niemals hatte man ihre Durchwahl bekanntgegeben!
„Wer sind sie?! Wie kommen sie zu dieser Nummer?!“
„Ich habe ihre Servicezentrale belogen und einen falschen Grund genannt… jedenfalls kam ich so an ihre Durchwahl.“
-Na toll!- Fuhr es Winter durch den Kopf, sie musste wohl dringend mit der Zentrale reden! So etwas durfte nicht geschehen! „Na schön, Silka Vence“, antwortete Winter und schaute auf das Display, das aber nur „AMT“ und keine Nummer anzeigte. „Die Tote im Park, was wollen sie mir mitteilen?!“
„Ich … ich eigentlich nichts…“
„Dann beende ich das Gespräch jetzt!“
„NEIN!“ rief Silka. „Hören sie, bei mir ist Bernd Dressler!“
Mit einem Schlag war Winter hellwach! In nur zwei Sekunden hatte sie den Alarmknopf auf der Tastatur sowie „F4“ gedrückt, was „Anruf zurückverfolgen!“ bedeutete „Silka! Beantworten sie die folgenden Fragen nur mit Ja oder Nein! Ist Dressler jetzt bei ihnen?“
„Ja.“
„Bedroht er sie?“
„Nein.“
„Weiß er, dass sie jetzt mit mir reden?“
„Ja.“
„Hört er zu?“
„Ja.“
Die Antworten kamen schnell und sicher, so das sich Winter sicher war, dass Silka die Wahrheit sagte und ihr Leben, zumindest nicht jetzt, in Gefahr war.
„Geben sie ihn mir.“ Winter hörte, wie am anderen Ende der Hörer weitergereicht wurde. „Dressler?! Wo ist Leonie?!“
„Ich weiß es nicht! Ich weiß es wirklich nicht! Ich SCHWÖRE! Ich habe mit der Entführung der Kleinen NICHTS zu tun!“
Winter schwieg, die Stimme am anderen Ende, klang sehr verzweifelt und Winter ließ sich ihr letztes Gespräch mit Perlacher durch den Kopf gehen. Sie hatte mit Marion auf Soulebda geredet und sich eine Einschätzung von Dressler geben lassen. Sie und auch Mohrle waren der Meinung, dass Dressler zwar ein Krimineller, aber kein Mörder oder Kidnapper war.
-Anruf lokalisiert, Vence Silka, Habergasse 3, 01067 Dresden- erschien auf Winters Bildschirm und ein weiteres Licht an ihrem Telefon fing an zu blinken. Winter wusste, dass am anderen Ende der Diensthabende Einsatzleiter war, der auf ihre Anweisungen wartete. Sie drückte für eine Sekunde die Stummtaste zu Dressler, und sagte nur „WARTEN!“, dann schaltet e sie zurück zu Dressler.
„Was ist mit Heidemarie Langler?!“
„Ich hab sie nicht umgebracht.“
„Sie waren aber als Letzter bei ihr!“
„Nein… ich wollte Heidemarie retten! DIE haben Heidemarie umgebracht und DIE haben auch Leonie!“
„Wer ist DIE?!“
„Das weiß ich nicht… Ich weiß überhaupt nichts mehr…“ jammerte Dressler.
„Da sie sich gemeldet haben, gehe ich davon aus, sie wollen mit mir reden, ich schicke ihnen ein paar Beamte, die sie in Gewahrsam nehmen.“
„NEIN!“
„Dressler…“
„Ich sagte nein…“
„Gib her!“ erklang Silkas Stimme und Winter hörte, wie Silka Dressler den Höher aus der Hand nahm. „Keine Polizei!“ sagte Silka.
„Silka! Was denken sie denn, soll ich jetzt tun?“ wollte Winter wissen und hatte schon die Worte ZUGRIFF auf dem Bildschirm stehen, zögerte aber noch, die Enter-Taste zu drücken.
„Hören sie! Dressler wird sich stellen, aber er nur Ihnen! Keine Polizei! Wir können der Polizei nicht trauen!“
Winters Finger schwebte noch immer über der Enter-Taste, als sie fragte. „Wieso trauen sie der Polizei nicht?!“
„Dressler sagte, dass die Mörder absolut alles über die Opfer wussten, außerdem gab es vor zwei Tagen mitten in Dresden einen weiteren Mord an einer Frau und nicht eine Meldung kam in den Nachrichten! Wie kann das sein, wenn nicht jemand aus der Polizei mit den Killern zusammenarbeitet?!“
„Ein weiterer Mord? Wer ist das Opfer?“
„Tallia Hollker… sie war meine Freundin…“
Der Finger schwebte noch immer über der Taste… konnte das stimmen? Was sollte sie jetzt tun? Dressler hatte sich bei ihr gemeldet und er schien bereit zu sein, sich zu stellen. Sagte Dressler die Wahrheit und er war nicht an Leonies Entführung beteiligt, dann war sie auf seine Zusammenarbeit zwingend angewiesen! Diese Zusammenarbeit war mit nur einem Mittel zu erreichen! Vertrauen! Wenn sie jetzt ein Einsatzkommando losschickte, um Dressler zu kassieren, würde der mit Sicherheit kein einziges Wort mehr sagen! Und sollet Dressler tatsächlich Recht haben… war es möglich, dass jemand aus der Polizei mit den Killern unter einer Decke steckte? Das konnte Winter zumindest nicht ausschließen, mit Sicherheit aber war sich Winter darüber im Klaren, dass die Angreifer sie und Kämpfers Abteilung beobachteten! Und wenn schon Silka mit einer fadenscheinigen Lüge an ihre Durchwahl kam… Winter zog ihren Finger zurück!
„Sind sie nach da?“ fragte Silka.
„Ja, sind sie jetzt sicher?“
„Ich denke, ja.“
„Also gut, keine Polizei! Ich werde mich mit ihnen treffen! Aber ab jetzt läuft es so, wie ich sage!“
„Ok.“
„Haben sie etwas Geld?“
„Ein wenig.“
„Verlassen sie sofort ihre Wohnung und nehmen sie ein billiges Zimmer. Keine Anrufe oder Kontakte mehr, zu Niemandem, auch nicht zu mir! Heute ist Mittwoch, am Freitag um punkt vierzehn Uhr stehen sie vor der Touristeninformation der Innenstadt, sie werden dort abgeholt!“
„Gut, verstanden. Wer holt uns ab?“
„Freunde von mir und nein, sie sind nicht von der Polizei.“
„Woher weiß ich das?“
„Das wissen sie nicht, sie müssen mir einfach vertrauen.“
Silka schwieg einen Moment, sah zu Dressler der schließlich nickte. „Gut, Freitag um vierzehn Uhr.“ Willige sie ein und legte den Hörer auf.
„Und jetzt?“ wollte Dressler wissen.
„Du hast es gehört, wir verschwinden sofort. Wir gehen zum Hotel „Obstgarten“.“
„In diese Absteige?“
„Mehr können wir uns nicht leisten und dort sucht uns bestimmt niemand.“

***

Winter legte den Hörer auf und griff ihr ein Handy. Dieses war nicht irgendein Handy, es war ein Handy, welches ihr Mohrle gegeben hatte, das die neuste und beste Verschlüsselung hatte, welche es überhaupt gab und auf dem nur eine einzige Nummer einprogrammiert war.
„Mohrle.“
„Hier ist Karin, Dressler hat sich gemeldet!“

***

In der Keilstraße dauerte die Beratung und Einweisung noch an, als Lem plötzlich den andren mitteilte, „Achtung! Mohrle ruft an.“ Er drückte ein eine Taste an seinem Telefon und meldete sich, dann nickte er und sagte, „Heinz, ich schalte auf Lautsprecher! Teilnehmer sind Dagan und Frank Brauer mit seinem Team.“

„Das trifft sich gut.“ Hörten die anderen Mohrle sagen, Hallo Dagan. Frank, wie stehen die Dinge?“
„Ich sitze hier mit einem Spitzenteam und warte auf einen Auftrag.“
„Den bekommst du sofort. Dressler hat sich bei Winter gemeldet, er will sich mit ihr treffen.“
„Dressler! Weiß er etwas über Leonie?“ fragte Dagan.
„Er behauptet, nichts über ihren Aufenthaltsort zu wissen und Winter glaubt ihm, dennoch ist er der Einzige, der uns helfen kann.“
„Wo ist er jetzt?“
„In Dresden. Winter hat ihm zugesichert, dass ihn jemand am Freitagmittag abholt und dass derjenige nicht von der Polizei ist.“
„Also sollen wir ihn abholen?“ stellte Frank fest.
„So einfach wird das nicht sein… Ich glaube nicht, dass jemand aus der Polizei direkt mit den Verbrechern zusammenarbeitet, aber ich bin davon überzeugt, dass man Winter unter Beobachtung hat, wenn man sie nicht sogar abhört.“
„He, da höre ich doch etwas heraus!“ warf Decker ein.
„Natürlich hörst du da etwas.“ grinste Mohrle. „Ich weiß sogar genau, dass Winter abgehört wird. Unser Spezialist hatte es zwar schwer, da das Equipment der Bösen völlig neu ist, aber unsere Techniker sind besser als ihr Ruf.“
„Weiß Winter das?“
„Naja, sie ist klug und wird es zumindest annehmen.“
„Du hast es ihr nicht gesagt?“
„Ein Teil unserer Absprache! Wenn die Sache schief geht, wusste sie keine Einzelheiten.“
„Mohrle, ich ziehe meinen Hut vor Winter und dir.“ Nickte Dagan anerkennend. „Was tun wir jetzt? Die Bösen wissen jetzt, dass Dressler in Dresden ist und wo er sich wann aufhält.“
„Ja, aber sie wissen nichts von uns! Das ist unser Vorteil.“
„Frank?“ fragte Lem.
Der blickte auf die Uhr und meinte dann, „Caroline und Peter besteigen in zwei Stunden ihr Flugzeug nach Hause. Sie werden noch rechtzeitig genug ankommen um nach Dresden zu fahren und Dressler abzuholen. In der Zwischenzeit, werden wir in Stellung gehen und den Killern eine Lektion zu erteilen.“
„Gut.“ Meinte Mohrle, „aber denkt daran, ein paar dieser Schweine brauchen wir lebend, denn Tote können nicht reden.“
„Keine Sorge, ich hab nicht vor, in Dresden Wild West zu spielen.“ Beruhiget Frank.
„Das habe auch nicht angenommen, aber kennt Peter diesen Punkt des Plans auch?“

***

Mainstadt / zum Kreuzritter

Ein in feinstem Anzug gekleideter Diener erschien bei Kitzinger, um ihm seinen bestellten Gin zu bringen, als sein Handy vibrierte.
„Glöckner!“ teilte er Gernfried und Hombacher mit und nahm das Gespräch an. „Herr Glöckner?“
„Wir wissen, wo Dressler ist! Er ist in Dresden!“
„Wie sicher ist diese Information?“
„Wir konnten ein Gespräch zwischen Dressler und dieser Winter mithören. Dressler hält sich in Dresden bei einer seiner Exmädchen versteckt. Er will sich am Freitag mit Winter treffen.“
„Dann holen sie ihn vorher ab!“
Als Glöckner nicht gleich antwortete fragte Kitzinger, „Gibt es dabei ein Problem?“
„Nur ein Nebensächliches… wir wissen zwar, dass Dressler in Dresden ist, aber nicht wo, doch wir wissen, wo er sich am Freitag aufhalten wird.“
„Sehen sie eine Chance Dressler und diese Bekannte von ihm herzubringen, ohne dass die ganze Stadt darauf aufmerksam wird?“
„Selbstverständlich!“
„Gut, dann kümmern sie sich darum!“ befahl Kitzinger und beendete das Gespräch.
„Was ist das Problem?“ wollte Gernfried wissen, als Kitzinger ein besorgtes Gesicht machte.
„Winter hat mit Dressler geredet. Sie will sich mit ihm treffen, etwas das wir unter allen Umständen verhindern müssen. Aber… ich weiß nicht… irgendetwas sagt mir, dass da etwas nicht stimmt.“ Er wandte sich an Gernfried und fragte, „Haben sich die Singhs schon gemeldet?“
„Ja, sie schicken uns einen ihrer besten Leute mit etwas Unterstützung.“
„Gut… sag ihnen sie sollen sich am Freitag auch nach Dresden begeben. Sollte es sich das Ganze als Falle herausstellen, sollen sie sich um diejenigen kümmern, die uns in die Quere kommen.

***

Soulebda / Airport

Eng umschlungen verabschiedete sich Penelope von ihrer Nun’tschula während ich noch mit Marion redete.
„Ihr haltet uns auf dem Laufenden?“ fragte ich sie.
„Selbstverständlich.“ Nickte Marion als Caroline und Penelope zu uns kamen. „Ich habe gehört, dass es Möglichkeiten gibt, euch direkt zu erreichen.“
Caroline und ich grinsten uns an und ich warf meiner Frau eine Augenzwinkern zu, „ja wir sind permanent auf Empfang, wenn ihr also etwas über Shau’Gra’Zin herausfindet, sagt es Ma’Difgtma, sie wird uns kontaktieren.“
„Diese Insel steckt voller Geheimnisse!“ Stellte Marion fest, alleine diese mysteriöse Explosion…“
„Ihr solltet jetzt los, wenn ihr euren Flieger nicht verpassen wollt.“ Lenkte Penelope das Gespräch in eine andere Richtung, als Marion die Ereignisse von Ka’illin erwähnte und schob uns in Richtung des Gates.
„Ich verstehe schon…“ sagte Marion und hob abwehrend die Hände, „ich hake nicht nach, wir haben mit der Suche nach Shau’Gra’Zin auch schon genug zu tun.“
„He was ist denn da los?“, fragte ich, als eine Gruppe Männer und Frauen plötzlich vor dem Zugang der Flugzeuge zum Gate die Halle betraten. Diese Gruppe bestand eindeutig aus Europäern und es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass es keine Touristen waren.

„Das sind Mitglieder des irischen Defence Forces Training Center. Teilte uns Penelope mit.
„Iren? Von denen hat ja nur ein Mann rotes Haar… Und was tun die hier?“
„Na trainieren.“ Antwortete Penelope und zeigte nach links, wo Jerome mit einem jüngeren Krieger an seiner Seite auf die Gruppe zutrat. „Mittlerweile haben unsere Sicherheitskräfte auch einen guten Ruf in Europa und die Iren wollen sich unser Training ansehen und mit unserer Spezialeinheit gemeinsam üben.“
„Ah, deswegen ist Jerome dabei.“ Meinte ich und winkte diesem zu, als er zu uns herübersah.
„Wer ist der junge Krieger?“ wollte Caroline wissen.
„Das ist Ma’aru a’Hualbs Sohn Tach’lurv. Er ist seit kurzem der Verbindungsmann der Garde zu den Stämmen.“
„Der kleine Tach’lurv?“
Penelope lachte auf. „So klein ist der gar nicht mehr, meine geliebte Nun’tschula, die Zeit geht auch hier weiter.“
„Ich hoffe, die sind noch da, wenn wir zurückkommen. Irischer Whisky ist einer der Besten. Wir müssen jetzt aber los.“ Drängte ich und gab Penelope einen Abschiedskuss, während es bei Marion, anders als bei Caroline, die Marion einen Kuss gab, bei einem Handschlag blieb, dann drehten wir uns um und gingen in Richtung Gangway.
„Um ehrlich zu sein“, sagte ich zu Caroline auf dem Weg zum Flieger, „es fällt mir immer schwerer, von hier wegzugehen.“
„Mir auch, lass uns noch etwas durchhalten, dann ist diese Insel unser Zuhause.“
„Ach Schatz, mein Zuhause ist da, wo du bist.“
„Schleimer.“ Lächelte sie, als ihr Handy brummte. Sie holte es aus ihrer Tasche und las die Nachricht. „In Mainstadt wartet ein Sonderauftrag auf uns.“ Teilte mir Caroline mit.
„Was für ein Auftrag?“
„Der Mann der als Letztes mit Langler zusammen war, will sich stellen und wir sollen ihn abholen. Im Flugzeug will uns Lem eine genaue Einweisung geben.“
„Riecht nach Action.“
„Ja, könnte sein… bleib cool und bring Blücher nicht am ersten Tag um.“
„Blücher? Wer ist Blücher?“ wollte ich wissen.
„Unser neues Auto.“
„Du… willst das Auto Blücher nennen?!“
„Hast du etwas dagegen?“
„JA! Autos heißen nicht Blücher! Autos heißen Gina, oder Foxy Lady, irgendwas in der Art, aber NICHT Blücher!“
„Ich fahre ganz sicher nicht in einer Foxy Lady durch die Gegend!“ Stellte Caroline klar. „Und Gina, passt überhaupt nicht zu dem SUV.“
-Blücher auch nicht!- dachte ich, schwieg aber, denn wenn sich Caroline etwas in ihren hübschen Kopf gesetzt hatte, war es beinahe unmöglich, ihre Meinung zu ändern, also fand ich mich mit dem Unvermeidlichen ab. „Na ja… wenigstens hat er Vorwärtsgänge.“ Brummte ich.
„Ach komm du Brummbär“, sie legte ihren Arm um mich und zwinkerte mir zu, „ich hab auch eine Überraschung für dich.“ Tröstete sie mich. „Ich verspreche dir, du wirst Blücher lieben.“

***

Über den Wolken

Der Flug nach Hause verlief ruhig und angenehm, denn Die Ausstattung der A-380 Maschinen von Singapore Airlines war einfach genial. Gut ¾ der Sitzplätze waren belegt und wir hatten erneut in einer Suite Platz gefunden. Auf einer Runde durch den riesigen Flieger trafen wir auf eine uns bekannte Flugbegleiterin.
„Hi Jasmine, ich wusste gar nicht, dass du auf diesem Flug bist?“, begrüßte Caroline die diensthabende Purserin.
„Caroline, mein Schatz, und das muss dein Mann sein. Ja ich habe die Liste gesehen und wusste daher, dass ihr auf dem Flug seid. Ihr habt die Suite drei, die ist mit die bequemste hier in diesem Flieger. Das heißt dann wohl, euer Urlaub ist zu Ende?“
„Ja die Pflicht ruft uns wieder ganz laut nach Deutschland. Darf ich dir meinen Mann vorstellen, das ist Peter Stein, Peter das ist Jasemine Vastefalle.“ Jasmine wollte uns in zwei Stunden besuchen kommen, denn dann hatte sie Pause.
„Eines noch“, sagte Jasemine, „vorhin, als ihr im Bordrestaurant ward, da schlich ein Passagier um eure Suite und machte sich am Schloss zugange, ich weiß nicht, oder versucht hat bei euch einzubrechen, aber ihr solltet aufpassen. Ich habe ein Bild von dem Mann, es stammt von der Überwachungskamera nahe eurer Tür.“
Sie zeigte uns ein gestochen scharfes Bild eines Mannes, Mitte 40, nur 1,65m groß, mit Hornbrille und dem Aussehen her würde er als Filipino durchgehen. „Mir erschien der Mann nicht ganz ehrlich, passt bitte auf, ja?“
Jasemine schickte uns einige Bilder als Datei und Minutenspäter hatten wir die Bilder an unsere EDV Cracks in Soulebda und Deutschland gesendet, mit der Bitte diesen Menschen zu überprüfen.

***

Mainstadt, in Randys Werkstatt

In Randys Werkstatt lief aktuelle Musik aus dem TV an der Wand. Seit die Spezialisten aus Israel hier in der JVA angekommen waren, um an Blücher zu arbeiten, kam auch Dana immer wieder hier vorbei, um Randys Routineaufgaben zu übernehmen. Dana hatte unsere Mail zuerst gesehen und ließ die Suchroutinen über den Verdächtigen laufen. Randy war noch an den Spezifikationen des neuen Wagens zu Gange und kam dann zu seiner Verlobten, schaute ihr über die Schulter und gab ihr einen sanften Kuss.
„Der Wagen wird den beiden Spaß machen, das kann ich dir sagen Schatz. Wahrscheinlich wird sich Peter überlegen, wie er das Teil in sein Schlafzimmer bekommt.“
„Randy, Schatz, Caroline und Peter haben aus ihrem Flieger um eine Personenüberprüfung gebeten, sie meinten, eine Schweinebacke an Bord zu haben und tatsächlich, ich habe einen Treffer!“, sagte sie und Randy sah sich mit Dana das Ergebnis an.
„So, lass mal sehen,“, sagte Randy „Kata’Lunta, 47 Jahre, Priester auf Soulebda, vermutlich Mitglied der SP’s also der schwarzen Priester. Bingo, der Typ gehört zu den schwarzen Priestern, vor denen wir aus Soulebda gewarnt wurden. Die wollen unsere beiden Wahl-Soulebdalesen umbringen. Ich werde Hauer und Ma’Gus kontaktieren.“
Schon saß Randy an der Tastatur und informierte den Palast auf Soulebda, danach über die Smartphones Caroline und Randy und eine Kopie ging an Frank und Decker.
„Ich leite das an die Security Abteilung der Singapore Airlines, die haben vielleicht einen Luftsicherheitsbegleiter an Bord und der sollte sich mit unseren Schützlingen absprechen.“
Nachdem die Mails versendet waren, schaute Dana zu Randy, der bereits wieder sein lausbübisches Grinsen aufgesetzt hatte.
„Ihr baut aber den SUV nicht zum Gadget-Mobil um oder doch?“
Randy schaute noch auf seinen Laptop, grinste dann Dana frech an und sagte ihr, nachdem er ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hatte.
„Unsere beiden sollte jede Hilfe bekommen, die es gibt. Wenn jemand so ein Mobil braucht, dann ja wohl die zwei, oder?“

***

Im Luftraum über dem Pazifik

„Schönen Gruß aus Mainstadt, Randy hatte uns ein paar Infos zu dem Mann geschickt, das ist in der Tat einer der schwarzen Priester.“ Caroline saß am Notebook und las die Neuigkeiten aus der alten Heimat, als das Kabinentelefon summte. „Das ist bestimmt Jasmine.“, sagte sie und nahm ab.
Peter stand am Eingangsbereich unserer großzügigen Suite und überprüfte etwas. „Ja danke Jasmine, wir warten auf den Mann, danke und bis gleich.“ Sie legte auf und lächelte Peter an.
„Ein Sicherheitsmann kommt vorbei, um uns abzuholen, die haben auch die Informationen bekommen, dass das einer der schwarzen Priester ist.“ Schon summte es bei uns an der Tür und Peter öffnete und schaute auf den Lauf einer Pistole.
„Reingehen, kein Laut!“, zischte der kleine Mann, den wir von den Bildern bereits kannten. Der Priester trat ein und schloss die Tür hinter sich, drehte den Regler an der Tür auf „Bitte nicht stören“ und kam auf uns zu.
„Hinsetzen!“, murrte der Mann einsilbig. Seine Pistole war geladen, der Hahn gespannt und wir wussten, dass er nicht zögern würde zu schießen. Dazu hatte man uns bereits gewarnt, dass diese schwarzen Priester gedungene Mörder waren. Ein Blick von Caroline sagte mir alles, sie hatte schon einen Plan und da ich meine Frau kannte, wusst ich auch, dass ich in dem Plan vorkam.
Der Mann setzte sich an die vordere Tischecke, Caroline saß rechts neben ihm und ich gegenüber von ihm. Anscheinend waren seine Informationen über Caroline nicht aktuell, sonst hätte er sie als Gefährlicher angesehen und nicht mich.
„Was ist?“ fragte ich, als Caroline ein vorwurfsvolles Gesicht machte. „Wieso hast du einfach die Tür geöffnet, ohne nachzusehen, wer davor steht?!“ Fauchte sie und wahrscheinlich sah es für jeden Außenstehenden so aus, als ob Caroline ernsthaft böse auf mich sei.

Zumindest wirkte es bei dem schwarzen Priester, denn er konzentrierte ich immer mehr auf den Streit zwischen uns.
„Du weißt, dass ein Attentäter hinter uns her ist und lässt ihn einfach herein?! Warum nimmst du ihm die Arbeit nicht ab und bringst uns selber um?!“
„Gerade hätte ich Lust dazu! Du hast auch schon Mist gebaut, Miss Perfekt!“
„Ich gab dir gleich Miss Perfekt, du…“
„Schluss jetzt!“ schrie der schwarze Priester und hieb auf den Tisch, und bekam nicht mit, wie Caroline und ich etwas auseinander rutschten.
„Ihr werdet in Deutschland erwartet, aber seid euch gewiss, dass ihr dort nur lebendig ankommt, wenn ich das wünsche.“, begann der Priester seine Drohungen.
„Ihr trinkt diese Fläschchen aus und werdet dann schlafen, alternativ bringe ich euch einzeln um, dann werdet ihr aber länger schlafen!“
Carolines Blick ging zur Decke mit dem Modellflieger und sie trat mir dreimal auf den Fuß und ich verstand, dass nun Teil zwei des Planes kommen würde.
„Wer bist du, was willst du?“, fragte ich den Priester und räkelte mich auf dem Ecksitzplatz etwas nach links, von Caroline weg. Sofort hob der Priester die Pistole mit der linken Hand und zeigte mir, dass er durchaus schießen würde.
Caroline trat mir nochmals auf den Fuß und ich zuckte zurück. „Nicht schießen!“, rief ich. Der Priester war etwas verwirrt, aber lächelte verschlagen. Das war Carolines Moment.
Im nächsten Moment hatte sie den Brieföffner in den Abzug der Waffe gerammt und der Brieföffner blieb in einer Längsbohrung des Abzugs stecken und durchstieß die Hand des Schützen. Als der Priester dann abdrückte, geschah nichts, denn der Abzug kam nicht zum Auslösen, da er blockierte war und nicht weit genug nach hinten durchdrücken ließ.
Für mich sah es aus, als ginge alles gleichzeitig. Caroline hatte den Mann auf die Schuss Hand geschlagen und mit der anderen Hand den Magazinauswerfer gedrückt. Noch während das ausgeworfene Magazin auf den Tisch fiel, hatte sie die Waffe bereits hab zerlegt und den Schlitten in der Hand, den sie dem Priester mitten ins Gesicht schlug.
Jetzt kam auch ich zu Zuge und hatte den geschnitzten Flieger von der Decke gerissen um ihn auf dem Genick des Priesters zu zerschlagen. Caroline erschrak, ich ebenfalls, als ich erkannte, dass der Modellflieger einen Propeller aus Metall hatte, der jetzt im Genick des Priesters steckt. Kraftlos sackte der Mann zusammen, fiel auf den Tisch. Sein Blick war irgendwie verwirrt, er hatte das Ende nicht mehr verstanden.
Caroline betrachtete die Reste des Modellfliegers, als ich ihr sagte. „Made in Germany, Focke Wulf 190 A4, das nenne ich Qualität.“
„Woher weißt da das so genau?“
„So ein Teil hat mein Großvater geflogen und als Modell auf seinem Wohnzimmerschrank stehen.“
Während ich den Mann vom Tisch zog, baute Caroline die Waffe wieder zusammen und schaute danach in den Lauf und das Magazin. „Wenn der Kerl hier drinnen geschossen hätte, diese Kugeln hätten problemlos den Flieger durchlöchert.“
Es klopfte an der Tür und der Sicherheitsmann kündigte sich an. „Darf ich jetzt aufmachen, ohne unsere Ehe zu gefährden?“
„Manchmal bist du echter Klugscheißer!“ schüttelte Caroline den Kopf und ging zur Tür. Als Caroline öffnete, schaute der Mann zögerlich wegen der Waffe und des am Boden liegenden Toten.
„Ich denke, das ist der Mann. Wir haben ihn bereits gesucht. Sind sie in Ordnung?“
„Ja, wir schon, aber der da nicht mehr.“

***

Eine Stunde später war der Attentäter sauber verpackt im Kühlraum verstaut. Die Waffe wurde vom Sicherheitspersonal an Bord sichergestellt und bei der Untersuchung der Kabine des Attentäters wurde noch weitere Dinge sichergestellt, darunter vergiftete Klingen, Springmesser und zwei unbekannte Flüssigkeiten.
Die Landung in Deutschland erfolgte am frühen Morgen und von München aus ging es weiter nach Mainstadt. Am Gate 1 erwartete uns bereits Hannes, in Begleitung zweier Sicherheitsbeamter, die uns zum Wagen begleiteten.

„Hannes, weiß Marianne, dass du hier fremden Frauen am Flughafen auflauerst?“ Mit diesen Worten fiel ihm Caroline um den Hals. „Schön dich wieder zu sehen. Hallo Jungs, gehört ihr zur JVA oder seid ihr zu unserem Schutz da?“
„Das ist deine hiesige Leibgarde, nicht so schön anzusehen, keine Baströckchen, aber die Jungs können auch verdammt gut schießen. Grüß dich Caroline, und hallo Peter, schön euch wieder hier zu haben. Also los, lasst uns losziehen, das Gepäck wird gerade verstaut.“

***

JVA Mainstadt

„Du machst es ja ganz schön spannend.“ Meinte ich zu Caroline, als wir über den Hof der JVA in Richtung Werkstatt gingen.
„Ich weiß auch nichts Genaues, Randy sagte nur, dass etwas an dem Auto gebastelt wurde.“
„Naja, aus Speedy hat Randy auch ein paar PS mehr herausgekitzelt. Was Blücher angeht… können wir über den Namen nochmal reden?“
„Nein.“
„Ich würde auch auf die Foxy-Lady verzichten… wie wäre es mit…“
„Klaus.“
„Was?“
„Klaus. Klaus wäre doch ein toller Name.“
„Vergiss es! Sehe ich so aus, als ob ich meinen Kopf in die Heckklappe von Klaus stecke?“
„Höre ich da etwas politisch Unkorrektes heraus?“
„Natürlich nicht und das weißt du genau, aber wenn ich nicht die Foxy-Lady bekomme, gibt’s auch keinen Klaus.“
„Dann sind wir uns also einig, dass wir bei Blücher bleiben?“
„Wie kann man nur so stur sein?!“
„Sei froh, dass ich so stur bin, sonst hätte ich dich längst umgebracht.“

Mittlerweile waren wir bei der Halle der Werkstatt angekommen und wir traten ein. Dort trafen wir sofort auf ein bekanntes Gesicht.
„Bauers?“, fragte ich, als ich einen der Arbeiter erkannte. Bauers war ein „alter Bekannter“, der fast schon so lange in der JVA einsaß, wie ich hier arbeitete. Dabei hatte Bauers nie ein „großes Ding“ gedreht und kassierte immer nur Haftstrafen von einigen Monaten. „Mann, Sie schon wieder hier? Wie lange waren Sie diesmal draußen, vier Monate?“
„Wenn ich ehrlich sein soll, es waren nur drei Monate.“
„Und was hat Sie dieses Mal zu uns geführt?“ Wollte ich wissen, obwohl ich die Antwort schon kannte. Bauers „lebte“ hier, hier war sein Zuhause.
„Ach einfach ein paar Kleinigkeiten… aber die Gerichte sind mittlerweile so pingelig.“
„Schon klar, die Gerichte sind schuld…“ grinste ich, ließ Bauers weiterarbeiten und ging mit Caroline zum hinteren Teil der Werkstatt. Dort gab es zwei Türen, welche zu separaten Bereichen führten. Dort schloss ich eine Tür auf und wir betraten den abgesperrten Bereich. Randy, der Scherzbold, hatte eine kleine Glühbirne über dem Wagen brennen lassen, so dass das Auto im Licht stand, der Rest des Raumes aber im Dunkeln lag.
„Bis jetzt haut‘s mich nicht aus den Socken.“ Sagte ich, denn das Auto sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte, erst als ich den Lichtschalter betätigte, fielen mir ein paar Dinge auf. „Das Glas sieht anderes aus.“ Stellte ich fest und klopfte dagegen. Es schien einiges dicker zu sein, als vorher, dennoch hatte ich das Gefühl gegen eine richtige Panzerscheibe zu klopfen.
„Das hast du richtig bemerkt.“ Erklang Randys Stimme, der den Raum betreten hatte. Caroline sah sich das Glas ebenfalls an und fragte ihn, „Was habt ihr gemacht?“
„Danas Kollegen haben ein neues Verfahren weiterentwickelt. Sagt euch der Begriff“ Thermisches Vorspannen“ etwas?“
„Nie gehört.“ Gab ich ehrlich zu.
„Wundert mich nicht.“ Grinste Randy und erklärte dann, „Also, man nimmt eine Glasscheibe, erhitzt sie und kühlt sie dann schnell ab. Dadurch entsteht zwischen Oberfläche und inneren der Scheibe ein Druck, der die Festigkeit um das drei bis Vierfache erhöht.

Die höhere Belastbarkeit steigt also um das Vierfache gegenüber seiner Dicke. Danas Abteilung hat die herkömmlichen Scheiben einfach gegen einige dickere und behandelte Varianten ausgetauscht und konnten so eine leichte Version einer Panzerglasscheibe herstellen.“
„Das ist Panzerglas?“ fragte ich nach.
„Nicht im üblichen Sinn, ob sie eine Kugel aushält weiß ich nicht, aber es wäre rechnerisch möglich.“
„Wir haben nicht vor es auszuprobieren!“ stellte Caroline klar.
„Ansonsten haben unsere Freunde den Innenraum etwas sicherer gemacht. Die Türen und das Bodenblech sind mit Verstärkungen versehen, so dass, anders als bei herkömmlichen Autos, die Tür tatsächlich einer Kugel standhält, wenn es nicht gerade ein 23mm Geschoss einer russischen Flak ist.“

Benjamin Levi kam dazu und begleitete mich auf der Besichtigungstour für den neuen Wagen.
Ich ging bewundernd um das Auto herum und öffnete dann die Fahrertür. Sie ging ganz leicht auf, offenbar wurde sie von einem Servomotor unterstützt. Als ich hinter dem Steuer saß, fiel mir sofort der weitere Hebel auf, der neben der Schaltung angebracht war. „Ist es das, was ich denke?“ fragte ich Randy, der breit grinste.
„Oh ja, Du hast jetzt acht Vorwärts und acht Rückwärtsgänge. Das ist der Wahlhebel vorwärts und rückwärts. Dazu hast du mehrere Differentiale, die sich hier einschalten und zu 100% sperren lassen. Die Federung ist pneumatisch mit schusssicheren Luftbälgen und die Starrachsen sind Einzelradaufhängungen gewichen.“
„Ist der ganze Wagen etwa höher, als das Original?“
„Ja das machen die Portalachsen, damit seid ihr 15 cm höher.“
„Das Ding ist ein verkappter Unimog. Andere machen ihren dreier BMW zwei Zentimeter tiefer, ihr erhöht den da um ganze 15 cm. Noch etwas, dass ich wissen sollte?“ Randy lacht und winkte mir zu.

Ich stieg erneut aus und ging um den neuen Wagen herum. „Das Heck ist anders, das ist doch kein Geländewagen, was soll das Reserverad am Heck?“
„Das ist kein Reserverad, das ist Teil der Heckverstärkung und zugleich Materiallager. Da wir den Kühlergrill nicht kugelsicher machen konnten, haben wir die gesamte Heckpartie verstärkt. Leider öffnen sich die Hecktüren nur noch pneumatisch.“
Randy drückte den Entriegelungsknopf und die mächtige Tür öffnete sich fast lautlos.
„Teufel nochmal, was habt ihr da gemacht?“, sagte ich, als die Türe sich öffnete. „Das sieht ja aus wie die Panzerung bei einem Truppentransporter.“
„Nun sagen wir es mal so, solltet ihr jemals durch Omas Vorgarten räubern müssen, im Rückwärtsgang donnert ihr damit auch durch die ganze Garage, und ob da Opas Benz drinnen steht oder nicht ist dann egal!“
Ich umrundete den Wagen und kam zur Bugpartie, die sah noch recht serienähnlich aus.
„Was ist denn da jetzt alles anders, fährt der noch mit Benzin oder brauche ich jetzt JP-8 oder gar Dilizium?“
„Hochoktaniges Super Plus reicht vollkommen aus. Wehe euch, wenn ihr aber irgendeine Öko Plörre einfüllt, das mag der Motor gar nicht. Natürlich entspricht der Motor den aktuellsten Umweltvorgaben. Ach ja, weil das Reserverad fehlt, sind die Reifen geschützt wie bei anderen guten Fahrzeugen und der Luftdruck ist natürlich variabel regelbar.“
„Natürlich. OK das kam an, habt ihr sonst noch etwas in diesem Monster versteckt?“
„Ja sicher, einiges, aber das erklärt dir Simon zu gegebener Zeit dann selbst. Die Lichter sind verstärkte LED Lichter und ihr habt einen zentralen Fernscheinwerfer da vorne eingebaut. Unsere Abteilung nannte das Teil den LED Flakscheinwerfer, es macht so richtig hell. Vielleicht noch etwas zum Motor, er ist voll gekapselt und sollte so ziemlich alles abkönnen, was ansonsten böse ist für Turbo-Motoren. Die Front ist stabilisiert und die vier Ringe sind auch Antennen für andere Sachen. Die Luftansaugung ist versteckt über die Seitenholme gelegt. Übertreibt es aber nicht beim tiefwaten, das Ding schwimmt ab einer Wassertiefe von einem Meter.“
„Und das Wasser, ist der Wagen noch dicht?“
„Selbstverständlich, ich empfehle euch nur bei solchen Wanderungen im Meer, die Fenster zu schließen, der Überdruck bietet eine zusätzliche Sicherheit.“
Ich stand da und betrachtete den Wagen… Verdammt, das war kein Oberklassen SUV mehr, das war jetzt ein verdammter Panzer! Ich sah zu Caroline, die mich belustigt anschaute und schelmisch fragte „Und?“
„Das ist eindeutig KEINE Foxy-Lady.“
„Und… noch enttäuscht, dass es keine Foxy-Lady ist?“
„Vergiss mein Geschwätz, ich liebe meinen neuen Blücher.“
„Es ist UNSER neuer Blücher!“, korrigierte sich mich lächelnd.
„Stimmt Schatz, der gehört uns. Ben, wann geht’s weiter mit der Einweisung?“
„Simon macht ab 14:00 Uhr die Elektronik Einweisung und dann weise ich euch noch in das Combat Control System ein. Der Wagen sollte ja eine Weile halten und das, obwohl du ihn fährst.“ Damit schaute Ben mich grinsend wie ein Kind an und lächelte.

***

Action in Dresden

Peter und ich gingen unten im Hof der JVA zum Seiteneingang. Unsere Sachen waren bereits in Blücher verstaut und wir verließen die JVA mit dem Ziel Dresden.
„Der fährt sich wirklich butterweich und die Spur wird gehalten wie bei der Eisenbahn.“ Stellte Peter fest und tatsächlich war die Fahrgestellabstimmung erstklassig, da hatten die Jungs uns nichts Falsches versprochen. Und wenn mein Mann schon zufrieden war…

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Auf der Autobahn angekommen fädelten wir uns in den laufenden Verkehr ein. Um diese Uhrzeit hatten wir Glück, denn es herrschte nicht das übliche Gedränge wie während dem normalen Berufsverkehr.
Ein Range Rover Fahrer schaute uns argwöhnisch an und drückte aufs Gas. „Ja Schatz, das wirst du jetzt öfter erleben, unser Understatement wird nicht jeder verstehen.“
„Der Wagen hat schon was, aber was haben die sich mit dem kleinen Schild „Forst“ ausgedacht?“
„Das ist eindeutig Franks schwarzer Humor Schatz, wir gehen auf die Jagd nach üblen Schweinen, deswegen Forst.“
„Netter Joke. Hast du dir die Elektronikeinweisung auch gut eingeprägt, die Einweisung war heftig, was die Jungs da alles eingebaut haben, aber auf der DVD hier ist ja alles drauf.“
„Ja Peter, und das Bordsystem hast du ja auch schon angesehen, da ist ebenfalls alles abgespeichert.“
„Eigentlich wollte ich das zusammen mit dir durchgehen, das war recht viel…“
„Schatz, es ist gut, wir kriegen das zusammen hin, was mich immer wieder beeindruckt ist, wie die Leute das mit der Schaltkonsole hinbekommen haben. Ich dachte, die bräuchten viel mehr Platz, aber das da ist einfach genial.“
„Naja beim Bund wussten wir, welche Hebel wir nehmen mussten und der Rückwärtsschalter war da rechts außen und jetzt, jetzt ist alles elektrisch oder vollelektronisch.“
„Ja, aber du hast Benjamin gehört, die Schaltung ist schneller und präziser und da sind einige Zwischenschritte, die wir nicht so genau könnten, also lass gut, sein. Außerdem hast du so einen Vorteil, den du sonst nicht hättest.“
„So welchen denn?“
„Du hast die rechte Hand frei.“ Dabei lächelte ich Peter verführerisch an.
„Oh ja, einweihen müssen wir den Wagen auch noch, mal sehen, ob diese neumodische Pneumopüster an den Achsen auch für Dauer-Auf-Ab geeignet sind.“
„Schatz, das ist unser neuer Blücher und kein Rammel Mobil, das ist auch kein Pussy Dragon und erst Recht kein … PASS AUF – DER TRUCK!“ Schrie ich, da stand Peter schon auf der Bremse.

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Auf der dreispurigen A-72 schien sich ein Drama anzubahnen. Ganz rechts fuhr ein veralteter Lastzug mit Auflieger und begann in Schlangenlinie zu fahren. Der überholende LKW mit einem mächtigen Kühlwagen wurde von diesem mehrfach seitlich angefahren.
Dennoch machte der Fahrer keine Anstalten, an dem uralten Truck vorbeizuziehen.
Auf der Überholspur fuhren die PKW laut hupend vorbei und drohten dem Kühlwagenfahrer teils mit erhobenen Fäusten.
„Da stimmt was nicht, mach vorsichtig, ich prüfe derzeit im Funk, ob da etwas kommt.“
Das Multi Radio hatte seit dem Update auch ein Funkgerät mit Multibandfunktion eingebaut.
Peter hatte inzwischen alle Lichter und den Warnblinker an und blockierte so die Überholspur. Nur zwei Cayenne mit ihren vier Auspuffrohren kämpften sich an uns vorbei und der Beifahrer des letzten zeigte uns seinen Stinkefinger.
„Arsch!“ brummte Peter. „Irgendwann sehe ich dich wieder, dann frisst du deinen Finger!“
Hinter uns fuhren ein PKW-Transporter mit Neuwagen und ein Gelber Engel, welche die Gefahr der Situation auch erfasst hatten und die Autobahn hinter uns komplett zumachten, offenbar kam etwas im CB-Funk. Seltsamerweise verhielten sich die anderen Autofahrer gefasst und nervten nicht, zumindest bekamen wir nichts davon mit.
Auf CB Kanal 19 plärrte ein sichtlich genervter Fahrer.

„… Autobahnbrücke A-72 Richtung Hof ist ein Fahrer auf’m Bock kollabiert, der rast weiter mit gut 70 Sache auf den Hang zu. Schneemeise an alle, hört ihr mich?“
Aus dem Funk kam nur Gequassel und plötzlich eine laute Stimme, offenbar ein älterer Mann, der zu Hause dem Funk lauschte und dessen Funksignal, das mit Abstand stärkste war.
„Schneemeise hier Brummbär 07, SEID MAL ALLE RUHIG – HIER BRUMMBÄR 07! Schneemeise, siehst du den Fahrer hinter dem Lenkrad?“
„Brummbär, schön dich zu hören, nicht richtig, der ist im Gurtzeug zusammengesackt, der Laster fährt mit irgendeiner Automatik.“
„Verstanden. Hier Brummbär 07 – Ruhe auf der Frequenz ich hab hier nen Notfall!“ Plötzlich wurde es ruhiger im Funk.
„Also Kollege, wo fährst du gerade lang bist schon am Parkplatz Streitau vorbei?“
„Ja, gerade eben passiert, danach ist der Kollege kollabiert.“
„OK hör zu. Du musst den Fahrer in der Spur halten. Nach Querenbach Biengarten kommt eine Ausleitung mit einer Möglichkeit den Laster in ein Bremsbett zu setzen, kennst du die Gegend.“
„Ja Biengarte kenn ich, das ist die Lasterbremse dort.“
„Genau, aber du brauchst Hilfe, jemand muss dir den Punkt ansagen, an dem du den Laser abschießen kannst. Etwas zu früh und der rast die Brücke runter, etwas zu spät und er donnert an der Ausleitung vorbei und dann gute Nacht.“
„Klar, verstanden, kann mich wer hören, der hier fährt und mir helfen kann?“
Schlagartig wurde es ruhiger auf der Frequenz.
Peter sah mich an und wir nickten gemeinsam. Also nahm ich das Mikrofon in die Hand.
„Brummbär 07 und Schneemeise, hier Black Mamba, ich höre euch beide laut und klar, ich fahre hinter den beiden. Ich kann ansagen, wenn du mir den Punkt ansagst Brummbär, kommen.“
„Gut Black Mamba, 200 Meter vor der Ausleitung muss der rausgedrückt werden, das sind vier Pfosten, hast du das?“
„Vier Seitenpfosten vor der Ausleitung ich kann das sehen, die Kurve ist da gut einzusehen. Schneemeise hast du verstanden?“
„Schneemeise hat verstanden – sag mir bitte dreimal jetzt, dann dreh ich ein!“
„OK beim dritten Mal.“
Hinter uns war inzwischen ein wahres Blinkkonzert. Überall leuchteten die gelben Rundumleuchten auf. Fahrzeuge der Straßenwacht, Transporter, Städtische Laster und vieles mehr hielten uns den Rücken frei.
Dann war es soweit, Münchberg Süd kam in Sicht und wir brachten uns in den rechten Abstand. Ich konnte die Ausfahrt bereits sehen.
„Black Mamba an Schneemeise, fertigmachen.“
„Bin bereit.“ Mehr sagte der Fahrer nicht. Seine Gedanken waren bei dem, was nun kommen würde.
„Achtung Black Mamba an Schneemeise – jetzt – jetzt – JETZT!“

Wir fuhren die langgezogene Rechtskurve und konnten den Fahrer, Schneemeise, nicht sehen, aber der alte Truck bekam einen Schlag und wurde auf die Ausleitungsspur gedrängt und raste mit gut 60 Stundenkilometer durch die Ausleitung, direkt in das dahinter befindliche Notbremsbett. Wir sahen Staub aufsteigen, als der schwere Laster in das Bremsbecken aus Kies und porösem Betonschaum donnerte gab es ein lautes Rauschen, eine Menge Staub und Rauch, dann stand der Truck im Kies und er bewegte sich keinen Zentimeter mehr.
Schneemeise hatte bereits auf dem Seitenstreifen angehalten, war ausgestiegen und rannte bereits zu dem LKW. Auch wir hatten angehalten und Peter war schon losgelaufen, um Schneemeise zu helfen.
Der restliche Verkehr rollte langsam wieder an uns vorbei. Aus jedem zweiten Auto sahen wir Blitzlichter der Handys. Gaffer – Diese neue Pest des Informationszeitalters.
Endlich kam von hinter uns auch Blaulicht und ein Streifenwagen der Autobahnpolizei hielt hinter mir. Mit drei Personen war der Wagen gut besetzt. Zwei halfen, den anderen Fahrer aus dem LKW zu ziehen, ich konnte aber bereits an den Bewegungen des Mannes sehen, dass die Hilfe zu spät kommen würde. Peter kam bereits wieder zu mir und stieg in den Wagen ein.
In diesem Moment sprach mich der dritte Beamte, ein sehr junger Mann mit vorwurfsvollem Blick an.
„Sie haben hier eine Bundesautobahn gesperrt und in den laufenden Verkehr eingegriffen, das ist nur Polizeibeamten vorbehalten. Das wird eine Anzeige nach sich ziehen. Da hätte sonst was passieren können.“
„Schatz, meint der uns?“ fragte mich Peter, den Beamten bewusst ignorierend, der vor Wut rot anlief.
„Ich glaube ja.“
„Darf ich?“ fragte mich Peter und setzte sein teuflischstes Lächeln auf.
„Nein.“ Schüttelte ich den Kopf.
„Bitte Schatz, ich halte mich auch zurück…“
„NEIN!“ antwortete ich und wandte mich dem Beamten zu. „Tja, irgendwer musste handeln und von euch war ja keiner vor Ort. Wir haben das auch getan. Die Abschlepper und Gelben Engel haben uns gut geholfen und wenn das doch eine Anzeige geben soll, dann bitte an meine Dienstelle. Hier ist mein Dienstausweis.“
Damit hielt ich ihm einen Diplomatenausweis unter die Nase, welcher mir Dagan einmal für alle Fälle ausgestellt hatte und welcher mich als Mitarbeiterin der Militärmission auswies.
Der junge Mann betrachtete den Ausweis und seine Augen wurden größer, als er auf den Dienstgrad Oberstleutnant schaute.
Inzwischen hatten die anderen Leute den armen Fahrer an den Straßenrand gebracht und legten ihn auf den Seitenstreifen.
Der Kommandoführer der Polizeistreife erklärte uns allen.
„Leider ist der Fahrer tot. Der Arzt wird das nachher noch bestätigen. Deswegen fuhr der Truck auch in Schlangenlinie. Wir hatten alle nochmal Glück im Unglück. Der Truck hatte zwei schwere Drehbänke geladen, wenn die über die Autobahn gegangen wären, wäre die A-72 für den Tag dicht gewesen.
Danke dass ihr hier so vorbildlich gehandelt habt, das hat zwar ein Leben gekostet aber hunderte gerettet.“
Der Polizist, der meinen Ausweis gesehen hatte, kam kleinlaut zurück und entschuldigte sich tatsächlich bei mir.
„Moment einen haben wir vergessen!“, fiel es mir wieder ein und ich hatte das Mikrofon in der Hand.
„Brummbär 07, hier Black Mamba kommen.“
„Brummbär hier, hab‘s schon gehört, schade um den Kollegen und danke an euch alle da draußen.“
„Danke an dich Brummbär, ohne deinen Lotsendienst wäre das schlimm geendet. Seit wann fährst du nicht mehr Brummbär?“
„Seit meinem Unfall vor acht Jahren, jetzt sitze ich hier oben auf dem Berg, habe die beste Aussicht und sehe die Autobahn täglich vor mir. Da wo ich helfen kann, da helfe ich auch.“
„Ja, das hat man gemerkt, die Leute waren sofort still, als du gesprochen hast.“
„Wie ich sagte, man kennt mich heute noch. Ich fuhr früher beim Militär auch nen Abschleppwagen und wurde von einem fiesen Abfangjäger beim Reifenwechseln zusammengefahren. Danke Black Mamba, irgendwie kenne ich deine Stimme, kann das sein?“
„Eher nicht, ich bin nicht so oft auf der Strecke, du verwechselst mich bestimmt Brummbär, denn einen ganz lieben Dank!“
Es war kurz still, dann erwiderte Brummbär.
„Gut meine Kleine, ich glaube, ich kenne dich doch Black Mamba, Schalom!“ Danach herrschte Ruhe.
Der ältere Polizist schaute mich interessiert an und flüsterte mir zu.
„Wussten sie, dass Brummbär 07 früher keine Laster fuhr, sondern die hohen Tiere für den Geheimdienst.“, dabei nickte er mir leicht zu, während ich meinen Ausweis einsteckte. „Gute Weiterfahrt noch.“
Wir verabschiedeten uns und Schneemeise gab uns seine Visitenkarte. „Wenn ihr Mal eine Tiefkühlsache zum Transportieren habe, dann denkt an mich.“
Auf der Weiterfahrt schaute mich Peter lächelnd an. „Soso, Black Mamba, das passt gut zu dir.“, und reichte mir seine Hand.

***

Hinter der Landesgrenze zu Sachsen

„Grrrööööfnnn… ooossschnnn.“ Gab Peter von sich, als wir an einem Schild vorbeikamen, welches uns mitteilte, dass wir uns nun im Freistaat Sachsen befanden.
„Schatz, geht’s dir gut?“ wollte ich von ihm wissen.
„Ja, wieso?“
„Du gibst seltsame Laute von dir.“
„Ich übe nur.“
„Und was übst du?“
„Ich übe die Landessprache, schließlich wollen wir nicht auffallen.“
„Peter!“
„Was ist? Sächsisch ist nicht einfach. Vor allem wenn’s um das Verstehen und die korrekte Aussprache geht… Köfferroööm ööfmache… hoffentlich stimmt das so.“
Ich stieß ein kurzes Lachen aus und meinte; „Das sagt ausgerechnet einer, der aus dem Saarland kommt.“
„Was soll das bitte heißen?“ schaute mich Peter fragend an und ich holte aus! „Ei, kannste e mol de Koffaraum uffmache.“
Peter drehte den Kopf zu mir, sah mich mit schmalen Augen an und sagte, „So etwas hast du von mir noch NIE gehört!“
„Nein, du verbirgst deine Herkunft ganz gut, nur wenn du aufgeregt bist, kommt ab und zu der Heinz Becker durch.“
„Heinz Becker… Ich… Erstens! Ich verberge meine saarländische Herkunft net! Ich bin stolz druff aus dem Land der Schwenker zu kommen! Und zweitens: Ich war noch nie aufgeregt!“ stieß er beleidigt vor. „Pah… Heinz Becker!“
Ich grinste und konnte sehen, wie sich Peter hinter seiner scheinbar beleidigten Miene auf die Lippen biss, um nicht zu lachen zu müssen, dann blickte er mich wieder an und grinste, „Gudd geschwätzt, Hilde!“

Jetzt lachten wir beide laut los und fuhren weiter.

***

Als wir an Zwickau vorbeifuhren, sahen wir an den Autobahnschildern die Tafeln für das Nachfolger Werk. „Hier kamen also die ganzen Trabants her, das war die allergrößte Fahrzeugstraße in Europa.“
„Ach komm so groß kann das nicht gewesen sein.“
„Doch doch, das dauerte oft bis zu 20 Jahren, bis du deinen Wagen bekamst, den du bestellt hattest.“
„Du schon wieder. Dafür hat jetzt ein anderer Konzern hier das sagen und die bauen nicht nur nette Autos, die bescheißen ihre Bürger gleich zweimal. Einmal beim Preis. Nirgends auf der Welt sind die Neuwagen so teuer wie in Deutschland und zweitens bei den Abgasen.“
„Ja der Abgas Skandal, das ist wirklich ein Skandal. Solche Entscheidungen kommen zutage, wenn deine Anführer in Industrie und Politik nicht Spitzenklasse sind.“
„Sondern nur minderwertig, meinst du?“
Ehe ich etwas sagen konnte, fiel mir ein dunkelblauer Passat im Rückspiegel auf.
„Sag mal… der da hinter uns, der fährt schon seit dem Unfall hinter uns her und überholt nicht.“
„Moment“ sagte Peter und drückte einen Knopf, im Rückspiegel wurde das Kennzeichen plötzlich richtig angezeigt. „Da überprüf den mal.“, und Peter gab mir das Kennzeichen.
Oberhalb des Handschuhfaches fuhr ein flaches Notebook aus und kurz danach konnte ich mich bereits einloggen.
„So, mal sehen, Bautzen, hmmm kein Eintrag bei dem Kennzeichen, es ist auf einen Reiseveranstalter Immelmann zugelassen. Vielleicht will der nur durch Dresden nach Hause.“
„Kann sein, die Gesichter sehen wir uns dennoch mal an. Lass ihn mal überholen, da kommt ein Rastplatz.“ Der Wagen fuhr langsamer an uns vorbei und die drei Insassen sahen allesamt nicht gerade wie die freundlichsten Mitglieder der Gesellschaft aus.
„Kamera läuft.“, sagte Peter und hatte das Smartphone am Fenster so platziert, dass die Kamera die Insassen aufnahm, während wir so taten, als würden wir uns unterhalten. Kurz danach fuhr der Wagen weiter und beschleunigte deutlich.
Während Peter das Smartphone mit dem geschützten WLAN des Wagens verband, wartete ich auf die Dateien des Handys. Die Aufnahmen waren gestochen scharf und wir konnten die Insassen des Fahrzeuges gut sehen.
„Die sehen allesamt nicht sehr freundlich aus.“
„Stimmt und der Typ im Fond hat kein europäisches Gesicht, der passt eher in den ozeanischen Raum. Besser wir schicken die Bilder auch mal zu Randy, soll er sie mal prüfen.“
„Schon erledigt, das neue Netzwerk ist superschnell, ich bin echt begeistert.“
Es machte immer wieder Spaß, wenn wir etwas Neues im Fahrzeug entdeckten. Die Ingenieure hatten sich ausgiebig Gedanken gemacht.
„Da vorne kommt die Abfahrt Wilsdruff. Da müssen wir von der Autobahn.“
Wir tankten und fuhren zum Sammelpunkt, von wo wir unsere nächsten Instruktionen erhielten.

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Währenddessen in Dresden

Vierzehn Stunden später saß Frank mit einer sorgenvollen Miene neben Benjamin in Dresden.
„Wo drückt der Schuh?“, wollte Levi wissen. Er und Frank hatten vor einer Stunde Dresden erreicht und bezogen ihren Beobachtungsposten um die Touristeninformation. Doch der erfahrene Levi, bemerkte dass Frank nicht voll bei der Sache war.

„Ich weiß nicht, mein Bauchgefühl…“
„Was ist damit?“
„Ich kann es nicht genau sagen, aber mal ehrlich… gehen wir mal davon aus, dass die Hintermänner der Spiele keine Idioten sind, was wir wohl annehmen können… würdest du nicht auch bei so einer heiklen Operation einen… Plan B haben?“
„Da ist was dran.“ Gab Benjamin zu, als sein Handy vibrierte. „Es ist Wolfgang.“ Teilte er Frank mit und schaltete die Lautsprecher ein. „Johann und ich sind im Parkhaus gegenüber.“ Teilte Decker ihnen mit. „Wir haben von der Einfahrt her freie Sicht auf die Info und vom Wagen aus, den Ausgang vom Parkhaus zum Neumarkt direkt vor uns. Ich hoffe Lem ist flüssig, die Gebühren hier sind der glatte Wucher.“
„Das sind sie in Mainstadt auch.“ Meinte Levi trocken. „Aber ich denke, so viel wird Lem, als Chef des Mossad, gerade noch locker machen können, wenn nicht verkaufen wir ein paar Panzer.“
„Das will ich hoffen, bei den Gebühren geht pro Tag eine Panzer weg! Bis Vierzehn Uhr ist noch eine Zeit und der Gebührenzähler läuft. Was ist mit den anderen?“
„Dana und Randy haben sich vor einer halben Stunde gemeldet, haben ein Zimmer bekommen und sind bereit, Dana ist schon künstlerisch tätig. Fabienne und Finja sind ebenfalls schon hier und sichern die weitere Umgebung, dann gehen sie in die Habergasse zur Wohnung dieser Silka. Hannes und Gratzweiler kommen um acht Uhr zu Euch ins Parkahaus.“
„OK, hat sich Lem schon gemeldet?“
„Ja, er schickt Ariel mit einem Interventionsteam, Ariel hat vor einer halben Stunde geschrieben, dass er sein Team in vier Dreierteams aufteilt und um die Innenstadt herum verteilt, so dass immer ein Team in der Nähe ist. Er schätzt, dass er gegen sieben Uhr bereit ist, aber sein Team ist momentan das einzige verfügbare in Deutschland… deswegen bleibt er erst einmal im Hintergrund, bis wir ihn rufen.“
Dass Decker nickte, konnte Levi natürlich nicht sehen, doch er wusste auch so, dass Decker verstand, was er sagen wollte. Verfügbar hieß, dass Ariels Team hier in Deutschland noch unerkannt arbeitete und das dieser Zustand, wenn möglich, bestehen bleiben sollte, also würden sie die Hauptarbeit erledigen müssen „Ok, hört sich vernünftig an.“ Antwortete Decker. „Hier ist außer uns noch niemand, hast du schon eine Schweinebacke gesehen?“
„Nur die üblichen Nachtschwärmer, keine Verdächtigen.“
„Gut, ich halte die Leitung offen, bis später.“
„Wir sollten uns abwechseln“, schlug Levi Frank vor, „um acht Uhr sollten wir voll da sein, bis dahin teilen wir uns die Schicht.“

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06Uhr30 / Habergasse

„Nichts!“ stellte Finja fest und steckte ihr Handy ein. Sie und Fabienne wandelten auf der Spur von Silka Vence. Schnell hatten die Beiden die Beobachter vor Silkas Haus ausgemacht, doch wie es schien, hatten Silka und Dressler rechtzeitig abhauen können, denn sonst würden die Bösen die Wohnung nicht überwachen.
Die Beobachter, ein drei Mann Team, saßen in einem Van mit abgedunkelten Scheiben und eine Straße weiter, allerdings außerhalb der Sichtweite dieses Teams, stand ein zweiter Van. „Was denkst du, Fahrer, Beifahrer und einer hinten im Van?“, fragte Finja.
„Ja, mit dem Team um die Ecke sind das sechs Mann.“
„Sechs Kerle gegen uns zwei…“ Finja schaute zum Van und lächelte böse, „ziemlich feige von uns, oder?“
„Was schwebt dir denn vor?“
„Wir schalten erst den Van vor der Tür aus, dann den anderen. Die haben bestimmt noch mehr Teams in der Stadt und wir könnten so etwas Verwirrung stiften.“
Fabienne ließ sich Finja Vorschlag durch den Kopf gehen, schaute auf die Uhr und meinte, „Guter Plan, aber wir dürfen nichts überstürzen, sonst warnen wir die anderen Hundlinge vor… lass uns bis Zehn Uhr warten.“

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9 Uhr 52 / Neumarkt

„Da ist der erste!“ Levi zeigte auf einen Kerl, der scheinbar als Tourist über den Neumarkt schlenderte. Es war gerade kurz vor zehn Uhr, als Levi auf den Mann aufmerksam wurde. Benjamin Levi war seit dreißig Jahren beim Geheimdienst und einer der erfahrensten Agenten des Mossad, was Frank erst gar nicht auf den Gedanken brachte nachzufragen, ob er sicher sei. Levi fiel sofort auf, dass der Mann sich zwar scheinbar für die vielen Sehenswürdigkeiten am Neumarkt interessierte, doch hauptsächlich in Richtung der Touristeninfo schaute, die er anscheinend so interessant fand, dass er mehr Bilder von ihr, als von den anderen Sehenswürdigkeiten machte.
Frank und Ben hielten sich in der Nähe der Kirche auf, wo sie sich als Gäste eines Cafés unsichtbar gemacht hatten. Sie konnten zwar nicht wie ihre Soulebdalesischen Freunde „in den Schatten“ treten, doch als erfahrene Agenten konnten sie sich auch so ungesehen bewegen, ohne aufzufallen, zumal ihre Gegner keine geschulten Agenten waren.
Frank schaute auf seine Uhr und nickte, griff sein Handy und rief die anderen in einer Konferenzschaltung. „Es geht los, der erste Mistkerl ist anwesend. Es ist jetzt kurz vor Zehn Uhr, haltet euch noch im Hintergrund.“ Wies er die anderen an denn er und Levi rechneten damit, dass noch mehr „dunkle Typen“ auftauchen werden. Diese durften auf keinen Fall etwas bemerken und Verstärkung rufen, also würden er und Frank erst die Bösen lokalisieren, dann erst konnten sie am Markt in Aktion treten, allerdings wurde es Zeit außerhalb des Marktes Verwirrung zu stiften.
„Fabienne, ihr könnt loslegen.“

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09 Uhr 55 / Habergasse

„Mann, ist das Öde!“ maulte Kevin, der Fahrer des Vans, der nun seit über sechs Stunden, gemeinsam mit Kralle, seinem Beifahrer und Paul dem Mann im Fond, die Straße beobachtete. „Die sind doch längst weg!“
„Ist doch scheiß egal.“ Antwortete Kralle. „Die anderen müssen sich die Füße plattlaufen. Sei froh, dass wir hier bequem sitzen können.“
„Trotzdem, etwas mehr Action wäre schon nicht schlecht.“

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„Wir müssen die Kerle dazu bringen, die Tür von alleine zu öffnen und auszusteigen, sonst warnen sie das andere Team.“ Stellte Fabienne fest, die den Van aus sicherer Entfernung beobachtete.
An einem kleinen Kiosk, hundert Meter vom Van entfernt hatten sich Fabienne und Finja einen Kaffee to go gegönnt und warteten, bis Frank sein OK gab. Als das dann erfolgte tranken sie ihren Kaffee aus und gingen langsam auf den Van zu.
„Kein Problem.“, meinte Finja. „Das schaffe ich locker.“
„Und wie?“
„Jungs lieben doch ihre Autos.“ Grinste sie teuflisch, zog sich die Kapuze von ihrem Hoody über und zauberte einen Kubotan, einen Tactical Pen, aus ihrer Hosentasche hervor, den sie fest in die Hand nahm. „Komm einfach mit und halt die chemische Keule bereit.“
Gute fünfzig Meter hinter dem Van überquerten sie die Straße und näherten sich dem Van von hinten.

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Kevin schaute automatisch in den Außenspiegel, als er eine Bewegung sah, erblickte aber nur zwei junge Frauen, von denen eine etwas in der Hand hielt. Als die Frau den Wagen hinter ihnen erreicht hatte, erkannte er, dass diese einen spitzen Gegenstand in der Hand hielt, mit dem sie dem Wagen hinter ihnen über die ganze Länge einen tiefen Kratzer verpasste.
„Fuck! Verdammte Weiber“ sagte er noch, dann hörte er schon das „KKKKKKRRRRRRZZZZZ“ als dieses scheinbare Miststück den Gegenstand an der Seite des Vans vorbeizog. Kurz bevor Finja die Fahrertür erreicht hatte, riss Kevin die Tür auf und sprang heraus.

„Du keines Miststück! Was fällt dir ein?!“, schimpfte er, und besah sich den großen tiefen Kratzer, welcher sich über die gesamte Fahrzeuglänge bis zur Tür hinzog.
„Was issn Alda?“ Fragte ihn die Vandalin. Allein der Ton, den dieses junge Miststück, ihm gegenüber an den Tag legte, brachte Kevin auf die Palme!
„Du Rotzgöre! Willst du eine Backpfeife?“, tobte Kevin, während Kralle, auf den Fahrersitz gerutscht war und sich mit dem Oberkörper heraus lehnte, um den Schaden zu begutachten. Fabienne konnte nun auch einen weiteren Mann sehen, der sich zwischen den Sitzen nach vorne in den Fahrerraum beugte.
„Verdammt! Sieh dir das an!“ schimpfte Kevin, als mit der Hand über den Kratzer fuhr. Finja drehte sich wortlos etwas zur Seite und zog den Kubotan ein weiteres Mal über den Lack.
„Du Mistweib!“ Weiß vor Wut ging Kevin auf Finja und packte sie am Arm. Genau darauf hatte Finja gewartet, mit einer einzigen schnellen Bewegung verpasste sie Kevin mit dem Kubotan einen Schlag auf den Nervenpunkt der Brust, was zur Folge hatte, dass Kevin keinen einzigen Ton mehr herausbrachte und still zusammenklappte.
Kralle, der Beifahrer, der zuerst überhaupt nicht verstand, was gerade geschah, wurde von Finja gepackt, aus dem Van gerissen so dass Fabienne freie Schussbahn in den Innenraum des Wagens hatte.
Finja sprang Kralle an, der über einen Kopf größer war, als Fabienne mit einer Reizgaspistole in das Gesicht des Mannes schoss, der aus dem Fond des Vans herausschaute. Dieses spezielle Betäubungsgas, welches der Mossad exakt für solche Situationen entwickelt hatte, ließ den Mann augenblicklich bewusstlos werden. Kralle hatte noch immer nicht verstanden, um was es eigentlich ging und musste lernen, dass er, trotz seiner Größe, einer ausgebildeten Einzelkämpferin nichts entgegensetzen konnte und ging nur drei Sekunden nach Kevin bewusstlos zu Boden. Schnell war Fabienne in das Innere des Vans gesprungen und öffnete die seitliche Schiebetür von innen, es wurde kurz durchgelüftet, dann warfen sie Kevin und Kralle mit wenig Feingefühl in das Innere des Vans. Der ungleiche Kampf hatte weniger als zehn Sekunden gedauert, dann lag die Habergasse wieder so ruhig da wie vorher.
„Böses Team eins, eingetütet und verpackt.“, meldete Fabienne über Funk. Wir schnappen uns die anderen.“ Danach wandte sie sich an Finja, „Willst du dieselbe Nummer abziehen?“
Finja grinste und antwortete, „Nein, ich hab eine bessere Idee.“

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09 Uhr 59 / Neumarkt

„Der erste Punkt für uns.“ Teilte Frank den anderen mit. Mittlerweile hatte Levi drei Späher ausgemacht, die über den Neumarkt schlichen. „Schon einmal einen Tourist mit Knopf im Ohr gesehen?“ fragte er Frank und wies auf einen Mann, der zehn Meter an ihnen vorbei ging, ohne Notiz von ihnen zu nehmen.
„Bis jetzt nur ein paar Handyjunkies, die mit einem dieser Bluetooth Empfänger herumlaufen.“
„Sieh dir die Drei an… die halten perfekt Abstand zueinander und schauen sich nicht ein einziges Mal an… Irgendjemand hat ihnen das beigebracht.“
„Ein Geheimdienst?“
„Nein, das sieht nicht nach Geheimdienst aus… eher eine private Schule. Wenn ich einmal raten sollte, würde ich sagen, eine private Söldner oder Personenschutzschule. Wenn man die Mittel betrachtet, mit denen die Typen hier operieren, eine Schule, die von einer mächtigen Organisation getragen oder unterstützt wird und wo nicht Geld, sondern das Personal das Problem ist. Die Typen hier sind zwar agentenmäßige Blindgänger, aber gut ausgerüstete Blindgänger.“
„Würde Sinn machen… irgendeiner muss die ganze Operation ja auch bezahlen, alleine die Spiele zu veranstalten kosten Unsummen, denn sonst hätte die Polizei die Kerle schon längst hochgenommen.“
„Da gebe ich dir Recht, aber wir müssen in Betracht ziehen, dass die Typen hier, von den Spielen nichts wissen und dass sie nur für diesen Job angeheuert wurden.“
„Du meinst sie sollen nur Dressler schnappen und wissen nichts von Leonie?“
„Das vermute ich… aber spätestens heute Abend wissen wir es genau.“

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10 Uhr 05 / Ecke Habergasse- Parallelstraße

Die Besatzung des zweiten Vans, Brett der Fahrer, Gerd sein Beifahrer und Toni der Techniker warteten noch immer darauf, dass Dressler erschien.
„Seltsam.“ Brummte Toni, der für die Technik, sowie den Funk zuständig war.
„Was ist los?“ wollte Brett von ihm wissen.
„Die Zehn Uhr Klar-Meldungen kamen gerade alle durch. Alle, bis die von Kevin.“
„Vielleicht schlafen die Idioten… Weck sie mal, aber so, dass es Glöckner nicht gleich mitbekommt! Nicht dass die Penner tatsächlich eingeschlafen sind.“
Toni nickte und schaltete sein Funkgerät auf dieselbe Frequenz wie sein Kollege im ersten Van. „Kevin, Paul! Schlaft ihr, wo bleibt eure Klarmeldung?!“
„HHMMM HMMMM“ stöhnte es aus dem Funkgerät.
„Was?!“ stutzte Toni im zweiten Van. „Hört mal!“ sagte er zu den beiden anderen Männern und schaltet den Lautsprecher ein, so dass auch Brett und Gerd ein deutliches Stöhnen hören konnten.
„Jetzt zieh schon diesen blöden Kopfhörer aus, beim Ficken.“ Erklang eine eindeutig weibliche Stimme, dann krachte es, als das Mikrophon des Kopfhörers angeschlagen wurde. Dann erfolgte etwas leiser, aber immer noch klar, „Vergiss es, ohne Gummi ist bei dem Preis nicht drin!“
„Ich fasse es nicht!“ sagte Brett fassungslos! „Die haben sich eine Nutte genommen!“
„Glöckner wird ausflippen, wenn er das mitbekommt!“ nickte Gerd. „Der legt die drei glatt um, wenn Dressler abhaut.“
„Scheiße!“ fluchte Toni. „Glöckner wird keinen Unterschied zwischen denen und uns machen. Wenn Dressler abhaut, nur weil die Arschlöcher nicht aufpassen, sind wir genauso am Arsch!“
„Gerd!“ drehte sich Brett zum Beifahrer um, „Du gehst zu den Idioten und trittst ihnen in den Arsch! Ich hab keine Lust eine Kugel zu schlucken, nur weil diese Arschlöcher Scheiße bauen!“
„Alles klar!“ Bestätigte Gerd und stieg aus. Er folgte der Straße bis zur Ecke und steuerte dann direkt auf den Van vor Dresslers Tür zu. Als er bis auf etwa zehn Meter an das Fahrzeug herangekommen war, konnte er passend zu dem Stöhnen, deutliche Schaukelbewegungen erkennen. Sofort als er den Wagen erreicht hatte, wollte er die Fahrertür aufreißen, doch die war abgeschlossen, also schaute er durch die Scheibe der Fahrertür und konnte Kevin, den Fahrer des Wagens welchen er an seinem roten Shirt erkannte, zwischen zwei Beinen liegen sehen.
„Blöder Arsch!“ fluchte Gerd und riss die Seitentür auf.

***

„Was denn noch einer deiner Freunde? Hallo mein Süßer.“ Hörten Brett und Toni im zweiten Van. „Was kann ich denn für dich tun?“
Ein kurzer Moment des Schweigens folgte, dann sagte Gerd, „Naja, wenn ihr schon dabei seid, ich hätte gerne einen Blowjob.“
„Von mir aus, aber das ist im abgemachten Preis aber nicht mit drin.“ Stellte die Frau klar. „Das kostet zwanzig Euro extra! Ohne Gummi nochmal zwanzig dazu, bei Total nochmal zehn Euro.“
„Ok, dann mit Gummi.“ antwortete Gerd.
„Spinnt der?!“ tobte Brett fassungslos. „Diese Scheißkerle!“ fluchte er und startete den Motor und fuhr mit Vollgas zu dem Van vor Dresslers Tür. Dort angekommen trat er voll auf die Bremse und blieb auf der zweiten Spur stehen, direkt neben Kevins Van stehen. Kaum standen die Räder still, sprang er heraus und riss die Seitentür des Vans auf…
Nur Sekunden danach öffnete sich die Seitentür des Vans und Toni sah, im Glauben einer der anderen Teammitglieder hätte die Tür geöffnet, einen merkwürdigen Gegenstand, dann wurde die Welt um ihn herum dunkel…

***

Als Gerd die Seitentür aufriss achtete er nicht auf das, was sich neben der Tür abspielte, er sah nur, wie Kevin auf einer Frau lag.
„Du Vollidiot!“ fluchte er, „Willst du, dass Glöckner ausrastet?!“ Doch Kevin gab keine Antwort und zu spät erkannte Gerd, dass Kevin bewusstlos war, dann spürte er auch schon den Lauf einer Waffe direkt an seinem Kopf. Als er sich umdrehte, sah er eine weitere Frau, die ihren Finger auf die Lippen setzte und gleichzeitig die Waffe entsicherte. Mit einer Bewegung ihres Kopfes befahl ihm die Frau, einzusteigen und die Tür zu schließen. Gerd hatte schon in die Augen von Menschen gesehen, die getötet hatten und er war sich sicher, diese Frau würde keine Sekunde zögern, abzudrücken! Die andere Frau hatte Kevin von sich herunter gerollt und schrieb etwas auf einen Zettel, den sie Kevin zusammen mit dem Mikrophon hinhielt.
Nachdem Gerd seine Aufgabe erfüllt hatte, lächelte Fabienne ihn an und sicherte zu Gerds Erleichterung die Waffe. „Gut gemacht, dafür gibt’s auch eine schöne Pause.“ Sagte sie und hob die chemische Keule…

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Kaum waren Brett und Toni außer Gefecht gesetzt, sprang Finja schnell hinter das Lenkrad von Bretts Vans und fuhr mit dem bewusstlosen Toni aus der Innenstadt, zu einem Rastplatz der A-17, während Fabienne mit den anderen Bewusstlosen hinter ihr blieb. Gerd und sein Fahrer hatten ebenfalls eine mit der chemische Keule bekommen und schliefen tief und fest. Von unterwegs verständigte Fabienne Ariel und nannte ihm ihr nächstes Fahrziel, der sofort eines seiner Teams losschickte.
An einer etwas abgelegenen Ecke des Rastplatzes luden sie Toni zu den anderen Bewusstlosen und fesselten die Männer anschließend mit stabilen Kabelbindern, danach verschlossen sie den Van.

***

Es war 11 Uhr 03 als Fabienne und Finja mit dem Van zurück in die Habergasse fuhren und den Van wieder vor Silkas Wohnung abstellten. Um 11 Uhr 10 hielt auf dem Rastplatz ein Wagen neben dem anderen Van. Während der Fahrer sitzen blieb, stiegen zwei Männer aus und traten an den Van heran. Die sechs Beobachter im Fond waren mittlerweile wieder bei Bewusstsein, stellten aber fest, dass sie gefesselt und hilflos waren, als die Tür geöffnet wurde und ein grimmiges Gesicht zu ihnen hereinschaute. Ohne ein Wort sprühte der Mann eine weitere Ladung Betäubungsmittel über die Männer, die erneut ihr Bewusstsein verloren. Anschließend warteten die Beiden einige Sekunden, bis sich das Betäubungsmittel verflüchtigt hatte, dann stiegen sie ein und fuhren Richtung Flughafen. Von da aus ging es im Hubschrauber Richtung Mainstadt, wo sie ein Team von Freunden Mohrles aus alten BND Zeiten und einigen Verhörspezialisten des Mossad erwarten.

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11 Uhr 02 / Raststätte Dresdner Tor Süd

Auf dem Parkplatz der Raststätte stand, an einer etwas abgelegenen Stelle, ein dunkler Kastenwagen in dessen inneren Glöckner, wie ein General vor einer elektronischen Karte saß… doch irgendwas stimmte nicht… Auf der Karte erschienen die Positionen all seine Männer, nachdem er ihre Symbole per Touch aufgerufen hatte.
Das hieß, eigentlich zeigte die Karte die Positionen der Handys an… Nach dieser Karte war alles in Ordnung, doch nun blieb von dem ersten Beobachtungsteam die zweite Klarmeldung und vom zweiten Team blieb die erste Meldung aus…
Insgeheim ärgerte sich Glöckner über sich selbst! Er hatte die fehlende Zehn Uhr Meldung selbst nicht bemerkt, erst Jürgens, einer der beiden anderen anwesenden Männer seines „Stabes“ hatte ihn um 10 Uhr 08 darauf hingewiesen. Um seine Unachtsamkeit nicht zu zeigen, hatte Glöckner einfach gesagt, dass er die 11 Uhr Meldung abwarten werde, schließlich war nicht zu erwarten, dass Dressler jetzt noch in der Habergasse erschien.
Doch jetzt blieb schon die zweite Meldung aus!
Erneut studierte Glöckner die Karte und sah, die Positionen… Drei Männer hielten sich auf dem Neumarkt, in Nähe der Touristeninformation auf, ein weiterer war auf dem Weg dorthin, vier Männer beobachteten die, in der Nähe liegenden Bus bzw. Stadtbahn Haltestellen, zwei weitere die Taxistände und vier Männer warteten in der Tiefgarage, gegenüber der Touristeninformation, um zugreifen zu können.
Für diese vier Männer hatte sich Glöckner etwas Besonderes ausgedacht, er hatte sie als Bauarbeiter getarnt und diese würden, bei den vielen Baustellen, ganz sicher keinen Verdacht erregen. Außerdem warteten hier auf der Raststätte noch zwei Wagen mit insgesamt sechs Männern als Reserve.
Aber… etwas stimmte nicht! Wieso meldeten sich die Teams in der Habergasse nicht? Sollte einen der Wagen seiner Reserve schicken, würde er das tun, verzettelte er seine Kräfte vielleicht unnötig…
„Gram!“ bellte Glöckner in sein Funkgerät. „Wo sind sie?“ wobei Glöckner natürlich sah, als er Grams Symbol angeklickt hatte, dass sich dieser in der Töpferstraße befand.
„Töpferstraße.“ Kam die wenig überraschende Antwort.
„Geh in Habergasse und sieh nach, was dort nicht stimmt.“
„Soll ich da etwa zu Fuß hingehen?“
„Nein! Fliegen geht auch!“
„Ich meine ja nur, bis ich in der Habergasse bin, dauert es mindestens eine halbe Stunde!“
„Ist mir bewusst!“ bellte Glöckner „Los! Ab mit dir!“
„Ok, bin unterwegs.“ Bestätigte Gram und verließ seinen Beobachtungsposten.
„Sollen wir nicht lieber einen der Wagen von hier schicken?“ fragte Jürgens, der Glöckner schon auf die fehlende Meldung aufmerksam gemacht hatte.
„Nein, sonst hätte ich es ja angeordnet!“

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11 Uhr 45 / Parkhaus Neumarkt

„Das ist die dümmste Tarnung, die ich je gesehen habe!“ brummte Decker und zeigte auf die vier Bauarbeiter im Parkhaus. Er und Johann standen in Sichtweite des Zugangs zum Neumarkt/Landhausstraße und schauten den vier „Bauarbeitern“ zu, welche sich einen Parkplatz einige Stellplätze neben ihnen, direkt am Ausgang gesucht hatten und nun in der Nähe des Ausganges warteten.
„Stimmt!“ meinte Johann, „Saubere Klamotten, kein Werkzeug dabei, aber alle mit Knopf im Ohr.“
Decker rief Frank, „Wir haben hier vier Bauarbeiter mit Knopf im Ohr. Sollen wir die jetzt schon aus dem Verkehr ziehen?“
„Nein.“ Entschied Frank. „Wartet noch etwas.“

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12 Uhr 01 / Habergasse

Gram hatte endlich die Habergasse erreicht. Durch mehrere Baustellen aufgehalten, dauerte es nicht eine halbe Stunde bis Gram zur Habergasse kam, sondern fünfundvierzig Minuten. Unterwegs hatte Glöckner immer wieder angefragt, wo seine Meldung blieb, doch nun war Gram endlich da.
„Ich sehe den Van.“ Meldete er, als in die Habergasse einbog. Dann als Gram den Van erreicht hatte, sah er aber niemanden im Inneren. „Ich sehe aber weder Kevin, noch einen der anderen.“
„Ihre Signale kommen direkt von deiner Position!“
„HHMM“, brummte Gram und presste sein Gesicht an die Seitenscheibe der Fahrertür, „der Van ist abgeschlossen, aber ich sehe Kevins Handy, es liegt auf dem Armaturenbrett, keine Spur von Paul oder Kralle.“
„Was ist mit Brett und Gerd?!“
„Warte, ich gehe zu ihm.“ Antwortete Gram und ging um die Ecke in die Parallelstraße, wo er allerdings keinen Van oder Brett sah. „Bretts Van ist nicht da.“
Glöckners Gedanken begannen zu rasen… was lief hier?!? Wo waren Kevin, Brett und die anderen? Wo war der zweite Van? „Sofort alle melden!“ befahl er und alle bis auf die sechs Männer der beiden Beobachtungsteams meldeten sich.
„Gram, zurück auf deinen Posten Töpferstraße! Meldung, sofort wenn du eingetroffen bist. Wir ziehen die Schlinge um die Info zu!“
„Verstanden.“ Bestätigte Gram und begab sich wieder zur Ecke Habergasse. –Was für eine Zeitverschwendung.- dachte er sich und achtete dabei weder auf den Wagen, der sich von hinten näherte, noch auf die zwei Frauen, die ihm entgegenkamen…
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12 Uhr 07 / Neumarkt.

„Schweinebacke sieben ist ausgeschaltet und unterwegs nach Mainstadt Axo, wir haben ein aktives Funkgerät.“ Meldete Fabienne.
„Super, hört zu, aber verratet euch noch nicht.“ Grinste Levi. „Hier schleichen jetzt vier Ohrknöpfe herum.“
„Die haben bestimmt noch paar Beobachter an den Haltestellen um den Neumarkt, falls Dressler mit dem Bus, oder der Stadtbahn kommt.“ Gab Finja zu bedenken.
„Mit Sicherheit haben sie die“, stimmte Levi zu, „aber keine Sorge, um die kümmern sich Hannes und Gratzweiler.“

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12 Uhr 47 / Raststätte Dresdner Tor Süd

„Verdammt, wieso braucht Gram so lange?“ fluchte Glöckner in seinem Kommandowagen und rief dessen Position auf. Als diese angezeigt wurde, fiel Glöckner aus allen Wolken! Gram war zusammen mit Kevin und Brett noch immer in der Habergasse!
„Gram!“ schrie er ins Funkgerät, doch er erhielt keine Antwort! „Meldung Neumarkt!“
„Neumarkt eins, alles klar, kein Sichtkontakt zur gesuchten Person.“
„Neumarkt zwei, ebenfalls alles klar, keine Sichtung.“
„Neumarkt drei, keine Sichtung.“
„Neumarkt vier, nichts in Sicht.“
„Haltestellen, Meldung!“
„Pirnaischer Platz, alles ok, kein Kontakt.
„Altmarkt, kein Kontakt.“…

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So meldete sich einer nach dem anderen und Fabienne schrieb dankbar jede einzelne Position mit. „Ben, ich habe alle Positionen. Ich schicke sie dir auf dein Handy, wir kommen jetzt zum Neumarkt.“
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12 Uhr 49 / Neumarkt

„Scheint so, als ob wir sie nervös machen.“ Grinste Frank, als sich die vier Beobachter auf dem Neumarkt nacheinander an ihren Ohr Knopf griff und sich suchend umsah. „Zeit eine weitere Runde einzuleiten.“ Er nahm sein Handy und sagte, „Hannes, ihr könnt loslegen. Fangt mit dem Typen am Postplatz an.“

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13 Uhr 00 / Haltestelle Postplatz

„WOW, wir müssen nicht mal überlegen, wer der Böse ist.“ Grinste Hannes, als er sich mit Gratzweiler der Haltstelle näherte. Neben den üblichen Pendlern und einigen Jugendlichen, stand dort ein großer Kerl, der neben einen Knopf im Ohr auch ein Handy in der Hand hielt. Immer wenn jemand sich der Haltestelle näherte, schaute der Mann auf das Handy und verglich wohl das Gesicht mit dem Neuankömmling.
Hannes und Johann warteten einen Moment, dann sahen sie in einer Entfernung von zweihundert Metern die Straßenbahn kommen. Als der Mann zur Straßenbahn blickte, teilten sie sich auf. Da der Mann am linken Ende der Haltestelle stand, stellte sich Gratzweiler zwischen den Mann und die übrigen Fahrgäste, während Hannes rechts hinter dem Mann stand. Als die Straßenbahn hielt und mehrere Leute ausstiegen, richtete sich der Blick des Mannes automatisch zu den Türen der Straßenbahn. Von Gratzweiler verdeckt, bekam keiner der Anwesenden mit, wie Hannes dem Mann mit einem zusammengeschobenen ESK ins Genick schlug. Schnell hatten die Beiden den bewusstlosen Mann untergehakt und stiegen mit ihm in die Straßenbahn ein. „Sorry“, sagte Hannes zu einer älteren Dame, die sie vorwurfsvoll anblickte, „Unser Freund hat eine Kreislaufschwäche.“ Im Abteil packten sie ihn auf einen freien Platz und setzten sich eine Sitzreihe weiter hin. Keiner der Anwesenden hatte es zur Kenntnis genommen und niemand interessierte sich für den Mann, der zu schlafen schien.
Als die Bahn eine Haltestelle weiter stehen blieb, stiegen die beiden aus und das Spiel wiederholte sich, bis Hannes und Johann vier Züge danach am Pirnaischer Platz ankamen.

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13 Uhr 10 / Raststätte Dresdner Tor Süd

Neben den Meldungen aus der Habergasse und Gram, fehlte nun auch die Meldung von der Haltestelle Postplatz! Nun wusste Glöckner, dass etwas durch und durch schief lief!
Die Handys seiner Männer bewegten sich auf den Straßenbahnlinien eins, zwei und vier! Außerdem meldete sich kein Einziger mehr von ihnen. Er kämpfte mit sich… sollte er Hombacher anrufen und um Hilfe bitten? Nach dem Fiasko mit Dressler vor Rostock, und der Geschichte im Park konnte er das auf gar keinen Fall! Er musste das Problem alleine lösen… Doch wie? Irgendjemand griff seine Männer an und Glöckner wusste weder wer, das sein könnte, noch woher die Angreifer ihre Informationen hatten… darüber dachte er noch nach, als ihm mit einem grellen Stich ins Gehirn klar wurde, dass er selbst mit seinem Funk diese Informationen preisgegeben hatte! Statt sofort den Funkverkehr einzustellen und die Operation abzubrechen, hatte er munter weitergefunkt und somit alle Standorte und die Anzahl seiner Männer verraten!
Wütend sprang er auf, worauf ihn die anderen Beiden Männer überrascht anschauten. „Lauf zu den anderen und sag ihnen sie sollen uns folgen!“ Befahl er Jürgens und als dieser zum Funkgerät greifen wollte, schlug er es ihm aus der Hand. „Kein Funk mehr! Lauf rüber!“ Der Mann nickte und sprang aus dem Kastenwagen.
„Und wo fahren wir hin?“ wollte der andere Mann wissen, der schon hinter dem Steuer saß.
„Wohin schon?! Zum Neumarkt!“
„Chef… wir sind mitten in der Rush Hour… bis wir am Neumarkt ankommen, ist es nach vierzehn Uhr.“
„Halts Maul und tritt auf Gas!“ fauchte Glöckner finster.

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13 Uhr 35 / Neumarkt

„Ich glaube sie haben kapiert, was hier läuft.“ Teilte Fabienne Frank mit. „Über Funk kommt keine einzige Silbe mehr.“
„Hat ziemlich lange gedauert. In einem echten Krisengebiet wären die Pappnasen längst tot.“ Kommentierte Levi die bisherige Leistung von Glöckners Männern. „Wo seid ihr?“
„Wir biegen gerade in die Münzgasse ein und sind in etwa fünf Minuten da.“
„Alles klar.“ Antwortete Frank. Er und Levi saßen mittlerweile am Tisch eines Restaurants auf dem Neumarkt, genau gegenüber der Info und genossen ein alkoholfreies Bier. Sie hatten es, durch mehrfaches Wechseln ihrer Kleidung und des Erscheinungsbildes geschafft, unentdeckt zu bleiben, während „Neumarkt eins bis vier“ für jedes geübte Auge deutlich sichtbar waren.
„Jetzt kommt es darauf an.“ Meinte Frank und schaute auf die Uhr. Sein Plan basierte auf der Annahme, dass der Zugriff über die vier „Bauarbeiter“ vor der Touristeninfo erfolgen sollte, denn die Bösen würden sicher nicht hier mitten auf dem Neumarkt eine Entführung starten. Zusätzlich sah sein Plan vor, dass die vier auf dem Neumarkt genau sehen sollten, wie Dressler und Silka zu Caroline und Peter in den Wagen stiegen.
„Die Bauarbeiter werden langsam nervös.“ Meldete sich Decker aus dem Parkhaus. „Sie haben sich vor dem Ausgang versammelt und versuchen per Handy Verbindung aufzunehmen. Was sind das bloß für Stümper… haben die nicht vorher geprüft, ob sie Netz haben?“
„Ok, du bist du jetzt dran, sie werden aus dem Parkhaus heraus müssen um Empfang zu haben, das musst du unbedingt verhindern.“
„Kein Problem, ich schnappe sie vorher.“ Decker legte sein Handy weg und stieg aus dem Wagen. Danach lief Decker außerhalb der Sichtweite der „Bauarbeiter“ die Einfahrt hoch und verließ das Parkhaus um zu dem Ausgang zu gelangen, den die Häscher nehmen würden.
„Achtung, sie kommen“, meldete Johann der im Wagen gewartet hatte, bis sich die „Bauarbeiter“ in Bewegung setzten und ihnen nun in sicherem Abstand folgte, „ich bin direkt hinter ihnen.“
Draußen lockerte Decker seine Muskeln etwas, dann öffnet er die Tür zum Eingang der Tiefgarage.
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13 Uhr 44 / Pirnaischer Platz

„Ich sehe Dressler!“ meldete sich Hannes.
„Bist du sicher?“ wollte Ben wissen.
„Eindeutig! Dressler ist in Begleitung einer Frau, sie sind gerade am Pirnaischer Platz ausgestiegen und gehen in Richtung der Landhausstraße.“
„Verstanden! Gratzweiler?“
„Ich bin bei Hannes, Kontakt bestätigt, es ist Dressler!“
„Fabienne?“
„Wir gehen ihnen entgegen. Sichtkontakt!“
„Ok! Dana, Randy! Euer Auftritt!“

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13 Uhr 45 / Eingang zur Tiefgarage Neumarkt

Decker öffnete die Tür und trat in einen zwei Meter breiten Gang, der zu den verschiedenen Parkebenen führte. Das Stück Flur vor ihm war etwa zehn Meter lang und zwei Meter breit, dann erst kamen eine Treppe und ein Aufzug, welcher zu den verschiedenen Etagen des Parkhauses führten.
Gerade als die Tür sich hinter Decker schloss, kamen die vier „Bauarbeiter“ um die Ecke und auf ihn zu. Einer von ihnen hatte sein Handy am Ohr und rief gerade, „Wo sind die anderen?“
Decker wartete bis er Johann drei Meter hinter den Männern sah, dann ging er einige Schritte weiter. Decker, der anders als die Bösen, ein gutes Stück älter war, eine normale Statur hatte und an dessen Aussehen nichts Außergewöhnliches war, trat ihnen in den Weg.

„Entschuldigen sie bitte, stecken sie das Handy weg und legen sie sich auf den Boden, Hände vom Körper weg!“
„Was?!“ fragte der Vorderste, der ein guter halber Kopf größer als Decker war verwirrt. „Mach den Weg frei Alter, sonst gibt’s Prügel!“
Kein Held oder Filmbösewicht der Welt hätte es besser als Wolfgang Decker machen können, als er mit einer flüssigen Bewegung zwei ESK’s ausfahren ließ, breit lächelte und sagte, „Showtime!“

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13 Uhr 54 / Neumarkt

Dressler und Silka erreichten die Touristen Information Neumarkt- Landhausstraße.
„Jetzt wird es spannend!“ sagte Frank zu Levi, der nur zehn Meter von ihnen entfernt saß. Die Vier Männer mit dem Knopf im Ohr starrten zur Dressler und riefen anscheinend ihr Greifteam.
„Verdammt!“ fluchte Levi nachdem Dressler und Silka nach eine Minute immer noch da standen und warteten. „Wo bleibt Peter?!“
Frank war schon weiter und rief ihn „Verflucht, wo bist du?!“
„Ich… Jetzt fahr du Idiot!… Noch fünfzig Meter! Scheiß Baustellen…“
„Das ist eine Einbahnstraße…“ hörte Frank eine fremde Stimme schreien. „Ich fahr ja bloß in eine Richtung!“ rief Peter zurück und Frank schüttelte den Kopf.
„Ben!“ Drei der vier Männer gingen auf Dressler zu und Levis Hand glitt schon unter sein Sakko um die chemische Keule hervorzuholen, als Peter um die Ecke schoss und vor der Information hielt.
„Dressler und Vence?!“
„Ja.“ Antwortete Silka.
„Winter schickt uns. Los einsteigen!“
Jetzt rannten alle vier Männer auf das Auto zu, doch schnell sprangen Dressler und Silka in das Auto und Peter brauste los, als der erste nach dem Türgriff greifen wollte.

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13 Uhr 57 / Tiefgarage Neumarkt

„Jetzt hör auf zu schmollen!“ sagte Decker zu Johann, der ihn beleidig ansah.
„Es waren vier Mistkerle, du hättest mir zwei überlassen können.“
„Ich war eben etwas übereifrig.“
„Übereifrig? Ich durfte einen zu Boden werfen, der schon zwei gebrochene Arme hatte.“
„Das reicht jetzt! Ich bin der Boss und bekomme auch den größten Anteil. Jetzt setzt dich hinter das Lenkrad, da kommen die Hannes und die anderen!“

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13 Uhr 58 Ecke Landhausstraße- Wilsdruffer Straße.

„Denkst du die haben sich das Nummernschild gemerkt?“ fragte ich Caroline.
„Der Typ in der Baustelle bestimmt, Frank wird durchdrehen, wenn er den Strafzettel sieht. Am besten bezahlen wir ihn aus der eigenen Tasche.“
„HHMMM, eigentlich sollte ich mich jetzt sicher fühlen.“ Sagte „Dressler“ auf dem Rücksitz.
„Und warum tust du es nicht?“ wollte ich wissen.
„Tja Bad-Man“, antwortete Randy, „ich kenne dein Verlangen, den Bösen zu zeigen was die Karre so drauf hat.“
„Da hat er nicht ganz Unrecht.“ Stimmte Caroline ihm zu, „Halt dich etwas zurück.“
„He, ihr kennt mich doch!“
„JA! Deswegen sag ich es dir ja!“ tadelte sie mich, lud eine Beretta durch und reichte sie Dana.

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13 Uhr 59 / Parkhaus Neumarkt.

Die echten Silka und Dressler wurden vor dem Stadtmuseum von Hannes gestoppt und angehalten. Nur Sekunden später waren auch Fabienne und Finja zu Stelle und in dieser Gruppe untergetaucht betraten sie das Parkhaus, als man die niedergemachten „Bauarbeiter“ fand und es einen riesigen Auflauf an Security und Polizei gab.
Dana hatte Randy nach ihrer Ankunft in Dresden in Dressler verwandelt. Dazu hatte sie die Fotos der Überwachungskamera benutzt, welche Dressler vor der Bank zeigten. Um Zehn Uhr, als das Stadtmuseum öffnete, waren die Beiden hineingegangen und hatten dort gewartet, bis der echte Dressler von ihren Freunden entdeckt wurde. Dann gingen die beiden seelenruhig aus dem Museum und warteten vor der Information auf Caroline und Peter.
Nun saßen Silka und Dressler bei Fabienne und Finja im Auto, das von Hannes und Gratzweiler in einem zweiten Wagen eskortiert wurde.
„Und wir?“ wollte Johann von Decker wissen.
„Wir treffen uns mit Frank und bleiben bei Caroline. Vielleicht gibt’s ja noch was zu tun.“
„Dann bin ich aber dran!“ Stellte Johann klar und Decker rollte mit den Augen.

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14 Uhr 02 / Neumarkt

„Sieh einer an.“ Grinste Frank, als ein Lieferwagen in Nähe der Information hielt und ein Mann heraussprang, auf den die vier Männer zuliefen.

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„Wieso hab ihr sie nicht erwischt?!“ tobte Glöckner.
„Wir hatten strikte Anweisung den Zugriff dem Greifteam zu überlassen!“ Rechtfertigte sich „Neumarkt eins“.
„Wo sind diese Idioten?!“
„Ich… ich glaube dort.“ Zeigte „Neumarkt drei“ zum Parkhauszugang, wo Sanitäter und Polizisten einen von Glöckners Männer heraus und zu einem Rettungswagen trugen.
„Was ist passiert?“
„Dressler und eine Frau kamen zur Info, dann hielt ein Wagen und sie sind eingestiegen.“
„Was für ein Wagen?“
„Ein SUV mit Mainstadter Kennzeichen.“
„Mainstadt, ganz sicher?“
„Eindeutig!“
„Dann los, wir müssen sie abfangen, die nehmen bestimmt die A-4!“

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„Hast du ihn?“
„Klar.“ Nickte Benjamin, „Die Bilder sind schon zu Lem unterwegs.“
Die vier Männer folgten dem Mann aus dem Lieferwagen und gemeinsam rasten sie davon.
„Jede Wette, sie haben das Kennzeichen aus Mainstadt gesehen und folgen Peter auf die A-4.“
„Klar tun sie das, ich rufe Wolfgang und die anderen, dann treffen wir uns auf dem Rastplatz Willsdruf.“

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Auffahrt zur A4

Glöckner konnte es drehen und wenden wie er wollte, er musste dem „Vorstand“ melden, dass seine Zielperson –noch- nicht in seinem Gewahrsam war.
„Herr Glöckner?“ meldete sich Kitzinger.
„Wir haben die Zielperson in Sicht.“ Log Glöckner.
„Aber?!“
„Ein Zugriff würde unter diesen Umständen sehr viel Aufmerksamkeit erregen, die ich gerne vermeiden würde. Ich beabsichtige Dressler noch eine Zeit zu beschatten und eine günstigere Gelegenheit abzuwarten.“
„Wo sind sie?“
„Auf der A4 in Richtung Mainstadt.“
„Und Dressler?“
„Sitzt in einem SUV mit Mainstädter Kennzeichen.“
Was folgte war ein eisiges Schweigen, dann sagte Kitzinger schließlich, „In Ordnung.“ Und legte auf.
Glöckner ließ einen Schwall von Flüchen los und hoffte inständig, Dressler vor Mainstadt abzufangen.

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Mainstadt / zum Kreuzritter

„Glöckner hat Dressler verloren.“ Stellte Kitzinger nüchtern fest. Dann blickte er zu Gernfried und meinte, „Zeit, dass deine Freunde eingreifen.“
Gernfried, der sich schon am Mittwoch mit der Möglichkeit eines Fehlschlages von Glöckner auseinandersetzten, hatten den Singhs den Auftrag gegeben sich ebenfalls im Raum Dresden aufzuhalten und bei Bedarf einzugreifen.
Nun griff Gernfried zu seinem Handy und rief die Nummer, welche er von den Singhs bekommen hatte. „Die Zielperson ist auf der A4 in einem dunklen SUV mit Mainstädter Kennzeichen. Kümmern sie sich darum!“

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Autobahn A4

„Jetzt zeig mal, was Blücher für eine Kondition hat. Etwas Vorsprung ist gut, die Angreifer kommen früh genug.“, sagte Randy zu mir und ich gab Gas. Da die direkte Strecke zur A4 mitten durch das Gewühl Friedrichstadt führte, konnten unsere Verfolger auch nicht schneller fahren. Wir rechneten erst ab Dresden West mit den ersten Abfängern, wir waren aber anscheinend schneller als sie und fuhren auf die lange Gerade vor Wilsdruff zu.
Dana schaute aus dem Heckfenster. „Hinter uns kommen zwei fette X5, die wissen auch nichts von unauffälligen Wagen?“
„Gut die sollen uns hoffentlich nur verfolgen und nicht stoppen.“
„Da wäre ich mir nicht sicher, die laden ihre Waffen durch, die versuchen uns auf der langen Geraden zu überholen.“
„Dana, sobald die an deinem Fenster sind, volle Feuerkraft auf den Fahrer!“
„OK Caroline, ich glaube nicht, dass die Panzer fahren, also schalten wir die Fahrer aus.“
„Gut, Peter du fährst und achtest auf die Vordermänner, ich rechne mit mindestens einem Wagen, der uns ausbremsen soll, vermutlich ein fetter SUV.“
„Der soll nur kommen, ich bremse nicht mal für Klingonen!“
Während wir noch lachten, schaute Caroline um sich, als ob sie schon eine Gefahr kommen spürte.
„Das passt nicht, seid ihr alle angeschnallt, zieht eure Gurte fest an. Peter, was fahrt vor dem Kastenwagen, kannst du was sehen?“
„Hmm, ein Autotransporter, ja ein leerer Autotransporter, was ist Schatz?“
„Falle! Das ist eine Falle, die beiden sollen uns am Ausbrechen hindern, vor uns der leere Autotransporter und hinter uns fehlt jetzt ein schwerer Rammbock, der uns die Rampe hochschiebt.“
„Schatz wir sind hier nicht im Kino, hinter uns die beiden BMW sind kein Problem und dahinter der Q7 auch nicht, der hat zu wenig Bumms unter der Haube…“
„Bullshit, das ist der Prellbock, schieben wird ein Truck, der von hinten kommen wird, der hat dann auch genug Bumms unter der Haube. Glaub mir!“
Dana schaute kurz zu Caroline und kritzelte etwas auf ihren Schreibblock und flüsterte irgendwelche mathematische Formeln. „HHHMMM, könnte reichen… Caroline in der Einweisung des Blüchers, wieviel G hält das Fahrzeug aus, drei oder fünf?“
„Sieben G Maximallast. Fünf Standard. Willst du etwas Bockspringen machen?“
„Du hast es erfasst. Peter Fahrwerk ausfahren, soweit wie möglich, wir treten die Flucht nach vorne an, sobald der Q7 uns von hinten anfährt und der Truck da ist. Dann Vollgas über den Autotransporter, wir haben nur diese eine Möglichkeit, Achtung die beiden BMW kommen längsseits, es geht los!“

***

Die beiden BMW fuhren längs zu uns und verhinderten ein seitliches ausbrechen, hinter uns sahen wir, dass der Auto Q7 anscheinend wie ein Containerschiff zu rauchen begann.
„Der Laster ist da, der Diesel wird jetzt anfangen zu drücken. Sobald der Kastenwagen weg ist, geht’s los. Leute, das ist jetzt kein Spiel mehr, das schaffen nur Profis.“
„He, ich bin Profi!“ schnaubte Peter fast beleidigt.
In diesem Moment zog der Kastenwagen auf die Standspur und vor uns war der leere Autotransporter mit heruntergelassener Auffahrtrampe. An den Enden stieben die Funken über die Autobahn.
Da prallte der Q7 uns von hinten ins Heck und sofort folgte ein Schlag, der uns nach vorne schob.
„Verdammt sind die gut, das machen die nicht zum ersten Mal!“, fluchte Caroline. „Peter – VOLLGAS – Es geht los!“ Peter trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch und Blücher setzte zum Sturmangriff an. Halb geschoben, halb selbst beschleunigt, schossen wir an dem Autotransporter die Rampe hoch in die schrägstehende Rampe zur oberen Etage und fuhren direkt auf die spitze Nase eines Sportwagens zu.
„Oh den haben sie übersehen. Normalerweise steht da kein Wagen. Also gut, alle festhalten, wir heben ab!“
Der Q7 hinter uns hielt an der Rampe und versperrte so den Rückweg, wir aber beschleunigten weiter, nahmen den japanischen Sportwagen als weitere Sprungrampe mit. Ein lautes Krachen zeugte vom Reißen der Absperrkette, da schossen wir schon über das Führerhaus des Lasters und flogen durch die Luft.
Da unsere Front leicht nach oben zeigte, bekamen wir etwas Auftrieb unter den schweren Frontbereich und setzten auf allen Rädern mit einem mächtigen Gequietsche auf.
Wir erwartete das Platzen der Reifen, aber die hielten. Peter hielt das Lenkrad fest und unter uns regelten die elektronischen Helferlein den Rest, damit wir in der Spur blieben. Der Schlag beim Aufsetzen hatte uns überrascht, das kannten wir ja noch nicht, aber wir waren auf eine harte Achterbahnfahrt vorbereitet.

„Los, keine Schwäche vortäuschen, Dana Schatz, den LKW stoppen!“ Caroline und Dana schossen aus den Seitenfenstern auf die Vorderräder und endlich riss es den Laster aus der Bahn. Das letzte was wir noch mitbekamen, war, dass zwei BMW seitlich mit dem Laster kollidierten und ein schwerer, rauchender LKW den Schrottberg rammte und seitlich in die Fahrrinne schob. Danach verging der Rest in einem mächtigen Berg aus Rauch, Feuer und Wolken. Die Angreifer waren aufgehalten und was wichtiger war, die Autobahn war nicht blockiert.

***

A4

„Man macht es uns ziemlich einfach.“ Stellte ein Killer der Singhs fest, als ein dunkler SUV mit Kennzeichen MSM an ihnen vorbeischoss, während hinter ihnen das Caos ausbrach, als ein Autotransporter sich quer über die Autobahn legte und den Verkehr völlig lahmlegte.
Nach Gernfried sie am Mittwoch in die Umgebung von Dresden beordert hatte, überwachten die Singhs alle Autobahnen nach und von Dresden. Als dann vor einer Stunde die Meldung kam, dass der Gesuchte in Richtung Mainstadt fuhr, suchten nicht weniger als acht Wagen die A4 in Richtung Mainstadt ab. Nun war der gesuchte SUV an einem Team der Singh Familie vorbeigerauscht.
„Wir haben sie!“ meldete Janiet Singh den anderen. „Sie sind kurz vor dem Rastplatz Wildsruff. Wir bleiben hinter ihnen, für den Fall, dass sie auf die Raststätte fahren.“

***

Uns folgte kein Auto der Angreifer mehr. Nach dem Rastplatz Dresdener Tor Süd kam die Ausfahrt Wilsdruff und wir fuhren ab. Ich sah sich gründlich um und suchte Verfolger, doch es hatte den Anschein, als folgte uns noch immer kein Fahrzeug. Allerdings sagte mein Instinkt etwas anderes.
„OK, anscheinend keine Verfolger, auf zum Sammelpunkt Wilde Sau.“
„Wilde Sau. Wer lässt sich solche Namen einfallen, Peter warst du das mal wieder?“, fragte Randy und Dana lachte.
„Diesmal ist er völlig unschuldig, das ist der kleine Bach, der heißt hier tatsächlich so, Wilde Sau. Da vorne nach dem Abschleppdienst noch 500 Meter, dann links ab unter die Autobahnbrücke und zwischen den Containern hindurch. Da kommt die Kläranlage und ganz dahinten den kleinen Weg, der führt zurück Richtung Schnellstraße. Das kleine Betonklötzchen von Haus ist unser Schlupfwinkel.“
Von dem Betonhäuschen konnten wir die zwei Zufahrten gut überblicken und uns absichern. Mehrere Container standen hier teils gestapelt und bildeten einen natürlichen Schutz.
„Was ist denn in den Containern drinnen?“ Wollte Dana wissen und schaute auf die Beschilderung.
„Ist das ein Witz, Keramikplatten, wer stapelt so etwas in Containern?“
„Sei doch froh, einen Besseren Schutz wirst du kaum finden, da geht so schnell keine Kugel durch.“
„Stimmt Caroline, daran hätte ich auch denken können.“
Randy kontrollierte kurz die Bordelektronik und Steuerung. Unsere vordere Stoßstange hatte die ersten Macken einstecken müssen, sonst sah es aber gut aus, nichts tropfte oder hing lose an Blücher herunter.
„Habt ihr das Monstrum deswegen Blücher genannt?“, wollte Dana wissen und ich grinste Dana an. „Klar doch. Du weißt doch, ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen.“
„Ja der Herzog von Wellington soll so etwas gesagt haben, ehe sie Napoleon den Hintern versohlten.“
Mein Handy brummte und ich nahm Franks Anruf an. „Was habt ihr denn diesmal angestellt?!“ bellte er.
„Wir sind am Sammelpunkt, mehr oder weniger in einem Stück.“ Überging ich seine Frage und kam gleich zum Wesentlichen.
„Also, wenn ich einer der miesen Hintermänner wäre, würde ich mich nicht auf diese Vollpfosten verlassen, die jetzt schon drei Mal Mist gebaut haben und ein paar Profis auf euch ansetzten. Ich meine echte Profis, also haltet die Augen auf, das war erst der Anfang.“
„Ich verstehe.“
„Gut, wir sind gleich bei euch, solange passt ja auf euch auf!“ Beendete Frank das Gespräch und ich steckte mein Handy wieder ein.
„OK Mädels, genug Spaß gehabt“, teilte ich den anderen mit. „Frank meint, dass echte Killer hinter uns her sein könnten. Ich hab zwar noch keinen gesehen, aber mein Bauch sagt etwas anderes. Macht euch klar, hier geht es gleich los.
Randy check den Funk zu unseren Leuten und scanne die Umgebung auf Plagegeister, Dana du sicherst nach Osten, Peter du sorgst dafür, dass der Wagen abfahrbereit ist und ich sehe mir die Umgebung und die Abfahrt an, von dort erwarte ich die Angreifer. Ich bin auf Kanal 5.“ Damit deutete ich auf die aufeinander stehenden Container, schnappte mir mein M40 Gewehr und verschwand hinter dem ersten Container.

***

Randy hatte die Checks des Blücher abgeschlossen und holte aus dem seitlichen Versteck einen mittelgroßen Koffer und schnell baute er eine zweifarbige Flugdrohne zusammen. Diese war von oben dunkelgrau und von unten himmelblau angemalt und damit so gut wie unsichtbar. Ein paar Minuten später und wir vernahmen das leise Gebrumme eines Modellflugzeugmotors.

„Andere fliegen die kaum hörbaren Elektromodelle, aber nein, Randy Tausendvolt benutzt einen alten stinkenden Verbrenner.“, stänkerte Peter und grinste Randy dabei an.
„Ja sicher und andere mit Elektromotoren wundern sich, dass der Verbrenner nach einer Stunde immer noch fliegt, während ihr Wundergerät nach ein paar Minuten Flugzeit wieder an den Strom muss.“
Während Randy den Koffer wieder verschloss und wegräumte, summte die Drohne, immer leiser werdend von uns weg und war inzwischen nicht mehr zu hören.
„Wer steuert denn jetzt das Ding?“
„Meine Chips von Randys Powerfliege, du erinnerst dich an die Fliege für Israel?“, fragte Dana, nahm sich eine Flasche Wasser und ging wieder auf ihren Posten zurück.
„Eine Fliege für Israel, ich glaube, ihr beiden bastelt zu viel mit Fischertechnik in eurer Werkstatt?“ und Randy grinste Peter an. „Ja genau diese Fliege, du hast sie immer den fetten Brummer genannt und wolltest sie erschlagen. Das hat mich auf ein paar gute Ideen gebracht und jetzt steuert eine gewiefte Fluglagereglung diese Drohne. Aber nun wollen wir mal sehen, was sie schon alles gefunden hat.“
Randy saß im Fond von Blücher und hatte mehrere kleine Bildschirme vor sich. Zwei Kleinere rechts und links und einen deutlich Größeren frontal vor sich und Randys Blick schien überall gleichzeitig zu sein.
„OK, wir haben ordentlich Verwirrung gestiftet, die Polizei spricht von einem tragischen Auffahrunfall mit Todesfolge. Mehrere Unfallopfer. Mehr geben sie noch nicht raus. Die Autobahn ist auf einer Spur frei und unsere Freunde sind hierher unterwegs.
Decker hat bestätigt, dass sie nicht verfolgt werden. Eintreffen in sechs Minuten sagte er.“
„Gut macht euch bereits, ich weiß noch nicht von woher, aber die kommen nicht alleine, passt also auf.“
Mit meinem M40 hatte ich einen guten Punkt gefunden. Über mir noch das restliche Laub der Bäume, die Lichtung zur Autobahnabfahrt war frei. Rasch schraubte ich den langen Schalldämpfer auf die Waffe und schaltete die Elektronik im Zielfernrohr ein.
352m meldete der Laserentfernungsmesser als Distanz zu dem Verkehrsschild an der Kreuzung Wilsdruff. Ich suchte und fand ein Straßenschild „Gewerbegebiet“ mit den Logos einiger Firmen. Das Schild stand frei vor einem Hügel und war ideal zum Einschießen. Nach dem zweiten Schuss war klar, dass die M40 treffen würde.

***

„Teufel nochmal, was haben die beiden Chaoten denn hier angestellt?“, wunderte sich Benjamin, als ihr SUV an dem Platz des Geschehens vorbeifuhr.
„War das eine Auflade Aktion?“
„Sieht voll danach aus, dass die das erkannt haben, lässt tief blicken.“
„Also hör mal, Dana und Caroline sind zwei erstklassige Agentinnen und zumindest Caroline kennt so etwas aus ihrer eigenen Erfahrung. Und ganz nebenbei… WIR haben die Beiden ausgebildet.“ Grinste Levi.
„Habt ihr so etwas auch schon gemacht?“
„Ja klar, aber wir schnappen das Ziel und laden ihn immer in den unteren Bereich, dort kann er noch weniger abhauen, die Türen gehen bei unseren Aktionen nicht auf. Fliehen ist also ausgeschlossen.“
„Gut das war ein Fehler, aber ansonsten war das doch sehr gut geplant, oder?“
„Das war zu gut geplant. Die Leute haben Erfahrung, jede Menge Geld und auch Material ohne Ende, ich wette die Fahrzeuge waren allesamt aus Firmenbeständen der Region geklaut.“
„Ja schon klar, aber die Autobahn ist hier keine hundert Kilometer geradeaus. Das muss spitzenmäßig geplant worden sein, das geht doch nicht ohne Backup-Team.“
„Doch mein Freund, es geht. Was du brauchst, ist entweder ein Spitzenteam, oder ein kontrollierbares Stück Autobahn, auf der die Verlader pendeln können, hier rauf, da wechseln und dort zurück, so macht man das den ganzen Tag, wenn es sein muss, ohne aufzufallen, bis der richtige kommt. Das haben wir zuletzt…“, er schaute kurz auf das Handy.
„Moment, hier kommen Daten rein, Randy hat seine Drohne in der Luft. Er meldet keine Angreifer bei ihm, also dürften wir ein paar mitbringen, alle aufpassen.“

***

Die Singhs hatten sich zurückfallen lassen und beobachteten sorgfältig ihr Zielobjekt. „Sie biegen auf den Rastplatz ein. Wir fahren vorbei, zur Tankstelle hinter der Abfahrt und kommen zu euch.“ Meldete Janit, dem klar war, dass jeder Wagen, der hinter dem Ziel auf den Rastplatz fuhr, Verdacht erregen würde. Er überschlug die Entfernung von der Tankstelle bis zum Rastplatz und stellte fest, dass er in etwa zwei Minuten bräuchte, um zu den anderen an der Rasstätte Wildruff zu gelangen. In der Zwischenzeit würde ein Team, welches etwa eine Minute hinter ihnen war, zur Raststätte fahren und warten, bis sie zu ihnen stoßen würden.

„Sieh mal!“ sein Fahrer zeigte auf mehrere Wagen, die ebenfalls zur Raststätte abbogen. „Sind das die Stümper dieses Glöckneres?“
„Nein…“, meinet Janiet, der einen Blick auf die Insassen warf, als diese auf dem Verzögerungsstreifen abbremsten, „die sehen mir wie echte Gegner aus… nein ich wette, das ist die Rückendeckung der Zielperson.“ Janiet griff sein Handy und warnte das nachfolgende Team vor der Gefahr. Dann fuhr er an der Raststätte vorbei, fuhr in die Abfahrt der Tankstelle und von dort zum Stellplatz der Raststätten Besucher.

***

„Sie kommen zur Ausfahrt!“, rief Randy und kurz danach „Derzeit keine Verfolger.“ Ergänzte er.
„Achtung, schwerer blauer BMW, Der Beifahrer interessiert sich zu sehr für euch, Frank.“ kam es aus Carolines Aussichtspunkt.
„Verstanden, blauer BMW.“, bestätigte Levi. „Da ist er.“ Decker wies nach vorne, wo der Wagen langsam weiterfuhr. „Wetten, dem folgt ein weiterer Wagen und der da kommt zurück. Mist den haben wir übersehen.“
„HHMMM, nein, ich glaube, den sollen wir sehen, wahrscheinlich hast du Recht und hinter uns sind noch ein paar Teams.“ Nickte Frank.

***

Randy hatte die Bilder der Drohne auf dem Schirm. Dabei betrachtete und isolierte er die Gesichter in den Fahrzeugen. „Hey Leute, die Gesichter sehen ganz und gar nicht mitteleuropäisch aus. Die Gesichtserkennung meldet bisher keine Treffer. Das sind entweder Neulinge, oder ein auswärtiges Player Team.“ Kurz danach gab es dann doch einen Treffer und ein „Janiet Singh“ wurde als Name ausgegeben. Während die Drohne weiter suchte, lief der Personenscan weiter.
„Ich habe einen Verfolger, einen BMW, der jetzt abfährt. Decker, wo seid ihr?“
„Wir sind vier Wagen vor Frank und zwei hinter dem BMW und fahren ab, unten rechts, ist das korrekt?“
„Korrekt, der BMW wird die Kreuzung nicht erreichen, macht, dass ihr wegkommt!“
„Da sind vier Männer an Bord, die sind vermutlich schwer bewaffnet.“
„Worauf du einen lassen kannst, wir biegen jetzt ab und kommen zu euch, halte den BMW auf!“
Gegenüber der Kreuzung hielt ein Traktor mit einem schweren Güllefass als Anhänger. Als der BMW angefahren kam, zerplatze die Seitenscheibe und der Fahrer sackte tödlich getroffen zusammen. Der BMW heulte auf und schoss über die Kreuzung direkt in den Anhänger des Traktors hinein. Die Wucht war dabei so groß, dass an dem Anhänger die Vorderachse brach und der Anhänger auf den BMW kippte. Dabei brach die Frontscheibe und an dem Güllefass musste ein Riss entstanden sein, denn die übelriechende Gülle schoss in den Innenraum und füllt ihn sofort. Die Insassen, aber konnten sich nicht mehr rechtzeitig befreien.
Zwei weitere schwere BMWs kamen die Abfahrt heruntergebraust und hielten an der Kreuzung. Das waren also die Verfolger. Irgendwie hatten sie Hemmungen in die stinkende Gülle hineinzulaufen und warteten, bis ein drittes Fahrzeug dazukam. Aus diesem BMW stieg ein kräftiger Mann in Begleitung eines Hünen aus und schrie die anderen an. Erst jetzt rannten die Männer über die rutschige Gülle auf der Kreuzung und die Männer versuchten, die Seitentüren des Unglücksfahrzeugs zu öffnen.
Einer hatte Erfolg und wurde mit einem vollen Strahl erwischt, doch helfen konnte er den anderen nicht mehr, denn die toten Insassen hingen in den Gurten. Es folgte ein Geschrei des Anführers und die acht Männer standen kurz still und hörten sich den Anschiss ihres Anführers an. Mit einem Mal schrien zwei der Angreifer auf und fielen zu Boden. Ehe die anderen erkannten, was geschah, fielen wieder zwei zu Boden. Jetzt erst, nachdem vier von ihnen getroffen am Boden lagen, erkannten die Angreifer, dass sie angegriffen wurden. Sie zogen ihre Pistolen, um in alle Richtungen zu zielen.
Mit quietschenden Reifen hielt ein zufällig vorbeikommender Streifenwagen der Autobahnpolizei, welcher von der Unfallstelle mit dem Autotransporter kam und zwei Beamte gingen mit gezogenen Waffen in Stellung. Hier bahnte sich gerade ein Chaos an, dass weder die Bösen, noch die Beamten kaum noch überblickten und die Beamten schossen noch nicht, sie dabei waren dabei sich noch zu orientieren.
Der dritte Mann im Streifenwagen hing bereits am Funk und forderte Verstärkung an, als die Angreifer anfingen, auf die Polizisten zu schießen. Diese erwiderten das Feuer und das Caos war perfekt.
In der Schießerei fand ich zwei weitere Ziele. Der dicke Anführer wollte auf die Streifenwagenbesatzung losgehen, als neben dem ersten Polizisten eine Kugel in den Boden einschlug. Daraufhin eröffneten die Beamten das Feuer auf die Angreifer und der dicke Anführer ging getroffen zu Boden.
Während unser Team mit ihren Wagen zum Treffpunkt raste, konnte ich den vorletzten der Angreifer treffen, der auf die von Gülle geflutete Straße fiel.
Der letzte der Angreifer stand auf und schrie den Hünen an, doch der erschoss ihn einfach, ehe er selbst im Kugelhagel der Polizei getroffen zu Boden fiel. Er war sicherlich getroffen, aber bewegte sich noch. Inzwischen trafen die ersten Streifenwagen ein und sperrten den Bereich ab. Mit gezogenen Waffen gingen die Beamten in Zweierteams auf die Angreifer zu.
Jetzt schaute ich nur noch zu und versuchte zu erkennen, wer überlebt hatte. Ein Mann, der Hüne, bewegte sich noch, alle anderen hatten wohl ein anderes Los gezogen.
Als immer mehr Polizei eintraf, zog ich mich zurück.

***

Frank stand im Versteck und hörte Randy, Dana und Peter zu, wie sie berichteten, was alles geschehen war. Als ich dazukam, begrüßten wir uns kurz, aber herzlich.
„Na was machen die Verfolger an der Kreuzung?“, fragte Frank.
„Wie ich sagte, die verlassen die Kreuzung nicht. Das waren drei Verfolgerwagen und der Anführer dazu, ein dicker, stämmiger Kerl mit einem Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Jedenfalls habe ich einige getroffen und die restlichen haben sich mit der Polizei geschossen. Der Leibwächter des Stämmigen ist wohl der einzige, der überlebt hat.“
„Wie zum Teufel hast du die anderen denn gestoppt?“
„Mit einem Güllefass. Die Insassen sind darin ersoffen, bis auf den Fahrer, den hat meine M40 erwischt.“
„Gut, genug davon, jetzt sind wir ja endlich alle zusammen. Wir brechen auf und fahren über das Industriegebiet zum Parkplatz, von da aus zurück nach Dresden.
Nächster Halt ist Uebigau-Wahrenbrück. Dort hat Staatsanwältin Winter ein Home bereitmachen lassen. Auf geht’s, langsam kommt der Gestank der Gülle hierauf und ich bin kein allzu großer Fan der Landwirtschaft.“
„Wenn Winter das angeordnet hat, könnten die Mistkerle wissen, wo das Haus ist.“ Gab ich zu bedenken.
„Keine Sorge, Winter hat es zwar angeordnet, aber unsere Freunde des BND und des Mossad werden ein Auge auf das Haus haben.“ Beruhigte er mich und auch Levi nickte mir zuversichtlich zu.

***

04938 Uebigau-Wahrenbrück

In dem Safe Haus konnten wir uns waschen, stärken und erholen. Zusammen mit Randy, Decker und Dana versuchte ich, den stämmigen Anführer zu zeichnen. Randys Spezialprogramm kam von Minute zu Minute weiter und knapp eine Dreiviertelstunde später war ich mir sich: „Das ist er, der Anführer.“
Nach meiner ausgiebigen Dusche kam ich zu unseren Leuten, die bereits um einen Tisch saßen, etwas aßen oder tranken.
Levi kam zu mir und gab mir einen Ausdruck. „Caroline, du hast einen schlimmen Finger ausfindig gemacht. Der stämmige Kerl aus dem letzten BMW war Holp’Singh, ein prominentes Mitglied der Singh-Familie. Dass passt auch zu dem Fahrer, den Randy identifizierte, Janiet Singh.“
„Die Singh Familie, aber die ist doch in der Indisch-Chinesischen Grenzregion aktiv, was zum Teufel machen die hier?“
„Korrekt. Die machen hier Auftragsarbeiten für einen potenten Auftraggeber. Nicht mehr nicht weniger. Wir sind also einem mit sehr viel Geld auf die Füße gestiegen.“
„Das passt ja mit den Spielen zusammen. Wie können wir das einordnen?“
„Derzeit noch gar nicht, wir sollten den Bodyguard besuchen, wenn der noch lebt, wird er uns sicherlich gerne helfen.“
„Und wie willst du den überreden?“
Benjamin lächelte und grinste. „Unsere Entwicklungsabteilung, die auch die neue chemische Keule entwickelt hat, gab mir etwas Neues mit, falls mir mal unterwegs schlecht wird, oder ich einen Gefangenen verhören will.“
„OK gehen wir also den Gefangenen besuchen, hat Randy schon den Standort des Mannes?“
„Selbstverständlich, der Junge ist sein Geld wert. Mach dich startklar, ich nehme Randy, dich und Fibi mit. Wir fahren in 10 Minuten los.“

***

Krankenbesuch

„Städtisches Klinikum Dresden, in der Bodelschwinghstraße 1, dahin wurde der Mann gebracht.“, teilte uns Randy später mit. „Wir sollten hier in die Tiefgarage einfahren, da ist ein Servicezugang.“
In der Tiefgarage angekommen stiegen aus dem Kleinbus mit der magentafarbenen Werbung aus und gingen zum Serviceaufzug. Aus dem Kleinbus reckte Randy den Daumen nach oben und die Sicherheitstür öffnete sich.
„Wie macht der Bengel das nur immer wieder?“, wunderte sich Levi.
„Du weißt doch“, grinste ich, „diese Nerds keine Schlosser kennen und von Binärcodes träumen.“
„Na, da bin ich mir bei Randy nicht sicher, seit der mit Dana zusammen ist, hat er seine beiden Füße öfter auf der Erde als früher.“
„OK Randy kommt.“
Oben im Getrubel der Hauptanmeldung hatte Ben innerhalb weniger Minuten ein Klemmbrett mit den Patientendaten und einen Arztkittel, schon waren wir auf dem Weg zum Patientenaufzug.
„Zimmer 7-213, das hat garantiert eine Wache vor der Tür, also aufpassen.“
Levi bewies erneut, dass er wusste, was er tat und hatte binnen weniger Minuten einen Überblick über diese Station.
„Also Folgendes. Fibi, du lenkst die Schwestern und den Wachmann ab, ich gehe mit Caroline in das Zimmer und Randy sorgt für die passende Ablenkung, die wir beim Verlassen brauchen. Fragen?“
Im Flur stolperte eine junge Schwester Fibi über eine Reinigungskraft und schlug hart auf dem Boden auf. Ihr Schrei war markerschütternd und als die ersten Blutstropfen flossen, war eine weitere Schwester schon an Fibi. Sie winkte dem Wachmann, und er half, die blutende Schwester auf eine Liege zu legen.
Da waren Levi und ich bereits in dem Zimmer und während Ben den Doktor spielte, ging ich an der kleinen Überwachungskamera vorbei Richtung Fenster. Ein kurzer Dreher und die Kamera schaute auf das Nachbarbett. „Wir haben 10 Minuten, wenn die gut sind.“
„Mund aufmachen bitte das geht schnell.“, forderte Dagan den Schrank von einem Mann auf.
„Was wollen sie, was soll das, ich weiß nichts von einer Behandlung.“
„Wenn wir sie nicht behandeln, werden sie nicht mehr gehen können, wollen sie das?“
„Nein, natürlich nicht, aber …“
„Mund auf und nun schlucken. Schwester Angela hält auch ihr Händchen, wenn sie wollen.“
Der durchtrainierte Leibwächter betrachtete meine Oberweite und schluckte die Pille.
„Gut, das hilft gegen die Lähmung, jetzt noch die Spritze gegen die Nervenlähmung, die kann echt übel enden, es gibt nur einen kleinen Piekser.“, doch da war die Spritze bereits im Arm.
„Durst, geben sie mir bitte etwas zu trinken, ich habe Durst bekommen, ja?“
„Selbstverständlich.“ Und ich gab dem Mann seinen Tee, den er gierig trank.
„Mann, so einen Durst hatte ich schon lange nicht mehr, kann ich noch etwas haben?“
Nach zwei weiteren Bechern schaute der Mann völlig lethargisch auf die gegenüberliegende Wand.
Levi, der die Krankenakte von der Fuß Seite des Bettes in den Händen hatte, begann seine Fragen und nach zehn Minuten nickte er mir zu. „Gut, wir haben alles, gib Randy das vereinbarte Zeichen.“
Eine Minute später herrschte auf dem Flur vor uns helle Aufregung. Die beiden Getränkeautomaten hatten angefangen, Getränkedosen zu spucken und während die roten und blauen Getränkedosen mit dem Brausegetränk über den Flur rollten, stürmten die ersten Besucher auf die gratis Getränkedosen.
Als der Abteilungskopierer in der Ecke auch noch anfing, sein Papier im Flur zu verteilen, verließen wir die Station und waren wenige Minuten später wieder auf der Straße.
„Wie befürchtet, das war ein Auftrag. Die Singhs sollten Dressler, seine Freundin und euch gefangen nehmen und sicher verwahren. Mal sehen, was die beiden Namen ergeben. Hier Randy, füttere mal deinen Rechner.“
Randys Notebook wurde mit den Daten gefüttert und recherchierte in den Datenbanken, auf der Suche nach den passenden Verknüpfungen.

***
Mainstadt / Kreuzritter

Vor dem angesagten Herrenclub „Zum Kreuzritter“ inmitten der besten und teuersten Clubs in Mainstadt standen edle Fahrzeuge in Reih und Glied auf dem gut ausgeleuchteten Privatparkplatz.
Für heute waren zwei Veranstaltungen angesagt worden und der Club daher für die Öffentlichkeit gesperrt worden. Im prächtigen Hauptflügel tagten die erlauchten Mitglieder des Rotary Club Deutschland und in einem kleineren Nebenraum tagten die weniger edlen Mitglieder des „Kreuzritterordens“.
Die beiden Clubs waren durch die beiden Gebäudeflügel voneinander geteilt und es war oberstes Gesetzt, wenn auch ungeschrieben, dass man die anderen Clubmitglieder in Ruhe zu lassen habe.
Beide Clubs waren durch mehrere Türen und Gänge voneinander getrennt und es war ein absolutes Tabu, die Mitglieder des anderen Clubs aufzusuchen. Diese Tatsache war einer der Hauptgründe, warum sich der „Vorstand“ diese Lokalität zum Hauptquartier gemacht hatte, denn hier hatte man einen direkten Draht zu Geld und Informationen.
Und während sich die Herrschaften des Rotary Clubs noch Gedanken über ihre sozialen Zuwendungen machten, versuchte man im anderen Club, soviel Millionen wie nur irgend möglich zu ergaunern. Die Ziele der beiden Clubs unterschieden sich grundsätzlich voneinander.

„James, musstest du uns unbedingt hierher bringen, diese Rotarier, sie riechen nach Cordhosen, abgestandenen Kleidern und uralten Gepflogenheiten.“
James Kitzinger schaute kurz auf und wirkte sichtlich genervt.
„John, nur weil du es nur bis zum Lions Club gebracht hast, sollten wir auf unsere althergebrachten Sitten nicht verzichten. Der „Kreuzritter“ ist unser Stammhaus und da bleiben wir auch. Also bitte, es würde mich freuen, wenn du dich damit arrangieren könntest. Abgesehen davon sind wahrscheinlich einige der anderen Mitglieder unsere Hauptgeldgeber, auch wenn sie es nicht wissen.“ Grinste er.
Manfred Hombacher schüttelte seinen Kopf und murmelte ein verächtliches „Ihr seid schlimmer wie zwei teebeutelwerfende Engländer. Wir wollten heute wissen, wie es um unser Goldschätzchen steht.“ Dann wandte er sich an Charly, der geduldig gewartet hatte, bis man ihn zum Reden aufforderte.“ Also, Shaal’Ayns, bitte berichte!“
Manfred Hombacher, der für Spielerauswahl zuständige Organisator nahm Platz und trank von seinem erfrischenden Getränk.
John Gernfried, verantwortlich für den Ablauf und die sichere Durchführung, saß ihm gegenüber und nippte von seinem 20 Jahre alten Whiskey.
James Kitzinger, zuständig für Finanzier und Vermarktung, war der letzte der „drei Weisen“ und zusammen lauschten sie den Worten von Shaal’Ayns, einem durchtrainierten, braungebrannten Kämpfertyp, der für die kleine Leonie Lengler verantwortlich war.

„Die Spielerin hat sich bisher besser als vorausgesagt erwiesen und sie ist, wie schon berichtete ein Naturtalent. Bisher hat sie die kleinen Spielrunden erfahren und seit vier Wochen nimmt sie an den Erwachsenenrunden mit bis zu sechs Spielern teil. Jetzt wird es Zeit, dass wir sie in die lukrative Runde einführen. Zuvor muss sie aber verstehen, dass das Runden ohne zweite Chance und ohne Gnade für den Verlierer sind. Sollte sie das nicht verstehen, können wir sie nicht einsetzen. Sie muss sich also der Gefahr bewusst werden.“

„Hast du den Kleinen nicht schon beigebracht, dass nur der, wer ein Risiko eingeht, auch ein unglaubliches Geschenk erhalten kann? Das sollte die Kleine doch längst wissen?“
„Das weiß sie auch. Jetzt wollte sie wissen, was mit den 12 Gewinnern der letzten Monate wurde. Wir sagen den Spielern und auch ihr, dass die mit ihrem Gewinn auf einer einsamen Insel leben und sich wohlfühlen. Allerdings… Leonie ist sehr gescheit, wir werden sie nicht mehr lange mit diesen Phrasen abspeisen können.“
„Verdammt zeig der kleinen Schlampe die Filme und die Hochglanzfotos, die wir extra haben anfertigen lassen. Das hat die Investoren beruhigt, dann wird das doch auch für diese Kleine gelten!“
„Gut, dann sind wir uns einig. Gibt es noch Fragen zum Thema, oder können wir endlich den herrlichen Fisch essen?“
Shaal’Ayns sah die drei gierigen alten Männer an und verzog unmerklich sein Gesicht. „Ich werde Leonie in die Geheimnisse der großen Spiele einweihen und sie wird es verstehen, da bin ich mir sicher. Doch ich möchte etwas zu bedenken geben… Wir haben es hier mit einem Kind zu tun, nicht mit einem Erwachsenen.“ Charly wartete einen Moment bis er fortfuhr. „Auch wenn Leonie körperlich weiter entwickelt ist bei ihren Altersgenossinnen, so ist dennoch erst zehn Jahre. Bei einem Erwachsenen klappt die Methode, spiel oder stirb, vielleicht ganz gut, aber nicht bei einem kleinen Mädchen. Wenn wir ihr die Konsequenzen des Spiels zeigen, müssen wir ihr auch ein Ziel geben, dass sie erreichen kann.“
„An was denken sie da?“ wollte Hombacher wissen.
„Die Frage nach ihrer Mutter taucht immer wieder auf, wir sollten uns eine Antwort überlegen.“
„Ihre Mutter ist tot.“ Warf Gernfried trocken ein.
„Das die denkbar schlechteste Antwort. Dieses Kind ist die geborene Kum’do Spielerin, entweder wir überlegen uns etwas, oder wir verlieren sie.“
„Die Kleine verlieren, bevor wir unser finanzielles Ziel erreicht haben, ist keine Option.“ Stellte Kitzinger klar. „Wir werden uns etwas einfallen lassen.“
„Sehr wohl.“ Antwortete Charly. „Das nächste Spiel wird mit freiwilligen Spielern abgehalten. Ich schlage vor, diese Runde zunehmen, um Leonie die Konsequenz des Verlierers aufzuzeigen. Mit angeketteten Spielern werden wir sie kaum von unseren, sagen wir, guten Absichten überzeugen können.
„Gut, gehe jetzt, schönen Abend noch, ich habe Hunger!“ Damit war Shaal’Ayns entlassen.

***

Mainstädter Mädchenheim

Leonie Langler hatte zusammen mit einigen anderen Jugendlichen die Wohnung gewechselt. Fast wöchentlich zogen sie in eine neue Bleibe und jedes Mal wurde die Unterkunft größer, sauberer und moderner. Die Aussicht in der achten Etage war sehr schön. Von hier oben hatte man einen wunderschönen Blick auf die Stadt und den Main.
Leonie bewohnte hier zusammen mit drei anderen jungen Frauen die Wohnung. Dazu kamen noch sechs andere, ebenfalls junge Frauen, die ihr Geld in diversen besseren Bordellen verdienten und hier gerade ihren Rausch ausschliefen.
Ständig huschten die aufmerksamen Frauen und jungen Männer umher, die für die Sicherheit der Mädchen zu sorgen hatten und auch dafür sorgen mussten, dass keine vorzeitig „abhandenkam.“
Leonie war, wohl auch wegen ihres Alters, immer noch nicht recht in die Gruppe aufgenommen worden. Zu sehr war die Überraschung gewesen, als vor einigen Wochen eines der Mädchen weglaufen wollte und von den Aufpassern erwischt wurde. Zuletzt hatte sie mit Leonie darüber gesprochen, dass sie fliehen würde.
Natürlich wurde das Mädchen gefasst. Die anderen Mädchen erfuhren nie, ob Leonie Verrat geübt hatte, oder ob versteckte Kameras alles aufgezeichnet hatten.
Shaal’Ayns hatte das Mädchen in eines der Nachbarzimmer an die Decke ketten lassen und ihr den Rücken und Hintern blutig schlagen lassen. Gleichzeitig hatte Charly eine deutliche Warnung herausgegeben, die jedes Mädchen verstand… Hände weg von Leonie!
Das hatte zur Folge, dass Leonie gemieden wurde. Sie wurde nicht, wie in anderen Fällen bestraft, sie wurde einfach ignoriert.
„Leonie, Charly will dich sehen.“ Sagte eine der Aufpasserinnen und schickte Leonie aus dem Zimmer. Als die kleine Leonie aus dem Zimmer war, fauchte die Aufpasserin zu den anderen der jungen Mädchen.
„Leonie muss noch viel lernen, genau wie ihr. Ihr wird aber noch viel mehr abverlangt und sie wird auch leiden müssen. Doch wehe euch, wenn ihr euch nur einen Finger gegen sie erhebt. Dann macht Charly euch einzeln fertig. Vergesst nicht Esmeralda, sie hat versucht Hand an Leonie zu legen und ihr wisst, was Charly mit ihr gemacht hat!“
Als die Aufpasserin aus dem Raum ging saßen da einige kreidebleiche Mädchen und sahen sich an. „Ich dachte, Esme wäre die Treppe runtergefallen?“
„Nein, Esmeralda wollte nicht, dass Leonie besser behandelt wird und wollte ihr das Gesicht zerschneiden. Charly hat sie erst hart bestraft und dann hat er sie plattgemacht!“

***
In einem anderen großen Raum saß Charly hinter seinem Schreibtisch. „Hallo Leonie, komm bitte und setz dich, ich habe dir einiges zu erzählen.“ Charly machte es der kleinen Leonie sichtlich leicht und Leonie vertraute ihrem Beschützer und Mentor immer noch grenzenlos.
Neben Charly stand eine hochgewachsene, schlanke Frau, die Leonie als Mama Tschilpa kannte. Ihr vertrauten die Mädchen im Haus, denn sie galt als „Mutter für alle Angelegenheiten“.
„Du bist jetzt fast zehneinhalb Jahre alt. In meiner Heimat im Pazifik werden die jungen Frauen in dem Alter zum ersten Mal mit Aufgaben betreut, die eigentlich für die Frauen gedacht sind. Du wirst jetzt bald eine Entwicklung durchlaufen, und da kann dich Mama Tschilpa sehr gut beraten und zu mir kannst du natürlich auch kommen. In der Anfangszeit aber wird sich Mama Tschilpa um dich kümmern.“
„Du meinst, wenn ich anfange zu bluten?“, fragte Leonie ungeniert. Selbst Charly wunderte sich über so viel Offenheit. Ein rascher Blick von ihm zu Ma Tschilpa und diese lächelte. „Ich habe dir gesagt, Leonie ist innerlich weiter als andere Mädchen in ihrem Alter.“
„Ja, aber das wollte ich heute nicht mit dir besprechen, ich weiß, dass du noch nicht geblutet hast. Mir geht es um die Übernahme weiterer Verantwortung. Die neuen Spielrunden stehen an und diesmal wirst du auch in die Runden der Großen mitgenommen.“

„Die große Spielrunde, kann man da auch die großen Gewinne erhalten?“
„Ja sicherlich, nur da kann man die großen Gewinne erhalten. Das hat aber wie alles im Leben auch eine andere Seite. Man bekommt nichts ohne eine Gegenleistung geschenkt!“
„Ja, ich glaube, das hatte Claus auch gesagt, als er gestern mit mir…“
„Claus Mendelsohn, du meinst den blonden Claus?“
„Ja.“
„Er hat dir gestern eines seiner Geheimnisse verraten?“
„Ja, aber nur ein kleines, denke ich.“
„Gut. Dann wirst du heute erfahren, was es heißt, man soll keine Geheimnisse verraten. Weißt du. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft und alles, ja tatsächlich Alles bei uns basiert auf Vertrauen.
Wer unser Vertrauen verliert, wird bestraft, den wollen wir nicht mehr bei uns haben. Verstehst du das?“
„Ja, aber er hat doch nur ganz kurz…“
„Was immer die Claus gesagt Leonie hat, es ist jetzt wichtig, dass du mir alles sagst und dass du ganz ehrlich bist.“
„Aber Charly, du hast eben gesagt, man soll keine Geheimnisse verraten.“
Innerlich grinste Charly, wenn auch gegen seinen Willen… „Anderen Kindern und Erwachsenen gegenüber. Aber das gilt nicht bei mir. Mir solltest du zu vertrauen und immer alles zu sagen, was du erfährst.“ Dann zog Charly seine Trumpfkarte. „Schließlich kommen wir beide von derselben Insel. Also, was hat er dir gesagt?“

„Claus hat mir gesagt, dass die Gewinner eine riesen Batzen Geld und Gold bekommen und dass sie auf eine Trauminsel kommen, wo sie sich alle Wünsche erfüllen können.“
„Gut und was noch, was hat Claus noch gesagt?“
„Eigentlich nichts Genaues.“
„Leonie, du wolltest mir alles sagen. Was hat er noch gesagt?“
„Nur…“
„Nur, was?“
„Nur, dass man noch niemals einen der Gewinner wiedergesehen hat und das hat Claus Angst gemacht.“
„Die Gewinner kommen auf eine wunderbare Insel in der Südsee, die allerdings weit weg von uns ist. Erinnerst du dich an deinen Urlaub auf Soulebda, war es nicht herrlich dort? Stell dir vor, du könntest für immer dort leben. Dort ist fast immer Sommer und man hat viel Sonne, wenig Regen, dazu das Meer, man kann tauschen gehen und viel Sport machen. All die Leute, die dahin kommen, haben kein Interesse mehr ins kalte Deutschland zurückzukommen und mit ihren Leuten aus der Vergangenheit zu reden. Das ist der Grund, weshalb die sich nicht mehr bei uns melden.“

„Aber ist das wirklich so, Charly, bitte sag mir, dass das wirklich so ist. Charly, ich habe Angst. Maibritt hat auch Angst gehabt und jetzt ist sie seit einer Woche weg. Jörg hatte Angst und fehlt seit Mittwoch. Charly, ich habe wirklich Angst.“
„OK, dann hör zu. Was jetzt kommt, hat noch keine von euch Spielern erfahren und konnte hier bei uns bleiben.“
„Wo sind die dann hingekommen, wenn sie es erfahren haben?“
„Weg! Willst du es auch erfahren?“
„Muss ich dann auch weg, hier habe ich meine Freundinnen, und … dich!“
„Das kommt ganz darauf an, wie du dich nun verhältst!“

***

Leonie wurde sichtlich unruhiger, sie spürte, dass gerade etwas Wichtiges vonstattenging und sie konnte sich noch nicht erklären, was das war.
Charly stand auf und griff sich sein Funkgerät. „Claus Mendelsohn festnehmen und zu mir in die 14 bringen!“
Da drehte sich Charly wieder zu Leonie und kniete sich zu ihr.
„Maibritt und Jörg haben unsere Geheimnisse verraten. Geheimnisse, die anderen, auch dir und deiner Mutter, als Geschenk zugestanden hätten. Aber sie waren gierig und falsch und sie wollten selber Geschenke haben, auch wenn ihnen noch keine zustanden. Sie haben diese Geschenke gestohlen. Deswegen wurden sie bestraft.“
„Aber wie bestraft man Diebe?“
„Bei uns bestraft man Diebe so, dass sie nie wieder etwas stehlen können. Du hast die alten Geschichten gelesen mit Aug‘ um Aug‘ und Zahn um Zahn. So in der Art geht das auch hier.
Die beiden haben zwei unser Sieger die Chance genommen ein neues Leben in Freude zu leben. Sie dürfen kein weiteres Mal spielen und haben daher auch keine Chance ein weiteres Mal zu gewinnen. Ihr Leben ist zerstört, weil ihr Gewinn zerstört wurde.
Deswegen nahmen wir den Verrätern die Möglichkeit, jemals wieder so etwas zu tun! Verstehst du das, die dürfen bei uns nie wieder etwas stehlen.“
Mit dem letzten Satz griff sich Charly die kleine Leonie und sie gingen an den nahen Tisch mit den vielen Computermonitoren. Als beide saßen, tippte Charly einige Zahlen ein und auf zwei der Displays sah man Maibritt und Jörg am Halse gehängt, wie sie still da hingen. Die Kamera drehte sich, zeigte den Rücken der beiden, der bei beiden überall mit roten Striemen überzogen war und der Bauchteil, der ebenfalls mit roten und blauen Streifen überzogen war.
Allerdings wurden die Köpfe der beiden Gehenkten nicht angezeigt.
„Du siehst, die beiden haben mehrfach gestohlen, sie haben gelogen und anderen ihre Wünsche genommen. So bestraft man die bösen Menschen. Die machen das nicht mehr!“

Die kleine Leonie stand da, hatte Tränen in den Augen, ihre Hand hatte sie im Mund und sie biss fast darauf und begann jämmerlich zu weinen.

„Siehst du Leonie, unsere Freunde kommen auf eine wunderbare Insel, aber unsere Feinde nicht. Da sind wir hart. Das solltest du niemals vergessen!“ Leonie schaute Charly fragend an. „Was geschieht jetzt mit Claus Mendelsohn, er hat doch auch gegen die Gesetze verstoßen, auch er hat gestohlen?“
Da erkannte Charly, dass Leonie in ihrer Entwicklung deutlich weiter war, als alle anderen angenommen hatten.

Charly schaute auf Leonie. Sein Gesicht zeigte eiskalte Züge und Leonie fühlte sich zum ersten Mal in seiner Nähe nicht mehr wohl.
„Claus Mendelsohn hat gleich drei Mitspielern den Gewinn gestohlen. Die Gewinner wollten eine kleine Insel mit Haus und Pool, etwas Weide und einem Pony, das alles geht jetzt nicht mehr, weil er es ihnen gestohlen hat. Jetzt haben sie gar nichts mehr und wissen nicht, wovon sie leben sollen, denn es ist nichts mehr für sie da.
Die Gewinner wären diese Familie gewesen, die haben ein junges Mädchen in deinem Alter. Stell dir vor, das wäre euer Gewinn gewesen, auf den du und deine Mutter gehofft hattet. Stell dir vor, ihr habt überhaupt nichts mehr und habt nicht einmal ein Bett für die Nacht und nichts zu essen. Was würdest du fordern, wenn man dein Leben so zerstört hätte?“
„Mama, so lange hat sie mich noch nie warten lassen. Ich vermisse sie so sehr. Weißt du, wo sie ist?“ Leonies Augen tränten und sie begann erneut zu weinen.
„Ja Leonie. Gestern Abend hat man mich informiert, dass deine Mutter gefangen gehalten wird, weil sie noch Schulden offen hat und diese Leute verstehen keinen Spaß. Solange das Geld nicht gezahlt wurde, bleibt deine Mutter gefangen!“
„Wenn ich heute Abend gewinne, bekomme ich da genügend Geld, um Mama freizukaufen?“
„Nein, eher nicht. Vergiss nicht, bei einem einzigen Spiel gibt es für Einsteiger wie dich noch nicht so viel Geld zu gewinnen, da müsstest du regelmäßig spielen und gewinnen, dann wäre das nach einiger Zeit sicher machbar.“
„Wie lange müsste ich gewinnen?“
„Schatz, du müsstest erst einmal im großen Spiel bestehen und gewinnen, dann kannst du dir Gedanken machen, wie viele Spiele du gewinnen musst, ich schätze einige Hundert…“
„Einige Hundert? Das dauert ja… ewig, wie lange würde das denn dauern?“
„Schneller geht es leider nicht wir spielen, kurze Pausen dazwischen, ich denke, dass das mindestens ein halbes Jahr dauern würde, vergiss aber nicht, du musst dabei gewinnen! Ich kann zwar nichts versprechen, doch ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht können wir Spiele organisieren, in denen der Einsatz höher ist, dann hast du Geld schneller zusammen. Und jetzt stell dir weiter vor, du hast endlich das viele Geld beisammen und wir könnten deine Mutter freikaufen und jemand wie Claus Mendelsohn nimmt dir alles weg. Was also würdest du in dem Fall als Strafe aussuchen?“

Leonie sah Charly mit ihrem durchdringenden Blick an, ein Blick, den Charly erst von deutlich älteren jungen Menschen kannte. Leonie schwieg noch, aber plötzlich verdunkelte sich ihr schönes Gesicht und Charly merkte, dass sie einen deutlich strengeren Blick erhielt.

„Den Strick!“ Sagte Leonie plötzlich entschlossen und deutete mit ihrer Hand auf den Bildschirm, mit den beiden Gehenkten Kindern. Ihr Blick wurde plötzlich wieder entspannter, er war jetzt wieder klar. Selbst Charly war überrascht, als er Leonies Reaktion erkannte und er wusste, dass er die Kleine jetzt weiter formen konnte.

Charly schaute Leonie an. „Korrekt, genau das wird ihn jetzt erwarten! Das Urteil wurde genauso gesprochen, wie du es erkannt hast. In einer Stunde wird Claus bestraft. Jetzt aber sollten wir etwas Saft trinken, ich habe einen unglaublichen Durst. Du doch sicher auch Leonie?“
Als die beiden am Tisch saßen und zu der erfrischen Limonade ein paar gebackene Leckereien aßen, schaute Leonie Charlie an und lächelte wieder, wenn auch noch etwas unsicher.

„Was wolltest du mir vorhin noch sagen Charly?“
„Dass du ab Morgen bei den großen Spielen mitmachen wirst. Du hast dich bei allen kleinen und mittleren Spielen gut gehalten. Du weißt, dass es um den heiligen Dolch Krum’ba geht, und du weißt, dass nur die Sieger weiterkommen und, dass der Verlierer wirklich alles verliert.“
„Ich habe von dir gehört, dass der Verlierer am Ende seinen Einsatz verliert. Was genau ist denn sein Einsatz?“
„Sein Einsatz ist das einzige kostbare, dass der Spieler noch hat – sein Leben. Verliert er das Spiel, so verliert er sein Leben!“
Charly betrachtete das Gesicht von Leonie. Er suchte Abscheu und Ekel, fand aber nur fragendes Interesse, ganz so, als wüsste Leonie nicht, was das bedeutet, sein Leben zu verlieren…

***

Der Tag darauf brachte für Leonie wieder etwas Neues. Die Hausdame hatte sie geweckt und streichelte über ihre Haare und zeigte zur Tür, dort hingen auf Kleiderbügeln wunderschöne Kleider. „Hallo Liebes, heute bekommst du diese schönen Sachen, denn ab heute wirst du im Spiel der Erwachsenen Menschen mitspielen. Also los, erst duschen, dann etwas essen und danach anziehen.“
Nachdem Leonie sich angekleidet hatte, halfen ihr zwei Mädchen, ihre neue Kleidung und die Frisur zu richten. Als Leonie die Treppe herunterging, staunten die anwesenden Kinder.
„Leonie, was ist denn mit dir los, gehst du jetzt zum Fernsehen oder wie, das ist ja voll verschärft!“ Sie lächelte. „Voll verschärft sagt doch kein Mensch mehr.“
Schon ging die Tür auf und die Mädchen wurden auf die Fahrzeuge aufgeteilt. Die einen stiegen wie so oft in einen VW Bus, Leonie und Jaqueline aber stiegen in einen amerikanischen Kleinbus mit dunkelblauen Fenstern und fuhren in eine andere Richtung. Über die Meißner Straße ging es durch die Stadt und sie sahen die Abfahrt City, jedoch ging die Fahrt weiter. Schließlich sahen sie nur noch größere Häuser und schöne Villen. Offenbar fuhren sie durch eine der besten Wohnlagen von Mainstadt.
Aus dem Fahrerstand kam die Ansage „Wir verdunkeln jetzt ganz, keine Sorge es läuft ein Film an.“ Ein Bildschirm leuchtete auf. Da wurden die Fenster des Busses immer dunkler danach schwarz und da die Sicht nach vorne und hinten blockiert war, konnte man den Film sehr gut sehen.

***

Runde eins.

Als der Bus anhielt und die Türen aufgingen, befanden sie sich in einer hellen Tiefgarage. Um sie herum standen edle, dicke Autos. Mercedes, Jaguar, Audi, BMW und einige andere, flache Autos, die Leonie sonst nicht sah. Ihre Freundin Maike, die drei Jahre älter war als sie selber, schaute auf die englischen Luxusautomobile mit dem mächtigen Kühlergrill, dann flüsterte sie zu Leonie. „Das sind alles teure Autos.“ Ehe sie weiterreden konnte, kam einer der Aufpasser und wies die Mädchen ein.
„So, auf gehts hier in den Aufzug, na kommt schon!“ Die Aufzugstür schloss sich und der Mann im Anzug steckte einen Schlüssel in das Fahrschloss. Leonie war überrascht, als es nicht nach oben, sondern weiter nach unten ging. Da war noch etwas unter der Tiefgarage. „Endstation, bitte aussteigen und hier warten, Danke.“
Hier waren die Leute ganz anders, als an den vorigen Plätzen, an denen Leonie gespielt hatte. Sie waren höflich, nett angezogen und alle gut frisiert und sie rochen alle sehr frisch.
In dem Gang, in dem sie standen, kamen ihnen andere Spieler entgegen, Jugendliche, die aber deutlich älter als Leonie waren.
Mädchen in sehr knappen Kostümen liefen umher und hier und da quiekte ein Mädchen belustigt auf, als es inmitten einiger junger Männer stand.
Das war alles neu für Leonie, es gab hier Leute, denen das Leben gefiel, die keine Prügel, keine Strafen bezogen und allen ging es offenbar gut.
Aus der Tür zur Linken kamen zwei Blondinen mit unglaublich langen Beinen auf sie zu. „Hallo Mädels, ihr müsst die beiden Neuen sein, bitte kommt mit uns, wir bringen euch in euren Ruheraum. Da könnt ihr euch hinlegen, etwas essen, trinken was auch immer, bis es dann losgeht.“ Leonie hatte längst die Orientierung verloren und auch Maike ging es nicht besser in all diesen Gängen. Die ganzen Gänge die längs und quer verliefen, verunsicherten sie. Es roch aber nirgendwo muffig, sondern überall frisch wie im Wald.

„Komm Leonie.“, sagte Maike, das Mädchen, mit dem sie hierher gefahren wurde.
„Maike, warst du hier schon mal?“
„Nein, aber das muss das große Spiel sein, Charly sagte einmal, dass es hier einen Platz gibt, an dem man große Spiele machen kann.“
Als die Mädchen in einen Raum geführt wurden, saß da bereits Charly und lächelte die beiden an. „Maike, du gehst bitte mit der Frau mit, zwei drei Räume weiter und du Leonie, komm bitte zu mir.“

***

Leonie sah sich um. Der Raum war nicht groß, aber verwinkelt, vorne bei Charly befanden sich drei riesige Monitore, die wie Fenster wirkten.
Charly lud sie auf den bequemen Sessel neben sich ein und sie unterhielten sich. Leonie schaute sich immer noch um und war angenehm überrascht.
„Das ist ja gar nicht unter der Erde, das ist ja irgendwo oben, oder?“
„Tja liebe Leonie, tatsächlich ist das ein altes Tieflager für Weine, das umgebaut wurde. Über uns steht ein fantastischer Hof mit vielen Gebäuden und allem, was man so braucht. Aber hier unten ist bei einer sehr guten Belüftung eine unserer Spielwiesen und wir haben davon gleich mehrere.“
„Wollen wir mal schauen, wie weit die da sind?“, fragte Charly und Leonie nickte neugierig. Die mächtigen Bildschirme erleuchteten, der zentrale Bildschirm war deutlich breiter als die beiden anderen. Auf den kleineren sah man andere Räume und uninteressantes, befand Leonie, sie interessierte sich nur für den riesigen zentralen Bildschirm.
Ein stabiler Tisch stand in einem runden Raum, fest am Boden befestigt. In der Mitte das Spiel Rad und um den Tisch befanden sich sechs einfache Holzstühle, noch an den Tisch gekippt. Lichter flammten auf und Leonie erkannte, dass da Leute saßen, viele Leute an allen vier Seiten. Wie viele das waren, konnte sie nicht erkennen, pro Seite vielleicht zehn, vielleicht zwanzig, sie sah es nicht genau.
Charly drückte einige Schalter an seinem Tablett und von über und hinter ihnen kamen über Lautsprecher die Geräusche aus dem Saal. Geräusche wie aus einem Theatersaal, wenn sich die Leute sammeln.
Ein zentraler Scheinwerfer erleuchtete den Tisch und zwei schlanke, kaum bekleideten Mädchen stellten die Stühle rasch ordentlich hin und verschwanden wieder.

Aus dem dunklen Seitenbereich trat ein Mann in das Licht, der sah für Leonie dann doch recht merkwürdig aus.
Ein langer Umhang mit unglaublich vielen Farben, die helle Tunika mit unlesbaren Zeichen bestickt, darunter zwei Vulkane die Feuer spien, umringt von Wasser. Leonie hatte solch einen Mann vorher noch nie gesehen.
„Wer ist das, Charly?“
„Ein Priester aus Soulebda.“
„Der Insel auf der ich mit Mama Urlaub machte?“
„Ja, und wie du weißt, liegt sie nicht weit weg von unserer Heimat Futuna.“

Der Mann ging an den Tisch, legte seinen Umhang und die Tunika ab, er wurde von den leichtbekleideten Mädchen abgenommen, dabei ging ein Raunen durch den Saal. Jetzt stand der Mann vor dem Tisch. Er war recht muskulös, trug einen Rock und war von Kopf bis Fuß tätowiert. In seiner Hand trug der Priester eine kleine, geschmückte Holzschachtel. Darin befand sich der leicht gekrümmte Dolch für das Spiel und der Priester legte diesen direkt in den Drehbereich.

„Wir sind hier zusammengekommen,“ begann der Mann mit seiner tiefen melodisch klingenden Stimme, „um Kum’do, das uralte Spiel des Lebens zu spielen. Die Spieler wurden alle in den Opferritus aufgenommen, sie haben alle ihre Weihen am heiligen Vulkan empfangen und ihren Körper von allen Sünden gereinigt. Sie spielen das heilige Spiel, wie es, seit Generationen gespielt wird. Drei Runden pro Fisch.“
In diesem Moment leuchteten an den Wänden die Zähler für die Fische auf. Diese Fische, die jede Runde zählen würden.
Leonie hatte nur noch Augen für das, was sich auf dem großen Monitor abspielte.
„Der Spieler, der zuerst seine drei Fische verloren hat, wird aus dem Spiel entfernt und die Runden gehen weiter, solange, bis nur noch ein Spieler übrigbleibt, das ist der Gewinner.“
Licht flammte an dem einzigen Eingang auf und als sich die Stahltüre öffnete, da betraten die sechs Spieler den Raum. Die Spieler trugen je eine Armbinde, mit ihrer Farbe. Sie nahmen auf dem Stuhl Platz, der ihrer Farbe am Arm entsprach.
Gelb, Rot, Grün, Blau, Schwarz und Weiß. Diese Farben markierten den jeweiligen Spieler und genauso galt das für die Fische an der Wand.
„Ihr tapferen Spieler, ich grüße euch im Nahmen eures Gottes. Trinkt zuerst den heiligen Trunk unseres Gottes Krusch’ta, den Trunk der Wahrheit.“ Jedem Spieler wurde ein Becher gereicht, den alle austranken und zurückstellten.
„Jetzt nehmt Platz, besinnt euch auf eure Ziele. Ich bin der Priester, der alles überwacht, ich bin Leiter, Helfer, Priester, Richter und Henker in einer Person!
Ihr habt die heiligen Regeln gelesen und habt sie mit Blut unterschrieben. Diese uralten Regeln sind bindend und geben kein Pardon.“
Der Raum verdunkelte sich, jetzt konnte Leonie nur noch die Spieler und den Priester sehen, der zwar langsam, aber unentwegt um den Tisch ging. Licht flammte auf und der Spieltisch wurde heller erleuchtet, Erneut waren die Farben der Spieler zu sehen und jeder Spieler bekam seine Farbe auf seinen Platz illuminiert.

Ein Gong ertönte und die Farben an dem Tisch leuchteten auf, ein weißer Punkt ruckte von Platz zu Platz, erst schnell, dann immer langsamer werdend und je langsamer er wurde, desto langsamer hüpfte der weiße Punkt weiter. Schließlich blieb er auf „Rot“ und ein weiterer Gong ertönte.
„Der Zufall hat Rot gewählt. Nun denn, möge das Spiel gewinnen. Ihr tapferen Spieler, spielt!“
Anfangs sah das alles noch einfach aus. Rot drehte den Dolch und irgendwann kam der Dolch auf einer Spielerfarbe zum Halt. Dieser Fisch wurde an den Wänden gekippt und war nicht mehr sichtbar. Dafür durfte der Spieler, der soeben verloren hatte, erneut beginnen.

***

Inzwischen hatten die Spieler alle einen oder sogar zwei der Fische eingebüßt und anstatt dass Langeweile aufkam, stieg die Spannung in dem Saal. Ja sogar Leonie hatte die Spannung erreicht und sie war bereits im Bann dieses unglücklichen Spiels.
Sie erkannte auch nicht die beiden Kameras zwischen den Monitoren, die all ihre Bewegungen und Regungen genau aufzeichneten.
„Welche Farbe kommt jetzt Leonie?“, fragte Charly und Leonie musste nochmal gefragt werden, so sehr war sie in dem Bann des Spiels.
„Welche Farbe? Der Rote hat gedreht, aber zu heftig, das reicht nur für zehn Runden, ich denke, das wird Grün werden.“
Charly sagte nichts, tippte nur etwas in die Tastatur und beide schauten gebannt dem Treiben zu. Der Dolch drehte, etwas wackelig und wurde rasch langsamer, dann kam er bei Grün zum Stillstand.
Leonie war wieder in ihrem Element, sie hatte keine Augen für Charly, der sie wie ein Wissenschaftler las und versuchte, ihre Gedanken zu erhaschen.
Inzwischen hatte Schwarz seinen letzten Fisch verloren und die Runde, die Schwarz gestartet hatte, endete erneut auf Schwarz.
„Das ist nicht fair!“ Schrie der Spieler, da stand aber der Priester bereits hinter ihm. „Das Spiel ist fair, jeder hat seine Chance und nun zu dir, wähle den Entscheid?“
Der Spieler in Schwarz wurde etwas ruhiger, sah in die großen Augen der anderen Spieler und drehte sich zum Priester. „Ich möchte es selbst machen!“
„Gut begleitet den tapferen Spieler nach hinten.“ Zwei Männer mit einer gelben Schärpe kamen hinzu. Noch während der Mann nach hinten und damit aus dem Blickwinkel geleitet wurde, ging das Spiel weiter. Aber es hatte sich soeben etwas geändert. Der erste Spieler war ausgeschieden und die anderen Spieler wussten, was das bedeutet.
Leonie schaute zu Charly. „Du Charly, was ist mit dem schwarzen Spieler? Was passiert mit ihm?“ Charly streichelte sanft über Leonies Haare. „Sein Einsatz ist das einzige kostbare, dass der Spieler noch hat – sein Leben. Verliert er das Spiel, so verliert er sein Leben. Erinnerst du dich an das, was ich dir gesagt hatte?“
Leonies Augen wurden größer, sie schaute erneut auf den Spieltisch, auf dem sich der Dolch drehte und dann wieder zu Charly.
„Wenn die ihr Leben verlieren könne, weshalb spielen die denn?“
„Sie haben eine letzte Chance in ihrem Leben etwas Gutes zu erreichen und für ihre Familie oder andere viel Gold und Geld zu gewinnen. Das reizt die Spieler und sie setzen ihr Leben ein. So es geht weiter, der Dolch hat angehalten!“

***

Nach und nach ging das Spiel weiter, die Plätze leerten sich und schließlich waren nur noch zwei Spieler übrig. Ein Spieler mit dem Gesicht eines Preisboxers und eine junge Frau mit einer wunderschönen Nase und einem hübschen Busen.
Inzwischen hatten die Farben auf dem Tisch die restlichen Farben der Spieler angenommen und jetzt, in der Endphase waren die beiden Farben wechselweise zu sehen, Gelb und Blau.
Der Preisboxertyp in Blau drehte und schaute auf die Fischwand. Beide hatten nur noch einen Fisch. Es war also noch alles offen.
Der Dolch wurde langsamer und kam auf Gelb zu stehen.
„Schlampe, weg mit dem Fisch, und jetzt mach ich dich fertig!“ Erneut griff der Boxertyp zu dem Dolch, aber da war der Priester bereits bei ihm.
„Nein, das ist nicht dein Durchlauf, die Frau in Gelb ist dran!“
„Bullshit, ich bin der Stärkere und ich nehme mir…“ Der Boxertyp schien nicht gewillt zu sein, nachzugeben, aber er konnte, trotz seiner Bärenkraft den Priester nicht besiegen.
„Verdammt, wieso bist du so stark?“
„Ich warne dich Spieler in Blau, du hast geschworen dich den Weisungen zu unterwerfen, also unterwirf dich, oder du wirst disqualifiziert!“
Damit ließ der Priester den Preisboxertypen los und senkte seine Hände. Der aber schaute wie von Sinnen zu der Spielerfrau in Gelb und dem Priester, das konnte doch nicht sein, dass er so einen Priester nicht besiegen konnte.
Und so machte der Preisboxertyp seinen letzten Fehler. Er ergriff den Spieldolch und ging auf den Priester los. Der der Angriff schlug fehl. Während alle in dem Raum aufgeregt murmelten, schien der Preisboxer durch die Luft gewedelt zu werden und brach schließlich auf dem Boden zusammen. In seiner Brust steckte der Dolch des Priesters. Verwirrt schaute Leonie genauer hin und erkannte, dass der Priester keineswegs unbewaffnet war, er hatte seinen Dolch, einen deutlich längeren aus der Brust des Angreifers gezogen und wischte ihn langsam an der Kleidung des Besiegten ab.
Die Frau in Geld saß noch immer wie angewurzelt auf ihrem Tisch und schaute den Priester an. „Was ist nun?“ fragte sie zögerlich.
Der Priester kam zu der Frau, nahm ihre rechte Hand und reckte sie nach oben.
„Wir haben eine Gewinnerin, Gelb hat gewonnen. Ich gratuliere. Wenn sie bitte hier durch diesen Gang gehen, sie werden bereits erwartet.
Meine Damen und Herren, der erste Durchgang für heute ist vorüber, es gab einen Gewinner. In zwei Stunden geht es weiter, stärken sie sich bis dahin.“ Damit drehte sich der Priester und entschwand auch durch eine der vielen Türen.
„Hättest du das Ergebnis vorhergesagt Leonie?“
Leonie sah Charly an und schüttelte langsam ihren Kopf. „Nein, das hätte ich niemals vorhergesagt. Aber es ist gut, dass der Priester da war. Was ist das eigentlich für ein Mann?“
Charly betrachtete Leonie und lud sie ein, sich neben ihn zu setzen.
„Wie ich schon sagte, der Priester stammt von Soulebda und ist extra hier her gekommen um das Spiel und die Spieler zu schützen. Bist du in Erdkunde gut?“
„Ja ich liebe es alles über die fremden Länder, Kontinente und Städte zu erfahren, ich möchte gerne einmal alle Kontinente bereisen. Irgendwann will ich auch einmal nach Futuna, der Heimat meines Vaters… unserer Heimat. Wo ist sie genau?“
Charly lächelte und war froh Leonie etwas ablenken zu können.
„Nun, unsere Insel liegt im Pazifik seitlich oberhalb von Australien. Unser nächster Nachbar ist Soulebda, viele hundert Kilometer von uns entfernt. Soulebda ist eine wunderbare, fast verzauberte Urlaubsinsel, eine Insel, auf der Wünsche noch wahr werden.“

***

Runde zwei.

„So Leonie, jetzt beginnt die zweite Runde. Danach bist du in der dritten Runde mit dabei und wirst zum ersten Mal in solch großer Runde mitspielen. Schau dir also diese Runde nochmals genau an. Du wirst dabei eine Farbe für jede Runde wählen und dann sehen wir, ob du gut gewählt hättest.“
„Aber das bedeutet ja, dass ich wie jeder Spieler genau überlegen muss…“
„Ganz genau, überlege dir also sehr gut, welche Farbe du nimmst oder welche Farbe du in jeder Runde als Sieger zu sehen glaubst.“
„Spielen die immer noch um ihr Leben, um ihren höchsten Einsatz?“
„Selbstverständlich und die Leute da unten und an den Bildschirmen, irgendwo auf der Welt, wetten auf den einen oder anderen Spieler. Es geht hier um sehr viel. Des einen Gewinns ist des anderen Verlust. Denk immer daran. Nur wer hoch spielt, kann hoch gewinnen.“
Diesmal war Leonie viel tiefer in der Sache drinnen. Hochkonzentriert hatte sie sich die ersten drei Runden auf die Farbe Rot festgelegt und die Farbe hatte nicht verloren, allerdings… in der vierten Runde verlor Rot zum ersten Mal und in der übernächsten ebenfalls. Das erschütterte Leonie, hatte sie doch ganz klar Rot als Sieger vermutet.
In der nächsten Runde schied eine hübsche junge Frau mit langem, schwarzem Haar aus und sie wurde nach hinten beordert. Wieder war sie gefragt worden, ob sie das Los selber ziehen möchte oder dem Priester die Wahl überlassen wollte. Die hübsche Frau hatte sich für den Priester entschieden.
Charly erkannte, dass in Leonie Unruhe aufkam und sie wirkte unschlüssig. Ihre Treffer wurden schlechter und als die nächste Frau, die ein Modell hätte sein können, verlor, da musste auch diese nach hinten durch den Gang das Spielfeld verlassen. Auch sie wählte den Priester.
„Leonie, komm bitte zu mir. Du musst etwas wissen, etwas ganz klarsehen. Diese Verlierer sind die Spieler, die ihr Leben heute verlieren werden und die beiden Frauen haben sich für den Priester entschieden.“
„Was bedeutet das, den Priester entschieden?“
„Sie haben entschieden, dass der Priester ihr Leben beenden wird, nicht sie selber.“
„Und der Priester, kann der das auch, ohne dass die Frauen zu sehr dabei leiden müssen?“
„Der Priester ist bestens ausgebildet, er kann das schnell, sauber und nahezu schmerzfrei.“
Leonie konzentrierte sich wieder und ihre Treffer wurden wieder deutlich besser. Sie sagte jetzt sogar vor, welche beiden Farben jetzt aussteigen würden. Charly war überrascht, dass Leonie nicht von Spielern oder Spielerinnen sprach, sondern von Farben.

Die beiden Verlierer, die ausschieden, wählten sich selber als Vollstrecker.

***

Ehe das Finale begann, nahm Charly Leonie an die Hand und sie gingen in einen anderen Raum. Hier waren nur zwei große Monitore angebracht. Diese zeigten in einem hellen Raum die vier Spieler, die verloren hatten. Sie standen nackt in einer Reihe mit auf den Rücken gefesselten Armen. Aus dem Lautsprecher kam etwas leise die Ansage des Priesters.
„Ihr beiden wolltet selbst wählen, also tretet auf die Hocker und lasst euch den Strick umlegen, danach geht euren Weg, wann immer ihr wollt. Wer binnen einer Minute nicht hängt, der wird von uns gerichtet.“
Leonie schaute gebannt zu, wie die beiden Verlierer auf einen gut 40 cm hohen Holzbock stiegen und ein Seil um den Hals gelegt bekamen. Der Priester überwachte, dass das Seil richtig saß und nickte den beiden zu.
Zuerst stieg die Frau ab und hing zappelnd im Seil. Röchelnd drehte sie sich im Seil und ihr Gesicht lief Dunkelbau an.
„Jetzt du!“ Bestimmte der Priester, aber der Mann zögerte, daher zog der Priester den Holzbock zur Seite und der Mann zappelte auch im Seil.
Während die beiden in den Seilen starben, ging der Priester bereits zu den beiden Frauen und sprach mit sanften Worten. „Euch will ich den Übergang in die andere Welt einfach machen, bitte schließt die Augen.“
Mit einem schnellen Dolchstich zuckte die erste Frau kurz auf, und noch ehe sie auf den Boden fiel, stach der Priester auch der zweiten Frau einen Dolch von hinten ins Herz. Keine der beiden hatte einen Schrei oder auch nur einen Laut von sich gegeben.

Seltsam friedlich lagen die beiden Frauen auf dem Boden. Einige Helfer legten die toten Körper auf einen langen Tisch. Da würden nachher die beiden Hängenden und der Spieler, der im Finale unterlag, noch dazukommen.
„Wann kommen die beiden im Strick auf den Tisch?“
„Die bleiben bis ganz zum Schluss hängen, so will es der Brauch. Der Priester hat die beiden Frauen schnell und fast schmerzfrei getötet. Das hast du jetzt ja gesehen.“
„Ja, weshalb hast du mir das gezeigt Charly?“
„Weil du in der nächsten Runde ja auch mitspielen wirst und auch du solltest wissen, was geschieht, wenn du verlierst!“
Leonie stand mit offenem Mund da. Ihre Beine begannen zu zittern. Jetzt wurde ihr schlagartig klar, was Charly, ihr Vertrauter Trainer ihr gerade gesagt hatte.
Wenn sie heute verlöre, würde sie sterben …
Noch schlimmer, sie würde ihrer Mutter nicht helfen können!

***

Charly stand hinter Leonie und sah zu, wie der Schrecken ihr durch die Knochen zog. Jetzt erkannte sie, was es bedeutete, den Spieleinsatz zu verlieren. Ehe der Schrecken aber zu sehr von dem Mädchen Besitz ergreifen konnte, trat Charly näher an sie heran und sprach sanft auf sie ein.
„Das ist nur zum Zeigen und verstehen meine Liebe. Heute wirst du spielen, aber heute wirst du deinen Spieleinsatz nicht einbringen. Damit kannst du heute zwar nichts rechtes gewinnen, außer der Erfahrung, dass auch dein Leben endlich ist.“ Mit diesen Worten legte er seine großen Hände über ihre Schulter, um den kleinen Mädchenkörper zu beruhigen. Tatsächlich wirkte es, Leonie beruhigte sich nach und nach.
„Komm jetzt, wir gehen zurück, das Endspiel geht in wenigen Minuten los.“
Zurück in ihrem ersten Raum schaute Leonie wieder auf den riesigen Bildschirm. Das da unten waren zwei erwachsene Männer. Der eine sah aus wie ein Soldat, er hatte Striemen an den Armen und eine Narbe im Gesicht. Dazu trug er die Farbe Rot.
Der andere Mann wirkte ruhig. Eher wie ein alter Spieler, ganz so, als hätte er das Geschehen in seinen Händen. Dieser Spieler war die Ruhe selbst und trug die Farbe Grün.
Leonie schaute auf die Wand mit den Fischen. Beide hatten noch je zwei Fische.
Der Priester kam dazu und legte den Dolch in die Mitte des Tisches. „Lasst das Licht entscheiden, wer zuerst drehen darf.“
In dem Raum wurde es dunkler, nur der Spielbereich war wieder hell erleuchtet. Wie bereits vorher, erschien ein weißes Licht und wanderte über die sechs Spielflächen, die in den beiden Farben der Endteilnehmer leuchteten. Nach und nach wurde es langsamer und hielt auf der Spielfarbe Grün an.
Der Spieler mit der Narbe lächelte und nahm den Dolch, er legte ihn sanft auf den Zentralpunkt und drehte. Der zweite Spieler sah gebannt auf den Drehteller, der langsamer wurde und schließlich auf Rot stehenblieb. Er selbst hatte Rot und der Spieler schluckte deutlich.
Leonie schaute auf den Drehteller und dann zu Charly. „Der Mann mit dem komischen Spielergesicht hat Rot bekommen und ich wette, diesmal kommt Grün.“
Tatsächlich kam Grün.
Die Spannung in dem Spielerraum musste unglaublich sein. Die Zuschauer wetteten auf den Sieger. In den beiden letzten Runden verlor jeweils einer der Spieler und jetzt hatte keiner mehr einen Fisch. Die nächste Runde würde alles entscheiden. Wieder drehte der Mann mit dem Spielergesicht und Leonie schaute ganz genau und gebannt zu.
„Der grüne Spieler verliert!“ Sagte Leonie felsenfest überzeugt und schaute kurz zu Charly, der, wie schon so oft, keine Mine verzog.
Der Drehteller wurde langsamer und gleich würde die Entscheidung fallen. „Bist du dir sicher, dass Grün verliert?“
Leonie nickte still, dann drehte sie sich zu Charly um. „Ja, alles spricht für Grün!“
Tatsächlich kam Grün und der Spieler mit der Narbe sprang von seinem Stuhl und jubelte. Der Spielertyp gegenüber aber schaute mit einem Gesicht voller Enttäuschung zu dem Priester.
„Aber wieso Grün?“ Rief der Spielertyp
„Weil unser Gott so entschieden hat. Du kennst den Brauch und kennst die Verpflichtungen. Du weißt, was jetzt kommt. Also wähle!“
Der Verlierer schaute dem anderen Mann in sein lachendes Gesicht. „Glückwunsch du Gewinner, mögest du an dem ganzen Gold ersticken. Ich wähle selber, wie es mit mir zu Ende geht!“
Damit stand der Verlierer auf und ging auf den zugewiesenen Ausgang zu. Der Priester erklärte den Spieler in Rot zum Gewinner. Auf dem Bildschirm erlosch die Übertragung. Charly nahm Leonie an die Hand und sie verließen den Raum.
„Du wirst jetzt mit Lady Doria gehen, sie wird dir helfen, dich etwas frisch zu machen und danach bringt sie sie dich an den Spielplatz des ersten richtig großen Spiels. Dort sehen wir uns wieder.“
Auf dem Flur kam eine elegante Frau auf die beiden zu und sie übernahm Leonie, gab Charly einen züchtigen Kuss auf die Wange und verschwand mit Leonie durch eine Tür.

***

Während Lady Doria sich um Leonie kümmerte, ging Charly in einen der unteren Räume. Der Raum war herrlich gepolstert und mit netten Blumen ausgeschmückt. An den Wänden hingen Ölgemälde in Rahmen, die bestens zu der Innenausstattung passten und Charly nahm hinter einem mächtigen Schreibtisch Platz.
Zwei leichtbekleidete Mädchen führten den Sieger in den Raum und Charly begrüßte ihn höflich. Nach einigen Minuten Smalltalk lächelte Charly. „Willst du sehen, wo sich all die bisherigen Sieger ihre Wünsche erfüllt haben? Die meisten wollten unbedingt auf eine wunderbare Südseeinsel. Das Beste aber ist, es gibt so unglaublich viele dieser Südseeinseln. Bitte nimm dir einen Drink deiner Wahl.“
Der Sieger schaute die Getränkeauswahl an und goss sich einen 25 Jahre alten Scotch ein, roch einmal und nahm einen tiefen Schluck.“
„Ja, der ist wahrlich gut, dann kann ich mich gleich auf Urlaub einstellen, ich will da heute noch losfahren, alles packen und so früh wie möglich aus dem alten Leben aussteigen.“
„Ja, das verstehe ich doch und helfe dabei nur allzu gern, also komm, hier an diesem Strand, das war die erste Gewinnerin.“
Während der Sieger sein Glas austrank, löste er den engen Krawattenknoten. Plötzlich wurde ihm zusehends heiß und beim Atmen bekam er Probleme. Seine Kraft schwand und das massive Glas fiel auf den dicken Teppich.
Röchelnd verließen ihn seine Kräfte und er sank auf den Boden. Als er betäubt da am Boden lag, umklammerte Charly das Genick des Mannes und brach es mit einem hässlichen Geräusch.
„Wie ich versprochen hatte, ich helfe dir beim Übergang in die Neue Welt. Nun begrüße die anderen Hundert Gewinner, die sind alle bereits auf der anderen Seite!“
Eine Seitentür ging auf, drei kräftige Helfer kamen herein und Charly nickte ihnen zu. „So das war dann der Gewinner aus der Spielrunde Nummer zwei. Bitte aufräumen und entsorgen. Vergesst den Fleck auf dem Teppich nicht.“

***

Die drei Helfen luden den frisch verstorbenen Gewinner auf einen Rollwagen aus Edelstahl, deckten ein Tuch darüber und rollten den Wagen aus dem Seiteneingang. Als sich die Tür geschlossen hatte, schoben sie den Wagen weiter in einen Lastenaufzug und fuhren in einen größeren, gekühlten Raum. Hier befanden sich an der Decke hängende Stahlträger, in denen Laufkatzen mit spitzen Fleischerhaken hingen.

An den Haken der linken Seite hingen all die Verlierer des heutigen Tages, die sich selbst gerichtet hatten und auf der rechten Seite hingen jene, die der Priester gerichtet hatte. Die Männer mit der Rollkarre aber fuhren weiter zu einer Tür, öffneten diese und schoben den Wagen dort hindurch. „Einmal entsorgen bitte.“, sagte der Mann ganz vorne und zwei Männer mit Gesichtsmasken nahmen den toten Mann auf dem Wagen im Empfang. Der Rollwagen wurde zurückgegeben und die Tür schloss sich.

***

Umkleiden

Lady Doria hatte sich eine halbe Stunde mit Leonie abgegeben und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Leonie hatte die Haare gekämmt und ihr weißes Kleid war sauber ausgerichtet, sie wirkte nicht mehr wie ein Mädchen, das gerade erst zehn Jahre alt geworden war, Leonie wirkte heute deutlich älter. Die bequemen Schuhe waren durch elegante Modelle gewichen, mit denen Leonie dennoch bestens laufen konnte.
„Genauso will ich es haben Kleine, du bist ein Naturtalent, jetzt noch einige Bilder, stell dich bitte hier her auf diesen Punkt am Boden.“
Zehn Minuten später hatte Lady Doria absolute Spitzenbilder geschossen und lud diese auf ihren riesigen Monitor. „Da schau Leonie, das bist du, eine wunderschöne junge Dame!“
Leonie schaute auf die Bilder und begann zu lächeln, sie sah wirklich wunderbar aus auf den Bildern.
„Jetzt müsste Charly bald fertig sein und dann geht es mit dem letzten Durchlauf für heute los. Hast du dich schon mit den Möglichkeiten einer professionellen Spielerin beschäftigt. Wenn du bei diesem Spiel wirklich gut bist, dann kannst du unglaublich viel Gold bekommen.“
Charly kam herein und klatschte voller Lob in die Hände. Lady Doria lächelte ihn an, aber Leonie schien Charly geradezu anzuhimmeln. „Na Charly, wie sehe ich aus?“
„Du siehst aus, wie eine junge Prinzessin, wie meine junge Prinzessin. Wenn Lady Doria fertig ist, nehme ich dich mit an den Spieltisch.“

***

Runde drei.

Charly und zwei sportliche Männer begleiteten Leonie durch die Gänge und kamen schließlich in den Spielesaal. Jetzt sah Leonie zum ersten Mal, wie groß dieser Raum tatsächlich war, da passten ja mindestens 500 Leute rein, schätzte sie. Die hinteren Reihen waren wie im Kino etwas erhöht, damit ja auch alle eine gute Sicht hatten.
Aus zwei Nebeneingängen traten die anderen Spielerinnen und Spieler ein und stellten sich vor den Tisch. Erst jetzt bemerkte Leonie, dass die anderen Spieler alle in ihrer Spielfarbe gekleidet war und als nur noch der Platz in Weiß frei war, wusste Leonie, dass das ihr Platz war. Fragend schaute sie zu Charly und er nickte ihr leicht zu.
Zwei der älteren Spielerfrauen lächelten Charly an und winkten Leonie zu. „Oh Charly, führst du wieder eine deiner Debütantinnen ein?“
Ein stämmiger Spieler in grünem Zwirn saß gegenüber von Leonie und schaute sie missmutig an. „Ja Schätzchen komm nur, ich habe schon drei Jungfrauen von deinem Kaliber gefressen, du wirst auch keine Ausnahme sein.“ Ein warnender Blick von Charly und der Mann war augenblicklich still.

„Werte Spieler!“, rief Charly die Anwesenden zur Aufmerksamkeit. Heute ist in der Tat ein besonderer Tag, diese Spielerin in Weiß beginnt heute ihr Spiel nach einer guten Ausbildung. Natürlich hat sie auch ihr höchstes Gut eingebracht, um mitspielen zu können, allerdings unter meiner Einladung. Der Besuch auf dem Vulkan auf Soulebda steht ihr also noch bevor.“
„Nur wenn sie siegreich ist Charly.“ Zischte der Mann in Grün und Leonie erkannte, dass das jetzt wirklich ernst wurde. Sie schaute recht ängstlich zu Charly und der Grüne Kerl lachte sie frech an. „Da schaut sie euch an, ihr geht die Klammer, die Kleine macht sich gerade in die Windeln!“
Charly ging auf den Mann in Grün zu und flüsterte, für Leonie unhörbar dem Mann ins Ohr: „Kolobar, sei besser brav zu Leonie, sie ist ein Juwel in meiner Sammlung und ich pflege mich um meine Juwelen zu kümmern.“
Die anderen Spieler nahmen ihren Platz ein, der Mann in Grün war plötzlich still geworden und sein linkes Augenlid zuckte verräterisch.
Aus dem mittleren Gang kam der Priester und stellte sich zu den Spielern, hinter dem Priester aber war noch ein anderer Mann eingetreten, der sein Gesicht im Schatten verborgen hielt. Lediglich Charly schaute ihn kalt lächelnd an, nickte ihm kurz zu und der Mann im Schatten erwiderte den Gruß und nickte Charly leicht zu.
Das Publikum war inzwischen auf ihren Plätzen. Leonie hatte kaum bemerkt, wie die Leute gekommen und zu ihren Plätzen gegangen waren. Der spielführende Priester trat in die Mitte und begann.
„Verehrte Anwesende, wieder ist es so weit und wiederum nehmen wir das uralte Spiel als Ehre an, die Ehre des Kum’do. Die anwesenden Spielerinnen und Spieler wissen um die Möglichkeiten, sie wissen aber auch um die Launen unseres Gottes. Möge seine Laune heute dem Spiel zum Segen reichen.
Wir begrüßen heute auch wieder eine jungfräuliche Spielerin, die all ihre Kraft in das Spiel legen wird und ihr, so unser Gott ihr hold ist, siegreich sein wird.“
Ein leichtes Raunen lief durch den Saal und sogar Leonie bekam das mit.
„Die Freunde und Gönner verlassen jetzt das Spielfeld, ab diesem Zeitpunkt wachen wir, die Priester über die Regeln.“
Charly nickte kurz zu Leonie und zusammen mit mehreren anderen verließ er den Raum.

***

Einige Etagen oberhalb des Spielfeldes saßen Charly, zwei Frauen und drei Männer um einen riesigen Spielmonitor und schauten gebannt auf die Bilder, die sich vor ihren Augen abspielten.
„Charly, du glaubst wirklich, dass die Kleine schon für die große Runde bereit ist. Wenn wir hier unsere Einsätze verlieren, ziehen wir dich zur Rechenschaft.“
„James und John, na klar, ich hoffe für euch beiden, dass ihr auf Leonie gewettet habt. Wie ich dich kenne, werter Manfred, hast du auf die Verlierer gewettet. Ich bin gespannt, wie das alles ausgeht.“
„Es beginnt!“, sagte eine der edel gekleideten Frauen und sog an ihrer Menthol Zigarette.

***

Leonie saß gebannt auf dem Stuhl, der für sie unbequem und etwas zu klein war, aber sie konzentrierte sich auf das Spiel. Die Lichter wurden gelöscht und nur noch der Spieltisch war hell erleuchtet.
Jetzt kam das weiße Auswahllicht und lief um die Spielflächen herum, wurde schneller und schließlich wieder langsamer. Langsam und immer langsamer sprang der Lichtkegel weiter und blieb auf Rot stehen.
„Unser Gott hat Rot gewählt, wie früher in den Spielen, bei denen es um viel Leben ging. Möge das Spiel also beginnen.“
Die Frau in Rot drehte den Dolch und dieser rotierte unglaublich schnell, aber sehr gleichmäßig. Leonie schaute gebannt auf den Dolch, danach in die Augen der Spielerin. Sie lächelte, als ob sie genau wusste, wo der Dolch anhalten würde zu drehen.
Als der Dolch langsamer wurde, schaute Leonie wieder in die anderen Gesichter. Sie sah Gier, unbändigen Hass, Verlangen nach Reichtum und andere Eigenschaften, die nicht gut waren. Diese Spieler waren fast alles Verlierertypen, merkte Leonie und nur zwei Menschen schienen das Spiel wegen des Spiels anzugehen. Die Frau in Rot und ein Mann in Blau.
In Leonies Kopf machten sich die Farben breit, sie wusste ganz genau, dass in den ersten beiden Runden die Gewinner unwichtig waren, es gab noch zu viele Fische und daher war sie auch nicht verwundert, als der Dolch auf Weiß anhielt.
„Ha!“, rief der Mann mit den grünen Farben und er schien missgünstig auf Leonie zu schauen. Aber die kleine Leonie hatte längst ihren eigenen Spielfluss gefunden und war in Gedanken bereits drei Züge weiter.
Beim zweiten Lauf kam Grün dran und der Mann im Jägerzwirn verstummte. Anschließend wurde Blau gewählt und nach und nach wurden immer mehr Fische entfernt.
Oben vor dem großen Monitor fragte Manfred Hombacher, ob Leonie denn wisse, dass da Leute sterben würden und Charly beruhigte ihn.
„Oh ja, wir hatten ein sehr interessantes Gespräch. Zu ihrer Information, Leonie hat weniger Angst vor dem eigenen Tod, sondern davor ihrer Mutter nicht helfen zu können. Bitte berücksichtigen sie das bei ihrem weiteren Vorgehen.“
„Dazu muss die Kleine das Spiel erst einmal überstehen.“
Das wird sie! Schauen Sie, Leonie ist ganz bei der Sache, es scheint, als zählt sie mit.“
„Was will die denn mitzählen?“
„Die Umdrehungen und sie rechnet mit, passt auf, ich bin mir sicher, sie weiß, welche Farbe jetzt kommt.“
Es wurde Gelb gezogen. Einige Spieler schauten enttäuscht und ein Mann verärgert. Leonie aber lächelte, sie hatte diese Farbe kommen sehen.
Zwei Spieler hatten bereits keine Fische mehr, zwei weitere hatten noch je einen Fisch und die Frau vom Anfang und Leonie hatten noch jeweils zwei Fische, da blieb der Dolch bei dem ersten Spieler ohne einen Fisch stehen.
Der Priester stand bereits neben ihm und der Verlierer wählte den Priester als Vollstrecker aus. So ging der Spieler und der zweite Priester, der im Schatten gestanden war, begleitete den Verlierer hinaus.
Als Nächstes verlor Leonie ihren zweiten Fisch. Danach die Spielerin in Schwarz. Auch sie wählte den Priester und sie ging auch nach hinten durch die Stahltür.
Als nur noch drei Spieler im Rennen waren, die Frau in Rot, der Mann in Grün und Leonie, blieb der Dolch bei dem Mann in Grün stehen.
Entsetzt stieß er sich von dem Tisch ab und sah die kleine Leonie wütend an. „Du bist ein Drecksmädchen, du hast meine Spielserie unterbrochen. Du bist schuld an meinem Verlust, dich soll der Teufel holen und …“
Jedoch eher der Mann nach dem Spieldolch greifen konnte, war bereits der Priester aus dem Schatten neben ihm.
„Hör sofort auf, du verstößt gegen heilige Riten. Sofort runter mit dem Dolch!“
Da versuchte der Mann in Grün, den Umhang des Priesters zu fassen, jedoch der Priester huschte aus dem Umhang und stand mit blankem Oberkörper vor den Spielenden.
Die Frau in Rot, der Mann in Grün und sogar Leonie betrachteten den Priester. Seine ganze Haut schien voller Narben zu sein, weiße Ränder und Fetzen schienen sich auf der deformierten Haut abzuzeichnen, aber der Priester schien keine Schmerzen zu erleiden.
„Ich sagte dir, du sollst es lassen. Muss dir mein Gott erst zeigen, was in deiner Hölle für Qualen herrschen? Ich komme von dort und habe andere dorthin gebracht. Es war schrecklich, aber ich habe mir den Weg hierher auf die Erde freigekämpft. Letzte Warnung oder du wirst gerichtet!“
Der Mann in Grün stand langsam auf, betrachtete den verunstalteten Priester mit all seinen Narben am ganzen Körper und mit Abscheu und Ekel drehte er sich um zu den Ausgängen.
„Ich wähle mich selber, ich will von euch nichts wissen und lasse keinen von den Priestern an mich ran. Fahrt alle zur Hölle und verreckt dort!“ Damit ging er durch die Türe.
Der narbengesichtige Priester, legte seinen Umhang wieder an und lächelte zu den verbliebenen Spielern. „Entschuldigt bitte, jetzt kann das Spiel weitergehen.“
Die Frau in Rot und Leonie waren jetzt noch im Spiel und das freundliche Lächeln war aus dem Gesicht der Frau entwichen. „Freu dich nicht zu früh. Hat dir Charly nicht gesagt, dass du heute sterben wirst, wenn du verlierst?“
Leonie sagte kein Wort. Stattdessen schaute sie auf den Dolch. „Ich glaube, du bist dran mit dem Drehen!“
Die rote Frau drehte den Dolch und ließ Leonie keine Sekunde aus den Augen. Leonie aber achtete gar nicht auf den Dolch, sondern schaute in das Gesicht der Frau. Da waren plötzlich Hass und Angst zu lesen und Verachtung dazu. Diese Frau ihr gegenüber war gar nicht so nett, wie sie anfangs dachte, das war eine eiskalte Profispielerin.
„Du wirst heute verlieren und damit wirst du heute sterben kleine Lady in Weiß. Du bist heute die Verliererin.“
Der Dolch drehte jetzt deutlich langsamer und das Geräusch, das der Dolch machte, war ein etwas anderes, ein wenig nur, aber Leonie hörte den Unterschied..
Leonie schaute die rote Spielerin an und flüsterte ihr zu.
„Du hast den Dolch anders gedreht als vorher, er dreht nicht so oft wie sonst, du kannst daher die Drehungen nicht mehr zählen und weißt auch nicht, wo der Dolch enden wird.“
„Du aber auch nicht Herzchen, es steht also fifty-fifty!“ Zischte die Frau in Rot in das Gesicht von Leonie, das langsam anfing zu lächeln.
„Noch 12 Umdrehungen, Elf, zehn …“ Gebannt sahen die beiden auf den langsamer werdenden Dolch und als er bei null zum Halt kam, da stand er auf einem Feld in ROT!
Jetzt wandelte sich das Gesicht der Spielerin, sie spie ihre Verachtung zu Leonie und ehe sie auch nur etwas Dummes anstellen konnte, da hatte der Priester sie bereits in den Armen.
„Wähle, du kennst die Regeln, also wähle!“
Mit rollenden Augen, die alles Leid der Welt zu tragen schienen, forderte die Frau in Rot ihre Entscheidung. „Ich wähle selbst, wie ich hinübergehe, lass mich!“ Sie spuckte vor Leonie auf den Boden und ging durch die Stahltür.

***

„Leonie, Schatz, komm zu mir.“ Aus dem Schatten schälte sich Lady Doria und kam auf Leonie zu. Langsam wurde es wieder heller in dem Saal, die ersten Besucher verließen die Plätze und Lady Doria nahm Leonie in den Arm.
„Schatz du bist ja ganz nass und verschwitzt du musst nachher unbedingt gebadet werden, aber jetzt müssen wir zu Charly, er wartet bereits im Gang da hinten, wo alle vor uns hineingegangen sind.
„Wie war das für dich, Liebes, du hast Spielerklasse bewiesen.“
„Ich mag das nicht. Da sterben Menschen und ich weiß genau, wo der Dolch anhält.“
„Wenn das die anderen Spieler wüssten, dann wäre etwas los. Zählst du da etwas mit?“
„Nein, aber ich habe ein untrügliches Gefühl, genau zu wissen, wo der Dolch anhält, denn es sind ja drei Dolche. Jeder ist etwas anders.“
„Lass das niemals Charly hören, wenn er wüsste, was du herausgefunden hast, dann würde er dich noch heute…“
„Ah da seid ihr beiden Süßen ja!“ Charly war wie aus dem Schatten gestiegen, plötzlich hinter ihnen erschienen. Lady Doria verstummte auf der Stelle und Leonie schaut Charly an.
„Wo sind denn die Verlierer alle abgeblieben?“
„Die sehen wir uns jetzt an kleine Leonie. Vergiss niemals, nur deine Ausbildung verhindert, dass auch du einst so enden wirst.“
Auf einem Metalltisch lagen einige Männer mit seltsam hellen Gesichtern. Ihnen waren die Kehlen durchschnitten und sie tropften auf den Edelstahl. Einige Meter weiter hing der Mann, der einst jener in Grün war im Seil und seine Augen waren aufgerissen, das Gesicht sah seltsam verzerrt aus.
„Komm weiter, jetzt kommt die Vizesiegerin.“ Damit schauten sie in das Gesicht der Frau in Rot. In ihrem Gesicht stand die Angst. Die Hände auf dem Rücken gebunden zappelte sie in dem Seil und lief immer blauer an. Schließlich fielen ihre Augen halb zu und sie hörte langsam auf sich zu drehen.
„Na, hast du denn keine Angst, du wusstest doch nicht, ob du heute da irgendwo hängen würdest?“
„Charly, hättest du mich denn hier sterben lassen, wenn ich nicht gewusst hätte, wie ich zählen muss?“
„Wenn das nichts gewesen wäre, dann würde ich dich selber aufhängen, du bist am Ende halt doch ersetzbar!“
Leonie erschrak. Diese Worte taten ihr wirklich weh! In ihrer kleinen Seele zerbrach gerade das Bildnis von Charly, er war doch nicht der gute Freund, der Kumpel, wie sie die ganze Zeit geglaubt hatte. Er war ein brutaler Geschäftsmann und ein noch brutalerer Mörder.
„Ich will nur noch heim, mich duschen und ins Bett, darf ich das jetzt, es war lange heute?“
„Ja du wirst nach Hause gebracht. Danke und schlaf gut.“
Als sich die Türe geschlossen hatte, wollte Lady Doria gerade gehen, jedoch Charly hielt sie auf. „Eines noch Lady. Glaubst du wirklich, ich bekomme nicht mit, was meine Kleine für ein Geheimnis entdeckt hat?“
„Ich habe doch gar nichts…“ Doch da hatte Charly bereits ein Seil über ihren Hals geworfen und da das Seil aus der Decke kam, konnte Lady Doria nicht ausweichen. Ein schneller Ruck und gnadenlos zog Charly das Seil an. Langsam hob Lady Doria ab und hing jetzt frei.
„Nicht mit mir Mädchen!“ Brummelte Charly und seine Augen schienen rötlich zu leuchten. „Das Mädchen gehört mir, ich werde sie fördern und sie mir nehmen, wenn es so weit ist und wenn es mit ihr nicht gut läuft, dann hänge ich sie eigenhändig auf!“
Lady Dora quälte sich und versuchte zu husten, ihre schwachen Arme konnten aber ihren Körper nicht anheben und so hing sie da und starb langsam einen qualvollen Tod. Charly aber schaute in ihre Augen und wartete, bis das Leuchten darin erloschen war.
„Schade Lady, ich dachte wirklich, dass du gut an meine Seite passen könntest.“

***

Soulebda

Martha Schreiber-Ntala, eine gewiefte Geschäftsfrau mit einem Hang für gutes Essen, kam von ihrem Einkauf zurück. Am Tisch ihrer eleganten Wohnung saß ihr 17-jähriger Sohn Mathuv ‘Ntala an seinem Notebook und surfte im Netz.
Martha hatte das Geschäft ihres Mannes übernommen, als er bei einem Surfunfall vor zwei Jahren verstarb. Seither hatte sie die Firma geleitet und da sie die Chefprogrammiererin der kleinen Firma war, konnte sie den Betrieb weiterführen und sogar vergrößern.
Noch während Martha die Einkäufe im Kühlschrank verstaute, warf sie einen Blick auf den Bildschirm ihres Sohnes.
„Wo treibst du dich denn wieder herum, wolltest du nicht den Programmfehler suchen?“
„Mom, den habe ich doch schon in der ersten halben Stunde gefunden und gepatcht, jetzt hat mich Aylien zu einem komischen Video eingeladen. Ich habe keinen Schimmer, um was das da genau geht, aber es wirkt komisch.“
Martha schaute Mathuv über die Schulter und las im Browser den ersten Teil einer Internetadresse … 928cab78cb95ff6le87ca.onion
„Treibst du dich wieder im Darknet rum, du solltest doch den Blödsinn lassen.“
„Ach Mom, das ist doch nur eine einfache TOR-Adresse und das hat nun mit dem Darknet nicht wirklich was zu tun. Aber sag mal, erkennst du, was die da spielen?“
Jetzt nahm sich Martha etwas Zeit, schloss den Kühlschrank und schaute mit ihrem Sohn das Video. Martha sah, dass acht Menschen, Jungs und Mädchen um einen Tisch saßen und einen kleinen Dolch drehten, der auf einer Erhöhung langsam rotierte und schließlich zum Stillstand kam. Jeder Spielende hatte einen farbigen Schal am Arm. Der Dolch war bei der Farbe Grün zum Stillstand gekommen und eine hübsche Frau, mit grünem Schal schien zu schreien, sie wurde aber sofort von zwei kräftigen dunkelhäutigen Männern aus dem Bild gezogen.
Noch während man die Frau aus dem Bild zog, schwenkte die Kamera durch den Raum, an zwei Fenstern vorbei und fixierte schließlich den kleinen gekrümmten Dolch und eine Inschrift in unleserlichen Buchstaben wurde auf dem Display eingeblendet.
„Verflixt, ich glaube, das hat meine Bekannte gemeint, dieses Spiel, das die da spielen, da gehts um mehr als nur Flaschendrehen. Halt bitte mal das Video an, ich will mir das genauer ansehen.“
„Das ist ein spezieller Lifestream, das kann ich nicht anhalten, diese Funktion ist da gesperrt.“
Rasch hatte Martha ihr Smartphone zur Hand und hatte den Bildschirm abfotografiert.
„Hast du das schon einmal gesehen, oder wie kamst du da drauf?“
„Das war auf einem der Werbebanner und ich wollte die nur … Mom, du schaust gar nicht gut aus, gehts dir nicht gut?“
„Ich muss mir nur rasch einen Kaffee machen, mir fehlt mein Morgenkaffee.“
Doch Martha war aus dem Zimmer in ihr kleines Büro gelaufen und rief bereits eine Nummer an. Es klingelte und eine Frauenstimme sprach.
„Sicherheitsabteilung, wen wünschen sie zu sprechen?“
„Martha Schreiber-Ntala hier, ich möchte Corinna Malou sprechen, sagen sie ihr es geht um Kum’do!“
„Corinna Malou spricht gerade, wollen Sie solange warten?“
„Ja, ich bleibe dran.“

***

„Corinna hier, was ist Martha, du hast mich tagsüber noch nie angerufen.“
„Corinna, mein Sohn ist auf eine seltsame Internetseite gestoßen und hat mich hinzugezogen. Corinna, ich glaube, auf der Seite gehts es um Kum’do.“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich sah in dem Video einiges, das darauf hindeutet, der kleine Dolch, die acht Spielenden um den runden Tisch mit den Farben der Auserwählung. Dazu am Ende einige Schriftzeichen, da bin ich mir aber unsicher, was die bedeuten.“
„Aha, ich habe verstanden. Also Martha, kannst du mit dem Rechner und deinem Sohn zu mir kommen, ein Wagen kommt vorbei. Das sollte ich mir genauer ansehen.“
„Klar, wann soll ich kommen und, oh es klingelt.“
„Das müsste der Wagen sein, Zwei Damen in der Uniform der Palastgarde stimmt’s?“
„Mathuv, mach bitte mal die Tür auf, danke.“
„Mom, da sind zwei Mädels aus dem Palast, die wollen, dass wir mit ihnen gehen.“
„Danke Corinna, wir sehen uns in ein paar Minuten.“
„Äh wieso sind die so schnell bei mir, die hatten doch keine Zeit?“
„Meine Empfangsdame ist nicht nur eine Sekretärin, sie kann auch schnell denken und hat dies alles arrangiert.“
Schnell wurden das Notebook und ein paar Kleinigkeiten eingepackt und das Haus verschlossen, schon brauste der Wagen los in Richtung Palast.

***

Eine halbe Stunde später saßen Martha Schreiber-Ntala und ihr Sohn Mathuv ‘Ntala in einem hellen Raum. Ihnen gegenüber Corinna Malou und sie stellte gerade die anderen Anwesenden vor.
„Martha und Mathuv Ntala, aus dem Industriezentrum der Stadt. Das hier ist Seraph Ma’Gus, unser Geheimdienst Chef und hier Madame Ma’Difgtma, sie kennt sich in den Stammesangelegenheiten aus. Die beiden hier sind Niri’Tana Enatil und Ralf Hauer, unsere beiden IT Spezialisten. Bitte erzählt uns, was geschehen ist.“
Martha begann mit der Erklärung und Mathuv übernahm dann bei den Computerteil. Sie erzählten, was sie wussten und gesehen hatten.
Niri’Tana lächelte Mathuv an und deutete auf dessen Notebook. „Darf ich mir den einmal ansehen?“
„Gerne, ich muss ihn nur noch entsperren …“ Mathuv lächelte Niri’Tana an. Sie grinste Mathuv aber nur an „Das ist nur Windows.“
„Du machst Witze, das ist Windows 10, alle Sicherheitsupdates sind da drauf und der Rechner ist abgesichert, da kommst du nicht so einfach rein.“
Niri’Tana lächelte leicht. „Ich bin schon drinnen. Dann lass uns mal sehen, was wir da haben.“
Mathuv hatte noch nie eine junge Frau so sicher und schnell mit einem fremden Notebook hantieren sehen wie diese Niri’Tana. Es dauerte keine fünf Minuten, da erschien an dem großen Bildschirm an der Wand das Browserbild mit der Videosequenz von der Martha und Mathuv gesprochen hatten.
Währenddessen hatte Ralf Hauer an seinem Notebook bereits gearbeitet und nickte Niri’Tana zu. „Du kannst starten, Schatz.“
Mathuv sah kurz zu Ralf, dann in das leuchtende Gesicht von Niri’Tana, die ihn kurz anlächelte.
„Oh ihr seid zusammen?“
„Ja wir sind verlobt. OK wir können!“
Das Licht wurde gedimmt und erneut liefen die Szenen ab.
Acht junge Menschen, Jungs und Mädchen, Alle unter 30 Jahren, saßen um einen runden, geschnitzten Spieltisch. Der Tisch hatte acht Bereiche, die farbig unterteilt waren und jeder spielende trug ein farbiges Tuch, das zu der Farbe am Tisch passte.
In der Mitte des Spieltisches befand sich etwas, das an einen kleinen Berg erinnerte und auf dessen Spitze drehte sich ein kleiner, gekrümmter Dolch langsam um seine Mitte.
Als die Frau mit dem grünen Schal aus dem Bild gezogen wurde, da verlangsamte sich das Bild, und die Kamera schwenkte durch den Raum. An einem Fenster angekommen stoppte das Bild und wurde langsam schärfer. Schließlich erkannten die Anwesenden im Hintergrund eine dichtbewaldete Umgebung und einen mächtigen, rauchenden Vulkan. Das Bild lief wieder an und schwenkte weiter an einem weiteren Fenster vorbei, um erneut zu verlangsamen und schließlich zu stoppen.
Auch da baute sich das Bild langsam wieder auf und wurde schärfer, bis man ein klares Umgebungsbild hatte, ein weiterer Berg, zweifelsohne auch vulkanisch, war zu sehen und die beiden Vulkane waren nicht sehr weit auseinander. Einige Hütten kamen ins Bild, als die Kamera weiter schwenkte. Schließlich erschienen die Schriftsymbole und wieder stoppte das Bild.
„Das ist altes Soulebdahea, wie es früher gesprochen wurde, aber die Worte ergeben so keinen Sinn.“, sagte Madame Ma’Difgtma.
„Das muss doch einen Sinn ergeben, sonst würde doch keiner etwas solches schreiben.“
„Alt Soulebdahea können hier nur noch sehr wenige, aber einige der Symbole erkennen noch viele unserer Leute. Das da aber ist zusammengewürfelt und bedeutet, wenn man es richtig liest: Opfer Tag unserer Wolkenschau für den Vollmond am Holz.“
„Das gibt tatsächlich keinen Sinn.“, erkannte Seraph.
Ma’Difgtma schaute in die Runde und grinste die Anwesenden an. „Ich nehme an, die haben versucht, etwas zu schreiben und dann gingen ihnen die Worte aus. Vermutlich sollte das Folgendes heißen: Bei Vollmond Opferung der Spieler!
Die haben Wolkenschau statt Spieler genommen und Opfer Tag und Opferung durcheinandergebracht.“
Seraph Ma’Gus schaute Ma’Difgtma an und nickte ihr zu. „Das klingt plausibel, interessanter finde ich aber die beiden Fenster Ausschnitte mit den Vulkanen. Könnt ihr berechnen, wo das aufgenommen wurde?“
Ralf Hauer lächelte vor sich hin und Niri’Tana nickte kurz, dann schaute sie die Anwesenden an. „Ralf hat schon einiges herausgefunden, den Rest bekommen wir mit etwas Mathe schon hin. Ralf, was kannst du sagen?“
„OK wir wissen anhand der Armbanduhr des Herren am Anfang, dass das um 15:20 aufgenommen wurde. Die beiden Vulkane sind eindeutig unsere Vulkane hier auf Soulebda und der erste Vulkan ist zweifellos Aining u’Alara, der dahinter zweifellos Beenec u’Alara. Die Form des Vulkans und die Nähe zum zweiten lassen keinen anderen Schluss zu, selbst die beiden Vulkane in Chile fallen weg, weil die höher liegen und hier kann man ja das Meer sehen.
Anhand der Sonnenstände kann man das Datum auf den Monat festmachen, es war der Mai im letzten Jahr. Grund ist die fehlende Antenne da auf dem Hang, die wurde erst danach errichtet. Ich kann sogar den Ort nennen, das war Ninih’lehah, der kleine Ort südlich des Airfield. Das kann ich aus einigen Punkten berechnen, einmal diese Palme, die wächst nur dort, denn die braucht das Wasser der nahen Quelle, und die sorgt für diese spezielle Verfärbung.
Dann die Schatten der Hügel und der letzten Häuser und noch der Blick auf das Meer, da liegt die Mura Tau, das Schiff von Olaf Jargusson. Das Schiff lag nur am 14. Mai hier, es fuhr danach Richtung Hawaii und wurde dort schließlich verkauft. Hier oben an der Nordseite kann man den Rest der großen Landebahn sehen, dort wurde ab Juni die Beleuchtung erneuert, hier ist es noch die alte Beleuchtung.
Aus all dem kann ich nicht nur die Straße, sondern auch das Haus herausrechnen. Damit zeigte Ralf Hauer auf ein größeres Haus in einem kleinen Ort, südlich des alten Airfield. „Das hier ist das Haus, aus dem die Aufnahmen stammen – und zwar aus dem ersten Stock.“

***

Mainstadt / Souelbda / Tel Aviv
„Wir haben leider die Daten, die Randy und Finja aus dem Krankenhaus und der Visite besorgen konnten, noch nicht vollständig auswerten können, aber eine Beteiligung von Holp’Singh zeichnet sich immer weiter ab. Ich schieße jetzt mal ins Blaue. Wer immer hinter den Spielen steht, sie werden langsam nervös. Wahrscheinlich wissen sie, dass jemand hinter ihnen her ist, der sich nicht an die üblichen Regeln hält und haben sich einen weiteren „Troublemaker“ besorgt.“ Berichtete Lem. „Wie Frank vermutet hatte, haben sich die Bösen einen Plan B zurechtgelegt. Pech für sie, dass wir diese Möglichkeit schon in Betracht gezogen hatten. Pech für uns, dass Caroline eine so gute Schützin ist, ein paar Überlebende mehr wären nicht schlecht gewesen.
Momentan beurteile ich die Lage folgendermaßen:
Wir haben es mit zwei Gruppen von Gegnern zu tun. Einerseits die Singhs, die ich als die größere Gefahr sehe. Die Singhs sind gut vernetzt und haben jede Menge Manpower. Wahrscheinlich hat unsere Gegenwehr sie überrascht und sie hatten nicht ernsthaft mit Problemen gerechnet. Diesen Fehler werden sie kein weiteres Mal machen und bei ihrem nächsten Einsatz gegen uns, werden wir auf der Hut sein müssen.
Ich schlage daher vor die Singhs ins Visier zu nehmen.“

„Das ist eine gute Idee.“ Nickte Dagan zustimmend. „Allerdings operieren die Singhs aus dem Indisch-Chinesischen Grenzgebiet heraus, was uns das Beobachten erschwert. Ich werde Mike und Dave einweisen und zur Verfügung stellen.“
„Vielleicht wäre es besser wenn dieser Überlebende der Singh Familie sagen wir mal „offiziell“ verstirbt.“ Warf Mohrle ein. „Wenn die Hintermänner denken es gäbe keine Überlebenden, fühlen sie sich vielleicht etwas zu sicher und begehen einen Fehler. Außerdem könnten wir den Mann dann etwas besser in die Mangel nehmen.“
„Die Idee ist gut.“ Nickte Dagan anerkennend. „Frank, kannst du das erledigen?“
„Aber sicher. Winter soll dafür sorgen, dass er auf die Krankenstation der JVA verlegt wird und auf dem Weg dorthin…“
„Gut.“ Stimmte Lem zu. „Die zweite Gefahr sehe ich in diesem privaten Sicherheitsdienst, den Heinz durchleuchtet hat.“
Mohrle nickte, räusperte sich und berichtete, was er und sein „Freiwilligentruppe“ herausgefunden hatten. „Ferdinand Glöckner. Das ist unser Mann, den wir nun knacken müssen. Alle sieben Männer, die Franks Team in Dresden geschnappt hat, arbeiten für Glöckner.“
Die anderen Teilnehmer riefen die bereitgestellten Dossiers auf ihren Bildschirmen auf und sahen auf ein vierschrötiges Gesicht.
„Was wissen wir über Glöckner?“ fragte Frank.
„Glöckner ist Jahrgang 74, Einzelkind, und schon als Kind auffällig gewalttätig und jähzornig. Es gab immer wieder Ärger, aber er hat dennoch geschafft einen halbwegs guten Schulabschluss hinzubekommen. Nach der Schule wollte er Politikwissenschaften studieren, aber das hat er schon nach einem Semester hingeworfen. Anschließend hat er es mit BWL probiert und kam bis kurz vor den Abschluss, aber dann kam ihm sein Jähzorn wieder in die Quere.

Einer seiner Dozenten hat ihm wohl nicht die Note gegeben, die er sich erwünscht hatte und dafür hat er ihn niedergeschlagen. Die Folge war, dass er ohne Abschluss von der Uni flog.
Als nächstes trat er in die Bundeswehr ein und verpflichtete sich für zunächst vier Jahre. Nach Ablauf der vier Jahre, hatte die Bundeswehr kein Interesse die Zeit zu verlängern, was wohl für sich spricht.
Im Anschluss versuchte es Glöckner bei der Fremdenlegion, doch sogar die warf ihn nach zwei Monaten Probezeit wieder raus. Es folgten dann noch mehrere private „Sicherheitsfirmen“ doch alle wollten ihn schnell wieder loswerden.“
„Die Legion hat ihn rausgeschmissen?“ fragte Decker nach, „Was stimmt mit dem Kerl nicht?“
„Glöckner ist ein Getriebener, der durch sein Scheitern in früheren Jahren völlig von Ehrgeiz zerfressen ist. Er will die Nummer eins sein, er will der Boss sein und alle sollen nach seiner Pfeife tanzen und wenn das nicht klappt, kommt sein Jähzorn zum Vorschein.
Für so etwas ist in keiner Armee Platz.“
„Glöckner…“ dachte Frank laut nach, „den Namen habe ich schon einmal gehört…“
„Nachdem er bei seinem letzten Arbeitgeber herausgeflogen ist, hat er beschlossen, seine eigene Armee aufzubauen, da er das, nach seinem Glauben, sowieso am besten kann. Glöckner betreibt in der Nähe von Mainstadt eine Personenschutzschule und einen privaten Wachdienst, die GSG, Global-Security-Glöckner. Der Name soll wohl eine Nähe zur GSG 9 symbolisieren, obwohl das absoluter Humbug ist. Wir denken, sein langfristiges Ziel ist es, Fuß in der Welt der Söldner zu fassen, sich dort einen Namen zu machen und dann in dieser Brache einzusteigen.“
„GSG, ja, das hab ich auch schon gehört“, teilte Decker den anderen mit, „Lastrich, einer meiner Beamten der im Freigänger Haus arbeitet, hat einmal erwähnt, dass ihn das Arbeitsamt an diese Schule vermittelte. Nach sieben Monaten kam er dann zu uns. Lastrich meinte, so einen Sauhaufen wie diese Schule hätte er noch nie gesehen.“
„Die Männer, welche wir in Dresden kassiert haben, arbeiten jedenfalls alle für die GSG.“ Teilte Mohrle mit. „Ihr Vorgehen und ihre… nennen wir es einmal Ausbildung… lassen jedenfalls vermuten, dass sie allenfalls Gehilfen sind, die aber keine näheren Kenntnisse von Leonies Verbleib haben. Einer von den Typen, berief sich sogar auf die Genfer Konvention.“
An dieser Stelle konnte sich Mohrle ein Lachen nicht mehr verkneifen. „Dafür hat ein anderer, er heißt Gram, umfassend ausgepackt. Ich glaube, er hat bemerkt, dass es um etwas Größeres geht und hat keine Lust, die nächsten Jahre im Knast zu verschwinden, für etwas, dass sein Chef verbockt hat.“
„Wo sind die sieben jetzt?“
„Gram ist bei unseren Freunden in Mainstadt, die anderen sechs auf dem Weg in die Negev“, antwortete Lem, „dort halten wir ein paar… Zimmer bereit, für den Fall, dass wir noch ein paar Fragen haben, oder sollte das schlimmste eintreten…“
„Was wir nicht hoffen!“ unterbrach ihn Mohrle. „Was wir noch brauchen, ist eine klare Verbindung der Singh Familie zu den Hintermännern. Ich denke, da können wir Glöckner als Hebel benutzen, denn er wird kaum eine Konkurrenz dulden.“
„Der Ansatz ist gut.“ Stimmte Lem Mohrle zu und wandte sich dann an seinen ehemaligen Chef. „Dagan, was gibt’s Neues von Soulebda und den schwarzen Orden? Weiß man schon etwas über die Explosion auf Kal’ilih?“
„Nun, zumindest wissen wir, was die Explosion NICHT ausgelöst hat…“ berichtete Dagan, „es war keine, auf welche Art auch immer, von Menschen herbeigeführte Explosion. Die Experten gehen von einer einzelnen vulkanischen Eruption aus, die Priester glauben es sei Mualebda selbst gewesen und Ma’Gus favorisiert die Möglichkeit, dass die schwarzen Priester etwas zusammengebraut haben, was ihnen um die Ohren flog, aber etwas, auf das die Sprengstoffdetektoren nicht ansprechen. Wenn ihr mich fragt, dann war es eine Mischung aus allem.
Aber wir haben auch Erfolge! Hauer konnte mit Hilfe von Ma’Difgtmas Tochter, Same’Lahe, herausfinden, dass der schwarze Orden detaillierte Anweisungen zu bestimmten Touristen bekam, um diese dazu zu bringen, sich eine dieser Opferketten zu kaufen.“
„Wie hat Hauer das denn angestellt? Hat er etwa mit Ma’Gus geredet, oder die WHO gehackt?“
„Nein, das brauchte er nicht.“ Grinste Dagan, „Ganz einfach, diese Ketten werden auf Soulebda hergestellt, da es nur hier die Muscheln gibt, aus denen die Kette besteht. Die Muscheln in Länder zu exportieren, welche die Kette billiger herstellen und die fertigen Ketten zurück nach Soulebda zu bringen, wäre nicht gewinnbringend, also werden sie hier vor Ort hergestellt. Natürlich gibt es billige Plastikkopien, doch die gefundenen Opferketten waren alle echt. Nun hat es sich als Glücksfall herausgestellt, dass Same’Lahe als einzige diese Ketten in Lizenz herstellen lässt. So konnte Hauer den gesamten Weg der Ketten zurückverfolgen, von der Herstellung, bis zum Verkauf. Und siehe da, nach einigen Strohkäufen und Hintermännern gab es neben Same’Lahe nur einen einzigen „Großabnehmer“… der schwarze Orden!
Die wiederum haben die Ketten dann an die Touristen verkauft, welche im Anschluss verschwanden. Viktor tourt gerade durch Europa und untersucht, wann die Entführten verschwanden. Bis jetzt steht fest, dass alle Opfer etwa eine Woche nach ihrer Rückkehr entführt wurden. Das heißt, die Entführer wussten genau, wann die Leute zurückkamen und sie wussten, dass sie eine Kette besaßen. Unser Ermittlerteam hier untersucht nun, wie der schwarze Orden an die Daten der Passagiere kam. Außerdem konnten Hauer und Ma‘Gus den Ort des ersten Darknetvideos bestimmen.
Eine Villa auf Soulebda, dessen Eigentümer jemand ist, der sich als Mitglied des schwarzen Priesterordens herausgestellt hat. Leider ist die Aufnahme ist über ein Jahr alt und das Gebäude hat einen neuen Besitzer.“ Dagan begann zu grinsen und fuhr fort, „Aber… der neue Besitzer, Hatur’Kalin, ist Ma’gus kein Unbekannter. Der Mann ist schon öfter in der Glückspielszene in Erscheinung getreten, wenn ich also als Europäer Kontakte zur Spielemafia bräuchte, dann wäre Hatur’Kalin mein Mann. Unsere Polizei, mit Unterstützung von Marion Perlacher, beobachtet das Haus seit gestern.“
„Warte mal!“ unterbrach ihn Frank. „Was meinst du mit dem ERSTEN Videos?!“
„Seit gestern gibt es ein weiteres Video.“ Antwortete Dagan. „Hauer hat seinen Computer das Darknet durchsuchen lassen und ist auf ein weiteres Video gestoßen. Das erste Video wurde offensichtlich von Amateuren aufgenommen um den Bekanntheitsgrad des Spieles zu erhöhen. Damit will ich sagen, die Macher des Videos wussten, dass eine Kamera mitläuft, was bei dem neuen Video nicht der Fall ist. Die Aufnahme zeigt eine heimlich aufgenommene Spielrunde und die Qualität ist ungleich besser. Ich lasse das Video einmal ablaufen.“

Damit verschwand Dagan und es erschien ein Bild welches zu einem einen Kum’do Spieltisch von oben zeigte und gleichzeitig ein Bild, das direkt am Tisch aufgenommen wurde.
„Wer ist denn das?“ wollte Decker wissen, als sich eine maskierte Frau vor die Kamera stellte.
„Eine Kommentatorin, die das Spiel wohl für die Zuschauer kommentiert. Mehr wissen wir auch noch nicht.“
Schweigend verfolgten Frank, Lem und die anderen dem Spielverlauf, bis das Video endete. „Wie ihr seht“, sagte Dagan im Anschluss, „das hat eine ganz neue Qualität. Die Typen welche das Video auf Soulebda drehten waren Amateure, das neue Video aber zeigt Profis im Hintergrund. Hauer nimmt das Video Bild für Bild auseinander und ich schicke euch Kopien. Vielleicht könnt ihr einen Hinweis auf Ort oder Beteiligte finden. Doch bis dahin müssen wir auf gute alte Polizeimethoden zurückgreifen. Was ist mit Dressler? Arbeitet er mit Winter zusammen?“
„Dressler ist in einem Safe House bei Kesselsdorf.“ Teilte Levi ihm mit, „Da Winter und Kämpfer sicher überwacht werden, müssen wir sehr vorsichtig sein, wenn wir Dressler und Winter zusammenbringen wollen. Einstweilen passt Ariel und sein Team auf Dressler und seine Freundin auf.“
„Arbeitet er denn wenigstens mit?“
„Dressler selbst wollte sich zu Beginn etwas zieren, doch diese Silka hat ihn dazu gebracht Farbe zu bekennen. Allerdings, allzu viel weiß Dressler nicht. Langler zum Beispiel, hatte eine Schwäche für Luxusschuhe, Dressler bekam das von den Hintermännern mitgeteilt und dazu einen Haufen Geld, um Heidemarie dazu zu bringen, in eine Runde einzusteigen, in der Poker gespielt wurde. Durch fingierte Runden, die Langler vormachten, sie gewinne, wurde sie so zu zum Spielen animiert. Sie gewann, konnte sich ihre teuren Schuhe kaufen und spielte weiter. Schließlich sollte sie in eine große, alles gewinnbringende Runde eingeführt werden. Diese Masche hat Dressler, vor Heidemarie Langler noch vier weitere Male abgezogen und alle Spielerinnen verschwanden. Dressler gibt zu, dass er daran beteiligt war, streitet aber vehement ab, gewusst zu haben, was mit den Spielern geschieht. Erst als er einen Bekannten traf, der ebenfalls Spieler rekrutierte, sei er darauf aufmerksam geworden und hätte versucht Heidemarie zu retten.“
„Glaubst du ihm?“
„Ja, im Großen und Ganzen schon. Dressler ist ziemlich einfach gestrickt, für so eine Aktion wie Entführung ist er einfach zu unbedarft. Vermutlich hat ihn auch gerade darum ausgewählt, er war tatsächlich blöd genug zu glauben, er mache mit dem heranführen der Spieler richtig Kohle, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Dressler tat, was ihm sagte und fragte nicht nach, ein perfekter Mann für die unterste Ebene. Ohne diese Begegnung mit dem Bekannten, wäre Dressler nie auf die Idee gekommen, das alles zu hinterfragen.
„Aber er hat es doch getan.“ Stellte Levi fest.
„Ja, Dressler hat wohl tief in sich verborgen doch so etwas wie Anstand… und er hat einen Schwachpunkt. Dressler hat panische Angst davor, als Helfer einer Bande Kindermörder im Knast zu landen und dort entweder den Rest seines Lebens in einer Einzelzelle zu sitzen, oder bei der nächsten Gelegenheit über die Klinge zu springen. Und diese Angst hat er nicht ganz zu Unrecht, wie wir alle wissen.“
Alle Augen wanden sich Frank zu, der mit der Schulter zuckte. „Was soll ich dazu sagen, entgegen meinem eigenen Gerechtigkeitssinn, unternehmen meine Beamten und ich alles, um auch solche Mistkerle zu schützen. Wir leben nicht im Wilden Westen und Selbstjustiz, auch innerhalb des Knastes, ist nicht akzeptabel. Sogar Peter hält sich, was den Umgang mit diesen Gefangenen angeht, pedantisch an die Vorschriften und das will etwas heißen. Aber… ja, Kindermörder sind Freiwild, die im Knast keine Gnade zu erwarten haben, besonders nicht von den echten “schweren Jungs“, die ihren Ruf und ihre Stellung an der Spitze der Knasthierarchie sicherstellen wollen.“
„Wie müssen wir diese Silka Vence einordnen?“ fragte Dagan.
„Silka ist wohl die einigte Person, zu der Dressler genug Vertrauen hatte um sie um Hilfe zu bitten. Vence hat eine Zeit als Prostituierte für Dressler gearbeitet, ist dann aber aus der Szene ausgestiegen. Sie berichtete uns, dass diejenigen, welche Dressler vor seiner Wohnung aufgelauert haben, ihre Freundin Tallia Hollker umgebracht hätten. Das war wohl der Ausschlag für Silka, Dressler dazu zu bringen sich bei Winter zu melden.“
„Ich habe sie mal gescheckt.“ Teilte Lem den anderen mit, „Silka Vence ist ein unbeschriebenes Blatt, nicht ein einziges Mal ist sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Sie arbeitet jeden Tag zwölf Stunden und mehr, um über die Runden zu kommen, ohne auf das Jobcenter angewiesen zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass sie sauber ist.“
„Wer ist dieser alte Bekannte von Dressler, der ihn dazu gebracht hat, Langer zu retten?“
„Dressler kennt nur seinen „Künstlernamen“, der Mann ist unter dem Namen, „der schöne Horst“ bekannt.“ Antwortete Mohrle. „Meine Männer schwärmen schon aus und auch die Kollegen aus Israel sehen sich nach diesem schönen Horst um.“
„Gut.“ Meinte Dagan, „wir sollten uns die Arbeit teilen, Heinz kümmert sich um Dressler und Silka, Ben du leitest die Suche nach diesem Horst, Lem lässt die Singh Familie durchleuchten und Frank schaut sich diesen Glöckner an. Sind damit alle einverstanden?“
Es waren alle mit dieser Arbeitsteilung einverstanden und die Schlinge um die Bösen zog sich langsam zusammen …
„Was tut Winter?“ fragte Frank, „Wir könnten es nutzen, dass man sie abhört. Eine gut platzierte Info, könnte die Mistkerle dazu bringen, aus der Deckung zu kommen. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass die Spur nicht zu Silka oder Dressler führt.“
Mohrle ließ ein breites Grinsen sehen, als er antwortete, „Winter ist sogar schon ein Schritt weiter. Schaut morgen früh mal in die Nachrichten, Winter wird morgen ganz Dresden in Aufruhr versetzen.“

***

Städtisches Klinikum Dresden.

Holp’Singh wurde schon am nächsten Tag von einem Ärzteteam begutachtet und es wurde festgestellt, dass der Patient transportfähig sei. Nach den üblichen Papierkram wurde Holp’Singh in Begleitung zweier Beamten der JVA und zweier Rettungsassistentinnen in einen KTW gebracht.
Schweigen fuhren die Insassen von Dresden in Richtung A4, bis sie diese erreicht hatten. „Und jetzt?“ fragte Decker.
Fabienne öffnete eine kleine Klappe an ihrem Notfallkoffer und holte eine Spritze hervor, hielt sie allerdings so, dass Holp’Singh sie nicht sehen konnte. „Eine unerwartetes zusammenbrechen des Kreislaufes auf Grund Herzversagens… das EKG muss wasserdicht sein, deswegen wird ein wenig haarig. Das Mittel lähmt kurzfristig den Herzmuskel, wir warten, bis das EKG eine Nulllinie anzeigt, dann holen wir ihn zurück.“
„Kannst da das?“ wollte Decker von ihr wissen.
„HHMM“, Fabienne zuckte mit der Schulter, „ich werde es gleich wissen.“
Holp’Singh der nur die Hälfte verstand sah nur das teuflische Grinsen der anderen und wollte sich zur Wehr setzen, als die „Rettungsassistentin“ die Spritze hob, doch Decker gab Hannes einen Wink und dieser nagelte Holp’Singh unerbittlich auf der Trage fest, während Finja seinen Arm freimachte.
„So Mr. ich bringe Leute um, jetzt siehst du mal, wie das ist, wenn das eigene Licht ausgeht.“ Damit stach sie mit der Spritze zu und drückte den Kolben nach unten…

Dresden

Zwei ziemlich gelangweilte Polizisten durchsuchten die Hinterhöfe in Dresslers Straße. In diesem Hof und in allen anderen Hinterhöfen der Straße schwärmten Polizisten aus und sahen sich um. In der ganzen Straße standen Mannschaftstransporter und Einsatzfahrzeuge von Hundertschaften während der Einsatzleiter die Suche Koordinierte.
„Was genau suchen wir hier?“ wollte einer der Polizisten von seinem Kollegen wissen, die sich gerade in einem der Hinterhöfe umsahen.
„Angeblich hat es hier eine Tote bei einer Schießerei gegeben.“
„Schießerei?“ der Beamte sah sich spöttisch um und zeigte auf die vielen Balkone, von denen eine Menge Bewohner auf sie herunterblickten. „Das hätte ja wohl irgendeiner mitbekommen, oder?“
„Ich weiß“, brummte sein Kollege, „das hier ist reine Zeitverschw…“ er brach ab und starrte auf einen Stromverteilerkasten, welcher an der Mauer zum nächsten Hof angebracht war… Er trat näher und schaute sich ein kleines charakteristisch rundes Loch an, welches in der oberen linken Ecke durch das Blech gestanzt war. Irgendjemand hatte einen Kaugummi über das Loch geklebt, doch der war getrocknet und hatte sich soweit gelöst, dass die Hälfte des Loches sichtbar wurde. „Sag mal, siehst du auch, was ich sehe?“

***

„Es gab eindeutig zwei Schützen!“ teilte KOK Gerhard seinem Chef KHK Kleser mit. Nur eine Stunde nach der Entdeckung des Beamten wimmelte der gesamte Innenhof von Polizei und Experten der Spurensicherung. Diese hatten eine ganze Batterie Laser aufgebaut und konnten so den Standort der Schützen, auf den mm genau bestimmen. Nachdem dem Beamten das Einschussloch im Stromverteilerkasten aufgefallen war, fand man immer mehr Spuren. Einige Spuren, wie Kratzer, welche eine Kugeln auf Beton, Metall oder Putz hinterließen, hatte man versucht, unsichtbar zu machen, doch wussten die Spurenexperten erst einmal, wonach sie suchen mussten und erkannte man eine grobe Richtung, in der der Schütze geschossen hatte, gab es kein Halten mehr und man fand immer mehr Spuren.

Metalldetektoren durchkämmten sämtliche Ritzen des Hinterhofes und die Tatortermittler fanden tatsächlich mehrere Kugeln. Die Ballistik Experten sahen sich die Kratzspuren der Kugeln auf dem Beton an und konnten die Richtung und den Aufschlagwinkel bestimmen. Schon kurze Zeit später war klar, dass mindestens zwei verschiedene Schützen eine Menge Kugeln abgefeuert hatten.
„Hier!“ rief einer der Spurenexperten hielt ein Wattestäbchen hoch, dessen Ende sich Pink färbte, dann zeigte er auf einen großen Bereich. „Jede Wette, wenn wir das Luminol auspacken, leuchtet hier alles!“
„Die müssen mit Schalldämpfern geschossen haben.“ Stellte Kleser fest, denn mittlerweile war auf so ziemlich jedem Balkon mindestens ein Zuschauer. „Und es muss in der Nacht passiert sein.“
„Chef!“ rief einer von Klesers Männern. „Ich habe mit dem Stromanbieter geredet dem der Kasten gehört. „Am 12, also vor vier Tagen, hat ein Wartungsteam an diesem Kasten gearbeitet, das war um 18 Uhr. Der Chef meint, wäre da ein Einschussloch gewesen, hätten die Techniker das bestimmt entdeckt und gemeldet.“
„Ok… Gerhard, wir haben jetzt ein Zeitfenster! Ich will, dass alle Personen die seit vier Tagen als vermisst gelten, erfasst werden!“

***

„Tallia Hollker!“ nur acht Stunden nachdem Kleser anfing zu suchen, präsentierte im Gerhard einen Namen.
„Wie seid ihr so schnell fündig geworden?“ Wollte Kleser wissen.
„Edi, ein Türsteher der Rotlichtszene hat einen Kollegen aus einem anderen Dezernat angerufen, er macht sich Sorgen um eine der Frauen, die in seinem Club arbeitet und gab an, dass Tallia Hollker vor genau vier Tagen verschwand, nachdem er gesehen hatte, wie sie mit einem, der kleineren Zuhältern mitgegangen ist. Edi der Türsteher wusste, dass Hollker aktive MKS Spenderin ist und ein Schnelltest mit einer ihrer Typenbestimmung und der am Tatort gefundenen DNA stimmt überein. Natürlich müssen wir das genaue Ergebnis abwarten, aber der Gerichtsmediziner ist sich ziemlich sicher, dass es sich um das Blut von Hollker handelt… und Chef, wir haben ein Scheiß großes Problem!“
„Was?!“
„Der Zuhälter den Edi gesehen hat, ist Bernd, der Bohne, Dressler!“
„Dressler… da klingelt was… helfen sie mir mal nach.“
„Mainstadt! Das verschwundene Kind!“
„OH SCHEISSE!“ fluchte Kleser. „Gerhard, kontaktieren sie sofort die Kollegen in Mainstadt, ich will, dass alle Ergebnisse, Hinweise und Mitteilungen mit Mainstadt geteilt werden, egal wie unwichtig sie auch scheinen. Wir geben ihnen alles, was wir haben und die sollen uns alles geben! Wer führt dort die Ermittlungen?“
„Karin Winter.“
„Winter… Chemnitz Winter?!“
„Genau die Winter.“
„Das ist gut! Die richtige Frau am richtigen Platz! Ich will, dass alle verfügbaren Kräfte an unseren Fall herangezogen werden und sagen sie dem Chef ich scheiß auf seine Warnung, was die Überstunden angeht! Ach was, dass sag ich ihm selber.“ Kleser straffte sich und griff nach dem Telefon.

***

Mainstadt / zum Kreuzritter

Die Bilder des Einsatzes in Dresden liefen über alle Kanäle…
„Wie kann es ein, dass mitten in Dresden, ein solch schreckliches Verbrechen geschehen kann?!“ das war die Frage, über die heftig diskutiert wurde. Handyvideos, welche von den Balkonen gemacht wurde, zeigten den Einsatz der Spurensicherung sowie der Polizei und eine im schicken Kostüm gekleidete Sprecherin der Polizei teilte mit, dass man erste Hinweise hatte, denen man nachgehe, dazu gehörten auch zwei schwarze Vans, welche zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Verbrechens in der Nähe mehreren Anliegern aufgefallen waren.
Mit steinerner Miene schaltete Gernfried den Fernseher aus und drehte sich zu Hombacher und Kitzinger um. „Glöckner wird immer mehr zu einer Belastung. Sein stümperhaftes Vorgehen in Dresden wird zum Bumerang und Dressler ist immer noch frei!“ Wie Recht er damit hatte, wusste Gernfried und die anderen Vorstände noch gar nicht, denn Glöckner hatte bei seinem Bericht über das Fiasko mit Dressler in Dresden wohlweislich die Tatsache verschwiegen, dass sieben seiner Leute verschwunden waren und niemand wusste, wo sie abgeblieben sind. „Wäre es möglich, ihn zu ersetzen?“
„Diese Maßnahme würde ein großes Risiko in sich bergen…Sicher wir könnten uns einen kompetenteren Sicherheitsexperten suchen und wahrscheinlich würden wir auch einen finden, doch Leonie steht vor ihrem ersten Spiel, das wir groß angekündigt haben, wenn wir den Termin verschieben, springen die meisten Wettteilnehmer ab und ich befürchte, diesen Verlust können wir nicht mehr gut machen.“
„Wir müssen Glöckner unter Beobachtung stellen.“ Stellte Kitzinger fest, „sollte der zum ernsten Problem werden, müssen wir ihn zum Schweigen bringen.“ Er wandte sich an Gerfried und bemerkte bissig, „Diese Singhs sollen sich darum kümmern, wenn wir ihnen grünes Licht geben, vielleicht bekommen sie ja wenigstens DAS hin, wenn sie es schon nicht schaffen einen kleinen Zuhälter umzulegen.“
„Was den Fehlschlag der Singhs angeht, habe ich bereits dem Familienoberhaupt unsere Unzufriedenheit mitgeteilt.“
„Unsere Unzufriedenheit?!“ donnerte Hombacher. „Das Ganze war ein totaler Fehlschlag!“
„Sehen wir es so…“ antwortete Gernfried, „der einzige Überlebende ist auch dahingeschieden. Da nun alle tot sind, sind sie keine Gefahr mehr für uns…“

***

Mainstadt / JVA

Breit grinsend standen Johann, Hannes und Gratzweiler auf dem Parkplatz der JVA und gemeinsam nahmen sie Blücher unter die Lupe. Den Sprung über den Transporter hatte unser Auto erstaunlich gut weggesteckt, doch der Rammversuch, der uns auf den Transporter schieben sollte, hatte eine deutliche Spur hinterlassen. „Vier verdammte Tage!“ fluchte Gratzweiler leise. „Diese Barbaren, wie kann man einem neuen Auto nur so etwas Grausames antun?!“ Voller Mitleid fuhr seine Hand über die Beule am Heck des Autos.
„Ok, ich hab verloren! Die Party steigt am Samstag, bei uns im Schützenhaus.“
„Nein!“ sagte Hannes bestimmend. „Wir warten mit der Party, bis wir die Kleine gefunden haben. Dafür hauen dann aber so richtig auf die Kacke.“
„Das ist ein Wort!“ grinste Johann und auch Gratzweiler nickte zustimmend.

***

„Setzt Euch.“ Forderte uns Frank auf, als wir in sein Büro kamen. Vorab hatte er Caroline ein Dossier von Glöckner zukommen lassen, damit wir uns schon einmal ein Bild von diesem machen konnten. Dazu kamen alle Informationen die Lem und Mohrle von der GSG zusammengetragen hatten.
Zusätzlich hatte Decker Lastrich aus dem Freigänger Haus gebeten ihm alles zu erzählen, was ihm von seinem Aufenthalt dort noch in Erinnerung geblieben war. Lastrich, der Beamte aus dem Freigängerhaus, konnte Decker und Frank berichten, dass Glöckner ein großes Anwesen, etwa eine halbe Autostunde von Mainstadt entfernt besaß. Dort, von neugierigen Blicken abgeschirmt, standen zwei große Gebäudekomplexe, die ein L ergaben. In dem längeren Komplex hatte die GSG ihren Sitz, im kurzen unterhielt Glöckner seine Personenschutzschule.
Lem sorgte mit ein paar Drohnen für ein paar gestochen scharfe Überwachungsbilder und Aufnahmen der Gebäude, sowie dem Park dahinter, dazu brachte ein Bote Mohrles die gesamten Baupläne und alles weitere, was das Bau, bzw. das Liegenschaftsamt über das Anwesen hatte und aus all den Informationen entwickelte Frank einen Plan, der Glöckner aus der Deckung locken sollte.
Der Plan war im Grunde simpel und enthielt zwei Ziele.
Erstens wollte Frank Glöckners Büroräume durchsuchen, sowie die Computer anzapfen und zweitens wollte er Glöckner dazu bringen, einen Fehler zu begehen, der ihn angreifbar machte. Teil eins des Planes sollten Dana, Randy, Caroline und Levi durchführen. Frank beabsichtigte, Glöckners viel beschriebenen Jähzorn und Ehrgeiz zu nutzen, um den Vier die Gelegenheit zu geben ihren Job zu erledigen. Teil Zwei des Planes war, Glöckner abzulenken und alles was er dazu brauchte, war ein Lockvogel… und der war ich!
Sorgfältig hatte ich mir Glöckners Dossier angeschaut, denn Caroline hatte mir eingebläut immer alles zu wissen, was man über einen Gegner in Erfahrung bringen konnte und ich beherzigte ihren Rat, also las ich mir das Dossier ganz genau. Glöckner war weder ein alter Franzose, oder Bruce Sinclair und schon gar kein McAllister. Gegen diese Söldner war Glöckner ein Witz, der in der Welt der Söldner keine Chance hatte. Dennoch war er nicht zu unterschätzen, denn er hatte mächtige Geldgeber, die eventuell eine Gefahr darstellen konnten.
„Tu die Gefahr nicht einfach ab!“ warnte mich Caroline. „McAllister und Sinclair waren Profis, deren Handeln man grob voraussehen konnte, aber dieser Typ ist ein Amateur, der unberechenbar ist.“
„Du meinst so wie ich?“
„So in etwa, nur dass du deine Lektionen gelernt hast. Auch du bist nicht mehr so unberechenbar wie vor ein paar Jahren.“
„Das werde ich mir zu Herzen nehmen!“
„Das solltest du auch, denn deine Unberechenbarkeit und meine Professionalität sind unser Erfolgsrezept.“ Grinste sie. „Jetzt sollten wir zu Frank. Ähm Schatz, willst du dich nicht vorher noch umziehen?“ Dabei zeigte Caroline auf mein T-Shirt mit dem netten Aufdruck.
„Nein, warum?“
„Ach, nur so.“

***

Frank beorderte uns um 18 Uhr in sein Büro um den Plan gemeinsam mit Levi, Decker, Randy, Dana und uns durchzusprechen. Wir kamen als letzte und der Beamer zeigte schon Luftbildaufnahmen von Glöckners Anwesen.
„Setzt euch!“ forderte uns Frank auf und wir steuerten zwei freie Plätze an.
„Ihr nehme an, ihr habt das Dossier…“ er brach ab, als er mein Shirt sah, während ich einmal rund um den Kopf grinste. Auf dem Shirt sah man ein Auto über einen Autotransporter fliegen und darunter den Schriftzug -Evel Knievel? Nie gehört! –
Franks Blick wanderte zu Caroline, die resigniert die Schulter hochzog. „Glaub mir Frank, ich hab es versucht.“
„Reg dich nicht auf.“ Grinste ich, „Das ist nur für unseren Freund Glöckner. Ich dachte, dass das gut zu unserer Strategie passt.“
„Wieso glaube ich dir das nicht?“ fragte Frank zweifelnd.
„Weil du mich kennst?“ grinste ich zurück und Frank atmete, wieder einmal, tief durch, bevor er weitersprach.
„Ihr hab das Dossier gelesen?“
„Selbstverständlich, ich kenne den Kerl besser als mich selbst.“ Antworte ich, als Decker ein trockenes Grunzen ausstieß. „Ja, das glaube ich sofort.“, doch bevor ich dazu etwas erwidern konnte, klopfte es und Thekla steckte ihren Kopf durch die Tür. „Lastrich ist da.“
„Schick ihn rein.“ Nickte Frank und Thekla machte den Weg frei, damit Lastrich eintreten konnte.
Decker übernahm das Vorstellen und machte Lastrich klar, dass er jeden, der nicht hier in der JVA arbeitete, also Benjamin, hier auch NIE gesehen hatte! Da mittlerweile bekannt war, dass in der Verwaltung der JVA Mainstadt einiges anders lief als normal, stellte Lastrich auch keine Frage und sicherte Decker zu, den Mund zu halten und wer Decker als Chef hatte, wusste, dass er sein Wort besser hielt!
„Sie waren eine Zeit bei der GSG Glöckner, erzählen sie mal, wie sind sie da hingekommen und wie es da läuft?“ wollte Frank wissen.
„Hingekommen bin ich über das Jobcenter.“ Antwortete Lastrich. „Ich habe eigentlich Maschinenschlosser gelernt, oder wie es jetzt heißt, Industriemechaniker. Zu Beginn der Wirtschaftskriese 2008 hat mich mein Betrieb entlassen und ich stand auf der Straße. Eine andere Stelle in meinen Beruf gab es nirgendwo und mein Fallmanager auf dem Jobcenter hat mich schließlich an die GSG Glöckner vermittelt. Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit war es mir scheißegal, dass dieser Job nichts mit meinem gelernten Beruf zu tun hatte und war froh, überhaupt eine Stelle zu haben. Dort war ich dann sieben Monate, bis ich hier meine Chance bekam.“
Ich schaute kurz zu Frank, der nicht einmal mit den Augen blinzelte und ich würde jede Wette abschließen, dass Frank Lastrichs komplette Personalakte auswendig kannte und dass Decker jede, noch so kleine, Telefonnotiz von Lastrich gelesen hatte.
„Berichten sie von ihrer Tätigkeit dort.“
„Ich war im Objektschutz eingeteilt. Dieser Bereich der GSG ist ein ganz normaler Wachdienst. Wir hatten Schichtdienst und bekamen Wagen zur Verfügung gestellt, mit denen wir die Objekte anfuhren um zu kontrollieren. Natürlich wurden auch Objekte mit Kameras und Alarmanlagen überwacht und wenn sich etwas ungewöhnliches ereignete, sind wir zu dem Objekt gefahren.“
„Was waren das für Wagen?“
„Dunkle Vans.“
Wir blickten uns an und grinsten. „Zufällig solche wie der hier?“ fragte Frank und zeigte ein Bild des Vans, den Fabienne aus Dresden herausgefahren hatte.
„Ganz genau, diese Art Vans.“ Bestätigte Lastrich.
„Wie groß waren die Teams, welche Objekte bei einem Alarm anfuhren?“
„Zwischen zwei und vier Mann, je nach Größe des Objekts.“
„Gut, weiter. Welche Aufgaben hatten sie noch?“
„Sonst keine, aber es gab mehrere Abteilungen. Neben dem Gebäudeschutz gibt es Personenschutz und eine dritte Abteilung. Welche Aufgaben die hatte, weiß ich aber nicht. Um diese Abteilung wurde immer ein großes Geheimnis gemacht. Besser gesagt, diese Abteilung hatte eine Menge Mitarbeiter, aber keine ersichtliche Aufgabe.“
„Wie groß ist diese Abteilung?“
„Etwa zwanzig Mann stark, aber wie gesagt, welche Aufgabe die hatten, wusste keiner so genau.“
„Haben sie denn nie gefragt?“
„Klar habe ich das, aber die Antwort war immer dieselbe –Geht dich nichts an!- Allerdings haben die Typen dieser Abteilung immer vor uns mit ihrer Wichtigkeit angegeben. Wenn ihr mich fragt, waren die Fuzzis nie die hellsten. Glöckner hat jeden dieser Kerle selbst ausgesucht und dabei hat er wohl mehr Wert auf das Äußere gelegt.“
„Wie meinen sie das?“
„So wie bei Friedrich der I mit seinen Langen Kerls. Hauptsache groß und breit bebaut, Hirn war nicht unbedingt gefragt. Das heißt, eine Aufgabe hatten die Männer doch, jedes Mal, wenn ein möglicher Kunde kam um sich einen Einblick zu verschaffen, oder einen Wachvertrag abzuschließen, ließ er die Männer aufmarschieren und strammstehen.“
„Sehen sie sich mal die Bilder an.“ Saget Frank und reichte Lastrich Aufnahmen der Männer, die uns in Dresden in die Falle gingen.
Lastrich sah sich die Bilder an und zeigte dann auf vier der sieben Männer. „Die habe ich dort mit Sicherheit gesehen, bei den anderen bin ich mir nicht sicher.“
„Wie viele Leute arbeiten im Objektschutz, bzw. im Personenschutz und wie viele sind stationär vor Ort?“
„Die Personenschützer sind bis auf zwei Mann immer unterwegs. Die zwei, welche vor Ort sind, dienen lediglich als Reserve für einen unvorhergesehenen Einsatz. Bein Objektschutz sind immer zehn Mann in Bereitschaft, um bei einem Alarm regieren zu können.“
„Und die Stärke der Schule?“
„An der Schule sind meistens zwanzig Personen zur Ausbildung.“
„Sind die Männer dieser dritten Abteilung auch vor Ort?“
„Nein, die sind sonst wo untergebracht. Wo habe ich nie herausfinden können, nur ab und an ist von denen einer durch die Flure gelaufen.“
„Erzählen sie mal etwas von Glöckner.“
„Der Typ spinnt total!“ Lastrich schüttelte den Kopf, als er fortfuhr. „Einmal hat er mich zusammengeschissen, weil meine Haare zu lang sein, dabei hatte ich die immer so wie jetzt.“ Er zeigte auf seinen Kopf und wir besahen uns seinen akkuraten Bürstenhaarschnitt, an dem nicht einmal der Drillsergeant aus Full Metall Jacket hätte etwas aussetzen können.
„Um den Geschäftsbetrieb der GSG Glöckner kümmert sich Glöckner allerdings so gut wie gar nicht selber. Das übernimmt eine gewisse Frau Klimk, sie kümmert sich um die Einteilungen der Teams, Bestellungen von Material und den Kundenkontakt.“
„Und was treibt Glöckner dann den ganzen Tag?“ wollte ich wissen.
„Der läuft wie ein General durch seine Personenschutzschule, beobachtet das Training und hält Vorträge, aber da war ich nie mit dabei, da ich im Objektschutz eingeteilt war.“
„Ok“, meinte Frank und ließ Lastrich an Hand der Bilder das Gelände und die Gebäude erklären.
Hinter den beiden Gebäuden in L Form erstreckte sich ein langer Park, der auch zu Übungen genutzt wurde. Glöckner besaß sowohl in der Zentrale seiner GSG als auch in der Schule ein Büro, allerdings berichtete Lastrich, dass Glöckner meist das Büro in seiner Schule nutz, da er von dort einen guten Ausblick auf seinen Exerzierplatz hat.
„Ein Exerzierplatz?“ fragte Randy nach.
„Oh ja! Glöckner lässt jeden Morgen antreten und seine Fahne hissen. Jeder der Dienst hat und auf dem Gelände ist, hat anzutreten und stramm zu stehen.“
„Spielt auch eine Militärkapelle?“ brummte Decker bissig.
„Nein die Musik kommt aus dem Lautsprecher und jetzt haltet euch fest, jeden Morgen ertönte Freddy Quinn mit -Hundert Mann und ein Befehl.-“
Während Decker und Frank Lastrich sprachlos anstarrten, lachten Randy und ich laut los, bis mir Caroline einen Schubs in die Rippen gab. „Sorry…“ entschuldigte ich mich und wischte mir eine Lachträne aus dem Gesicht. „Aber, Freddy Quinn…“, hustete ich und lachte erneut los, als Randy die ersten Takte des Liedes ansang.
„Das reicht jetzt!“ sagte Frank streng und wir versuchten, das Lachen zu unterdrücken.
„Tja“, fuhr Lastrich fort, „das Problem ist, dass Glöckner das wirklich ernst nimmt. Er glaubt dass seine Leute die Besten sind.“
„Und ihre Meinung?“
„Ganz im Ernst, die meisten Männer und Frauen die da im Objekt und Personenschutz arbeiten, sind völlig ok, nur die Typen dieser dritten Abteilung, die sind mir nicht geheuer.“
„Was ist das für ein Ding?“ fragte Levi wissen und zeigte auf eine Art überdachten Hochsitz etwa zehn Meter neben dem Fahnenmast, an der Glöckners Fahne wehte.
„Von dort oben überwacht Glöckner sein Training. An manchen Tagen bleibt er den ganzen Tag dort oben und schreit die Leute an.“
Frank sah zu Decker und Levi, die Beide leicht nickten und zu erkennen gaben, dass sie keine Fragen mehr an Lastrich hatten.
„Ich bedanke mich erst einmal für ihre Zeit und Mühe.“ Entließ Frank Lastrich und der stand auf, drehte sich dann noch einmal zu uns und sagte, „Die Schule selbst wird natürlich auch mit Kameras überwacht und ist mit der neusten Überwachungstechnik ausgestattet.“ Dann blickte er mich direkt an. „Einmal hatte ich Frühdienst und Klimk kam zu mir und verlangte von mir, außerplanmäßig die Bänder der letzten Nacht zu löschen. Ich war natürlich neugierig und hab mir die Bänder vorher angesehen… Glöckner hatte einen Hund, der sich aus Angst vor ihm einnässte. Glöckner hat ihn mit einem Knüppel totgeschlagen… Wenn ich nicht meinen Job als Beamter riskieren würde… ich würde mit ihm dasselbe machen.“
Wir wechselten alle einen Blick untereinander. Hatten wir vor einer Minute noch gelacht, herrschte jetzt so etwas wie blanke Wut, lediglich Frank, Levi und Decker hatten ihre Pokerfaces aufgesetzt.
„Das überlassen sie uns!“ warnte Frank Lastrich eindringlich. „Wir werden uns darum kümmern, denn wir brauchen sie hier bei uns! War das klar?“
„Ja Chef, das war klar.“
„Dann noch einmal Danke.“
Wir warteten, bis Lastrich das Büro verlassen hatte, dann herrschte erst einmal Schweigen. „Jetzt wissen wir, was für ein Mensch Glöckner ist.“ Sagte Frank und blickte dann zu mir.
„Keine Sorge“, antwortete ich ruhig, „ich hab’s verstanden, ich werde ganz Profi sein, wenn ich dem Mistkerl gegenüberstehe!“
„Gut! Ben?“
Levi stand auf und berichtete, was Lem und Mohrle herausfinden konnten. „Die GSG kann sich auf Grund ihrer niedrigen Preise auf dem Markt recht gut behaupten, sie hat sogar den Ruf eines Sicherheitsdiscounters. Durch ihre strategische Lage zwischen Mainstadt und Frankfurt konnte sie sich mehrere Großaufträge sichern. Wirtschaftlich gesehen geht es der GSG relativ gut.“
„Relativ?“ fragte Caroline nach.
„Ja, die Personenschutzschule frisst einen großen Teil der Gewinne. Und hier hatten wir einen Ansatz. Rechnen wir die Ausgaben für die Schule, die Unterhaltung der Gebäude, der Beschaffung der Ausrüstung und die Personalkosten zusammen, wäre die GSG längst insolvent. Seltsamerweise werden aber die Kosten für die Personenschutzschule nicht von der GSG übernommen, sondern von einer Tochtergesellschaft der GSG KG. Die ist wiederum ein Teil der GSG Personal GmbH, welche Anteile an der GSG OHG hält. Mohrles Finanzermittler haben das Geflecht innerhalb von einem Tag auseinandergezogen, und festgestellt, dass dieses Geflecht an verschiedenen Firmen nur einen Sinn ergibt, nämlich Gelder für die Schule bereitzustellen, die aus angeblichen Aufträgen kommen, welche sich die verschiedenen GSG Firmen gegenseitig zuschieben.“
„Wieso bitte, fällt das dem Finanzamt nicht auf?“ wollte ich wissen.
„Weil alle fälligen Steuern pünktlich gezahlt werden.“
„Das kommt wohl dabei herum, wenn man einen Typen, der Soldat spielen will, BWL studieren lässt. Die Frage ist, wo kommt das Geld her, das die Firmen sich zuschieben?“
„Der Frage gehen wir mit Hochdruck nach, denn die Spur zu den Geldgebern könnte unsere Spur zu Leonie sein.“
„Hmmm.“ Meinte Caroline, „diese Klimk scheint die GSG zu managen, es wäre denkbar, dass sie auch Einsicht in die Führung der Scheinfirmen hat.“
„Das ist wahrscheinlich. Wir sollten also den Plan dahingehend anpassen.“ Stimmte Levi ihr zu.
„Wenn wir erst einmal in ihrem System sind, ist das kein Problem.“ Stellte Randy klar. „Da diese Klimk wohl die Chefin ist, sollten wir ihren Computer spiegeln, dann werden wir mit Sicherheit Zugriff auf alle Bereiche haben.“
„Gut“, sagte Frank, „Dana und Randy werden sich Klimks Computer in der Zentrale der GSG vornehmen, während Caroline und Benjamin sich Glöckners Büro in der Schule durchsuchen. So wie ich diesen Mistkerl einschätze, wird er sicher einen Tresor hinter einem Bild von Napoleon haben. Aber… Wenn ich richtig gerechnet habe, sind mindestens zweiunddreißig Mann ständig vor Ort. Dazu kommen dann noch Personal wie Klimk, die in der GSG arbeiten, zum Beispiel Verwaltungspersonal. Und das bringt uns zur alles entscheidenden Frage, wie bekommen wir das hin?!“
Für einen Moment dachten alle angestrengt nach, als sich ein teuflischer Gedanke in mein Gehirn bohrte… „Ich hab eine Idee.“ Verkündigte ich. „Glöckner macht vor Kunden doch gerne einen auf dicke Hose, ich hab genau den richtigen Köder dafür.“
„Schieß los!“ forderte mich Frank auf.
„Ganz einfach. Wir rufen auf Soulebda an und bitten Jerome nach Mainstadt zu kommen. Als Befehlshaber der Garde, begleitet er Penelope, die hier ihre Nun’tschula besucht. Dabei lassen wir durchsickern, dass Jerome auch nach neuen Partnern im Bereich Sicherheit sucht. Wir tun so, als ob Glöckners GSG eine von vielen Sicherheitsfirmen ist, die Jerome aufsuchen will und ich wette, dass sich Glöckner diese Chance nicht entgehen lässt und Jerome an seine Schule einlädt. Das gibt einen riesigen Auflauf dort und wir haben etwas leichteres Spiel.“
Frank, Decker und Levi tauschten einen Blick aus und Levi nickte als Erstes. Dann nickte auch Decker und sagte, „Guter Einfall. Ich rufe gleich Dagan an.“
„Es gibt noch einen guten Grund so vorzugehen.“ Warf Caroline ein. „Wir wissen, dass ein Priester aus Soulebda die Spiele leitet und wir vermuten, dass ein weiterer Priester des schwarzen Ordens hier Unterschlupf sucht, oder sogar schon gefunden hat. Wenn eine offizielle Persönlichkeit Soulebdas hier bei Glöckner erscheint, werden die Hintermänner sicher nervös werden, denn sie werden mit Recht einen Zusammenhang erkennen. So treten wir den Bösen auf den Schwanz und sehen, wer aufheult.“
Ben grinste, als ihn Frank ansah. „Sie hat eben bei den Besten gelernt.“
„Bleibt die Frage, wie wir das Problem mit den über dreißig Mann umgehen.“
„Da habe ich eine Idee.“ Warf Dana ein und umschrieb ihre Idee, die von Frank und Levi sofort mit einem „Daumen hoch“ beurteilt wurde.
„Ok.“ Entschied Frank. Ich kümmere mich um Soulebda und ihr bereitet euch in der Zwischenzeit auf den Einsatz vor. Wir werden den Mistkerl auseinandernehmen… so wie er es mit dem Hund getan hat!“

***

Besuch in Mainstadt

Sechsunddreißig Stunden später, gegen acht Uhr morgens, landete eine Gulfstream 550 in Mainstadt, diesmal ohne einen offiziellen Empfang, da die Tochter der Regentin Soulebdas als Privatperson eine Einladung ihrer besten Freundin angenommen hatte. Mit an Bord waren lediglich zwei Leibwächter, sowie ein Berater der Regentin, welcher auch für Sicherheitsfragen innerhalb der Regierung zuständig war.

Nur eine Stunde nach unserer Sitzung bei Frank hatte Heylah den Plan gebilligt und Penelope sowie Jerome nach Mainstadt beordert. Noch während ihr Flugzeug über die Startbahn rollte, erhielt die GSG Glöckner eine Anfrage aus Jeromes Abteilung im Palast, ob der Leiter der GSG Glöckner sich ein Treffen mit dem Befehlshaber des Soulebdalesichen Eliteregimentes, zwecks einer möglichen Zusammenarbeit vorstellen könnte.
Lediglich zehn Minuten, nach Eingang der Mail hing Glöckner persönlich am Telefon und lud Commander Jerome n’Antakcket zu sich in seine Zentrale nach Mainstadt ein. Bei Hombacher, Gernfried und Kitzinger hätten sofort die Alarmglocken geläutet, doch Glöckner beschloss diese vermeidliche Chance, dem Vorstand gegenüber besser nicht zu erwähnen.

***

20 KM westlich von Mainstadt / Gelände der GSG Glöckner

Um kurz vor vierzehn Uhr rollte eine Kolonne von drei Fahrzeugen über die Straße und bog in die Zufahrt der GSG Glöckner ein.
Glöckner, der nichts dem Zufall überlassen wollte, hatte natürlich einen Beobachter zwischen den Büschen versteckt, der ihm das Annähern der Wagen über Funk mitteilte.
„Da funkt einer…“ brummte Randy im dritten Wagen mit abgedunkelten Scheiben über seinem Laptop gebeugt. „Digital… acht Kanäle… Pipifaxverschlüsselung… Ich bin drin! Ist ein billiges Gerät, Funk ist online.“
Kurz bevor die Wagen aus der Zufahrt kamen, verlangsamte der letzte Wagen seine Geschwindigkeit auf Schritttempo, so dass Caroline, Dana, Levi und Randy gefahrlos herausspringen und sich zwischen den Bäumen verstecken konnten. Von dort sahen sie, wie die Kolonne am Rande des Exerzierplatzes hielt, wo sich Glöckner mit seiner „Armee“ aufgebaut hatte und jemand aus dem ersten Wagen heraussprang um Jerome, der im zweiten Wagen saß, die Tür öffnete.
„Ich zähle gerade einmal zwanzig Mann, die da stramm stehen.“ Zählte Caroline. „Ich frage mich, wo die anderen sind.“ Grinste sie und Levi zog seine Mundwinkel hoch.

***

Alarm

Eine Stunde vorher – 13 Uhr 04
„Scheiße, Alarm in der Neuhausanlage!“ rief einer der GSG Männer, welche in der Zentrale Dienst taten. Sofort rief der Mann am Schaltpult die Kameras der Anlage auf und auf zehn Monitoren in der Zentrale, wurden Bilder der Neuhausanlage gezeigt.
„Da!“ rief einer und zeigte auf einen der Monitore, wo sich eine vermummte Gestalt mit Sonnenbrille vor die Kamera stellte die ihn aufnahm und die Männer sahen wie die Gestalt eine Graffitidose hob und auf die Kameralinse zielte, dann wurde der Monitor schwarz. Dasselbe wiederholte sich auf einem der anderen Monitore.
„Ich rufe sofort die Polizei!“ sagte einer der Männer, hob den Hörer ab und wählte die Nummer der Polizei Frankfurt. „Hier ist die Telefonzentrale der Polizeiinspektion Frankfurt West, wegen einer technischen Störung, kann ihr Anruf nicht weitergeleitet werden. In dringenden Fällen kontaktieren sie die Polizeiinspektion Frankfurt Stadt, oder wählen sie den Notruf.“
„Verdammt!“ fluchte der Mann und wählte die Nummer der Polizeiinspektion Frankfurt Stadt. „Leider sind zurzeit alle Leitungen belegt… Wenn sie einen Notfall melden wollen, wählen sie den Notruf.“
„Was soll der Scheiß?!“
„Vergiss es, heute ist in der Innenstadt doch die Großdemo gegen Rassismus. Da werden alle im Einsatz sein.“
„Verdammt, an die hab ich gar nicht mehr gedacht. Was jetzt?“
„Am besten rufst du den Chef!“ meinte ein anderer und der Mann rief in Glöckners Büro an. „Herr Glöckner, in der Anlage Neuhaus sind vermummte Chaoten eingedrungen, wir konnten einige auf dem Monitor erkennen.“
„Und wieso rufst du mich und nicht die Polizei?“
„Ich hab versucht, die Polizei zu erreichen, da gibt es technische Schwierigkeiten und in Frankfurt läuft eine Großdemo, die werden keine Kräfte haben, die sie zur Anlage schicken können.“
Glöckner der in seinen Programmen nachgesehen hatte, wer der Kunde dieser Anlage war, fluchte leise. Die Neuhausanlage war eine Kunstgalerie, die zu einer Gruppe Museen gehörte, welche eine seiner Hauptkunden stellte. „Nimm vier Mann und fahr dort hin!“
„Verstanden Chef!“

**

In der Neuhausanlage zog Finja ihre Sonnenbrille aus und griff ihr Handy, „Fabienne, du bist dran.“

***

13 Uhr 13 Einbruch

„Mainstadt! Einbruchsalarm in Falkenstraße 4! Scheiße jetzt auch Alarm in der Falkenstraße 6!“
„Ruf die Polizei!“

***

„Auf Grund eines Großeisatzes in Mainstadt ist diese Dienststelle vorrübergehend nicht besetzt. Wenn sie einen Notruf melden wollen, wählen sie die 110.“
„So eine Scheiße! Was jetzt?“
„Frag am besten den Chef.“

***

In der Falkenstraße in Mainstadt klappte Fabienne ihren Laptop zu und startete ihren Wagen. Lastrich konnte sich an einige Privatadressen erinnern, die Fabienne anfuhr. Dort hatte sie vor den Anwesen 4 und 6 die Signale der funkferngesteuerten Alarmanlage gescannt und decodiert. So konnte sie die Steuerung übernehmen und einen entsprechenden Alarm auslösen. Als sie losfuhr, wählte sie Frank an. „Falkenstraße erledigt, begebe mich jetzt zum Museum.“

***

„Chef, Einbruchsalarm in Mainstadt Falkenstraße 4 und 6.“
„Was ist mit der Polizei?“
„In Mainstadt läuft ein irgendein Großeinsatz. Da meldet sich nur der AB.“
„Ok, nimm vier Mann und fahr dort hin!“

***

13 Uhr 34

„Glöckner!“ bellte der Chef der GSG in das Telefon, als eine Mainstädter Nummer angezeigt wurde.
„Hier ist das historische Kunstmuseum Mainstadt, Gabi Hemmerle.“ Meldete sich eine Frau und ein sofortiger Abgleich Glöckners mit seinen Kundendaten sowie der angezeigten Nummer und Namen ergab, dass dies stimmte.
„Was kann ich für sie tun Frau Hemmerle?“
„Es gab eine Bombendrohung gegen das Museum. Die Polizei ist hier im Großeinsatz und evakuiert zurzeit das Museum. Wie sie sicherlich wissen, beherbergt unser Haus gerade eine Wanderausstellung bedeutender Ming Vasen, die unsere Mitarbeiter aus dem Museum gerettet haben, wir brauchen umgehend Schutz für diese Exponate, bis die Polizei das Museum wieder frei gibt.“

– Verdammt! – fluchte Glöckner erneut. -Irgendetwas läuft hier schief! –

„Herr Glöckner?!“
„Ich schicke ihnen sofort jemanden.“
„Vielen Dank, ihre Männer sollen sich beim Einsatzleiter der Polizei melden.

***

Im Museum von Mainstadt ging gerade eine Gruppe Touristen mit ihrem Museumsführer vorbei, der sie auf die besondere Ausstellung der Ming Vasen hindeutete. Fabienne schaltete ihr Handy aus, mit dem sie sich in das IP-Telefonnetzwerk des Museums gehackt hatte und verließ das Museum.

***

„Klimk! Schick ein Team zum Historischen Museum in Mainstadt, dort läuft eine Räumung wegen einer Bombendrohung.“
„Und wen soll ich da schicken? Vor einer Stunde kam ein Anruf aus Frankfurt, wegen seinem Auftritt bei der Demo will der Bürgermeister einen verstärkten Personenschutz! Ich hab alle verfügbaren Leute dort im Einsatz. Bis auf zwei Mann aus dem Objektschutz sind alle unterwegs.“
„Schick die Zwei und sag ihnen sie sollen ein paar Kerle aus der Verwaltung mitnehmen. Die sollen ja nur ein paar Blumenvasen bewachen, das werden sie wohl können!“
„Warum schickst du nicht ein paar Leute aus der Schule?“
Ja, das hätte Glöckner tun können… aber in einer halben Stunde würde der Befehlshaber eines der besten Eliteregiments der Welt zu ihm kommen! Was würde wohl mehr Eindruck machen… zwanzig stramme Kerle, oder ein paar Gestalten aus der Verwaltung?
„Nein, du schickst die Verwaltung! Nachher kommt ein Potentieller Kunde, da brauche ich die Männer.“
„Ein Kunde?“ fragte Klimk nach und schaute auf ihren Terminkalender. „Wir haben für heute keine Kundentermine.“
Glöckner, der den Termin wohlweißlich nicht bekannt gemacht hatte, schließlich war ihm nicht ganz wohl dabei, Hombacher und die anderen Vorstände zu hintergehen, bellte ins Telefon, „Ist ein kurzfristiger Termin! Es könnte unser großes Los werden, also sammele die Verwaltung ein und schick sie nach Mainstadt ins Museum!

***

„Ich liebe digitales Telefonieren!“ freute sich Randy zehn Kilometer von Glöckners Anwesen entfernt an einem Verteilerkasten des Telefonnetzes. Dort stand er mit Dana und Dank Mohrle Unterstützung der BND Experten, hatte Randy ungehinderten Zugang zu Glöckners Telefonleitung, was ihn in die Lage versetzte, alle Anrufe aus Glöckners Zentrale an die Polizei umleiten und so den angeblichen Anrufbeantworter der Polizei einspeisen. Die tatsächlich stattfindende Antirassismus Demo kam ihnen dabei zu Gute, denn so würde man erst recht keinen Verdacht schöpfen. Außerdem konnte er nun auch alle Gespräche, welche Glöckner intern führte, mithören. Er schaute auf die Uhr und sagte „Wird Zeit uns mit Jerome zu treffen.“
Kurze Zeit später sammelte sie Jeromes Wagenkolonne, die auf dem Weg zu Glöckner war ein…

***

Pünktlich um 14 Uhr hielt die Fahrzeugkolonne vor Glöckner und seinen angetretenen Schülern. Die Größten standen natürlich in der ersten Reihe und Glöckner stand daneben, bis einer von Jeromes Männern aus dem Wagen sprang und Jerome die Tür öffnete. Hätte sich Glöckner auch nur ansatzweise über Jerome informiert, hätte er wissen müssen, dass Jerome NIEMALS ein solches Verhalten zeigen würde, aber das hatte er wohl nicht getan.
Nun stampfte Glöckner auf Jerome zu und salutierte erst, dann hielt er Jerome die Hand entgegen. Jerome verzichtete auf einen militärischen Gruß und packte mit seiner Pranke Glöckners Hand und drückte sie, der unter dem Schmerz kurz zusammenzuckte, aber bemüht war keine Miene zu verziehen.
„Commander, ich bin sehr geehrt, dass sie meine Einladung angenommen haben. Ich hoffe, wir können sie von unserer professionalen Arbeitsweise überzeugen.“
„Nun Herr Glöckner, wir suchen internationale Partner, die mit uns weltweit zusammenarbeiten. Ihre Firma scheint all unsere Voraussetzungen, für eine Zusammenarbeit zu erfüllen. Dennoch möchte ich mir selbst ein Bild von ihnen, sowie ihrer Firma machen.“
Um ein Haar hätte Glöckner Jerome verbessert, als der von „seiner Firma“ und nicht von seiner „Armee“ sprach, doch er biss sich auf die Lippen und lächelte freundlich.
„Selbstverständlich, Commander. Ich stehe ihnen mit all meiner…“
Er wurde unterbrochen, als ein Wagen laut hupend durch die Einfahrt schoss, über den Exerzierplatz donnerte, dabei deutliche Spuren ins Gras fräste und schließlich neben Jeromes Wagen stehen blieb.

***

„Oh, Peter ist da.“ stellte Caroline fest. „Jetzt beginnt der lustige Teil des Tages. Los!“, geduckt und unter Ausnutzung der Bäume schlichen sie durch das Gelände, bis sie zu der Ecke kamen, an denen die zwei Gebäude am nächsten beieinander standen. Da sich das große Treiben auf der anderen Seite der Gebäude abspielte, achtete niemand auf diese Seite und die Vier konnten sich ungesehen der GSG und der Schule nähern.
Gemeinsam schlichen sie zu einem Notausgang, dessen Alarmsicherung Levi in nur einer halben Minute ausschaltete und durch den sie in die GSG eindrangen. Dank Lastrich wussten wir, dass es einen Kellergang gab, der die beiden Gebäude verband und Levi begab sich mit Caroline durch diesen Gang in den Keller der Schule.
Randy und Dana sahen sich vorsichtig in dem Treppenhaus um, doch niemand war zu sehen, also schlichen sie los in das Erdgeschoss. Klimks Büro lag erfreulicherweise direkt neben dem Büro von Glöckner Räumen der GSG. Die Türen selbst waren mit elektronischen Schlössern gesichert, die Randy jedoch nur Sekunden aufhielten, dann hatte er die Zugangsdaten auf einen Chip gespeichert, der ihnen Zugang zu jeder Tür beider Gebäude verschaffte.
Ihr erstes Ziel war der Serverraum. In diesem brummte eine Wand blinkender Lichter vor sich hin, neben denen ein einzelner Rechner mit Monitor aufgebaut war. Dana nahm sofort davor Platz und löschte als erstes alle Kameraaufnahmen der GSG Gebäude, der letzten fünf Minuten und ersetzte sie durch ältere Aufnahmen. Anschließend überschlug sie die Zeit, welche sie hier brauchten, gab fünf weitere Minuten Sicherheit dazu und speicherte dies ab, anschließend übertrug sie eine nichtssagende Kamerasequenz auf den Server.
Als nächstes rief Dana die Schaltpläne der Serverzugänge auf und rief dann zu Randy. „Die Nummer Neun!“
Sofort hatte Randy den Zugang von Klimks Rechner zum Server gefunden und ersetzte das Kabel, welches zu Klimks Computer führte mit einem Kabel, das er aus seinem Rucksack holte. Dieses unterschied sich von einem herkömmlichen Kabel lediglich in seinem, etwas größeren Durchmesser. Dieses Kabel leitete alle Daten, welche es durchliefen in Echtzeit an einen Server weiter, der in Tel Aviv stand, was Jonah, Sorayas Bruder und Lems Leiter der Computerabteilung, in die Lage versetzte, alles mitzulesen, was Klimk oder Glöckner taten. Außerdem stellte es sicher, dass Lems Experten weiterhin Zugang zu dem Server sowie allen angeschlossenen Computern hatten. Dasselbe wiederholten sie bei Glöckners PC Zugang und schließlich am Kabel, das von den Servern ins Netz führte.
„Ok, alles verkabelt.“ Meldete Randy. „Wie sieht es in Klimks Büro aus?“
Dana rief ihre Daten auf und teilte mit, „Der PC ist im Ruhemodus. Ich nehme an, sie ist bei Glöckner.“
„Dann los! Hier sind wir fertig.“

***

Im Gegensatz zu den Türen des GSG waren die Schlösser der Schule ganz normale Türschlösser, die Caroline keine Schwierigkeiten bereiteten. Im Keller selbst war keine Tür verschlossen und sie gelangten in das Treppenhaus. Da alle „Schüler“ draußen angetreten waren, hielt sich im Inneren der Schule niemand auf, der ihnen über den Weg laufen konnte. Glöckners Büro lag im zweiten Stock, von dessen Fenstern er einen guten Überblick über den Exerzierplatz hatte. Allerdings musste Caroline feststellen, dass die Tür zu Glöckners Büro, anderes als die anderen Türen, mit einem elektronischen Schloss gesichert war.

-Randy?-
-Ja?-
-Ich brauch den elektronischen Schlüssel!-
-Warte, ich schick ihn dir auf dein Handy!-

Antwortete Randy und nur Sekunden später brummte Carolines Handy, das sie im Anschluss einfach vor das Türschloss hielt, welche die Tür entriegelte.
-Danke! Wir sind drin.- Meldete sie, während Levi die Tür hinter sich schloss und sofort begann den Schreibtisch zu durchsuchen. Caroline schaute sich um und sah mehrere Aktenschränke, die allerdings verschlossen waren. Mit einem mitgebrachten Einbruchswerkzeug knackte Caroline die Schlösser der Schränke in Sekunden und begann sich die Akten anzusehen., Was sie sah, waren Personalunterlagen der aktiven, sowie der ehemaligen Schüler, deren Namen sie schnell mit dem Handy fotografierte. Ihr besonderes Interesse erweckte die unterste Schublade. In dieser waren andere Personalakten, von denen sie eine herausholte. „Sieh mal einer an…“ flüsterte sie, denn sie hatte durch Zufall Grams Akte hervorgezogen, so dass ihr klar wurde, dass sie die Akten der „dritten Abteilung“ gefunden hatte. Diese Akten fotografierte Caroline komplett bevor sei diese wieder zurücklegte.
„Was macht Peter?“ fragte Levi, also ging Caroline zum Fenster und warf einen Blick aus dem heraus. Unten sah sie Peter mit Glöckner heftig diskutieren. „Scheint so, als ob Peter seine Rolle richtig Spaß macht.“ Stellte sie fest.
„Was tut sich denn?“ fragte Levi, der die oberste Schublade des Schreibtisches durchsah.
„Keine Ahnung, aber Glöckner scheint gleich zu explodieren.“ Dann sah sie sich um und schüttelte den Kopf. „Naja, Frank hat beinahe richtig geraten.“ Meinte sie und zeigte auf ein Gemälde an der Wand, dass zwar nicht Napoleon zeigte, dafür aber eine Nachbildung des berühmten Mosaiks von Alexander des Großen bei der Schlacht von Issos. „Wenn der Typ nicht größenwahnsinnig ist…“ sagte Caroline, als sie erkannte, dass das Gesicht von Alexander durch ein Abbild von Glöckner ersetzt war. Sie hob das Bild etwas an und sah tatsächlich die Tür eines Tresors. Levi kam zu ihr, vergewisserte sich, dass der Bilderrahmen nicht alarmgesichert war, dann hingen sie das Bild ab und Levi besah sich das altmodische Schloss, zudem ein großer Schlüssel gehörte.
„Verdammt, ich habe gehofft, es wäre ein elektronisches Schloss!“ Fluchte Caroline. „Was jetzt?“
Levi starrte für einen Moment das Schloss an, dann hob er die Hand und ging zum Schreibtisch zurück. Dort öffnete er die oberste Schublade erneut und tastete mit seinen Fingern über die Unterkante der Schreibtischplatte. Nach einigen Sekunden erklang ein „KLACK“, Levi zog die Hand heraus und hielt triumphierend einen größeren Schlüssel hoch.
„Woher wusstest du das?“
„Schreibtische waren schon immer ein sehr beliebtes Versteck. Und ich war mir sicher, dass Glöckner nicht mit einem so großen Schlüssel in der Hose herumläuft, also muss er ihn greifbar in der Nähe des Tresores liegen haben.“
Während Levi sich um den Tresor kümmerte, ging Caroline zum Fenster zurück und sah gerade, wie Glöckner völlig ausgeflippt Peter anschrie, der sich an Jerome wandte und mit dem Finger auf die angetretenen Männer zeigte, dann fragte sie Levi „Und?“
Levi sah ein paar Dossiers im Tresor, die er herausholte und Caroline entgegenhielt. Die packte sofort ihr Handy aus und begann die Seiten abzufotografieren. Dann erregte ein Etui im Inneren des Tresors Bens Aufmerksamkeit, er holte es hervor, öffnete den Verschluss und erstarrte.
Caroline, die das bemerkte, sah ihn fragend an und Levi zeigte ihr den Inhalt… es war eine Opferkette aus Soulebda.
„Denkst du Glöckner hat sich ebenfalls eine Kette besorgt?“ wollte Caroline wissen.
„Nein, ich denke, diese Kette ist für jemanden bestimmt, der… sagen wir mal, unvorhergesehen in die Spielrunde aufgenommen wird.“
„Wenn wir die Kette, mitnehmen haben sie ein Problem. Sie müssten sich eine neue Kette beschaffen, und dass kann dauern.“
„Nein, erstens verraten wir uns hier und zweitens, haben die Priester bestimmt noch ein paar Ketten auf Lager. Was macht Peter?“
„HHMM“, meinte Caroline, als sie aus dem Fenster blickte. Unten liefen plötzlich alle zwanzig „Schüler“ los, zurück in die Schule.
Vorsichtig ging Caroline zur Tür und spähte heraus, doch die Schüler rannten nur zu ihren Zimmern, welche alle im Erdgeschoss waren, anschließend rannten sie zurück und traten erneut an, während Peter gemächlich in die Zufahrt trabte.
„Der Spaß geht los.“ Teilte sie Levi mit, „Sie verteilen sich.“ Dann schaute sie zur GSG, wo jeder, der sich noch in der Zentrale aufhielt, am Fenster lag und gebannt auf den Park schaute.
-Randy-, meldete sie ihm, -die Fensterplätze sind alle besetzt, wo seid ihr?-
-Wir durchsuchen gerade Klimks Büro und gehen dann eine Tür weiter in Glöckners Büro.-

***

Im Gebäude der GSG durchsuchten Dana und Randy Klimks Büro. „Schau mal.“ Sagte Dana und zeigte auf ein Bild, dass auf dem Schreibtisch stand. Dieses zeigte eine Frau mit Glöckner. „Das dürfte dann wohl Klimk sein.“
„Hmmm“, Randy zeigte zum Exerzierplatz, wo Glöckner mit Peter aneinandergeraten war. Neben Glöckner und Jerome stand auch eine Frau, „ja, das müsste sie sein. Gut, solange sie dort ist, kann sie uns hier nicht in die Quere kommen.“
„Ok“, meinte Dana, „du behältst sie im Auge, ich schau mich um.“
Hinter dem Bild klebte Dana eine der modernsten Wanzen fest. Eine weitere montierte sie im Ledersessel und die dritte fand ihren Platz in der Raummitte.

***

Capture the Flag

Laut hupend bretterte ich über Glöckners heiligen Rasen und zeigte dabei, was ich bei Lukas gelernt hatte, denn ich hinterließ deutliche Spuren in Gras, als ich schlitternd neben Jeromes Wagen zum Stehen kam.
„Tschuldigung!“ rief ich beim Aussteigen und lief auf Jerome zu. „Sorry, dass sich zu spät komme, aber der Verkehr war mörderisch.“
Glöckner, der die Spuren im Gras anstarrte, wurde blass vor Wut als ich ihn ignorierte und mich direkt an Jerome wandte. „Ich sehe, sie haben den Weg auch ohne mich gefunden, Commander.“ nickte ich Jerome zu und fragte scheinheilig, „Hab ich etwas verpasst?“
„Nein, wir sind noch am Anfang Herr Stein.“
„Wer sind sie?!“ herrschte mich Glöckner an.
„Oh, Entschuldigung, mein Name ist Stein, externer Berater der Regierung Souelbdas in Sicherheitsfragen. Sie sind sicher Herr Gödike von Gödike Security.“ Antwortete ich und hielt Glöckner die Hand hin.
Glöckner wurde noch blasser, als er hervorpresste, „Mein Name ist Glöckner, Leiter der GSG, Global-Security-Glöckner!“
Ich zog meine Hand zurück, setzte ein verwirrtes Gesicht auf und legte die Stirn in Falten. „GSG… Glöckchen?“
„Glöckner! GSG Glöckner!“
„Sind sie sicher?“ fragte ich und wandte mich, bevor Glöckner antworten konnte, an Jerome, „Commander, da ist wohl etwas schief gelaufen… Moment, ich hole meine Unterlagen.“ Damit ging ich zu meinem Auto und holte eine Dokumentenmappe vom Beifahrersitz. Die blätterte ich dann durch, als ich zu Jerome zurückging. „Laut meinen Unterlagen, haben wir heute einen Termin bei Gödige Security… eine Firma Glöckchen hab ich nicht auf der Liste.“
„Glöckner!“ fauchte Glöckner und schien mir die Unterlagen aus der Hand reißen zu wollen.
„Nun, dann hat es wohl eine Verwechselung seitens meines Büros gegeben.“ Beschwichtigte Jerome etwas, „Ihre Namen sind für uns Südseebewohner alles andere als einfach.“
Es kostete mich wirklich alle Kraft um nicht lachen zu müssen, aber ich schaffte es, meine ernste Miene beizubehalten. „Tut mir leid, dass wir ihre Zeit in Anspruch genommen haben, Herr Glöckchen. Kommen sie Commander, vielleicht schaffen wir es noch, jemand bei der Gödige Security zu erreichen.“
Ich wandte mich zum Gehen und sah, wie Glöckner kurz vor einer Ohnmacht stand, als Jerome den zweiten Teil eröffnete.
„Ich denke nicht, dass wir diesen Termin noch einhalten können, aber wenn wir schon einmal hier sind, dann könnten wir uns auch ein Bild von der Firma Glöckner machen.“ Dabei setzte Jerome ein sehr wohlwollendes Gesicht auf, was Glöckner dazu brachte, etwas ruhiger zu werden. Anscheinend glaubte er, er hätte ernsthaft mit seiner Parade Eindruck gemacht.
„Das halte ich für Zeitverschwendung.“ Hielt ich Jerome entgegen.
„Zeitverschwendung!“ stieß Glöckner hervor und Jerome schien sich auf seine Seite zu stellen.
„Warum glauben sie das Herr Stein?“
„Ihr Büro hat klare Vorgaben genannt, die Sicherheitsfirmen erfüllen sollten, um als Partner in Frage zu kommen. Die Firma Gödike zum Beispiel arbeitet seit Jahren erfolgreich mit den Schweizerischen und Österreichischen Behörden zusammen. Von einer derartigen Zusammenarbeit mit einer Firma Glöckchen…“
„Glöckner!“ warfen Jerome und Glöckner gleichzeitig ein, „…ist nichts bekannt. Eine internationale Referenz scheint es da nicht zu geben.“
„Wie können sie es wagen meine Reputation in Frage zu stellen?!“ tobte Glöckner und auch Jerome schien sich gegen mich zu stellen.
„Ist das tatsächlich so Herr Stein, oder fürchten sie eine mögliche Konkurrenz, durch Herrn Glöckner?“
Dazu stieß ich ein trockenes Lachen aus und meinte nur, „Konkurrenz? Ich denke nicht, dass ich mir da Sorgen machen muss und schon gar nicht durch Glöckchen. Der Laden hier ist ein Underdog.“
Während Glöckner aschfahl wurde, trat ich näher an Jerome heran, senkte meine Stimme, blieb aber laut genug, so dass Glöckner mich weiterhin hören konnte. „Im Ernst Commander“, ich zeigte auf die angetretenen Männer, „sehen sie sich diese Gestalten doch mal an… das ist eine Gurkentruppe!“
„Gurkentr…“ stammelte Glöckner und trat drohend auf mich zu, „Das werden sie sofort zurücknehmen!“ fauchte er.
„Und wenn ich das nicht tue?!“ hielt ich ihm entgegen, „Was wollen sie denn tun, wollen sie mich verklagen?“
„MOMENT!“ warf sich Jerome dazwischen. „Bitte bleiben sie Beide ruhig! Herr Stein, bitte nicht in einem solchen Ton! Ich habe sie unter Vertrag genommen, um eine professionale Beratung zu erhalten. Momentan sehe ich das nicht gegeben, also entweder sagen sie mir, wie sie zu dieser Einschätzung kommen und begründen das entsprechend, oder ich muss mir einen neuen Berater suchen! Und sie Herr Glöckner werden im Anschluss Gelegenheit haben, zu den Bedenken von Herrn Stein Stellung zu nehmen.“
Jeder konnte sehen, wie Glöckner mit seinem Jähzorn kämpfte und nun erst nahm ich die Frau im Hintergrund wahr, die Glöckner verzweifelt mit ihren Augen zu verstehen geben wollte, ruhig zu bleiben.
Tatsächlich schaffte es Glöckner irgendwie, nicht auszuflippen und nicht auf mich loszugehen.

-Weiß einer wer die Frau ist?-
–Das ist Klimk- hörte ich Randy.
-Alles klar! Wie läuft‘s?-
-Gut, mach weiter.-

„Also Herr Stein? Ihre Antwort!“ forderte mich Jerome auf.
„Sie wollen wissen, wie ich darauf komme, dass hier eine Gurkentruppe steht, passen sie auf Commander, sehen sie den Lappen da?“ ich zeigte auf Glöckners Fahne, die am Mast im Wind flatterte, ein grüner Schild mit einem schwarzen, kursiven Schriftzug –GSG-, auf gekreuzten Schwertern auf rotem Grund, „da stehen zwanzig Typen und ich wette, dass ich mir innerhalb der nächsten halben Stunde damit dem Hintern abwische!“
Jetzt war es mit Glöckners Beherrschung endgültig vorbei! „Du beleidigst … MEINE FAHNE?!“ schrie er und wollte mir an die Gurgel, doch Jerome und Klimk traten dazwischen und hielten uns auseinander. „Herr Stein… meinen sie das ernst?“ fragte Jerome.
„Klar.“

Nun wandte sich Jerome an Glöckner, „Herr Glöckner, Herr Stein hat gerade seine weitere Verwendung für mein Büro, von einer Aufgabe abhängig gemacht, wären sie bereit die Herausforderung anzunehmen?“
„Das kann doch nur ein Witz sein!“ tobte Glöckner.
„Nun, ich kenne Herrn Steins Fähigkeiten sehr gut und ich rechne ihm durchaus Erfolgschancen aus… doch, sollte er scheitern, wäre seien Beraterstelle vakant und müsste neu besetzt werden. Sie, als sein Bezwinger, hätten zumindest ein Vorsprung, gegenüber anderen Bewerbern.“
„Wie soll das vonstattengehen?“ wollte Klimk wissen, die sich nun aktiv in das Gespräch einbrachte und wahrscheinlich auf diese Weise Glöckner davon abbringen wollte, etwas Dummes zu tun.
„Herr Stein?“ Jerome blickte mich fragend an
„Ich schätze der Park ist eingezäunt?“ fragte ich Klimk und zeigte auf das große Gelände vor uns.
„Selbstverständlich!“
„Also, sie schicken ihre Leute da raus, meinetwegen mit ihrer ganzen Technik, ich werde außen herum gehen und irgendwo über den Zaun hüpfen, dann werde ich mich von dort nach hier vorarbeiten, bis ich den Lappen da habe.“
Während Jerome den Kopf leicht hin und her bewegte, starrte mich Glöckner hasserfüllt an. „Waffen?“
„Nur der hier!“ ich zog mein T Shirt hoch und zeigte meinen ESK, „Deine Truppe darf ruhig auch Knüppel benutzen, das macht es interessanter.“
„Herr Stein, nur damit ich das noch einmal klarstelle, sie wollen gegen zwanzig Männer antreten, die dieses Gelände vor uns sicher sehr gut kennen“, Jerome zeigte auf den Park vor uns, „um dann die Fahne von Herrn Glöckner zu erobern?“
„Von erobern war keine Rede, ich werde mir den Hintern damit abwischen! Aber wenn ich Glöckchen richtig einschätze, wird er seine Gurkentruppe Schulter an Schulter rund um den Fahnenmast stellen.“
„Herr Glöckner, nehmen sie die Herausforderung an?“

„Selbstverständlich!“ fauchte Glöckner und sah mich an, „Also gut, du Klugscheißer! Ich werde dir den Arsch aufreißen! Dich haben wir, sobald du auch nur zehn Meter gelaufen bist! Und dann wird ich dir zeigen, wer hier der Underdog ist!“
„Wie lange brauchen sie Herr Stein?“ wollte Jerome wissen.
Ich schaute auf meine Uhr und meinte, „in zwanzig Minuten hüpfe ich über den Zaun. Vorausgesetzt, Glöckchen braucht nicht länger um seine Leute einzuweisen.

Glöckner erwiderte nichts und ging wutschnaubend an mir vorbei zu seinen Leuten. Da Klimk bei uns stehen blieb, konnte ich mich mit Jerome nur mit der Stammessprache unterhalten, dabei schaute ich demonstrativ an ihm vorbei und verzog keine Miene.
-Na Commander, wie war ich?-
-Du hast ganz schön dick aufgetragen, mein Stammesbruder.-
-Hauptsache ich war überzeugend.-
-Das warst du ganz sicher, bei dem Teil mit Fahne und Hintern abwischen, dachte ich, er explodiert.-
-Warte erst einmal was geschieht, wenn ich das tatsächlich tue.-

***

Glöckner stampfte auf seine Leute zu und stellte sich, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, vor sie.
„Männer! Der Commander einer Spezialeinheit stellt uns eine Mitarbeit mit den Soulebdalesischen Behörden in Aussicht. Für alle die es nicht wissen, dieses Regiment ist eines der besten der Welt! Um an eine Beteiligung zu gelangen, hat uns der Commander eine Aufgabe erteilt. Ein einzelner Eindringling wird dieses Gelände betreten und versuchen, an unsere Fahne zu gelangen. Unsere Aufgabe ist es, dieses mit allen Mitteln zu verhindern und den Eindringling so schnell wie möglich zu stellen. Dabei kann von dem Mittel einfacher körperlicher Gewalt Gebrauch gemacht werden! Wegtreten um Aufrüstung aufzunehmen! Erneutes Antreten in genau fünf Minuten!“ Bellte Glöckner und die „Schüler“ rannten zu ihren Unterkünften.

***

Caroline hörte, wie die Männer in ihre Zimmer rannten, um ihre Ausrüstung zu holen. Doch da die Zimmer der „Rekruten“ alle im Erdgeschoss lagen, blieben sie im zweiten Stock unentdeckt.

***

Im Gebäude der GSG hatten Randy und Dana Klimks Büro gründlich auf den Kopf gestellt und schlichen nun eine Tür weiter in Glöckners Büro der GSG.
„WOW, das ist ein Kommandostand!“ sagte Randy, als er das riesige Schaltpult sah, welches mit einigen Monitoren einen guten Teil des Raumes einnahm. „Verdammt!“ fluchte Randy, als er sah, dass man von hier aus den Funk, die Kameras und die Lautsprecher, welche um den Exerzierplatz, als auch im Park steuern konnte.
-Jerome, wir haben ein Problem!-
-Welches?-
-Glöckner wird mit Sicherheit hier in sein Büro kommen um den Einsatz seiner Leute zu überwachen, hier laufen alle Kameras und Sensoren zusammen. Lastrich sagte aber, dass auf seinem Hochstand eine zweite kleinere Anlage ist, bringe ihn dazu, dort hinzugehen.-
-Verstanden, ich lasse mir etwas einfallen.-
„Ich hab Jerome gesagt, er soll Glöckner von hier fernhalten.“ Teilte Randy Dana mit.
„OK.“ Nickte Dana und schaute sich das Steuerpult genauer an.
-Peter?-
-Ja?-
-Also, im Park sind überall Kameras, genau wie Lastrich es gesagt hat. Außerdem gibt’s bei jeder Kamera einen Bewegungssensor und Lautsprecher. Wenn Jerome es schafft, Glöckner von hier fernzuhalten, schalte ich die Elektronik aus. Aber es gibt ein weiteres Problem, selbst wenn ich den Funk ausschalte, können sich die Kerle immer noch durch Zurufe verständigen. Wenn dich einer entdeckt und die Anderen ruft, bist du erledigt.-
-Und, habt ihr Genies auch dafür eine Lösung?-
-Noch nicht, aber wir arbeiten daran!-

***

„Welche Ausmaße hat der Park, nicht dass ich in das falsche Grundstück einsteige?“ fragte ich Klimk.“
„Der Park ist etwa sechshundert Meter lang und zweihundertfünfzig Meter breit.“ Antwortete sie und ich versuchte mir eine Bild von dem Gelände zu machen. Die Rasenfläche des Exerzierplatzes umfasste etwa dreißig x fünfzig Meter und wurde durch die Schule sowie der Zufahrt daneben und das Gebäude der GSG eingegrenzt. Am Rand gegenüber, mittig zu dem Gebäude der GSG, stand der Hochstand mit einer Höhe von guten zehn Metern. Oberhalb der Rasenfläche ersteckte sich der Park mit Hecken und Baumgruppen, welche sich mit freien Grasflächen abwechselten. Mein Ziel, Glöckners Fahnenmast, stand vor der Schule. Eingerahmt wurde das Ganze von einem ausgedehnten Wald.
„Na, Herr Stein? Haben sie den Mund vielleicht etwas zu voll genommen?“ fragte Jerome und ich blickte zu Glöckner, der seine Truppe gerade antreten ließ.
„Ganz sicher nicht!“ antwortete ich und lächelte Klimk an, die keine Miene verzog, dann sagte ich, „Bis später, Commander.“
Hinter mir baute sich Glöckners Truppe wieder auf, als ich mich umdrehte und gemächlich in die Zufahrt trabte. „Wir sehen uns, Glöckchen.“ Rief ich, als an Glöckner vorbei lief.
„Mieser Drecks…“ den Rest hörte ich nicht mehr, dann war ich in der Zufahrt verschwunden.

***

„Achtung!“ brüllte Glöckner und ließ seine „Schüler“ strammstehen. „Der Auftrag lautet, Eindringling finden und neutralisieren! Aufteilung in Doppelteams und verteilen, so wie wir es geübt haben! Die Bewegungssensoren werden ihnen den Standort des Eindringlins melden und er wird mit allen Mitteln gestellt! Fragen?!“
„NEIN!“ brüllten die Männer und Glöckner befahl ihnen, ihre Positionen einzunehmen.

***

-Schatz, wie weit seid ihr?-
-Wir durchsuchen Glöckners Schränke. Und Peter! Sei vorsichtig, dir macht das alles zu viel Spaß, das ist kein Spiel!-
-Ich beantworte das mit einem Zitat eines meiner Helden, „Vertrauen sie mir, ich weiß was ich tue!“-
-Du bist NICHT Slege Hammer!-
-Der hatte aber immer gute Problemlösungen Strategien dabei.-
-Hammer hatte Susi!-
-Das meine ich ja.-

***

Jerome war mit Klimk an seiner Seite zu Glöckner getreten um ihm bei der Einweisung der Männer zu beobachten. Als die Männer dann los in den Park rannten, meinte Jerome, „Ich nehme an, sie haben eine Zentrale, aus der sie den Einsatz überwachen?“
„Selbstverständlich!“ antwortete Glöckner und machte eine einladende Geste zum Gebäude der GSG.
„Ich benutze lieber meine eigenen Augen. Was ist mit dem Turm?“
„Von dort haben wir ebenfalls einen totalen Überblick auf das Gelände! Bitte folgen sie mir!“ Glöckner marschierte an Jerome vorbei und erstieg die Treppe zum Turm, welche über drei Etagen noch oben führte. Jerome folgte ihm, mit Klimk im Schlepp und als er oben angekommen war, konnte er einen großen Teil des Parks überblicken. An einigen Stellen war ihm die Sicht durch Baumgruppen, bzw. Hecken versperrt, welche den Park wie Adern durchzogen, dennoch hatte er einen guten Überblick auf das Geschehen und konnte einige Zweierteams erkennen, welche zu ihren Positionen liefen. Danach blickte sich Jerome im Inneren des überdachten Hochstandes um. Die Plattform hatte die Maße von 4 x 4 Metern mit einem Schaltpult in der Mitte, wenn auch ein kleineres, als in seinem Büro.
„Meldung!“ bellte Glöckner in sein Funkgerät und ein Schüler nach dem anderen meldete sich.
„So Commander, jetzt passen sie auf, wir werden diesen Stein in kurzer Zeit haben!“

***

Dana studierte das Schaltpult in Glöckners Büro und schon nach ein paar Sekunden lächelte sie, setzte sich an den Computer der Anlage und begann diese zu manipulieren.
„Was tust du da?“ fragte Randy.
„Dieses Pult hier ist die Alphaanlage. Das heißt, Einstellungen die hier eingestellt sind, kann Glöckner im Turm nicht ändern. Er müsste also den Turm verlassen und hier her kommen, aber ich denke nicht, dass er Jerome alleine lässt.“
„Er könnte Klimk schicken.“
„Ja, doch ich schätze, er wird seine Schwäche nicht zeigen wollen. Als Erstes erhöhe ich die Empfindlichkeit der Bewegungsmelder.“ Sie zeigte auf die gespeicherten Einstellungen und erkälte Randy, „Die Empfindlichkeit ist so eingestellt, dass sie nicht auf kleine Tiere, wie Mäuse, oder Vögel reagieren. Auch ist der Sendebereich so eingestellt, dass er nur in einen Bereich, von knapp einem halben Meter über dem Boden und eine maximale Höhe von zwei Metern reagiert. Ich habe die Regler auf volle Power gestellt und den größtmöglichen Erfassungsbereich eingestellt.“
„Dann finden sie Peter ja sofort!“
„Ja… und außerdem jeden Vogel, jede Katze und jedes Tierchen, das sich da draußen tummelt.“
„Oh, JETZT verstehe ich!“ grinste Randy. „Was ist mit dem Funk?“
„Wir warten noch etwas, dann stellen wir ihn ab, dann können sie sich nicht organisieren.“
„Ich weiß nicht… so groß ist das Gelände nicht, sie könnten sich einfach zurufen.“
„Da habe ich schon eine Idee! Stopf mal dein Handy in die Anlage!“

***

Ich lief gemächlich die Zufahrt herunter, bis ich außer Sichtweite war, dann legte ich einen Zahn zu und lief am Zaun des Anwesens entlang, der zwei Meter hoch war. Vierhundert Meter weiter an der Baumgrenze stand plötzlich eine Gestalt vor mir.
„Hast dir ganz schön Zeit gelassen.“ Murrte Decker.
„Glöckner hat, genau wie du, ein Engelsgemüt, es dauerte etwas ihn zu reizen.“
„Glaub mir, wenn ich Glöckners Gemüt hätte, wärst du längst tot! Antwortete Decker. „Hier!“ Decker griff hinter einen Baum und reichte mir ein Schild aus Plexiglas, wie sie auch in unserer JVA verwendet wurden. „Hannes, Johann und Gratzweiler stehen bereit, falls es nötig ist, hauen wir dich und die anderen raus.“
„Keine Sorge.“ Grinste ich und zeigte neben ihn. „Wir rocken das Ding!“ Danach sprang ich hoch, kletterte über den Zaun und sprang herunter in die Wiese.

***

„KONTAKT!“ tönte es durch das Funkgerät. „Position drei!“ Sofort hatte Glöckner ein Fernglas vor den Augen und schaute zu dem Punkt an dem das Team drei stand. „Fehlalarm! Nur ein Reiher, der vor die Sensoren kam.“ Erklang es kurze Zeit später und Glöckner entspannte sich wieder etwas. Doch das währte nur kurz…
„Kontakt! Position zwei!“
„Kontakt Position vier!“
„Hier ist er auch! Position sechs!“
„Haltet Funkdisziplin!“ Herrschte Glöckner in sein Funkgerät, der Jeromes Blick im Genick fühlen konnte. „Klare Meldungen!“
„Herr Glöckner, wir registrieren auf dem gesamten Gelände Bewegungen. Etwas muss mit den Sensoren nicht stimmen.“
Innerlich tobte Glöckner. Um die Einstellungen zu ändern müsste er entweder selbst in sein Büro marschieren und den Commander alleine lassen, was natürlich nicht in Frage kam, oder er müsste Klimk schicken und dem Commander auf diese Weise eingestehen, dass er ohne seine Technik aufgeschmissen war, was erst Recht nicht in Frage kam! Nein er musste dem Commander beweisen, dass er auch ohne diese blöde Technik zurechtkam. „Dann vergesst die Sensoren!“ Bellte er in das Funkgerät. „Bildet zwei Ketten, die sich aufeinander zubewegen. Positionen eins bis fünf, bilden eine Kette, am oberen Ende des Zaunes, und bewegen sich in Richtung Mitte. „Positionen sechs bis zehn, bilden eine Kette, die sich von den Gebäuden aus zur Mitte bewegt!“
„Verstanden!“ Meldete sich eine Position nach der anderen. Glöckner begann mehr als zu kochen, erst diese entwürdigende Beleidigung durch diesen Stein und ausgerechnet jetzt hatte seine Technik Ausfälle.

***

„Ok, dann stören wir den Funk mal etwas.“ Grinste Dana und blockierte die Frequenzen auf die Glöckner seine Geräte eingestellt hatte, ließ aber die anderen sieben Frequenzen offen, um sich nicht direkt zu verraten.

***

Innerlich schüttelte Jerome den Kopf, denn seit mehr als zwei Minuten herrschte Funkstille und es kam nicht eine Meldung. Nach drei Minuten kapierte auch Glöckner dass etwas nicht stimmte, schaltete auf eine andere Frequenz und hörte sofort aufgeregte Stimmen.
„ICH SEHE IHN! Er ist auf…“ damit endete der Funkspruch.
„Meldung!“ befahl Glöckner, doch nur vier seiner Leute hatten diese Frequenz einstellt, dann war auch hier Ruhe.

***

Jerome teilte mir vom Turm aus den Standort der Ketten mit, welche mich in die Zange nehmen sollten und ich wich etwas aus. Von Jerome aus gesehen, befand ich mich etwa zur Grenze zum oberen Drittel des Parks und die obere Kette war noch etwa fünfzig Meter von mir entfernt. Schließlich konnte ich einen der Männer sehen. Er ging am Rand der Kette, welche durch eine Baumgruppe auf die Mitte des Parks zumarschierte. Der Mann hielt etwa zehn Meter Abstand zu seinem Nebenmann und lauschte angestrengt in sein Funkgerät, das aber schwieg. Dabei achtete er mehr auf sein Funkgerät, als auf die Umgebung, denn sonst hätte er mich entdeckt, doch so schraubte er an den Knöpfen herum, also half ich, als der Mann noch etwa zwanzig Meter von mir entfernt war, etwas nach.
„HEY!“ ich stieß einen Pfiff aus und winkte. „HIER!“ Der Mann blieb stehen sah sich um und starrte mich dann verblüfft an, dann hob er sein Funkgerät und rief „Ich sehe ihn!“ Ohne allerdings seine Position zu nennen, er rannte, nachdem er seinen Schlagstock gezogen hatte auf mich zu. Doch fünf Meter vor mir, schien er gegen eine unsichtbare Wand zu laufen und ging bewusstlos zu Boden.

***

„Was zum Teufel…!“ Glöckner brach ab, als ihm bewusst wurde, dass ihm Commander n’Antakcket über die Schulter sah. Mittlerweile hatte die zweite Kette mitbekommen das die anderen „Feindkontakt“ hatten und löste sich auf, um zu den anderen zu gelangen.

***

„Ok, jetzt kommt der lustige Teil.“ Sagte Dana, denn das Geschrei der „Schüler“ gab den anderen die Richtung vor, in der ich mich befand.
–Jerome?-
-Ja?-
-Ich nehme an, Glöckner bearbeitet sein Funkgerät?-
-Bearbeiten ist gut, ich fürchte, er schlägt es gleich in Einzelteile.-
-Kannst du mir sagen, wann er etwas mit dem Gerät macht?-
-Sicher, momentan schreit er herum und wedelt mit dem Fernglas.-
-Danke.-
Dana schnappte sich Randys Handy und durchblätterte die gespeicherten Dateien und wurde schnell fündig. Danach griff sie das Mikrophon der Anlage und wartete.
-Achtung Dana, er greift das Gerät… jetzt!-

„Das waren Muse mit Supermassive black Hole.“ Sagte Dana in das Mikrophon, so dass ihre Stimme über die Lautsprecher im ganzen Park zu hören war. „Hier ist wieder DJ Dana und euer Rockradio Mainstadt, der beste Rock am Main! Und nun, für die älteren Hörer unter euch, eine Dreierrunde Classicrock mit Bob Seger sowie im Anschluss die Georgiea Sattelits, aber den Anfang macht, für alle Freunde des gepflegten Haarschnitts, George Thorogood mit Haircut und natürlich in der fünfeinhalb Minuten Live Version.“

-Wisst ihr, dass ihr Mist… Freunde seid? Habt ihr eine Ahnung wie schwer es ist, nicht lachen zu müssen?- fragte Jerome und während Glöckner sprachlos sein Funkgerät anstarrte, erklang das Intro von Haircut im Park.
„Schalt die scheiß Lautsprecher ab!“ herrschte Glöckner Klimk an, die fluchtartig den Turm verließ.
-Achtung Klimk kommt!-
-Kein Problem, wir sind hier fertig und treffen uns mit Caroline.-
Dana öffnet mit wenigen Befehlen das BIOS System der Anlage und stellte sicher, dass Klimk die Lautsprecher nicht ausschalten konnte, bevor die drei Lieder zu Ende waren, dann zog sie das Handy vom Stecker und reichte es Randy, „Los wir müssen weg, Klimk kommt.“
Randy nickte, warf einen letzten Blick in das Büro, um sicher zu gehen, dass sie keine Spuren hinterlassen hatten, dann schlichen sie aus dem Büro in Richtung des Kellergangs, der zur Schule führte.

***

„They took one look at me and said, „Oh my god!
Get a haircut and get a real job!“ Das erste Solo setzte ein, als ich eine freie Fläche betrat, etwa zweihundertfünfzig Meter von Glöckners Beobachtungsturm entfernt.
-Hi Schatz, ich sehe dich.- teilte mir Caroline mit, die am Fenster der Schule stand.
-Und, wie bin ich?-
-Wenn du es hören willst, du bist großartig. Glöckner sieht dich gerade ebenfalls.-
-Cool.- antworte ich und legte einen drauf.
„Was tut er da?“ fragte Levi, der mit der Durchsuchung der Aktenschränke fertig war, sich neben Caroline stellte und sah, wie ich mich seltsam bewegte.
„Er tanzt einen Boogie.“
Genau das tat ich! 1-2 1-2-3 1-2-3 bewegte ich mich im Rhythmus des Songs, tanzte einen Platzwechsel und führte meine imaginäre Partnerin in ein Damensolo.
-Caroline, wir kommen jetzt rein.- kündigte sich Randy an, bevor er in Glöckners zweites Büro kam, denn er hatte keine Lust mit Levis Chemischer Keule Bekanntschaft zu machen, dann traten er und Dana ein und gesellten sich zu den Beiden am Fenster.
„Ich wusste gar nicht, dass Peter tanzen kann. Passt gar nicht zu ihm.“ Meinte Dana als sie mir zusah.
„Oh, Peter tanzt für sein Leben gerne“, antwortete Caroline, „aber nur, weil er da das Kommando hat, ihr wisst schon, der Mann führt, die Frau hat zu gehorchen…“
„Ja“, meinte Dana und schüttelte den Kopf, „das passt schon eher zu dem Peter, den ich kenne.“

***

Glöckner hatte alle Beherrschung fahren lassen. Er tobte, schrie und fluchte als ich über das Gras tanzte. Laut brüllte er drei Männer an, die durch eine Hecke keine direkte Sicht zu mir hatten an und wies in meine Richtung. Schließlich kapierten die Drei, was Glöckner von ihnen wollte und rannten in meine Richtung.
Jerome, der alles aufmerksam beobachtete, sah, wie die drei Männer in durch die Hecken rannten, aber lediglich einer wieder auf meiner Seite herauskam und dieser schaute nicht zu mir, sondern panisch hinter sich.
Ich wartete bis der Mann beinahe bei mir war, dann tanzte ich einen Platzwechsel in seine Richtung und hob den Schild, so dass er mit der Stirn genau gegen die schmale Kante lief, was ihn zu Boden gehen ließ.
Schließlich waren wir bei Bob Seger, old time rock and roll, angelangt und ich rollte „die Flanke“ bzw. das was von dem Haufen noch übrig war auf. Am Ende des Liedes waren alle zwanzig „Schüler“ KO.

***

„Zeit zu verschwinden.“ Sagte Levi und das Team schlich aus dem Zweiten Stock der Schule herunter in den Keller, wo sie zurück in die GSG schlichen, in der Klimk verzweifelt versuchte, die Lautsprecher auszuschalten. Von dort verließen sie das Gebäude durch denselben Notausgang, durch den sie eingedrungen waren und schlichen zu der Baumgrenze um dann in Richtung Zufahrt zu laufen, wo sie an der Baumgrenze warteten.

***

Im Schutz eines Baumes blieb ich stehen und schaute auf den Platz vor dem Beobachtungsturm und zum Fahnenmast. „Schaffst du den Rest?“ fragte Kenta’Mariba grinsend. Gemeinsam mit Tars’Fert waren die beiden Krieger mit mir in den Park eingedrungen, in den „Schatten“ getreten und hatten siebzehn der zwanzig „Schüler“ mit der Chemischen bzw. ihren Kriegskeulen zu Boden geschickt.

„Aber klar doch.“ Grinste ich, reichte ihm den Schild und schob meinen ESK zusammen, den ich wieder in seinen Holster steckte. Als ich losgehen wollte, hielt Kenta’Mariba mich am Arm fest. „Krieger… ich soll dich von Ma’Difgtma warnen! Der rote Schleier ist nicht dein Freund!“

„Keine Sorge, den brauche ich hier nicht.“ Antwortete ich ernst und betrat den Exerzierplatz.

***

Auch Caroline sah mich durch die Bäume auf den Fahnenmast zugehen und ihr war bewusst, dass Glöckner es nicht einfach zulassen würde, dass ich ihn auch erreichte.
-Peter! Wir brauchen ihn noch! Denk an die Warnung Mualebdas!-
-Sei unbesorgt, ich habe nicht vor, von der Klippe in den Wahnsinn zu springen.- beruhigte ich sie und hoffte, dass ich dieses Versprechen auch halten konnte.

***

Ich hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als Glöckner von seinem Platz zur Treppe des Turms rannte.
„Herr Glöckner, ich halte das für keine gute…“ den Rest von Jeromes Warnung hörte Glöckner nicht mehr, er rannte die schmale Treppe herunter und stürmte zum Fahnenmast, den er nur wenige Schritte vor mir erreichte.
„Keinen Schritt weiter!“ warnte er mich und sah mich drohend an. Betont lässig blieb ich stehen und sah ihn mitleidig an. „Hör zu du traurige Gestalt, ich hab gerade zwanzig deiner Männer niedergemacht, glaubst du ernsthaft, du könntest mich aufhalten?“ Dabei legte ich lauschend die Hand ans Ohr.“ Hör auf die Georgia Satellites.“ Warnte ich ihn, als diese gerade „keep your hands to yourself“ sangen.
„Ich glaube es nicht, ich tue es!“
„Naja, typischer Fall von Realitätsleugnung. Geh mal zum Psychiater.“ Spottete ich.
„Ich meine es ernst!“ zischte Glöckner und zog einen Totschläger aus seiner Beintasche. „Wenn du auch nur einen Schritt näher kommst, lege ich dich um!“
Als ich losgehen wollte, spürte ich die dunkle und zerstörerische Macht des roten Schleiers, der in mir lauerte und hervorbrechen wollte. Dieser Glöckner hatte ein Kind entführt, dass irgendwo um sein Leben kämpfte… er war an der Ermordung dessen Mutters beteiligt, er hatte einfach einen Hund totgeprügelt… schon begann sich mein Blick rot einzufärben und es kostete mich alle Kraft, die ich aufbringen konnte, den roten Schleier zurückzudrängen.

-PETER?!- rief Caroline verzweifelt, denn auch sie hatte die Macht des roten Schleiers in mir gefühlt.
-Alles ok, ich bin noch da!-

Ok, ich würde ihn nicht umlegen, zumindest nicht, bevor er uns zu Leonie geführt hatte, aber er sollte seine Lektion bekommen! Mit einer Bewegung zog ich den ESK, ließ ihn mit einer schnellen Bewegung ausfahren und ging auf Glöckner zu! Der kam mir entgegen, holte aus und schlug zu, doch ich tauchte unter dem Hieb hindurch und stach mit dem ESK in Glöckners Gesicht, dabei erwischte ich die Nase, die den Kopf nach hinten drückte. Mit einem Schritt war ich heran und trat ihm, nicht ganz gentlemanlike, mit voller Wucht zwischen die Beine!
Mit einem „UUFFF“ ging Glöckner zu Boden und rollte sich in die Fötus Stellung. Ich nahm ihm den Totschläger aus der Hand und warf ihn zur Seite, dann beugte ich mich zu ihm runter, packte ihn am Kragen und zog ihn ein Stück hoch. „Du hast dich mit den Falschen angelegt! Ich mach dir einen Vorschlag! Du bringst uns Leonie und dafür kannst du hier weiter General spielen, falls nicht und sollte Leonie etwas geschehen, werden wir dir zeigen wie böse wir wirklich werden können! Das Angebot gilt nur heute!“ Damit ließ ich ihn los, stand auf und holte mein Lieblingsmesser aus meiner Hosentasche und klappte es mit einer geschickten Bewegung auf. Als ich den Fahnenmast erreicht hatte, schnitt ich die Schnur durch, wartete kurz, bis die Fahne ein paar Meter neben mir zu Boden gefallen war, danach hob ich sie auf und ging damit in Richtung meines Wagens. Als ich an Glöckner vorbeikam, sah ich, wie er mich hasserfüllt anstarrte. Aber er war immer noch nicht in der Lage aufzustehen, also zog ich mir seine Fahne zwischen den Beinen durch und zog sie demonstrativ vor und zurück. „Wir sehen uns, das ist ein Versprechen!“

Vom Gebäude der GSG kam Klimk gelaufen und auch Jerome war vom Turm heruntergestiegen der nun zu Glöckner schaute, während sich dieser stöhnend versuchte zu erheben. Jerome wandte sich zu Klimk und sagte, „Äähhmmm, mein Büro wird sich bei ihnen melden. Vielen Dank für die… ähem interessante Einsicht in ihre Arbeit.“ Damit ließ er Klimk stehen und ging auf sein Auto zu.
Klimk half Glöckner aufzustehen und sah noch, wie der letzte Wagen der Kolonne die Zufahrt verließ. Kaum waren die Wagen weg, kamen einer der Vans zurück und die Männer die Klimk zum Museum nach Mainstadt geschickt hatte stiegen aus. „Das war eine Ente.“ Teilte ihr einer der Männer mit. „Es gab überhauptkeinen Bombenalarm in Mainstadt.“
Klimk, die sich mittlerweile ihren eigenen Reim auf den seltsamen Besuch gemacht hatte, fluchte und fragte Glöckner, „Was hat er gesagt?“
„Was?!“ stöhnte Glöckner.
„Stein! Was hat er zu dir gesagt, als du am Boden warst?“
„Nichts!“
„Ich hab doch…“
„NICHTS!“ brüllte Glöckner und Klimk ließ ihn los, was dazu führte, dass Glöckner wieder auf die Knie sank, also winkte Klimk einen der Männer zu sich und ließ diesen Glöckner stützen, dann wandte sie sich ab und ging in ihr Büro. Der Vorfall musste sofort Hombacher und den anderen mitgeteilt werden, doch als sie ging, hörte sie noch wie einer der Männer zu Glöckner sagte, „Chef, ich glaube einer der Wagen, war das Auto aus Dresden.“ Glöckners Blick auf den verschwinden Konvoi war vernichtend und voller Hass.

***

Am Ende der Zufahrt stieg Caroline zu mir in Blücher und wir folgen Jeromes Kolonne, nachdem dort auch Levi, Dana und Randy eingestiegen waren. Ein paar hundert Meter weiter stand ein Kleinbus mit Hannes am Steuer und unseren Freunden, sowie Kenta’Mariba und Tars’Fert, die uns folgten.
„Wie fandst du meine Tanzeinlage?“ wollte ich von meiner Frau wissen.
„Manchmal hast du einen Hang zum Übertreiben und ich könnte dir dafür in den Hintern treten.“
„Ach komm schon, das ist Spontanität und die ist einer der Gründe, wieso du mich so sehr liebst.“
„Aber nur ein Grund und der spielt nur eine geringe Rolle!“ dann grinste sie und sagte, „Dafür war der Boogie klasse. Ich hab gehört, demnächst gibt’s in St. Deister eine Party… wenn wir Leonie haben, könnten wir mal wider das Tanzbein schwingen, dann darfst du auch wieder ganz Macho sein. “ Grinste sie, beugte sich zu mir und gab mir einen dicken Kuss.

***

„Sie waren hier!“ meldete Klimk, die eins und eins zusammengezählt hatte und nun Hombacher verständigte. Dieser hatte sie, als ihm klar wurde, dass Glöckner sich zu einem Sicherheitsrisiko entwickelte, damit beauftragt ihren Chef im Auge zu behalten und notfalls einzuschreiten. Besonders hatte Hombacher sie angewiesen auf alles zu achten, was auch nur entfernt mit Soulebda zu tun hatte.
„Wer war hier?“
„Leute aus Soulebda, sie haben mehrere Fehlalarme ausgelöst, um uns abzulenken. Ich nehme an, sie sind auch in die GSG eingedrungen.“
„Durchsuchen sie alles!“ befahl ihr Hombacher. „Ich schicke ihnen einen IT Experten, der wird jede Datei untersuchen, ich will sicher sein, dass es in der GSG keine Trojaner gibt!“
„Was ist mit Glöckner? Er wird sicher nicht zulassen, dass wir solche Kosten aufbringen, um hier alles zu scannen?“
„Glöckner überlassen sie uns… wir betrauen ihn mit einer anderen Aufgabe. Deswegen betraue ich sie ab sofort mit der Führung der GSG. Die GSG gehört ab jetzt ihnen, Glöckner wird noch heute abgelöst.“

***

Mainstadt / Tel Aviv

In Mainstadt saßen bereits die vier besten Finanzermittler des BND über den Dateien der GSG sowie der GSG KG und all ihren Tochterunternehmen, während in Tel Aviv General Lem mit seiner üblichen ausdruckslosen Miene hinter Jonah und seinen Experten der IT saß.
Natürlich ließ Lem sich das nicht anmerken, aber innerlich platzte er vor Stolz! Wieder einmal hatten „seine Nerds“ es geschafft… „Wie sieht es aus?“ wollte er von Jonah wissen.
„Nun, wir kopieren den gesamten Server, damit stellen wir sicher, dass sie und nicht kalt erwischen, sollten sie die Hardware tauschen.“ Teilte dieser ihm mit, als einer der Experten seinen Kopf zu ihnen drehte. „Wir erhalten auch Daten von Major Levi, die wir mit den Daten hier abgleichen.“ Lem nickte und Jonah fragte, „Was ist mit den Deutschen vom BND?“
„Wir schicken ihnen alle Ergebnisse!“
„Verstanden, ähm… schicken wir ihnen alles?“
„In der Sache schon!“
„Ok, du bist der Boss.“

***

GSG / Mainstadt

Es war bereits später Abend, als ein Wagen vor dem Gebäude der GSG hielt und ein Mann ausstieg, der von Klimk empfangen wurde. „Guten Abend Frau Klimk.“ Stellte sich der Mann vor. „Mein Name ist Shaal’Ayns, Herr Hombacher hat mich sicher angekündigt.“ Als er galant Klimk die Hand gab.
Klimk war mehr als überrascht. Sie hatte eigentlich mit einem… tja mit was hatte sie gerechnet? Mit einem Killerkommando? Sie waren hier nicht im wilden Westen, doch mit einem so charmanten und scheinbar freundlichen Mann hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.
„Herr Hombacher hat mir lediglich mitgeteilt, dass er einen Vertrauten vorbeischickt.“
„Wollen wir uns vielleicht in ihrem Büro unterhalten?“
„Aber selbstverständlich.“ Antwortete Klimk und ging vor Charly her zu ihrem Büro.
„Erzählen sie mir, was geschehen ist.“ Forderte Charly, als sie im Büro platzgenommen hatten.
„Es begann mit einigen Fehlalarmen, die auf Grund ihrer guten Durchführung uns dazu veranlassten Personal unserer Sicherheitsabteilung von hier nach Frankfurt und Mainstadt zu schicken. Kaum waren diese Männer unterwegs, gab es einen weiteren Alarm. Glöckner wies mich an, Personal aus der Verwaltung abzuziehen und ebenfalls nach Mainstadt zu schicken. Als Grund nannte er, dass es einen kurzfristigen Termin eines Kunden bevorstand. Der Kunde war niemand Geringeres als der Chef der Soulebdalesichen Palastgarde.
Der Commander und ein Typ Namens Stein haben Glöckner beschäftigt und ich bin sicher, dass der ganze Zirkus dazu diente uns abzulenken. Ich konnte bisher noch keine Spuren eines Einbruchs feststellen… aber…“
„Ja ich verstehe.“ Nickte Charly.
„Herr Hombacher sagte, dass ich nun die Leitung der GSG übernehmen soll…,hat man dies schon Herrn Glöckner mitgeteilt?“
„Nein, das ist der Grund meines Besuches.“
„Oh, ich verstehe.“
Charly lachte in sich hinein, nein, er glaubte nicht, dass Klimk seine Aufgabe kannte. Seine Aufgabe bestand nicht darin Glöckner umzulegen, nein er sollte lediglich Glöckner darüber informieren, dass er gefeuert sei. Den „Rest“ würden die Killer der Singhs erledigen, welche an der Auffahrt zur GSG lauerten.
„Wo ist Herr Glöckner?“
„Er hat sich im Büro seiner Schule eingeschlossen und es seitdem nicht mehr verlassen.“
„Dann wollen wir ihn einmal aufsuchen.“ Meinte Charly und bat Klimk vorzugehen. Diese führte ihn zum zweiten Stock der Schule, wo sie an Glöckners Tür klopfte. Als sie auch beim dritten Klopfen keine Antwort erhielt, bat Charly sie die Tür zu öffnen, doch als Klimk ihren elektronischen Schlüssel an den Türöffner hielt, geschah nichts. Bis Klimk sich endlich Zugang verschafft hatte, dauerte es noch einmal fünfzehn Minuten und Charly wusste längst, dass Glöckner schon über alle Berge war…

***

„Glöckner hat sich abgesetzt.“ Berichtete Charly im Kreuzritter Kitzinger und den anderen. „So dumm, auf seine Killer zu warten, war er dann doch nicht.“
„Wir müssen sicherstellen, dass dieser Schwachkopf keinen weiteren Schaden anstellt. Wie schnell können sie ihn finden?“ wollte Hombacher von Charly wissen.
„Nun, da gibt es ein Problem, Leonie fordert momentan einen Großteil meiner Aufmerksamkeit. Sie ist zunehmend unkonzentriert und mit der Situation überfordert und ich fürchte, wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher. Bis ich eine Lösung gefunden habe, kann ich mich nicht um solche Dinge kümmern.“
„Um was sie sich kümmern, bestimmen wir!“ stellte Hombacher klar, doch Kitzinger hob beschwichtigend die Hand.
„Wie hoch ist das Risiko eines vorläufigen Ausscheidens Leonies?“
„Bei ihrem jetzigen Zustand, neunzig Prozent.“ Antwortete Charly, nachdem er kurz nachgedacht hatte.
„Das können wir nicht riskieren.“ Sagte Kitzinger zu Hombacher. „In ein paar Tagen beginnt ein neues Spiel, zu dem extra dieser Japaner anreist, der ein Vermögen dafür zahlt, seine Leute gegen Leonie spielen zu lassen! Wenn sie vorher ausscheidet, wäre das ein erheblicher finanzieller Rückschlag! Charly, ihre Priorität liegt bei Leonie!“
„Wie sie wünschen.“ Nickte Charly, drehte sich um, blieb aber noch einmal kurz stehen. „Darf ich noch eine Anmerkung machen.“ Fragte er und wartete, bis Kitzinger ihn auffordernd ansah. „Ich nehme an sie möchten die Singhs auch weiterhin damit beauftragen Herrn Glöckner zu finden. Ich halte das für falsch.“
„Weshalb?“ wollte Gernfried wissen.
„Nun, wer immer diese Leute waren, letztlich läuft es darauf hinaus, dass diese Staatsanwältin Winter dahintersteht. Sie wird Glöckner ebenfalls suchen lassen. Warum also ihre Ressourcen schonen und unsere verschwenden? Außerdem… wenn ich Glöckner richtig einschätze, wird er sich auf einen Rachefeldzug begehen und der wird sich in erster Linie nicht gegen uns, sondern gegen unsere Gegner richten. Wir warten einfach bis die anderen Glöckner finden und lassen die Singhs dann ihre Arbeit machen.“
Kitzinger, Hombacher und Gernfried verständigten sich mit einem kurzen Blick und stimmten Charlys Einschätzung zu. „Sie haben Recht.“ Nickte Hombacher und wandte sich an Gernfried. „Nimm Kontakt zu den Singhs auf, sie sollen warten, bis wir ihnen das OK geben.“

***

Über die Berge war Glöckner noch nicht gekommen, dennoch hatte er gewusst, dass es Zeit war zu verschwinden. Wieder einmal hatte ihn sein Ehrgeiz ins Verderben gestürzt. Statt auf seine innere Stimme zu hören und den „Vorstand“ vom Anruf der Soulebdalesen zu unterrichten, hatte er gehofft den Commander der Palastgarde als Partner gewinnen zu können. Erst als Stein ihn aufforderte, ihm Leonie zu bringen war Glöckner ein Licht aufgegangen. Während er sich von Steins fiesem Tritt erholte, wurde ihm bewusst, dass diese Schweine ihn hereingelegt hatten! Mit Sicherheit waren sie in die GSG eingebrochen und hatte die Computer infiziert, um Leonies Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Schon bei dem Gedanken, was sonst noch alles auf den Computern gespeichert war, wurde Glöckner übel, denn im Gegensatz zu Klimk wusste Glöckner nur allzu gut, was Hombacher, Gernfried und Kitzinger trieben und woher das Geld für die Firma kam.
Nach einer gründlichen Analyse wusste Glöckner, dass es nur einen Ausweg gab, nämlich zu verschwinden! Der Vorstand hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, welche Konsequenzen bei einem neuerlichen Versagen drohten… und das heute war eindeutig ein Versagen! Also lehrte Glöckner seinen Tresor, steckte sein gesamtes Geld ein, leerte seine Onlinekonten und stellte sicher, dass ihn das Geld nicht so schnell ausgehen würde.
Doch auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen blieb er am Straßenrand stehen. Er konnte nicht einfach abhauen! Glöckner wollte Rache! Dieses Arschloch Stein hatte SEINE FAHNE! Klimk hatte SEINE SCHULE! Beides war für Ferdinand Glöckner nicht akzeptabel! Noch während er den Wagen wendete, schmiedete er einen Plan zu Recht. Als Erstes musste er den „Vorstand“ davon überzeugen, dass er weiterhin der Beste war. Das beste Argument war, herauszufinden wo sich Dressler aufhielt. Und Glöckner wusste nur allzu genau, wie er das herausfinden konnte…

***

Ein neues Spiel

Leonie trat aus der Dusche und Miriam, die neue Hausdame, legte ihr ein weiches, gutriechendes Frottee Badetuch über und rieb Leonie damit sanft trocken. Miriam war seit dem Tag in dem Haus, als Lady Doria verschwunden war.
Charly hatte den Mädchen gesagt, dass Lady Doria in ein anderes Land versetzt wurde und nicht mehr für sie zuständig wäre. Dann stellte er Miriam als die Nachfolgerin vor.
Miriam Deubtzer, wie sie hieß, war eine sehr gute Erzieherin, die sich bereits in den USA, China und England bei diversen Auftraggebern einen Namen gemacht hatte.
In dem neuen Haus waren wieder andere Mädchen mit eingezogen und einige von Leonies Freundinnen fehlten stattdessen. Inzwischen waren solche Veränderungen für Leonie nichts Neues mehr, aber wenn sie abends in ihrem kleinen Zimmer lag, da weinte sie leise und wünschte sich ihre Mama herbei.
Charly hatte diese Veränderungen natürlich mitbekommen, schließlich überließ er nichts dem Zufall und hatte die Schlafzimmer der Mädchen in die Überwachung mit einbezogen. So entging ihm auch nicht, dass Leonie ab und an im Schlaf nach ihrer Mutter rief.
„Miriam, was hältst du von ihrer Entwicklung?“, fragte Charly die Erzieherin bei ihrem abendlichen Jour Fixe.
„Die letzten beiden Runden hatte Leonie noch problemlos geschafft, aber in der Runde gestern habe ich die ersten Anzeichen der Ermüdung gesehen. Sie braucht einen Ansporn, um weiterzumachen. Etwas, das sie mit ihrer Mutter verbindet. Können wir einige Bilder von ihr besorgen?“
„Nein ihre Mutter ist längst verbrannt und treibt als Asche über das Land. Das haben wir nicht optimal gelöst, wir müssen eine andere Motivation finden. Was schlägst du vor?“
„Welche ihrer ersten Spielerfreundinnen lebt denn noch?“
„Jaqueline aus der vorletzten Spielreihe. Mit der konnte Leonie ganz gut und sie hatten sich auch angefreundet. Jaqueline wurde jetzt in einen anderen Spielbereich abgeordnet, jetzt macht sie als Nummerngirl beim Boxen mit.“
„Holt sie dort heraus, überlasse die kleine Jaqueline mir und ich bereite sie vor. Eine Woche, dann hast du die herzensgute Freundin, die deine Leonie wiederaufbauen kann. Wenn wir das nicht tun, verlieren wir die Kleine für immer.“
„Kommt gar nicht in Frage, ein zu frühes Ausscheiden ist nicht erwünscht, wir haben zu viel investiert und die nächsten drei Spielwochen sind für den kommenden Monat gebucht. Die Kleine muss funktionieren.“
„Dann schaff mir Jaqueline her!“
Die Verhandlungen um Jaqueline verliefen anfänglich nicht sehr gut. Charly war daher in Frankfurt/Oder vorgefahren und hatte dem dortigen Spielleiter seine Bitte übermittelt. Ausschlaggebend für die Zusage des Spielleiters war die Tatsache, dass Charly zwei der Geliebten des Spielleiters in dessen Büro die Kehle aufgeschlitzt hatte.
„Was willst du mit der Kleinen. Die kann nicht mal richtig blasen und im Bett ist sie auch noch keine gute Nummer, weshalb gerade die?“
„Die wird mein Spielzeug für ein anderes Mädchen, das ich ein wenig motivieren möchte und jetzt lass mir die Kleine bringen.“
Auf der Heimfahrt begann Miriam sofort mit der Konditionierung der kleinen Jaqueline. Drei Tage später wurde Jaqueline erstmals in das neue Haus einquartiert und Leonie nur für einige Minuten gezeigt. Am vierten Tag trafen sie erstmals aufeinander und aßen Mittag und hatten einige Stunden für sich.
Miriam ließ die beiden keine Minute aus den Augen und sorgte für ein reibungsloses Training.
Eine Woche später stand ein erneuter Umzug an und das neue Haus lag etwas außerhalb des Stadtkerns. Dichte Büsche und Sträucher umgaben das Anwesen und ein schöner Park rundete erstmals das ganze ab.
„Leider haben wir ein Zimmer zu wenig, ihr könnt nicht alle ein eigenes Zimmer haben. Zwei müssen zusammenziehen. Das werdet ihr beide sein. Leonie als die jüngste und Jaqueline als unsere Neue.“ So wurden die beiden Mädchen verkuppelt und Miriam sorgte dafür, dass ja alles so ablief, wie es geplant war.
Abends saßen die beiden auf der Couch und redeten über dies und das, dabei zeigte Jaqueline Leonie ihr Fotoalbum. Es war angebrannt und einige Bilder und ganze Seiten waren angebrannt, aber jedes Bild, das die beiden sich ansahen, hatte eine eigene Geschichte.
„Wer ist denn die Frau da bei den Männern?“ Leonie war ein Bild ins Auge gestochen und darauf erkannte sie eine Bluse ihrer Mutter.
„Zeig mal.“, Jaqueline schaute sich das Bild an. „Ja das ist eine Frau, die hat man von ihrer Tochter getrennt und die spielt seither um ihre Freilassung. Kennst du die Frau etwa?“
„Ich bin mir nicht sicher, aber diese Bluse hatte meine Mutter getragen, das war im August.“
„Die schaut aber recht jung aus, schade dass der halbe Kopf verbrannt ist, ich suche mal, ob ich noch ein besseres Bild finde, aber die dem Hausbrand habe ich so viel verloren.“
Einen Tag später hatte Jaqueline ein Bild gefunden, bei dem ein Teil des Gesichts zu erkennen war und Leonie erkannt darauf ihre Mutter.
„Das da, wo hast du das her, das ist meine Mutter, das ist meine Mum…“
„Das war ein Bild meiner Tante, die steht neben deiner Mum und die Bildhälfte ist verbrannt, das war Zufall. Das ist wirklich deine Mum?“
„Ja, bitte zeig nochmal…“ Leonie betrachtete das Bild und es zeigte tatsächlich einen Teil des Gesichtes. Zumindest den Teil, der mittels Photoshop aus der Ausweisstelle das Gesicht von Leonies Mutter eingebunden hatte. Die Brandspuren machten das Bild authentisch.
„Mama… weißt du, wo die heute sind?“
„Ich habe gehört, dass die im nahen Ausland spielen, Frankreich oder Marokko, genau weiß ich das nicht.“
Leonie betrachtete das Bild, drückte es mehrfach an ihre Brust und lächelte Jaqueline an. „Dankeschön, das ist meine Mama, ich habe sie so lange nicht mehr gesehen und weiß jetzt, dass sie noch lebt.“
„Lenonie, du bist doch meine Freundin, meine einzige in diesem Haus. Ich schenke dir das Bild. Das ist jetzt dein Bild, das von deiner Mum.“
Mit großen Augen nahm Leonie das Bild dankbar an und umarmte Jaqueline, gab ihr danach einen dicken Kuss auf die Wange. „Danke, das ist sooo lieb von dir.“

***

Hab ich dich

„Wir haben die Kleine!“, stellte Charly fest, als er das Video betrachtete. „Lass Jaqueline weiterhin in ihrer Nähe sein, teil sie zu anderen Aufgaben ein. Ab sofort fährt die jeden Spieltag mit uns mit. Die wird natürlich nicht spielen, sondern andere Dinge arbeiten. Sorge dafür, dass die beiden abends Zeit für sich haben.“
„Wann gehen die nächsten Spiele weiter?“
„Bereits morgen und da brauche ich eine Leonie, die bereit ist, alles zu unternehmen, um zu gewinnen. In der Zwischenzeit lasse ich von unseren IT Fuzzi eine plausible Geschichte zusammentackern, die aufzeigt, dass die liebe Mutter von Lager zu Lager wechselt und viel erlebt.“
Der nächste Spieltag kam und wieder trug Leonie neue Kleider. Diesmal ein wunderschönes Kleid, ganz in Blau gehalten. Leonie war in herrliches Grün gehüllt und sie bestiegen der verdunkelten Van.
Inzwischen wusste Leonie gut, was die Strecke alles bot. Zwei Bahnübergänge, einen Bachlauf, dazu Fahrten mit zwei Geschwindigkeitsbegrenzungen. Danach waren es nur noch acht bis zehn Minuten und sie waren in der Tiefgarage.
Erneut wurden die Spielregeln vorgestellt und der Priester erklärte ausladend, was alles zu beachten sei. Leonie aber schaute sich den zweiten Priester an. Der war die letzte Zeit immer öfter bei den Spielen mit dabei und hatte bereits bewiesen, dass er Streitigkeiten schlichten konnte.
Damit betrachtete Leonie die anderen Spieler um sich herum. Zwei junge Frauen, eine davon hatte deutliche Spuren von Gewalt im Gesicht, dazu eingefallene Wangen und die Augen waren nicht sehr froh. Das zweite Mädchen sah aus, als hätte man sie zu oft gewinnen lassen. Sie hielt das offenbar alles noch für ein Spiel.
Leonie grauste, als sie an die anderen dachte, die sie hinten gesehen hatte und die ihr höchstes Gut verloren hatten. Dieses zweite Mädchen sah so aus, als würde sie recht früh ausscheiden.
Dann kamen zwei Männer in ihr Blickfeld. Einer der beiden machte einen gebrochenen Eindruck, ein Buchhalter oder jemand aus dem Büro, dachte sich Leonie.
Der andere Spieler in Weiß hatte kalten Hass im Blick und schaute die Spieler ebenfalls an. Auch er musterte die Gegner, mehr waren die anderen Spieler für ihn nicht. Leonie schaute er nur kurz an, dann ging sein Blick weiter. Offenbar war die Kleine für ihn kein Gegner.
Ehe Leonie alle anderen angesehen und eingeschätzt hatte, war der Priester mit der Einführung fertig und alle nahmen sie Platz. Das Spiel konnte beginnen.

***

Neues Spiel – neuer Tod

Das neue Spiel begann und wie nicht anders erwartet, fielen die ersten Fische bei allen in etwa gleichzeitig. Bald hatten außer dem Spieler in Weiß alle anderen nur noch einen Fisch und er alleine noch zwei.
Leonie war erneut ganz bei der Sache, aber sie konnte sich nicht so perfekt in das Spiel finden, wie vor einigen Wochen. Dennoch gelang es ihr, die nächsten Fische vorherzusagen, wenn auch nur innerlich.
Zuerst traf es die junge Frau mit dem eingefallenen, kraftlosen Gesicht. Sie begann laut zu weinen und wurde nach hinten aus dem Spielbereich getragen. Der Priester der im Schatten stand, begleitete sie und plötzlich verstummte das Weinen.
Als Nächstes musste der Spieler in Weiß einen seiner beiden Fische abgeben, was ihn sichtlich nervös machte. Danach verlor Leonie ihren letzten Fisch.

Jetzt hatten nur noch der Spieler in Weiß einen Fisch. Einer der Bürospieler, wie Leonie die beiden eingeordnet hatte verlor das Spiel und musste nach hinten gehen, ehe er aus dem Raum ging, rief er noch „Ich wähle selbst wie es geschieht, kein Priester wird mich anfassen.“ Damit verließen er und der Priester den Raum.
Der Spieler in Weiß schaute jetzt nur noch auf Leonie. Sie hatte keinen Fisch mehr und blieb dennoch Runde um Runde im Spiel. Als die zweite junge Frau verlor und weinend aus dem Raum geführt wurde, schien der Spieler in Weiß Leonie geradezu mit den Augen durchbohren zu wollen. Erst da wurde Leonie klar, dass nur noch der Mann und sie im Spiel waren und der Mann hatte noch einen Fisch, während sie keinen mehr hatte.
„Das nächste Spiel bitte, Weiß dreht!“ Befahl der Spielleiter und der Mann in Weiß drehte den Dolch so stark, dass er aus der Halterung sprang und auf den Boden fiel. Im gleichen Moment war der Mann in Weiß auch am Boden und hatte den Dolch in der Hand. Er stand gemächlich auf und wollte den Dolch gerade einsetzen, da rief der zweite Priester, der nahe bei den Türen im Schatten gestanden hatte „Stopp!“
Der Spielleiter und der Spieler in Weiß schauten erstaunt zu dem zweiten Priester. Der Spieler in Weiß beschwerte sich sogar. „Was soll das, das ist ein laufendes Spiel, unterbrich das Spiel nicht!“
„Der Dolch ist ausgetauscht, der Spieler hat gegen die Regel verstoßen, der richtige Spielerdolch befindet sich in seiner linken Tasche der Hose.“
„Blödsinn!“ Schrie der Spieler in Weiß und drehte den Dolch auf dem Spiel Rad, jedoch der Spielleiter stoppte den Dolch.
„Ich muss dem Vorwurf nachgehen. Spieler in Weiß, leere deine Tasche auf dieses Tablett und kehre die Taschen nach außen, so dass wir sie sehen können.“ Langsam kam auch der Priester nahe der Tür näher an den Spieltisch heran und stellte sich neben Leonie.
„Das steht so nicht in den Spiel Statuten, dass man seine Taschen leeren muss, ich beschwere mich!“ Der Spielleiter kam näher an den Spieltisch und schaute den Spieler in Weiß direkt an.
„Ich bin der Priester, der alles überwacht, ich bin Leiter, Helfer, Priester, Richter und Henker in einer Person!
Auch du hast die heiligen Regeln gelesen und du hast sie mit Blut unterschrieben. Diese uralten Regeln sind bindend und geben kein Pardon. Und jetzt leere deine Tasche nach außen!“
Der Spieler in Weiß wurde unsicher und griff in seine Tasche. Er verweilte kurz darin und nahm einige Gegenstände und legte sie auf das Tablett auf dem Spieltisch. „Weiter, alles ausleeren und die Tasche nach außen stülpen.“ Erneut griff der Spieler in die Tasche und die ersten Tropfen Schweiß sammelten sich auf seiner Stirn.
Leonie schaute sich den Spieler mit dem schweißnassen Gesicht an und danach den Priester und Spielleiter. Auf seiner Stirn war kein Tropfen Schweiß zu sehen, aber der Blick war plötzlich irgendwie steif geworden und die Augen blieben offen, sie blinzelten nicht mehr.
Mit einem Ruck riss der Spieler etwas aus der Tasche und warf es auf Leonie. In diesem Moment kam es Leonie so vor, als bliebe die Zeit stehen um dann deutlich langsamer wieder anzulaufen. Sie sah den rotierenden Dolch auf sich zufliegen. Zugleich schlug der Spielleiter dem Spieler auf Schulter und Becken und brachte den Spieler zu Fall. Direkt vor sich sah Leonie, wie der zweite Priester seine Hand vor Leonies Gesicht hielt und mühelos den rotierenden Dolch fasste. Die Hand des Priesters bebte kurz, dann hielt sie den Dolch fest.
Einen Moment später fühlte sich Leonie, als wäre irgendwo ein Blitzlicht aufgeflammt und hätte alles wieder in die richtige Geschwindigkeit zurückgebracht. Leonie schaute den Priester mit dem aufgefangenen Dolch dankbar lächelnd an und der Priester schaute zu Leonie. In seinem Gesicht war jedoch keine Regung zu erkennen, der Blick war nüchtern und kalt.
„Danke“, flüsterte Leonie und jetzt nickte der Priester leicht. Währenddessen hatte der Spielleiter dem Spieler in Weiß auf die Beine geholfen und brüllte ihn an.
„Du hast gegen die heiligen Regeln des Kum’do verstoßen. Damit verlierst du dein Anrecht auf die Teilnahme am Spiel auf Lebenszeit. Deine Fische werden eingezogen, deine Spielfarbe auch und du musst uns sofort verlassen.“
„Papperlapapp, diese Göre hier hätte sowieso nicht gewonnen. Habe ich zumindest das Recht des Kum’lapp, das Recht auf Rückerlangung meiner Ehre?“
Der Spielleiter nickte dem Spieler in Weiß zu. „Ja diesem Recht stimme ich zu, du darfst dich also auf Soulebda der Reinigung durch die Vulkane stellen. Dieses Recht hast du… Gehe mit meinem Priesterkollegen und finde deine Erleuchtung.
Während der Spieler in Weiß mit dem zweiten Priester den Raum verließ, wurde Leonie als Gewinnerin erklärt und das Spiel endete hier. Endlich gab es eine kleine Pause.

***

Charly hatte neben Leonie Platz genommen und reichte ihr einen kühlen Fruchtsaft. „Leonie, das war so nicht vorgesehen, leider kann ich nicht erkennen, was die Menschen vorhaben. Ich bin aber froh, dass dir nichts geschehen ist.“
„Was geschieht mit dem Mann in Weiß, darf der an den Vulkan zurück?“
„Der wird nicht nur an den Vulkan zurück, der wird in den Vulkan gehen und somit seine Schuld einlösen. Das ist leider nicht das erste Mal, dass so etwas vorkommt. Wir hatten vor 20 Jahren schon einmal einen solchen Fall. Auch damals hat der Vulkan den Spieler gerichtet.“
Ein Gong ertönte und gab damit allen das Signal, dass die Runde zwei beginnen würde.

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Runde zwei

Die Spielrunde zwei war etwas Neues für Leonie, bestanden doch alle Spielenden aus Mädchen und Frauen.
Spielerin Weiß war eine sehr junge Frau, die keinerlei Spielerfahrung hatte und bestimmt nicht wusste, dass sie hier und heute ihr Leben verlieren könnte.

Spielerin Gelb dagegen war eine Amazone mit langem blonden Haar, durchtrainierten Muskeln und einem sehr ausgeprägten mächtigen Busen. Jede ihrer Bewegungen wurde von den Männern im Raum mit einem Murmeln begleitet. Leonie vermutete, dass diese Frau bereits einige Spiele durchlaufen und gewonnen hatte.

Spielerin Rot wurde als „die Russin“ bezeichnet, sie hatte eine kräftige Statur, rabenschwarzes Haar, einen ausladenden Busen und Arme, die einem Kugelstoßer Angst gemacht hätte. Diese Frau hatte so gut wie keine Mimik, weshalb sie auch als Bärenfrau bezeichnet wurde.

Spielerin Schwarz indes sah hier verloren aus. Ihre Figur und Gesichtszüge sahen sehr fein aus. Die saphirfarbenen Augen hinterließen bei allen einen unglaublichen Eindruck. Ihr Körper hatte Modellformate und die Beine waren schier endlos.
Was die Frau hier machte, konnte sich keiner so ganz vorstellen, irgendwo in einem Tempel der Liebe wäre sie deutlich besser aufgehoben.

Spielerin Grün schien alle anderen mit ihren Augen zu taxieren. Abwartend wie eine Spinne im Netz schaute sie sich in aller Ruhe die anderen an und machte sich dann spielbereit. Leonie konnte diese Frau überhaupt nicht einschätzen.

Schließlich noch Leonie als Spielerin in Blau.
Nachdem der Spielleiter die Regeln erklärt und alle Spielenden an ihren Plätzen saßen, begann das zweite Spiel des Tages. Das Licht wählte diesmal Leonie als erste Spielerin aus und Leonie drehte den Dolch. Grün war die Farbe und keiner der Spielenden verzog das Gesicht. Noch ging es um nicht viel. Die Spielerin in Grün drehte und erneut kam Grün zum stehen.
Jetzt wurden die ersten Gäste neugierig und man hörte hier und etwas murmeln. Aber bei dem nächsten Durchgang kam Rot und die Spannung sank wieder. Nach und nach wurden die Spielerfische weniger und die erste, die ausschied war die Frau in Grün. Sie stand da und konnte es nicht fassen. „Das… das ist das erste Mal, dass ich ausscheide.“
„Und das letzte Mal, dass du ausscheidest. Du Versagerin, das war doch einfach.“, ergänzte die Russin in Rot. Die Verliererin wählte den Priester und verließ den Raum.
Erneut drehte sich der Dolch. Die Frau in Weiß, der Leonie keinen einzigen Zug zugetraut hatte, war die Nächste, die ausschied. Sie stand mit zitternden Beinen auf und weinte. „Ich wollte doch meinen Kindern eine Ausbildung ermöglichen und jetzt haben sie alles verloren, keinen Vater und keine Mutter und kein Geld mehr, alles ist verloren.“
Am Ende wählte auch sie weinend den Priester, der ihr das Leben nehmen würde und verließ schluchzend den Raum.
Die Spannung stieg wieder, nach und nach wurden es weniger Fische und dann traf es auch die Russin. Fluchend und spuckend ging sie in Richtung des Ausgangs. „Ich brauche keinen von den verfluchten Priestern, ihr habt mir im Leben nicht geholfen, dann sollt ihr mir auch nicht beim Übergang helfen.“
Leonie hatte noch einen Fisch, die gelbe Amazone ebenfalls und die Frau in Schwarz verlor gerade ihren letzten Fisch. Jetzt wurden die Zuschauer wieder unruhiger, die Amazone und die Frau in Schwarz, das waren eindeutig die Favoriten der Gäste, da störte Leonie nur.
Als Leonie ihren letzten Fischer verloren hatte, freuten sich die Zuschauer und die Wetten gingen weiter nach oben, jedoch wurde an der anderen Seite des Raumes auch gewettet und das ging gegen die Amazone. Unruhe breitete sich aus, als auch der letzte Fisch verloren ging und jetzt alle drei Frauen ohne einen Fisch dastanden.
Leonie schaute in die Gesichter der beiden Frauen als der Dolch erneut gedreht wurde und dann langsamer wurde. Die gelbe Amazone hielt es fast nicht mehr auf ihrem Sitzplatz nur die Schwarze und Leonie schauten sich beide lächelnd an, sie würden offenbar jedes Urteil annehmen. „Was glaubst du, wer kommt jetzt?“ Fragte die Frau in Schwarz Leonie. „Ich denke, die Gelbe wird uns jetzt verlassen.“
Da fuhr der Kopf der Amazone herum und sie schaute wie von Sinnen zu Leonie. „Und wenn du drankommst, dann lache ich und tanze auf deinem Grab du kleines unnützes…“
„Gelb!“ Diese Ansage ließ die Amazone mitten im Satz verstummen. „Das glaube ich nicht, wieso nicht Blau, dieses rotzfreche Gör hätte eine Abreibung verdient.“
„Aber unser Gott ist launisch und er erhört uns Menschen nicht immer. Heute hat er sich gegen dich gestellt, oh werte Farina, du kampferprobte Amazone. Leider scheidest du aus. Wähle, wer dein Schicksal vollendet?“
„Ich wähle dich, oh hoher Priester, ich möchte, dass du mir dein Messer von vorne mitten durch die Brust und das Herz stößt, aber langsam und ohne ein Zeichen von Gnade, ich habe das Töten genossen in meinem Leben, so will ich auch den eigenen Tod genießen.“
„Wohlan lass uns gehen.“ Und zusammen mit dem Priester verließen sie den Raum und nach fünf Minuten kam der Priester alleine zurück.
„Letzte Runde, wir werden sehen, wie sich unser Gott heute entschieden hat. Für die Fleischeslust oder die reine Unschuld. Und nun spielt!“
Der Zufallsgenerator bestimmt die Frau in Schwarz und sie drehte den Dolch. Mit kräftigem Schwung rotierte er und im Raum herrschte eine beängstigende Stille. Nur noch Blau und Schwarz waren im Spiel und der Dolch näherte sich Blau, drehte gerade noch weiter und blieb im Schwarzen Feld stehen. Ein Raunen lief durch den Raum und von allen Ecken hörte man Menschen, die langsam lauter wurden.
Der Priester kam zu den beiden Spielern am Tisch und schaute der Frau in Schwarz in ihre verführerischen Augen. „Du kennst die Regeln und du weißt, dass du dich entscheiden musst.“ Die Frau in Schwarz stand auf, brachte ihren verführerischen Körper vor allen Zuschauern nochmals voll zur Geltung und flüsterte geradeso laut, dass Leonie und der Priester sie hören konnte.
„Ich möchte, dass diese kleine Leonie mich die letzte Viertelstunde meines Lebens nackt in den Armen hält, ehe ich gehe und du mein werter Priester sollst mich dann in die andere Welt schicken, aber diese eine Viertelstunde gehört die Kleine mir.“
Der Priester schaute Leonie an und lächelte. „Tatsächlich gibt es dieses Recht, es wurde nur noch nie beansprucht. Aber sei es, wie es ist, du hast gewählt und so wird es geschehen.“ Damit schaute er Leonie an. „Meine Liebe, du wirst also gleich mitgehen und erleben wie der Übergang ist, bereite dich vor.“
Leonie wurde als die Gewinnerin vorgestellt und eine Spielpause von einer Stunde ausgerufen.

***

Im Nebenraum hingen bereits die Verlierer an den Fleischerhaken. Weiß und Rot schienen gelitten zu haben, denn ihre Gesichter waren entstellt. Die Spielerin Grün hing einfach im Haken und hatte einen nichtssagenden Gesichtsausdruck. Anders die Spielerin in Gelb, die Amazone hatte ein Schwert mitten durch Brust und Herz getrieben und hing mit einem Lächeln im Gesicht am Haken.
Die Spielerin in Schwarz begann sich zu entkleiden und auch Leonie legte ihre Kleider ab. Dann legte sich die Schwarze auf eine Unterlage und lud Leonie ein, sich auf sie zu legen. Als sie auf ihr lag, streichelte die Schwarze Leonie und küsste sie zärtlich. „Ich weiß, wer du bist und ich habe deine Mutter gekannt, als sie noch hier bei uns lebte. Wir standen uns so nah und wollten sogar zusammenziehen.“
„Was weißt du noch von ihr, hast du eine Adresse, ist sie gefangen?“
„Ich weiß nur, dass sie nicht mehr in Deutschland ist meine Unschuldige, komm einmal noch zu mir und lass mich dich halten, nur einmal noch.“ Die Frau, die schwarz getragen hatte, umarmte und liebkoste Leonie, doch da trat der Priester hinter die Frau und plötzlich erloschen ihre Reaktionen. Leonie lag auf der Frau und hielt sie noch als die Augen bereits das Leuchten verloren.
„Es ist vorbei, die Zeit ist abgelaufen, es ist so, wie sie es wollte nun zieh dich wieder an meine liebe Leonie, dieses Spiel hast du bestanden und du hast gut gespielt. Ich muss jetzt die Schwarze neben die anderen aufhängen und bereitmachen für die Beweissicherung.“
Während sich Leonie langsam anzog, schaute sie den Priester an. „Was für eine Beweissicherung denn, wer will denn wissen, dass die hier die Verlierer sind?“
„Na all die Spieler auf der ganzen Welt, oder hast du geglaubt, dass nur dieser Raum hier voller Menschen wettet?“
„Sind das noch viele da draußen?“
„Oh ja da draußen sind das Tausende und die Beträge, die da gewettet werden, sind unglaublich. Ihr leistet hier tatsächlich einen hohen Beitrag zum Wirtschaftswachstum, zumindest unserem.“
Damit begleitete der Priester Leonie aus dem Raum und sie sah noch, wie die Frau in Schwarz, die Leonie so gefühlsvoll in den Armen gehalten hatte, mit dem Nacken in den Fleischerhaken gehängt wurde und neben die anderen Frauen aufgereiht wurde.

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Runde drei

Draußen wurde Leonie bereits von Charly erwartet. „Du hast dich gut geschlagen meine Liebe und hast alles getan, was ich mir von dir erhoffe. Deine Gewinne sind gut und du wirst, wenn du weiterhin so gut spielst in wenigen Monaten deine Mutter freikaufen können. Du musst aber weiterhin so konzentriert spielen wie bisher.“
Leonie schaute in die Augen von Charly und Charly erkannte, dass sie nicht mehr so leichtgläubig war, wie noch vor wenigen Wochen. Leonie hatte sich weiterentwickelt und er musste dafür sorgen, dass sie auch weiterhin spielen würde. Schließlich ging es um unglaublich viel Geld.
Leonie aß etwas Gebäck und trank eine frische Limonade, da setzte sich Charly neben sie. Er begann ebenfalls etwas Gebäck zu knuspern.
„Was geschieht eigentlich mit all den Menschen, die hier ihr Leben verlieren?“
Charly schaute sie an und erwartete eine weitere Frage.
„Ich meine die müssen doch irgendwann beerdigt werden oder sonst wie beigesetzt werden, was geschieht denn mit all den Leuten?“
„Zunächst sind das keine Leute mehr Leonie, wenn die erst verstorben sind, dann sind das nur noch Leichen und wir sorgen dafür, dass die ihre letzte Ruhe finden. Wir sorgen sogar dafür, dass ihr Ableben nicht ohne Nutzen für die Nachwelt ist, sie können also alle in Ruhe gehen.“

Charly sah Leonie an, dass sie diese Antwort nicht zufriedenstellte, aber für heute sollte sie auch nicht mehr erfahren, schließlich lag die dritte und letzte Runde des Tages noch vor ihr.
Leonie aber fasste sich den Entschluss, herauszufinden, was mit den Menschen geschieht. Dass es eine richtige Beweissicherung gab, in der festgestellt wurde, dass die Verlierer tatsächlich ihr Leben gegeben hatte, wusste Leonie ja inzwischen.
Und die Bestattung würde sie auch noch erfahren, das hatte sie sich fest vorgenommen.
„Bitte mach dich langsam fertig, in einer halben Stunde geht es zum letzten Mal für heute los. Die Dame da drüben hilft dir, dich einzukleiden.
Die Spieler heute sind etwas Besonderes. Die haben alle etwas getan, für das sie Rechenschaft ablegen müssen und das werden sie heute vor ihrem Gott tun. Du bist dabei die einzige Frau unter all den Männern.“
Leonie wurde wie ein Schulmädchen angezogen. Weiße Socken ein mittellanger Rock und eine weiße Uniformjacke, die an Schulkleidung erinnerte. Ihre Haare wurden mit zwei Zöpfen versehen und Leonie sah aus wie eine kleine Schülerin aus Japan.
„Was soll das denn sein, so laufe ich aber nicht draußen auf der Straße herum.“
„Nein, so wirst du auch nicht herumlaufen. Das ist deine Uniform für heute Abend und heute ist ein besonderer Tag. Der ehrenwerte Mirasoka San besucht uns und bringt seine Schuldbefleckten mit. Das sind jene fünf Menschen, die in Ungnade gefallen sind.
Und so ging die kleine Leonie in Begleitung zweier Japaner in schwarzer Kampfmontur in Richtung Spielhalle. Dort hatten sich deutlich weniger Menschen versammelt, aber alle sahen sie asiatisch aus.
Leichte japanische Musik lief aus den Lautsprechern und Leonie nahm auf dem weißen Stuhl Platz. Ein Gong ertönte und aus einer Seitentür brachte man fünf Männer in roten Anzügen. Nur die Farbe der Krawatten machte klar, wer sich, an welchen Platz zu setzen hatte.
Leonie betrachtete die Anzugträger, sie sahen alle wie Angestellte aus, die 20 oder mehr Jahre im Betrieb gearbeitet hatten und keiner der am Tisch sitzenden machte irgendwelche Anstalten zu fliehen.
Mit einem zweiten Gong kam der Priester in den Raum und gleichzeitig fünf weitere Männer, die wie japanische Krieger gekleidet waren und ihr Katana, das gekrümmte japanische Kampfschwert trugen.
Der Priester erklärte wie bereits vorher die Spielregeln, jedoch diesmal wurden diese über Lautsprecher auch übersetzt. Leonie erhielt von dem Priester den Dolch und setzte ihn ein, drehte den Dolch und alle warteten, bis er auf einer Farbe zum Stehen kam. Die erste Farbe war Gelb.
Jetzt erkannte Leonie den Unterschied. In der japanischen Variante gab es nur einen Durchlauf und der Verlierer wurde vom Tisch gebracht und musste den Kopf in eine Kiste stecken. Einen Moment später schlug etwas gegen die Kiste und der Körper des Japaners zitterte, wurde langsamer und schließlich ebbte das Zittern ab und der Körper hing still in der Kiste. Als der Körper zurückgezogen wurde, war der Kopf mit einem Sack bedeckt.
Leonie erkannte nicht, was geschehen war, aber das verlange auch keiner von ihr, sondern nur, dass sie die nächste Farbe ausloste. Bei jedem Durchlauf traf es einen der anwesenden Japaner und ein jeder steckte seinen Kopf in die Kiste und starb, ohne dass Leonie erfuhr wie, oder woran. Schließlich kam die letzte Farbe dran und auch dieser Mann verlor sein Leben in der Kiste. Nun lagen hier fünf tote Japaner und alle hatten sie einen Sack über dem Kopf.
Erneut kam der Priester hinzu und erklärte das Spiel für den heutigen Tag für beendet.
Charly kam aus einer der Türen zu Leonie und nahm sie in den Arm. Einige Japaner grüßten Charly, indem sie sich tief vor ihm verbeugten.
„Die kennen dich?“ Charly lächelte Leonie an. „Oh ja, auch in Japan kennt man meine Kunst.“ Zusammen warteten sie noch, bis der Spielraum geleert war, dann schaute Charly Leonie prüfend ins Gesicht.
„Hast du heute etwas Neues über deine Mutter erfahren, wo sie ist und wie es ihr geht?“
„Nein! Leider habe ich gar nichts erfahren, dass ich nicht schon wusste. Der Tag war vielleicht für das Spiel gut, aber ich fühle mich nicht als Gewinner. Was ist mit den Spielern in der Kiste passiert, woran sind die gestorben?“
„In der Kiste befindet sich eines der Fabeltiere der Japaner. Es handelt sich um eine Art Tintenfisch, der an Land leben kann und sich von den Seelen der Menschen ernährt.“
„Und was ist da wirklich drin, es gibt keine Fabeltiere in Form eines Tintenfisches, der an Land lebt, so etwas habe ich noch nie gelesen und ich lese viel.“
„Gut Leonie. Dann will ich es dir sagen. Es handelt sich in der Kiste um einen Inlandstaipan, das ist eine der gefährlichsten Giftschlangen der Welt und sie ist auch noch aggressiv. Die Samurai Krieger waren nicht als Wächter, sondern zu unserem Schutz da.“
„Darauf muss ich aber nicht stolz sein, ich habe ja nur den Dolch gedreht. Das war keine Leistung.“
„Das solltest du aber, stolz sein. Immerhin hast du heute dreimal gegen sehr gute Spieler erfolgreich gespielt und alle Durchläufe mit Bravour bestanden.“
Damit war der Tag endlich vorbei und es ging zurück auf das Grundstück mit dem schönen neuen Haus. Endlich konnte sich Leonie wieder mit Jaqueline treffen und zusammenspielen.
„Ist Jaqueline vorbereitet, weiß sie, was sie wann zu sagen hat und kennt sie die Konsequenzen?“, wollte Charly von der Gruppe der Ausbilder wissen.
„Oh ja, sie wissen alle, was auf dem Spiel steht und dass ihr Leben direkt mit dem Erfolg gekoppelt ist.“
„Gut“, lächelte Charly, „dann lasst uns essen gehen.

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Sparen muss gelernt sein…

GSG Glöckner

„Wonach soll ich genau suchen?“ wollte Hans Herrmann, seines Zeichens IT Experte der GSG wissen.
„Es gab einen Einbruch und ich sehe die Möglichkeit, dass die Einbrecher einen Trojaner oder ein Virus auf unserer Hardware hinterlassen haben.“ Erklärte ihm Klimk.
Herrmann nickte und antwortete, „Ok, ich lasse erst einmal den Virenscann laufen, dann sehen wir weiter.“
Einen ganzen Tag brauchte Herrmann dafür und fand nicht das geringste Anzeichen für einen Eindringling… doch während er auf das Ergebnis des Scanns wartete, blieb er nicht untätig und fand etwas anderes… Wenn es einen Einbruch gab, dann mussten ja die Überwachungsvideos schließlich etwas anzeigen, doch die Bänder zeigten nichts! Allerdings sagte Herrmanns Gespür etwas anderes, also konzentrierte er sich auf die Überwachungsvideos und sah sie Einzelbild für Einzelbild durch. Da er ein recht kleines Zeitfenster hatte, konnte er die Videos ausgiebig analysieren und er wurde fündig! Auf einem der Videos sah er einen Mann durch den Flur in ersten Stock des Gebäudes der GSG gehen und zwei Meter, bevor er die Tür zum nächsten Flur erreichte und damit den Erfassungsbereich der Kamera verließ, verschwand er vom Bild und der Flur war leer. Wäre die Sequenz nur zwei Sekunden länger gewesen, hätte der Mann die Tür durchschritten und Hermann hätte sie wohl niemals entdeckt! Und diese Sequenz wiederholte sich exakt acht Mal, alle sieben Minuten und fünfzehn Sekunden… Dafür gab es nur eine Erklärung, jemand hatte die „Bänder“ frisiert! Und da es keine Videobänder im klassischem Sinn mehr gab, sondern alle Daten auf einem Server gespeichert waren, musste sich der oder die Eindringlinge Zugriff auf den Server der GSG verschafft haben. Da allerdings der Server der GSG mit einer durchaus brauchbaren Firewall gesichert war, musste der Einbrecher auch als Hacker ein Profi sein! Herrmann konnte ausschließen, dass die Firewall von „Außen“ geknackt wurde, denn die Einbrecher hätten dann auf die Sekunde genau eindringen müssen, etwas das Herrman ausschloss, denn ein Einbruch in ein Gebäude, in dem mehrere Mitarbeiter anwesend waren, auch wenn diese abgelenkt waren, ließ sich nicht auf die Sekunde genau planen. Nein, er war überzeugt, dass die Bänder erst NACH dem Eindringen frisiert wurden.
Das wiederum sagte Herrmann, dass er den normalen Virenscann getrost vergessen konnte, denn wer es schaffte, innerhalb einer so kurzen Zeit die Firewall knacken und sich Zugriff auf den Server verschaffen konnte, der war auch in der Lage einen Trojaner einzuschleusen, welcher von der Sicherheitssoftware nicht erkannt wurde, also reagierte er sofort und trennte augenblicklich alle Internetzugänge.
Als er Klimk darüber informierte fragte diese, „Was schlagen sie vor?“
„Wir haben Sicherungskopien der letzten fünf Tage auf Band im Tresor. Ich schlage vor, die gesamte Hardware zu tauschen und die Kopie vom Tag vor dem Einbruch aufzuspielen.“
Kimk überlegte nicht lange. Sie wusste nicht wirklich was Hombacher und die anderen taten, doch sie wusste, dass die GSG und ihre Tochterfirmen dazu genutzt wurden diese Aktivitäten finanziell zu verschleiern. Dieser Umstand (und ihr Schweigen) verschaffte ihr ein großzügiges fünfstelliges Monatsgehalt und ihr war bewusst, dass es um viel Geld ging…um sehr viel Geld! Gemessen daran, war die Neuausstattung der GSG mit neuer Hardware, die viel zierten Peanuts und so traf sie eine Entscheidung, „Gut, kümmern sie sich darum.“

***

„Alles?“ fragte Jordan, ein Mitarbeiter aus Herrmanns Abteilung sprachlos. „Wir werfen alles raus?“
„Ja, Klimk will es so.“
„Hast du eine Ahnung, was das kostet?! Wir haben erst vor sieben Monaten einen großen Teil der IT erneuert und jetzt kommt alles auf den Müll?“
„JA! Ich weiß genau was das kostet, aber soll ich Klimk als Chefin sagen, dass sie keine Ahnung hat? Also bring die Abteilung auf Trab und wirf alles raus!“

***

Einen halben Tag später hatten Jordan und seine Abteilung eine komplette Auflistung der benötigten Hardware erstellt, die er seinem Abteilungsleiter nun vorlegte. „Was ist das?“ wollte Herrmann von Jordan wissen und zeigte auf einen der aufgelisteten Punkte. „Kabel?“
„Ja, das sind die benötigten Kabel für die Neuverlegung. Dazu kommen noch die Kosten, welche entstehen, wenn eine Firma die Kabel, neu durch die Kabelkanäle, verlegen muss.“
Hermann überflog die Auflistung und errechnete die zusätzlichen Kosten, welche durch das Neuverkabeln einer Fremdfirma entstehen würden. „Scheiß auf die neuen Kabel! Im Kabel kann weder ein Virus, noch ein Trojaner sitzen, wir behalten die alten Kabel.“
„Aber Klimk wollte, dass wir die gesamte Hardware tauschen.“
„Klimk wird sich über jeden Euro freuen, den wir dabei sparen. Wen interessieren die Kabel?“
„Ich weiß nicht“, entgegnete Jordan, „die paar Euro machen den Topf auch nicht mehr fett.“
„Die Kabel nicht, aber das neue Verlegen schon, außerdem ist der Zeitaufwand und damit die Zeit, in der die Firma offline ist, viel länger und somit verliert der Laden viel Geld. Klimk sitzt mir sowieso schon im Nacken.“ Hielt ihm Herrmann entgegen.
„Na schön, du bist der Boss.“ Lenkte Jordan ein, „Wir belassen die Kabel wo sie sind und tauschen nur die Rechner und Server.“
„Wie lange braucht ihr für das Tausch?“
„Da wir die Kabel nicht neu verlegen etwa ein Tag, dann nochmal einen Tag, bis wir die Updates gefahren und die Sicherungskopie aufgespielt haben.“
„Ok, ich sage Klimk, dass wir in zwei Tagen fertig und wieder online sind. Das wird sie sicher freuen.“
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Tel Aviv

Wer sich darüber wirklich freute, konnten weder Herrmann, noch Jordan ahnen…
Lem jedenfalls freute sich sehr, als Sorayas Bruder Jonah in sein Büro kam und von einem Ohr zum anderen grinste.
„Ein Glück hat deine Schwester nicht dasselbe Grinsen wie du.“ Stellte Lem fest. „Also, was gibt’s zu grinsen?“
„Die GSG ging vor achtundvierzig Stunden offline. Wie wir erwartet haben, konnte jemand von denen genug Grips aufbringen und sich zusammenreimen, dass wir bei der Durchsuchung etwas hinterlassen haben. Darauf hin, exakt eine halbe Stunde nachdem wir den Server kopiert hatten, brach die Verbindung ab.“
„Und was gibt’s dann zu grinsen?“
„So wie es aussieht, hat die GSG ihre gesamte Hardware ausgetauscht. Alle Rechner und Server sind brandneu, aber anscheinend wollte jemand sparen und die GSG verwendet weiterhin unsere Kabel. Wir sind also wieder drin!“
„Warte mal, die tauschen alle Computer, Rechner und Server aus, aber verwenden die alten Kabel?!“
„So sieht es aus. Sie haben eine Sicherheitskopie vom Tag vor unserem Besuch aufgespielt, so dass wir nichts verloren haben und weiterhin Zugang auf alle Bereiche der GSG und ihrer Tochterunternehmen haben.“
„Das ist ja ein Ding! Habt ihr Mohrle kontaktiert?“
„Auf deine Anweisung hin, haben wir den Deutschen sofort Bescheid gegeben.“
„Sonst noch etwas?“
„Und ob! Bei der ersten Durchsicht sind wir auf eine Zahlung gestoßen, die an eine Indische Softwarefirma gerichtet ist, für eine angebliche Wartung eines Servers, welcher der GSG KG gehört. Es ist exakt der Betrag, der den die Singh Familie für die Schweinerei in Dresden bekommen sollte. Ich denke, wir haben eine erste, direkte Verbindung zwischen der GSG und den Kum’do Organisatoren gefunden!“
„Gibt’s eine Möglichkeit dem Geld zu folgen um festzustellen, wer die Spiele organisiert?“
„Das ist nicht so einfach, die Geldströme sind sehr gut verschleiert, aber wir tun unser Bestes. Ich habe ein paar gute Leute abgestellt, welche auf der Suche nach Konten der Singh Familie sind, aber wie du dir vorstellen kannst, ist das die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber ich hab eine Idee… nicht ganz ungefährlich, aber machbar.“
„Schieß los.“
„Kaufmann und Hauer haben da was zusammengebastelt… du kennst doch die Horrorgeschichten über illegale Kartenleser… du gehst an einem illegalen Kartenleser vorbei und schon räumen die Gangster dein Konto leer.“
„Klar.“
„Diese Horrorgeschichten sind alle wahr! Kaufmanns Gerät geht noch einen Schritt weiter, sobald das Gerät in Nähe einer Karte kommt, die zum Bezahlen benutzt wird, speichert es alle Daten, einschließlich Kontendaten und Pin, dann leitet es die Daten in Echtzeit an einen angeschlossenen Computer weiter, der sich mit den Daten in die Bank einhackt, von der das Geld abgebucht wird. Natürlich funktioniert das auch, wenn der Betreffende mit dem Handy zahlt, das ist sogar noch einfacher, da zwischen Handy und Kasse eine Funkverbindung bestehen muss. Du musst das Gerät nur in die Nähe des Kartenbesitzers, oder Handys bringen. Sobald wir Zugang zu den Konten der Singhs haben, können wir ihre Aktivitäten auch überwachen.“
„Scheiße, ich will meine alten Papierschecks wiederhaben!“ Lem schüttelte den Kopf, bei dem Gedanken, dass jeder Hacker dieser Welt alles über sein Konto herausfinden konnte, bloß weil das Zahlen mit Karte so bequem war. „Also gut, beschafft mir das Gerät, dann schicke ich Fabienne und Finja los, sie sollen die Singhs beim Einkaufen begleiten. Noch etwas, das ich wissen müsste?“
„Vielleicht… mir ist eine weitere Zahlung ins Auge gesprungen… der Betrag ist so ziemlich derselbe wie der, den die Singhs für Dresden bekommen hatten, ich weiß nicht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass gerade noch eine weitere Schweinerei am Laufen ist.“
„Gut, nein nicht gut! Halt mich auf dem Laufenden.“
„Geht klar, Boss.“
„Ok, und jetzt stell das dämliche Grinsen ein, das ist ein Befehl!“
„Das zieht bei mir nicht, General.“
„Ach ja? Vielleicht zieht es ja, wenn ich deine Schwester auf dich hetzte?!“ Dabei konnte sich allerdings selbst „der kalte Fisch“ Lem ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

***

Soulebda

„Pünktlich auf die Minute.“ Stellte Raphaela fest, als Hatur’Kalin vor seinem Haus, aus dem Wagen ausstieg, welches die Ermittlerinnen, nun seit zwei Wochen beobachteten. Vor zwei Wochen hatte Ma’Gus nach der Analyse des Videos herausgefunden, in welchem Haus es gedreht wurde.
Die Villa stand in einem der neuen Viertel am Rande der Hauptstadt, in der sich Soulebdalesen, welche gut an den Seltenen Erden verdienten, ihr Haus bauten. Da die Polizei federführend in den Ermittlungen war, überreichte Corinna Ma’Lou alle Ergebnisse der Polizei und das Team um Shea Martin, Raphaela Mao und Marion Perlacher übernahm.
Marion hatte zuvor mit Karin Winter telefoniert und da sich die beiden gut kannten, hatte Corinna Ma’Lou Marion nach ihrer Einschätzung gefragt, ob und wann ihre Aufgabe auf Soulebda erledigt sei. „Ich weiß nicht.“ Hatte Marion ehrlich geantwortet.
„Wir konnten zwar den Orden der schwarzen Priester ausfindig machen, aber nach dieser mysteriösen Explosion sind anscheinend alle Priester verschwunden. Weder konnten wir bis jetzt herausfinden, woher die Priester ihre Informationen hatten, noch wie das Spiel außerhalb von Soulebda gesteuert wird und von einer Spur zu Leonie ganz zu schweigen. Wir konnten lediglich den Weg der Opferketten zu den Priestern zurückverfolgen. Irgendwie bin ich der Meinung, dass meine Aufgabe hier noch nicht erledigt ist. Wie sieht es bei euch aus?“
Winter beschrieb vorsichtig, ohne Details zu nennen, die Fortschritte Kämpfers. Schließlich entschied Winter, dass Perlacher noch auf Soulebda bleiben sollte.
In Carolins Dienstvilla, die noch immer ihr Hauptquartier war, beratschlagten die Drei danach ihr weiteres Vorgehen, als Soleab sie darüber informierte, dass der Geheimdienst eine Spielstätte ausfindig gemacht hatte.
„Wenn bloß alle Verdächtigen so pünktlich wären.“ Brummte Marion, die sich mit Raphaela in einem Haus schräg gegenüber der ehemaligen Spielstätte befand. Shea hatte schnell herausgefunden, dass das Haus nur einen Tag nach der Aufnahme den Besitzer wechselte, der wiederum ebenfalls nach kurzer Zeit das Anwesen verkaufte. Innerhalb kurzer Zeit wechselte das Haus nicht weniger als acht Mal den Besitzer, bis schließlich der neue Hausherr Hatur’Kalin hieß.
Als Shea darauf aufmerksam wurde, dass Hatur’Kalin aus der Spieleszene kam, und schon öfter wegen illegalen Glücksspiels Ärger mit der Polizei hatte, war klar, dass es eine Verbindung zum Orden der schwarzen Priester, wenn nicht sogar zu den Geldgebern der Kum’do Spiele außerhalb Soulebdas geben musste.
Beweisen ließ sich das aber nicht mehr. Weder der Weg des Geldes, noch die angeblichen Vorbesitzer des Hauses konnten ausfindig gemacht werden. Die Polizistinnen mussten zähneknirschend zugeben, dass es auch intelligente Bösewichte gab. Um ihre beiden Ansätze gleichzeitig weiterzuverfolgen, einigten sie darauf, dass Shea der Frage nachgehen sollte, woher die Bösen ihre Informationen hatten, während Raphaela und Marion Hatur’Kalin beobachten sollten.
Dazu bezogen die Polizistinnen ein Haus, dessen Familie kurzer Hand, für die Dauer der Observation, in den Palast eingeladen wurde.
Marion stellte sich neben Raphaela und sah zu, wie Hatur’Kalin vom Wagen zur Haustür ging. „Ist ja schon beinahe unheimlich, wie pünktlich der ist.“

***

„Wieso liegst du nicht im Bett?“ Fragte Lastre’Lar, der in der Tür zu Sheas Büro stand. „Es ist gerade mal halb drei.“
„Ich weiß“, Gab Shea missmutig zurück, „aber schlafen ist gerade nicht.“
Lastre’Lar trat ein, nahm sich einen Stuhl und schaute Shea fragend an. „Wo drückt der Schuh?“
„Wie zu Teufel kommen diese Kerle an ihre Informationen?“ Fragte Shea Martin ihren ehemaligen Partner Lastre’Lar, der nun Superintendent und somit der ranghöchste Polizist Soulebdas war. „Klar ist“, führte Shea weiter an, „wir wissen, dass man zu Beginn der Spiele Menschen entführt hat um sie als Spieler zu missbrauchen, erst als das Spiel bekannt wurde, kamen freiwillige Spieler dazu.“
„Ja, das Problem der Bösen ist, dass sie die Leute, welche sie entführt hatten, schlecht einfach wieder laufen konnten.“
„Eben. Also haben die Hintermänner beschlossen, Entführte weiter zu vermarkten. Sie halten in regelmäßigen Abständen Spiele mit ihnen ab, bis schließlich alle Entführten tot sind. Und das bringt uns wieder zum Anfang. Ein soulebdalesische Priester überwacht das Spiel, also müssen alle Spieler hier auf Soulebda eine Opferkette gekauft haben.“
„Eine Kette, die der Orden, über Strohmänner, von Ma’Difgtmas Tochter gekauft hatten.“
„Ja und hier treten wir auf der Stelle. Die Mistkerle müssen sicher sein, dass ihr Opfer eine Kette gekauft hat und da sie unmittelbar nach ihrer Abreise entführt wurden, müssen sie auch genau wissen, wann das Opfer zurückkommt. Woher haben sie diese Information?“
„Das ist einfach. Du parkst einfach einen Beobachter am Flughafen und schon weißt du, wann das Opfer zurückfliegt.“
„Daran haben wir auch schon gedacht. Ich habe mir die Mühe gemacht und alle Handydaten untersuchen lassen. An jedem Tag, an dem ein Opfer abflog, waren tausende Handys am Airport, aber abgesehen von den Menschen die beruflich am Airport arbeiten, gab es nur eine Handvoll Handys, welche an zwei oder mehreren Tagen dort eingeloggt waren und diese haben wir natürlich genauestens untersucht. Wir fanden nichts.“
„Vielleicht haben sie für jedes Opfer einen anderen Beobachter.“
„Unwahrscheinlich, mit jedem Mitwisser steigt das Risiko.“
„Es könnte jemand vom Zoll mit dem Entführen zusammenarbeiten.“ Meinte Lastre’Lar.
„Dieser Möglichkeit gehen wir auch nach, aber auf meine Anweisung hin, haben wir alle Telefonanrufe und Datenübermittlung der bestimmten Tage überprüft, bis jetzt ohne Ergebnis.“
„HHMM…“ brummte Lastre’Lar, „weißt du, meine besten Ideen habe ich, wenn ich vor Ort bin, lass uns zum Flughafen fahren.“
„Im Ernst jetzt?“
„Klar, warum nicht?“
„Na, wie du bemerkt hast, ist es sehr früh, außerdem bist der Superintendent, du weißt schon, oberster Chefguru und so weiter.“
„Stimmt! Und als solcher bin ich auch für deine Unterstützung da.“ Grinste er. „Und um diese Uhrzeit stören wir auch niemanden.“

***

„Da ist er.“ Hodu Singh beobachtete genau wie Marion und Raphael, wie Hatur’Kalin vor seinem Haus ausstieg und zur Tür ging. Allerdings wussten die beiden Polizistinnen nichts von ihm und den drei Männern, welche sich fünfzig Meter entfernt in einem Haus versteckt hielten.
Hondu Singh, ein Neffe des Familienoberhaupts, hatte innerhalb der Singh Familie den Ruf eines genialen Planers und so wurde er mit dem Auftrag betraut Marion Perlacher auszuschalten. Hondu konnte sich noch sehr gut an die lebhafte Besprechung erinnern. Janit, ein aufstrebender Stern in der Familie wurde bei seinem ersten Einsatz getötet und Holp’Singh, ein sehr erfahrenes Mitglied der Familie starb wenige Tage später an Herzversagen. Hondu der zu Holp immer eine enge Bindung hatte, bezweifelte allerdings, dass dieser tatsächlich tot war.
Wenn er, anstelle der Polizei, jemanden verschwinden lassen würde, dann genau so, doch er äußerte seine Bedenken nicht, schließlich würde das auch nichts ändern. Wenn sie Glück hatten, würde Holp bei der ersten Gelegenheit seinem Leben selbst ein Ende setzten. Mit unglaublicher Begeisterung nahm Hondu diesen Auftrag an, denn so konnte er Holp und Janit rächen!
Über ihren Kontakt beim Soulebdalesischen Zoll, gelang es Hondu selbst und zwei weitere Familienmitglieder, nach Soulebda zu einzureisen, ohne dass diese Aufmerksamkeit erregten, schließlich kamen immer mehr Touristen nach Soulebda.
Hondu hatte sich absichtlich für junge Familienmitglieder entschieden, die angeblich mit dem Rucksack Soulebda erkunden wollten und die niemand gleich vermissen würde. Die restlichen Killer beschloss Hondu vor Ort zu besorgen. Dasselbe galt für Waffen, denn das Risiko aufzufallen, bloß weil die Waffen entdeckt wurden, war zu groß.
Über Gernfried wurde ihnen Hatur’Kalin vermittelt, der über gute Kontakte zur Spieleszene Soulebdas besaß. Jedoch musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass Hondu von der Polizei überwacht wurde!
Hondu hatte für solche Dinge ein gutes Gespür und für Gefahr. Schließlich hatte er nicht all die Jahre überlebt, weil er seinen Instinkt ignorierte. Und tatsächlich fielen ihm drei Frauen auf, die den Spieler beschatteten, also hütete sich Hondu Singh auch nur näher als hundert Meter an Hatur’Kalin zu heranzukommen, denn ihm war klar, wenn man ihn beschattete, dann würde man auch sein Telefon abhören, Wanzen anbringen und seine Computer überwachen, so dass jede Kontaktaufnahme direkt zu ihm führen würde! Und es kam noch schlimmer! Eine der Frauen die Katur’Kalin beschattete, war seine Zielperson!
Nun stand Hondu vor einem Dilemma. Einerseits wusste er, wo sich seine Zielperson aufhielt, andererseits war diese nie alleine.
Seine erste Reaktion bestand darin, den Einsatz sofort abzubrechen, doch er zögerte. Erstens hatte Hondu Singh einen Ruf zu verlieren und zweitens wollte er blutige Rache! Es musste also einen anderen Weg geben.

***

Mainstadt / Zum Kreuzritter

Es gab einen anderen Weg! Doch den kannte der Vorstand noch nicht.
„Wieso konnte dieser Hata…Dingsda zum Verdächtigen werden?“, wollte Hombacher wissen.
„Das muss mit dem Video zusammenhängen, das im Netz aufgetaucht ist.“ Meinte Kitzinger.
„Ich dachte, wir hätten diesen Schwachköpfen auf Soulebda klar gemacht, dass es keine eigenen Videos von Spielen geben soll.“
„Täglich werden auf der Welt irgendwelche Videos von Kum’do oder Kum’lata Spielen gemacht.“ Stellte Gernfried fest. „In Asien gibt es tausende Spielhallen, niemand konnte ahnen, dass die in Soulebda ausgerechnet dieses Video so interessant finden.“
Kitzinger wandte sich an Charly und fragte, „Wie stellen wir sicher, dass hier nicht dasselbe geschieht?“
„Nun“, antwortete Charly, „die Wettteilnehmer unserer Spiele werden deutlich darauf hingewiesen, dass alle Aufnahmen verboten sind. Schon bei betreten der Spielstätten werden alle Handys eingezogen und verwahrt. Zusätzlich wird ein starkes Störsignal ausgestrahlt, dass jede Handy Frequenz blockiert, mit Ausnahme der Tablets, mit denen die Spieler ihre Wetten platzieren.“
„Und wenn einer eine altmodische Kamera einschmuggelt?“
„Ich nehme an, das Haus auf Soulebda konnte man ausfindig machen, da man den Vulkan Aining u’Alara deutlich erkennen kann. Herauszufinden wo das Haus steht, war nun keine große Schwierigkeit. Sollte jemand bei uns heimlich filmen, wäre nur die Spielarena zu sehen und die hat weder Fenster, noch irgendeinen anderen Anhaltspunkt wo sie liegt.
Allerdings… die Kameras werden immer kleiner und sind leicht bei einer oberflächlichen Prüfung zu übersehen, wenn sie es aber für notwendig erachten, werde ich jeden Wettteilnehmer gründlich durchsuchen lassen. Eine der wenigen Aufgaben, die diese GSG Glöckner Schwachköpfe wirklich können.“
Kitzinger kämpfte kurz mit sich und meinte dann, „Nein, belassen sie es bei einer oberflächlichen Überprüfung. Sollte es sich aber herausstellen, dass jemand heimlich Aufnahmen macht, verfolgen Sie das mit aller Härte.“
„Wie sie wünschen.“ Nickte Charly, ohne zu wissen, dass es bereits ein Video von seiner Spielstätte im Darknet die Runde machte.
„Was machen wir nun mit den Singhs auf Soulebda?“, wollte Gernfried wissen. „Ich finde, das Risiko ist zu groß. Ohne einen Kontakt zu Hatur’Kalin können kaum an diese Perlacher herankommen, geschweige denn von dieser blöden Insel herunterkommen.“
„Du hast Recht, verdammt, wenn es diese Bullen geht, ist bei uns der Wurm drin.“ Verzog Hombacher das Gesicht.
„Sehe ich das richtig, die Singhs können ihren Auftrag nicht erfüllen, da sie zu ihrem Kontaktmann Hatur’Kalin keinen Kontakt aufnehmen können, der ihnen aber Männer und Waffen beschaffen soll?“, fragte Charly nach.
„Da haben sie verdammt Recht! Hondu Singh meint, die Überwachung ist so gut, dass er bei jedem Versuch sich mit diesem Kerl zu verständigen, entdeckt würde. Er kann nicht mit ihm telefonieren, schreiben und mailen ist ebenfalls nicht drin.“
Charly begann leicht zu grinsen und sagte, „Nun, das gilt vielleicht für jeden Versuch sich auf normalem Weg zu verständigen.“
„Was soll das denn heißen?“
„Meine Herrn, wir reden über Soulebda, rufen Sie einfach die beiden Soulebdalesischen Priester, dann löse ich ihr Kommunikations Problem im Handumdrehen.

***

„Und der Hokuspokus soll funktionieren?“ Fragte Hombacher zweifelnd.
„Charly sagt ja.“ Wiegte Gernfried seinen Kopf. „Ich weiß nicht, aber ich hab in Asien schon Gerüchte gehört, dass an diesem ganzen Gedankenkram etwas dran sein könnte.“
„Wir sollten es auf jeden Fall versuchen.“ Sagte Kitzinger. „Und wenn es tatsächlich klappt, dann besorgen wir uns ein paar dieser Gedankenleser für hier.“
Die Diskussion darüber, ob man auf Charly hören sollte, wechselte schnell zu einer Einsatzbesprechung. Am Ende wurde Shau’Gra’Zin mit einer Menge Bargeld ausgestattet und eine weitere Menge Geld floss auf das Konto des Soulebdalesischen Zollbeamten, der dafür sorgte, dass das Oberhaupt des schwarze Ordens wieder unerkannt nach Soulebda zurückkehren konnte.

***

„Die wollen uns verarschen.“ Schimpfte Halit Singh, das jüngste Familienmitglied er Singhs, welches Hondu nach Soulebda mitgenommen hatte. „Onkel!“, wendete er sich an Hondu, „Wir wissen wo diese Bullenschlampe ist und legen sie um! Lass es uns einfach tun!“
„Mein junger Neffe,“ seufzte Hondu und schüttelte den Kopf, die jungen hatten noch soooo viel zu lernen! „Und dann? Die Polizei hier ist nicht anders, als sonst wo auf der Welt. Bring einen um, und du hast sie alle am Hals. Wir sind auf einer Insel! In weniger als 30 Minuten haben sie uns alle Fluchtwege abgeschnitten, und was tun wir dann?“
„Ich… aber wir bringen sie doch so oder so um!“
„Wir bringen sie dann um, sobald wir einen vernünftigen und Sicheren Weg von der Insel haben! Vergiss nicht, deine höchste Aufgabe ist es der Familie zu dienen, nicht tot zu sein, oder was noch schlimmer wäre, lebend der Polizei in die Hände zu fallen!“
Halit schluckte den Tadel zähneknirschend, sah er die Lage doch völlig anders, doch der Respekt gegenüber dem Älteren ließ ihn schweigen.
„Gambu“, wandte sich Hondu nachdenklich an den anderen Mann, „schick den Männern in Mainstadt die Botschaft, dass wir die Ankunft dieses Priesters abwarten und dann entscheiden, wie es weitergeht.“

***

Sechs Wochen zuvor.

Hatur’Kalin ließ vor Schreck sein Handy zu Boden fallen. Er war spät in der Nacht nach Hause gekommen, hatte seinen Wagen vor seinem Haus abgestellt und war hineingegangen. Auf dem Weg zur Tür vibrierte sein Handy und er holte es aus der Tasche. Ohne auf seine Umgebung zu achten, schließlich kannte er sich in seinen eigenen vier Wänden aus, betrat er sein Haus, schloss die Tür hinter sich, schaltete das Licht an und lief gegen Shau’Gra’Zin. Das Handy war noch am Fallen, als Hatur’Kalin zurücksprang. „Wer zum Teufel sind sie?!“, fragte er, griff in seine Hosentasche, und holte ein Butterfly Messer heraus, doch bevor er auch nur daran denken konnte es aufzuklappen, hatte der schwarze Priester seine Hand gepackt, ihn gegen die Wand gedrückt und seine Hand auf Hatur’Kalins Mund gelegt.
„Halt den Mund!“ Zischte der Priester und ließ ihn los, allerdings nicht ohne ihm das Messer aus der Hand zu holen. „Mein Name ist Shau’Gra’Zin, der oberste Priester des Ordens Kursch’tas.“
Hatur’Kalin, der sich vom ersten Schreck erholt hatte, sah den Priester misstrauisch an und fragte, „Und was will der oberste Priester, Gott Krusch’tas, von mir und wie sind sie hier überhaupt reingekommen?“
„Ich komme überall ungesehen herein, schließlich waren die Stämme meine Heimat. Du wirst von der Polizei beschattet, wusstest du das?“
„Natürlich!“ Log Hatur’Kalin, der in Wirklichkeit keine Ahnung davon hatte.
Der Eindringling schnaubte verächtlich, als er ihn ansah. „Was die von dir wollen ist mir völlig schleierhaft, du bist nicht einmal ein guter Lügner.“ Shau’Gra’Zin wandte sich ab und ging zum Wohnzimmer, wo er zum Fenster ging und dann zu einem Haus zeigte, welches in Sichtweite auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag. „Die Polizei ist sehr an deinem Haus interessiert. Irgendein Schwachkopf hat die heilige Zeremonie gefilmt, und zwar so, dass durch das andere Fenster“, er wies zum Fenster gegenüber, „den Vulkan deutlich zu sehen war.“
„Pah, die Bullen tappen völlig im Dunkeln. Ja, vielleicht haben irgendwelche Spieljunkies hier am Dolch gedreht, aber das war vor einem Jahr.“
„Nun, jetzt scheint es die Polizei zu interessieren, und das der neue Besitzer aus der Spielszene kommt, war nicht unbedingt clever, was mich wieder zu der Frage bringt, was die von so einem Stümper wie dir wollen.“
„Wer sind DIE denn?“
„Einflussreiche Männer.“
„Reden wir über die Typen, die das Kum’do in Europa steuern?“
Shau’Gra’Zin gab keine Antwort, blickte sein Gegenüber jedoch finster an.
„Das war nicht so schwer zu erraten.“ Meinte Hatur’Kalin. „Ihr Hokuspokus Fuzzis verdient euch mit dem Spiel goldene Nasen, also ist es logisch dass sie einen von Euch schicken.“
„Kum’do ist kein Spiel…“
„Verschon mich damit!“, unterbrach Hatur’Kalin den Priester genervt. „Ihr redet von einer Zeremonie zu Ehren Eures Gottes, doch in Wirklichkeit lasst ihr die Leute nur spielen, um an das Geld der Idioten zu kommen, die ihr Geld bei den Wetten platzieren.“
„Wag es nicht, so über die Zeremonie zu Ehren Gotts Krusch’ta zu reden!“
„Euer Gott heißt nicht Krusch’ta, euer Gott heißt Geld. Und genau das ist der Grund, weshalb du hier bist. Also worum geht’s?“
Shau’Gra’Zin wurde blass vor Zorn und am liebsten würde er diesem Ungläubigen mit dessen eigenen Messer Gott Krusch’ta opfern, doch er beherrschte sich, wenn auch nur mühsam. „Wie auch immer du das siehst, du musst einen wichtigen Auftrag erfüllen.“
„Muss ich?“ spottete Hatur’Kalin. „Wer sagt das?“
„Das kannst du dir aussuchen“, lächelte Shau’Gra’Zin böse, „entweder die Männer in Europa mit ihrem Geld“, und als er fortfuhr, ließ er mit einer gekonnten Bewegung Hatur’Kalins Butterfly Messer aufklappen, „oder Gott Krusch’ta.“

***

Hondus Handy klingelte und eine Textnachricht teilte ihm eine Handynummer mit, dass er nun über Mainstadt gefahrlos mit Hatur’Kalin reden konnte.

***

„Corinna, hier ist Raphaela“, rief die Ermittlerin beim Geheimdienst an, „habt ihr etwas?“
„Nein“, antwortete Ma’Gus erste Assistentin, „wir überwachen Hatur’Kalins Telefon, sein Handy und seinen Computer. Er ruft zwar eine Menge Leute an und er schreibt eine Menge Mails, doch nichts was auch nur entfernt mit Kum’do oder Leonie zu tun hat. Und wie sieht es bei Euch aus?“
„Wir folgen ihm nun schon seit vier Tagen, er trifft sich mit einigen Leuten, doch keiner scheint mit der Kum’do Szene zu tun zu haben. Allerdings sind schon ein paar schräge Vögel dabei.“
„Das würde zu den Telefongesprächen passen, die abgehört haben. Wie es scheint, ist Hatur’Kalin an mehreren Spielhallen in Asien beteiligt, in denen Kum’lata Spiele abgehalten werden. Aber das ist kein Geheimnis und solange die Behörden dort vor Ort nicht gegen die Spielhallenbesitzer vorgehen, stört es keinen.“
„Was sie auf Grund von einer Menge Schmiergeld nicht tun werden.“, unterbrach Raphaela sie.
„Du hast es erfasst. Solange kann der Typ hier die Fäden ziehen, wie er möchte. Ich habe ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Solange er nicht hier auf der Insel ein Kum’lata Spiel abhält, oder ein Land in dem seine Spielhallen stehen, einen Strafantrag stellt, kann er von hier aus so viel Spiele organisieren, wie er will. Wir können ihn dafür nicht zur Verantwortung ziehen.
Anders wäre das mit einem Kum’do Spiel. Die Regentin Hiley la’Hemour hat 1907 eine Beteiligung jeder Art unter Strafe gestellt. Wenn wir ihm eine Beteiligung am Kum’do nachweisen können, haben wir ihn.“
„Er wird die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sein Telefon und sein Handy überwacht werden könnten…“ überlegte Raphaela, „er könnte ein Prepaid Handy haben, das auf falschen Namen läuft.“
„Die Möglichkeit habe ich auch berücksichtigt, daraufhin hat Ralf Hauer eine Art Überwachungszone eingerichtet, sobald in Hatur’Kalins Haus ein Handy aktiviert wird, wissen wir das. Doch bis jetzt ist sein überwachtes Handy das einzige dort.“
„Na schön“, seufzte Raphaela, „machen wir einfach weiter.“

***

„Nicht schlecht für einen Stümper, oder?“, fragte Hatur’Kalin grinsend und legte gegen Shau’Gra’Zin einen drauf, „Noch Fragen an den Profi?“
Shau’Gra’Zin musste zugeben, dass er diesen kleinen Scheißer erheblich unterschätzt hatte, etwas das er natürlich niemals aussprechen würde, doch Hatur’Kalin hatte sich als sehr klug und vorausschauend erwiesen.
Es dauerte eine Zeit, dann hatte Shau’Gra’Zin das System hinter dem sich Hatur’Kalin versteckte durchschaut. Hatur’Kalin wusste, dass die Polizei ein Auge auf ihm hatte, da er in der Spieleszene schon einige Male mit dem Gesetz in Konflikt geriet, doch er erwies sich als lernfähig. Oberflächlich führte Hatur’Kalin das Leben eines Kleinkriminellen, der immer mal wieder die Grenze der Legalität überschritt und dafür mit Bußgeldern und anderen Maßnahmen belangt wurde, doch das war alles nur Maskerade.
Tatsächlich war Hatur’Kalin ein gerissener Geschäftsmann, der seine Ziele gnadenlos verfolgte. Er war an unzähligen Spielhallen in Asien, Australien und sogar in Afrika beteiligt, wobei nicht in all diesen Hallen Kum’lata gespielt wurde. Shau’Gra’Zin, der die Anteile der Spielleiter und der Hallenbetreiber durchaus einschätzen konnte, hatte im Stillen einmal Hatur’Kalins Vermögen überschlagen und war zu einer atemberaubenden Summe gekommen.
„HHMM, wen nehmen wir denn heute?“ Fragte Hatur’Kalin leise und wühlte in einer Schublade mit über hundert Umschlägen, auf denen Namen notiert waren. „Ja, meinen lieben Freund Kure’Re.“ Hatur’Kalin nahem einen Umschlag, auf dem der Name Kure’Re geschrieben stand, öffnete ihn und entnahm einen gut gefälschten Ausweis und eine dazugehörige Sim Karte, welche er in ein Prepaid Handy steckte.
„Woher haben sie all die Identitäten?“ Fragte Shau’Gra’Zin.
„Die Piraten von Makira haben in den Häfen der Insel Schiffe beobachtet und gemeldet, wenn ein lohnendes Ziel auslief, dazu nutzten sie diese Identitäten um ihre Leute im Hafen zu platzieren. Und die wiederum brauchten Ausweise und Karten. Als die Piraten dann Hals über Kopf verschwinden mussten, haben sie alle verkauft und ich war schlau genug zuzugreifen. Die ganze Kiste Identitäten war ein echtes Schnäppchen.“ Grinste Hatur Kalin. „Das ist einer der Gründe, warum mich die Bullen noch nicht erwischt haben, sie wissen nicht, dass ich gerade Kure’Re heiße.“
„Wenn das so einfach ist, warum brauchen sie dann mich und die „Umleitung“ über Mainstadt?“
„Im Gegensatz zu der allgemeinen Meinung, sind die Behörden hier mit modernster Technik ausgestattet. Da mein Handy sicherlich überwacht wird, hat die Polizei ganz bestimmt auch die Möglichkeit festzustellen, ob sich von hier ein weiteres Gerät in den nächsten Funkmast einwählt und schon ist Kure’Re kein Geheimnis mehr.“
„Und wie wollen sie dann das Gerät benutzen?“
„Ganz einfach, ich werde es ausschließlich dann benutzen, wenn ich im Auto unterwegs bin.“

***

Charly notierte alles was ihm Hondu Singh auftrug, erstellte daraus Listen und leitete das an Kitzingers Priester weiter, der diese dann an Shau’Gra’Zin auf Soulebda weitergab.
„Was wollen ihre Freunde machen, einen zweiten Bürgerkrieg beginnen?“, fragte Hatur’Kalin, nachdem er die Liste von Shau’Gra’Zin gelesen hatte.
„Gibt es dabei ein Problem, etwa bei den Waffen?“
„Ja, ein Problem gibt es schon. Die Waffen sind jedoch einfach zu beschaffen, ich habe noch einen großen Bestand aus Knarren, die vom Bürgerkrieg übrig sind, das Problem ist die Zielperson.“
„Eine Zielperson, die sie beschattet.“
„Eben! Bei wem werden die Bullen wohl zuerst die Tür eintreten?“ Hatur’Kalin legte die Liste zur Seite und begann nachzudenken. „Wenn ihre Freunde den Plan durchziehen, bin ich hier auf Soulebda fertig. Ich müsste all meine Geschäfte ins Ausland verlegen.“ Er grübelte noch eine Zeit lang und wandte sich dann wieder an Shau’Gra’Zin. „Das geht nur, wenn ihre Freunde die Kosten für meinen Umzug übernehmen.“

***

Mainstadt

„Wir sollen für was zahlen?“ Tobte Hombacher, nachdem er Hatur’Kalins Rechnung sah. „Für so viel Geld kaufe ich eine russische Atomrakete und lege die ganze Insel in Asche!“
„Beruhige dich Manfred.“ Hob Kitzinger beschwichtigend die Hand und schaute dann zu Gernfried. „Wie viele Spiele würden wir brauchen, um diese Zusatzkosten zu decken?“
„HHMMM, drei Spiele mit Freiwilligen, eine mit unseren Gästen, wenn Leonie mitspielt.“
„Dann opfern wir einen von denen.“
„Das wird Charly nicht gefallen.“
„Das ist mir egal, er soll sich um das Spiel kümmern und dafür sorgen, dass die Kleine überlebt!“

***

Wie Hatur’Kalin und Hondu es vorausgesagt hatte, bestand die größte Herausforderung darin, einen guten Fluchtplan zu erstellen, denn war die Jagd auf sie erst einmal eröffnet, mussten sie Soulebda bereits verlassen haben. Hatur’kalis erster Schritt bestand darin, einen geregelten Tagesablauf einzuführen. Er verließ jeden Tag zur selben Zeit das Haus, fuhr zu seinen legalen Spielhallen, arbeitete dort, und kam zur selben Zeit nach Hause und das immer auf demselben Weg. Das sollte seine Beschatter in Sicherheit wiegen und tatsächlich, die Polizeiteams, welche Hatur’Kalin außerhalb seiner vier Wände verfolgten, wurden mit der Zeit nachlässig und so bekam es auch niemand mit, dass Hatur’Kalin während der Fahrt dauerhaft am Handy hing.
Während dieser die Fluchtrouten plante, bezog Hondu mit seinen beiden Neffen ein Haus, welches schräg hinter dem stand, aus dem Raphaela und Marion Hatur’Kalins Anwesen beobachteten. Den Besitzer von Hondus neuer Unterkunft hatte dessen Chef, der Hatur’Kalin noch einen Gefallen schuldete, mit einem Firmenauftrag nach Samoa geschickt, in der Annahme das Haus seines Angestellten würde für eine illegale Spielrunde benutzt.
Wie Hatur‘Kalin Shau’Gra’Zin sagte, stellte das Auftreiben von Waffen das kleinste Problem dar. Hatur’Kalin hatte mehrere kleinere Waffenlager aus Beständen, aus der Zeit, als auf Soulebda die Briten noch ihr Unwesen trieben. Mit dem letzten Punkt der Liste wartete er allerdings bis zum Schluss… dem Anwerben der fünf zuverlässigen Männern, die Hondu Singh für den Anschlag haben wollte. Das musste unbedingt über Mittelsmänner laufen, ohne dass er selbst in Erscheinung trat. Dabei machte sich Hatur’Kalin keine Illusionen darüber, dass er es schaffte alle acht Männer und sich rechtzeitig von Soulebda herunterzuschaffen. Nein das würde niemals funktionieren. Blieben also noch die drei Singhs und er selbst. Er brauchte also einen guten Plan für die Singhs und einen noch besseren Plan für sich!

***

„Der Kerl wird mir langsam unheimlich.“ Teilte Marion Shea mit. „Seit vier Wochen kommt und geht dieser Mistkerl zur selben Zeit, diese tägliche Routine ist mir einfach zu genau.“
„Da gebe ich dir Recht…“ stimmte ihr Shea, während einer Besprechung zu.
„Wenn ihr mich fragt“, sagte Raphaela, „Der weiß genau, dass wir ihn beobachten. Irgendjemand hat es ihm gesteckt, das er von selbst darauf gekommen ist, halte ich für unwahrscheinlich und jetzt sagt er uns, leckt mich…“
„Wenn er es weiß, ist er ein fantastischer Schauspieler. Weder von seinem Telefon, noch von seinem Computer gibt es den geringsten Hinweis darauf und auch die Teams die ihn außerhalb beobachten haben nicht den kleinsten Hinweis mitbekommen.“
„Und ihr seid sicher, dass Hatur’Kalin kein zweites Handy hat?“
„Unsere Experten sagen, dass sich kein weiteres Handy aus seinem Haus in einen Funkmast eingewählt hat, das Gleiche gilt für seine Spielhallen.“
„Was ist mit dem Weg zwischen hier und den Spielhallen.“
„Guter Ansatz. Ich werde Corinna feststellen lassen, wie viele Funkmasten es gibt und ob sich ein Handy dort zu der Zeit einwählt, wenn Hatur’Kalin unterwegs ist.
„Der Kerl spielt mit uns!“, schimpfte Marion. „Wie stehen die Chancen, einen Durchsuchungsbefehl für sein Haus zu bekommen?“
„Keine Chance, nicht bei dieser Beweislage. Wir müssen warten, bis er einen Fehler macht.“

***

Halit Singh öffnete eine Sporttasche, und holte zwei AK 47 Sturmgewehre heraus, die zwar schon etwas älter, aber in einem tadellosen Zustand waren. Zusätzlich enthielt die Tasche mehrere Ersatzmagazine sowie drei Pistolen und eine Menge Munition. Während er und Gambu die Waffen untersuchten, schaute Hondu aus dem Fenster zu dem Haus, in dem seine Zielperson wartete.
Mehrfach hatte er mit dem Gedanken gespielt, nachts in das Haus zu schleichen und die Bullenschlampe mit einem Schalldämpfer umzulegen, doch… erstens waren immer mindestens zwei Polizisten im Haus und zweitens, mussten sie Soulebda sofort unerkannt verlassen, etwas das bei Nacht, wenn der Airport auf Sparbetrieb lief, unmöglich war. Außerdem wollte er, dass die Schlampe leiden musste!

***

„Fünf Männer?“ wollte Hatur’Kalins Kontaktmann wissen. „Was für eine Art Männer?“
Darüber hatte Hatur’Kalin viel nachgedacht. Klar war, die Männer nach dem Anschlag von der Insel zu holen war unmöglich, sie durften also nicht so intelligent sein, um sich über die Folgen und ihre Flucht viele Gedanken zu machen, andererseits mussten sie genug Grips im Kopf haben um den Anschlag nach dem Plan von Hondu Singh durchzuführen und plötzlich kam ihm eine Idee!
Er würde bestimmt jede Wette gewinnen, dass diese Schwachköpfe der schwarzen Priesterschaft noch genug Anhänger hatten, die nur mobilisiert werden mussten. “Kannst du herausfinden, ob es auf Ka’ilih noch ein paar dieser Idioten gibt, die diesen Krusch’ta anbeten?“
„Klar, wenn du mir Zeit gibst.“

***

Tatsächlich hatten sich auf Ka’ilih mehrere Anhänger Krusch’tas eine neue Versammlungsstelle gesucht. Die Anhänger hatten noch kein neues Oberhaupt, waren weitgehend unorganisiert und sie waren vorsichtiger als ihre Vorgänger, dennoch saß der Hass tief in ihnen.
Natürlich hatte man im Nachhinein von den Ermittlungen gegen die Priesterschaft gehört und nicht wenige gaben der Polizei eine Mitschuld, an der Katastrophe die den Orden getroffen hatte.
Hatur’Kalin hatte also leichtes Spiel, als er Männer suchte, welche genau die Polizistin bestrafen sollten, die ihre Priesterschaft vernichtet hatte.
Er musste sich auch keinen komplizierten Fluchtplan überlegen, die Männer würden einfach bei ihren Brüdern auf Ka’ilih untertauchen. Natürlich wusste Hatur’Kalin, dass das unmöglich war, doch das war schließlich nicht sein Problem.
Jetzt musste er sich nur noch überlegen, wie er die Männer in Position bringen sollte, ohne Verdacht zu erregen.
Als er verkehrsbedingt stehen bleiben musste und er nach vorne sehen, um zu schauen, was den Verkehr behinderte, musste er breit grinsen, die Antwort fuhr langsam vor ihm her…

***

„Das bedeutet eine weitere Verzögerung von einer Woche!“, stellte Halit wütend fest.
„Ja.“ Antwortete Hondu lediglich, der Hatur’Kalins Plan in allen Einzelheiten geprüft hatte, einschließlich ihrer Flucht. Ihm schmeckte die Verzögerung auch nicht, schließlich barg jeder Tag die Gefahr der Entdeckung, andererseits musste er zugeben, dass die Ablenkung mehr als gut war, denn es war entscheidend, das Haus mit der Zielperson so schnell wie möglich zu stürmen, denn je näher sie unerkannt an das Haus herankamen, umso unkoordinierter würde die Gegenwehr sein. Anders als die Männer von Ka’ilih, durchschaute Hondu Haturs Manöver, diese Männer als Kanonenfutter vor die Läufe der Polizei zu stellen sofort, doch was gingen ihn diese Kerle an?
Sie würden die Köder sein und während die Zielperson mit den Ködern beschäftigt war, würden er und seine Neffen ihren Auftrag erfüllen. -Geduld!- sagte er sich jeden Tag, seit sie hier warteten, nun kam es auf die paar Tage auch nicht mehr an. – Geduld! –
Und seine Geduld wurde belohnt… Hatur’Kalin hatte einen Fluchtplan den sogar Hondu für gut hielt. Er selbst hatte die Protokolle des Piratenangriffs auf Soulebda studiert, einschließlich der erfolgten Reaktion der Sicherheitsbehörden und schätzte, dass die Polizei etwa dreißig Minuten bräuchte um den Flughafen Soulebda zu schließen, fünfundvierzig Minuten für die kleinen Start und Landebahnen der Hauptinsel, mehr als eine Stunde um die Flugplätze auf den umliegenden Inseln zu schließen.
Doch bis die Order das letzte Kaff erreicht hatte, würde mindestens eine bis eineinhalb Stunden ins Land gehen. Hatur’Kalins Plan sah vor, dass sie sofort nach dem Anschlag nach Fao’lafour, einem kleinen Fischerdorf, an der Westküste fuhren, dass nur etwa fünfzig Minuten mit dem Auto entfernt lag und von dort auf ein, von Hatur’Kalin, bzw. Kure’Re, gekauftes Fischerboot stiegen, das wie üblich mit der gesamten Fischerflotte des Ortes auslief. Bis man ihre Spur gefunden hatte, wären sie längst auf eine Yacht umgestiegen, die Richtung Neuseeland fuhr. Da die Fischerflotte jeden Morgen um sechs Uhr auslaufen musste, berechnete man die Strecke und Fahrzeit von hier zum Fischerdorf, der Anschlag um genau fünf Uhr stattfinden.

***

Das die Uhrzeit so wichtig war, hatte allerdings noch einen weiteren Grund. Hatur’Kalin hatte nicht die Absicht zu den Singhs in das Fischerboot zu steigen, denn Hatur’Kalin war bewusst, dass man zuerst eine Gruppe suchen würde, dann erst nach Einzelpersonen.
Eine weitere Identität aus seiner Schublade hieß Nure’Hater, ein Geschäftsmann aus Poh’tau, der einen Businessjet auf Ka’ilih gemietet hatte und der um 6 Uhr 15 auf dem Weg nach Brisbane sein würde.

***

Zeit: Jetzt

Airport Soulebda

Da um diese Uhrzeit so gut wie kein Verkehr herrschte, kamen Shea und Lastre’Lar schon kurze Zeit später am Airport an.
„Hier.“ Lastre’Lar hielt Shea einen Becher Kaffee hin, den er aus einem der Automaten der fast leeren Halle des Airports gezogen hatte. „Nicht gerade berauschend, aber er enthält Koffein.“
Shea grinste und nahm den Kaffee dankbar an. „Um diese Zeit ist das der beste Kaffee der Welt.“ Zusammen setzten sie sich auf eine hintere Sitzreihe und schauten auf die wenigen Menschen, die sich hier aufhielten.
Lastre’Lar wies in die Halle und sagte, „Mir hilft es, wenn ich an dem Ort meine Gedanken kreisen lassen kann, um den es sich dreht. Also Informationen, wie bekommt man die?“ fragte Lastre’Lar.
„Man tauscht sich aus… aber das hat anscheinend niemand getan… wir haben alle Gespräche, die von hier geführt wurden überprüft, wir haben die Handydaten gesammelt und Bewegungsmuster erstellt, nichts. Meine stärkste Vermutung ist, dass es jemand vom Zoll ist, der mit den Entführen zusammenarbeitet.“
„Das ist am wahrscheinlichsten.“ Stimmte Lastre’Lar ihr zu und nippte an der heißen Brühe. „Was ist mit diesem Hatur’Kalin? Könnte er damit zu tun haben?“
„Fest steht, der Kerl stink zehn Meilen gegen den Wind. Er weiß dass wir ihn beschatten, und spielt mit uns, sonst würde er sich anders verhalten. Da stimmt etwas nicht, ich hab da ein ganz mieses Gefühl.“
„WOW!“ Grinste Lastre’Lar, „Ich sitze hier neben der weiblichen Version von Han Solo. HHMM, unsere Freunde aus Tel Aviv sind bei der Suche nach dem Geld der Kum’do Hintermänner, auf eine mysteriöse Zahlung gestoßen und gehen davon aus, das zeitnah ein Anschlag, ähnlich wie der versuchte Anschlag auf Brauers Team in Dresden erfolgen könnte. Wie wahrscheinlich siehst du die Möglichkeit, dass der Schlag hier erfolgen könnte?“
„Normalerweise würde ich das als unwahrscheinlich sehen, um einen Anschlag durchzuführen, muss man planen, kommunizieren und finanzieren, Hatur’Kalin telefoniert und mailt viel und dabei geht es auch um seine naja, halb illegalen Geschäfte, aber nichts was auf einen Anschlag hindeutet und Hauer hat mir versichert, dass er jedes Gerät orten kann, dass sich in irgendeiner Weise, von seinem Grundstück in das Telefonnetz einwählt. Natürlich können wir nicht jedes Handy auf Soulebda überwachen, aber alle in der Nähe von Hatur’Kalins Haus und seinen Spielhallen.“
„Er könnte von unterwegs mit einem Prepaid Handy telefonieren.“
„Theoretisch schon, aber auch hier haben wir ein Bewegungsprofil erstellt. Hatur’Kalin passiert ganze acht Funkmasten zwischen seiner Wohnung und seinen Spielhallen, aber außer seinem überwachten Handy, logt sich kein anderes Handy dort regelmäßig ein.“
Darüber brüteten die Beiden nach, als sie durch die Glastüren zu den Büros des Zolls sahen, wie der Schichtwechsel begann. Sollte Shea Recht haben, dachte sich Lastre’Lar und er sah das als sehr wahrscheinlich an, wäre einer von den Zollbeamten ein Mittäter der Kum’do Hintermänner, doch wie sollten sie herausfinden, wer das war?
„Sieh mal.“ Riss ihn Shea aus den Gedanken und zeigte auf zwei Personen, welche den Abflugs Bereich betreten hatten. Es waren Tach’Lurv und Tom Walsch, vom irischen Defence Forces Training Center. Nach Beendigung ihres Trainings waren die Iren von den Fähigkeiten der Soulebdalesen dermaßen beeindruckt, dass sie beschlossen, die Zusammenarbeit auf jeden Fall fortzuführen.
Um einen regelmäßigen Austausch zu gewährleisten, war Walsch noch auf Soulebda geblieben, um diesen zu organisieren, während die anderen Teammitglieder schon zurückgeflogen waren.
Lastre’Lar und Shea standen auf, gingen zu den Beiden und begrüßten sie. „Hallo, was macht ihr denn um diese Zeit hier?“ fragte Lastre’Lar.
„Ich flieg in einer halben Stunde zurück und mein Fahar“, Walsch benutzte das Wort Freund aus der Stammessprache, nickte Tach’Lurv zu, „bringt mich zum Gate.“
„Sie reden schon wie einer von uns.“ Lachte Lastre’Lar, „das heißt wohl, dass sie die Zusammenarbeit mit unseren Freunden von der Armee, als Erfolg sehen.“
„Ich will ehrlich sein.“ gab Walsch zu. „Zuerst hatte ich meine Zweifel. Wir sollten in den Übungen gegen Gegner antreten, die eine Kriegertracht trugen, doch dann hat mich der Kleine da“, er wies wieder auf Tach’Lurv, der etwa einen halben Kopf kleiner war, „dreimal hintereinander niedergemacht. Nach dem ersten Trainingsdurchlauf war meine ganze Einheit in kürzester Zeit „tot“. Also haben wir die Arschbacken zusammengekniffen, haben gelernt und beim nächsten Durchlauf waren wir zwar am Ende immer noch tot, doch wir hatten uns teuer verkauft. Beim letzten Durchlauf hatte zumindest die Hälfte meines Teams überlebt.“
„Wow, das ist ein Erfolg.“
„Nicht nur das.“ Warf Tach’Lurv ein, „Was das lange Elend neben mir nämlich nicht erzählt, ist, dass auch die Hälfte meines Teams tot war. Und DAS ist ein Erfolg.“ Er wandte sich an Walsch „Aber auch wir lernen und ich wette, das nächste Mal erwischen wir euch wieder alle.“
„Wann ist denn das nächste Mal?“ wollte Shea wissen.
„In vier Monaten, aber ich komme zwei Wochen früher zurück, da mich mein Freund zu seiner Nun’tra’mar eingeladen hat.
„Nun’tra’mar?“
„Die Nun’tra’mar“, erklärte ihr Lastre’Lar, „ist vergleichbar mit der Wahl einer Nun’tschula, also die Wahl einer Lebensteilerin. Bloß, dass sich dieses Wort zwei Krieger geben.“
„Ah, ich verstehe“, nickte Shea und wandte sich an Tach’Lurv, „und wer ist der Glückliche?“
„Helfa’Nuer, Sohn des Häuptlings von Ni’Jamong.“
„Oh, Helfa’Nuer kenne ich, er hat uns geholfen, als wir die beiden Priester der Insel überprüft…“ Shea brach hab und wurde aschfahl.
„Verdammt!“, fluchte sie. „Wie konnte ich das übersehen?! Lastre’Lar, ich weiss wie sie kommunizieren!“

***

„Sie wollen was?!“ fragte der diensthabende Leiter des Zolls am Airport.
„Ich brauche sofort alle Schichtpläne der letzten sechs Monate!“ Antwortete Shea fordernd.
„Dazu gibt es Dienstwege, Amtshilfegesuche. So einfach geht das nicht.“
„Moment – Ich bin der Superintendent der Polizei und in Sachen, innere Sicherheit, unterstehen ALLE Behörden mir, auch ihre! Und jetzt führen sie den Auftrag der Inspektorin aus, oder sie sind in einer halben Minute ihren Job los!“ ging Laster’Lar dazwischen und beendete die Diskussion, noch bevor sie richtig begonnen hatte.
Der Dienstleiter murmelte etwas Unverständliches und begann die Dienstpläne auf dem Computer aufzurufen und auszudrucken.
„Vielen Dank.“ Sagte Shea, zum Dienstleiter, nachdem er ihr die Bögen reichte, nahm die Blätter entgegen und ging ungefragt zu dem Faxgerät des Büros, legte den Stapel hinein und tippte eine Nummer ein, während sie gleichzeitig mit ihrem Handy telefonierte. „Corinna? Hör zu, ich schicke dir gerade die Schichtpläne des Zolls, finde heraus, ob einer der Beamten, den an den fraglichen Tagen Dienste hatte, einen direkten Kontakt zu den Stämmen hat!… Ok, ich warte auf deinen Rückruf.“
Shea nickte dem Dienstleiter noch einmal zu und zog Laster’Lar nach draußen. „Die brauchen kein Handy um miteinander zu reden! Sie müssen sich auch keine Mail schreiben, wir sind auf SOULEBDA!
„Diese Fähigkeit besitzen nur noch wenige Menschen. Selbst hier auf Soulebda nimmt das Wissen um die Sprache immer mehr ab.“ Gab Laster’Lar zu bedenken, musste aber zugeben, dass der Gedanke vielversprechend war.
„In der Priesterschaft ist das anders! Und wenn die schwarzen Priester genauso gebildet sind wie die Priester Mualebdas, warum sollten sie dieses Wissen nicht nutzen? Alles was sie dazu brauchen, sind ein bis zwei Eingeweihte.“
„Wenn das tatsächlich der Fall ist, könnte es durchaus sein, dass es, wie Tel Aviv vermutet, eine verdeckte Operation geben könnte, und zwar hier.“ Überlegte Laster’Lar, als Sheas Handy brummte.
„Corinna?“
„Du hattest Recht! Sein Name ist Faru’Kalar. Er lebte bis zu seinem fünfzehnten Geburtstag beim Stamm der Xali’Ka auf Ka’illih. Dann bewarb er sich als Priester, wurde vom Tempel aber abgelehnt.
Faru‘Kalar kehrte nach Ka’illih zurück und schloss sich dem Orden Krusch’tas an. Danach tauchte er plötzlich mit Bestnoten einer Verwaltungsschule Ka‘illihs wieder auf und bewarb sich beim Zoll und da der Zoll nicht sonderlich beliebt ist und Bewerber eher rar sind…“
„Wurde er angenommen.“ Beendete Shea.
„So ist es.“
„Ok, ich melde mich nachher wieder.“ Sagte Shea und ging mit Laster’Lar zurück ins Büro des leitenden Zollbeamten.
„Ich brauche die Adresse von Faru’Kalar. Bitte suchen sie diese heraus.“
Da der Diensthabende es nicht erneut auf eine Kraftprobe anlegen wollte, setzte er sich gleich vor seinen PC und rief die Daten des Gesuchten auf, dann stutze er. „Das brauche ich nicht.“ Antwortete der Mann und fügte schnell, als er Sheas wütenden Blick sah an, „Wie es aussieht, hat Farur’Kalar vor einer halben Stunde seinen Dienst angetreten. Seltsam.“
„Was ist seltsam?“
„HHHMMM.“ Meinte der Beamte, „Laut Dienstplan, sollte er eigentlich erst heute Abend Dienst haben. Aber dass Schichten getauscht werden, ist nichts Ungewöhnliches.“
„Welche Aufgabe hat Farur’Kalar?“ fragte Laster’Lar.
„Farur’Kalar ist für Kontrollen von Personen und Güter zuständig, welche Soulebda verlassen und für die An und Abmeldungen von Geschäftsreisenden, welche für die Firmen der Abbaufirmen arbeiten. Sowohl hier vom Airport, als auch von den kleineren Landebahnen der Inseln.“
„Volltreffer!“ fluchte Shea. „Wo ist er?!“
„Da die ersten Flieger erst in einer halben Stunde starten, wird er sicher seine Berichte schreiben, oder andere Arbeiten erledigen. Soll ich ihn herrufen?“
„Nein!! Warten sie hier!“, antwortete Shea und rannte heraus in die Abflughalle, wo Tach’Lurv gerade Walsch verabschiedete. „Ich brauche dich!“ sagte sie zu dem Krieger und erklärte ihm ihren Plan.
„Sehe ich aus wie Mr. Spock?“ fragte Tach’Lurv. „Die Hand auf die Stirn legen und schon kann ich seine Gedanken lesen? So funktioniert das nicht!“
„Naja“, grinste Wasch, „etwas spitze Ohren hast du schon.“
„Musst du nicht zu deinem Flieger?!“
„Vergiss den Flieger, ich kann mir einen echten Einsatz unmöglich entgehen lassen.“
„Hör zu!“, unterbrach sie Shea. „Ich weiß, dass es so nicht funktioniert, die Frage ist, weiß der Mistkerl das auch?!“
„Du willst bluffen? Was ist, wenn er nicht darauf eingeht?“
„Dann rufe ich Ma’Difgtma, oder noch besser Ma’Fretama.“
Der Krieger wechselte einen Blick mit Walsch und begann zu grinsen. „Na gut.“ Nickte Tach’Lurv. „Versuchen wir es.“

***

Farur’Kalar war sichtlich überrascht, als der dienstleitende Beamte sein Büro betrat und hinter ihm vier weitere Personen eintraten. Einer trug die typische Tracht der Krieger und einen Mann erkannte er als den Superintendent der Polizei, was augenblicklich seine inneren Alarmsirenen aufklingen ließ. Hatte man ihn nicht gesagt, er wäre absolut sicher vor der Polizei und niemand könnte hinter sein Geheimnis kommen?
Ein einziger Blick sagte dem erfahrenen Ermittler Laster’Lar, dass Shea ins Schwarze getroffen hatte. Er drehte sich zu Farur’Kalars Vorgesetzten um und bat ihn, freundlich aber bestimmt, „Bitte warten sie draußen, wir haben nur ein paar Fragen an ihren Mitarbeiter.“ Nachdem der Diensthabende die Tür hinter sich geschlossen hatte, nickte Laster’Lar Shea zu und meinte, „Er gehört dir.“
„Ich mache es kurz!“ wandte sich Shea an Farur’Kalar. „Ich weiß, dass sie für die schwarzen Priester Leute ausgespäht haben, um sicherzustellen, dass die Touristen auch ihre Opferketten mitführten, so dass sie als „Würdige“ für Kum’do Spiele in Frage kommen. Also mit wem stehen sie in Kontakt?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden!“ mauerte Farur’Kalar.
„Nein? Dann wussten sie auch nicht, dass die Hintermänner ein Kind entführt haben? Ein Kind, welches hier Urlaub machte und eine Opferkette kaufte, ohne die Bedeutung zu kennen, ein Kind dessen Mutter umgebracht wurde, ein Kind dass genau jetzt gezwungen wird Kum’do zu spielen und ein Kind, welches laut Dienstplan SIE abfertigten!“
Shea konnte die Unsicherheit eindeutig erkennen, als sie Farur’Kalar sagte, dass ein Kind entführt wurde und ergriff die Chance. „Sie kennen die Strafe für Kindesentführung? Falls nicht helfe ich gerne nach! Verbannung auf die Knocheninsel!“
„Ich weiß wirklich nicht…“ versuchte Farur Kalar es noch einmal, als Shea ihn packte und zu sich heranzog. „Ich hab keine Zeit für diese Scheiße, du sagst mir sofort alles, was mir hilft das Kind zu finden, oder Tach’Lurv wird es mit einem Blutopfer herausfinden und wenn dem Kind etwas zustößt, werde ich deinen Kadaver anschließend höchstpersönlich auf die Knocheninsel verfrachten!“
Tach’Lurv, der keine Ahnung hatte, was ein Blutopfer sein sollte, zog ein gefährliches Messer aus seiner Tracht und trat drohend auf Farur’Kalar zu, dabei ließ er seine Augen blitzen und begann in der Stammessprache Beschwörungen aufzusagen.
„Ist ja gut!“ flehte Farur’Kalar, „Das letzte Mal habe ich vor sechs Monaten mit einem der schwarzen Priester von Ka’illih geredet, der mir einen Namen nannte und ich sollte bei einer Kontrolle feststellen, ob die Opferkette tatsächlich im Gepäck ist.“
„Wie hieß der Priester?“
„Shau’Gra’‘Zin. Kurze Zeit später gab es diese Explosion auf der Insel und der Kontakt brach vorerst ab.“
„Was heißt vorerst?“ wollte Shea wissen.
„Vor sechs Wochen hat er sich wieder bei mir gemeldet, ich sollte etwas für ihn tun und sollte ich darüber reden, würde mich Gott Kruscht’ta selbst heimsuchen.“
Laster’Lar der sich bewusst war, dass Shea gerade alle Regeln über Bord warf und sie zurückhalten wollte, zuckte innerlich zusammen und wurde blass. „Der Schichtwechsel!“ Er drehte sich zu dem Häufchen Unglück, welches von dem Zollbeamten noch übrig war und packte ihn. „Gott Krusch’ta wird zu spät kommen, denn ich bin schon da! Was geschieht heute?!“
„Ich weiß es nicht!“
„Reden Sie keinen Mist!“ schrie ihn Laster’Lar an. „Was sollen sie jetzt, hier am Airport tun?“ der Inspektor winkte Tach’Lurv zu und erneut trat dieser, mit dem Messer in der Hand, auf den Zollbeamten zu.
„Ich soll nur Nure’Hater einen Geschäftsmann aus Poh‘tau von Ka’illih aus ohne Verzögerung starten lassen.“
„Wann?!“
„Der Flug ist angemeldet für sechs Uhr, Startbahn Ka’illih.“
Laster’Lar sah auf seine Uhr und fluchte. „Um von Soulebda Stadt nach Ka’illih zu kommen dauert etwa eine Stunde, das heißt, der Anschlag findet JETZT statt!“

***

04 Uhr 40

Hatur’Kalin schlich, sorgfältig darauf bedacht, nicht durch die Fenster gesehen zu werden unter sein Dach, wo eine mittelgroße Sendeschüssel aufgebaut und genau in Richtung seiner Beschatter ausgerichtet war. An dieser Schüssel hatte er einen starken Störsender angeschlossen, der sicherstellte, dass seine Schatten eine böse Überraschung erleben sollten. Er betätigte einen Schalter und im Umkreis von einhundert Meter waren alle Handynetze blockiert. Dabei war es wichtig, dass tatsächlich nur der Empfang in Richtung der ausgerichteten Schüssel gestört war, denn sonst erhöhte sich die Gefahr, dass ein anderer Anwohner den Störungsdienst rief.
Danach schlich er durch das noch dunkle Haus nach unten, wo schon Shau’Gra’‘Zin auf ihn wartete.
„Wo wollen Sie denn hin, wenn die Bombe geplatzt ist?“, fragte er den Priester.
„Ich werde zu meinem Orden zurückgehen und ihn neu aufbauen.“
„Das könnte in zwanzig Minuten schwieriger werden, als Sie sich vielleicht vorstellen.“
„Gott Krusch’ta wird mich beschützen und diese Pest von Polizisten dahinraffen.“
„Wie Sie meinen, ich verlasse mich lieber aufs Abhauen.“ Antwortete er und vergewisserte sich, dass seine Waffe geladen und gesichert war, der Autoschlüssel in seiner Tasche steckte, der Schlüssel zu dem Wagen ein paar Straßen weiter ebenfalls da war und dass er genug Bargeld eingesteckt hatte. Zwar hatte er keinesfalls die Absicht sich an dem Anschlag zu beteiligen, doch schließlich konnte man ja nie wissen.

***

04 Uhr 45

Shea und Laster’Lar rasten mit Vollgas vom Airport, der bereits geschlossen wurde, zurück nach Soulebda Stadt, verfolgt von einem Taxi, das Tach’Lurv und Walsch kurzerhand beschlagnahmt hatten.
Während Shea durch die noch leeren Straßen der Vorstadt raste, rief Laster’Lar Soleab an.
„Laster’Lar?“ meldete sich der Parlamentspräsident.
„Wir haben mindestens drei Attentäter auf der Insel, Ziel und Auftrag unbekannt, doch was immer es ist, es geschieht in den nächsten Minuten!“
Selbst Soleab brauchte eine Sekunde um das zu verdauen, dann sagte er nur „Verstanden! Melde dich, sobald du etwas Genaues weißt!“

***

Hatur’kalin und Hondu hatten keine Ahnung, dass seine Zeitprognosen für einen Alarm völlig überholt waren. Soulebda hatte seine Lektion gelernt! Nach dem Angriff der Piraten auf Soulebda Stadt wurden neue Alarmpläne erstellt, die nun umgesetzt wurden.
Bereits 30 Sekunden nach dem Anruf des Superintendenten, riss ein Alarm die Palastgarde aus ihrer morgendlichen Routine. Sofort wurden, von den bereits anwesenden Gardisten, alle Zugänge zur Regentin hermetisch abgeriegelt und die kurz darauf eintreffenden Gardisten begannen den Palast zu sichern.
Zwei Minuten nach dem Anruf hallten die Sirenen auf dem Jum’landa Airfield und zwei weitere Minuten später, stiegen zwei F/16 Falcons auf.
Gleichzeitig, mit dem Start der Jäger, wurde die neue Luftabwehr der Insel aktiv und suchte nach Zielen.
Fünf Minuten nach dem Anruf waren alle im Dienst befindlichen Soldaten, Polizisten und Behördenmitarbeiter alarmiert.

***

04 Uhr50

Sheas Gehirn lief auf Hochtouren, als sie durch die Straßen in Richtung Palast raste. Heylah, das Ziel konnte nur Heylah sein! Mittlerweile nahm der Verkehr zu, denn die ersten Leute waren unterwegs zur Arbeit. – hätte mir auch einen Job suchen sollen, wo ich jeden Morgen in Ruhe zur selben Zeit. –

IMMER ZUR SELBEN ZEIT! Dieser Gedanke bohrte sich in ihr Gehirn, sie riss das Steuer herum und raste weiter in Richtung der nördlichen Außenbezirke der Hauptstadt.
„Was tust du?!“ fragte ihr Partner.
„Heylah ist nicht das Ziel! WIR sind das Ziel!
„Wie kommst du darauf?!“
„Der Anschlag auf Brauer! Die Kum’do Mafia will die Ermittlungen sabotieren, sie greifen die Ermittler an! Hatur’Kalin weiß, dass wir ihn beschatten und seine exakte Routine diente nur dazu uns einzulullen und unvorsichtig zu machen! Ruf sofort Raphaela und Marion an und warne sie!“

***

„Morgen.“ Brummte Marion mit einer Zahnbürste im Mund, als sie in das Wohnzimmer kam und sich zu Raphaela gesellte, die in einem bequemen Sessel, mit einem Fernglas auf dem Schoß, neben dem Fenster saß. „Was neues?“
„Nicht das Geringste.“ Raphaela schaute auf ihre Uhr und sagte, „Wie jeden Tag wird unser Verdächtiger in zwei Stunden und zehn Minuten das Haus verlassen, um zur Arbeit zu fahren, und wie jeden Morgen, werden in einer Stunde die Kollegen am Ende der Straße bereitstehen, um ihn abfangen und zur Arbeit geleiten… Achtung, im Bad geht das Licht an in drei, zwei eins…“ Sie wies aus dem Fenster und tatsächlich ging in Hatur’Kalins Badezimmer das Licht an. „Dieser Mistkerl macht sich über uns lustig! Ich schwöre dir, wenn wir ihn hochnehmen. Kannst du einmal übernehmen? Ich muss mich mal frisch machen.“
„Na klar.“ Antwortete Marion und schaute zu Hatur’Kalins Haus, während Raphaela in das Badezimmer ging.

– Mal sehen, ob es etwas Neues gibt. – dachte sie und holte ihr Handy von der Ladestation, nur um festzustellen, dass sie keinen Empfang hatte. „Wenigstens etwas, das hier genauso miserabel ist, wie bei uns.“

***

„Verdammt! Sie gehen nicht ans Telefon!“ Fluchte Laster’Lar, der verzweifelt versuchte, Raphaela oder Marion zu erreichen. Doch bei jedem Anruf meldete sich lediglich die Mailbox, welche ihm mitteilte, dass der Gesprächsteilnehmer momentan nicht zu erreichen sei…

***

04 Uhr 52

Als der Alarm durch den Palast hallte, sprangen Veronique und Bernd aus ihrem Bett. Während Bernd noch im Schlafanzug in sein Auto hechtete, um nach Jumla’da zu fahren, war Souelbdas Verteidigungsministerin auf dem Weg zur Einsatzzentrale des Palastes, als ihr Notfallhandy klingelte. „Soolef‘Ta!“ meldete sich Veronique. „Identifizieren sie sich!“
„Shea Martin, Polizei Soulebda Stadt! Das Ziel ist NICHT Heylah ay Youhaab. Ich wiederhole, Ziel des Anschlags ist nicht die Regentin!“
„Kennen sie das Ziel?“
„Ja, es sind die Kollegen in den Kum’do Ermittlungen, im Nordbezirk der Stadt!“
Veronique, die als eine der wenigen Personen in die Ermittlungen eingeweiht war, blieb stehen und hatte sofort Raphaelas Bild vor Augen. „Wie sicher sind sie?!“
Shea schwieg eine Sekunde und sagte dann „Ziemlich sicher!“
-Verdammt!- schoss es Veronique durch den Kopf. Jeromes Verlobte schwebte in Gefahr…doch für ein -Ziemlich sicher-, würde Jerome, der die Palastgarde befehligte und somit für Heylahs Sicherheit verantwortlich war, niemals seinen Posten verlassen!
Veronique Soolef’Ta-Schubert brauchte genau drei Sekunden um die Informationen zu verarbeiten, Optionen zu erstellen und eine Entscheidung zu fällen! Sie erreichte die Tür zur Zentrale, welche durch vier schwerbewaffnete Gardisten gesichert wurde, zeigte auf zwei Gardistinnen und befahl, „Sie Beide! Mitkommen!“, und rannte los zum Fuhrpark.

***

„Ich wusste gar nicht, dass du Autofahren kannst.“ Walsch blickte zu Tach’lurv, der am Steuer des Taxis saß, welches hinter Shea und Laster’Lar durch die Straßen donnerte.
„Sind wir wieder beim Klischee, Lendenschurztragender Inselbewohner?“
„Quatsch! Ich meine, ich hab dich nie Autofahren sehen.“
„Hör mal, ich weiß sehr wohl wie man Auto fährt, du redest schließlich mit dem ungeschlagenen Meister der Insel in Mario Kart.“ Und als Walsch ihn entsetzt ansah, grinste er und fügte ein, „War nur ein Witz“, an. „Ich dachte, ihr steht auf diese Art Humor.“
„Nein das sind die Engländer, nicht die Iren!“
„Bleib locker, dieser Lukas hat mir beigebracht, wie man fährt…“ er brach ab, als Shea im Wagen vor ihm, von der Hauptstraße zum Palast abbog und in Richtung Norden raste.
„Bleib dran!“ rief Walsch und Tach’Lurv riss das Steuer herum, um weiter hinter Shea zu bleiben.

***

04 Uhr 55

„Verdammt!“ Fluchte Laster’Lar, „Ich komme nicht durch!“

***

04 Uhr 57

„Elender Mistkerl.“ Brummte Marion als gegenüber, als auf die Sekunde genau das Licht im Bad wieder ausging. Dann hörte sie das Brummen eines LKWs und links von ihrer Position fuhr ein Müllauto um die Ecke, welches zwei Häuser neben ihrem Posten stehen blieb und drei Männer, die hinter dem LKW begannen die die Mülltonnen zu leeren, welche davor standen.

***

04 Uhr 58

„Da hätte ich auch in Mainstadt bei Bad-Man bleiben können!“ meinte Lukas zu Veronique, die mit den beiden Gardistinnen im Wagen von Geheimdienstchefs Ma’gus saß. Lukas „Gefechtsstation“ war der Fuhrpark des Palastes. Sollte es notwendig sein die Regentin mit dem Auto zu evakuieren, war Lukas einer der Fahrer. Als Veronique ihm erklärte, was vorging, zögerte er keine Sekunde, doch als Veronique zu einem Bereitschaftswagen zu rannte, rief er sie zurück und wies auf das Auto des Geheimdienstchefs. „Ich kenne die Karre, die ist viel schneller.“

Nun brauste der Wagen mit Sirenen und Warnlicht durch die Straßen Soulebdas nach Norden.

***

05 Uhr 01

Marion schaute auf die Uhr, als das Müllauto vom Nachbarhaus losfuhr und vor ihrem Haus stehen blieb. –Ganz schön früh heute.- dachte sie noch, als ihr siebter Sinn Alarm schlug… die drei Müllmänner hinter dem LKW schauten weniger nach den Mülltonnen sondern einmal zu oft zu ihr hinauf… Marion sah, wie einer der Müllmänner in die offene Heckklappe griff und erkannte einen Gewehrkolben. Gleichzeitig flogen die Türen des Führerhauses auf und die beiden Insassen sprangen mit Gewehren bewaffnet heraus.

Nun übernahm ihr Instinkt die Regie, sie wirbelte herum, sprang vom Fenster weg und sah im umdrehen Raphaela aus dem Bad kommen. „RUNTER!“ schrie sie und sprang Raphaela an um sie zu Boden zu reißen. Die beiden Polizistinnen waren noch im Fallen, als die ersten Kugeln durch die Fenster einschlugen und das Zimmer verwüsteten.

***

Das Peitschen der ersten Schüsse war das Zeichen für Hondu, Halit und Gabur Singh ihren Auftrag jetzt zu erfüllen. Als der Müllwagen um die Ecke bog, hatten die drei Attentäter ihr Haus verlassen und sich an die Rückseite des Hauses geschlichen, in dem ihre Zielperson nun ziemlich beschäftigt war. Hondu hoffte innständig, dass diese Schwachköpfe am Müllauto nicht aus Zufall die Polizistenschlampe erschossen…

***

Ohne sich groß absprechen zu müssen, rissen Marion und Raphaela ihre Waffen hervor, während überall Kugeln, Glas sowie zerschossene Gegenstände durch das Zimmer flogen und krochen zur Tür, welche ins Treppenhaus führte. Um sich zu verteidigen, mussten sie in das Erdgeschoss, denn waren die Angreifer erst einmal im Haus, gab es aus dem ersten Stock keinen Fluchtweg mehr.

Glücklicherweise, lag das Treppenhaus von den Kugeln geschützt und die Angreifer kamen auch vorerst nicht auf die Idee, das Erdgeschoss unter Feuer zu nehmen. So gelangten die beiden zur Küche deren zwei Fenster zur Straße hin gleichzeitig ein gutes Schussfeld, aber auch Deckung boten. Kaum waren sie angekommen, bemerkten sie die Angreifer und belegten die Fenster mit Dauerfeuer, was dazu führte, dass das Glas der Scheiben überall durch das Zimmer flog. Doch nun begannen die Polizistinnen zurückzuschießen und zwangen die Angreifer hinter dem Müllwagen in Deckung zu gehen.

Weder Marion noch Raphaela hatte in diesen hektischen Sekunden Zeit darüber nachzudenken, warum die fünf Angreifer keinen Versuch machten in das Haus einzudringen.

***

05 Uhr 02

„SCHEISSE!“ rief Shea, als sie um die Ecke, in die Straße zu ihren Freundinnen einbog und sah, wie fünf Männer mit automatischen Gewehren das Haus beschossen. Sie trat das Gaspedal durch und raste auf die Angreifer zu. Als sie etwa dreißig Meter entfernt war, bemerkte einer von denen ihr Auto, drehte sich in ihre Richtung, und begann auf sie zu schießen. Shea fuhr rechts in eine Einfahrt eines Nachbarhauses, die etwa zwanzig Meter von dem Müllauto entfernt lag, stellte den Wagen quer in die Beete und sprang mit Laster’Lar hinter dem Motorblock in Deckung.

***

„MIST!“ Tach’Lurv sah, wie ein Mann das Feuer auf Sheas Wagen eröffnete, riss das Steuer nach links und bretterte über den Bürgersteig gegenüber des Müllautos, wo er neben zwei großen Palmen stehen blieb. Die Räder standen noch nicht richtig still, da wurden sie auch schon von den Angreifern beschossen, doch er und Walsch hatten schon Deckung hinter dem Motor und den Palmen genommen. „Hier!“ rief Tach’lurv und warf Walsch seine Dienstwaffe zu, zog sein Messer und sprang in den Garten von Hatur’Kalins Nachbarn, wo er sofort in den Schatten trat.

„Wie machen die das?!“ Fragte sich Walsch zum eintausendsten Mal, spähte über die Motorhaube und zog gerade noch rechtzeitig den Kopf ein, als eine Salve Kugeln vom Motor abprallte.

***

Marion bemerkte, wie ihre Angreifer ihr Feuer nun aufteilen mussten, das gab ihnen nun Gelegenheit, ihr Feuer gezielter zu erwidern und sie zwangen die Attentäter in den Schutz des Lasters zurück, wo diese jedoch gut geschützt waren, denn anders als ein PKW konnten viele Teile das Lasters sehr wohl Kugeln aufhalten.

***

Hondu und seine Neffen hatten das Haus ihrer Zielperson beinahe erreicht, als er einen Wagen in die Einfahrt zum Nachbarhaus rasen sah, aus dem eine Frau und ein Mann heraussprangen, um auf die Männer am Müllwagen schießen. Er war sich nicht sicher, ob die Zwei ihn gesehen hatten und beschloss, es nicht darauf anzulegen, also trieb er seine Neffen an und sie sprangen los.

***

Laster’Lar sah eine Bewegung rechts vor sich, auf der Rückseite des Hauses und begriff sofort die Situation, die Kerle, welche hier wie die Irren um sich schossen, waren nur eine Ablenkung!

„SHEA! RECHTS!“ bevor Laster’Lar auf die Angreifer hinter dem Haus schießen konnte, waren diese im toten Winkel der Hausecke verschwunden und als er loslaufen wollte, zwang ihn eine neue Salve wieder in Deckung.

Nun hatte auch Shea verstanden, was ihr Partner meinte und rief aus voller Kraft, „RAPHAELA! HINTER EUCH!“

***

Walsch hörte Shea etwas rufen und erfasste die Lage. Er warf sich auf die Motorhaube des Taxis, gab mehrere Schüsse ab und traf einen der Angreifer, der seine Waffe fallen ließ und sich in den Schutz des Führerhauses zurückzog. Sofort duckte er sich wieder, um seine Munition zu prüfen. „Scheiße! Leer!“ fluchte er, als von der anderen Straßenecke ein Auto mit lauten Sirenen angerast kam.

***

„SHIT!“ Fünf mit Sturmgewehren bewaffnete Männer drängten sich um das Führerhaus eines Mülllasters und schossen auf drei Ziele.
Lukas legte fünfzehn Meter vor dem Müllaster eine Vollbremsung hin, packte Veronique, riss die Tür auf und zog sie hinter sich her aus dem Auto, als auch schon die ersten Kugeln in ihre Richtung flogen. Aber auch die Gardistinnen waren schnell ausgestiegen und erwiderten gezielt das Feuer.
Nun wurden die Angreifer von allen Seiten unter Feuer genommen und gerade die Gardistinnen erwiesen sich als harte Gegner. Zwar waren sie in der Unterzahl, doch als Angehörige eines Eliteregimentes hervorragend ausgebildet, so lagen zwei der Angreifer nur Sekunden später tot am Boden.

***

Raphaela hörte wie Shea etwas rief, konnte aber nicht viel mehr als ihren Namen erstehen, doch Shea schrie sich sicher nicht umsonst die Seele aus dem Leib, es musste eine zusätzliche Gefahr geben und die konnte nur von einer Seite her kommen! Sie wirbelte herum zur Tür und sah eine Gestalt, die auf die ein AK 47 auf sie richtete …

***

Die Angreifer am Müllwagen lieferten sich nun eine wilde Schießerei mit den Gardistinnen, wobei auch Veronique bewies, dass sie mit ihrer Dienstwaffe umgehen konnte. Die Angreifer lagen nun am Boden und nur zwei schossen noch, im Liegen zurück, doch auch diese Beiden wurden von den Gardistinnen nacheinander ausgeschaltet. Shea winkte Walsch zu, deutete auf Hatur’Kalins Haus und rief, „Schnappt euch den Mistkerl!“

Walsch zeigte den erhobenen Daumen und rannte los zur Rückseite des Hauses. –Wo ist der Kurze?!- fragte er sich, denn er hatte Tach’Lurv nicht mehr gesehen, seit dieser in den Schatten getreten war.

Walsch sah sich um, erkannte aber niemanden und prallte dennoch mitten im Sprint mit jemand zusammen. Selbst Shau’Gra’Zin war überrascht auf Walsch zu treffen und reagierte einen Sekundenbruchteil zu spät.

***

Laster’Lar lief los zur Rückseite des Hauses und wurde von mehreren Kugeln empfangen, doch der Superintendent sprang rechtzeitig zur Seite, suchte Deckung hinter einer massiven Gartenmauer und feuerte zurück.
In der Hintertür des Hauses stand ein Mann mit einer AK 47 und nagelte ihn hinter der Mauer fest, als plötzlich Shea an der Ecke des Hauses auftauchte und den Mann mit zwei Schüssen traf, der rückwärts in das Haus taumelte. Sofort sprang Laster’Lar auf und rannte zur Tür, wobei er einen Schuss nach dem anderen auf den Mann abgab, bis dieser zusammenbrach. Auch Shea rannte geduckt auf die Tür zu und gemeinsam erreichten die Beiden die Hintertür.

***

Raphaela schoss einen Sekundenbruchteil schneller als der Mann in der Tür und dieser Bruchteil rettete ihr Leben. Ihre Kugel traf die linke Hand des Angreifers, welche den Gewehrschaft hielt und der Schütze riss die Waffe automatisch in dem Moment zur Seite, in dem er feuerte. Die erste Kugel sauste nur ein paar mm an Raphaelas Kopf vorbei und die restlichen Geschosse verfehlten sie deutlich. Doch ihr zweiter Schuss traf den Angreifer in die Brust, was ihn in die Tür zurückwarf.

Mit Raphaelas zweiten Schuss hatte auch Marion die Gefahr wahrgenommen und sie erkannte, dass der Angreifer eine schusssichere Weste trug. Raphaelas Kugel hatte ihn zwar getroffen, aber nicht ausgeschaltet. Sie zielte tiefer und jagte dem Kerl in der Tür kurzerhand drei Kugeln in Beine und Unterleib.

***

In HaturKalins Garten stellte Walsch überrascht fest, dass der Mann, dem er gegenüberstand, eine Art Kriegstracht trug und reagierte, wie er es in den letzten Wochen gelernt hatte. Sah man den Gegner erst, durfte er keine Zeit haben, seine Taktik anzuwenden. Walsch sprang den Mann an und verwickelte ihn in einen Nahkampf. Shau’Gra’Zin der zwar kein Krieger war, kannte sich doch zumindest etwas in der Kampftechnik der Stämme aus, doch der andere ließ ihn nicht die Initiative ergreifen. Der Priester des schwarzen Ordens konnte nur auf Walsch Angriffe reagieren, doch anders als sein Gegner war er bewaffnet!
Shau’Gra’Zin bekam seine Chance, als ein Angriff Walschs ins Leere lief. Der Priester verpasste ihm einen Tritt und beförderte Walsch zwei Meter von sich entfernt weg. Noch nie in seinem Leben sah Walsch eine derartige Schnelligkeit, mit der der Priester seinen Dolch zog und nach ihm schleuderte.

***

Hondu Singh hörte die Schüsse an der Hintertür, mit der Gabur ihre Verfolger aufhielt, als Halit, der in die Küche stürmte, gegen ihn geschleudert wurde. Ehe Hondu begriff, dass es Halit war, der wie am Spieß schrie, wurde Gabur von mehreren Kugeln getroffen, herumgerissen und ging zu Boden! Nun wusste einer der besten Planer der Killerfamilie, dass etwas überhaupt nicht nach Plan lief!

***

Der Dolch flog genau auf Walsch zu und dieser wusste instinktiv, dass er nicht rechtzeitig ausweichen konnte, als eine Hand vor seinem Gesicht erschien und den Dolch scheinbar mühelos im Flug auffing.
„Das war ziemlich langsam, Großer.“ Kommentierte Tach’Lurv den Kampf trocken. „Ich dachte, jemand mit so langen Beinen könnte sich schneller bewegen.“
„Manchmal gehst du mir mit deiner Klugscheißerei tierisch auf die Nerven, Kurzer. Wo zum Teufel warst du?“ Antwortete Walsch, was den Krieger zum Grinsen brachte.

„Ich musste sichergehen, dass der Messerspieler da alleine ist und dachte, mit einem Gegner wirst du wohl alleine fertig.“ Was ihm einen vernichtenden Blick von Walsch einbrachte. „Schnapp du dir den Kerl im Haus, ich kümmere mich um den Verräter.“ Sagte Tach’Lurv und Walsch rannte weiter zum Haus Hatur’Kalins.

***

Von den Angreifern am Müllauto wälzten sich noch zwei schwer verletzt am Boden, als Veronique mit den Gardistinnen zu ihnen rannte, um sicherzustellen, dass alle Angreifer auch tatsächlich ausgeschaltet waren.
***

Raphaela schoss auf eine zweite Gestalt vor der Tür und zwang ihn zurückzuweichen, gleichzeitig sprang Marion vor zur Tür, um in eine bessere Schussposition zu kommen.

Laster’Lar, der nicht sicher sein konnte, ob der Mann am Boden tatsächlich tot war, trat dem Mann das Gewehr aus den Händen, dann sprach er sich per Handzeichen mit Shea ab. Shea nickte und gab Laster’Lar Feuerschutz, als dieser in dieser in den Flur sprang. Dort stand ein Mann mit einer Pistole, die auf ihn zielte.

„Waffe runter!“ befahl Laster’Lar dem Mann, als Shea hinter ihm ebenfalls ihre Waffe auf ihn richtete.
Marion, die Laster’Lar und Shea hörte, wirbelte in den Flur und sah den Rücken eines Mannes, der auf Laster’Lar und Shea zielte.

***

Hondu Singh wusste, dass er versagt hatte! Seine Neffen waren tot und die Zielperson noch am Leben… doch er hatte noch eine letzte Chance seine Ehre wenigstens halbwegs herzustellen! Seine Zielperson stand hinter ihm und er hatte noch ein volles Magazin…

***

Walsch sah durch die Fenster der Garage eine Bewegung und rannte zur Tür, die krachend nachgab, als er sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen warf. Er konnte gerade noch sehen, wie ein massiver SUV durch das geschlossene Garagentor donnerte. „Mistkerl!“ fluchte Walsch und rannte hinter dem SUV her.

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„Oh welche Ehre, der große Tach’lurv, Sohn des obersten Häuptlings persönlich.“ Spottete Shau’Gra’Zin als er dem jungen Krieger gegenüberstand. „Da wird der Papa aber böse auf mich sein, nachdem ich dich zu Mualebda geschickt habe.“
„Das dürfte dir schwerfallen.“ Entgegnete Tach’lurv gelassen und hielt Shau’Gra’Zins Dolch hoch. „Selbst die Priester Krusch’tas verfügen nicht über so spitze Finger.“
„Du musst noch viel über uns Priester lernen, kleiner Krieger.“ Grinste Shau’Gra’Zin und holte einen zweiten Dolch aus seinem Gewandt, doch auch davon ließ sich Tach’Lurv nicht beeindrucken. Als Shau’Gra’Zin angriff musste er feststellen, dass er allenfalls Grundkenntnisse im Kampfstiel der Krieger besaß.

Er war vielleicht besser als diese Kers’tus aus Europa, doch einem echten Krieger war er nicht gewachsen. Nach einigen Minuten des Kampfes, begriff Shau’Gra’Zin, dass er keine Chance hatte den Krieger zu besiegen und es nur einen Ausweg gab!

Er täuschte einen Angriff auf Tach’Lurv vor, drehte den Doch zu sich und stieß ihn sich in seine eigene Brust. Aber auch hier hatte er die Rechnung ohne den Krieger gemacht. Auch Tach’Lurv hatte damit gerechnet und noch bevor die Klinge einen cm tief in die Brust des schwarzen Priesters eingedrungen war, packte der Krieger die Hand des schwarzen Priesters, riss den Dolch zurück und schlug den Priester mit dem Knauf seiner Klinge bewusstlos.

„Das könnte dir so passen!“ brummte Tach’Lurv, „Bevor du zu deinem Gott Krusch’ta ins Dunkel folgst, hast du noch eine Verabredung mit Ma’Difgtma!“

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Veronique hörte ein Krachen, dann donnerte ein SUV durch das Garagentor von Hatur’Kalins Haus und, noch bevor die Gardistinnen das Feuer auf den Wagen eröffnen konnten, war dieser auch schon vorbeigerast.

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Walsch war bis zur Straße gerannt, nur um zu sehen, wie der SUV die Straße entlang raste und um die nächste Ecke flog.
„Scheiße!“ schrie er laut, als mit quietschenden Reifen ein Sportwagen mit Einschusslöchern neben ihm stehen blieb.
„Den kriegen wir locker! Spring rein!“ rief Lukas und brauste los, nachdem Walsch in den Sportwagen hinein gesprungen war.

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Marion richtete ihre Waffe auf den Mann vor ihr, wobei sie darauf achtete, nicht in Laster’Lars oder Sheas Schussrichtung zu stehen. Mit einem Sprung zur anderen Seite des Flures machte sie Raphaela Platz, die nun ebenfalls ihre Pistole auf den Mann richtete. Der Mann vor ihr blickte etwas zur Seite, dorthin wo sie stand, dann zurück zu Laster’Lar schaute.

„Tun sie es nicht!“ warnte ihn der Superintendent und tatsächlich schien sich der Mann zu entspannen, doch Laster’Lar blieb wachsam. Nun stand er Mann vor ihm, die Waffe jedoch noch immer auf Laster’Lar gerichtet da, sah diesem genau in die Augen und das, was Laster’Lar sah, sagte ihm, dass dieser Mann nicht aufgegeben hatte!

Als sie das Krachen von Hatur’Kalins Garagentors hörten, geschah es! Der letzte Attentäter wirbelte nach rechts, riss seine Waffe herum zu Marion und schoss, doch bevor er es schaffte die Pistole auf Marion zu richten, feuerten Laster’Lar, Shea, Marion und Raphaela gleichzeitig.

Hondu wurde von mehreren Kugeln gleichzeitig getroffen, schaffte es aber dennoch, drei Schüsse abzugeben, doch keine Kugel traf Marion.

***

„Hi, ich bin Lukas.“
„Tom.“ Stellten sich die beiden Männer gegenseitig vor.
„Soulebdalese mit Migrationshintergrund?“ fragte Lukas.
„Nein, Ire.“
„Freut mich, Mister Ire. Was tust du hier auf der Insel?“
„Ich lerne zu überleben.“
„Cool, hast die Lektion wohl verstanden.“ Grinste Lukas. „Da ist er!“ Und tatsächlich hatten sie Hatur’Kalin eingeholt.
„Hast du eine Knarre?“ wollte Walsch wissen, „Meine ist leer.“
„Sorry, aber ich laufe nicht mit Knarren herum.“
„Was?! Wieso?“
„Lange Geschichte.“
„Und wie gedenkst du, ohne Knarre, den Verdächtigen zu stoppen?“
„Ich hab fünfhundertzwanzig PS, das sollte reichen. Kopf runter!“
Hatur’Kalin hatte sich, soweit er konnte, umgedreht, zerschoss die Heckscheibe seines SUV und feuerte auf seine Verfolger, was zusätzliche Löcher in den Wagen von Ma’Gus zur Folge hatte.
„Ich will nicht der Besserwisser sein, aber wie wollen wir mit dem Leichtgewicht den SUV stoppen? Das Ding wiegt einiges mehr.“
„Wir müssen ihn nur an der richtigen Stelle, am richtigen Ort erwischen. Ich übernehme den SUV und du den Fahrer. Alles klar?“
„Alles klar.“
Lukas und fuhr Schlangenlinien um Hatur’Kalin kein leichtes Ziel zu bieten, als dieser nachgeladen hatte und erneut auf sie schoss. Nach einigen Minuten hatte Hatur’Kalin die Stadt verlassen und brauste nach Westen zur Küste.
„Walsch der sich das Funkgerät des Wagens anschaute, fragte „Sollen wir die Kavallerie rufen?“
„Brauchen wir nicht, wir kommen gleich zu einer Kurvenreichen Strecke, die Straße fällt rechts einige Meter steil ab. Wir warten bis er sich in einer engen Linkskurve befindet, dann geht’s los.“
„Alles klar.“ Bestätige Walsch und hob den Daumen.
Wie Lukas es gesagt hatte, kam nun eine kurvenreiche Strecke, in der der schwere SUV seine Geschwindigkeit verringern musste, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Lukas blieb etwas auf Abstand und wartete auf seien Chance.
„Achtung es geht los!“, warnte er Walsch vor, als nach zwei Rechtskurven eine engere Linkskurve kam. Lukas nahm die Kurve enger als der SUV, trat das Gaspedal durch und rammte den SUV in der Fahrerseite. Mit seinen fünfhundert PS drückte Lukas den SUV aus der Kurve heraus und schob ihn die Böschung hinunter, wo dieser abrutsche, sich überschlug und mit einem lauten Krachen auf dem Dach liegen blieb.
Der Airbag des SUV explodierte und drückte den Fahrer in seinen Sitz, während Walsch aus dem Auto sprang, um den Abhang herunter zu rutschen. Hatur’Kalin den lediglich der Airbag gerettet hatte, kroch aus dem Wrack des Autos, als Walsch ihn erreicht hatte.
„Sind sie verletzt?“ fragte der Mann ihn.
„Was?“ Hatur’Kalins Verstand war nach dem Unfall noch benommen und er schaute den Mann verwirrt an, „Ähm nein.“
„Gut so“, grinste der Mann, „dann mach ich das!“ und schlug ihn mit einem harten Schlag KO.

***

„Alles klar mit dir?“ drang Raphaelas Stimme in Marions Kopf und Marion Antwort bestand darin, ihre Freundin in die Arme zu nehmen. Nun, da das Adrenalin nachließ, wurde Marion beinahe schlecht, als sie sich in dem völlig verwüsteten Haus umsah.
Laster’Lar, der sich versichtert hatte, dass auch Shea unversehrt war, ging zum Fenster um die Lage vor dem Haus zu kontrollieren. Draußen sah er Veronique mit den Gardistinnen am Müllwagen stehen, die ihn fragend und angstvoll zugleich ansah.

„Alles klar bei Euch?“ wollte sie wissen und Laster’Lar nickte nur.
Unterdessen war Shea zu Halit Singh getreten, der sich unter Schmerzen krümmte, um sicherzustellen, dass dieser keine Waffe mehr hatte und für einen kurzen Moment erinnerte sich Marion an das Gespräch mit Caroline an ihrem ersten Abend auf Soulebda und für eine Sekunde überlegte sie mit der Waffe in ihren Händen Fakten zu schaffen… doch als sie die Waffe heben wollte, konnte sie nicht! Das wäre NICHT Marion!

***

Stunden später, nachdem alle Spielhallen Hatur’Kalins gestürmt und durchsucht waren, die Polizei alle Anhänger Krusch’tas auf Ka’illih verhaftet hatte und die Aufräumarbeiten begonnen hatten, saß Shau’Gra’Zin in einer kleinen kaum beleuchteten Zelle. Am meisten wunderte sich der Priester darüber, dass man ihn nicht gefesselt oder durchsucht hatte. Lediglich seinen Dolch hatte man ihm abgenommen. Als sich plötzlich die Tür öffnete, konnte Shau’Gra’Zin lediglich eine schemenhafte Figur sehen, die eintrat.

„Ich habe mich sehr intensiv auf diese Unterhaltung vorbereitet.“
Sagte Ma’Difgtma, als sie die Tür hinter sich schloss.
„Ob freiwillig oder nicht, du wirst mir alle Fragen zu den Kum’do Hintermännern beantworten und besonders wirst du mir bei der Suche nach der kleinen Leonie helfen!“

Shau’Gra’Zin musste schlucken. Er wusste, dass er jetzt verloren hatte. Ma’Difgtma und ihr Wirken kannte er nur zu gut. Sie sah ihn an und ihre Augen schienen seltsam zu leuchten. Da stieg eine Kälte bei Shau’Gra’Zin den Rücken hoch und seine wenigen Haare sträubten sich. Ihm wurde plötzlich schrecklich übel.

***

Souelbda / Tel Aviv / Mainstadt

In einer Videokonferenz teilte Dagan Frank, Mohrle und Lem mit, was Ma’Difgtma in dem Verhör von Shau’Gra’Zin herausgefunden hatte.

Das Verhör glich mehr einem stillen Zweikampf in dem sich die Gegner schweigend gegenübersaßen und der Priester hatte heftigen Wiederstand geleistet, doch Ma’Difgtma schien von der Kraft Mualebdas selbst besessen zu sein.

Auch sein Gott Krusch’ta konnte ihm nicht mehr helfen, denn gegen Mualebda hatte er keine Chance! Schließlich brach der Priester zusammen und Ma’Difgtma konnte die Befragung beginnen.
„Die Hintermänner sitzen definitiv in Mainstdat. Sowohl Shau’Gra’Zin als auch der Überlebende der Singh-Familie sagen, dass sie Kontakt über einen Priester in Mainstadt gehalten hatten.“

„Gibt es wenigstens eine konkrete Spur zu Leonie?“
„Wir wissen, dass es einflussreiche Männer aus Mainstadt sind, die die Fäden in den Händen halten und dass eine geheime Spielstädte gibt, in denen die auch die Entführten gefangen gehalten werden. Leonie scheint man nicht einzusperren, aber von allen Nachrichten und Informationen zu isolieren.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit einem Kind zu tun haben. Ich wette die Entführer haben es geschafft ihr Vertrauen zu erwerben, so dass sie nicht an Flucht denkt und ihre Bewacher als Schutz, vielleicht sogar als Freunde sieht.“
„Na gut.“ Brummte Decker. „Einflussreiche Männer aus der Umgebung von Mainstadt, mit guten Verbindungen nach Asien, da wird es sicher nicht tausende geben.“
„Nein.“ Meinte Mohrle. „Das bringt uns einen guten Schritt weiter. Wir verfolgen die Spur des Geldes weiter und früher oder später, haben wir die Kerle.“

„Und dieser Shau’Gra’Zin sagt, es gibt tatsächlich einen weiteren Priester, der hier sein Unwesen treibt.“ Stellte Frank fest.
„Leider,“ nickte Dagan. „Und solange wir den nicht ausgeschaltet haben, werden die Spiele weitergehen.“

***

Während Shau’Gra’Zin sich mit seinem größten Alptraum konfrontiert sah, starrte Ma’Gus den verbogenen Haufen Blech an, dass einmal sein Sportwagen war, als sein Handy vibrierte.
„Was?!“ Fragte er unwirsch.
„Falls sie gerade auf dem Parkplatz stehen“, erklang Hauers Stimme, „ICH war es nicht.“

***

BND Büro / Mainstadt

„Na, Meister der Zahlen?“ fragte Mohrle, als er sich zu Passer setzte, der über den Dokumenten der GSG brütete. Kaum hatten Mohrles Männer eine Verbindung zu Lems Serverkopie der GSG, spuckten die Drucker seitenweise Papier aus, welche nun von den „Freiwilligen“ Experten des BND überprüft und durchgesehen wurden.
„Zwölfeinhalb.“ Antwortete Passer, ohne aufzublicken.
„Zwölfeinhalb, was?“
„Zwölfeinhalb Jahre Knast haben wir angesammelt. Und damit meine ich nicht die Bösen, sondern uns, das was wir hier machen, ist im höchsten Maße illegal.“
„Wir versuchen, ein Kind zu retten.“
„Scheiße Heinz! Das weiß ich! Darum mache ich ja auch mit, trotz aller drohenden Konsequenzen, aber deswegen ist es nicht weniger illegal!“
„Tut mir leid, ich wollte nicht…“
„Schon gut.“ Beschwichtigte Passer, zog seine Lesebrille aus, rieb sich die Augen und lehnte sich zurück. „Wir stehen alle unter Strom.“
„Danke. Konntest du etwas finden?“

„Finden konnte ich eine ganze Menge… klar ist, dass die Konten der GSG und ihrer Tochterfirmen für Geldwäsche benutzt werden, das Problem ist, dass ich erstens; keine Ahnung habe woher das Geld kommt und zweites; nicht herausfinden kann, wer dahinter steckt. Es ist auf keinen Fall eine GSG Firma.“
„Wenn das so offensichtlich ist, wieso hat dann das Finanzamt nie eingegriffen?“

„Zu wissen das Geld gewaschen wird und es zu beweisen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Wer immer hinter den Geldströmen der GSG sitzt, er zahlt pünktlich die fälligen Steuern, er versucht auch nicht, mit Tricks Steuern zu sparen, oder sie über internationale Briefkastenfirmen zu reduzieren, nein, jeder Cent wird pünktlich gezahlt, auf den ersten Blick ist alles völlig sauber. Ich wette, dass kein Steuerprüfer einen zweiten Blick auf die Unterlagen der GSG Gruppe geworfen hat, dafür sind die wenigen Steuerprüfer zu sehr überlastet. Aber Heinz, ich rieche es einfach, dass da etwas gewaltig stinkt… die Steuerbescheide sind einfach ZU sauber!“ Er nahm den Stapel wieder auf und blätterte ihn durch.

„Ich werde dich dann mal nicht länger aufhalten. Danke nochmal, glaub mir, ich weiß es sehr zu schätzen.“ sagte Mohrle, legte die Hand auf Passers Schulter und stand auf, um das Büro zu verlassen. Gerade als er die Tür erreicht hatte, sagte Passer, „Warte mal! Ich hab da was!“
Mohrle machte kehrt und stellte sich neben Passer, der mehrere Blätter miteinander verglich. „Schau mal.“ Forderte Passer ihn auf, holte einen Textmarker und markierte ein paar Zahlungen. Dann reichte er die Blätter Mohrle.
„Ein Geschäftsessen?“
„Ja.“
„Der Betrag ist mit 2.309,56 Euro angegeben. Scheint eine kleine Runde gewesen zu sein, was ist daran so interessant?“
„Sieh her“, Passer legte die Papiere nebeneinander und zeigte Mohrle, auf was er achten solle. „Dieses Geschäftsessen wird in regelmäßigen Abständen wiederholt und der Betrag ist immer im selben Rahmen.“
„Das heißt, es sind dieselben Leute, die sich da den Bauch vollschlagen.“
„Nicht nur das, schau dir die Rechnung an!“
„HHMMM… sorry, ich stehe auf dem Schlauch.“
„Das angebliche Restaurant heißt „Zum Kreuzritter“.“
„Na und?…Und was heißt angeblich?“
„Die Welt der Kapuzenträger ist wohl nicht die deine?“
„Nein, klär mich auf.“
„Im Kreuzritter kannst du nicht einfach mal essen gehen, du musst Mitglied sein, also ein Ritter des Kreuzordens.“
„So wie ein Tempelritter?“
„Ja, bloß dass die Ritter dieses Kreuzordens sich weniger um das Seelenheils der Menschen kümmern, sondern den Gott „Geld“ anbeten. In diesem Orden sind einige sehr reiche und einflussreiche Männer.“
„Also genau der Typ Mann, den wir suchen?“
„Genau der! Männer mit guten Verbindungen in die ganze Welt und mit SEHR viel Geld.“
„Gibt’s da eine Mitgliederliste?“

Passer lachte trocken auf, „Nein, Mitglied wirst du nur durch persönliche Einladung und dann auch nur, wenn mindestens zwei weitere Mitglieder des Ordens für dich bürgen. Wer einmal Mitglied im Orden ist, darf es nicht verraten, da er sonst geächtet wird. Und da diese Männer auch wirtschaftlich sehr eng miteinander verflochten sind, hat bis jetzt auch niemand gegen diese Regel verstoßen.“

„Aber wäre es dann nicht zu verräterisch eine solche Spur zu legen?“
„Du denkst falsch! Natürlich würde keiner dieser Männer auf die Idee kommen das Essen im Kreuzritter über die Steuer abzusetzen, doch diese Männer tun das nicht selber, sie haben dafür Spitzenpersonal und die machen so etwas aus reiner Gewohnheit, da es zu ihren Aufgaben gehört, Dinge wie das Absetzten von Geschäftskosten von der Steuer, zu erledigen.“

Mohrle starrte die Rechnungen an und je länger er über das nachdachte, was Passer ihm sagte, umso stärker wurde das Gefühl, vor dem ersten wirklichen Durchbruch zu stehen! Sie hatten eine Spur zu Leonie und damit wurde es Zeit Karin Winter, die unerschrockene Staatsanwältin aus Chemnitz, von der Kette zu lassen!

***

Geheimer Ort bei Mainstadt

Geduldig wartete Charly einige Schritte neben Karen, die sich gerade die Seele aus dem Leib kotzte. Dabei lehnte er sich lässig gegen die Rollliege, auf der die Verliererin des letzten Spieles lag, mit einer nicht zu übersehenden Schnittwunde, welche quer über die Kehle ging, und darauf wartete von Glöckners Männer zur Verbrennungsanlage gebracht zu werden. Nach dem Vorfall mit Langler und der bekannten Konsequenz für Betz, hatte es bei der Beseitigung der Leichen kein weiteres Versagen gegeben.
Karen hatte darauf bestanden ein Spiel vom Tisch aus zu kommentieren und Kitzinger musste zugeben, dass Karen ihr Handwerk beherrschte, denn fest stand, dass die Wetten und somit die Gewinne, nach Karens Auftreten weit höher bzw. größer waren, als vorher.
Eine kurze Rücksprache mit den anderen beiden „Vorständen“ genügte um eine Entscheidung, „Geheimhaltung“ gegen „Gewinn“ abzuwägen. Kitzinger war sich sicher, dass Karen ihre Million wichtiger war, als die Menschen, die beim Kum’do mitspielen mussten. Aber würde das auch gelten, wenn es um das Leben eines Kindes ging? Das wusste auch Kitzinger nicht mit absoluter Sicherheit und so wurde Charly damit beauftragt Karen, möglichst schonend, in alle Geheimnisse einzuweihen. Ein anschließendes Gespräch zwischen Karen und Kitzinger würde dann darüber entscheiden, ob Karen sein Büro lebend verließ, oder nicht. Denn, auch da war man sich einig, Karen würde sich nicht ewig hinhalten lassen, also entschloss sich der „Vorstand“ das Risiko einzugehen.
Als Karen die Kum’do Arena betrat, fielen ihr natürlich sofort die Ketten auf, mit denen die Spieler an dem schweren Marmortisch gekettet waren.
„Warum sind die Spieler an den Tisch gefesselt?“ wollte sie von Charly wissen.
Der entschloss sich Karen erst „einzuweihen“ wenn das Spiel zu Ende war und antwortete, „Nun, da sie sozusagen hautnah vom Tisch berichten wollen, dachten wir, dass so die Dramatik etwas erhöht wird und die Einsätze noch etwas steigen.“
„Und die ganzen Wachen?“ Karen zeigte auf die sechs Männer in schwarzen Kampfanzügen, ohne irgendwelche Abzeichen und mit Sturmhauben über dem Gesicht.
„Derselbe Effekt wie die Ketten, das ganze bietet doch ein sehr düsteres und aufregendes Ambiente, finden sie nicht?“
Karen musste zugeben, dass Charly Recht hatte, die Atmosphäre war düster und angespannt, genau das, was die Leute sehen wollten und so musste sie nur noch dafür sorgen, diese Atmosphäre beim Zuschauer auch ankam.
„Ah, deswegen die Maske?“ fragte sie und hielt eine kleine schmale Gesichtsmaske hoch, die ihr Charly bei Betreten des Raumes übergeben hatte.
„So ist es.“ Bestätigte dieser und Karens sah sich um…immerhin schien sich Charly schon seine Gedanken gemacht zu haben, denn die Spieler, drei Frauen und zwei Männer, schienen schon in ihrer Rolle zu sein, denn sie hatten sorgenvolle, ja angstvolle Mienen aufgesetzt.
„Die ist gut!“ flüsterte Karen und zeigte auf eine etwa dreißigjährige Frau, die jammernd am Tisch saß.
„Das sollte sie auch, bei der Gage die sie, zuzüglich des möglichen Gewinns erhält.“
Nun erst fiel Karen der leere Platz auf und fragte. „Für wen ist der leere Platz?“
„Für eine besondere Spielerin, sie wird separat gebracht.“ Antwortete Charly, als sein Handy vibrierte. Er schaute kurz auf das Display und sagte dann zu Karen, „Die Spielerin ist angekommen, ich hole sie ab, sie können sich solange um ihre Vorbereitungen kümmern.“
Karen nickte und begann ihren Job zu machen. Als Erstes wies sie den von Charly beauftragten Kameramann ein. Sie erklärte ihm, welche Einstellungen und Winkel sie haben wollte und von wo sie selbst aus in die Kamera sprechen würde.
Der Kameramann schien Erfahrung zu haben, denn schon nach einigen Minuten klappte die Zusammenarbeit reibungslos.
„Wie heißt du eigentlich?“
„Dom.“
„Dom? Und wie noch?“
„Nur Dom!“
„Ok“, zog Karen die Schulter hoch, „Dom. Freut mich.“
Karen überprüfte die Probeaufnahmen, als Charly mit der sechsten Spielerin zurückkam und sie war sehr erstaunt, dass es sich um ein Kind handelte.
Charly geleitete das Mädchen zu seinem Platz, dann flüsterte er mit ihr so leise, dass niemand der anderen am Tisch das Gespräch hören konnte, doch Karen fiel auf, als das Mädchen einen entschlossenen Blick zu den anderen Spielern warf, schlug ihr Ablehnung, ja schon Hass entgegen.
Charly beendete seine leise Unterhaltung und gesellte sich wieder zu Karen, dann nickte er den Wachen zu, die alle zu einem Spieler traten und ihm eine kleine venezianische Maske reichten. Außerdem legten sie vor jeden Spieler eine bunte Kette. Die Frau, welche schon vorher gejammert hatte, versuchte vergeblich die Bänder hinter ihrem Kopf zu schließen, doch ihre Finger zitterten so sehr, dass sie die Maske nicht schließen konnte, so dass die Wache hinter ihr schließlich, von Charly einen Wink bekam und zu der Spielerin trat um ihr beim Anlegen der Maske zu helfen.
„Nimmst du das auf?“ fragte Karen Dom flüsternd.
„Noch nicht.“
„Dann los!“ herrschte sie ihn an. „Das will ich unbedingt haben!“
„OK.“ Brummte Dom und startete die Aufnahme.
Als alle Masken angelegt waren, ertönte ein Gong. Der Priester aus Soulebda betrat den Raum. Augenblicklich wurde das Licht dunkler und ein Spot richtete sich auf den Tisch, so dass die Wachen größtenteils im Dunkeln standen und lediglich als undeutliche Schatten wahrnehmbar blieben, nur die Spieler und der Priester blieben im Licht.
Nun begann durch den Priester die Segnung der Spieler und des Tisches. In der Zwischenzeit trat Charly vom Tisch zurück und begab sich zu Karen, die Charly auf die Schulter tippte. „Wer ist die Kleine?“
„Sie ist die Favoritin.“
„Und wieso sind die anderen ihr gegenüber so feindselig?“
„Wie gesagt, sie ist die Favoritin und schließlich geht es hier um einiges.“
„Die Kleine ist die Favoritin? Wie alt ist sie? Zwölf?“
„Leonie ist zehn und die beste Kum’do Spielerin, die ich bisher kennenlernte. Sie ist ein Naturtalent, wenn es um das Vorhersagen des Dolches geht.“
„Sie hat doch aber keinen Einfluss auf den Dolch, außer sie dreht selbst.“
„Schon, aber sie kann mit ihrer Drehung Spieler ausschalten, oder im Spiel halten.“
„Wollen sie die Kleine nicht auch an den Tisch ketten?“
„Das wäre jetzt etwas übertrieben, oder finden sie nicht?“
„Sie wollen doch die düstere Atmosphäre.“
„Eine düstere Atmosphäre ja, eine postapokalyptische Stimmung wollen wir doch lieber vermeiden.“
„Ganz wie sie wollen, das hier ist ihr Ding.“
Der Priester hatte inzwischen die Segnung beendet und das Spiel konnte beginnen, also richtete Karen ihre Kleidung, prüfte ein letztes Mal ihr Makeup, legte sich die Maske um und begann mit ihrer Moderation.
„Einen schönen und schaurigen guten Abend liebe Freunde des geheimnisvollen Kum’do.“ Eröffnete sie den Abend und schaute zur Glasdecke, von der sie wusste, dass die Wettteilnehmer sie von oben beobachteten. „Mein Name ist Karen und ich begrüße sie zu einem weiteren spanenden Abend, diesmal direkt aus der Arena.“

***

Nach guten neunzig Minuten stand die Verliererin fest, es war die Frau, welche schon vor Beginn jammernd am Tisch gesessen hatte. Die Favoritin war nur knapp einer Niederlage entgangen und saß mit einer sehr blassen Nase am Tisch, als der Priester sich an die Verliererin wandte, „Triff deine Wahl!“ forderte er sie auf und die Frau sackte zusammen. „Ich kann das nicht!“ flüsterte sie und auf einen Wink des Priesters wurde sie von zwei Wachen gepackt, losgebunden und aus dem Raum geschleift.

Leonie, die einzige am Tisch, die nicht angekettet war, wurde immer noch blass, von Charly aus dem Raum gebracht, während die anderen Spieler zurückblieben.
„Charly!“ Rief Karen und der blieb stehen, drehte sich um und kam zu ihr. „Kann ich mit Leonie reden?“
„Nein!“
„Aber sie hat nur knapp verloren, ich würde sie gerne…
„NEIN!“ Unterbrach sie Charly ungewohnt schroff.

„Keine Interview mit Leonie!“

„Na schön, sorry… sie müssen nicht gleich grob werden.“
„Tut mir leid“, entschuldigte sich Charly, „aber wenn sie wollen, kann ich ein Interview mit der Verliererin arrangieren.“
„Naja… das wäre immerhin etwas.“ Antwortete Karen.
„Dann warten sie doch im Nebenraum, ich bringe Leonie zurück, dann hole ich sie ab und bringe sie zu der Verliererin.“
Karen nickte und machte sich während der Wartezeit schon an die Bearbeitung der Aufnahmen und zog sich mit dem Kameramann zurück.
Als Charly zurückkehrte, führte er Karen mit Dom durch die Flure in den Keller.
„Was ist heute geschehen? Es lief nicht wie sie oder Leonie wollten, das konnte ich deutlich sehen.“
„Die anderen Spieler haben sich zusammengetan, um Leonie aus dem Spiel zu werfen.“
„Etwas dass sie verhindern wollen?“
„Natürlich, Leonie ist der Magnet, welcher die größten Wetteinsätze auf sich zieht.“ meinte Charly und wechselte danach geschickt das Thema. „Welche Fragen haben sie denn an die Verliererin?“ wollte Charly wissen.
„Nun, die Leute wollen immer eine weinende und verzweifelte Frau sehen, egal welche Sendung sie auch schauen, von der Koch Show bis zum Auswandern, eine Frau heult immer in die Kamera. Also werde ich mich danach richten. Was hat sie bewogen mitzuspielen? Was haben sie alles verloren? Was kommt nach dem Verlieren? Und so weiter… Hauptsache die Tränendrüse arbeitet.“

„Ah, ja ich verstehe… nun ich denke, ihr Konzept wird voll aufgehen.“ Antwortete Charly, als er schließlich vor einer stabilen Metalltür stehen blieb. Während Charly die Tür öffnete, warf er dem Kameramann einen vielsagenden Blick zu, den dieser genau verstand. Als Karen durch die Tür trat, folgte Charly und Dom blieb zurück, was Karen anfangs nicht mitbekam. Sie betrat einen beinahe dunklen Raum und drehte sich zu Charly um, der die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Nun, als Charly die Tür hinter sich abschloss, bemerkte sie erst, dass Dom nicht in den Raum mitgekommen war.

„Was wird das hier?!“ fragte Karen und trat einen Schritt von Charly weg.
„Sie wollten die Verlieren interviewen, nun… tuen sie sich keinen Zwang an. Ich verspreche ihnen, dass all ihre Fragen beantwortet werden, allerdings fürchte ich, dass die Unterhaltung etwas einseitig sein wird.“ Charly, trat einen Schritt zur Wand und schaltete das Licht an.

***

Karen starrte die nackte Leiche an, die genau unter der grellen Neonlampe, auf einer kalten Stahlliege lag und deren leeren Augen die Decke anstarrten.
„Die… die Frau… sie ist…“ stammelte Karen und drehte sich zu Charly um, der sie ungerührt anschaute. Sie warf einen weiteren Blick auf die Leiche, dann wandte sie sich abrupt ab und begann zu erbrechen.
Charly wartete geduldig, bis Karen fertig war, dann reichte er ihr ein sauberes Taschentuch, das diese dankbar entgegennahm. Erst einige Sekunden danach wurde ihr Charlys Nähe bewusst und sie stolperte panisch ein paar Schritt zurück. „Was wird hier gespielt?!“ stieß sie hervor, als sie wieder halbwegs in der Lage war zu sprechen, wenn auch mit zittriger Stimme.
„Kum’do.“, antwortete Charly ruhig, der bemüht war, nicht bedrohlich zu wirken.
„Aber die Frau ist TOT!“
„Natürlich ist sie das, sie hat verloren und den Preis dafür gezahlt.“
„Sie haben sie ermordet!“
„Nein, ermordet trifft es nicht, diese Frau wurde Gott Krasch’tu geopfert. Hier, sehen sie.“ Charly trat an die Leiche heran und öffnete deren Mund soweit, dass man die Opferkette sehen konnte, welche im Mund der Frau steckte.
„Das ist… das ist völlig verrückt… SIE SIND VERRÜCKT!“

„Miss Wilson, dachten sie wirklich die Leute wetten um solch hohe Summen, nur um sechs Spielern zuzusehen, die an einem Dolch drehen? Das, “ Charly wies auf die Tote, „das ist der Grund für die hohen Einsätze. Die Lust am Verbotenen, der Thrill auf ein Menschenleben zu wetten, DAS ist Kum’do!“

„Jetzt verstehe ich… die Fesseln, die Masken… diese Menschen spielen nicht freiwillig! Ihr zwingt sie dazu!“
„Nur einige. Seit das Kum’do Einzug hielt, kommen immer mehr Spieler, welche freiwillig an der Zeremonie, zu Ehren Krasch’tu teil nehmen, doch wie sie sich sicher denken können, sind die Wetteinsätze bei freiwilligen Spielern nicht annähernd so hoch, wie bei dieser Runde, deswegen hat man sie engagiert, um die Einnahmen in die Höhe zu treiben.“
„Heißt das etwa, dass, jedes Mal wenn ich eine Runde kommentiert habe, starb jemand?!“
„So ist es.“
„Wissen denn die Spieler, was ihnen droht?“
Charly stieß ein trockenes Lachen aus. „Selbstverständlich, deswegen ketten wir die Spieler ja an den Tisch.“
„Ihr bringt die Leute um?!“
„Nicht alle, die unglücklichen Spieler haben die Wahl, entweder tötet sie der Priester, oder sie töten sich selbst. Ich bin übrigens sehr erstaunt darüber, wie groß der Anteil der Spieler ist, die sich lieber selbst töten.“
Die Welt in Karens Kopf begann sich etwas weniger schnell zu drehen und langsam erahnte sie, wie tief sie in die Sache selbst verwickelt war. Als sie die Dimensionen begriff, durchzuckte sie plötzlich ein Gedanke, der sie heftig zusammenzucken ließ. „Die Kleine… Leonie! Was wäre geschehen, wenn Leonie verloren hätte?!“
„Nun, dann würde Leonie jetzt vor uns liegen und ich bin überzeugt, dass Leonie, anders als diese Spielerin, den Mut aufgebracht hätte, sich selbst mit dem Zeremoniendolch zu töten.“
„Ihr lasst die Leute auf den Tod eines Kindes Wetten! Das ist völlig krank!“
„Miss Karen, vor wenigen Minuten sagten sie selbst, dass die Leute es toll finden, wenn irgendwo eine Frau in die Kamera heult. Das hier, das Kum’do, ist nichts anderes. Wir geben den Menschen, was sie sehen wollen. Was glauben sie denn, wo die Million herkommt, welche sie für ihre Arbeit bekommen?“
Karen wurde mit einem Schlag bewusst, worum es bei diesem Gespräch ging… es ging um ihr eigenes Leben! Charly hatte sie aus einem bestimmten Grund hier her gebracht und dass sie die Antwort nicht kannte, erfüllte sie mit Angst! Sie sah sich automatisch nach einem Fluchtweg um, doch es gab keinen, denn die einzige Tür im Raum war stabil und abgeschlossen, Fenster gab es keine und Charly war ihr körperlich weit überlegen. Außerdem war sich Karen sicher, dass Charly eine Waffe bei sich trug.
„Was werden sie jetzt tun?“ fragte sie zögerlich.
„Falls sie wissen wollen, ob ich ihnen ein Leid zufügen werde, seien sie ganz beruhigt, ich werde ihnen nichts tun und ich habe auch keine Anweisung diesbezüglich, solange sie keine Gefahr für uns darstellen.
Grundsätzlich hängt ihr Leben von ihrem Verhalten ab, sollten sie laut schreiend auf die Straße rennen…“ Charly beendete den Satz nicht, denn Karen verstand genau, was er meinte, dann fuhr Charly fort. „Wir haben gleich einen Termin bei Herrn Kitzinger, danach werden wir sehen, wie es weitergeht.“

***

Die Fahrt zu Kitzingers Anwesen nahm Karen nur am Rande wahr. Vielmehr fragte sie sich, wie naiv sie gewesen war, zu glauben, sie bekäme eine Million Euro tatsächlich geschenkt… Verdammt, wäre sie doch bei Benny geblieben… Benny! Dieser Versager war an all dem schuld! Benny hatte… Je länger Karen darüber nachdachte, wie dieser Versager sie in ihrer Karriere behindert hatte, umso größer wurde ihre Wut auf ihn und nach einigen Minuten wünschte sie sich, Benny würde tot umfallen! Dieser Gedanke brachte sie schlagartig wieder in die Wirklichkeit zurück, als ihr klar wurde, dass sie neben einem Mann saß, der sie ohne zu zögern töten würde, sollte Kitzinger dies auch nur denken! Dass sie noch lebte, hieß also, dass es noch eine Chance für sie gab, dass sie noch gebraucht wurde, dass sie… ihre Million doch noch bekommen könnte… oder vielleicht noch etwas mehr? Scheiße, wenn Kitzinger und die andren eine Million zahlten, dann auch mehr, wenn sie nur hart verhandeln würde! Warum nicht?! Was interessierte sie die Spieler?! Wenn diese so blöd waren um sich an einen Tisch zu setzen und um ihr Leben zu spielen…
War es etwa ihre Schuld, dass diese Idioten an einen Tisch ketten ließen und von einem Irren, mit Federschmuck auf dem Kopf, kalt machen ließen? Hatte sie einen dieser Schwachköpfe umgebracht? NEIN! Wer weiß… wenn sie sich mit Kitzinger einigen konnte… vielleicht könnte Charly ja mal bei Benny vorbeischauen. Je länger Karen darüber nachdachte, umso besser gefiel ihr der Gedanke.
Und Leonie?… Die würden doch nicht wirklich ein Kind… oder… Scheiße na und? War diese Göre vielleicht ihr ganzes Geld, also eine Million, oder mehr wert? Ganz sicher nicht!

***

Wie üblich erwartete ein Diener vor Kitzingers Anwesen, der ihr die Wagentür öffnete und wartete, bis auch Charly ausgestiegen war, anschließend die Tür schloss und Karen durch die Haustür geleitete. Bildete sich Karen das ein, oder beobachteten die Bediensteten sie heute besonders kritisch? Wussten sie was Kitzinger trieb? Je näher sie Kitzingers Arbeitszimmer kamen, umso nervöser wurde Karen. Im Wagen war sich sie sich ihrer Strategie und Taktik noch sicherer gewesen, doch nun, schlackerten ihr doch etwas die Knie, als sie vor der Bürotür stehen blieb.
„Miss Karen“, Charly nickte dem Diener zu und dieser entfernte sich höflich, „sollten sie verhandeln wollen, gebe ich ihnen einen Rat. Herr Kitzinger wird ihnen EIN Angebot machen. Welches das sein wird, kann ich ihnen beim besten Willen nicht sagen, doch eines ist sicher, er wird dieses Angebot nicht erhöhen und es wird ganz bestimmt ein einmaliges Angebot sein. Sie sollten es annehmen!“
„Ich verstehe…Vielen Dank für die Warnung.“
„Keine Ursache, Miss Karen.“ Antwortete Charly und öffnete die Tür.
Karen betrat ein abgedunkeltes Zimmer, wo Kitzinger sie bequem in einem Sessel sitzend erwartete. Mit Charly an ihrer Seite durchquerte Karen das dunkle Zimmer, wobei sie sich unauffällig umsah, doch die einzige Lichtquelle im Raum war eine kleine Wandleuchte, welche gerade Kitzinger sichtbar machte. Erst kurz bevor sie Kitzinger erreicht hatten, erhob sich dieser und begrüßte sie gewohnt elegant mit einem Handkuss. „Miss Wilson, wie schön dass sie es wohlbehalten zu mir schaffen, bitte nehmen sie Platz.“

Kitzinger deutete mit der Hand auf einen zweiten Sessel neben seinem und geleitete sie zu ihrem Platz. Charly blieb zurück und verschwand in der Dunkelheit, so dass Karen unmöglich feststellen konnte, ob er den Raum verlassen hatte, oder sich im Dunkeln verbarg.
„Sie haben sicher viele Fragen, Miss Wilson.“ Stellte Kitzinger fest.
„Eigentlich nur eine!“ hielt ihm Karen entgegen, „Wieso haben sie mich nicht von Anfang an eingeweiht?“
„Hätten sie das Angebot denn angenommen, wenn sie gewusst hätten, dass Menschen bei diesem Spiel sterben?“
Karen erkannte die Fangfrage noch rechtzeitig. Ein Ja, würde Kitzinger als klare Lüge durchschauen! (Was es auch war.) Stattdessen wiegte sie etwas mit dem Kopf hin und her. „Hätte ich es gewusst, wäre die Gehaltsverhandlung sicherlich härter ausgefallen.“
Diese Antwort brachte sogar Kitzinger zum Schmunzeln. „Heißt das, sie wollen nachverhandeln? Ich finde dass eine Million Euro, für ihre Berichterstattung durchaus angemessen ist.“
Karen spürte, dass nun der Moment kam, der über ihr Weiterleben entscheiden würde und sie beschloss alles auf eine Karte zu setzen! „Das wäre es vielleicht auch, aber sie haben mir etwas sehr Wichtiges verschwiegen! Eine der Spielerinnen ist erst zehn! Sie lassen ein Kind um sein Leben spielen und DAS ist im Preis ganz sicher NICHT inbegriffen!“
„Welcher Preis schwebt ihnen denn vor?“
„Das doppelte!“
Kitzinger konnte ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken und setzte ein freundliches Lächeln auf, welches jedoch von seinen kalten Augen Lügen gestraft wurde. „Sie überschätzen sich deutlich, Miss Wilson.“ Kitzinger lehnte sich zurück, faltete die Hände vor die Brust und sagte, „Ich biete ihnen eine, nennen wir es Gehaltserhöhung, von zehn Prozent, außerdem bekommen sie fünf Prozent aller Wetten aus der Finalrunde zusätzlich.“
Aus den Augenwinkeln sah Karen, eine undeutliche Bewegung und war sich sicher, dass es Charly war, der sie an seine Warnung erinnerte.
„Woher weiß ich, dass sie mich nicht einfach umbringen lassen, wenn ich die letzte Runde kommentiert habe?“
„Wäre das mein Ziel, hätte ich bei der zweiten Million einfach ja gesagt. Sehen sie Miss Wilson“, gab ihr Kitzinger zu bedenken, „meine Geschäftspartner und ich leben von unserem Ruf. Wenn es sich herumspricht, dass wir unsere Partner umbringen, wird niemand mehr mit uns Geschäfte machen wollen. Natürlich könnte sie im Anschluss zur Polizei gehen, doch dann wird man sich die Frage stellen, wieso sie eine Million und mehr bekommen haben. Ich denke nicht, dass man es ernsthaft in Erwägung zieht, sie hätten vom unglücklichen Ende der Spieler nichts gewusst.“
„Also schön, Herr Kitzinger! Hier kommt mein Angebot! Wir belassen es bei einer Million! Sie können sich die zusätzlichen Euro sparen, aber dafür erwarte ich eine Gegenleistung!“
„Und welche?“
„Ich will, dass Charly, oder ein anderer ihrer „Mitarbeiter“, Benny und dieser Schlampe, Haufberger, einen Besuch abstattet und dann beschaffen sie mir einen Job als Nachrichtensprecherin beim ACP!“

***

Charly, der sich im Dunkeln unbemerkt hinter Karens Sessel begeben hatte, hielt die Luft an, denn die nächste Geste Kitzingers würde über Karen Wilsons Leben entscheiden und der ließ sich Zeit mit seiner Entscheidung! Sollte Kitzingers Antwort „NEIN“ heißen, würde er Karens Genick brechen, bevor sie auch nur ahnte, was ihr geschah… Schließlich entspannte sich Kitzinger etwas und nickte kaum merklich mit dem Kopf. Charly verstand und trat zurück ins Dunkel, ohne das Karen ihn überhaupt bemerkt hatte.
„Eines muss man ihnen lassen.“ Antwortete Kitzinger. „Sie wissen genau was sie wollen. Benny schenke ich ihnen, aber über Fransiska Haufberger muss ich mich erst mit meinen Partnern beraten. Gegebenenfalls verschaffe ich ihnen einen gleichwertigen Job, in einer anderen Agentur.“
Nun ließ sich Karen mit ihrer Entscheidung Zeit, dann willigte sie mit einem „Abgemacht!“ ein.
„Schön, Miss Wilson, ich freue mich sehr, dass wir, wie ich finde, eine für alle Beteiligten, befriedigende Lösung gefunden haben. Ich wünsche ihnen eine gute Nacht, Miss Wilson.“ Kitzinger stand auf und trat ins Dunkel, während Karen sitzen blieb. Als Kitzinger das Zimmer verließ, schaltete er das Licht ein und Karen bekam einen riesen Schreck. Nur wenige Schritte von ihr entfernt, stand ein schlichter Holzsarg, den sie bis jetzt nicht bemerkt hatte und sie begriff, dass dieser Sarg für SIE bestimmt gewesen war.

„Ich gratuliere ihnen Miss Karen.“ Sagte Charly und lächelte leicht, als er auf sie zutrat, „Wie es aussieht, bleibt dieser Sarg leer.“
Nun, da die Anspannung abfiel, wurde Karen blass und sie schien einer Ohnmacht nahezukommen. –Zum Glück hab ich mich schon leergekotzt-. Schoss ihr durch den Kopf, als ihr Magen rebellierte.
„Können sie mich zu Hause absetzten? Mir geht es gerade nicht so gut.“ fragte sie Charly.
„Selbstverständlich.“ Entgegnete er und bot ihr die Hand an, um aufzustehen.
„Puh.“ Karen atmete einige Male tief ein, als sie stand und als sie sicher war nicht zu stolpern, trat sie einen Schritt auf den Sarg zu und schaute dann fragend zu Charly. „Was denken sie, war es knapp?“
„Ja, das denke ich in der Tat.“
„Hätten sie mich erschossen?“
„Miss Karen… man erschießt keine Freunde, ich finde das zu unpersönlich.“
„Wie hätten sie es denn gemacht?“
„Als ihr Freund, für den ich mich halte, hätte ich ihnen schnell und schmerzlos das Genick gebrochen.“
Karen lachte sauer auf und konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen. „Schön zu wissen, dass man solch gute Freunde hat.“

***

Zum „Kreuzritter“ / Mainstadt

„Sie will Fransiska Haufberger?“ fragte Hombacher ungläubig.
„Sie und diesen Benny.“
Es war noch immer Nacht, als Kitzinger sich mit Hombacher und Gernfried traf, um ihnen den Ausgang der „Verhandlung“ mit Karen zu berichten.
„Wilson ist verrückt, darauf lassen wir uns auf gar keinen Fall ein!“
„Das sehe ich auch so.“ pflichtete ihm Kitzinger zu. „Benny habe ich ihr zugesagt, den interessiert niemand, aber Haufberger zu ermorden wäre ein Stich ins Wespennest. Ich bringe sie beim BSC als Kommentatorin unter und sie muss eben sehen, wie sie damit klarkommt.“
„Dann ist das beschlossen?“ fragte Hombacher und Kitzinger nickte, während Gernfried den Kopf wiegte.
„Was ist?“ wollte Hombacher wissen.

„Klimks Kontakte haben herausgefunden wer uns in Dresden, bei dem Fiasko mit Dressler in die Suppe gespuckt hat. Es ist derselbe Kerl, der Glöckner fertig gemacht hat. Sein Name ist Peter Stein.“ Damit legte Gerfried ein Foto von mir auf den Tisch. „Stein ist Justizbeamter in Mainstadt und hat enge Kontakte nach Soulebda. Sein Auftritt bei Glöckner in der GSG war nur Schau.“
„Justiz? Das macht keinen Sinn! Wer ist dieser Stein?“
„Vergesst Stein!“ antwortete Gernfired und holte ein weiteres Foto hervor. „Es ist seine Frau, die uns gefährlich werden kann. Caroline Miles!“ er legte ein Foto von Caroline auf meines und sah die anderen scharf an. „Miles kommt vom Mossad! Jede Anfrage zu ihr lässt beim Geheimdienst in Tel Aviv die Alarmglocken läuten. Während dieser Schwachkopf von Glöckner sich von Stein hat ablenken lassen, sind die Israelis in seine Firma eingedrungen und haben in aller Ruhe einen Trojaner eingeschleust. Das könnte uns noch egal sein, denn unsere Aktivitäten bedrohen die Israelis nicht, doch in der näheren Vergangenheit hat General Lem vom Mossad eng mit dem BND zusammengearbeitet. Ich muss euch wohl nicht erklären, was geschieht, wenn der BND an die Unterlagen der GSG herankommt.“
„Besteht diese Gefahr denn?“
„Nein, Klimk hat sofort alle Computer vom Netz genommen und die gesamte Hardware ausgetauscht.“
„Wenigstens eine in der Firma, die Grips im Kopf hat.“ Brummte Hombacher.
„Fakt ist, dass Miles und Stein mit Soulebda eng verbunden sind und dass das Auftreten der Tochter Heylah ay Yahoubb hier in Mainstadt ganz sicher kein Zufall ist. Irgendjemand ist uns auf der Spur gekommen und ich habe nicht die leiseste Ahnung wie!

Wir müssen zusehen, dass wir die Spiele beenden, die beiden Priester sowie Glöckner loswerden und alle Mitspieler ebenso! Das Problem ist, wenn wir nur Miles und Stein umbringen, wird man sich als erstes fragen, an was Miles zuletzt gearbeitet hat. Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern.“

„Aber was hat das mit Haufberger zu tun?“ wollte Kitzinger wissen.
„Ganz einfach. Wir beauftragen die Singh Familie damit Haufberger, Miles und Stein umzubringen. Jeder weiß, dass Haufbeger, Miles und Stein eng miteinander befreundet sind. Sollte den Drei etwas zustoßen, wird man den Grund in ihrer gemeinsamen Vergangenheit suchen. Da gibt es genug Schurken, wie zum Beispiel die HEMA, die mit den Drei noch eine Rechnung offenhaben.“
„Ja, die Idee ist sehr gut. Jetzt da wir diese Schnüfflerin auf Soulebda kalt gestellt haben, werden die Bullen hier sicher erst einmal mit sich selbst beschäftigt sein. Wir hätten statt diesem Schwachkopf von Glöckner gleich die Singh-Familie in unsere Dienste stellen sollen.“

„Nachher ist man immer schlauer.“ Kommentierte Gernfried ihn trocken, als sein Handy brummte. Er nahm das Gerät aus seiner Tasche und wurde leichenblass, als er die Textnachricht las.
„Was ist?“ wollte Kitzinger wissen.
„Mein Kontaktmann in Suva… Der Anschlag auf Soulebda war ein totales Fiasko. Nicht nur, dass Perlacher noch am Leben ist, einer der Singhs wurde anscheinend lebend gefangen.“
„WAS?!“ fuhr Hombacher auf. „Lebend?! Was ist mit diesem Hokuspokus Priester?“
„Davon steht in der Nachricht nichts… Ich hoffe er ist tot, sonst könnten wir Schwierigkeiten bekommen.“
Kitzinger schwieg und meinte dann eisig. „Wir sind schon in Schwierigkeiten, ich denke, es wird Zeit, zu überlegen, wie wir unsere Gegner ausschalten können.“

***

„Volltreffer!“ brummte Meissner, der mit einem kleinen Laptop auf dem Schoß neben Merlenbach saß,. In Sichtweite der Tiefgarage, welche zum „Kreuzritter“ führte, saßen die Zwei seit mehreren Stunden und überprüften alle Kennzeichen, welche in die Tiefgarage ein und ausfuhren. Da die Tiefgarage allerdings noch von anderen Geschäften benutzt wurde, kam da einiges zusammen, doch mitten in der Nacht war der Betrieb nur gering und so erregte ein dicker Wagen der Oberklasse sofort ihr Interesse. „Zugelassen auf Manfred Hombacher, Neuwaldstraße 9, Mainstadt.“
„Neuwald?! WOW, kennst du Gegend?“
„Nur vom Vorbeifahren.“
„Dort wohnen nur die Superreichen.“
„Scheint zu stimmen“, Meinte Meissner, der mit seinem Handy nach Hombacher suchte, „bei Google findest du nichts über einen Manfred Hombacher und ich meine ÜBERHAUPT nichts, immer ein Zeichen, dass da etwas nicht so ist, wie es scheint.“
„Bist du denn bei Google zu finden.“
„Klar, meine Telefonnummer steht noch immer auf der Seite der Kita, da wir damals die Second Handmärkte organisiert haben.“
„Im Ernst? Wie alt sind deine Kinder?“
„Sechzehn und achtzehn. Und JA, die Zeit der Second Handmärkte ist vorbei.“ Grinste Meissner, als ihn Merlenbach anstieß.
„Da kommt noch ein Auto!“
„Ich hab ihn“, bestätigte Meissner und gab das Kennzeichen ein, „ein Firmenwagen zugelassen auf die GeFoTex.“
„GeFoTex… warte mal.“ Sagte Merlenbach und wählte sich mit seinem Handy und seiner Dienstnummer bei dem Handelsregister ein. „Da haben wir ihn. Oberster Chef ist John Gernfried. Handel mit Textilien und Stoffen, Sitz der Firmenzentrale ist Dhaka in Bangladesch, welch ein Wunder… Zweigstellen in ganz Europa.“
„Da kommt noch einer!“
„Ich sehe ihn, verdammt der hat ein ausländisches Nummernschild!“
Merlenbach überschlug kurz ihre Optionen und entschied sich. „Wir folgen ihm.“
Vorsichtig folgten die beiden Männer des LKA dem dritten Wagen aus der Tiefgarage und staunten nicht schlecht als der Wagen in eine breite Einfahrt einbog.
„Scheiße! Weißt du wer hier wohnt?“ fragte Merlenbach.
„Nein, keine Ahnung?“
„James Kitzinger!“
„Sagt mir nix.“
„Ich hatte mal eine Freundin, die Schauspielerin war… Kitzinger hat in der Branche überall die Finger drin. Gegen Kitzinger war Leo Kirch gar nichts.“

„Du warst mit einem Filmstar zusammen?“
„Star ist übertrieben, ihre größte Rolle war die Leiche in einem Tatort, aber sie spielte in einigen Produktionen mit. Einige Male durfte ich beim Set dabei sein und zusehen. Dort habe ich Kitzinger zum ersten Mal gesehen.“

„Wir haben also einen reichen, anonymen Mann, über den Google nicht das Geringste weiß, einen Textil Magnat und einen Medienmogul… Ich sag‘s dir, wir sind sowas von richtig!“

***

Unterstützt durch Produktplatzierung

JVA Mainstadt

„Ja, ich weiß“, sagte Randy gerade am Telefon, als Dana sein Büro betrat, „ich hab mir das Video schon eintausend Mal angeschaut.“ Randy blickte zu Dana auf, hielt die Hand über den Hörer und flüsterte „Hauer!“. Dana nickte als Randy zum Telefon griff und den Lautsprecher einschaltete. „Dana ist gerade gekommen, ich hab das Telefon auf Lautsprecher geschaltet.“
„Hallo Dana.“ Rief Hauer am anderen Ende der Welt.
„Hallo, du Schreck jeder staatlicher Ordnung.“
„Nur noch ein Schreck? Damit kann ich leben, noch vor gar nicht allzu langer Zeit hast du mich noch einen Kriminellen genannt.“
„Du bist immer noch ein Krimineller“, konterte Dana, „aber selbst ich musste einsehen, dass auch die Guten ab und zu einen Kriminellen brauchen, um zu gewinnen.“
„Das schätze ich so an dir, deine absolute Ehrlichkeit.“
„Warum müsst ihr Zwei euch bloß bei jeder Gelegenheit streiten?!“ fuhr Randy dazwischen.
„Weil es Spaß macht.“ Antworteten Dana und Hauer gleichzeitig und Randy seufzte resigniert.
„Was gibt’s?“ wollte Dana wissen.
„Ralf hat das Video aus dem Darknet analysiert.“
„Konntest du herausfinden, wer das Video gepostet hat?“
„Nein, wer immer das Video ins Netzt gestellt hat, er weiß wie das Darknet funktioniert, die IP Adresse ist nicht herauszufinden und anders als bei dem ersten Video ist nur die Spielarena zu sehen, keine Anhaltspunkte für irgendwelche Geländeanalysen.“
„Aber?“
„Aber was?“
„Ach komm schon Ralf, ich kenne dich gut genug, um in deiner Stimme zu hören, dass du etwas herausgefunden hast.“
„Das nächste Mal nehme ich einen Stimmenverzerrer…und damit sind wir schon beim Thema…oh ja, ich hab etwas herausgefunden. Moment…“ Dana und Randy hörten wie Hauers Finger über die Tastatur flogen, dann startete das Video, welches das Kum’do Spiel zeigte. Der Bildschirm wurde geteilt, so dass auf der linken Bildschirmseite die Arena von Oben zu sehen war, dabei konnte man in der Mitte deutlich den Tisch mit den sechs Spielern erkennen, den Priester, die Kommentatorin sowie das Geschehen am Tisch. Auf der rechten Bildhälfte war eine maskierte Kommentatorin zu sehen, welche das Spiel vom Tisch aus moderierte, meistens in der Portrait-Einstellung, also obere Körperhälfte und das maskierte Gesicht. Allem Anschein nach, hatte derjenige, welcher das Spiel filmte mit zwei Kameras das Ereignis festgehalten. Eine Kamera hatte er auf die Arena gerichtet, mit der zweiten hatte er wohl einen Bildschirm abgefilmt, auf dem Spiel übertragen und kommentiert wurde. Im Anschluss wurden dann beide Aufnahmen zu einem Video zusammengeschnitten.
„Wissen wir, wer die Kommentatorin ist?“
„Leider nein, es gibt kein Bild ohne Maske von ihr und ein Abgleich mit allen verfügbaren Audiodateien ergab keinen Treffer… Wer sie auch ist, sie ist nicht bekannt und nun beginnt der interessante Teil… wartet mal…“ Hauer ließ das Video etwas vorlaufen, dann stoppte er, als die Kommentatorin den Kopf etwas nach links bewegte. „Seht ihr den kleinen Knopf an der Maske?“ fragte er, während sich der Mauszeiger verselbständigte und den Gegenstand umkreiste, den Hauer meinte und welcher am Band der Maske angebracht war.
Dana gefror das Blut in den Adern, als ihr klar wurde, dass Hauer sich in den, von ihr absolut sicher geglaubten Computer, eingehackt hatte, doch Randy bat sie mit einer Handbewegung zu warten.
„Ja, ich sehe ihn!“ sagte sie stattdessen kühl. „Was ist das?“
„Das ist ein digitaler Stimmenverzerrer.“
Dana wechselte einen Blick mit Randy und fragte dann, „Ihre Stimme wirkt aber nicht verzerrt.“
„Nein, nicht verzerrt im eigentlichen Sinn… ich versuch es mal zu erklären… Ihr kennt doch sicher das Phänomen, wenn ihr eure Stimme auf Band aufnehmt und anschließend beim Abspielen hört, oder?“
„Klar, man sagt immer, das ist überhaupt nicht meine Stimme.“ Nickte Randy.
„Korrekt, das liegt an der Rückkopplung in den eigenen Gehörgängen, man hört sich selbst in einer völlig anderen Stimmlage. Dieses Gerät tut dasselbe, eben nur digital. Es ändert die Stimmlage der sprechenden Person für alle digitalen Aufnahmen.“
„Das heißt, die Stimme der Kommentatorin, die wir hören, entspricht nicht ihrer Originalstimme!“ Schlussfolgerte Dana.
„Du hast es kapiert. Wir können die Stimme noch so lange mit anderen Vergleichen und werden keinen Treffer landen, zumindest nicht, solange die Stimme digital und nicht analog aufgenommen wird, doch… wer benutzt heute noch Bänder für Aufnahmen?“
„Wenn das Signal digital verändert wird, können wir es umgehen, alles was wir brauchen, ist die Codierung des Gerätes.“
„Aber die kennen wir nicht und selbst wenn… kein Gericht dieser Welt, würde das als Beweis anerkennen, da wir die falsche Codierung anwenden könnten.“
„Was ist mit ihr?!“ fragte Dana dazwischen, „Was ist mit der Frau?!“
„Ähm… ich kann dir nicht ganz folgen…“
„Sie kann zwar ihre Stimme unkenntlich machen, aber nicht ihre Botschaft. Wir alle verwenden unbewusst immer wieder dieselben Satzbausteine. Peter sagt zum Beispiel immer, „kannst du vergessen“, Decker brummt bei jeder Gelegenheit „wurde auch Zeit“ und du Ralf beginnst jede Unterhaltung mit einem Militär mit „ich war es nicht“. Diese Frau steht nicht das erste Mal vor einer Kamera und ich wette, dass sie bei ihrem Auftritt hier, dieselben Satzbausteine und Floskeln benutzt wie bei ihren vorherigen Auftritten.“
Hauer starrte sie für einen Moment an, dann begannen seine Augen zu leuchten. „Das ist ein verdammt guter Ansatz! Genau die richtige Aufgabe für mein Baby hier.“ Antwortete Hauer und streichelte über seinen Gray 2.1. „Aber ich hab auch etwas gefunden.“
„Jetzt bin ich aber gespannt.“ Sagte Dana, denn genau wie Randy, Lems Truppe oder auch die Spezialisten des BND hatte sie das Video Bild für Bild analysiert um einen Hinweis über den Spielort, die Teilnehmer oder sonst einen wichtigen Fingerzeig zu bekommen, doch weder sie noch einer der anderen ist fündig geworden… Was hatte Hauer entdeckt, dass alle anderen übersehen hatten?
Hauer grinste in seine Laptopkamera und erneut lief das Video im Zeitraffer, bis er es mitten im Spiel stoppte. Das Standbild zeigte wir eine Frau am Spieltisch zum Dolch griff um ihn zu drehen, aber von einer Wache davon abgehalten wurde. Dana wusste, was die Scene zeigte… der Priester hatte die Segnung der Runde noch nicht abgeschlossen und die Wache verhinderte, dass die Frau den Dolch griff um ihn zu drehen. Er stand links hinter ihr, beugte sich nach vorne und umfasste ihr Handgelenk. Allerdings hatte die Wache den Kopf soweit gesenkt, dass man das Gesicht nicht sehen konnte, zudem trug der Mann eine Sturmhaube.
„Das menschliche Gehirn hat eine Schwäche… es hat einen Filter, der scheinbar unwichtige Informationen herausfiltert und so dem Verstand nicht zugänglich macht. Also hab ich ein Algorithmus geschrieben, der genau auf dieser Basis das Video analysierte und so Dinge sichtbar machte, welche wir nicht wahrnahmen und siehe da…“ Hauer vergrößerte das Bild und zentrierte es auf das rechte untere Ende des Bildes, welches die Kommentatorin zeigte.
„Ich sehe es noch immer nicht.“ Meinte Dana.
„Ich wette, du hast dich auf die Arena konzentriert.“ Grinste Hauer und Dana musste zugeben, dass Ralf Recht hatte, auf der anderen Bildseite gab es auch wenig zu sehen, lediglich das Standbild der Kommentatorin. Doch dann vergrößerte Hauer diese Bildhälfte noch weiter und ließ das Video in Einzelbilder laufen, bis Dana eine schemenhafte Bewegung sah.
„Nochmal!“ wies sie Hauer an und der ließ denselben Abschnitt erst ohne Verzögerung laufen und dann erneut in Einzelbildern. Die schemenhafte Bewegung war in der normalen Geschwindigkeit nicht zu erkennen, die Kommentatorin bewegte sich und somit bewegte sich auch ihre Kleidung, erst in Einzelbildern war zu erkennen, dass sich für eine hundertstel Sekunde etwas vor die Kamera schob.
„Was ist das?“
„Ein Handgelenk, derjenige der die Aufnahme machte, hat die Kamera wohl am Körper getragen und irgendwie seine Hand vor das Objektiv gehalten.“
„Vergrößre das mal!“
Hauer tat, was Dana von ihm verlangte und stellte die Schärfe neu ein, so dass Dana einen Titaniumfarbenen Knauf sehen konnte.
„Ist das eine Uhr?“
„Ja, das ist eine Uhr, aber nicht irgendeine Uhr… das ist eine Merkury Silent Five.“ Stellte Hauer fest. „Die werden in Handarbeit hergestellt, kosten wahnsinnig viel Geld und haben alle Seriennummern, so dass sich jede einzelne Uhr zum Käufer zurückverfolgen lässt!“
„Toll!“ grinste Randy. „Wie im einem echten Hollywoodfilm, unterstützt durch Produktplatzierung.“
„Ja.“ Bestätigte Hauer. „So könnte man es nennen.“
„Wo werden diese Uhren gebaut?“
„Merkury hat nur eine Produktionsstelle und die ist in Freiburg.“
„Hauer“, sagte Dana, „du hast dich wieder einmal selbst übertroffen. Wir kümmern uns um die Uhr, du suchst die Schlampe vor der Kamera.“
„Alles klar, meine Liebe.“
„Danke.“ Lächelte Dana in die Kamera, dann wurde ihr Blick eiskalt, als sie anfügte, „Und Ralf! Du wirst dich NIE WIEDER in diesen Computer hacken… sonst leg ich dich um!“
„Ich wollte doch nur…“ weiter kam er nicht, denn Dana klappte den Laptop zusammen und sah Randy an. „Ok, ich werde mit Lem reden und mir den Uhrenhersteller vorknöpfen, du versuchst mit Hauer herauszufinden, wer dieses Miststück ist.“
„Alles klar mein Schatz… Du willst Ralf doch nicht wirklich umlegen, oder?“
„An Hauers Stelle würde ich es nicht darauf anlegen!“

***

Soulebda

„Sonst leg ich dich um!“ äffte Hauer Dana nach, während er sich aus Danas Computer ausloggte.
„Sie sollten die Drohung ernst nehmen.“ Ertönte eine Stimme hinter ihm und als Hauer sich umdrehte, stand Corinna Malou in der Tür zu seinem Heiligtum. „Frauen drohen nur dann mit Gewalt, wenn sie wirklich bereit sind diese auch einzusetzen.“
Seit dem Anschlag auf die Ermittlerinnen Marion Perlacher, Shea Martin und Rafaela Mao wurden alle Stellen, die gegen die schwarzen Priester, bzw. die Organisatoren der Kum’do Spiele ermittelten besonders geschützt, was die Computerabteilung des Palastes mit einschloss.
„Ich war es nicht!“ brummte Hauer und schüttelte den Kopf, denn er hatte genau die Floskel benutzt, welche Dana bei ihm festgestellt hatte. „Darf ich?“ fragte Corinna und zeigte auf einen freien Platz.
„Sicher!“ brummte Hauer. „Kann ich sie einmal etwas fragen?“ wollte er wissen, als Corinna Platz genommen hatte.
„Selbstverständlich.“
„Haben sie schon einmal mit Gewalt gedroht, ich meine außerhalb ihres Jobs?“
„Nein, aber ich will ehrlich sein… dieses Mal ist mir Ma’Difgtma zuvor gekommen, aber beim nächsten mal… wenn ich diese schwarzen Priester, oder diese Mistkerle, welche die Spiele veranstalten in die Hände bekomme, dann werde ich meine Marke ablegen und ihnen die Wahl lassen, entweder sie bringen mir das Kind, oder ich nehme sie Stück für Stück auseinander! Und das werden sehr kleine Stücke sein…“
Ein Blick in Corinnas Augen sagte Ralf, dass die persönliche Assistentin des Geheimdienstchefs das Gesagte Wort für Wort ernst meinte und Ralf Hauer, der sonst eine tiefe Abneigung gegen staatliche Gewalt jeder Art hegte, stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass er ALLES tun würde um Corinna Malou Gelegenheit zu geben ihre Drohung umzusetzen! Und diese Gelegeheit war jetzt! „Von mir haben sie das nicht… aber wie ich höre, könnten sie dazu eher Gelegenheit bekommen, als sie glauben. Der überlebende Attentäter und dieser Hatur’Kalin sollen GIPSY überstellt werden…“

***

Mainstadt

„Die Singhs haben auf Soulebda völlig versagt!“ stellte Hombacher fest. „Nicht nur, dass diese Perlacher noch am Leben ist, einer von ihnen hat sich auch noch lebend schnappen lassen!“
„Ich kenne die Singhs schon eine Weile.“ Beruhigte Gernfried, „Der wird den Mund halten, von den Singhs hat noch keiner geredet.“
„Scheiße!“ fluchte Hombacher und wieder einmal stellte Kitzinger fest, dass die Anspannung dazu führte, dass die guten Sitten anscheinend vergessen wurden. „Natürlich wird er reden! Auf Soulebda gelten andere Regeln als bei uns! Die werden ihn zum Sprechen bringen!“
„Schluss jetzt!“ fuhr Kitzinger dazwischen. „Es gibt keinen Grund uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen! Die Einnahmen entwickeln sich noch besser als vorausgesagt, Leonie ist noch im Spiel und wir müssen lediglich noch ein paar Runden überstehen. Was die Schlappe auf Soulebda betrifft, so gebe ich zu, dass meine Erwartungen an die Singhs, nun schon das zweite Mal, enttäuscht wurden, aber das spielt überhaupt keine Rolle! Unser Ziel wurde erreicht und die Aufmerksamkeit der Polizei wurde von uns abgelenkt.“
„Das stimmt nur bedingt“, antwortete Gernfried, „Wir wissen, dass Winter Dressler irgendwo versteckt und ihn ausquetscht.“
„Dressler weiß gar nichts.“
„Irgendjemand muss Dressler etwas gesteckt haben, von alleine ist dieser Schwachkopf sicher nicht hinter das Geheimnis der Spiele gekommen. Winter spielt mit uns! Sie telefoniert mit Gott und der Welt und nicht ein einziges Wort über Dressler! Sie weiß, dass wir sie abhören, aber sie tut so, als ob sie keine Ahnung davon hätte. Irgendetwas plant diese Frau und es bereitet mir Sorge, dass wir nicht wissen was!“
„Wir hätten Glöckner noch weiter beschäftigen sollen, mit seinen Methoden hätte er sicher etwas in Erfahrung bringen können.“
„Dieser Idiot hat uns erst die ganze Schose eingebrockt.“ Schimpfte Hombacher. „Mit seiner übertriebenen Selbstüberschätzung hat er, um Dressler zu fangen, Vollpfosten statt Profis engagiert.“
„Da muss ich dir leider Recht geben, obwohl die Singhs im Anschluss auch nicht besser waren… Ihr Einsatz bei Wildsdruff war eine Katastrophe… “ Gerfried brach ab und starrte vor sich hin, „genau… Glöckner!“
„Was ist mit Glöckner?!“
„James, du musst die Singhs zurückpfeifen, wir brauchen Glöckner noch!“ sagte Gernfried.
„Kannst du uns bitte an deinem Geistesblitz teilhaben lassen?“ fragte Kitzinger gereizt, denn dieses Thema Glöckner war eigentlich schon abgeschlossen. Da Glöckner sich als unzuverlässig erwiesen hatte, wurde den Singhs der Auftrag erteilt, sicherzustellen, dass Glöckner keinen weiteren Schaden anrichten konnte. Und das schien dringend notwendig zu sein, denn Glöckner war abgetaucht und hatte sich auf einen privaten Rachefeldzug gegen Stein begeben.
„Ganz einfach, Glöckner will sich rächen, wir sollten ihm die Gelegenheit dazu geben.“
„Glöckner wird auf keinen Fall an Stein herankommen, der Typ wohnt in einem Gefängnis… das muss sich einmal vorstellen! Ich meine, wer bitte wohnt freiwillig in einem Gefängnis?! Und selbst wenn Glöckner es schaffen sollte, irgendwie an Stein heranzukommen, ist da immer noch dessen Ehefrau! Ich nehme an, ihr habt das Dossier über Caroline Miles gelesen, sobald ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird und man die Spur zu uns verfolgen kann, haben wir den ganzen gottverdammten Mossad am Hals und die sind nicht so zimperlich wie die Deutschen! Ich würde mich ungerne bei jedem Anruf fragen, ob mir mein Handy vielleicht den Kopf wegsprengt!“
„Das ist ja der Clou! Natürlich wird Glöckner scheitern, aber das wird erstens den Singhs Gelegenheit geben an Stein bzw. Miles heranzukommen und die Schuld irgendeiner Terrororganisation zu geben. Und wenn sie das nicht schaffen, wird Glöckner der Sündenbock sein und zweitens, würde das die Bullen um Winter ablenken, so dass wir ihnen auch hier einen Warnschuss geben können.“
„Was schwebt dir denn vor?“
„An die Bullen selbst kommen wir schlecht heran, aber an Personen aus Steins Umfeld schon.“
„Das wäre nicht nur ein Stich ins Wespennest, das wäre so, als ob wir eine Fackel an ein Wespennest halten.“
„Ja, das wäre es, deswegen muss der Schlag unbedingt zeitlich perfekt geführt werden.“
„Und wann wäre der richtige Zeitpunkt?“
„Unmittelbar vor der letzten Spielrunde. Das würde uns dann die Gelegenheit geben alle Spuren zu beseitigen und abzutauchen.“
„HHMMM… das wird uns aber einen schönen Batzen Geld kosten.“
„Nach den letzten Fehlschlägen der Singhs dürfte ein Rabatt wohl selbstverständlich sein.“ grinste Gernfried. „Außerdem müssen wir noch ein Problem aus der Welt schaffen. Ich will den Arsch haben, der die letzte Runde gefilmt und ins Netz gestellt hat.“
„Klimks IT Experten sind schon dabei das Video zu analysieren, um herauszufinden, wer gefilmt hat.“ Nickte Hombacher. „Du hast Recht, so etwas dürfen wir auf keinen Fall durchgehen lassen.“ Auch Kitzinger stimmte dem bei, denn Geheimhaltung war alles! Es gab für die Zuschauer ganz klare Regeln! Eine besagte, dass Aufzeichnungen aller Art verboten waren, eine Maßnahme, die schließlich zum Schutz aller Wettteilnehmer diente, denn KEINER wollte sein Gesicht im Internet, während einer verbotenen Wette sehen. Schon gar nicht, wenn man ihm Verabredung zum gemeinschaftlichen Mord zur Last legen könnte, denn diese Maßnahme hatte Karin Winter in einem Interview mit Fransiska Haufberger für jeden Wettteilnehmer gefordert, der sich am Kum’do beteiligte. Und alle drei „Vorstände“ waren sich darin im Klaren, dass Winter sich durchsetzen würde, sollte sie… lange genug leben und das war nicht beabsichtigt. Hombacher, Gernfried und Kitzinger waren sich darüber einig, dass Winter verschwinden musste!
„Herauszufinden wer das Video gemacht hat, sollte nicht allzu schwierig sein.“ teilte Gernfried mit, „Ich schlage vor, dass Charly sich im Anschluss um diese Person kümmert.“

***

Rom

„Geil… an den Geschmack könnte ich mich gewöhnen.“ Sagte Finja, während sie genüsslich an ihrem Eis leckte. „Schade, dass diese Eisdiele bei uns keine Zweigstelle hat.“
„Das könntest du dir gar nicht leisten, zumindest nicht bei unserem Gehalt.“ Antwortete Fabienne die mit einer großen Sonnenbrille auf der Nase, ihr Gesicht in die Sonne streckte. Gemeinsam saßen die Zwei auf der Spanischen Treppe in Rom und warteten darauf, dass ein Mitglied der Singh Familie sein Hotel verließ.
Nach ihrem Besuch im Dresdner Krankenhaus, bei dem Fabienne feststellen konnte, dass die Singh Familie angeheuert wurde, um Franks Team anzugreifen, hatte Lem augenblicklich reagiert. Ariels Team wurde in Aktion versetzt und in Tel Aviv stand ein weiteres Team unter Ronni bereit sofort aufzubrechen. Gemeinsam zogen der Mossad und der BND die Schlinge um die Singhs zu, ohne dass diese es mitbekamen. Die Singhs waren eine Familie, welche sich größtenteils aus indisch-chinesischen Mitgliedern bestand. Lem fand es bemerkenswert, dass alle Familienmitglieder mit Nachnamen Singh hießen, doch größtenteils chinesische Vornamen besaßen, bis ihm klar wurde, dass die Singhs auf diese Weise ein wirtschaftliches Imperium beiderseits der Grenze aufbauen konnten, ohne auf Ablehnung seitens der Indischen oder Chinesischen Bevölkerung zu stoßen, denn schon bald stellte sich heraus, dass die Singhs nicht nur als bezahlte Killer unterwegs waren. Mord war nur ein Zweig ihres Geschäftsmodells. Das größte Problem bestand darin, dass die Singhs beiderseits der Grenze im indisch-chinesischen Grenzgebiet, genauer gesagt, in den Städten Gangtok und Yadong ihren „Hauptsitz“ hatten, einer Gegend in der der BND nur wenig ausrichten konnte. Ganz anders Lem! Man kann den Chinesen einiges nachsagen, doch eines sind Chinesen ganz sicher nicht, undankbar. Man hatte in Peking nicht vergessen, dass es die Israelis waren, die einen Krieg zwischen China und den USA in letzter Sekunde verhindert hatten, noch dazu hatten sie dabei das Risiko auf sich genommen, zwischen die Fronten zu geraten. Außerdem hatte Lems Engagement bei der Piratenbekämpfung in der Südsee auch Chinas Vorteile erbracht. Also hatten die Chinesen nach Lems Zusicherung, dass er ausschließlich gegen ein Verbrechersyndikat ermittele und kein Interesse an chinesischen Geheimnissen hatte, weggeschaut und ihm freie Hand gelassen. Im Gegenzug hatte Lem dem Chinesischen Behörden versichert, dass der Mossad alle Erkenntnisse mit ihnen teilen würde. Allerdings verriet Lem nicht all seine Karten…
Offiziell war Ehloy, ein „Veteran“ aus Balquasch, derjenige, der für Lem und Mohrle die Singh Familie überwachte, doch Ehloy war nicht der Einzige. Ein Anruf bei Dagan genügte und wenige Stunden später machten sich Mike Smith und Dave Miller, zwei Mitarbeiter der Organisation GIPSY auf den Weg, um Ehloy zu unterstützen. Mike und Dave waren zwei mit allen Wassern gewaschene „Ehemalige“ der CIA, die offiziell wegen Insubordination gefeuert wurden, doch noch immer ihr Gehalt aus Langley bezogen. Alle drei, Ehloy, Mike und Dave wussten, wie sie sich unsichtbar machen konnten und schafften es auch in Gangtok nicht aufzufallen. Allerdings musste Mike zugeben, dass die Singhs es ihnen nicht allzu schwer machten sie zu überwachen. Während die Jungen mit ihren Nobelkarossen durch die Straßen protzten, fuhren die älteren nur mit einem Tross Leibwächter durch die Gegend. So dauerte es auch nicht lange, bis Mike, Dave und Ehloy wiederkehrende Strukturen erkannten. Die jungen Familienmitglieder hatten Befehle auszuführen und die Älteren gaben die Befehle. Dabei fiel ihnen ein Familienmitglied besonders auf. Chen Seng Singh! Dieser leitete offensichtlich die Finanzen der Familie. Zumindest einen Teil der Finanzen. Mike war sich sicher, dass er dem Geld folgen musste, um die Anschläge aufzuklären, bzw. neue Anschläge verhindern zu können, also beschlossen sie, Chen Seng genauer zu überwachen. Dieser hatte seinen Wohnsitz in einem Bürotower, der Innenstadt Yadongs, auf der chinesischen Seite der Grenze. Dank der modernen Technik mussten die Drei keinen Versuch unternehmen Abhörgeräte einzuschmuggeln, oder gar einzubrechen. Mike mietete sich in eine Wohnung ein, welche gute zweihundert Meter Luftlinie entfernt lag, aber mit freier Sicht auf Chengs Tower und mit demselben Laser, mit denen sie schon auf Futuna Trafalgar abhörten, konnten sie Chen Seng Singh abhören. Dazu mussten sie lediglich einen speziellen Laser auf eine Glasscheibe richten, ein angeschlossener Computer konnte dann die Schwingungen des Glases „lesen“ und in Geräusche, bzw. Worte umsetzen. Chen Sengs Büro und Wohnbereich hatte zwölf große Fensterfronten, also richteten Mike und die anderen auch zwölf Laser aus und erreichten somit eine komplette Überwachung. Dabei spielte die Größe der Fenster Mike in die Hände, denn je größer die Scheibe, umso schneller geriet diese in Schwingungen. Das größte Problem stellte die Sprache da, doch auch dafür fand Ehloy eine Lösung. Eine Direktverbindung über Satellit zu Hauer und der Gray!
Hauer startete ein Übersetzungsprogramm und schon bekamen die Ermittler jedes Wort, welches in Chen Seng Büro, oder Privaträumen gesprochen wurde in Echtzeit übersetzt auf ein Tablet. Ein weiterer Vorteil dieser Methode war, dass die tägliche Suche nach Abhörgeräten bei Cheng ins Leere lief und Chen Seng sich sehr sicherfühlte.
Mike kam gerade aus der Küche, aus der er sich eine Tasse Kaffee geholt hatte, als sein Handy brummte. Da nur Dave und Ehloy diese Nummer kannten und Ehloy auf der Couch schlief, fragte Mike erst gar nicht, wer dran war. „Cheng ist in der Stadt angekommen und auf dem Weg zu seinem Tower.“ Meldete Dave, der Cheng bei einem Abstecher nach Gangtok im Auge behalten hatte.
Mike trat an das Fenster, schaute durch ein aufgestelltes Teleskop und sah, wie die Wagenkolonne Chengs in Richtung des Eingangs fuhr.
„Bestätige, er kommt gerade um die Ecke.“
„Alles klar, ich bin auf dem Weg zu dir.“
„Bis gleich.“ Beendete Mike das Gespräch und schaltete die Laser „scharf“, dann weckte er Ehloy. „Cheng ist zurück.“
Ehloy nickte und erhob sich um das Tablet zu kontrollieren, während Mike sich ein Paar Kopfhörer überzog. Danach wählte er den Laser, der Chengs Schreibtisch am nächsten stand. Schon bevor dieser seinen Schreibtisch erreicht hatte, hörte Mike eine laute Diskussion, die sich immer mehr in eine Schimpfkanonade ergab.
Als Dave dazu kam, gab Mike den Kopfhörer an diesen weiter. „Da ist aber einer ziemlich sauer!“
„Das ist wohl noch untertrieben.“ Mike schaute Ehloy fragend an und wollte wissen, „Um was geht’s?“
„Soulebda. Cheng macht jemanden, wohl einen seiner Neffen, zur Schnecke, anscheinend wurde auf einer von Chengs Vettern sowie zwei weitere Familienmitglieder bei dem Fehlschlag auf Soulebda getötet.“
„Tja, Berufskiller ist eben ein gefährlicher Job.“
„Jetzt scheint es um etwas anderes zu gehen… ich lese vor.
Cheng; -Wie können diese Männer es wagen einen Rabatt zu fordern?!-
Neffe; -Sie begründen es mit den beiden Fehlschlägen in Dresden sowie Soulebda.-
Cheng;- Unsere Familie hat dafür teuer bezahlt! Wir haben vier unserer Familienmitglieder verloren!-
Neffe; -Onkel, bitte reg dich nicht auf, aus Sicht der Auftragsgeber konnten wir die gestellten Anforderungen nicht erfüllen.-
Cheng; -Hätten es diese Mistkerle nicht für sich behalten, dass wir gegen Profis kämpfen müssen, wären unsere Familienmitglieder nicht tot! Ich hätte große Lust diese Affen in Mainstadt selbst umzubringen.-
Neffe; -Man gibt an, nichts von diesen Gegnern gewusst zu haben…und ich glaube es, denn mit dem Fiasko bei Dresden haben sie ihr eigenes Unternehmen in Gefahr gebracht. Wir sollten die beiden Aufträge annehmen, sonst leidet unser Ruf noch mehr und wir sollten uns keine Blöße geben, vor den anderen Organisationen.-
Cheng; -wir geben ihnen einen Rabatt bei Miles und Stein, aber für den anderen Auftrag nicht. Dieser Auftrag gleicht einem Selbstmordkommando, unsere Familie hat schon zu viele Tote zu beklagen, wir nehmen externes Personal, das geopfert wird.-
Neffe; -Onkel, ich schlage vor, dass wir Hung Tzu beauftragen diese Operationen durchzuführen.-
Cheng; -Gut. Das wirst es selbst übernehmen Hung Tzu einzuweisen, dann bleibst du bei ihm, uns zu helfen.-
Neffe; -Wie du wünschst, Onkel.-
Cheng; -Enttäusche mich nicht, sonst kannst du dir gleich einen Stein um den Hals binden und im Tiber schwimmen gehen!-
„Im Tiber?“ fragte Mike nach.
„Steht hier.“
„Ok, dann sag Lem Bescheid, er muss jemanden nach Rom schicken um sich um diesen Hung Tzu kümmern.“
„Bin schon dabei.“ Nickte Ehloy, der sein Handy bearbeitete, als Mike sich zu Dave stellte.
„Da läuft irgendeine Schweinerei.“ Brummte Dave. „Dass die Organisatoren Caroline und Peter umlegen wollen gehört ja irgendwie zum Plan, aber was ist die andere Sache, von der sie reden?“
Mike starrte aus dem Fenster und dachte angestrengt nach. „Ja, das macht keinen Sinn… es sei denn…“
„Es sei denn, jemand will eine falsche Fährte legen.“ Beendete Dave Mikes Überlegung.
Mike schaute auf seine Uhr und stellte fest, dass in Mainstadt gerade der Arbeitstag begann und Frank sicher schon in seinem Büro saß. „Ich denke, ich werde mal ein Wort mit unseren Freunden wechseln. Du rufst Mohrle an, da ist noch eine Sauerei am Laufen, wahrscheinlich eine Aktion in Deutschland.“

***

„Es geht los!“ Fabienne zeigte auf zwei junge Frauen, welche aus dem Hotel kamen, in dem der Neffe Cheng Sengs, mittlerweile wusste man, dass sein Name Hang Lee lautete, abgestiegen war. Der chinesische Geheimdienst hatte Lem den Namen mitgeteilt, nur vier Minuten, nachdem Hang Lee seinen Flug gebucht hatte. Fabienne und Finja kamen neun Stunden vor Hang Lee in Rom an, fingen diesen und seine junge Begleiterin am Flughafen Leonardo Da ‘Vinci ab und folgten ihnen danach zu ihrem Hotel.
„Besser hätte es nicht kommen können.“ Stellte Finja fest, denn zwischen den vielen Touristen waren die beiden jungen Frauen praktisch unsichtbar. „hätten die irgendeine Absteige im Außenbezirk genommen…“
„In einer Absteige gibt’s aber keinen 24 Stunden Zimmerservice und du bist nicht direkt an der Via Condotti.“
Etwa eine Stunde nachdem Hang Lee Singh in seinem Hotel angekommen war, hielt eine Luxuslimousine vor dem Hotel und eine Armee Bodyguards schwärmte aus. „Das muss Hung Tzu sein.“ stellte Fabienne fest und posierte scheinbar für Finja, die mit einer Handykamera hantierte. Die machte eine Reihe Fotos von dem Neuankömmling sowie dessen Begleiterin und keine Minute später hatten Lem und Mohrle Bilder von Hung Tzu.
Etwa eine viertel Stunde nach Hung Tzus Ankunft, verließen die Begleiterinnen von Hang Lee und Hung Tzu mit vier Bodyguards im Schlepp, das Hotel und strebten auf die teure Einkaufsmeile Roms, der Via Condotti zu.
Unauffällig folgten Fabienne und Finja der Prozession, wobei Finja ihr Handy in ihrer Handtasche verschwinden ließ und es gegen das Kartenlesegerät tauschte. Dieses hatten zwar Kaufmann und Hauer zusammen erfunden, doch die Ingenieure und Tüftler in Danas ehemaliger Abteilung hatten es neu „designet“. Nun sah der Kartenleser aus, wie ein gewöhnliches Handy! Und wer fiel heute noch auf, wenn er ein Handy in der Hand hielt?
„Oh wir gehen Schuhe kaufen, ich liebe es, wenn sich Klischees als wahr herausstellen.“ Lachet Finja und folgte den Singhs, in ein sündhaft teures Schuhgeschäft.
„Mehr als anprobieren ist nicht drin.“ Meinte Fabienne, als Finja mit SEHR teuren Paar Schuhen vor ihr stand. „Lem würde uns umbringen, wenn wir so viel Geld aus der Spesenkasse nehmen.“
„Ja das ist wahr, aber ohne Ware an der Kasse stehen, fällt wohl auf, oder?“ fragte Finja schelmisch.
„Da hast du Recht.“ Lachte Fabienne. „Was meinst du, ich sollte auch nicht auffallen.“
„Auf keinen Fall. Kannst dir Zeit lassen, sieht nicht so aus, als ob unsere beiden Schnecken hier so schnell fertig sein werden.“
Das waren die Singhs auch nicht, doch schließlich gaben sie einer Angestellten des Geschäftes ihre Karten und die begab sich zur Kasse. Auf diesen Moment hatten Fabienne und Finja gewartet und während Fabienne sich zwischen Verkäuferin und Bodyguard schob trat Finja mit einer Frage an die Verkäuferin heran, als diese die Kreditkarten der Singhs in das Lesegerät der Kasse steckte.
Während die Singhs nach ihrem Schuhkauf zum nächsten Geschäft strebten, zeigten Fabienne und Finja, dass sie echte Profis waren. In Sekundenschnelle hatten sie Kleidung und Aussehen soweit geändert, dass auch die aufmerksamen Bodyguards nicht bemerkten, dass ihre Schützlinge den ganzen Tag überwacht und ausspioniert wurden. Am Ende ihrer Einkaufstour hatten Fabienne und Finja mehrere Kontozugänge geöffnet …und nebenbei einige tolle neue Outfits erstanden.

***

Tel Aviv

„Ich liebe diesen Job!“ Jasmin Simon lächelte als auf ihrem Computerbildschirm Zahlen und Ziffern erschienen, aus denen sich die Zugangsdaten des Kontos herausfilterten. „Wir sind drin!“ meldete sie ihrem Vorgesetzten Jonah, dieser gab die Meldung an Lem weiter und der General kam sofort in die Computerabteilung.
„Wie sieht’s aus?“ wollte er wissen.
Jonah deutete auf einen großen Bildschirm, der in mehrere Bildabschnitte unterteilt war. „Durch den Zugang zum Konto von Hung Tzus Frau, bekamen wir, dank einer Überweisung von Hung Tzu an seine Frau, Zugang auf dessen eigenes Konto. Nun folgen wir auf diesem Konto jeder Kontobewegung und konnten schon drei weitere Konten der Singhs herausfiltern. Unsere Großrechner gleichen die Zahlen mit denen ab, welche wir bei der GSG Glöckner sicherstellen konnten. Bei einer Zahlung sind wir uns sicher, dass sie tatsächlich für das Eingreifen der Singhs in Dresden bestimmt war.“
Lem, der sich die immer größer werdenden Datenströme anschaute, wurde beinahe schwindlig. „Ist bei dem Team in Rom alles ok?“
Jonah grinste und warf einen Blick auf die Ausgangsdaten. „Ja, denen geht’s augenscheinlich gut.“
Lem drehte seinen Kopf zu ihm, blickte Jonah mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an und fragte, „Würde es mich aufregen, wenn ich wüsste, wie die Zwei an die Daten hergekommen sind und was es den Steuerzahler kostet?“
„Ja, wahrscheinlich schon.“
„Na schön“, seufzte der Chef des Mossad, „sieh zu, dass deine Nerds diesen Teil der Operation verschwinden lassen.“
„Kein Problem Chef… he, schau mal dieses Konto an.“ Stieß ihn Jonah an, „Da sind eine Menge Eingänge bei Hung Tzu und die meisten liegen im sechsstelligen Bereich.“
„Kannst du sehen woher das Geld kommt?“
„Noch nicht, aber ich erkenne den Ort, von dem das Geld überwiesen wurde…es kommt aus Yadong. Ich würde wetten, wir haben ein Konto von Cheng Seng gefunden.“ Grinste Jonah siegessicher.
„Gut, schick alle Daten an Mohrle… und in sechsundsiebzig Stunden weiter an die Chinesen.“

***

Benny lag mit einem friedlichen Gesicht in seiner Badewanne, die er nie wieder verlassen würde, zumindest nicht lebend. Charly hatte sich Stunden zuvor Zutritt in Bennys Wohnung verschafft und geduldig gewartet, bis Benny von einer weiteren Werbeaufnahme kam. Zu seinem Erstaunen hatte Charly festgestellt, dass Benny wohl noch immer an Karen hing, denn es standen mehrere Bilder von ihr in der Wohnung verteilt. Eines zeigte Karen und Benny eng umschlungen und stand auf Bennys Nachttisch, was wohl einiges aussagte. Ganz klassisch wartete Charly in Bennys Kleiderschrank, dessen Inhalt in der Wohnung verteilt herumlag und wartete auf den richtigen Zeitpunkt. Der kam schließlich, nachdem Benny sich eine Fertigpizza gegönnt und mit einem Tablet in die Wanne legte. Als Charly aus dem Kleiderschrank stieg und das Bild auf Bennys Nachtisch betrachtete, fragte er sich, ob Karen wusste, dass Benny sie offensichtlich noch liebte.

Leise und vorsichtig spähte Charly durch die halb geöffnete Tür und sah Benny mit dem Rücken zu ihm in der Wanne liegen, während er einen Film auf dem Tablet schaute.
Mit einem schnellen Schritt trat Charly hinter Benny, umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und brach ihm mit einer gekonnten Bewegung das Genick. Anschließend ließ er Benny in die Wanne sinken, verband das Tablet mit einer Ladeschnur und ließ dann das Tablet ebenfalls ins Wasser gleiten. „Schade um dich.“ Stellte Charly fest. „Glaub mir, sie hatte deine Liebe nicht verdient.“

Ein Blick auf seine Uhr sagte Charly dass, im Fernsehen nun die Primetime begann und die Chance, dass ihn jemand beobachtete, wenn die Bennys Wohnung verließ, war sehr gering, also schaute er sich an der Tür vorsichtig um, sah niemanden und verließ Bennys Wohnung.

***

Regel Nummer eins für Berufskiller: Nimm nie dein Handy mit an einen Tatort! Erst als er weit genug von Bennys Wohnung entfernt war, schaltete Charly sein Handy wieder ein, dass auch sofort zu brummen begann. Kitzinger hatte ihn angerufen und bat um Rückruf, also rief er bei Kitzinger an. Der kam gleich zur Sache. „Irgendein Arschloch hat ein Video in unserer Arena gemacht. Es läuft im Darknet rauf und runter und wurde schon tausendfach geteilt.“
„Haben sie einen Mitschnitt?“
„Selbstverständlich, fahren sie zu Klimk in der GSG, dort ist man bereits dabei, herauszufinden, wer das Video ins Netz gestellt hat.“
„Gut, ich melde mich, wenn ich dort war.“

***

Bei der GSG angekommen empfing ihn Klimk und führte ihn in sein Büro, wo Herrmann an einem Computer saß. Als Charly Platz genommen hatte nickte Klink ihm zu und Herrmann startete den Mitschnitt des Kum’do Spieles. Erleichtert sah, Charly dass er mit seiner Einschätzung Recht behalten hatte. Auf dem Video war lediglich die maskierte Karen auf der einen Bildschirmhälfte zusehen, auf der anderen Hälfte die Arena, die allerdings keinen Anhaltspunkt zu deren Lage bot. Auch wenn Charly kein Anhänger Krusch’tas war, dankte er ihm in einem stillen Gebet, dass er darauf bestanden hatte die entführten Mitspieler ebenfalls zu maskieren. –Also gut!- dachte er. –Jemand hat es gewagt gegen die oberste Regel zu verstoßen, sein Job würde es sein, sich um denjenigen zu kümmern.
„Können sie herausfinden, wer das Video ins Netz gestellt hat?“ wollte er von Herrmann wissen?
„Das nicht, aber das brauche ich auch nicht. Das bekommen wir ganz schnell heraus. Hermann tippte etwas auf der Tastatur und startete ein 3D Programm. „Das sind die von ihnen bereitgestellten Baupläne des Gebäudes, in dem das Video aufgenommen wurde.“ Erklärte Herrmann, teilte den Bildschirm und startete die Aufnahme des Spiels auf der anderen Hälfte. „Ich habe anhand der Aufnahme den Winkel der Kamera zur Mitte des Spieltisches berechnet.“ Dann zeigte er auf die Baupläne, „Da ich den genauen Standort des Tisches kenne, konnte ich den Standort der Kamera genau bestimmen, die Kamera stand genau… hier.“ Er zeigte auf eines der Separees, welches über der Arena lagen. „Derjenige der die Aufnahme machte, war so freundlich die Kamera in der Mitte der Glasscheibe zu platzieren, hätte sie am Rand gestanden, wäre es nicht so eindeutig gewesen.“
Charly nickte und brachte das Separee in sein Gedächtnis. In jedem der Separees stand eine künstliche Pflanze in einem Kübel, zur Dekoration. Der Mann, welcher die Aufnahme machte, musste die Kamera zwischen der Pflanze versteckt haben.
„Die zweite Aufnahme, also das Abfilmen des Fernsehers hat er wohl mit einer Kamera am Leib gemacht… aufgrund der Höhe und zum Bildschirm und den Bewegungen würde ich sagen, etwa in Brusthöhe, eventuell eine Knopfkamera, oder so ein Teil.“ Herrmann hielt einen Kugelschreiber hoch, der eine winzige Kamera besaß, bei der man schon genau hinsehen musste, um diese zu erkennen. Charly saß noch einen Moment schweigend da, dann stand er bedächtig auf. „Vielen Dank für ihre Mühe. Bitte löschen sie die Baupläne und ich bitte sie eindringlich diesen Vorgang und ganz besonders dieses Gespräch zu vergessen.“
Herrmann der Charly ansah, lief es kalt den Rücken herunter, als er Charlys Augen sah. „Selbstverständlich.“ Antwortete er schnell und löschte alle Daten.
„Und vergessen sie nicht, die Festplatte zu formatieren!“ mahnte Charly ihn und verließ die GSG.

***

„Ich kenne den Namen desjenigen, der die Aufnahme gemacht hat.“ Teilte Charly Kitzinger kurz darauf mit. Nachdem er wusste, aus welchem Separee die Aufnahme gemacht wurde, brauchte er sich nur daran zu erinnern, wer an diesem Abend als Wettteilnehmer in diesem Separee das Spiel beobachtet bzw. seine Wetten platziert hatte und schon wusste Charly, dass Klaus Freiher den Tabubruch begangen hatte.
„Sehr gut, bitte kümmern sie sich um das Problem“, Bat ihn Kitzinger, „und Charly… stellen sie sicher, dass die anderen Wettteilnehmer die Warnung verstehen.“

***

Freiburg

Dana stieg aus dem Taxi, welches sie nach Freiburg zur Produktionsstätte von Merkury OHG gebracht hatte.
„Ich warte auf dem Parkplatz und halte die Augen offen.“ Nickte ihr Ahmad, der hier in Deutschland als „Offizieller“ Mitarbeiter des Mossad arbeitete und als ihr Fahrer fungierte zu. „Willst du die hier mitnehmen?“ fragte er und hielt Dana eine Pistole entgegen.
„Nein danke, sonst denken die noch, ich wollte sie ausrauben.“ Lachte sie und begab sich in Richtung Eingang, wo sie von einem freundlichen Mitarbeiter des Besitzers empfangen wurde.
„Frau Stern? Meine Name ist Priscilla Neitz.“ Stellte sich die Mitarbeiterin vor und bat Dana ihr in die Chefetage zu folgen.
Dort angekommen trat der Besitzer der Mercury OHG, Herr John, lächelnd auf Dana zu, begrüßte sie freundlich und begleitete sie galant zu einem bequemen Stuhl.
„Als Herr Kämpfer vom LKA anrief und mir mitteilte, dass eine Ermittlerin kommen würde, hatte ich nicht mit einer so jungen und gutaussehenden Kommissarin gerechnet.“
„Vielen Dank.“ Lächelte Dana gewinnend.
„Dürfte ich dennoch die gerichtliche Anordnung sehen, die mich ermächtigt vertrauliche Kundendaten herauszugeben? Sie verstehen sicherlich, dass wir in Zeiten der DSGVO mit unseren Kundendaten sehr sensibel sein müssen.“
„Aber selbstverständlich.“ Antwortete Dana und überreichte John den Gerichtsbeschluss, welchen Winter erwirkt hatte.
John las ihn eingehend durch, dann lächelte er und fragte, „Womit kann ich ihnen dienen Frau Stern.
„Wir ermitteln in einem Vermisstenfall und konnten, durch eine Videoanalyse, einen Verdächtigen ausfindig machen. Unser Problem besteht darin, das man zwar seine Uhr erkennt, aber nicht deren Träger.“ Erklärte ihm Dana und überreichte John Bilder der Silent Five. Randy hatte das Bild noch weiter bearbeitet, bis die Uhr deutlich in allen Einzelheiten zu erkennen war.
John schaute sich das Bild eine Zeitlang an, dann nickte er langsam. „Wenn es ihnen Recht ist, würde ich gerne unsere Produktionsleiterin, Frau Gems hinzuziehen, sie hat einen besseren Blick für Details als ich.“ und rief dann, nachdem Dana genickt hatte, Neitz zu und bat sie, „Frau Neitz, wären Sie so freundlich und bitten Frau Gems zu uns.“
Kurz darauf kam Neitz mit einer Mittfünfzigerin zurück, welche sich als Bettina Gems vorstellte. John machte Dana mit Gems bekannt und reichte ihr das Foto der Uhr. „Frau Gems, erkennen sie diese Uhr?“
Gems schaute nur eine Sekunde, dann nickte sie und sagte, „Das ist eine Silent Five, der Baureihe zwei. Man erkennt dies, an den nach hinten liegenden Einstellungsknöpfen. Wir mussten die Baureihe schon kurz nach dem ersten Verkauf einstellen, da wir bei der Entwicklung den Fehler machten, die Einstellungsknöpfe zu weit nach außen zu platzieren. Die Kunden beschwerten sich darüber, dass sie öfter an den Manschettenknöpfen ihrer Hemden hängen bleiben, darum sind wir schon nach wenigen Exemplaren zur Baureihe drei gewechselt.“
„Was heißt, nach wenigen Exemplaren?“ fragte Dana nach.
„Von dieser Baureihe wurden nur etwa einhundert Stück angefertigt.“
„So wenige?“
„Nun, unsere Uhren sie Unikate und diese werden in Einzelanfertigung und in Handarbeit hergestellt. Das heißt, ein Mitarbeiter fertigte eine Uhr von Beginn bis zum Ende alleine an, das bietet einen maximalen Standard unserer Uhren.“
„Wie lange dauert die Herstellung eine ihrer Uhren?“
„Die Herstellungszeit einer Silent Five dieser Baureihe beträgt sechzig Arbeitstage.“
Nun verstand Dana die im mittleren Bereich liegenden fünfstelligen Preise einer Mercury Uhr. „Das heißt, nur etwa einhundert Personen eine solche Uhr tragen?“
„Nein.“ Antwortete Gems. „Mercury bietet, wie gesagt, höchsten Standard. Da der Fehler dieser Uhr in unserem Haus lag, wurde allen Besitzern einer Uhr der Baureihe zwei angeboten, ihre Uhr gegen eine Uhr der Baureihe drei einzutauschen. Diesem Aufruf kamen zweiundachtzig Besitzer nach.“
Innerlich begannen Dana Augen zu leuchten, als sie sich an John wandte. „Und sie können mir die achtzehn Besitzer nennen, welche ihre Uhr nicht tauschten?“
„Nun, dank ihres Gerichtsbeschlusses kann ich zumindest die Käufer benennen.“

***

„Ich beginne diese Spion Truppe zu lieben.“ Frohlockte Kämpfer als ihm Mohrle die Liste der achtzehn Besitzer einer Silent Five der Baureihe zwei „anonym“ zukommen ließ. Mohrle, der vorausschauend arbeitete, hatte von zwei Kriminalpsychologen ein Profil erstellen lassen, wer als Träger einer solchen Uhr und als Wettteilnehmer einer Kum’do Runde in Frage kam. Die Psychologen waren sich darin einig, dass es sich um einen Mann handelte, Ende Dreißig bis Mitte Vierzig, reich, mit großer Wahrscheinlichkeit ledig, geringes Selbstwertgefühl, welches hinter einer Maske von Überheblichkeit verborgen wurde und der ohne eine führende Position auskommen musste.
„Was heißt das denn auf Deutsch?“ wollte Meissner wissen, als er das Profil las.
„Wir suchen das typische reiche Muttersöhnchen, das zu blöd ist, um zwei und zwei zusammenzuzählen, aber nicht weiß, wohin mit seinem Geld.“ Erklärte ihm Mohrle.
Noch am selben Tag machten sich Merlenbach, Meissner mit Collet und Passer daran die Liste unter diesen Gesichtspunkten abzuarbeiten. Zwei Besitzer lebten in Übersee, einer in Algerien und ein weiterer war verstorben. Da keiner der ausländischen Besitzer ein Visum beantragt hatte, hängte sich Merlenbach an die Erben des Verstorbenen, während die anderen sich um den Rest kümmerten.

Unter Berücksichtigung des Profils erschienen vier Männer als verdächtig, zu denen noch der Erbe des Verstorbenen kam. Während die Ermittler sich an die Arbeit machten, fuhr Merlenbach nach München, wo der Erbe der Silent Five lebte.
„Sie suchen die Uhr meines Vaters?“ wollte ein Mittdreißiger in einem Nobelviertel der bayrischen Hauptstadt wissen, welcher zumindest vom Alter und Lebensstil genau in das Profil passte.
„Nicht zwingend diese Uhr, aber eine baugleiche.“ Erklärte ihm Merlenbach. „Wir ermitteln in einem Vermisstenfall und die Uhr ist ein wichtiger Hinweis. Ist die Uhr denn noch in ihrem Besitz?“
„Selbstverständlich. Kommen sie herein, ich zeige sie ihnen.“ Der Mann führte Merlenbach in ein luxuriöses Wohnzimmer, bat ihn Platz zu nehmen und zu warten, während er die Uhr aus einem Tresor holte. „Hier, das ist die Uhr.“ Sagte er und hielt ihm die Uhr mit einem Paar weißen Samthandschuhen hin. Als Merlenbach ihn von unten herauf ansah, lachte der Mann trocken auf. „Sie wollen wissen, ob ich verrückt bin?“
„Nun…“
„Keineswegs! Diese Uhr war ein Geschenk von mir anlässlich des siebzigsten Geburtstags meines Vaters. Erst nach seinem Geburtstag habe ich erfahren, dass die Baureihe eingestellt wurde und glücklicherweise hat mein Vater die Uhr nie getragen.“
„Glücklicherweise?“
„Haben sie eine Vorstellung davon, was diese Uhr in ein paar Jahren wert ist? Die anderen Schwachköpfe haben sich eine neue Silent Five andrehen lassen, statt ihre alte zu behalten und sich einfach eine Neue zu kaufen. Von dieser Uhr existieren Weltweit nur noch achtzehn Stück! Und diese hier ist ein einem top Zustand. Deswegen die Handschuhe, dieses Ding hier wird in zehn Jahren mindestens eine Million wert sein. Jeder kleine Kratzer führt zu einer beträchtlichen Wertminderung.“
„Das heißt, sie tragen die Uhr nicht?“
„NEIN! Ich bin doch nicht verrückt.“
Merlenbach nahm die Uhr vorsichtig in die Hände und schaute sie sich genau an. Seine eigene Uhr, welche er täglich trug, hatte deutliche Gebrauchsspuren und auch seine „Sonntagsuhr“ hatte den einen oder anderen Kratzer im Laufe der Zeit abbekommen, doch diese hier hatte nicht einmal ein kleine Macke. Damit öffnete sich plötzlich ein neuer Ansatz. Angenommen der Mann sagte die Wahrheit, dann würde sich der Kreis der Verdächtigen noch weiter einengen…

***

In Kämpfers Büro saßen Merlenbach, Meissner und Kämpfer zusammen und Merlenbach berichtete, was sie herausgefunden hatten. Nach seiner Rückkehr aus München hatte Merlenbach angefangen nach Sammleruhren zu forschen.
„Der Typ aus München hatte Recht! Zwölf Uhren sind bei Sammlern angekommen, davon eine aus den USA, dazu die in München, bleiben noch fünf übrig!“ stellte Merlenbach fest. „Von den Fünf ziehen wir die Uhr aus Algerien ab, bleiben noch vier.“
„Zwei der vier Träger sind über sechzig.“ Warf Meissner ein und reduzierte so die Verdächtigen auf zwei.“
„Und wie es der Zufall so will“, grinste Merlenbach, „lebt einer von den Zwei hier in Mainstadt. Klaus Freiher!“
Nun richteten sich alle Augen auf Kämpfer, der nicht lange zu überlegen brauchte. „Alle Mann auf Freiher!“
Damit begann die Jagd auf Freiher. Während das LKA den Hinweisen nachging, mussten sich die Ermittler an die „Regeln“ halten. Kämpfer war schon nach kurzer Zeit klar, dass mit seinen Beweisen Freiher niemals vor einen Richter bekäme, von einem Durchsuchungsbeschuss ganz zu schweigen… Da aber Winter darauf angewiesen war, „saubere“ Beweise vor Gericht verwenden zu können, musste es eben anders gehen.

***

„Was denkst du?“ wollte Kämpfer von Mohrle wissen, als sich die Beiden „zufällig“ im Schiller trafen.
„Ich denke, wir sollten den Druck auf die Schweinebande erhöhen und hervorlocken. Ich werde mit Brauer reden und ihn bitten Freiher… sagen wir… zu überreden, unsere Freunde in Soulebda zu besuchen… um dort ein paar Fragen zu beantworten.“
„Jetzt mach einmal halblang! Wir reden davon, einen Bundesbürger zu entführen!“
„Quatsch, wir spendieren einem liebenswertem Mann, einen Urlaub in der Südsee. Wer würde schon einen Gratisurlaub unter Palmen ablehnen? Aber da ist noch eine Sache, bei der uns helfen könntest.“

***

„Winter!“ meldete sich die unerschrockene Staatsanwältin am ihrem Diensttelefon.
„Hier ist Kämpfer.“
„Haben sie etwas Neues von Leonie?“
„JA! Wir haben eine heiße Spur die uns zu ihr führen könnte.“
„Schießen sie los!“
„Derjenige, der das Video machte, hat dankenswerterweise seine Hand vor die Kamera gehalten und seine Uhr präsentiert. Wir konnten die Uhr zu ihren Besitzer zurückverfolgen.“
„Wie sicher sind sie?“
„Zu einhundert Prozent! Ich brauche einen Haftbefehl!“
„Den bekommen sie! Schaffen sie sofort die Akte her!“

***

„Es gibt Neuigkeiten von Winter!“ sagte Gernfried zu Kitzinger am Telefon, ohne sich mit Höflichkeiten aufzuhalten.
„Welche Neuigkeiten?“
„Angeblich kenne sie den Namen von dem Kerl, der die Aufnahme gemacht hat.“
„Angeblich?“
„Ja, das LKA rückt gerade mit einem Haftbefehl aus, um einen Jürgen Gerstrich in Frankfurt zu verhaften. Ein Gerstrich war noch nie als Wettteilnehmer in der Arena!“
„Woher stammt diese Information?“
„Von Winter selbst. Wir konnten das Gespräch mit dem LKA mithören. Unser Mann taucht in dem Gespräch nicht auf.“
„Das ist eine beschissene Falle!“ stellte Kitzinger fest, legte einfach auf und rief Charlys Handy an.
„Der Teilnehmer ist zurzeit nicht zu erreichen…“ meldete sich die Mailbox.
„Verdammt!“ fluchte Kitzinger der zum ersten Mal, seit Beginn der Spiele, das Gefühl hatte, dass ihm die Dinge entglitten…

***

Ohne ein Wort drangen Levi und Decker durch die Garage von Klaus Freiher in Richtung des Hauses vor. Die beiden kannten sich seit zig Jahren und mussten sich nicht absprechen. Jeder wusste, was der andere tat und verließ sich blind auf ihn. Dana die hinter Levi ging und nach elektronischen Signalen einer Alarmanlage suchte, hob kurz die Hand und augenblicklich blieben die beiden stehen, dann wies sie auf eine Tür am hinteren Ende der Garage. An dieser war ein Tastenfeld angebracht, so dass sich die Tür nur mit dem richtigen Code öffnen ließ, außer man war Technikspezialist des Mossad und hatte die passende Hardware dabei! Während Dana ihr elektronisches Einbruchswerkzeug anbrachte, sah sich Levi in der Garage um, dort stand neben einem Porsche noch ein Lamborghini. Decker der den Blick Levis gefolgt nickte… hier waren sie eindeutig richtig, dann hatte Dana die Tür auch schon geöffnet.
Levi legte ihr die Hand auf die Schulter, so dass Dana ihn vorausgehen ließ, da zog Ben die chemische Keule hervor. Mit Decker, der nach hinten sicherte, schlichen die Drei in das Haus von Freiher.

Schon nach wenigen Metern konnte Levi das Flimmern eines Fernsehers erkennen und zeigte Decker an, eine weitere Tür zu dem Raum zu sichern, aus dem das Flimmern kam. Langsam trat er an eine offene Tür heran und schaute um die Ecke, doch er konnte niemanden sehen. Allem Anschein war der Raum mit dem Fernseher leer. Nun durchsuchten sie den Rest des Hauses, doch Freiher schien nicht zu Hause zu sein.
„Die Alarmanlage an der Haustür ist nicht scharf gestellt.“ Stellte Dana fest. „Das steht im Widerspruch zu der Alarmanlage an der Garage.“
„Fernseher an und Handy eingeschaltet auf der Couch liegend.“ Decker zeigte auf das Smartphone, welches auf dem Sofa lag. „Wie weit geht so einer ohne sein Handy… Was denkst du?“ wandte sich Decker an Levi.
„Ich denke, dass wir zu spät gekommen sind.“ Antwortete Ben. „Wahrscheinlich konnten die Mistkerle ihre eigenen Schlüsse aus dem Video ziehen und kamen uns zuvor.“
„Lange kann das nicht her sein.“, sagte Dana, die einen zusammengeklappten, aber eingeschalteten Laptop gefunden hatte. „Der letzte Login war vor einer Stunde und fünfundzwanzig Minuten.“
„So ein Mist!“ fluchte Decker, der die Zeit überschlug. Sie hatten etwa fünfundvierzig Minuten Freihers Wohnung beobachtet, um sicherzugehen, dass sonst niemand im Haus war… zehn Minuten um bis zur Garage zu kommen, und fünf um durch die Garage zur Wohnung zu gelangen… anschließend noch einmal eine viertel Stunde bis jetzt! „Zehn beschissene Minuten zu spät!“ fluchte Decker. „Was jetzt?“
„Wir rufen Kämpfer an, vielleicht können die Spurenexperten des LKA ja etwas herausfinden. Dana, du nimmst den Laptop und das Handy mit.“

***

Im Verborgenen stand Charly und beobachtete durch Hecken, wie die zwei Männer und eine Frau Freihers Wohnung wieder verließen, doch in Sichtweite des Hauses blieben.
In Freihers Wohnung zu gelangen war für Charly ein Kinderspiel. Er hatte ihn einfach von einem Prepaid Handy aus angerufen und gefragt, ob er Interesse hätte, als Wettteilnehmer an einer kurzfristig angesetzten Runde Kum’do teilzunehmen, diesmal wäre es ein spezielles Event, (was auch der Wahrheit entsprach…). Natürlich wollte Freiher teilnehmen und das Angebot einen Fahrer zu bekommen, nahm dieser sofort an und nannte seine Adresse, die Charly sowieso schon kannte… als Charly kurz darauf klingelte und die Tür geöffnet wurde, ging Freiher auch schon zu Boden. Dank dem Heckenbewuchs rund um dessen Haus, konnte Charly Freiher unerkannt in den Kofferraum seines Autos verbringen. Nun sah Charlys Plan eigentlich vor, das Haus nach Datenträgern zu durchsuchen, denn Typen wie Freiher waren die Sorte Idioten, welche etwas Verbotenes taten und sich noch dabei filmten… es bestand also die Gefahr, dass es noch mehr Aufnahmen von den Kum’do Spielen gab, die lediglich noch nicht im ihre Runde durch das Darknet machten, doch seine innere Stimme warten ihn vor einer Gefahr! Also ging er zu seinem Auto, fesselte und knebelte den bewusstlosen Freiher bis er sicher war, dass dieser keinen Mucks von sich geben konnte und ging zum Haus zurück, wo er sich zwischen den Hecken zum Nachbargrundstück versteckte. Kaum hatte er seine Position erreicht erschienen auch die Drei, welche erst das Haus beobachteten und dann, durch die Garage in Freihers Haus eindrangen. Während die Einbrecher im Haus waren, entfernte Charly schnell seine Sim-Karte aus dem Smartphone, damit sich das Handy nicht ins Netz einloggen konnte, schaltete es wieder ein und schlich näher an den Eingang heran. Dann ergab sich scheinbar eine Chance. Die Frau trug den Laptop sowie ein Betttuch mit Gegenständen zum Wagen, während die Männer noch im Haus waren. Charly spannte seine Muskeln zum Sprung an, als die Frau sich suchend umsah und eine Waffe zog. Völlig regungslos blieb Charly in deiner Deckung und wartete, doch dann war die Chance vertan, denn die Männer verließen ebenfalls das Haus. „Verdammt!“ fluchte er, denn sollte es noch weitere Aufnahmen geben, waren diese nun für ihn verloren. „Wer seid ihr?“ fragte er sich selbst, denn das diese Drei nicht von der Polizei waren, stand für Charly fest. Für einen Augenblick spielte Charly mit dem Gedanken die Einbrecher anzugreifen und zu überwältigen, auch wenn er kein Schattenkrieger war, so hielt er sich doch für einen guten Kämpfer, doch seine Instinkte hielten ihn zurück… wer immer die Einbrecher waren … Charly war sich sicher, dass er Profis gegenüber stand, das sagte ihm die Art der Fremden, denn Charly hatte schon viele Krieger gesehen und diese Frau und die beiden Männer waren echte Krieger… Doch etwas konnte er tut! Charly nahm sein Handy und machte eine Reihe Fotos von den Eindringlingen, dann schlich er mm für mm zurück, bis er außer Sichtweite der Drei war. Kaum hatte er das geschafft, lief er zu seinem Wagen und verließ, so schnell wie er konnte, Freihers Straße. Als er schließlich einige Straßen weiter abbog, kam ihm eine Kolonne Fahrzeuge entgegen und er musste nicht lange raten, wer das sein konnte… es war die Polizei, welche zu Freihers Haus fuhr!

***

Kitzinger zuckte zusammen als sein Handy vibrierte, besonders da keine Nummer angezeigt wurde. War ihm Winter schon auf der Spur? Schließlich überwandte er sich, nahm das Gespräch an und atmete erleichtert auf, als sich Charly am anderen Ende meldete.
„Es war eine Falle.“ Berichtete der Soulebdalese.
„Zu dieser Erkenntnis kamen wir auch, doch wir konnten sie nicht mehr erreichen, was ist passiert?“
„Jemand brach in Freihers Haus ein, kurz nachdem ich es verlassen hatte.“
„Die Polizei?“
„Nein, eine Frau, zwei Männer, sie wollten dasselbe wie ich, Freiher entführen!“
„Entführen? Sind sie da sicher?“
„Absolut, die Drei waren ein Greifteam. Bisher habe ich noch keinen der Drei gesehen, aber ich konnte Aufnahmen von ihnen machen. Leider nur mit dem Handy, doch mit etwas Glück, kann man etwas erkennen… doch wer immer es ist, sie arbeiten mit der Polizei zusammen, denn kurz nachdem sie feststellten, dass sie zu spät kamen, traf die Polizei ein. Ich muss ihnen auch mitteilen, dass ich das Haus nicht durchsuchen konnte und die Einbrecher einen Laptop und diverse andere Gegenstände mitgenommen haben. Außerdem konnte ich Freihers Handy nicht sicherstellen.“
„Wie hoch schätzen sie die Möglichkeit weiterer Aufnahmen ein?“
„HHMM“, dachte Charly nach, „etwa fünfzig Prozent. Ich werde ihn bei Gelegenheit dazu befragen.“
„Wo ist Freiher jetzt?“
„Er befindet sich bereits am Spielort.“
„Gut, schicken sie uns die Bilder und anschließend kümmern sie sich um Freiher.“

***

Für Freiher begann der Alptraum, nachdem er langsam aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Er öffnete die Augen und stellte fest dass man ihm einen Sack über den Kopf gezogen hatte, der gerade so viel Licht durchließ, dass er erkennen konnte, wie sich eine starke Lichtquelle um ihn herum bewegte.
Das nächste was Freiher bemerkte, war ein Knebel in seinem Mund, so dass nur ein „HHUUMMM“ aus ihm herauskam. Auch bewegen konnte er sich nicht, denn jemand hatte ihn an einen Stuhl gefesselt.
Als ihm der Sack von Kopf gezogen wurde, erfasste Freiher den ganzen Schrecken! Die Lichtquelle befand sich schräg hinter ihm, so dass Freiher den Zeremonientisch der Kum’do Arena vor sich sehen konnte.
„HUMPFF HMMFF“ schrie Freiher, doch der Knebel in seinem Mund verhinderte jeden Versuch, sich zu artikulieren und alles wurde noch schlimmer.
„Hallo Freunde des geheimnisvollen Kum’do.“ hörte Freiher und eine maskierte Kommentatorin, DIE maskierte Kommentatorin, trat in sein Sichtfeld. Die Kamera richtete sich erst auf ihn und dann zurück auf die Moderatorin. „Ich begrüße sie zu einer besonderen Runde dieses Spiels. Heute hat es ein Spieler gewagt einen Champion aus Souelbda herauszufordern. Die Wetten stehen jetzt schon acht zu eins gegen den Herausforderer, doch wer weiß, vielleicht hat unser Herausforderer ja ein Geheimrezept.“ Während Freiher verzweifelt an seinen Fesseln zerrte, betrat ein Mann mit Maske den Raum und setzte sich Freiher gegenüber und obwohl der Mann eine Augenmaske trug, wusste Freiher, dass es Charly war. Dieser nickte jemandem zu und eine, mit Sturmhaube maskierte Wache trat an ihn heran und entfernte den Knebel aus Freihers Mund.
„Was soll der Scheiß?!“ brüllte Freiher.
„Sie haben gegen eine sehr ernste Regel verstoßen, als sie zumindest das letzte Spiel filmten. Es gab eine klare Absprache: Keine Aufnahmen! Doch sie hielten sich für klüger als der Rest.
„Na und? Du machst mich sofort los, sonst…“
„Herr Freiher!“ unterbrach ihn Charly gelassen. „Bevor sie mir drohen, lassen sie mich etwas klar stellen. Um zu drohen, muss man auch in der Lage sein, seine Drohung wahr zu machen… sonst macht man sich lächerlich. Sie haben nichts, womit sie mir drohen könnten, also bitte, demütigen sie sich nicht selbst.“ Charly deutete nach oben zur Glasdecke und fügte dann hinzu, „Die anderen Wettteilnehmer waren nicht sehr glücklich, dass sie im Internet zu sehen waren.“
Freiher wollte Charly gerade anschreien, als der schwarze Priester aus dem Dunkeln trat.
„Ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr euch anlegt!“ fauchte Freiher, während der Priester eine neue Spielscheibe auf dem Tisch auflegte. Diese hatte lediglich zwei Farben, eine Grüne und eine Rote, wobei die Rote passenderweise Freihers Farbe war.
„Oh, wir wissen genau wer sie sind, und ich weiß auch, dass ihre Eltern glücklicherweise tot sind, denn sie wären sicher nicht stolz auf sie, wenn sie wüssten, dass sie ihre Freizeit damit verbringen Menschen mit ihren Aufnahmen in Gefahr zu bringen.“ Antwortete Charly beinahe gelangweilt während der Priester den Krum‘la Dolch auf das Spielfeld legte.
„Es ist etwas anderes am Tisch zu sitzen, als nur von oben herab zuzuschauen, nicht wahr?“ fragte Charly.
„Das könnt ihr nicht machen!“
„Glauben sie mir… wir können! Und wer weiß? Ihre Chance zu siegen liegt, zumindest theoretisch, bei fünfzig Prozent, das ist weit mehr, als bei einer sechser Runde.“ Das seine Chance zu verlieren auch weit höher lag, brauchte Charly nicht auszusprechen, das hatte Freiher schon von alleine kapiert. Erneut trat die Wache zu ihm und löste die Fessel seiner rechten Hand, als Freiher plötzlich einen letzten Strohhalm ergriff. „Ich hab keine Kette! Keine Kette, kein Spiel!“
„Das stimmt!“ bestätigte Charly, griff in seine Sakkotasche, holte eine Opferkette hervor und überreichte sie dem Priester, der allerdings den Kopf schüttelte. „Der Spieler muss das Opfer selbst erbringen.“ Belehrte er Charly und Freiher atmete erleichtert auf.
„Selbstverständlich.“ Lenkte Charly ein, winkte die Wache herbei und zeigte auf Freihers linkes Handgelenk. Die Wache verstand was Charly beabsichtigte und zog Freiher die Silent Five vom Handgelenk, welche er dem Priester überreichte.
Der nickte und rief: „Hentra bienl Nur’tat!“ –Das Opfer ist erbracht!- „Die Zeremonie beginnt!“
„NEIN!“ Schrie Freiher und versuchte erneut sich zu befreien, was Charly mit einem mitleidslosen Kopfschütteln beobachtete. „Herr Freiher, wollen sie den Knebel wieder in den Mund bekommen? Falls nicht, reißen sie sich gefälligst zusammen und lassen sie uns das Spiel beginnen, sie dürfen auch als erstes drehen.“
Wutentbrannt sah Freiher Charly an. „Also gut du Arschloch! Ich mach dich fertig!“ fauchte er und griff nach dem Dolch.

***

„Wie sicher waren sie, zu gewinnen?“ wollte Karen im Anschluss wissen.
„Nun, sicher schon, aber nicht zu sicher.“ Antwortete Charly während Freihers Leiche, in einen abgedunkelten Van verbracht wurde. Wie zu erwarten hatte Freiher es nicht fertig gebracht sich selbst mit den Krum’la Dolch zu töten, was Charly die Gelegenheit gab, Freiher nach weiteren Aufnahmen zu fragen. Für eine Auskunft würde er den Priester bitten, es schnell und schmerzlos zu erledigen, doch Freiher spuckte ihm vor die Füße, etwas dass er Minuten später bitter bereute…
„Bei Amateuren ist das Glück immer ein großer Faktor. Freihers Pech bestand darin, dass schon sein erster Dreh daneben ging, so konnte ich das Spiel bestimmen.“
„Kommen sie, ich hab sie beobachtet, sie haben es genossen mit dem Mistkerl zu spielen, wie es ihnen gefiel.“
„Mittlerweile kennen wir wohl einander sehr gut.“ Grinste Charly Karen an, die trocken auflachte.
„Nun ja, wir sind ja auch schließlich beste „Genickbruchfreunde.“
„Miss Karen, es tut mir übrigens sehr leid, dass ich sie neulich so mit den Tatsachen überrannt habe. Eine etwas schonendere Vorgehensweise meinerseits wäre angebrachter gewesen.“
„Ja, sie hätten zu Beispiel sagen können, „wir gehen jetzt in einen Raum, in der die Leiche der Frau liegt, die wir gerade umgebracht haben…“ wenigstens musste ich nicht mit ansehen, wie sie der Tussi die Kehle aufgeschlitzt haben.“
„Das heißt wohl, dass sie mit dem Ausgang des Spiels keine Probleme haben?“
„Was ist mir wohl wichtiger? Das Leben von ein paar kaputten Spielern, oder mein Geld?“
Charly lächelte still und wusste, dass er Karen richtig eingeschätzt hatte.
„Was denken sie, haben die anderen die Warnung verstanden?“ fragte Karen und zeigte auf die maskierten Wettteilnehmer, die zu ihren Wagen strebten.
„Da bin ich mir völlig sicher.

***

JVA Mainstadt

„Und?“ fragte Frank der hinter Dana stand.
Nachdem sie mit Decker und Levi, aber ohne Freiher zurückkam, machte sich Dana sofort über eine, von ihr gefundene Festplatte her. Während Levi Mohrle davon unterrichtete, dass die Organisatoren der Kum’do Spiele Freiher wohl kurz vor ihrem Eintreffen entführt hatten, durchsuchten Dana und Decker Freihers Wohnung. Dabei stellten sie neben dem Laptop aus dem Wohnzimmer, mehrere Handys und USB Sticks sicher, die mehr oder weniger offen herumlagen. Diese Tatsache erweckte allerdings Danas Misstrauen… Der Kerl hatte Mitschnitte eines Kum’do Spiels im Darknet gepostet, es lag also auf der Hand, dass es noch mehr Aufnahmen bzw. Daten von den Spielen oder illegalen Tätigkeiten gab…und solche Daten ließ man nicht offen auf dem Wohnzimmertisch liegen! –Wo würde ich die verstecken?- fragte sich Dana und korrigierte sich gleich darauf. –Wo würde ich, als abgehobener Mistkerl, die Daten verstecken?- und schon lief sie in Freihers Schlafzimmer, wo sie sich das Bett vornahm. Nach nur zwei Minuten wurde sie fündig, als sie am Kopfende der Wasserbettmatratze eine angeklebte Tasche entdeckte, in der eine mobile Festplatte versteckt war.
„Kämpfer und das LKA kommen in fünf Minuten!“ rief Levi aus dem Erdgeschoss, was für das Team hieß, alles einzupacken was sie gefunden hatten und zu verschwinden. Der Einfachheit halber stopfte Dana all ihre Funde in einen Bettbezug und trug ihn zum Auto, doch als sie den Bettbezug in den Kofferraum legte, beschlich sie das Gefühl, von jemand beobachtet zu werden. Sie blickte sich um, sah aber niemanden, dennoch blieb das Gefühl und so griff sie automatisch zu ihrer Waffe, doch schon verließen Decker und Levi das Haus und kamen zu ihr, also stieg Dana ein, startete den Wagen, wartete bis die Beiden eingestiegen waren, dann fuhr sie los.

Nun saß sie mit Randy, Levi, Decker und Frank an ihrem Computer der Presseabteilung und versuchte das Verzeichnis der Festplatte zu öffnen. „Dauert noch einen Moment.“ Antwortete sie „Das Ding ist Passwortgeschützt. Ich würde sagen… ein achtstelliges Passwort.“
„Und wie lange brauchst du dafür?“
„HHMM…also der Typ ist zwar reich, aber einfach gestrickt…. Ich wette, er hat nur einen Zahlenschlüssel… wie ist sein Geburtsdatum…ah jaaaa…. Zähl mal langsam bis zehn.“ Grinste sie und ließ den Schleitz seine Arbeit machen. Tatsächlich war Frank erst bei acht angekommen, als sich das Verzeichnis der Festplatte öffnete und deren Inhalte freigab.
„WOW, das sind mindestens achthundert Gigabyte.“ Stellte sie fest, nachdem sie sich die Größe des belegten Speicherplatzes angeschaut hatte.
„Gibt’s ein Inhaltsverzeichnis?“ wollte Frank wissen.
„Sicher… hier.“ Dana klickte das nächste Symbol an und es erschienen mehrere Ordner auf dem Bildschirm. Als einige der Vorschaubilder erschienen, keuchte Dana erschrocken auf. „Dieses pädophile Arschloch!“ presste sie hervor und wandte angewidert den Blick ab. Auch die anderen bekamen einen riesen Wut, als sie den Inhalt der Festplatte erahnten.
„Gibt’s eine Möglichkeit eventuelle Dateien vom Kum’do herauszufiltern ohne, dass wir uns diese perverse Scheiße ansehen müssen?“ wollte Frank wissen.
„Hauer könnte das vermutlich mit dem Gray in einem halben Tag.“ Meinte Randy, „Wir könnten das auch, aber das würde bei achthundert Gigabyte einige Tage dauern.“
„Dann schick die Daten nach Soulebda, Hauer soll sich darum kümmern, aber warn ihn vor, was den Inhalt betrifft. Dann packst du das Ding ein und schickst es an das LKA, vielleicht können die noch ein paar Komplizen ausmachen und bei uns abliefern.“
Dana nickte nur, während Frank mit Levi zur Tür ging. Decker der ebenfalls aufgestanden war, legte Dana die Hand auf die Schulter und brummte, „Falls es hilft… ich denke, Freiher bekommt gerade seine gerechte Strafe.“

***

Bei Dresden

„Mehr weiß ich nicht.“ Sagte Dressler und rieb sich die Stirn.
Karin Winter schaltete das Aufnahmegerät aus und lehnte sich zurück, wobei sie Dressler mit ihren Augen durchbohrte. Dabei ließ sie sich Dresslers Aussagen noch einmal durch den Kopf gehen. Mehrere Tage hatte sie ihn nun eingehend befragt und immer wieder „ausgequetscht“.
Sicher, sie hätte Dresslers Informationen sehr viel schneller haben können… sie hätte zur Seite blicken können und schon hätten die … Freiwilligen… des BND bzw. des Mossad innerhalb von Stunden alles aus Dressler herausgeholt, doch Winter wollte den Fall absolut wasserdicht haben.
Sie wollte nicht nur die Hintermänner der Kum’do Spiele, sie wollte auch die Schweine, welche auf den Tod eines Menschen Wetten abschlossen! Doch diese waren alle reich und konnten sich Spitzenanwälte leisten, welche jeden Anklagepunkt und ganz besonders sie selbst angreifen würden, also durfte sie nichts dem Zufall überlassen.
Tief in ihrem Inneren hatte sich CW (Chemnitz Winter), wie sie anerkennend hinter ihrem Rücken genannt wurde, längst mit der Tatsache abgefunden, dass dieser Fall eine berufliche Selbstmordmission war, denn durch den Bund, welchen sie mit Mohrle geschlossen hatte um Leonie Langler zu retten, war sie so gut wie erledigt. Wie auch immer die Sache ausging, als Staatsanwältin war anschließend nicht mehr tragbar. Doch je länger sie an diesem Fall arbeitete, umso fester wurde ihr Wille diesen, miesen Verbrechern das Handwerk zu legen… und wenn sie schon unterging, dann verdammt nochmal, würde sie dieses ganze Geschmeiß mitnehmen!
„Können wir für heute Schluss machen?“ riss Dressler sie in die Gegenwart zurück.

„Gleich!“ entgegnete sie und dachte kurz über den letzten Punt von Dresslers Aussage nach. „Sie haben also vier Frauen dazu gebracht sich an den Spieltisch zu setzen. Diese Vier wurden dann, nachdem sie ihnen vorgegaukelt hatten, sie wären die geborenen Spielerinnen, zu einer exklusiven Pokerrunde eingeladen und sie sahen sie nie wieder?“
„Es musste nicht unbedingt Poker sein, es konnte auch ein anderes Glücksspiel sein, aber Poker war das häufigste Spiel. Mein Job war es dafür zu sorgen, dass die Spielerinnen gewannen. Die anderen Spieler der fingierten Runden wussten, was sie tun sollten, denen musste ich nichts erklären, also ging ich davon aus, dass ich nicht der Einzige war, für den die Statisten als Spieler schauspielerten.“
„Und sie haben keine Ahnung wer diese fingierten Spielrunden veranstaltete oder finanzierte?“
„NEIN! Verdammt, wie oft muss ich das denn noch wiederholen?“
„Solange bis ich es glaube! Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, dass sie nicht wissen, wer ihnen so viele Informationen und Geld gibt, ohne dass sie eine Ahnung davon haben wollen, wer dass sein soll.“
„Meine Informationen habe ich per Email bekommen, irgendwas mit uk am Schluss der Absenderadresse und das Geld wurde Bar in meinen Briefkasten eingeworfen.“
„Und sie sind nie auf die Idee gekommen nachzusehen wer ihnen das Geld in den Briefkasten wirft?“
„Klar hab ich geschaut. Da kam nachts ein dunkler Van, ein Typ mit Kapuze stieg aus, warf den Umschlag ein und weg war er, das war alles.“
Winter wusste, dass Dressler bezüglich der Mails die Wahrheit sagte, denn Mohrles IT Experten hatten sich Dresslers Emailkonto vorgenommen, konnten aber die Mails nicht zurückverfolgen und die Spur verlor sich im Darknet. Dazu kam, dass in Dresden dunkle Vans gesehen bzw. sichergestellt wurden, was den Schluss nahelegte, dass Dressler auch in diesem Punkt die Wahrheit sagte.
„Ok, das reicht für heute.“ Entschied Winter, nickte Dressler und Silka zu, welche sich ebenfalls im Raum aufhielt, während sie das Aufnahmegerät einsteckte. Dressler hatte vorläufig auf einen Rechtsbeistand verzichtet, aber darauf bestanden, dass Silka bei allen Befragungen anwesend war, denn sie war die einzige Person, der Dressler noch traute. Was auch immer Silka zu Dressler gesagt, oder mit ihm gemacht hatte, er kooperierte mit Winter so gut er konnte. Anfänglich zierte er sich natürlich, doch nachdem Silka erst einmal Vertrauen zu CW gefasst hatte, gab Dressler all sein Wissen preis und versuchte auch nicht seine Rolle herunterzuspielen.
Allerdings… mittlerweile war sich CW sicher, dass Dressler nicht viel herunterspielen musste, denn er war tatsächlich nur das letzte Glied der Kette, das Glied, welchem man keine sensiblen Informationen mitteilte.
Sie ließ Dressler in Silkas Obhut zurück und ging eine Etage tiefer in der Collet von Mohrles Truppe und Ariel, den Lem „freigestellt“ hatte, warteten. Beide hatten die Vernehmung über eine Videoschaltung mitverfolgt, damit sie sich ein eigenes Bild von der Lage machen konnten und tauschten bereits ihre Meinungen untereinander aus.
„Was denkt ihr?“ wollte Winter wissen.
„Ich denke Dressler sagt die Wahrheit.“ Meinte Collet und als Winter zu Ariel blickte nickte dieser und fügte hinzu, „Dressler ist der perfekte Mann für so ein Unternehmen. Auf der einen Seite ist er klug genug um seine Anweisungen umzusetzen, aber auf der anderen Seite ist er so unterbelichtet, dass er keine Vorstellung von den Dimensionen dahinter hat. Ich glaube, der Fachausdruck für Dressler wäre, „nützlicher Idiot“.
„Ihr meint also, Dressler ist eine Sackgasse?“
„Nein, im Gegenteil“, schüttelte Collet den Kopf, „Wir wissen, dass jemand in Deutschland Typen wie Dressler anheuert, um Mensch an den Spieltisch zu bekommen. Natürlich sagen die Hintermänner diesen Typen nicht, dass die Menschen, welche sie als Spieler anwerben, sterben müssen, aber nicht alle diese Typen sind so unterbelichtet wie Dressler. Er sagte ja selbst, dass er den Zusammenhang erst erfasste, als ihn dieser Bekannte praktisch mit der Nase drauf stieß. Diese anderen Typen haben bestimmt mehr nachgedacht und sich sicher eingehender mit ihren Auftraggebern beschäftigt. Die müssen wir uns schnappen.“
„Collet hat Recht.“ Pflichtete Ariel seinem Kollegen bei. „Die bezahlten Statisten, welche als Spieler mit am Tisch saßen, können wir vergessen, die bekamen Geld zum Spielen und etwas Geld als Gage… Aber, Dressler hat einen Namen genannt, „der schöne Horst“, den müssen wir fassen. Allerdings… Wir wissen, dass „der schöne Horst“ zwar hier in Dresden war, aber bundesweit agiert. Dazu kommt das Problem, dass viele Leute aus dem Rotlicht, oder dem Spielermilieu nicht mit der Polizei reden wollen.“
„Und selbst wenn wir wüssten, wer der „schöne Horst“ ist… bei dieser Beweislage bekommen wir niemals einen Haftbefehl.“ Fluchte Winter resigniert, hob den Blick, sah zu Ariel und Collet, dann fragte sie, „könnt ihr den Mann finden?“
„Finden wird nicht das Problem sein“, antwortete Ariel, „ihn zum Reden bringen schon… es kommt darauf an, wie weit sie gehen wollen.“
CW’s Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als sie ihren hennafarbenen Kopf zu ihm drehte. „Leonies Uhr läuft ab! Ich werde soweit gehen, wie ich muss!“

***

Mainstadt / Soulebda

In der Keilstraße kamen Mohrle, Frank, Levi und Decker zusammen, während auf einem Bildschirm Hauer aus dem Palast Soulebdas zugeschaltet war.
„Der Inhalt der Festplatte war schlimm“, teilte Hauer ihnen mit, „und hätte mein Computer nicht das Schlimmste herausgefiltert, würde ich wahrscheinlich immer noch kotzen. Wisst ihr, was ich nie verstehen werde? Jemand tut etwas absolut verwerfliches und filmt sich dabei noch selber! Ich meine… wie bescheuert muss man sein, selbst Beweise gegen sich herzustellen?! Doch kommen wir zum Wesentlichen! Dank eines guten Algorithmus konnte ich die Kum’do Daten separieren und da Freiher so nett war, oder zu bescheuert dazu, die Metadaten nicht zu löschen, konnte ich bei allen Mitschnitten das Datum ermitteln. Das kann ich so genau sagen, da wir wissen, wer die ersten Entführungsopfer waren und wann sie entführt wurden. Die erste Kum’do Runde startete zu Beginn des vorletzten Jahres, also vor dreißig Monaten und auf den Videos sind ausschließlich Entführte zu sehen.
So wie es aussieht, war Freiher ein sehr eifriger Wettteilnehmer und von Beginn der Spiele an mit dabei. Dank Dana konnte ich mir auch Freihers Konto vornehmen, denn sie hat sein Handy kopiert und mir ebenfalls geschickt, und wen wundert’s, Freiher hatte seinen Konto-Pin auf dem Handy gespeichert, doch dazu gleich mehr.
Zu Beginn waren die Spiele selten, etwa ein Spiel im Monat, dann ab dem darauffolgenden Sommer wurden die Spiele häufiger. Seit Ende August des letzten Jahres wurde mindestens ein Spiel in der Woche abgehalten.“
„Moment.“ Unterbrach ihn Frank, der nachgerechnet hatte, wie viele Spiele seitdem abgehalten wurden, „Das passt nicht zu der Zahl von zweiundsechzig Entführungsopfern.“
„Nein, ob ihr es glaubt oder nicht, die meisten Spiele werden mit Freiwilligen gespielt.“
„Freiwilligen?! Wer ist so blöd und spielt Kum’do freiwillig?“
„Frank…“ brummte Mohrle, „wenn eine Gattung Menschen nicht ausstirbt, dann die der Idioten.“
„Unser Freund vom BND hat Recht. Allein die Aussicht, einen Haufen Geld zu gewinnen, lässt bei vielen die Sicherung herausfliegen. Dazu kommen noch die Vollpfosten, die das machen, um den „Thrill“ zu erleben.“
„Moment! Wenn ich das einmal überschlage, komme ich an fast einhundert Menschen, die in den letzten Monaten umgekommen sind! WIE kann es sein, dass nur wir und nicht die gesamte Polizei Europas hinter den Kerlen her ist?!“
Hauers Blick wanderte zu Mohrle, als er fragte, „Wollen sie es ihm erklären?“
Mohrle nickte zähneknirschend und antwortete, „Ganz einfach! Solange es keinen Hinweis auf ein Verbrechen gibt, darf die Polizei nicht ermitteln, wenn jemand verschwindet. Sie dürfen die Person zwar suchen, aber ernsthafte Ermittlungen werden nicht eingeleitet, weil es dein verdammtes Recht ist zu verschwinden. Diese Mistkerle lassen die Toten so gründlich verschwinden, dass es keine Hinweise oder gar Beweise für ein Verbrechen gibt, also gibt’s auch keine Ermittlungen. Hätten wir nicht die Leiche von Heideramie Langler gefunden, wüssten wir noch immer nichts von den Spielen oder den Entführungen.“
„Wer hat sich denn diesen Scheiß ausgedacht?“ fragte Frank und Mohrle zuckte resigniert die Schulter nach oben.
„Wenn es so viele Freiwillige gibt, warum entführen sie dann Spieler?“ wollte Decker wissen.
„Ganz einfach“, entgegnete Hauer, „das Spiel musste erst einmal bekannt werden und Fuß fassen. Wahrscheinlich haben die Mistkerle, welche die Spiele leiten, selbst nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet, aber sie waren clever genug sich den Gegebenheiten anzupassen. Als die Geldmaschine dann am Laufen war, hatten sie immer noch Entführte übrig und überlegten sich, was sie mit ihnen anstellen konnten und schon erschien die maskierte Kommentatorin. Hatten sie zu Anfang Glöckner und dessen GSG als „Sicherheitsfirma“, lassen sie jetzt, nachdem wir ihnen auf die Schliche gekommen sind, die Singhs die schmutzigen Arbeiten erledigen.“ Nickte Hauer. „Jetzt zur Frage woher ich das alles weiß… Freiher hatte ein extra Konto für die Wetteinsätze. Die Kontobewegungen stimmen exakt mit Metadaten der aufgenommenen Spiele überein. Ich nehme an, dass Freiher keine Ahnung hatte, dass sein Konto all das Hin und Herschieben der Beträge speicherte. Freiher legte ein Gelddepot an, das über einen Server im Darknet verwaltet wurde. Leider konnte ich das Konto nicht hacken, auf das die Summen überwiesen, bzw. von dem die Gewinne ausgezahlt wurden. Der Kontakt von diesem Depot, zum Konto der Kum’do Organisatoren, lief über Freihers Handy, über Bluetooth Verbindung zu einem Tablet, und von diesem zu dem Konto der Mistkerle. Es wurden also, zu diesem Konto, keine Daten zwischengespeichert, welche ich noch finden konnte. Aber ich konnte, dank den Kontobewegungen, eine zeitliche Chronologie erstellen. Die Wetteinsätze der ersten Spiele waren extrem hoch, dann mit der zunehmenden Häufigkeit wurden die Einsätze um einiges geringer. Das waren dann Spiele, bei denen Freiwillige mitspielten. Doch dazwischen gibt es regelmäßige Ausreißer bei denen die Einsätze sprunghaft anstiegen. Vor sechs Monaten, also zu der Zeit als Leonie Langler entführt wurde, taucht auf den Videos der Ausreißer eine neue Figur auf, eine maskierte Moderatorin. Seit sie die Spiele kommentiert, gehen die Wetteinsätze der Spiele, in denen Entführte Spielen müssen praktisch durch die Decke! Ich habe mich auf diese konzentriert und die Videos analysiert. Im Anschluss habe diesbezüglich mal eine Statistik erstellt… Moment ich blende sie mal ein…“
Hauers Bild verschwand und eine Statistik mit bunten Balken erschien. Die zeigten erst eine gleichmäßige Höhe, dann eine abfallende Kurve aus der mehrere, in regelmäßigen Abständen, Ausreißer zu sehen waren, welche zuletzt immer größer wurden. „Ich lege jetzt mal die Wetteinsätze Freihers darüber, kündigte Hauer an und eine zweite Kurve erschien, die beinahe dieselben Balken zeigte. „Auf den Videos der Ausreißer sind eindeutig einige der Entführten zu sehen und bei mindestens drei Runden ist Leonie dabei.“
„Wann taucht sie das letzte Mal in den Videos auf?“ wollte Levi wissen.
„Beim letzten Video von Freiher, das war vor zehn Tagen.“
„Dann könnte sie noch am Leben sein!“
„Frank…“ sagte Decker leise und deutete zur Statistik und alle verstanden was Decker sagen wollte… zweiundsechzig Menschen hatten die Organisatoren der Kum’do Spiele entführt, bei jeder Runde starb ein Spieler und auf der Statistik waren siebenundfünfzig „Ausreißer“ zu sehen… und von neuen Entführungsopfern war nichts bekannt, was den Schluss nahelegte, dass nach der letzten Runde niemand der Entführten noch am Leben war…

Das alles hieß, sie hatten, wenn überhaupt, noch fünf Runden Zeit Leonie zu retten!

***

Bei Dresden

„Kommen sie herein!“ rief CW, als es leise an ihre Tür klopfte. Sie stand am Fenster des Raumes, welchen sie während ihres Aufenthaltes in dem sicheren Haus als Schlafzimmer bzw. als Rückzugsraum benutzte und schaute nach draußen zum Waldrand, wobei sie ihre Gedanken kreisen ließ.
„Störe ich?“ fragte Silka und streckte den Kopf durch die Tür.
„Nein, natürlich nicht.“ Antwortete Winter und lächelte leicht, als sie bemerkte, dass Silka die Tür nicht ganz schloss.
„Was denken Sie…. Wie schlimm steht es um Bernd?“
„Naja… einen Prozess kann ich ihm nicht ersparen… Beihilfe zur Entführung, wahrscheinlich sogar Mord, in vier Fällen … da kommt einiges zusammen.“
„Aber…“
„Ja, ich weiß.“ Unterbrach CW Silka. „Er wusste nichts davon, dennoch ist er mitverantwortlich.“
„Wie viel wird er bekommen?“
CW schüttelte den Kopf und rief zur Tür hin. „Dressler, kommen sie rein, verdammt noch mal!“
Die Tür öffnete sich und Dressler trat mit einer ertappten Miene ein und schloss die Tür hinter sich.
„Setzten sie sich hin.“ Wies ihn Winter an, wartete bis Dressler und Silka Platz genommen hatten, blieb jedoch selbst am Fenster stehen.
„Sie wollen wissen, wie dick es kommt?“
„Ja“, antwortete Dressler leise, „irgendwie schon.“
„Ich kann ihnen natürlich nichts versprechen, aber ich werde tun, was ich kann, um für sie das Beste herauszuholen.“
„Wissen sie…“, begann Dressler und sah CW in die Augen, „…Ich war oft ein Arschloch und hab sicher viel Scheiß in meinem Leben gebaut, aber ein Kind… niemals würde ich auf die Idee kommen einem Kind etwas anzutun! NIEMALS! Ich war schon ein paarmal im Knast. Nie lange, aber ich weiß wie es dort zugeht… es ist nicht so… wie soll ich das sagen…“
„Ich weiß, wovor sie Angst haben.“ Warf CW ein, „Keine Sorge, sollten sie in den Knast müssen, werde ich dafür sorgen, dass jeder erfährt, dass sie alles versucht haben um Leonie zu retten, darauf gebe ich ihnen mein Wort.“
Dressler erhob sich und kam zu ihr ans Fenster. „Danke, ich verspreche, dass ich sie vor Gericht nicht enttäuschen werde, nein ich werde die Arschbacken zusammenkneifen, aufrecht dastehen und für alles die Verantwortung übernehmen!“

***

„Hallo mein Freund!“ flüsterte Glöckner, der mit einem Teleskop gute zweihundert Meter entfernt am Waldrand lag. „Ich wusste, dass sich dich finden werde, man muss eben Geduld haben.“ Und die hatte Glöckner in den letzten Wochen bewiesen. Ihm war klar, dass Winter jedes Mal wenn sie hier herkam auf Verfolger achten würde, also hatte er sie immer nur ein Stück weit näher verfolg, bis ihn CW letztlich zu diesem Kaff geführt hatte. Da er niemals ohne aufzufallen ihr bis zur Haustür folgen konnte, spähte Glöckner in der Straße ein Haus nach dem anderen aus, bis er schließlich Erfolg hatte. Nun wusste Glöckner wo sich Dressler verkrochen hatte und er hatte vor dieses Wissen zu nutzen! Er würde ganz sicher nicht zu Hombacher zurückkriechen und ihn freundlich bitten seine Killer zurückzupfeifen, nein er würde Hombacher und den anderen Ärschen klar machen, mit wem sie es zu tun hatten! Und dann würde er sich um diesen Arsch Peter Stein kümmern!

***

Winter hatte ihren Fensterplatz verlassen und sich mit Silka auf die Terrasse des Hauses zurückgezogen, nachdem sie sich in der Küche eine Tasse Kaffee gekocht hatte. Als der Kaffee fertig war, reichte sie Silka eine Tasse und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
„Wissen sie, in einem hat Dressler ganz sicher nicht gelogen“, begann Silka die Unterhaltung, „er ist ein Arschloch.“
„Warum helfen sie ihm dann?“
Silka schnaufte auf und schüttelte den Kopf, „Bernd, der Bohne, Dressler… ich hab eine Menge Scheißkerle kennengelernt, Zuhälter, die ohne mit der Wimper zu zucken, Frauen verprügeln, Schweine die ohne Gewissen Minderjährige ausbeuten und sie mit Gewalt, Drogen und oft mit beidem zusammen gefügig manchen … Dressler hat zwar gedroht und manchmal geschubst, aber geschlagen hat er nie… er hat nie Drogen angerührt, sich auch immer an die Abmachungen gehalten und nie beschissen, was das Geld anging… er sieht sich… wie soll ich das beschreiben… er sieht sich selbst, als den amerikanischen Gentleman-Gangster der 20er und 30er Jahre.“
„Diese Art Gangster gab es nie!“ warf Winter ein.
„Ja, ich weiß das, aber in Dresslers Welt ist das real.“ Nickte Silka. „Ach scheiße… ich glaube, ich bin einfach zu gut für diese Welt. Dressler hat seinen Dackelblick aufgesetzt und ich war so blöd darauf hereinzufallen.“
„Wissen sie was ich denke?“ Fragte CW und sah Silka anerkennend an, „Egal wie blöd Dressler auch sein mag, er war klug genug zu wissen, wer ihm am besten helfen kann. Sie sind eben ein guter Mensch… schade dass es nicht mehr Menschen wie sie gibt.“
„Die gibt es… und es ist die verdammte Mehrheit!“ Antwortete Silka in die Ferne schauend, „Wir müssten uns nur besser organisieren, dann gäbe es viel weniger Scheiße auf dieser Welt.“ Dann hob sie den Kopf und sagte zu Winter, „Gebracht hat es mir meine Hilfsbereitschaft jedenfalls nichts, ich hatte mal einen Kater, der kam auch nur, dann wenn’s ihm dreckig ging.“ Schüttelte Silka den Kopf. „Immer wieder habe ich ihn aufgepäppelt und wenn es dem Mistvieh besser ging, verschwand er und niemand wusste, wo er abgeblieben war.“
„Naja…“ meinte CW trocken und grinste Silka über den Tassenrand an, „diesmal werden sie wissen, wohin der Kater verschwindet.“
Silka, die gerade am Trinken war, musste alle Kraft aufbringen um nicht den Kaffee durch die Luft zu prusten, verschluckte sich und fing an zu husten, während auch Winter ihre Tasse auf dem Tisch abstellte, um den Inhalt nicht vor Lachen zu verschütten.

***

„Ja, lacht nur.“ Flüsterte Glöckner, der das Fernglas zur Seite legte und sich Notizen anfertigte, über alles, was er beobachtete. „Lacht nur, solange ihr noch könnt.“

***

Dresden

„He Edi, hast du mal einen Moment Zeit?“ fragte Chantal, eine der Tänzerinnen, welche in demselben Club wie der Türsteher Edi beschäftigt war und winkte ihn zu sich. Edi, der natürlich tagsüber noch andere Aufgaben in dem Club zu erledigen hatte, wuchtete gerade eine Kiste Champagner hinter den Theresen und sah zu Chantal hin, die mit einem fremden Mann, am Eingang zu dem noch leeren Club stand. Er ließ die Kiste stehen und ging zu den Beiden herüber, wobei er den Fremden misstrauisch beäugte. Doch der schien, obwohl ein halber Kopf kleiner und schmäler, keineswegs eingeschüchtert zu sein und begegnete seinem Blick recht neutral. Allerdings hatte der Fremde eine gefährliche Ausstrahlung, welche Edi warnte, dass dieser Mann ein ernsthafter Gegner sein konnte.
„Was ist?“
„Ich suche einen Mann, der auf den Namen der „schöne Horst“ hört.“ Eröffnete der Fremde.
„Nie gehört.“ Antwortete Edi und wollte sich abwenden, als Chantal ihn am Arm festhielt. „Edi, warte einen Moment… bitte.“
Edi zögerte kurz, blieb dann aber stehen, als Chantal dem Fremden zunickte, „Sagen Sie es ihm!“
„Sie kannten Tallia Holker?“
Edis Miene fror ein, als er den Mann am Kragen packte und ihn zu sich heranzog. „Wieso KANNTEN?!“ flüsterte er gefährlich leise.
„Weil Frau Holker ermordet wurde und wir wollen die Mistkerle die sie umgebracht haben.“
„Ich wusste Es! Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, als sie verschwand! Was sind sie, ein Bulle? Scheiße, ihr reißt euch doch wegen einer wie Tallia kein Bein aus und selbst wenn ihr das Schwein schnappt, kommt nicht das Geringste dabei heraus, für euch war Tallia doch nur eine Nutte!“
„Nein“, entgegnete der Mann ungerührt und bemühte sich nicht einmal aus Edis Griff herauszukommen, doch er bekam plötzlich einen eiskalten Blick, „wir sind keine Bullen, wir sind eine, sagen wir …Interessengemeinschaft… und wir machen Dinge, welche die Polizei nicht unbedingt wissen muss. Für uns war Frau Hollker ganz sicher nicht nur eine Nutte und ein nachher, sieht bei uns etwas anders aus! Also, wenn sie die Mörder von Frau Hollker haben wollen, dann helfen sie uns. Kennen sie den „schönen Horst“ und wissen sie, wo er sein könnte?“
„Was ist mit Dressler?! Als ich Tallia das letzte Mal sah, da war sie mit Dressler zusammen.“
„Nein! Haben sie von dem verschwundenen Kind aus Mainstadt gehört?“
„Das hat wohl jeder.“
„Ob sie es glauben oder nicht, aber Dressler hat versucht, dem Kind und dessen Mutter zu helfen und Tallia wurde leider zu einem weiteren Opfer dieser Geschichte. Die genauen Umstände sind noch geheim, aber nein, Dressler trifft an der Ermordung von Tallia keine Schuld.“
„Was ist mit Silka? Sie ist auch verschwunden, ist sie auch tot?“
„Nein, sie ist in Sicherheit, aber solange wir nicht den „schönen Horst“ und dessen Hintermänner haben, muss sie untergetaucht bleiben.“
Edi, der sich wieder im Griff hatte, ließ den Mann los und trat einen Schritt zurück während seien Gedanken rasten. Tallia war tot! Tief in seinem Inneren hatte er es gewusst, aber nicht wahrhaben wollen. –Ihr Schweine! Ich werde euch kriegen!- schwor sich Edi. –Keiner legt eine von uns um und kommt damit durch! KEINER!- und in Sekunden fasst Edi einen Entschluss. „Hier werden sie den „schönen Horst“ nicht finden… soweit ich weiß, taucht der Name bei den Spielern auf… ich hab da ein paar Freunde in der Szene, bei denen höre mich mal um.“
„Danke.“ Der Fremde griff in seine Tasche, holte eine Karte heraus, auf der lediglich eine Handynummer stand, welche er Edi reichte. „Die Nummer ist 24/7 zu erreichen.“
Edi, der markige Türsteher, drehte sich um, damit Chantal und der Fremde nicht sehen konnten, wie sehr ihn die Nachricht von Tallias Tod erschüttert hatte, nickte nur und sagte im Weggehen, „Richten sie Silka einen Gruß aus, wenn sie mich braucht… ich bin hier!“

***

Acht Stunden später erschien Edi in einem anderen Strip- und Spielclub. Dieser Club lag nicht im „Rotlichtviertel“ der Innenstadt, sondern in einem Gewerbegebiet am Stadtrand, wo er wegen seiner Größe weniger Proteste der Anwohner hervorrief.
„Man Edi, was treibst du denn hier?“ wollte der Mann hinter der Theke wissen, als Edi sich dort einen Platz gesucht hatte.
„Ich musste mal raus! Bekomme ich ein Bier?“
„Na klar.“ Antwortete der Keeper und brachte ein volles Glas Bier, welches er vor Edi abstellte, „Hier das geht aufs Haus. Hab das von Tallia gehört…eine Schande, tut mir echt leid um sie.“
„Von wem hast du es erfahren?“
„Eines der Mädchen kennt jemanden, der jemand kennt… Außerdem schleichen hier seit vorgestern ein paar unheimliche Gestalten herum, man flüstert die wären vom Geheimdienst oder sowas. In was ist die arme Tallia da bloß reingeraten?“
„Hör zu, ich will nicht drum herum reden, ich suche den „schönen Horst.“
„Ja, den suchen die Gestalten auch.“ Antwortete der Keeper und sah Edi misstrauisch an. „Schicken die dich?“
„NEIN! DIE schicken mich nicht, ich will das Schwein, das Tallia umgebracht hat und wenn ich dafür diese dunklen Gestalten benutzen muss, hab ich kein Problem damit… und du solltest das auch nicht! Also was ist, weißt du, wo der der Mistkerl ist?“
Der Keeper beugte sich etwas vor und senkte seine Stimme, „Er hat hier im Hinterzimmer ein paar Pokerrunden organisiert, man munkelt, dass die Runden fingiert waren, dann vor ungefähr einem halben Jahr verschwand der schöne Horst spurlos von der Bildfläche… Mehr weiß ich nicht.“
Enttäuscht nickte Edi, trank sein Bier aus und stellte das leere Glas ab, „Danke für das Bier.“ Brummte er und erhob sich, doch der Keeper hielt ihn am Arm fest. „Edi! Wie lange kennen wir uns? Verdammt rede mit mir! Um was geht’s hier wirklich?!“
„Ich hab keine Ahnung… die Typen sagen, dass Tallia wohl mit Silka und Dressler einem Kind helfen wollte und dabei umgebracht wurde, als die Sache schief ging und das Kind entführt wurde, mehr weiß ich nicht.“
„Silka?! Ist sie etwa auch…?“
„Angeblich musste sie untertauchen, als sie und Dressler dem Kind helfen wollten.“
„Das Silka und Tallia einem Kind helfen wollen glaube ich ja sofort, aber Dressler… Dressler und jemandem helfen?!“
„Das sagen sie zumindest.“
„Glaubst du ihnen?“
„Mein Bauch sagt ja… Fakt ist, die Typen suchen das entführte Kind und ich die Mörder von Tallia!“
„So so… ein Kind…“ brummte der Keeper, als seine Augen schmal wurden. „Na schön hör zu, als der schöne Horst das letzte Mal hier war, habe ich gesehen, wie er mit Kamilinski geredet hat.“
„Der Passfälscher?“
„Er nennt sich selbst Passkünstler. Wenn du eine neue Identität brauchst, dann ist Kamilinski dein Mann. Ich nehme an, der Grund warum der schöne Horst so plötzlich verschwunden ist, liegt darin, dass er sich einen anderen Namen zugelegt hat und irgendwo untergetaucht ist, was verständlich ist, sollte es sich tatsächlich um ein Kind handeln.“
„Wo ist Kamilinski?“
Der Keeper zeigte mit seinen Augen zur Decke und brummte, „Zweiter Stock, Zimmer achtundzwanzig.“
„Hast was gut bei mir!“ antwortete Edi, zog die Nummer des Fremden hervor und begab sich zur Treppe!

***

Die Nachricht erreichte CW kurz hinter Fulda.

„Winter.“ „Hier ist Mohrle, unsere israelischen Freunde haben eine heiße Spur. Der schöne Horst hat sich eine neue Identität zugelegt. Sein Name ist jetzt Klaus Germer und lebt jetzt in Frankfurt. Die Adresse ist zwar ein Briefkasten, doch wie es der Zufall will, gegenüber dieses Briefkastens liegt ein Spielsalon, der zu einer Kette von fünf weiteren Salons gehört und die vor vier Monaten den Besitzer wechselte.“
„Wie gehen wir vor?“
„Wir schnappen uns Klaus Germer und quetschen ihn aus und da es einen Klaus Germer ja offiziell nicht gibt… wird er uns auch kaum verklagen.“
„Definieren sie das Ausquetschen etwas genauer.“
„Kennen sie sich mit Soulebdalesischen Verhörmethoden aus?“
„Nein.“
„Gut, dann lehnen sie sich zurück und genießen die Show, ich kenne genau die richtigen Leute für den Job. Im Anschluss gehört der „schöne Horst“ ihnen.“

***

JVA Mainstadt

„Peter!“
-Seit wann hat Caroline eine so dunkle und grässliche Stimme?- Fragte sich mein Gehirn im Dämmerschlaf -und wieso schüttelt sie mich?-
„Jetzt wach schon auf!“
Erst nach und nach begriff ich, dass es sich nicht um einen Alptraum handelte, indem sich meine Frau in einen kantigen Kerl verwandelt hatte, sondern dass tatsächlich ein kantiger Kerl namens Frank, neben meinem Bett stand und mich schüttelte.
„Verdammt, was soll das?!“ fluchte ich benommen, „Schon mal was von Privatsphäre gehört? Und was zum Teufel machst du in meinem Schlafzimmer?“
„Würdest du dein Telefon nicht immer auf lautlos stellen, müsste ich dich nicht selbst aus dem Schlaf holen!“
„Wie kommst du überhaupt hier rein?“
„Machst du Witze? Das ist meine JVA, es gibt hier keinen Raum, in den ich nicht reinkomme! Jetzt schwing deinen Arsch aus dem Bett, sonst schicke ich das nächste Mal Decker, um dich zu holen!“
„Also, darauf würde ich es an deiner Stelle nicht anlegen.“ Grinste Caroline, die mittlerweile ebenfalls erwacht war. „Was gibt es so dringendes?“ wollte sie von Frank wissen.
„Lems Leute haben…“ er brach ab und sah mir zu, wie ich nackt aus dem Bett stieg und mich auf die Bettkante setzte. „Willst du nicht etwas anziehen?“ fragte er, nachdem ich keine Anstalten machte mir etwas überzuziehen.
„Nein, deine JVA, aber mein Schlafzimmer!“
Frank schüttelte den Kopf und wandte sich erneut an Caroline. „Lems Leute haben den „schönen Horst“ gefunden. Sie observieren ihn und wissen genau wo er sich aufhält, das Problem ist, dass sie ihn nicht schnappen können, ohne Gefahr zu laufen enttarnt zu werden. Und weder Mohrle, noch Kämpfer können ihn festnehmen, ohne dass die ganze Sache mit Winter auffliegt. Und nein, Winter hat erst gar keinen Haftbefehl beantragt, da sie ihn niemals bekommen würde!“
„Wo hält…“
„Ich hab Ben am Telefon, er redet mit Ariel über Konferenz.“ wurde Caroline von Jessika unterbrochen, als diese mit dem Handy am Ohr ins Schlafzimmer kam. „Hier.“ Sie reichte Frank das Handy, sah zu mir und zwinkerte Caroline zu, „Keine Angst, alles schon gesehen.“

„Haha.“ Brummte ich und stand auf, um mir doch eine Hose zu suchen, während Frank mit Levi telefonierte. Bevor ich das Beinkleid überziehen konnte, kam Decker durch die Tür, musterte mich gründlich und verzog wie üblich keine Miene, „Sie sind in zwei Stunden hier!“
„Verdammt! Wer ist in zwei Stunden hier und wieso kommt ihr alle in mein Schlafzimmer?!“
„Klappe!“ riefen Frank und Decker gleichzeitig, dann lauschte Frank noch einmal kurz und beendete das Gespräch mit Ben.
„Also, der schöne Horst heißt jetzt Germer und ist in Frankfurt. Der Plan sieht folgendermaßen aus: Ihr zwei werdet ihn euch schnappen und ihm klar machen, dass er besser auspackt, und zwar schnell. Ich nehme an, ich muss dir nicht erklären, wie du das anstellen sollst.“
Nein, das musste Frank Caroline nicht erklären, schließlich war sie eine ausgebildete Agentin des Mossad.
„Wir sollen ihn also nicht… überreden mitzukommen?“, vergewisserte sie sich.
„Vorerst nicht, der Deal sieht folgendermaßen aus: Auspacken und weiter unter dem Namen Germer leben, oder wir wenden spezielle Methoden an.“
„Wir machen ernsthaft einen Deal mit so einem Scheißkerl?“ fragte ich entsetzt?
„Natürlich nicht! Wir bieten ihm einen Deal an, er wird ablehnen, oder feilschen wollen und dann gehört er dir. Was CW anschließend mit dem „schönen Horst“ macht, steht auf einem anderen Blatt! Geht das ok für dich?“
„Ja, damit kann ich leben“, nickte ich, „dennoch müsste uns der „schöne Horst“ erst einmal glauben, dass wir es ernst meinen, was das Anwenden von speziellen Methoden betrifft. Foltern kommt wohl nicht in Frage, oder?“ Warf ich ein, nachdem ich meine Hose angezogen hatte.
„Er wird dir glauben und foltern musst du ihn auch nicht.“
„Schade.“
„Mach dir keine Sorgen, in zwei Stunden landet eine Sondermaschine aus Soulebda mit Ma’Fretama an Bord. Ich denke sie kann Germer jedes Geheimnis entlocken.“

Caroline und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu. „Ja“, nickte Caroline, „das kann sie ganz bestimmt.“

***

Frankfurt

-Warum habe ich Arschloch, nicht mein Maul gehalten?!- diese Frage stellte sich Horst Hanner, bisher bekannt als der „schöne Horst“, jetzt Klaus Germer, seit mehr als sechs Monaten jeden verfluchten Tag!
Als er Dressler an diesem verhängnisvollen Abend in einer, warum auch immer, aufkommenden Bierlaune ein Kompliment machte und bemerkte, dass sein jetziger Fang eine gute Figur hatte, um die es schade war, nahm das Unglück seinen Lauf. Dresslers Gehirn fing an zu rotieren und begriff langsam die Zusammenhänge, die ihm, Hanner, schon längst klar waren.
Hanner hatte keine Probleme damit Spieler oder Spielerinnen anzuwerben, die im Anschluss verschwanden. Warum sollte er auch? Wer so blöd war und sich an einen Spieltisch setzte, war schließlich selbst schuld, wenn er in Schwierigkeiten geriet. Außerdem hatte er ja niemanden gezwungen zu spielen, oder mit Gewalt an den Spieltisch gesetzt.
Doch dann hatte dieser Idiot Dressler durchgedreht und sich zum Retter der Spielerin erkoren. Allerdings mit fatalen Folgen… Dresslers Spielerin wurde tot aufgefunden und Dressler selbst war verschwunden. Doch es kam noch schlimmer! Hanner hatte keine Ahnung, woher das Kind kam, dass plötzlich alle suchten, doch als man eine Großfahndung nach dem Kind und Dressler in die Wege leitete, wusste Hanner, dass er ein Problem hatte. Dass Dressler ein Kidnapper sein sollte, glaubte Hanner keine Sekunde, denn dafür war Dressler zu blöd, das Kind musste also mit der Spielerin zusammenhängen und die war tot! Plötzlich suchte die ganze Republik nach Dressler und alleine in der Bar hatten dutzende Menschen gesehen, wie er mit Dressler geredet hatte, folglich würden auch seine Auftraggeber erfahren, dass er, nur einen Tag vorher, mit Dressler geredet hatte!
Im Gegensatz zu Dressler hatte sich Hanner sehr wohl Gedanken über seine Auftraggeber gemacht. Diese entführten Menschen, ließen sie gegeneinander Spielen und brachten sie letztlich um, ohne dass auch nur ein Hahn nach ihnen krähte. Wer die Mittel besaß, so eine Nummer hier, mitten in Deutschland, abzuziehen… der besaß auch die Mittel herauszufinden, wer seine Geschäfte mit Gerede in Gefahr brachte!
Hanner blieb eigentlich nur ein Ausweg, er musste die Reißleine ziehen und verschwinden! Er hatte genug Geld um sich einen neuen Pass zu besorgen (keinen billigen Pass, den man als Fälschung erkannte, wenn man nur genau hinschaute), sondern einen gut gefälschten und Kamilinski war ein wahrer Künstler. Seine Pässe bestanden selbst einer genaueren Überprüfung, waren allerdings entsprechend teuer. Doch als sich die Toten auf Dresslers Weg, häuften, beschloss Hanner das Geld zu investieren und so wurde Klaus Germer geboren.
Der nächste Schritt war sich Schutz zu besorgen, der zusätzliches Geld kostete. Um die laufenden Kosten seines neuen Lebens zu decken, dachte sich Hanner etwas Besonderes aus. Als Germer übernahm er zwei marode Spielhallen, meldete Insolvenz an, beschiss alle sehr geschickt und kaufte hinter dem Rücken des Verwalters und des Gerichts drei weitere Spielhallen, die recht gut liefen. Natürlich tauchte sein Name in keinem Dokument auf und als Gegenleistung für die Nutzung seiner Räumlichkeiten, der Kunden und seiner Geschäftspartner, bot ihm eine örtliche Vereinigung von Drogendealern Schutz. So waren immer mehrere Schläger in seiner Nähe und nach ein paar Monaten fühlte sich Germer so etwas wie sicher, dennoch traute er niemandem über den Weg und sobald ihm jemand verdächtig vorkam, schickte er ihm seine Schläger auf den Hals und das konnte in nächster Zeit öfter nötig werden, denn aus Dresden kamen beunruhigende Nachrichten. Zum ersten Mal wurde nach ihm selbst gesucht, doch allzu große Sorgen, dass seine neue Identität bekannt wurde, machte er sich nicht, denn erstens kannte Kamilinski seinen wirklichen Namen nicht und zweitens, hatte Kamilinski noch nie geredet, was ein weiterer Grund für die hohen Preise war, die dieser für jeden Pass verlangte.
Alles was Hanner, alias Germer tun musste, war den Mund zu halten und seine wahre Identität zu verschweigen, dann würde ihn niemand finden…
Dennoch, beschloss Germer, auf Nummer sicher zu gehen… Er hatte für heute Abend einige Größen der Typen versammelt, welche den Drogendealern im Bahnhofsviertel für Geld Probleme vom Hals schafften, um ihnen ein gutes Angebot zu machen, damit sie ihn und seine Spielhallen besser bewachten, natürlich ohne ihnen zu sagen, dass er der schöne Horst war, nachdem alle suchten.

***

„Wow, sie dir die Preise an“, staunte ich und zeigte auf mehrere Lederpeitschen, welche an einer Schaufensterwand eines Sexshops hingen, vor der ich mit Caroline Hand in Hand stand, „ich wusste gar nicht, dass wir den Wert eines Kleinwagens unter dem Bett liegen haben.“
„Dir ist schon klar, dass die anderen mithören?“ fragte Caroline.
„Ach komm, die wissen doch alle, was wir im Bett treiben.“
„Himmel, manchmal frage ich mich wirklich, wie es mit dir aushalte.“ Seufzte sie und schüttelte den Kopf.
„Ja, das fragen wir uns alle.“ Erklang Benjamins Stimme in meinem Ohr. „Und ja, wir wissen, was ihr im Bett treibt, schließlich sind wir der Mossad. Übrigens, da kommt der „schöne Horst“.“ Als ich meinen Kopf in Richtung Germer drehte, der aus einen Auto vor seiner Spielhalle ausstieg, gab mir Caroline einen Schubs. „Nicht hinschauen!“ zischte sie.
Wir schlenderten Arm in Arm durch die Straße von Germers „Hauptsitz“ im Frankfurter Bahnhofsviertel und sahen uns die Schaufenster an, wobei wir ohne uns, anzustrengen zu müssen, das Bild eines frisch verliebten Paares boten. Unterdessen saßen Ben, Ariel und Ma’Fretama in einem der dunklen Vans, welchen wir uns von Glöckner „ausgeliehen“ hatten, schräg gegenüber des Seiteneingangs der Spielhalle, an der drei übel aussehende Kerle Schmiere standen. Hier in einer dunklen Seitenstraße herrschte nur wenig Verkehr und auch nur wenige Fußgänger waren hier unterwegs.
Nachdem der schöne Horst in der Spielhalle verschwunden war, teilte uns Ben mit, „Abgesehen von der Kundschaft sind einige finstere Kerle durch den Seiteneingang gekommen, also Vorsicht, irgendetwas läuft da.“
„Verstanden, wie viele Leute sind in die Spielhalle gegangen, seid wir da sind?“ wollte Caroline wissen.
„Insgesamt Siebenundzwanzig, allerdings sind von denen wieder zweiundzwanzig herausgekommen.“
„Wie bitte rechnet sich der Laden dann?“ fragte ich.
„Wenn ich dir das erkläre, fragst du dich, warum du weiter arbeiten solltest.“ Antwortete Levi belustigt. „Wenn ihr mich fragt, die Typen verkaufen Cannabis und Extasy.“
„Wie kommst du darauf?!“
„Die meisten Besucher der Spielhalle, waren weniger als zwei Minuten in drin. Die haben gekauft und sind abgehauen.“
„Ist das nicht gefährlich für unseren untergetauchten Freund? Ich meine, der ruft die Polizei doch selber.“
„Geld ist eben Geld. Wenn du als untergetauchter Verbrecher angenehm leben willst, musst du dir was einfallen lassen, aber ich