In nur einer Nacht – Teil 3

„Kiez-Geschrei“
Der dritte Teil aus der Serie “In nur einer Nacht”
von den beiden Autoren Biggi und Stephan

 

Noch am Abend unserer Rückkehr eröffnete Nela wie gewohnt das „Eros“. Wie üblich versammelte sich auch schon nach kurzer eine Schlange vor dem Eingang und die Türsteher hatten wie immer alle Hände voll damit zu tun, ein paar Junkies und eine Horde Besoffener, die sich eine handfeste Prügelei lieferten, auf die Straße zu setzten.
Na ja, was sein musste, musste sein. Blutige Nasen waren eben schlecht fürs Geschäft.
Also so gesehen verlief unser Leben bereits nach einigen Wochen wieder völlig normal.
Na ja, fast normal.
Denn mit dem Hotelleben war es nun ein für allemal vorbei. Von der Kohle, die das „Eros“ Abend für Abend einspielte, leisteten wir uns eine alte Villa am Stadtrand. Nina und Nela ließen es sich nicht auch nur für einen Augenblick nehmen, jedes der Zimmer bis das kleinste Detail zu planen bis der alte Kasten irgendwann in neuem Glanz erstrahlte.
Und, na ja, wie ich es bereits ahnte, besonders als es um die Einrichtung unserer neuen Spielwiese ging, auf der wir später die wildesten und heißesten Nächte verbrachten. Entweder nur ich mit Nina allein, während wir uns so manches mal bis in den Sternenhimmel fickten oder wir drei uns sogar gegenseitig verwöhnten.
Ab sofort hatten wir ein Hausmädchen. Wie mir aber erst später bewusst wurde, ein mir nicht ganz unbekanntes Gesicht.
Es war Chloe, das Animiermädchen aus dem „Eros“, die demnächst für uns und auch für unsere kleine Emily sorgte.
„Du kannst ihr vertrauen. Sie ist sauber.“ versicherte Nela.
„Wenn Du es sagst.“ entgegnete ich.

„Du kennst mich doch. Sie weiß schon was ihr droht, wenn der Kleinen oder Nina was passieren würde. Und mit der Entführung? Sie hatte keine Chance und musste mitmachen, sonst hätte „Der Schreier“ sie umlegen lassen. Aber wir waren ja schneller. Schon vergessen?“
Schweigend hörte ich ihr zu und fragte mich, ob es möglich sein könnte, gleich in zwei Frauen verliebt zu sein? Ich trat zu Nela heran, schnappte mir ihre Hand und zog sie dicht zu mir herüber, so dass ich ihre feste Brust auf meinem Körper spüren konnte. Ihre zarten, schmalen Hände glitten unter meinem Shirt über meinen Rücken und mit ihren Blicken bat sie mich, irgendwie um Vergebung, in Nina hoffnungslos verschossen zu sein. Ich liebte es dennoch, die Körper beider Mädchen während ihres lustvollen Liebesspiels zu streicheln und zu verwöhnen.
Herzchen hatte währenddessen die „Schatulle“ in einen Treffpunkt für die Club und Barbesitzer verwandelt. Fast jeden Abend trafen wir uns im Hinterzimmer seines Clubs, saßen in der Runde und plauderten übers Geschäft. Verdammt, ich mochte diesen Mistkerl einfach.
Ein Platz blieb jedoch reserviert für einen Mann, der es wohl niemals aufgab, mir von Zeit zu Zeit immer wieder auf die Finger zu klopfen. Noch vor einigen Monaten hätte ich die Tatsache, mit Kilian Baumann und den anderen Jungs vom Kiez an einem Tisch zu sitzen und die Gläser zu erheben, in das Reich der Fabeln verwiesen. Doch unser Plan ging auf.
Schon seit Wochen machten sich auf der Meile keine Drogendealer einen neuen Namen. Auch gab es keine rivalisierende Konkurrenz und Bandenkriege, die uns gefährlich werden konnten. Niemand machte sich also ernsthaftes Kopfzerbrechen über meine Vormachtstellung als die No.1 auf dem Kiez. Und wenn irgendwo wirklich mal der Baum so richtig brannte und es drohte zu qualmen, war einer für den anderen sofort an Ort und Stelle.
Mit meinen Fingern streichelte ich Ninas schon langsam herangewachsenen Babybauch, küsste ihren Nacken und ihren Mund, als die Nacht darauf mein Handy weit nach Mitternacht Alarm schlug. Von der Dunkelheit des Schlafzimmers umgeben, schaffte ich es kaum, meine Augen zu öffnen.
„Mach dich sofort hier her.“ Es war Herzchen am anderen Ende der Leitung und seine Stimme klang aufgeregt, fast schon drohend.

„Scheiße Herzchen, weißt Du, wie spät es ist?“ antwortete ich gähnend.
„Los Mann, beweg deinen Arsch hierher. Und zieh dich warm an.“
„Ja, schon gut. Gib mir eine halbe Stunde.“ Ich atmete tief durch und versuchte die Situation einzuordnen.

Leise, um Nina und Nela nicht unsanft aus dem Schlaf zu reißen, stolperte ich durch das dunkle Zimmer auf der Suche nach meinen Klamotten.
Doch vergeblich.
„Du gehst?“ Nina erwachte mit einem schwachen Lächeln auf ihrem Gesicht.
Ich nickte.
Trotz der Dunkelheit trafen sich meine und ihre Blicke. Mit meinen Fingern strich ich durch hier Haar und zog es so aus ihrem Gesicht.
„Nela ist bei dir. Ich muss los. Herzchen und die anderen warten bereits.“ Ich legte ihr meinen Finger auf ihre Lippen, küsste sie auf ihre Stirn und schlich mich wie ein Einbrecher bei Nacht und Nebel aus dem Haus.
Das Taxi bremste scharf vor der „Schatulle“ und Herzchen empfing mich bereits am Eingang der Bar.
„Wozu in aller Welt schmeißt du mich mitten in der Nacht aus der Kiste?“ Wir reichten uns die Hände und Herzchen begleitete mich unauffällig ins das Roulette-Zimmer im hinteren Bereich des Clubs. Mein Blick fiel sofort auf die kleine Rothaarige, die auf einem der Sessel, ihre Arme um ihre Knie geschlungen vor sich hinkauerte. Das Mädchen musste Todesängste ausgestanden haben.
„Zum Teufel, wer ist die Kleine?“
„Sie ist unten vom Sperrbezirk.“ Klärte Herzchen mich auf.
Mein Verdacht bestätigte sich. Immer wieder, trotz aller Warnungen, gelang es  manchen Freiern, die Mädchen von der Meile weg zu locken. Meist geblendet von der Farbe des Geldes durchschauten sie oft nicht ihr mörderisches Spiel.
„Wo steckt Kilian. Er muss sofort hier her.“
„Er ist schon am Tatort. Der Stadtpark.“ Wenn sich meine Meinung über meinen alten Freund und Kupferstecher Kilian Baumann auch nicht änderte, so war es später unsere gemeinsame Idee, uns gegenseitig auf diesen Killer an zusetzten.

Nach einer Weile erschien Kilian mit seinem Geschwader. Sein Gesicht war leichenblass, dass selbst mir bei seinem Anblick die Zunge unter meinem Gaumen klebte. Gerade er, der niemals aufgab, bis er einen Mörder zu fassen bekam, selbst wenn er seine Leute dafür durch die Hölle schickte.
Schon fast sechs Uhr morgens und wir wussten immer noch nicht, was da draußen geschehen war. Doch dann, von einem Moment auf den anderen war er mir wieder so vertraut wie vorher.
„Wir haben nicht die geringste Spur. Dieses Schwein hat wirklich ganze Arbeit geleistet.“ Erklärte Kilian mit eiserner Stimme.
Das ging uns nun alle an. Mit den Russen und den Albanern sind wir fertig geworden. Niemand außer Baumann selbst zweifelte daran, dass wir diesen Killer aufspürten und ihm einen kurzen Prozess machten.

„Na schön, dann sind wir uns ja einig. Als Erstes verstärken wir die Türsteher vor den Clubs und Bars.“ Überlegte ich. Alle, außer Kilian nickten.
„So ein Schwein erkennst Du nicht an seiner Visage. Er wird sicher weitermachen und dabei besonders vorsichtig vorgehen.“
„Was schlägst du also vor Kilian?“ Fragte ich ihn.
Ich verließ mich auf seinen kriminalistischen Scharfsinn, von dem gerade ich ein Liedchen singen konnte. Na ja, von seinen Methoden mal abgesehen, die er anwendete, um seinem Ziel näher zu kommen.
Aber das nun blieb für immer eine Sache zwischen ihm und mir allein. Und wenn jemand das wusste, dann ganz sicher er und ich.
„Wir sollten einen Lockvogel auf ihn ansetzten.“ Schlug Baumann vor und schwenkte seinen Blick auf den süßen, roten Lockenkopf, der unter uns saß.
Auch wenn das ein verdammt heißes Eisen war, das Leben diese Mädchens erneut aufs Spiel zu setzen, so erschien es uns das allen als die einzige Chance, dieses Monster so schnell wie möglich abzugreifen und unschädlich zu machen. Und wer die Regeln und Gesetze des Kiez kannte, wusste, dass wir an ihm ein Exempel statuieren würden.
Ein Glücksfall also, wenn Kilian diesen Kerl zuerst kalt stellte und ihn in die nächste Zelle der Staatspension einbuchtete. Ich schätzte, die anderen Jungs schnitten ihm sicher mit einer Rasierklinge die Eier ab.

„Du meinst, wir fordern ihn heraus?“ Fragte ich Kilian etwas misstrauisch.
„Klar, das ist genau das, was diese Typen wollen. Beachtung um jeden Preis. Ein offenes Duell.“
Zugegeben, da war Kilian Baumann, der seit Jahren bei der Sonderkommission der Kripo versuchte, steile Karriere zu machen, unser Experte. Sicher wusste jeder, dass nicht alle Weisheiten auf seinem eigenen Misthaufen gewachsen waren.
Und so freute ich mich auch auf ein Wiedersehen mit seiner besseren Hälfte Judith, die er doch gerne, bei einem seiner amourösen Abenteuer, um Rat bat. Verdammt ja, mit meinem Freund Kilian, wenn auch ein Kotzbrocken war, konnte man auch seinen Spaß haben. Und jeder wusste, wie sehr ihm das gegen den Strich ging. Doch solange wir eben am selben Ende des Strickes zogen und darüber waren wir zwei uns einig, begruben wir für eine Weile das Kriegsbeil. Und sicher erst recht, seit dem Judith Nela das Leben rettete.

Wenn er auch sicher schon so einiges in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, so spürte man, das ihm dieser Fall mächtig auf den Magen schlug. Immer mehr Mädchen aus Osteuropa belagerten den Kiez und die Freier hatten ein leichtes Spiel bei den Mädchen. Mit ihren Lügen und leeren Versprechen vom großen Geld und einem Leben in Freiheit.
So auch Carolin, die wegen ihrer roten Mähne auch „Roya“ gerufen wurde und Lara, die beide vor einem Jahr aus Terespol, einem kleinen polnischen Provinznest hierher kamen, um ihr Glück zu finden.
Ja, Roya, die kleine Süße, mit ihren tausend Sommersprossen in ihrem Gesicht, die aber fliehen konnte und Lara, mir der nun die Autopsie alle Hände voll zu tun hatte, ihr Gesicht wieder Stück für Stück zusammen zusetzten.
„Wir lassen dich keine Sekunde aus den Augen.“ Versuchte ich Roya zu beruhigen. In ihrem Gesicht stand Verzweiflung und nackte Angst.
„Wir stellen sie im „Eros“ hinter die Bar. Da kann deine neue Freundin auf sie aufpassen.“ Schlug Kilian vor, der es einfach nicht lassen konnte, ein paar seiner zweideutigen Spitzen auf mich abzufeuern.
„Eine umwerfender Vorschlag Kilian. War das auch wirklich deine eigene Idee?“ Spätestens jetzt hatte ich ihn soweit, dass er mir am liebsten die Whiskey-Flasche auf meinem Schädel zerschlagen hätte.
„Schluss jetzt Herr Kommissar! Ihr zwei verdammten Idioten!“ Brüllte Herzchen, trotzdem noch mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht und schlug mit der flachen Hand scheppernd auf den Tisch.
„Und das mir keiner den Helden spielt. Wir sind hier nicht in Carson-City.“ Drohte Baumann.
„Verdammt Kilian, erklär uns nicht dauernd, wie wir unseren Krieg zu führen haben.“ Entgegnete ich ihm spöttisch.
Na ja. Warum halt auch nicht. Hauptsache die anderen hatten an uns ihr teuflisches Vergnügen. Selbst die kleine Roya hatte plötzlich ein kleines Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht.
Die Tatortfotos, die Kilian durch die Runde gehen ließ, zeigten das Opfer in einer verzerrten Haltung. Laras Klamotten fehlten komplett und an ihren Hals waren deutlich ein Würgemal zu erkennen. Uns war sofort klar, dass er seine Opfer mit einer Drahtschlinge erdrosselte, nachdem er die Mädchen missbrauchte und vergewaltigte.
Vielleicht aus purem Hass auf Frauen zerschmetterte er mit einem Stein post mortem  ihr Gesicht.
„Wir haben es hier wohl mit einem ziemlich brutalen Schwein zu tun.“ stellte Kilian fest.
„Dann wird es Zeit, dass wir uns den Typen schnappen und ihm für immer das Licht ausschalten.“ Bemerkte Herzchen und alle stimmten ihm zu.
Ob Roya ihn tatsächlich wiedererkannte? Doch es schien, als wären alle ihre Erinnerungen an diese Nacht wie ausgelöscht.
Und wenn nicht?
Sie ihn doch tatsächlich wiedererkannte.
War es dann vielleicht bereits zu spät? Und er richtete in einem der Clubs ein Blutbad an, oder nahm sogar eines der Mädchen als seine Geisel.
Und verschleppte sie.

Versteckte sie an einem uns total unbekannten Ort, folterte sie oder tötete sie wie Lara.
Doch an einer Sache führte jedoch kein Weg vorbei. Der Morgen war längst angebrochen und schon ein paar Minuten später war ich auf dem Weg nach Hause zu Nina.
„Hey, du siehst ja aus, als hättest du den Teufel höchstpersönlich gesehen.“ Stellte Nela, die mich an der Tür empfing, mit einem Blick fest.
„Ja so ähnlich.“ Antwortete ich ihr wortkarg. Nina dagegen lächelte zustimmend und eng umschlungen schauten wir uns an. Ich brauchte sie trotz ihres Zustandes bei dieser Mammutaufgabe mehr als je zuvor.

„Da draußen läuft ein Wahnsinniger herum und krallt sich die Mädchen vom Sperrbezirk.“ Erklärte ich den beiden unsere Situation.
„Scheiße!“ Schrie Nela. „Und werdet ihr tun?“
„Es gab schon das erste Opfer und wir haben ihre beste Freundin als Lockvogel im Eros  eingesetzt. Ihr Name ist Carolin, aber alle nennen sie Roya. Ab heute Nacht steht sie bei dir hinter der Bar.“
„Na prima.“  Nörgelte Nela. „Wenn es wieder knallt, ist der Laden endgültig dicht. Das ist dir doch wohl klar, oder?“
„Der Kerl wird aber weitermachen. Immerhin hat Roya ihn gesehen. Wenn sie sich auch an nichts erinnern kann. Sie ist in großer Gefahr.“ Sicher war es auch so, aber Nina wollte einfach nicht weiter zuhören und schmiegte sich noch enger an mich heran.
„Dann zeig deinem Kilian endlich den Finger und wir verduften. Aber diesmal wirklich.“ Hauchte Nina und spürte ihre Hände auf meiner nackten Haut.
„Du weißt doch noch hoffentlich, was ich dir damals versprochen habe.“ Flüsterte ich ihr zu. Ich liebe dich. Dich und Emily und bald auch unsere kleine Erin.“
„So, du weißt also schon, dass es wieder ein Mädchen werden wird?“ Wunderten sich Nina und Nela und lachten.
„Lasst uns erst mal alle um diesen Killer kümmern.“ Schlug Nela vor. „Und um Nina kümmere ich mich schon.“ grinste sie und die zwei strichen sich zärtlich durch ihre Haare und küssten sich auf ihre Wangen.
Doch schon am selbigen Abend, spätestens als die ersten Bars und Clubs wieder öffneten, brannte die Gerüchteküche auf dem Kiez bereits lichterloh. Und es bestand kein Zweifel.
Der Mord an einer Prostituierten war das absolute Gesprächsthema Nummer eins. Wenn jetzt noch die Presse davon Wind bekam, war er endgültig vorgewarnt und Kilian stand sicher mit dem Rücken an der Wand und müsste den Fall an die Kripo offiziell abgeben.
Und wer garantierte uns, dass es sich um einen Einzeltäter handelte?
Vielleicht gehörte er zu einer ganzen Bande, die das Ziel hatte, Angst und Schrecken bei den Leuten auf der Meile zu verbreiten und dabei vor Mord nicht zurückschreckte.
Ein gezielter Angriff gegen mich, bis ich irgendwann das Handtuch warf, aufgab und für jemand anderen das Feld räumte?
Die Zeit lief und wir hofften, nicht gegen uns, sondern gegen dieses mordende Individuum. Die Jagd nach dem großen Unbekannten hatte also begonnen.

**
„Was für eine Scheiße…“ brummte ich. Ein paar Meter neben der Leiche kotzte sich ein junger Polizeibeamter gerade die Seele aus dem Leib. Allerdings bezog sich –Scheiße- nicht auf ihn, sondern auf die tote Frau vor mir auf dem Boden.

„Ich hoffe, er kotzt nicht auf irgendwelche Spuren.“ Sagte Berger.
„Lass ihn. Bei einer solchen Sauerei, darf man kotzen.“ Entgegnete ich.
Die Leiche der Frau war in einem wirklich schlimmen Zustand. Die Gewalt, mit welcher der der Mörder seinem Opfer den Schädel zertrümmert hatte, war selbst für mich, nur schwer zu ertragen. Das Gesicht war kaum noch zu erkennen und der Rest des Körpers war ebenfalls schrecklich zugerichtet. Es war also kein Wunder, dass sich der junge Kollege übergeben musste.
„Deine Freundin hat einen wirklich guten Einfluss auf dich. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen hättest du ihn die Kotze wieder vom Tatort aufheben lassen.“
Das würdigte ich mit keinem Kommentar.
„Das Opfer heißt Lara Gawitta.“ Schaum kam zu uns. Er und Jansen hatten sich der der Zeugin angenommen, die mit dem Opfer zusammen war, als der Mörder über die beiden herfiel. „Ob der Name stimmt, bezweifele ich allerdings.“

„Was ist mit ihr?“ Fragte ich und wies auf die Frau, die noch bei Jansen Stand.“
„Sie heißt Caroline, wir auf dem Kiez aber nur Roya genannt. Angeblich aus Tschechien, ich würde eher auf Ukraine oder Russland tippen.“
„Hat sie den Täter gesehen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Was hat sie denn gesagt?“
„Baumann! Die redet nicht mit uns! Nur das Nötigste um nicht in Gewahrsam genommen zu werden. Kein Wort mehr.“
„Verdammt, immer dieselbe Leier. Hat sie wenigstens etwas über das Opfer erzählt?“
„Nur dass sie mit ihr zusammen für ein Doppel bezahlt wurde und mitgekommen ist.“
„Da hat einer die Kohle für ein Doppel und die gehen ohne Fragen zu stellen von der Meile herunter? Wieso haben sie sich kein Zimmer in einem der Clubs oder den Stundenhotels genommen?“
„Du weißt doch, der Kunde ist König.“
„In diesem Fall war der Kunde der Mörder…“

„Nein, war er nicht!“ Kammer kam zu unserem Kreis. „Der Kunde liegt dahinten in seinem Auto, mit einer Kugel im Kopf.“
„Ein Doppelmord? Keller wird durchdrehen.“ Stellte ich nüchtern fest. „Zeig mal her.“ Zusammen gingen wir von der toten Frau weg und Kammer führte uns zu dem Auto mit der zweiten Leiche.
„Wer ist der Kunde?“
„Gerhard Hauser, 56 Jahre, nicht verheiratet und keine Kinder. Wohnt alleine am anderen Ende der Stadt. Der Wagen, in dem er liegt ist seiner. Ausweise, Geld und Bankkarten sind alle noch da. Einen Raub schließe ich eher aus.“
Ich warf einen Blick in das Innere des Autos. Der Tote lag mit dem Kopf auf dem Lenkrad, mit einem Loch in der linken Schläfe. „Das Geld war noch da? Wieviel?“
„Eintausenddreihundert Euro.“

„Die Sache stinkt.“
Da musste ich Berger Recht geben. Wenn man so viel Geld dabei hat, geht man nicht mit zwei Nutten in eine verlassene Gegend. Der Kerl war nicht verheiratet, also brauchte er keine Angst zu haben erwischt zu werden. Was zum Teufel lief da? Ich fasste das, was wir bis jetzt wussten und die spärlichen Aussagen unserer Zeugin zusammen.
„Also, unser Gerhard hier, gönnt sich ein Doppel mit Lara und Roya. Statt sich ein Zimmer zu nehmen, fährt Gerhard hier her. Bevor er zum Schuss kommt, legt ihn jemand um, Zerrt die Frauen aus dem Wagen und bringt sie dort hinten hin.“ Ich blickte in Richtung der Toten Frau. Er schlägt Roya bewusstlos und vergeht sich an Lara. Als er fertig ist, schlägt er ihr den Schädel ein.
Allerdings begeht er den Fehler, nicht auf Roya zu achten. Während der Täter noch mit Lara beschäftigt ist, kommt Roya wieder zur Besinnung und kriecht zur Straße. Ein Autofahrer findet sie und verständigt die Polizei.“

„Soweit wir es wissen, ist es so abgelaufen.“ Bestätigte Kammer.
Warum? Ich betrachtete den toten Gerhard. Warum bist du hier her gekommen? Du hattest genug Geld… Du hast keine Frau zu Hause… Du hättest die beiden zu dir nach Hause nehmen können… Was wolltest du hier?
„Wir müssen die Zeugen zum Reden bringen.“
„Sollen wir sie in die Werkstatt bringen?“ Fragte Berger
„Das ist nicht witzig! Hat jemand vielleicht auch einen konspirativen Vorschlag?“
„Sie hat den Täter gesehen, das reicht um sie in Schutzhaft zu nehmen.“ Schlug Schaum vor.
„Dann redet sie erst Recht nicht mit uns.“ Warf Kammer ein. „Sie hat viel zu viel Angst. Roya ist garantiert illegal hier und hat denkt, dass wir sie wieder nach Hause schicken.“
„Was vielleicht nicht das Schlechteste für sie wäre.“ Brummte ich. „Nein, wir müssen uns was anderes überlegen.“

„Bring sie Herzchen.“ Schlug Berger vor.
„Berger du bist ein …“ Ich brach ab. Nein der Vorschlag war… „Berger, du bist genial.“
„Was? Fragte Kammer. „Ist das dein Ernst? Sie ist Zeugin in einem Doppelmord! Und du willst sie in einen Sexclub bringen?“
„KB hat Recht!“ sprang mir Schaum bei. „Erstens wird Herzchen gut auf sie aufpassen und zweitens wird sie eher mit ihm reden, als mit uns.“
„Wenn Milewski oder Keller mitbekommen, dass wir eine Mordzeugin… die drehen durch!“
„Kammer, du bringst Roya mit Jansen zur Schatulle. Sag Herzchen, er soll sie Auge behalten, um Milewski und Keller kümmere ich mich später.“
„Ok, du bist der Boss.“ Kammer zuckte mit den Schultern und ging zu Jansen, die noch immer mit Roya an der Straße stand und versuchte, ihr ein paar Details zu entlocken.
„Was denkst du Baumann, eine einzelne Tat?“ Fragte Berger, „Ich hab da ein ganz mieses Gefühl.“
„Ich auch. Hier stimmt etwas nicht, wenn wir hier wirklich den Anfang einer Serie haben, sollten wir besser schnell etwas herausbekommen. Ein Grund mehr Roya zu Herzchen zu bringen. Wir müssen wissen, was hier passiert ist!“ Jetzt bräuchte ich Wagner und Delling, die hier aufpassen würden bis die Spurensicherung hier sein würde, doch die beiden waren nach Frankreich zu einer französisch-deutschen Ausbildungseinheit abgeordnet. Zwar fehlten sie mir jetzt, doch wenn man gute Leute haben wollte, musste man sie auch ausbilden!

„He, Schrader“ rief ich den Kollegen, der jetzt mit dem Kotzen fertig war. „Sie haben hier das Kommando, bis die Spurensicherung kommt. Schaffen sie das?“
„Klar, kein Problem.“ Würgte er hervor.
„Ok, dann auf zu Herzchen!“

**

Auf der Fahrt zur Schatulle schweiften meine Gedanken zu Herzchen und meinen „Freund“ Neun-Finger-Steph ab. Von seinen fünf Jahren waren noch vier Jahre vier Monate und sechs Tage übrig. Ich musste zugeben, er erfüllte meine Erwartungen voll und ganz. Steph hatte mit seiner Truppe den Kiez fest im Griff. Rivalitäten unter den Clubs wurden schon in Anfangsstadium beendet, Schlägereien gab es nur noch selten und Übergriffe auf die Prostituierten hatten drastisch abgenommen. Jedem Zuhälter, der auf dem Kiez herumlief, wurden die Regeln, die Steph aufgestellt hatte, mitgegeben. Hielt sich der Zuhälter nicht dran, bekam er eine Privataudienz, beim König des Kiezes, in der er eindringlich ermahnt wurde, seine Frauen anständig zu behandeln.
Hielt er sich auch nach der Audienz nicht an die Regeln, bekam er Besuch von Boris und Juri. Bis jetzt war mir kein Fall bekannt, bei dem eine weitere Maßnahme nötig gewesen war. Dafür hatten sich mehrere „Besuchte“ aus dem Geschäft zurückgezogen.

Die wichtigste Entscheidung von Steph aber war, dass die Prostitution komplett in die Meile verlegt hatte. In Absprache mit mir, hatte er den „Illegalen“ einen eigenen Bezirk gegeben, in dem wir uns mit den Kontrollen zurück hielten. Nicht wenige Freier wussten, dass Illegale nicht zur Polizei gingen und so die Frauen um ihren Lohn prellten oder noch schlimmer, Gewalt gegen sie einsetzten.
So aber, standen sie unter Stephans Schutz und gleichzeitig verschwand der Straßenstrich. Eine Tatsache die von Schneider als Innensenator, als einer seiner größten Erfolge gefeiert wurde.
Typisch, wie es dazu kam, wollte keiner wissen….
Jedenfalls war die Zusammenarbeit mit Stephan besser geworden, seit er mir das Versprechen abgenommen hatte ihn nach Ablauf seiner „Strafe“ laufen zu lassen.
Die Tatsache, dass er, während er seine „Strafe abbüßte“, einen Haufen Geld verdiente, war sicher kein unwesentlicher Faktor.

Auch Judith und Nela begannen sich miteinander anzufreunden. Sogar mit Stephans Perle Nina konnte sich Judith in einem Raum aufhalten, ohne dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Allerdings war das Wetter zwischen den beiden noch immer etwas frostig.
Dann drängte sich die Leiche wieder in meine Gedanken. Wenn Berger und ich Recht hatten und wir es mit dem Beginn einer Serie zu tun hatten, mussten wir, die Polizei und Steph, Herzchen und der Kiez zusammenarbeiten. Irgendetwas sagte mir, dass es eine hässliche Sache werden würde.
Bei der Schatulle angekommen erwartete mich Herzchen schon.
„Na Baumann? Was hast du mir denn da für eine Schönheit geschickt?“
„Kennst du sie?“

„Nur ihren Namen. Roya, kommt aus Weißrussland. Sie ist seit eineinhalb Jahren hier. Ursprünglich hatte der Schreier sie unter seiner Fuchtel, danach hat sie sich „selbstständig“ gemacht.“
„Kennst du auch ihre Freundin, die ermordet wurde?“
„Ja, Lara kannte ich besser. Sie ist von hier und war eine der „Legalen“. Lara war in unserem „Interventionsteam“. Wenn es den Verdacht auf Misshandlungen gibt, schnappen sich zwei Frauen aus diesem Team. Diejenige die misshandelt wurde und bieten ihre Hilfe an. Die Frauen können eine bessere Vertrauensbasis schaffen als Boris oder Juri. Lara war eine davon. Verdammt! Wenn ich dieses Arschloch von Mörder in die Finger kriege…!“
„Lara war also keine Neue oder Unerfahrene?“
„Nein, wie kommst du denn darauf? Lara war seit fünf Jahren im Geschäft, sie wusste, wie der Hase läuft!“
„Was wollte sie außerhalb der Meile? Wenn sie die Risiken kannte, warum hat sie sich dann auf so ein Geschäft eingelassen?“
„Vielleicht dachte sie, dass sie sicher wäre, da sie Roya dabei hatte.“
„HHMM, kennst du den?“ Ich zeigte Herzchen ein Handybild von Gerhard Hauser.
„Klar, das ist Gold-Gerd.“
„Gold-Gerd?“

„Gerhard irgendwas. Der ist ein sehr beliebter Gast in allen Clubs. Er hat Geld und gibt es auch aus.“
„Als ihn jemand erschoss, hatte er über eintausend Euro dabei.“
„Das passt zu ihm, Gerhard lässt es mindesten einmal im Monat krachen. Dass er sich ein Doppel holt, ist nichts Ungewöhnliches.“
„Mich interessiert die Frage, warum er sich kein Zimmer in einem der Clubs geholt hat. Warum ist er von der Meile herunter, Hat er das öfter gemacht?“
„Nein, Gerhard hat es am liebsten mitten auf der Bühne getrieben. Ihm war es egal, ob hundert Leute zugeschaut haben.“
„Also brauchte er keine Angst zu haben, dass man ihn mit zwei Nutten erwischt?“
„Nein. Ich wette, wenn du auf irgendeiner Pornoseite Gold-Gerd eingibst, findest du bestimmt zig Videos von ihm.“
Mist, ein Motiv mit zwei Nutten dorthin zu gehen weniger… „Hatte Gold-Gerd denn mit jemandem Ärger? Einem Clubbetreiber oder einem der Zuhälter?“
„Nein, keiner von denen wollte Gold-Gerd verärgern. Eine Gans, die goldene Eier legt, schlachtet man nicht.“
„Was ist…“ die Tür ging auf und Neun-Finger-Steph kam mit seiner Leibwache. Während Boris und Juri draußen warteten kam Stephan herein und setzte sich zu uns an den Pokertisch.
„Nur zur Info! Noch 1585 Tage! Also warum wirft mich Herzchen aus dem Bett und was willst du von mir?“
Schnell und präzise berichtete Herzchen von dem Mord an Lara und Royas Anwesenheit im Club.
„Lara? Verdammt! Sie und Nela waren gute Freundinnen! Wer zum Teufel tut sowas!“
Mir lag die Frage auf der Zunge, ob er sich noch Arjona erinnerte. Die blonde Schönheit die er auf Sorokins Befehl in der Werkstatt ermordet hatte und die der Grund war, warum er noch ganze 1585 Tage unter meiner Fuchtel stand, doch Herzchen sah mich warnend an. Bevor ich etwas sagen konnte, trat er mir unter dem Tisch gegen das Schienbein.
„Gold-Gerd wird den Betreibern fehlen.“ Warf Herzchen stattdessen ein.
„Ich befürchte, dass wir es hier mit dem Beginn einer Mordserie zu tun haben. Du musst den Mädchen eindringlich klar machen, dass sie auf der Meile innerhalb deines Schutzes bleiben müssen.“
„Denkst du, das habe ich bis jetzt nicht getan.“ Fragte mich Stephan wütend.
„Das war kein gewöhnlicher Mord. Lara kannte die Gefahr und doch hat sie sich zu einer solchen Aktion hinreißen lassen. Sie hat die Gefahr nicht erkannt und wenn sie schon darauf hereingefallen ist, dann ergeht es den unerfahrenen Mädchen erst recht so. Irgendwie sagt mir mein Spürsinn, dass es sich da nicht um einen Einzelfall handelt.“
„Ich setzte die Bordellbesitzer und Zuhälter darauf an. Sie sollen ihre Frauen im Auge behalten. Die Selbstständigen bekommen alle einen Besuch von meinem Interventionsteam, die nochmals eindringlich auf die Gefahr hinweisen.“ Entschied der König des Kiezes.
„Was machen wir mit Roya?“ fragte Herzchen.
„Die bringen wir ins Eros, Nela wird sich ihrer annehmen.“
„Ich hab da noch eine andere Idee.“ Sagte ich zu den beiden. „Sie hat den Mörder gesehen. Ersten will ich, dass sie Nela alles erzählt und eine Beschreibung des Täters erstellen. Ich schicke dir Jansen mit Bildern und einem Phantomzeichner. Zweitens will ich, dass Roya gesehen wird.
Falls der Mörder hier herumläuft und sie sieht, macht er vielleicht eine Dummheit.“
„Du willst Roya als Lockvogel benutzen?“
„Genau, das ist mein Plan.“
„Du wirst meinen Club nicht für deine Drecksarbeit benutzen!“ Entgegnete Stephan.
Bevor ich dazu etwas sagen konnte, schnappte sich Herzchen seinen König. Er packte Stephan am Kragen und zog ihn zu sich.
„Jetzt pass mal auf! Erstens ist das Eros nicht dein Club, sondern Nelas Club! Zweitens wird Nela sich keine Gelegenheit entgehen lassen, das Schwein von Laras Mörder zu erwischen und drittens, falls es wirklich mehr Morde geben sollte, und der Kiez erfährt, dass du nicht alles getan hast um sie zu verhindern, wirst du auf der Meile gevierteilt! Hast du verstanden?“
Irrte ich mich oder hatte Stephan tatsächlich Angstschweiß auf der Stirn? Herzchen war in durchaus in der Lage Steph mit einem Griff das Genick zu brechen, und weder Boris noch Juri würden ihn davon abhalten können.
Ohne es darauf anzulegen, ließ Herzchen Stephan los und überging Stephans Einwand einfach.
„Und wie stellen wir Royas Sicherheit her?“
„Ihr werdet dafür sorgen, dass Roya im Eros bleibt. Ich werde Jansen und Kammer abordnen nicht von ihrer Seite zu weichen. Außerdem werden Berger, Schaum, Graling und Schaller sich abwechselnd unter die Gäste mischen.“
„OK, aber sorge dafür, dass deine Leute nicht auffallen.“ Sagte Steph. „Ich will nicht, dass sie Nela die Gäste vergraulen.“
„Gut, dann werde ich meine Leute instruieren und ihr passt solange auf Roya auf.“ Ich stand auf und nickte den beiden zu, doch nur Herzchen erwiderte meinen Gruß. Stephan starrte einfach gerade aus und als ich aus dem Raum ging hörte ich ihn, „Noch beschissene 1584 einhalb Tage. Keine Sekunde länger!“
Ich ignorierte ihn und verließ die Schatulle. Jetzt hatte ich erst einmal ein ganz anderes Problem. Ich musste den beiden Frauen aus meinem Team, Jansen und Kammer, beibringen, dass sie für die nächste Zeit im Eros wohnen und sich unter die anwesenden Frauen mischten sollten. Und das, ohne aufzufallen… Nelas Club war für die Freizügigkeit seiner Bediensteten, weit über die Grenzen der Stadt bekannt. Das würde interessant werden und ich schwor mir, dass ich es mir auf gar keinen Fall entgehen lassen würde.

**

„Bitte nehmen sie Platz.“ Bat Polizeioberrat Keller
Milewski und mich freundlich.
Ich war sehr überrascht. Keller hatte sich an seinen kleinen runden Besprechungstisch gesetzt und forderte uns dazu auf uns, zu ihm zu setzten. Normalerweise saß ich vor seinem Schreibtisch und er dahinter, während er mir einen Anschiss verpasste, der mir gewöhnlich am Arsch vorbeiging.
Mit einen Pokerface setzte sich Milewski hin und auch ich nahm Platz.
„Ich möchte mich über den Stand der Ermittlungen bezüglich des Doppelmordes informieren. Bitte bringen sie mich auf den neusten Stand.“

Milewski sah mich mit seinem „halt die Klappe“ Blick an und begann Keller zu berichten, was wir bis jetzt wussten. Allerdings hielt er sich strikt an die Fakten, meine Befürchtung, dass es sich um den Beginn einer Mordserie handeln könnte, ließ er außen vor.
Keller nickte ab und an und hörte zu. Als Milewski fertig war schwieg er einen Moment.
„Ich möchte, dass sie mich über jeden Schritt informieren. Die Sache hat Priorität. Herr Baumann wird eine Sondergruppe leiten, die sich mit der Aufklärung des Falles beschäftigt. Ich erwarte, dass er mit allem Kräften unterstützt wird.“
„Das versteht sich von selbst.“ Antwortete Milewski, noch immer sein Pokerface tragend.
„Dann danke ich ihnen beiden. Und Herr Baumann, bleiben sie am Ball!“
Als wir Kellers Büro wieder verlassen hatten, schüttelte ich verwundert den Kopf.
„Was zum Teufel war denn das gerade? Der war noch nie so scheiß freundlich zu mir.“
„Er hat dich auch noch nie gebraucht.“
„Und wieso braucht er mich jetzt?“
„Was sagt dir denn dein kriminologischer Scharfsinn?“
„Nichts, das ist Politikscheiße, wenn ich da Fragen habe, halte ich mich an Judith.“
„Dann erkläre ich es dir. Innensenator Schneider steht auf der Abschussliste. Keller ist in der richtigen Partei und will ihn beerben. Was könnte da besser sein, als ein Erfolg in einem Doppelmord.“
„Ich hasse Politik.“

„Oh das war erst die eine Hälfte. Schneider will sein Amt behalten, also möchte auch er, dass du Erfolg hast. Beide wollen, dass du den Mörder schnappst und sich damit profilieren.“
„Das geht mir am Arsch vorbei, erst muss ich ihn den Mörder haben, vorher ist nichts mit profilieren.“
„Pass nur auf. Lass dich nicht täuschen, egal wer von den beiden den Kürzeren zieht, er wird dir die Schuld geben.
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Kilian und Herzchen machten mir sicher gewaltig das Leben zur Hölle, wenn ich mich nicht bald um diesen Killer kümmerte.
Na ja, um eben für Ruhe und Ordnung auf dem Kiez zu sorgen. Von den Bar und Clubbesitzern, die dabei voll hinter uns standen, mal ganz abgesehen. Und undichte Stellen gab es ja hier wie Sand am Meer und so wunderte es mich auch nicht großartig, dass die Gerüchteküche auf der Meile bereits loderte.
Und Schlaf? In den darauf folgenden Nächten?
Nein!
Schlaf wurde mir immer mehr und mehr zu einem Fremdwort. Vielleicht mal etwas Entspannung, wenn ich mich mit Nina unseren gemeinsamen Gefühlen hingab. Mich zu ihr auf dem Bett herunter beugte, ihren Körper, vom Gesicht herunter bis zu ihrem Babybauch, der wuchs und wuchs, zärtlich streichelte und sich unsere Lippen zu einem Kuss berührten.
Ja, in wenigen Monaten wuchs unsere Familie. Das war nun einmal sicher. Und wenigsten Nela und ich waren uns bereits darüber einig, wenn Emily ein Schwesterchen bekommen würde, dass sie Erin heißen würde.
Ja Nela, die wir brauchten wie die Luft zum Atmen. Gerade jetzt, wo ein Wahnsinniger da draußen auf dem Kiez sein mörderisches Spielchen mit uns trieb. Es war schon schwierig genug sie zu beruhigen, als wir erfuhren, dass es sich bei Lara Gawitter, dem ersten Opfer, um eine alte Freundin handelte, als sie noch selbst im Sperrbezirk arbeitete.
Die Tür unseres Hauses stand auf jeden Fall offen für die kleine Roya, die Nela seit dem unter ihre Fuchtel nahm. Ganz ohne Zweifel schwebte sie in Lebensgefahr, wenn er hier wieder auftauchte um sich nach seinem nächsten Opfer umzusehen.
Sogar Judith, Kilians bessere Hälfte, was ich bis zum heutigen Tage nicht so recht kapierte, ging gelegentlich ein und aus. Sicher einer seiner spitzfindigen Ideen, um sich Klarheit zu verschaffen, ob nicht in irgendeiner Ecke unseres Hauses gepackte Koffer auf uns warteten. Für wie blöd hielt er uns eigentlich.
Tja und so war unser Team halt komplett. Nela und ich, Kilian und seine Leute und Herzchen, gemeinsam auf der Suche nach dem mordenden Unbekannten.
Ein Team und 1585 Tage bis zu unserer Freiheit.
Kilian wusste verdammt genau, dass ich hinter schwedischen Gardinen die Wände hochging und nach fünfzehn Jahren Knast ein alter und gebrochener Mann sein würde.
Und Nina, die einen Waffenschieber erschoss und für eine Ewigkeit dann nur noch in meiner Phantasie existierte?
Doch was machte Kilian so verdammt sicher, dass wir es trotzdem nicht wieder versuchten? Mich ausgerechnet jetzt an das Mädchen Arjona zu erinnern, die mich immer noch in so mancher Nacht in meinen Albträumen verfolgte, bevor ich abdrückte und ihr durch ihr Herz schoss, war die eine Sache.
Sicher interessierte es ihn nicht die Bohne, dass ich es damals nur aus einem einzigen Grund tat.
Um zu überleben.
Und um Nina wiederzusehen.
Doch Mord war eben Mord!
Und Typen wie ich gehörten eben mit einem Strick um den Hals aufgeknüpft oder für immer in das dunkelste Loch. Das war nun mal eben die Meinung der Leute da draußen, so wie wir diesem Killer jeden Knochen einzeln brechen würden, wenn wir ihn dann mal irgendwann zu fassen bekämen.
Aber so agierte Kilian Baumann immer an zwei Fronten, was mir außerordentlich recht war.
Und mir mehr und mehr die Chance gab, immer wieder ein wachsames Auge auf Nina und Nela und jetzt auch auf unseren Schützling Roya zu werfen. Sicher war auch, dass wir uns so manches mal nur ansahen und wussten, was in unseren Köpfen umher schwirrte.
Die Freiheit.
Die große weite Welt und ein Leben im Reichtum an einem der schönsten Fleckchen Erde der Welt. Fast wäre es ja schon mal so gewesen und Nina und ich trauerten so manches mal dem Leben unter karibischer Sonne nach.
Doch in einer Hinsicht waren wir uns alle einig. Herzchen und ich, Boris und Jurij, die ich zu meinen persönlichen Leibwächtern machte und alle die anderen Jungs vom Kiez, die uns halfen, diesen Kerl zu schnappen.

Was die Sache da draußen betraf, war nicht ich, sondern Kilian Baumann die No.1. Er mit seiner jahrelangen, kriminalistischen Erfahrung bei der Mordkommission und Leiter einer eigenen Soko.
Wenn ihm das auch, wie man erfuhr, dort nicht nur Freunde bescherte, so war es mir völlig egal, um welchen Posten es da in irgendeinem Senat ging.
Doch wenn die Alarmglocken läuteten, taten sie es natürlich nachts.
„Hey, wer ist das schon wieder?“ Fragte Nina mit verschlafener Stimme. „Und immer um diese Zeit.“
„Es ist Kilian. Ich schätze, ich muss los.“ Erklärte ich ihr. „Ich nehme Nela mit. Sieht vielleicht so aus als hätten sie ihm. Chloe und Roya sind im Haus. Du kannst also ganz beruhigt sein.“ Warum bloß dachte ich gerade in solchen Momenten an die Zeit, als ich sie das Letzte mal richtig in meinen Armen hielt.
Doch die Zeit drängte und schon ein paar Minuten später standen Nela und ich gestiefelt, gespornt und abmarschbereit vor dem Haus, wo auch schon Boris und Jurij auf uns ungeduldig warteten.
„Da seid ihr ja endlich, ihr Schlafwandler!“ Begrüßte und Baumann mit unterkühlter Stimme.
„Hey, mal halblang Bulle. Hast du schon mal auf den Wecker geschaut?“ Entgegnete im Nela vorlaut.
Sicher hätte er mir dafür eine gescheuert, aber bei Frauen, außer vielleicht bei seiner Judith, ließ er Fünfe gerade sein.
„Los sag an Kilian. Wo brennt der Baum?“ Forderte ich ihn auf, seinen Mund aufzumachen.
„Es gibt ein weiteres Opfer.“ Verriet er mit runzeliger Stirn.
„Wieder eines des Mädchen?“ Ich sah die Wut und den Hass in Nelas Gesicht emporsteigen, atmete dann aber auf, als wir erfuhren, dass es sich um ein nicht ganz unbekanntes Gesicht auf dem Kiez handelte, den sie Gold-Gerd nannten.
„Los Leute, raus mit der Sprache. Ist er unser Mann?“
„Vergiss es gleich wieder lieber.“ Erklärte Herzchen. „ Jeder hier kennt Gerd und jeder mag ihm eigentlich. Oder besser gesagt seine Brieftasche.“
Der Fall war klar.
Wir landeten also keinen Volltreffer, sondern identifizierten einen Typen, der als Lebemann hier öfters auf der Meile aufschlug.
Ledig, alleinstehend und vermögend.
Das hatten die Bar und Clubbesitzer und vor allem die Mädchen gerne, denn Gerd ließ es gerne mal so auf dem Kiez so richtig krachen. Und das füllte bekanntlich die Kassen.
Man fand ihn mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet in seinem Wagen. Ganz unweit von hier auf einem einsamen Anwohnerparkplatz. Das setzte nicht nur Kilian, sondern auch uns vor ein riesiges Problem.

Nein!

Dieser Gerd war kein Mörder.
Aber kannte er ihn?
Oder wurde er unfreiwillig Zeuge einer blutigen Tat?
Jeder dieser Gestalten, sie sich hier Abend für Abend herumtrieben, jeder einzelne von ihnen hätte es sein können. Dieses ganze Volk, dass hier herumlungerte, dauernd auf der Suche nach einer schnellen Nummer.
Perverse, Transvestiten, Junkies, Biker-Gangs aber sicher auch ganz normale Leute, wie Familienväter, denen das Leben zu Hause anödete, auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer. Typen aus Wirtschaft und Politik, die hier in den Striptease-Lokalen abtauchten um dem nächsten Mädchen einen Table-Dance Dollar an die Strapse zu heften und sich einbildeten, sie hätten sie gefickt.
Nelas Augen füllte sich mit Tränen, als Kilian ihr das Bild der ermordeten Lara zeigte. Und wer sie kannte, wusste, zu was sie im Stande war, wenn ihr der Falsche unter die Augen trat.
Nur allzu gut erinnerte ich mich, wie eiskalt sie Eric Lands damals über den Haufen schoss.
Vielleicht war es nun an der Zeit, uns Roya, die von Boris und Jurij zwischenzeitlich heran gekarrt wurde, mal so richtig vorzuknöpfen. Irgendetwas musste sie doch wissen oder gesehen haben. Sich an irgendwas erinnern. Wer außer Nela wäre sonst der richtige Mensch dafür gewesen, mit genügend Gefühl auf sie einzugehen.
N: „Hey Roya. Du brauchst keine Angst zu haben. Alle hier beschützen dich. Ich verspreche es dir.“ Redete Nela sanft auf sie ein.
R: „Ich hab, doch schon alles den beiden da erzählt.“ Und zeigte mit ihrem Finger auf Kilian und seinem Kollegen Kammer.
N: „ Komm, lass uns mal in ein anderes Zimmer gehen. Und dann erzählst du es nur mir allein noch einmal.“ Die zwei verschwanden vor unseren Gesichtern in einem der Hinterzimmer der „Schatulle“.
N: „Und jetzt sag mir, was Du gesehen hast.“
R: „Nichts. Es war dunkel.“
N: „Dunkel? Er hatte doch sicher ein Auto.“
R: „Ja. Es war sehr groß.“
N: „Und welche Farbe hatte es? Denk nach.“
R: „Mmmhhh…es war schwarz.“
N: „Und war der Mann alleine?“
R: „Vielleicht ja.“
N:„Vielleicht? Hast du noch jemanden gesehen? Den hier vielleicht?“ Nela schob ihr    das Bild von Gold-Gerd unter die Nase.
R: „Mmmhhh..ich kenne den Typen. Es ist Gold-Gerd. Den kennt hier jeder.“
N: „Und sag schon, war er mit dabei?“
R: „Ich weiß nicht. Der Typ hat mich geschlagen. Und ich wurde bewusstlos.“
N: „Gerd hat dir eine verpasst?“
R: „Neee, der kam erst später, als ich wieder aufwachte.“
N: „Und was hat er dann gemacht?“
R: „Er hat mir geholfen und mich zurück hierher zum Kiez gebracht.“
N: „Nur hergebracht? Oder hat er versucht, dich zu vergewaltigen?“
R: „Nein. Er hat nur gesagt, ich soll den Mund halten.“
N: „Den Mund halten? Warum?“
R: „Weil er Schiss hatte. Ich glaube Gerd hat ihn gesehen?“
N: „Klar verstehe. Und jetzt ist er tot und wir können ihn nicht mehr fragen. Und mach dir keine Kopf. Du bleibst bei uns. Nina kennst du ja schon. Sie mag dich. Hat sie mir selbst gesagt.“
Die Erleichterung in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen und Kilian und Herzchen war es nur recht.
Damit war Gerd von der Liste wichtiger Zeugen für immer gestrichen. So brutal dass auch klang. Uns blieb nichts anderes als abzuwarten, bis er versuchte, hier aufzutauchen, oder sogar wieder zuschlug.
„Ich will nur eines wissen.“ Erhob Nela ihre Stimme. „Was passiert mit mir, wenn er vor mir steht und ich ihn umniete?“
Kilian sah sie, wie auch die anderen mit erschrockenem Gesicht an, aber alle schwiegen. Manchmal war auch das Schweigen mehr als die präziseste Antwort.
„Keine Selbstjustiz!“ Mahnte Kilian uns. „Der Innensenator hat sowieso ein Auge auf mich. Also wenn ihr hier irgendeinen Mist baut, seid ihr raus und ich lasse die Kanonen einsammeln. Dann ist das nur noch die Sache der Kripo. Habt ihr das verstanden, ihr Schwachköpfe?“
„Ich glaube, wir sollten dich da vorne an der Bar anketten, bis der Spuk vorbei ist.“ Lachte Herzchen. Tja, vielleicht war ich ja nicht doch nicht der Einzige, dem er gerne mal den Arsch aufgerissen hätte. Aber so war Herzchen nun einmal.
Hart aber herzlich! Wie doch schon sein Name verriet und alle, außer Kilian lächelten zustimmend.
„Und Roya bleibt bei mir und weicht mir nicht von der Seite.“ forderte Nela. Ihre Worte besorgten mich, als wollte sie unbedingt die erste sein, die dieses Schwein zu Gesicht bekommt.
Und wo sie ist, ist auch vielleicht der Killer. Vielleicht auch sogar vor der Tür unseres Hauses. Boris und Jurij erhielten also ab sofort die Aufgabe, in ungeregelten Abständen vor unserer Villa zu patrouillieren, um nach möglichen Gefahren für Nina und die kleine Emily Ausschau zu halten.
In den nächsten Tagen verlief alles genau so, wie wir es uns wünschten. Alles blieb ruhig und nahm seinen gewohnten Lauf. Wen man auf was wartete und war es auch das Schlimmste, was ich mir augenblicklich vorstellen konnte, verlief die Zeit wie eine halbe Ewigkeit. Vielleicht gehörte genau das auch zu seinem perfiden Plan. Kilian warnte uns eindringlich, unaufmerksam zu sein.
„Er will, dass wir denken, es ist vorbei.“ Mahnte er uns bei einer unserer täglichen Treffen im Spielsalon der „Schatulle“. Dennoch kein Grund für Nela, Roya auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ihre Besessenheit, ihn umzulegen, machte mir Angst. Angst um Roya und natürlich um Nela, was Nina mir niemals vergeben würde, wenn ihr etwas passierte.
Verständlicherweise für alle, nutzte ich die Zeit, um so oft wie nur möglich zu Hause bei Nina zu sein.
Geplagt von einem Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, wie schon seit ein paar Tagen nicht mehr. Gefühle, die ich versuchte zu unterdrücken. Vor allem aber vor Kilian, der mich weiter mit Argusaugen ansah, mich auf Schritt und Tritt beobachtete und jeden meiner Gedanken genau kannte.
Na ja, zugegeben. Eigentlich war ich mir sicher, dass er ein Mann war, der sein Wort hielt. Ihm also ausgerechnet jetzt die Magnum Kal.38mm vor den Kopf zu halten wäre sicher ein sehr unkluger Schachzug. Und dennoch fragte ich mich so manches mal, was ihm das Leben von Judith wohl wert wäre.

Wer weiß? Vielleicht sogar 5,6 Millionen Euro?
Für Nina sicher eine klare Entscheidung, wenn man sich vorstellte, dass sie am manchen Tagen bei uns ein und aus ging und das sicher nicht der Beginn einer neuen Freundschaft zwischen den beiden war.
Mit dem Kopf voll absurder Gedanken, erst recht wo unser zweites Kind längst auf den Weg war, machte ich mich in dieser Nacht schnurstracks auf den Wege zu ihr. Ich wünschte mir, wenn sich jetzt gleich die Tür öffnete, dass sie dann vor mir stand und hoffte mit Emily auf ihren Armen.
„Hey, gib mir mal die Kleine.“ Kam sofort Nelas Stimme aus dem Hintergrund und wir flogen uns augenblicklich in die Arme. Mit geschlossenen Augen berührten sich unsere Lippen zu einem sanften Kuss. Meine Hände begannen ihren Körper unter ihrem hauchdünnen, fast durchsichtigem Shirt zu erforschen. Mit ihren zarten, flinken Händen entblätterte sie meinen Körper und wir standen uns nackt im Schlafzimmer gegenüber. Nina griff zu meiner Hand, zog mich zu sich herüber und wir versanken auf der riesigen Matratze, auf der ich mit meiner aufrecht stehenden Lanze hemmungslos und unersättlich auf sie einhämmerte. Wie wild begann mein harter Schwanz nach einem ekstatischen Orgasmus erneut in ihr zu stoßen.
„Oh je Roya. Komm, wir bringen die Kleine in ihr Bettchen und dann zeige ich dir mal, wie viele Zimmer der Laden noch so hat.“ Kichernd zogen die zwei fort und waren bis zum nächsten Morgen weder zu hören noch zu sehen.
Der kleine Rotschopf vom Kiez fühlte sich wohl bei uns und ich befürchtete, unsere Spielwiese in unserem neuen Heim war bald nicht mehr groß genug.
„Na und?“ Sagte Nela und zog dabei mal wieder verführerischstes Lächeln, dem man nicht widerstehen auf. „Dann bleibt sie eben hier. Platz haben wir doch genug. Oder einer was dagegen?“
Ich schätzte, bei den Meinungen der Mädchen war ich überstimmt. Und hier war sie absolut sicher. Vor einem Typen, der sicher schon Ausschau nach ihr hielt, um sie als lästige Zeugin auszuschalten.
Ausgerechnet bei einem ausgiebigen Frühstück, dass Chloe, unser Dienstmädchen vorbereitet hatte, geschah genau das, wovor Kilian uns alle immer wieder gewarnt hatte. Tage, nachdem wieder Ruhe auf dem Kiez eingekehrt war, ließ die nächste Schreckensmeldung nicht lange auf sich warten.
Nach einer heißen Nacht mit Nina und einem Becher Kaffee am Morgen machte ich mich sofort auf die Socken zur „Schatulle“.
„Hey, was tust du da?“ Spottete Kilian aber dennoch mit besorgter Miene. „Nimmst du jetzt alle Mädchen bei dir auf, nur weil man ihnen einen Klaps auf den Arsch versetzt hat?“
„Du bist manchmal ein Arschloch Kilian.“ Erwiderte ich ihm. „Du weißt genau, warum Roya bei uns ist. Und sie bleibt. Beschlossene Sache. Und jetzt sag an, was los ist.“
„Er hat wieder zugeschlagen. Wie ich es dir voraus gesagt habe. Meine Leute sind schon da. Wieder eine ganz üble Sache.“
„Und. Ist sie wieder vom Kiez?“ Fragte ich ihn erregt.
„Wissen wir noch nicht. Die Befragungen unter den Frauen vom Sperrbezirk hat noch nicht stattgefunden. Wir wollen keine Panik.“
Die späteren Observationsberichte und Tatortfotos von der jungen Frau, die von Passanten im Hinterhof eines Wohnblocks gefunden wurde, ließen vermuten, dass es sich entweder um den gleichen Killer oder um einen Nachahmungstäter handelte.
„Mach jetzt bloß nicht meinen Job. Kümmer du dich lieber um den Kiez.“ frotzelte  Baumann.
„Du arroganter Mistkerl. Das mit dem Team war deine Idee. Oder mach deinen Scheiß alleine.“ Hier und da mal eine kleine Auseinandersetzung mit Kilian und die Welt war wieder halbwegs in Ordnung.
„Gleich gibt es für beide was aufs Maul.“ Schritt Herzchen lautstark ein. Wie ein Schlichter ging er dazwischen und packte uns beide am Arm. Und wenn er erst mal so richtig loslegte, gäbe es wohl für Kilian und mich kein Entkommen. Selbst Boris und Jurij blieb da so manches mal die Spucke weg, aber niemals griff dabei jemand zur Waffe.
Hier auf dem Kiez war das nun mal ein Ehrenkodex. Austragen ja, aber nicht mit der Kanone, sondern mit den Fäusten und na ja, für eine Weile war dann auch wieder alles gut.
Bis zum Nächsten mal eben.
Die Bilder aus den kriminaltechnischen Labors stellten uns alle vor ein Rätsel. Die Frau, wahrscheinlich so um die Mitte Zwanzig wurde auch wie das erste Opfer zuerst vergewaltigt doch noch während des Gewaltaktes erwürgt. Die Haltung, in der man sie fand, war recht unnatürlich. Ihr linker Arm lag verschränkt hinter ihrem Rücken und machte erst den Anschein, als wäre er gebrochen. Außerdem fehlte die linke Hand, die auf dem ersten Blick sorgsam mit einem Skalpell abgetrennt wurde. Diesmal hatte er ihr nicht das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert.
Ein Indiz dafür, dass es noch einen zweiten Killer gab?
Jemand, der sich im Umgang mit einem Skalpell auskannte?
Vielleicht ein Arzt? Oder ein Chirurg?
Selbst Herzchen, von dem man behaupten konnte jedes Gesicht hier auf dem Kiez zu kennen, schüttelte mit dem Kopf.
„Nie gesehen.“ War sein spartanischer Kommentar. „Wir sollte das Bild mal in den anderen Bars und Clubs herum zeigen.“
„Gute Idee.“ kommentierte Kilian.
„Morgen ist es sowieso in jedem Klatschblatt zu sehen.“ Vermutete ich. „Die Presseheinis sind sicher schon vor Ort.“
Es war tatsächlich einfacher, wenn auch nicht ungefährlicher, gegen eine Horde Albaner oder Russen anzutreten. Die zeigten sich wenigstens und hier hatten wir es mit einem mysteriösen Unsichtbaren zu tun. Was die Sache nun wirklich nicht einfacher machte.
Es war einfach unfassbar. Diese Mordfälle waren plötzlich die Attraktion auf dem Kiez. Auf der Meile tummelten sich die Leute wie kaum in einer Nacht zuvor. Jeder wollte der Erste vor Ort sein, wenn wieder etwas passierte.
Dieser Kerl war eine tickende Zeitbombe, die jeder Zeit wieder zu explodieren drohte. Doch das war genau das, was wir nicht hatten.
Zeit!
Wenn auch Kilians Leute, die auf dem Kiez bei jedem kleineren Krawall ein paar Leute festnahmen, so war er nicht dabei. Er schien mit uns Katz und Maus zu spielen und genoss es sicher, wie wir einfach nur noch im dunklen tappten.
„Seht mal hier Leute. Das haben die Mädchen vorhin hier vor der Tür abgeworfen.“ meldete Herzchen.

„Was soll das sein?“ Fragte ich ihn interessiert und neugierig. Auch Kilian verstärkte deutlich sein Augenmerk auf die Flyer, die hier unter Leuten und vor allem aber den Girls vom Sperrbezirk in die Hände gedrückt wurden. Vielleicht ein erster Hinweis auf den Täter?
Doch schnell stellte sich heraus, dass es nicht mehr als paar Bhagwan-Jünger waren, die hier von Zeit zu Zeit mit ihren „Rettet die Welt“ Gequatsche den Leuten die Ohren voll predigten.
Der Erfolg blieb also aus und so beschlossen wir, uns an den nächsten Abenden selbst auf den Weg über die Meile zu machen. Meistens verteilten wir uns, hielten aber dennoch untereinander ständigen Augenkontakt. Wenn das mal irgendwann nicht eskalierte, so geladen wie Herzchen die letzten Tage war. Geladen wie meine Magnum Kal.38mm unter meiner Jacke.
Viele Gesichter waren mir im Laufe der Zeit bekannt und man grüßte sich an jeder Ecke und Kante. Doch es gab auch die Aggressiven unter ihnen. Die Jungspunde, die mit ihren Springmessern so manch einem vor dem Gesicht herum fuchtelten.
„Was für eine verdammte Scheiße! Was soll das bringen!“ Schoss es mir bei jedem Schritt durch den Kopf. Wir folgten also unserer eigenen Intuition und so eine Runde über den Kiez gab mir dazu noch die Möglichkeit nachzudenken.
– an Nina, die mit unserem zweiten Kind schwanger war –
– an Nela, ohne die wir es nicht bis hierher geschafft hätten und die uns beiden schon    einmal das Leben rettete –
– und nun auch an Roya, die sich wohl eher selber das Leben nehmen würde, bevor sie uns wieder verließ.
Ich folgte der Meile bis oben an ihr Ende. Gleich da, wo die Taxen mit laufenden Motoren standen und auf die Nachtschwärmer warteten, die sich nach einem wilden, amourösen Abenteuer und einer heißen Nacht auf dem Kiez meist unentdeckt aus dem Staub machten.
„Hey, wenn das mal nicht der Bulle ist. Und einmal zum Hotel?“ Erklang da eine mir nicht ganz unbekannte Stimme.
„Immer noch nicht kapiert? Finde es heraus und dann weißt du es. Oder schon vergessen?“ Entgegnete ich dem Typen hinter dem Steuer.
„Na los, hüpf rein. Bin gerade frei. Musst dich aber beeilen. Hier ist gleich Schicht am Schacht.“
„Schon gut. Das Nächste mal vielleicht.“ Und klopfte zum Abschied auf das Blech seiner Kutsche.
„Okay! Machs gut. Mach dann Schluss für heute. Hey sieh mal dahinten. Ist ja mal ganz was Seltenes.“ Fast schon euphorisch richtete er seinen Arm auf den nachtschwarzen 600ter Pullman, der haarscharf hinter mir, in die Meile einbog.
Mir stockte mit der Atem. Mit einem Blick über die Schulter sah ich deutlich in sein Gesicht.
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„Gold-Gerd ist sauber, besser gesagt, er war sauber.“ Graling kam in mein Büro und setzte sich mir gegenüber. „Er verdiente seine Kohle mit der Entwicklung von Software für Montageroboter und hat zusätzlich einen Service für defekte Roboter. Jedenfalls hat er eine Menge Schotter damit verdient.“
„Und Herzchens Angaben?“
„Stimmen auch. Gold-Gerd lebte allein und hatte kein Problem sich mit Nutten sehen zu lassen. Am liebsten hat er es auf der Bühne getrieben. Hat aber auch öfter Prostituierte mit nach Hause genommen.“
„Was zu Teufel wollte er mit Lara und Roya in dieser verlassenen Gegend?“
„Vielleicht…“
„Vielleicht, was?“
„Vielleicht wollte er ja gar nicht dorthin und es war nur Zufall, dass sie dort auf den Killer gestoßen sind.“
Ich trat vor die Wand, an der eine Karte der Stadt hing. Neben der Karte steckten bunte Stecknadeln und ich nahm zwei Stück.
„Gold-Gerd wohnt hier in der Kantstraße.“ Ich steckte die Nadel an den entsprechenden Punkt auf der Karte. „Und gefunden haben wir seine Leiche hier.“ Mit der zweiten Nadel markierte ich den Platz, an dem wir Gold-Gerds Leiche gefunden hatten. “Der direkte Weg vom Kiez zur Kantstraße ist das nicht, Und wenn ich zwei heiße Hasen bei mir habe, fahre ich nicht unnötig durch die Gegend.“
Graling trat zu mir und zeigte auf einen Punkt zwischen Kiez und Kantstraße.
„Hast du an die Großbaustelle an der Autobahnunterführung gedacht? Seitdem sie dort eine Baustellenampel aufgestellt haben, ist dort permanent Stau. Am besten umfährst du den Bereich, wenn du kannst. Der Weg durch die Baustelle ist zwar kürzer, aber nicht unbedingt schneller.“
„Du meinst, er hat die Baustelle umfahren und hat lediglich zufällig dort den Killer getroffen. Er hat ihn vielleicht bei irgendwas gestört.“
HHHMMMM ich setzte mich wieder und ließ mir Gralings Überlegungen durch den Kopf gehen. Es stimmte, die Baustelle sorgte täglich für Stau….
„Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit.“ Teilte ich Graling mit. „Unser Killer könnte Gold-Gerd auch gefolgt sein. Er ist ihm nachgefahren, hat ihn am Tatort abgepasst, weil er wusste, dass es der perfekte Platz für einen Mord ist. Er hat Gold-Gerd erschossen, sich die Frauen geschnappt und Lara getötet. Aber dann, ist ihm mit Roya, ein Fehler unterlaufen.“
„Er wollte Gold-Gerd umlegen und die Frauen waren bloß zur falschen Zeit, am falschen Ort. Also müssen wir uns fragen, wer Gold-Gerd umlegen wollte uns warum.“
„Da gibt es nicht viel Auswahl. Der Kerl hatte ein Einzelunternehmen. Keine Geschäftspartner, Angestellte oder andere Beteiligte. Er hatte auch keine Konkurrenten, in dieser Sparte gibt es nur eine Handvoll Firmen. Jede von ihnen hat ihren festen Kundenstamm. Gerd führte keinen Rechtsstreit, hatte keinen kackbratzigen Nachbarn, der hatte nicht einmal eine eifersüchtige Ehefrau oder Freundin zu Hause.“
„Vielleicht ging es nicht um Gold-Gerd selbst, sondern um das, was er darstellte.“ Gab ich zu bedenken.
„Neid?“

„Gold-Gerd hatte alles. Einen Haufen Geld, mit dem er um sich schmiss, Erfolg im Beruf und wenn Herzchen nicht gelogen hat, konnte Gerd es mit zwei Frauen gleichzeitig stundenlang treiben. Gold-Gerd konnte sich mit seinem Geld so viele Nutten kaufen, wie er wollte. Neid, wäre durchaus nicht auszuschließen.“
„Wenn das stimmt, und der Mörder keinen Bezug zu Gerd oder Lara hatte, könnte es jeder sein.“
„Mieses Gefühl, oder?
„Ja, aber noch viel schlimmer ist, wenn Neid der Auslöser war, dann ist unser Killer eine Zeitbombe, denn Gold-Gerds gibt es eine ganze Menge.“
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„Vier?“ Fragte Milewski entgeistert, als ich vor ihm saß.
„Ja. Wir haben uns alle ungeklärten Mordfälle nochmal angesehen. Neid würde das hohe Maß an Brutalität erklären, mit dem Lara umgebracht wurde. Er hatte es eigentlich auf Gerd abgesehen. Doch der war ein zu starker Gegner, also hat er ihn erschossen und seine Wut an Lara und Roya ausgelassen.
Wenn wir das berücksichtigen, haben wir noch zwei Morde mehr in den letzten sechs Monaten. Zwei Prostituierte wurden im Anstand von vier Monaten brutal erschlagen. Beide hatten keinen Zuhälter, also gingen wir davon aus, dass sie von ihren letzten Freiern ermordet wurden. Jetzt nehme ich eher an, dass sie vom selben Killer umgebracht wurden.“
Milewski schwieg betroffen. „Dann hat die Serie also schon längst begonnen?!“
„Sieht so aus.“
„Gut! Nein schlecht! Du nimmst die die Fälle nochmal vor und ermittelst in dieser Richtung.“
„Dank Keller hab ich ja beinahe uneingeschränkte….“
Schaller stürmte ins Büro. „Leute, gar nicht gut, es wurde eine weitere Leiche gefunden.“

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Die tote Frau lag im Stadtpark in der Nähe des Südeinganges. Dieser Teil des Parks war dafür bekannt, dass sich, sobald es dunkel war, hier die Dealer und Fixer trafen, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Einerseits gut, da der Mord also mit Sicherheit beobachtet wurde, andererseits schlecht, denn keiner würde mit uns reden… Wie immer!
Jetzt war es Mittag und keine Dealer waren zu sehen. Spaziergänger hatten die Tote entdeckt und die Polizei gerufen. Berger und Schaum waren die ersten aus meinem Team, die am Tatort erschienen waren.
„Und?“ Fragte ich Schaum.
„Brigitte Roth. Sechsundfünfzig Jahre, wohnt in der Heimstraße vier. Zumindest steht das in ihrem Ausweis.“
Ich trat zu der Leiche und sah sie mir an. Schrader hätte sicher wieder gekotzt. Der Kopf war völlig zertrümmert, Blut und Hirnmasse quollen hervor und bedeckten den Boden um den Kopf herum.
„Dort hinten liegt ein armdicker Ast mit Blut. Ich wette, er hat ihr damit den Schädel eingeschlagen.“
„Zeig mal den Ausweis.“
Schaum reichte mir Brigittes Ausweis. Eine typische Mittfünfzigerin, rot graue Haare, ein paar Falten und freundliche Augen.
„Familie?“
„Vor zwanzig Jahren geschieden, eine erwachsene Tochter, die aber im Ausland lebt.“
„Der geschiedene Mann?“
„Wohnt in München.“
Die Brutalität mit der Brigitte erschlagen wurde, war wirklich erschreckend.
Der Tathergang erinnerte stark an den Mord an Lara bzw. die anderen Opfer unseres Killers, doch hier stimmte etwas nicht…
„Ich denke, unser Killer hat wieder zugeschlagen KB.“
„Sie war keine Nutte. Und sie sieht auch nicht so aus, als ob sie zum Rotlichtmilieu Kontakt hätte.“
„Hier“, rief Berger,“ich hab die Wohnungsschlüssel gefunden.“
„OK, fahren wir, mal sehen, was wir dort finden.“

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„Heimstraße, vier. Wir sind richtig.“ Sagte Berger, als wir vor der Tür standen. Das alte vierstöckige Haus hatte zwei Eingänge, einen mit sechs Klingeln die anscheinend zu den Wohnungen führte und einen der zu einer kleinen Boutique gehörte.
„Keine Klingel mit Roth.“ Stellte Schaum fest. Er versuchte alle Schlüssel von Birgits Schlüsselbund aus, doch keiner passte.“
In der Zwischenzeit schaute ich mir das Schaufenster der Boutique an. Unterwäsche und Dessous, stand auf einem Werbe Zug am oberen Rand der Schaufenster und noch etwas, der Name. „Roth-Vogel“ daneben war ein roter Vogel abgebildet.
Jetzt konnte ich sofort einen Bezug zum Kiez herstellen.
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Vorgestern hatte ich gegen Mitternacht dem Eros einen Besuch abgestattet, um zu sehen, was Roya machte. Jansen hatte Dienst, stand, zusammen mit Roya, hinter der Bar.
„WOW.“ War mein einziger Kommentar, als ich Jansen sah.
„Ich hoffe, das ist ein Kompliment.“
„Was soll es denn sonst sein?“
„Eine dumme Anmache. Für den Fall möchte ich dich daran erinnern, dass mein Freund Kampfsportlehrer ist und dir mit einer Hand das Genick brechen würde.“
„Wenn er es denn wüsste.“ Grinste ich.
„Er sitzt dahinten und beobachtet dich mit Argusaugen.“
„Oh“, unauffällig drehte ich mich um und sah in der Ecke einen großen und durchtrainierten Kerl in der Ecke sitzen, der sich bemühte, nicht allzu auffällig herzuschauen. „Nein, das ist ein ernst gemeintes Kompliment. Eine tolle Korsage, die du da trägst.“
Und das war die Wahrheit. Jansen trug eine wundervolle rot schwarze Korsage, die ihr Dekolletee wirklich gut zur Geltung brachte, dazu den passenden String und Strapse, welche an der Korsage befestigt waren. Einen großen Freiraum für Fantasie gab es da nicht, die Korsage verdeckte wirklich nur das Nötigste, dass aber verdammt gut.
„Das ist eine Rotvogelkorsage.“
„Eine was?“
„Rotvogel,die hat mir mein Freund gekauft.“
„Nun, er hat einen guten Geschmack.“
„Was ist mit dir?“
„was soll mit mir sein? Ich denke nicht, dass mir eine Korsage steht.“
„Wohl eher nicht! Aber deiner Freundin schon. Also hast du ihr auch schon Dessous gekauft.“
„Um ehrlich zu sein…nein, Judith hat einen gut ausgestatteten Kleiderschrank.“
„Baumann! Jede Frau freut sich, wenn sie…“
„TAXI. Wer hat ein Taxi bestellt?“
Ein Taxifahrer betrat das Eros und suchte nach seinem Kunden. Ein Paar, das an der Theke saß, stand auf und ging zu ihm hin.
„Also Baumann! Werde mal kreativ und besorge deiner Judith was Schönes zum Anziehen. Aber denk dran, Dessous die zu groß sind, haben schon so manche Beziehung beendet.“

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Ein Schlüssel öffnete die Tür zur Boutique.
Ein altmodisches Klingeln ertönte, als ich die Tür ganz öffnete und in den Laden trat. Wir durchsuchten den Laden gründlich und professionell.
Der Laden teilte sich in einen Verkaufsraum und einen Arbeitsbereich auf. Der Arbeitsbereich umfasste eine kleine Ecke mit verschiedenen Nähmaschinen, ein paar Puppen, die halbfertige Dessous trugen, und mehrere Stoffballen. Hier sah es so aus, als würde Brigitte jeden Augenblick zurückkommen und weiterarbeiten.
Der Verkaufsraum war ordentlich aufgeräumt und auch hier standen mehrere Schaufensterpuppen, die allerdings fertige Dessous trugen.
Was mir auffiel, war, dass keines der Stücke mit einem Preisschild ausgezeichnet war.
-Wieso gibt’s hier keine Preisschilder?-
„Hier, ich hab ein Auftragsbuch gefunden.“ Rief Berger.
Wir gingen zu ihm und ich warf einen Blick in das Buch. Neben vielen Namen waren auch Zeiten vermerkt, hinter denen Abkürzungen wie AÄ oder AP standen.
„Jetzt müssten wir nur noch wissen, was das bedeutet.“
„He, sieh mal.“ Berger hatte die nächste Seite umgeschlagen und da stand für den nächsten Tag ganz groß –Nela 18 Uhr, 2AP 1AÄ 3NB-
„Gut, schätze wir werden bald wissen, was die Abkürzungen bedeuten. Such nach dem letzten Kunden.“
Berger schlug ein paar Seiten zurück, „Pauline Schick. Gestern um 14 Uhr eine AP, was immer das bedeutet. Keine Adresse oder Telefonnummer.“
„Also war sie hier im Laden. Noch ein Eintrag?“
„Ja, eine NB um 23 Uhr. Auch hier keine Name, keine Adresse oder Telefonnummer.“
„Ein Termin um 23 Uhr? Was zu Teufel verkauft man um 23 Uhr?“
„Tja gute Frage.“
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Im großen Besprechungssaal war das ganze Team mit Ausnahme von Jansen, die Roya bewachte versammelt.
„Also der letzte Termins Eintrag war 23 Uhr. Gehen wir einmal davon aus, dass Brigitte pünktlich dort sein wollte. Unser Mörder wird sie ganz sicher nicht am helllichten Tag erschlagen haben. Dunkel wird es gegen 21 Uhr 30. Wir haben also ein Zeitfenster von weniger als 90 Minuten. Irgendjemand hat sie in den Park gebracht und dort ermordet. Derjenige wusste, dass in diesem Teil des Parks keine Spaziergänger unterwegs sind, er besitzt also eine gute Ortskenntnis.
Der Wohnort von Roth ist ziemlich weit entfernt. Kaum anzunehmen, dass er sie dort entführt hat und das Risiko eingeht, und mit seiner Geisel durch die ganze Innenstadt fährt. Sie ist wahrscheinlich freiwillig eingestiegen.
Er hat sich genauso unverdächtig verhalten wie bei Gold-Gerd. Weder er noch Lara, Brigitte oder Roya haben die Gefahr erkannt.
Wer immer der Killer ist, er kommt an seine Opfer heran, ohne als Gefahr wahrgenommen zu werden.
Also, wir bilden zwei Teams, ihr werdet heute Abend um 22 Uhr mit einer Hundertschaft den gesamten Südteil des Parks durchkämmen und jeden Junkie oder Dealer schnappen, der sich dort aufhält. Ich wette, dass irgendeiner, irgendetwas gesehen hat. Bringt denjenigen zum Reden! Graling, du leitest den Einsatz.“
„Alles klar, KB. Und wer ist das andere Team und welche Aufgabe hat es?“
„Oh, das andere Team…“ Grinste ich.

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Das andere Team bestand aus Judith und mir. Nela hatte mich gebeten etwas unauffälliger im Eros herumzuschnüffeln, also nahm ich Judith mit. Im passenden Outfit lenkte sie die Aufmerksamkeit von mir völlig ab. Zusammen mit Jansen, die heute in einer heißen blau grauen Korsage Dienst tat, bildete Judith, in einem sehr kurzen silbernen Kleid, einen richtig geilen Blickfang und ich konnte mit Nela reden, ohne aufzufallen.
„Wie weit bist du mit Laras Mörder?“
„Wir sind dran, aber so einfach ist es nicht.“
„Würdest du weniger Zeit damit verbringen uns im Auge zu behalten, könntest du sicher schon weiter sein.“
„Ich beobachte euch schon lange nicht mehr. Ich weiß, dass ihr nicht abhaut.“
„Ach ja? Woher kommt plötzlich diese Erkenntnis?“
„Steph und Nina würde ich nur soweit trauen, wie ich sie sehen kann, aber du…. Du warst diejenige, die Steph dazu gebracht hat wieder her zu kommen. Du weißt genau, dass ich euch am Arsch bekommen würde, ganz egal wo ihr euch verkriechen würde, also bleibst du hier und scheffelst so viel Geld mit dem Eros, wie du kannst, bis Stephs Zeit abgelaufen ist. Die beiden würden niemals ohne dich abhauen und solange du hierbleibst….“
„Du kannst manchmal ein richtiges Arschloch sein.“
„Deswegen heiße ich auch KB. Aber ich bin nicht wegen Steph hier. Du hattest heute um 18 Uhr einen Termin mit einer Brigitte Roth.“
„Ja, das heißt, nicht ich selber, einige meiner Mädchen, aber Brigitte ist nicht gekommen. Wieso…Nein!“
„Doch wir haben Brigitte heute Morgen gefunden. Jemand hat ihr im Park den Schädel eingeschlagen.“
Nela war sichtlich erschüttert. Das war nicht geschauspielert, die Trauer war echt.
„Wie… Wer?“ Stammelte sie.
„Weiß ich noch nicht. Ich weiß, dass sie einen Laden hatte aber welche Verbindung hat sie zu dir? Wer war sie? Hat sie hier gearbeitet?“
„Ja hat sie, aber anders als du denkst. Sie hat meinen Mädchen ihre Dessous verkauft.“
„Rothvogel?“
„Ja, das war ihre Marke.“
„In ihrem Terminkalender war ein Eintrag für 23 Uhr. Das erscheint mir sehr seltsam für den Verkauf von Dessous.“
„Nur weil du sie nicht kennst. Brigitte hatte ein besonderes Geschäftskonzept.
Die Korsage die deine Kollegin trägt ist auch ein Rothvogel. Ich wette, sie kennt das Prinzip.“
„Was ist so besonders an dem Fummel?“
„Die Korsage die Jansen da trägt, kostet mindestens 1.000 Euro!“
„WAS?“
„Jedes Teil das Brigitte verkaufte, war maßgefertigte Handarbeit. Sie hat nur beste Stoffe verwendet und eine lebenslange Garantie gegeben. Wenn du zu oder abgenommen hast, konntest du bei Brigitte deine von ihr angefertigten Dessous abändern lassen.“
„Das waren also die Abkürzungen. AÄ steht für Abänderung! Was ist AP und NB?“
„AP heißt Anpassung und NB ist eine Neubestellung.“
Nun das erklärte zumindest halbwegs den Termin um 23 Uhr. Wenn man gute 1.000 Euro für eine Arbeit verlangen kann, macht man auch schon einen Termin um diese Uhrzeit.
„Du weißt nicht zufällig, wer sich mit ihr um diese Zeit treffen wollte?“
„Nein, aber bevor du dich versteifst, solche Uhrzeiten in diesem Gewerbe sind nicht allzu ungewöhnlich.“
„Verdammt.“
„Übrigens hat mir Jansen erzählt, dass du Judith noch keine eigenen Dessous gekauft hast…. Baumann, ich bin erschüttert.“
„Wieso interessiert sich jeder für Judiths Reizwäsche?“
„Sie sie dir an!“ Meinte Nela und ich folgte ihrem Blick zu Judith und Jansen.
„Stell dir sie in einer dieser tollen Rothvogel Korsagen, oder einem angepassten Korsett vor.“
Ich musste zugeben, der Gedanke war geil. „Rothvogel ist geschlossen.“ Meinte ich lediglich.
„Ach ja, Steph hat neulich einen Wagen gesehen. Irgendeine Prolkarre, die er noch nie hier gesehen hat. Sie fiel ihm nach dem Mord an Lara auf, vielleicht hängt das ja zusammen.“
„Ich werde mich draußen mal umschauen.“
Damit war die Unterhaltung beendet und ich ging wieder zu Judith.
„Hallo Kilian, wusstest du, dass Nicoles Korsage ein Rothvogel ist?“
„Klar, Rothvogel erkennt man doch auf den ersten Blick.“ Erwiderte ich, während Jansen nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken konnte.
„Hör mal meine Liebe“, Nela war auch zu uns gekommen, „wenn du hier arbeitest, bekommst du so tolle Dessous von mir und musst nicht darauf warten, bis dieser egoistische Mistkerl dir welche kauft.“

„Ok, das reicht! Komm Judith, wir gehen.“
„Langsam KB, was würde ich denn verdienen?“
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„Also was haben wir denn?“ Ich betrat den großen Raum vor den Zellen und betrachtete mir die 17 Männer und 4 Frauen die teilweise deutlich auf Entzug waren und die mein Team bei der Razzia im Park eingesammelt hatte.
„Herhören! Der erste der mir was Vernünftiges über den Mord im Park erzählt, geht hier ohne Anzeige raus. Wenn mich aber einer verarscht, landet sein Arsch für die nächsten Jahre im Knast! Also wir fragen euch jetzt einzeln, ob jemand Gesprächsbedarf hat.“

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„Wie heißen die Zwei?“ fragte ich Berger.
„Marc und Michaela Spreier. Ihn kenne ich schon länger. Ein Kleindealer, der für Eigenbedarf dealt. Sie kenne ich nicht, scheint in der Szene neu zu sein. Jedenfalls ihrem Aussehen nach. Noch keine „Gebrauchs oder Abnutzungspuren“ wie du so schön sagst. Haben wohl vor zwei Monaten geheiratet. Sie geben an, sie hätten in dieser Nacht im Park abgehangen.
Ach ja, Michaela war es, die Mark überredet hat zu erzählen, was sie gesehen haben.“
„Na dann.“ Ich betrat den Vernehmungsraum, in dem das Pärchen an einem Tisch saß und wartete. Michaela war sichtlich nervös, während Mark zitternd hin und her schaukelte. Er zeigte die typischen Anzeichen eines Junkies, der auf Turkey ist.
„Also?“ Fragte ich.
Michaela setzte an, als Mark dazwischen fuhr. „Keine Anzeige! Wir sagen nur etwas, wenn wir ohne Anzeige hier raus können!“
„Gibt’s denn was anzuzeigen?“ Fragte ich und schaute Schaum an.
„Vier Gramm Heroin und einen Joint.“
Ich sah mir die beiden an. Wer den Joint und wer das Heroin konsumiert hätte, lag auf der Hand. Michaela zeigte keine Einstiche an den Armen und auch keinen körperlichen Verfall, im Gegenzug zu Mark.
„Mark ist auf Bewährung, und hat noch ein Jahr und sieben Monate.“ Ergänzte Schaum seine Ausführungen.
„Keine Anzeige.“ Stimmte ich dem Deal zu, schaute Michaela an und forderte sie auf zu erzählen.
„Wir waren im Park um… Wir haben es hinter einem Busch getrieben, als ich plötzlich ein dumpfes Geräusch hörte. Es hörte sich an, wie als ob man eine Melone zermatscht.
Es waren drei Schläge, dann war Ruhe.“
„Und du hast nicht nachgesehen, was das war?“
„Doch aber ich hatte nichts an, ich hab mir erst meine Sachen wieder angezogen, dann bin ich nachschauen gegangen.
Da hab ich die Frau gesehen. Sie lag in einer riesen Blutlache. Ich hab mal einen erste Hilfe Lehrgang gemacht, aber die war tot!“
„Hast du den Täter gesehen?“
„Nur von hinten. Er ging gerade unter einer Laterne vorbei.“
„Wie hat er ausgesehen?“
„Es war ein Mann, etwa 1,80 groß kurze Haare, keine Glatze, normale Figur. Nicht dick oder rappel dürr.“
„Wie alt und was hatte er an?“
„Ich weiß nicht wie alt, aber er schien kein Teenager zu sein. Er trug Jeans und eine Jeansjacke. Keine Mütze oder Cab.“
„Hautfarbe?“
„Weiß nicht genau, ein Schwarzer war es jedenfalls nicht.“
„Und ihr seid nicht auf die Idee gekommen, den Rettungswagen oder die Polizei zu rufen?“
„Nein!“ Fing Michaela an zu heulen. „Die Frau war tot und Mark hatte sich erst einen Schuss gesetzt. Die hätten ihn mitgenommen und eingebuchtet.“
„OK, Michaela, ich gebe dir einen guten Rat! Lass die Finger von dem Zeug. Sie dir Mark an, in weniger als einen halben Jahr bist du genauso am Ende wie er. Bring ihn dazu, einen Entzug zu machen! Falls nicht, gebe ich ihm noch höchstens ein Jahr, dann beißt er ins Gras. Tu dir das nicht auch an! Und jetzt verschwindet!“
Michaela sprang förmlich auf, Mark wegen den Entzugserscheinungen, war nicht ganz so schnell. Als er an mir vorbeikam, packte ich ihn am Kragen.
„Wenn Ich Michaela an der Nadel erwische, drehe ich dir den Hals um. Ich mache dich fertig und buchte deinen Arsch in den Knast. Und dort erzähle ich jedem, du wärst ein Spitzel. Weißt du was sie im Knast mit Spitzeln machen? Ich bin mir sicher, du weißt es, also leg es nicht darauf an!“

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Ohne ein Wort setzte sich Neun-Finger-Steph sich neben mich an die Bar der Schatulle.
„Und?“
Tja, das was ich zu sagen hatte, war nicht der Burner. Ich hatte heute Mittag ein Gespräch mit Susanne Greif. Einer Psychologin, die mir Judith einmal empfohlen hatte und die mir schon einige gute Tipps, in Bezug auf die von mir gesuchten Täter, geben konnte.
„Der Mörder ist ein Mann, zwischen 40 und 50.“ Hatte sie mir erklärt, als sie sich die Akten aller Opfer angeschaut hatte. „Neid scheint mir das naheliegende Motiv zu sein.“
„Gold-Gerd und Roth waren beide in einem gewissen Maße wohlhabend, aber nicht reich, wie passen denn die ersten Opfer dazu?“
„Diese Frauen, waren keine Prostituierten, die für einen Schuss anschaffen gingen. Die zwei arbeiteten in der gehobenen Preisklasse. Sie hatten durchaus Geld und zeigten das sicher auch.“
„Das leuchtet ein, wirklich Reiche, laufen nicht über den Kiez.“
„Alle Opfer hatten Geld zumindest viel mehr als der Killer. Er hält sie für Reich. Ausnahme war lediglich Lara, die war nur ein Zufallsopfer.“
„Und der Täter?“
„Sein Revier ist der Kiez. Entweder arbeitet, oder wohnt dort. Er ist täglich auf dem Kiez unterwegs und sieht die Leute die dort viel mehr Geld verdienen als er. Das versetzt ihn in Wut und irgendwann übernimmt die Wut die Kontrolle über ihn.“
„Und es kommt zum Mord!“
„Ja, und solange du ihn nicht gefasst hast, wird das Morden weitergehen.“

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„Ein Mann zwischen 40 und 50, mittlere Größe, mittlere Figur. Wohnt oder arbeitet hier.“
„Das ist ein Witz! Mehr hast du nicht?“
„Nein.“
„Scheiße, das ist die Hälfte aller Männer hier.“
„So sieht es aus. Was ist mit der Karre, die Nela erwähnt hat?“
„Ein Pullmann. Boris hat ihn Vorgestern wieder gesehen.“
„Als Roth ermordet wurde?“
„Exakt.“
„Und wie sah der Fahrer aus?“
„Ein Mann, Mitte vierzig, bis fünfzig, kurze Haare, mittlere Figur.“

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„Lasst uns jetzt nicht in Panik geraten. Wir brauchen einfach einen Plan.“ Schlug Kilian dennoch vor, nach dem ich ihm von meiner Entdeckung berichtete.
„Ein Plan? Lasst und den Kerl endlich dingfest machen und das Spiel ist endgültig aus.“ Erwiderte ich grimmig.
„Ja. So eine Karre fällt sicher auf. Ist aber noch lange kein Beweis dafür, dass es unser Mann ist.“ Erklärte Kilian.
„Bis er sich die nächste Mädchen greift und wir sind mal wieder zu spät.“ Erkannte Herzchen und alle stimmten ihm nickend zu.
Wie hieß es doch so zutreffend?
In Zweifelsfall immer für den Angeklagten. Am liebsten hätte ich Kilian den ganzen Scheiß vor die Füße geschmissen und dabei eine volle Flasche Tequila auf dem Boden zerschlagen.
Dieser Zweifelsfall kostete mich damals einen Finger meiner linken Hand. Hatte er das bereits vergessen oder warum war er plötzlich so ein verdammter Paragraphenreiter?
Na ja, um mich jederzeit zu demütigen und mir zu zeigen, dass ich eigentlich nur hier war, nur weil er es so wollte, war er sich wirklich für nichts zu schade.
„Was ist los mit dir Kilian? Du willst ihn doch auch. Oder?“ Wir spürten, wie es in uns beide mal wieder mächtig zu brodeln begann.
„Ich sehe es schon kommen.“ Lachte Herzchen mit einem breitem Grinsen auf seinem Gesicht. „Ihr zwei werdet noch die besten Freunde.“ Und kreuzte dabei seine Finger auf seinem Rücken.
Alle, außer Kilian und ich hatten ihren mörderischen Spaß aber zuletzt erhoben wir dann doch das Glas auf uns und unsere Crew.
„Maul halten! Aber jetzt alle hier und zuhören, ihr Witzbolde.“ Beruhigte Kilian lautstark die Menge. „Vielleicht hat Steph ja doch recht. Haltet Ausschau nach diesem Schlitten. Ich will alles über diesen Kerl wissen. Wo er wohnt, was er macht…einfach alles. Verstanden? Und jetzt an die Arbeit mit Euch.“
Na hoffentlich vergaß er nicht, das er in diesem Augenblick nicht den Leuten seiner Soko, sondern mindestens hundert Jahre Knast gegenüber stand.
War eben halt sein Problem, wenn das mal gründlich in die Hose ging und so war auch mal ich der Letzte in der Riege, der was zu lachen hatte.
Noch am selben Abend kutschierten mich Boris und Jurij in der Stadt herum. Wir konzentrierten uns diesmal auch auf die besseren Ecken, während Kilians Leute die umliegenden Parks und Grünanlagen durchstöberten. Ich schätzte, wer mit so einem Schlitten unter dem Arsch durch die Weltgeschichte fährt, gehörte nicht gerade zur unteren Kaste der Gesellschaft. Doch die ganze Gegend hier erschien mir total verweist zu sein. Und es wimmelte nur so vor dunklen Erinnerungen.
Ja, gleich da vorne war sie auch schon. Die Villa von Sorokin, der nun den Rest seines Lebens auf zehn Quadratmeter hauste. Ich dachte an Britta Perlinger, Ninas Freundin, die ich vor langer Zeit hier an diesem denkwürdigen Ort kennen lernte.
Ich, der nette Junge von neben an, der ich damals noch war. Verknallt in Nina bis über beide Ohren und nicht ahnend, dass mein Leben von da an mal in ganz anderen Bahnen verlaufen sollte?
Sollte ich Nina davon erzählen, dass wir hier einen Mädchenmörder vermuteten, ohne wieder alte Wunden aufzureißen? Ich beschloss jedoch darüber zu Schweigen. Erst recht jetzt in ihrem Zustand.
„Lasst uns von hier abhauen.“ Forderte ich Jurij auf, der hinter dem Steuer des gepanzerten Chevrolet Blazers saß. „ Wenn er es überhaupt ist, ist der Kerl zu intelligent, um sich ausgerechnet hier von uns schnappen zu lassen.“

„Ja, wir sollten höllisch aufpassen. Hab das Gefühl, er lauert uns auf und beobachtet uns, ohne das wir das schnallen.“ Stellte Boris folgerichtig fest.
Mit den beiden kampferfahrenen Burschen aus der ukrainischen Befreiungsarmee waren wir bestens aufgestellt. Und sie hielten mir auch hin und wieder Kilian vom Leib, wenn es zwischen uns mal wieder so richtig köchelte.
Die letzten achtundvierzig Stunden waren mal wieder völlig ergebnislos.
„Und? Habt ihr etwas heraus bekommen?“ Bohrte Kilian nach unserer Rückkehr. Seine ganze Art war ungehalten und man spürte den Druck, unter dem er stand. Aber mich jetzt noch dazu für seinen Politikkram, von dem er ständig faselte zu interessieren, brachte das Fass so manches mal zum Überlaufen und ging mir mächtig am Arsch vorbei.
„Wovon sprichst du?“ Fragten wir ihn scheinheilig.
„Ob ihr ihn gefunden habt. Ob ihr wisst, wo er wohnt, ihr Schlaftabletten.“
„Natürlich nicht. War eben eine deiner Scheißideen, ihn da draußen zu suchen. Der Kerl ist intelligent und hat uns genau da, wo er uns haben will.“
„Wo er uns haben will?“ Fragte Kilian mich verwundert.
„Ja klar. Während wir uns so langsam hier die Köpfe einschlagen, sucht er schon nach seinem nächsten Opfer. Er macht weiter, bis wir ihn endlich umgelegt haben.“ Die nickenden Köpfe der anderen verstärkten meine kühne Theorie.
Justiz und Gerechtigkeit hin und her.
Kilian Baumann wusste, das Handschellen alleine ihn nicht mehr retteten, wenn wir ihn uns schnappten. Unbemerkt vor allen diesen feinen Pinkeln, die auch an diesem Abend wieder die „Schatulle“ bis zum Anschlag füllten, machten meine Blicke die Runde. Jeder einzelne von diesen Schießbudenfiguren hätte es doch sein können. Doch wir hatten nichts Brauchbares in der Hand.
Mit einem Blick durch das Fenster hinaus zur Meile traute ich jedoch meinen Augen nicht. Tatsächlich wagte es ein Team, wahrscheinlich irgendwelche Quacksalber eines Fernsehsenders, hier vor der „Schatulle“ ein paar Aufnahmen zu machen.
„Diese Figuren schnappe ich mir eigenhändig.“ drohte Herzchen. Wir hatten alle Mühe, ihn zu viert wieder zur Raison zu bringen.

„Lass gut sein.“ Versuchte ich ihn noch zu beruhigen. „Kilian kennt sich bestens aus mit den Typen. Die kommen garantiert nicht wieder.“ Na ja, auf den Scherbenhaufen war ich alles andere als gespannt und tatsächlich bekamen diese Sportskanonen wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit einen deftigen Platzverweis in Form eines Arschtrittes.
So manches mal mochte ich ihn ja. Wenn auch nur wie meist mit knirschenden Zähnen. Dieser kleine Ausrutscher zeigte tatsächlich Wirkung, denn seit dem verirrte sich niemand mehr von diesen Pressefuzzies weit und breit auf der Meile und erst recht nicht bis in die Nähe der „Schatulle“.
Doch mit seinem dauernden Gerede über Motive und Täterprofile konnte Kilian uns alle schon so manchmal auf die Palme bringen.
„Nicht so hastig Steph. Wir haben eine Abmachung.“ Stellte er fest.
„Eine Abmachung? Wovon redest du eigentlich?“ Fragte ich ich ihn. Doch das mulmige Gefühl in uns allen, dass schon sehr bald wieder etwas passieren würde, überschattete den Abend.
„Ich und meine Leute leiten die Ermittlungen. Damit das mal endlich jedem von euch Hornochsen klar wird. Ohne mich würde es hier nur noch so von Bullen wimmeln. Und dann seid ihr alle am Arsch und könnt bald eure Läden zumachen. Und dieses Schwein läuft weiter draußen herum und macht in aller Ruhe weiter.“
Weiter reichten seine Worte nicht, denn wer, wenn nicht er selbst, wusste, dass seine Ermittlungsergebnisse mehr als kläglich waren. Meine Devise war da doch mehr die Abschreckung.
Vielleicht sollten wir wirklich ein paar von diesen Gesichtern in ihren feinen Anzügen mal ordentlich auf den Kopf stellen.
Bis ihre Schlagringe, Schnappmesser und Knarren von selbst aus ihren Taschen fielen. Und irgendwann wäre auch er vielleicht auch dabei und könnte sein Testament machen.
Ja, irgendwann. Nur wann?
Ich schätzte jedenfalls, die kalte Luft heute Nacht da draußen würde mir gut tun. Ein Griff zu meiner Jacke, ein Wink herüber zu Boris und Jurij und schon eine Minute später stand ich auf der Straße, ließ die Blicke über die Schultern schweifen und machte mich auf dem Weg herunter zum „Eros“.
Ich glaubte längst, die ganze Sache nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Denn zwischenzeitlich war es nicht nur Kilian selbst, der mit gewaltig im Nacken saß, sondern auch alle die anderen Clubbesitzer, die mir auf die Schultern klopften und endlich Ergebnisse sehen wollten. Sicher war nur, wenn ich den Jungs nicht bald was Brauchbares auf den Tisch legte, hatte ich ein gewaltiges Problem.

Was ich nun also wirklich nicht brauchte, wäre auf dem Kiez eine handfeste Meuterei und die Zeche dafür zahlte ich allein.
Ich schlenderte entlang der Bars und Clubs, aus denen die Musik nur so wummerte und dröhnte.
„Schau mich an du Penner. Kannst du nicht aufpassen? Ich rede mit dir.“ Ich verschloss die Augen um Stress mit diesem Typen, der mich fast zu Boden riss zu vermeiden. Obwohl ich ihn wirklich gerne für seine Dreistigkeit den Hals gebrochen hätte.
Nur schon ein paar Seitenstraßen weiter nahm sich eine Truppe einer Biker Gang einen Jungen vor, der offensichtlich nicht so viel Schwein hatte wie ich.
Der Junge lag doch schon am Boden und man hörte sein Winseln und sein Geschrei. Und dennoch bekamen diese Arschlöcher nicht genug davon, ihn immer wieder gegen seinen Kopf und in seinen Bauch zu treten, bis er blutend in seinem Gesicht und auch sonst überall an seinem schmächtigen Körper regungslos auf dem kalten Asphalt liegen blieb.
Als der Rettungswagen einrollte, standen diese Kuttenträger dort und hatten natürlich nicht die Spur einer Ahnung.

– Sechs gegen Einen –

Sechs, wie die Anzahl der Patronen in der Trommel meiner Magnum Kal.38mm. Und jede einzelne von ihnen wäre sicher tausend mal schneller gewesen, als diese feigen Schweine hätten weg rennen können, um ihre Ärsche ein Sicherheit zu bringen.
Niemand hatte natürlich etwas gesehen. Es interessierte wirklich niemanden, selbst wenn sie den Kerl tot geschlagen hätten. Und ausgerechnet hier suchten wir nach einem skrupellosen Killer.
Und sollte Kilian tatsächlich Recht behalten und der erste Mord an Lara Gawitter war nicht mehr als ein absurder, scheußlicher Zufall? Gehetzt und getrieben von einem vagen Gefühl und von einflussreichen Leuten in Polizeikreisen, die ihn am liebsten kalt stellen würden?  Schlagartig wurde mir klar, wie sehr wir noch immer im dunklen tappten.
„Hey, schön das du reinschaust.“ Begrüßte mich Nela freudestrahlend, nachdem ich das „Eros“ betrat und es mit Mühe und Not schaffte, mich bis zur Bar durch zu drängeln.
„Du siehst phantastisch aus Nela.“ Ich trat einen Schritt zurück, um sie mir anzusehen und bemerkte dabei die leichte beschämende Röte, die in ihren hübschen Gesicht aufstieg.
Neben Roya, die ihr keinen Millimeter von der Seite rückte, waren die zwei echt ein Pärchen zum Anbeißen.
Ich fragte mich bloß, wo sie bei den sexy Dessous ihre Kanone versteckte, ohne dass es jemand bemerkte?
Gedanken wirbelten mir durch den Kopf .
Tausende Gedanken, an Nina und Emily, die ständig zu Hause auf ein Lebenszeichen von mir warteten.
„Hey, macht Schluss für heute. Boris und Jurij warten bereits vor der Tür.“ Nicht nur verdammt hübsch, sondern auch pfiffig, wie Nela nun mal war, sah sie zweifellos mein Verlangen auf Nina in meinen Augen.

„Sind soweit.“ Das Zwinkern in ihren Augen und ihr Blick herüber zu Roya verriet mir, dass ich Recht hatte. Mit ihrer Hand strich sie ihr durch ihre rostrote,lockige Mähne und über ihre Wangen.
„Sie kommt mit, oder?“ Schmunzelte Nela.
„Was soll das heißen? Klar kommt sie mit. Roya gehört jetzt zu uns.“ Erklärte ich flüsternd.
Nela umarmte und küsste mich ins Gesicht. Es dauerte nicht einmal geschlagene fünf Minuten und schon waren wir unterwegs.
Unterwegs nach Hause zu Nina, die mich bereits an der Tür empfing, nachdem sie vom Blubbern der Auspuffrohre des Chevy Blazer am Fenster des Schlafzimmers geweckt wurde. Ich spürte dieses unbändige Verlangen, sie jetzt einfach nur nehmen zu wollen. Ich genoss das Gefühl ihrer zarten Hände, die herunter zu meinem Hosengürtel wanderten. In diesem dämmerigen Licht des Schlafzimmers war Nina unfassbar schön. Meine Hände glitten über ihre Brust und ich küsste ihren Mund und ihren Nacken. Unsere Körper pressten sich eng aneinander und ich dachte das neue Leben in ihrem Bauch spüren zu können.

In dieser Nacht liebten und liebten wir uns immer wieder bis wir endlich erschöpft neben einander einschliefen.
Chloe, unser Hausmädchen war nicht nur eine gute Köchin und ein unschlagbares Kindermädchen, sondern zauberte fast wie gewohnt für uns alle am Morgen darauf ein herrliches Frühstück.
Doch war es die Presse und ein paar Fernsehleute, die mal wieder schneller als jeder andere am Tatort waren und unsere gemütliche Runde mächtig aufschreckte.
Alle berichteten sie bereits von einem weiteren Mordfall ganz hier in der Nähe.Und wieder war dieses mal das Opfer eine Frau, die, wie wir später erfuhren, nicht zum Rotlichtmilieu gehörte. Ich spürte schon, wie Kilian bereits schäumte vor Wut. Besser also ich ließ ihn nicht da hocken und warten und machte mich bereit auf den Weg zurück zur „Schatulle“.
Noch wussten wir nicht, was das zu bedeuten hatte.
„Scheiße! Lasst uns endlich los und das Schwein endgültig fertig machen.“
„Warte noch.“ Fiel Nela mir ins Wort. „Ich kenne diese Frau.“
„Du kennst sie.“ fragte ich erschrocken, fast ohnmächtig vor Wut auf diesen Kerl und besorgt um das Leben der Mädchen.
„Ja, das ist Brigitte Roth. Noch nie was von einer Roth-Vogel Korsage gehört?“ erklärte Nela.
„Ne, sollte man das?“ Erwiderte ich.
„Typisch Mann. Diese Teile sind der Look bei den Frauen auf dem Kiez. Kosten ein Schweinegeld.“ Grinste Nela.
„Du warst bei ihr?“ Fragte ich neugierig.
Na ja, warum nicht. Alle Mädchen da draußen wollten hübsch und sexy aussehen. Und manchmal sogar koste es, was es wolle. Sicher war nur, Brigitte Roth war wohl enorm erfolgreich und machte ein kleines Vermögen mit dem Fummel, dass sie sogar die Girls noch bis in die späten Stunden in ihrem Atelier empfing.
Ein paar Fußgänger fanden sie in den frühen Morgenstunden in einem Gebüsch im Stadtpark. Vergewaltigt, erdrosselt und mit zerschmetterten Gesicht, ihre Haare verklebt vom Blut und ihr nackter Körper übersät mit Blutergüssen.
Bevor ich das Haus verließ, wandte ich mich nochmal Nina zu, nahm sie in den Arm und presste sie an mich.
„Was ist los? Wann kommst du wieder?“ Fragte sie mich, schloss ihre Augen und spitzte ihre Lippen für einen Kuss.
Es war ein unglaubliches Verlangen, das sie in mir erweckte und ich spürte mal wieder, wie sehr ich sie begehrte.
„Bald. Sehr bald. Nela und Roya bleiben erst mal hier bei dir.“ Versprach ich ihr. Noch in der selben Sekunde klingelte mein Handy. „ Bin in einer halben Stunde bei euch.“
„Das solltest du auch. Und jetzt mach dich hierher. Es gibt Arbeit.“ Typisch für Kilian, doch wenn seine Stimme so am Telefon klang, führte er was bestimmtes im Schilde.
In der „Schatulle“ warteten alle bereits auf mein Erscheinen damit er uns in seinen Plan einweihen konnte.

„Also zuhören ihr Freizeitbullen. Da draußen gibt es wieder eine Tote.“ Mit der  Tonlage seiner Stimme versuchte er uns, wie so oft klar zu machen, dass er allein bestimmte, was getan würde und der Rest tanzte nach seiner Pfeife.
„Auch schon gemerkt? Sag uns lieber, wie das hier weiter geht.“ Muckte Herzchen, dem sein Befehlston mehr und mehr missfiel.
Die Stimmung war angeheizt und zum Zerreißen gespannt. Doch sein Vorschlag, uns in zwei Gruppen aufzuteilen, entspannte zunächst die Situation.
Zugegeben, sein Plan, den Stadtpark mit Hilfe einer angeforderten Hundertschaft zu durchkämmen, gefiel mir. Jeder wusste, dass er nicht nur tagsüber von Spaziergängern genutzt wurde, sondern auch bei Nacht den Pennern und Junkies als Unterschlupf diente.
Wie besessen von seiner Idee verhörten seine Leute rund um die Uhr jeden Fixer und jeden Alkoholiker. Irgendwer musste doch was gesehen oder gehört haben. Und tatsächlich machte ein der Drogenfahndung nicht unbekanntes Pärchen die ersten Beobachtungen.
Zur gleichen Zeit quetschten wir die Mädchen auf der Meile aus und versprachen ihnen unseren Schutz, sobald sie irgendwas merkwürdiges beobachteten. Am meisten Sorgen machten mir jedoch die Trittbrettfahrer. Immer mehr Freiern schien es zu gefallen, einmal ganz oben auf der Liste gesuchter Killer zu stehen.

Die Story vom Kiezmörder lockte die Leute in Scharen auf die Meile. Ich glaubte derweil nur noch an den Zufall. Wie zum Teufel sollten wir ihn in diesem Gewühl finden?
Niemand von uns hatte ihn doch bis jetzt wirklich gesehen. Mit den Mädchen wechselten wir meist nur ein paar Worte. Doch niemand von ihnen hatte etwas bemerkt oder erinnerte sich.
Kein Wort kam über ihre Lippen, so sehr wir auch herumstocherten. Stattdessen zeigten sie uns ihre Reizsprays, Elektroschocker und Springmesser. Sogar die ein oder andere kleinkalibrige Schusswaffe kam zum Vorschein. Ganze Waffenarsenale, die sie in ihren Ledernen, mit Strasssteinen besetzten Täschchen neben ein paar Präservativen bei sich trugen.
Kilian rastete komplett aus, wenn er auch nur im geringsten davon erfuhr, dass wir sie wieder mit dem Zeug laufen ließen. Nach Stunden akribischer Suche gab es hier kein Fleckchen, keine Bar oder Club, in dem wir nicht auftauchten und uns gründlich umsahen.
Nicht das mir dieser Kerl in irgendeiner Art und Weise imponierte. Nein, das nun wirklich nicht.
Aber er schien keine Fehler zu machen. Sogar der Stein ganz in der Nähe des Tatortes, mit dem er Brigittes Gesicht zerschlug, brachte im kriminaltechnischen Labor keine neuen Hinweise. Keine Blutspuren vom Täter, nicht einmal ein Haar für eine DNA-Probe.
Kilian würde sicher niemals aufgeben ihn zu finden. Selbst wenn wir alle mit unserer Weisheit fast schon am Ende waren. Er setzte weiterhin auf das Motiv.
– Ohne Motiv keinen Täter –
Das war halt seine Theorie, die mich zwar nervte, aber wie schon gesagt, was jahrelange Erfahrung in der Ermittlungsarbeit anging, war er nun mal die absolute No.1.
Ob mir das gefiel oder nicht. Es war einfach egal. Selbst Herzchen, der ihn nun ja auch schon wie seine eigene Westentasche kannte, bestärkte mich dabei.
„Eine Serie?“ Fragte ich Kilian auf einem unserer nächsten Treffen.
„Nicht auszuschließen.“ Antwortete er, wenn auch nur halbwegs überzeugt von seiner eigenen These.
„Mit was haben wir es hier zu tun.“ Interessierte sich Herzchen, dem mal wieder drohte der Kragen zu platzen.
Ich hoffte, ein paar Whiskey on the Rocks brachten ihn ganz schnell wieder auf die Spur.
„Er hat es nicht auf die Frauen abgesehen.“ erklärte Kilian.
„Was macht dich so sicher?“ Fragte ich ihn.
„Sein Motiv ist der Neid.“

Das große Rätselraten beim Rest der Truppe hatte begonnen. Es stand förmlich in unseren Gesichtern. Das Nebenzimmer in der „Schatulle“ versank in einem Geraune. Wenn ich auch so meine Probleme mit Kilian hatte, versuchte ich mir, wenn auch krampfhaft, vorzustellen, ob an seiner Geschichte etwas dran war.
Sicher war nur, das schon ganz andere Leute für viel weniger brutal in Jenseits befördert wurden. Also warum nicht auch wegen des Erfolges anderer? Na ja, ich beschloss, mich mit weiteren Kommentaren erst mal zurückzuhalten, bis ich genau erfuhr, was er uns noch zu sagen hatte.
„Klappe halten und zuhören. Noch mal für alle, ihr Einfaltspinsel. Gold-Gerd hatte Kohle ohne Ende und hat sie auch gerne in die Luft gehauen.“ Man sah direkt in den Gesichtern, wie bei den ersten, doch der Groschen fiel.
„Und Brigitte Roth war eine erfolgreiche Unternehmerin. Beliebt bei den Frauen vom Kiez für ihren Edelzwirn.“ Fuhr er weiter fort.
„Fragen?“
„Und Lara Gawitter, das Mädchen vom Sperrbezirk?“ Wandten sich ein paar der Leute der Crew an Kilian.
„Das müssten wir eigentlich Gold-Gerd fragen, was er genau mit den beiden da draußen vor hatte. Aber Tote reden nicht, sonst würden sie die Wahrheit sagen.“
„Also suchen wir ihn genau hier. Auf der Meile?“ Fragte ich.
„Ja. Vielleicht lebt oder wohnt er sogar hier.“ Erklärte Kilian. „Und weißt du noch warum?“
„Nein. Erkläre es mir doch einfach.“ Erwiderte ich.
„Das fragst ausgerechnet Du?“ Antwortete er ohne einen Blick. „Er hat die Hosen gestrichen voll, dass er gesehen wurde und hat hier noch eine offene Rechnung mit deiner neuen Freundin. Wie ist noch gleich ihr Name. Carolin?“

„Du meinst Roya und sie bleibt ganz genau da, wo sie ist.“ Erklärte ich ihm unmissverständlich. „Niemand weiß, wo sie sich aufhält. Und daran wird sich auch nichts ändern.“
Kilian musterte mich mit raschen aber dennoch scharfen Blicken. Blicke, die Bände sprachen.
Bände über eine scheinbar niemals enden wollende Geschichte.
Eine Geschichte über eine Zeit und über Ereignisse, die sicher nur ihn und mich ganz allein etwas angingen.
Vielleicht auch noch Herzchen, der zu einem guten Freund und Weggefährten wurde und über alles genauestens Bescheid wusste, was sich damals ereignete.
Vielleicht fragte ich ihn tatsächlich einmal, was so sein größter Wunsch wäre, wenn das alles mal irgendwann hier vorbei war.
– Ne, sicher nicht Herzchen, der alte Knacker. Der blieb sicher hier, bis sie ihn waagerecht durch die Tür der „Schatulle“ trugen –
Von Nina, die uns schon bald unser zweites Kind schenkte. Eine kleines Schwesterchen für Emily, die schon langsam laufen lernte und die bereits ersten Worte quakte.
Und natürlich Nela und jetzt auch Roya, die, wie es aussah, sich ineinander verknallten. Warum auch nicht?
Echt richtig süß die zwei, wenn sie da so manches mal auf der Matratze hockten, sich gegenseitig verwöhnten und dabei pausenlos in Magazinen über die schönsten Fleckchen der Welt schmökerten.
Bilder vom roten Strand in Panjin in China, vom Lake Hillier in Australien, von den Nationalparks in Utah U.S.A…oder von einem tollen Haus am Chlong Chao Beach in Thailand, in dem für uns alle mehr Platz als genug wäre.
Für einen Moment hielt ich inne, trank mein Glas fast leer und verließ das Hinterzimmer, bis ich plötzlich auf der Straße stand, wo Boris und Jurij mich bereits im Chevy Blazer mit laufendem Motor erwarteten.

**

„Killian!“ Judith war beinahe sprachlos, nachdem sie das Päckchen geöffnet hatte. Judith hatte einen ganzen Schrank voller Dessous, doch Nela und auch Nicole hatten Recht. Ich sollte Judith eigene Dessous kaufen.
Also war ich in meiner spärlichen Freizeit losgezogen und hatte mir etwas Passendes besorgt. Es waren zwar keine Rothvogel Teile und sie kosteten auch keine 1.000 Euro, aber ich hatte sie auch nicht aus einem billigen Sexshop.
Wir hatten in einem griechischen Restaurant ein wirklich gutes Essen genossen und zwischen Dessert und Nachspeise überraschte ich Judith mit meinem Präsent.
Das bestand aus einem stahlblauem-schwarzen BH Set, mit dem dazugehörigen Straps Gürtel, den passenden spitzen besetzten Seidenstrümpfen und einem Halscollier.
Ohne auf die neugierigen Blicke von den Nebentischen zu achten hielt sich Judith den BH an. „Killian, das ist wunderschön.“
„Ich finde, du solltest öfter solche Geschenke von mir bekommen.“
„Darüber würde ich mich sehr freuen. Soll ich es gleich anziehen?“ Fragte sie mit einem Augenzwinkern.
„Würde mir gefallen, doch auf Rücksicht auf deinen öffentlichen Ruf, würde ich auch bis nachher warten.“
„Ach mein Lieber, das mag ich so an dir, dein Verständnis für andere.“
„Du hast deinen Hintern gerade für eine Bestrafung angemeldet.“ Grinste ich verschwörerisch. „Ich wette das Rot deiner Arschbacken passt hervorragend zu dem Blau des Höschens.“
„Könnte sein. Willst du noch den Nachtisch abwarten, oder bringst du mich sofort nach Hause?“
„Nein, wir warten das Dessert noch ab. Du weißt doch, Vorfreude ist die schönste Freude. Genieße das Sitzen, solange es noch nicht weh tut.“
Uns gegenseitig angrinsend aßen wir das Dessert, nachdem es uns ein neugierig anschauender Kellner serviert hatte.

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Eine Stunde später stellte ich fest, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, Judiths glühende Arschbaken passten farblich hervorragend zu dem Blau des Stoffes.
Judith lag bäuchlings auf dem Bett mit einem Kissen unter ihrem Unterleib. So hob sich ihr Arsch prächtig nach oben und wurde von mir bearbeitet. Ihre Arme und Beine waren an das Bettgestell gefesselt und langsam färbte sich das bisschen Stoff zwischen ihren Schamlippen dunkel, so nass wurde sie.
Gerade als ich der Meinung war, dass es jetzt genug mit dem Vorspiel war, klingelte das Telefon ein einziges Mal. Dann Sekunden später klingelte es erneut.
VERDAMMT! Das war das Zeichen, dass ich mit Graling vereinbart hatte, wenn es wirklich brennen sollte und es ein Notfall war.
„Ich hoffe für dich, dass es wirklich ein Notfall ist.“ Mit diesen Worten nahm ich das Gespräch an.
„Baumann, du kommst besser schnell hier her!“

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„SCHEIßE SCHEIßE SCHEIßE!“
Laut fluchend ging hinter Graling die Treppe herunter in den Vernehmungsraum. Dort saß Marc Spreier völlig down und schaukelte hin und her.
Graling hatte gerade Dienst, als Marc aufschlug und seine Michaela als vermisst gemeldet hatte. Marc stand sichtlich unter Drogen und konnte kaum einen Satz sinnvoll formulieren und die Beamten wollten ihn erst einmal in ein Untersuchungszimmer bringen, um ihn vom Bereitschaftsarzt untersuchen zu lassen. Auf dem Weg dorthin wurde Schaum, der zufällig über den Flur lief, auf ihn aufmerksam.
„Was ist mit dem?“ Wollte Schaum von dem Beamten wissen.
„Der ist völlig auf Droge, faselte etwas von verschwundener Frau, oder Freundin. Keine Ahnung, ich bin nicht ganz schlau geworden aus dem, was er da erzählt hat. Am besten untersucht ihn der Arzt und wir warten, bis er wieder klar reden kann.“
„KACKE!“ Brüllte Schaum und der Beamte erschrak. „Bringen sie ihn sofort in den Vernehmungsraum und rufen sie den Arzt. Er soll hin machen, das ist ein Notfall!“
Schaum rannte los, zu Graling der gerade die Leitung hatte.
Als ich eintraf, litt Marc schon unter deutlichen Entzugserscheinungen. Die Arme eng an sich gepresst, schaukelte Marc auf dem Stuhl vor und zurück.
„Was hat er gesagt?“ Wollte ich von Graling wissen.
„Nichts, er sagt, er redet nur mit dir.“
„Na schön!“ Ich stieß die Tür zum Vernehmungszimmer auf und Marc schreckte hoch.
„SIE IST WEG!“ Schier er als Erstes.
„Ganz ruhig. Erzähl, was los ist.“
„SIE IST WEG! MEINE FRAU IST VERSCHWUNDEN! DAS IST ALLES DEINE SCHULD!“
„KLAPPE!“ Fuhr ich ihn an. „Du hältst jetzt mal die Luft an, zählst bis drei und erzählst von Anfang an.“
„Wir hatten Streit. Sie wollte wieder, dass ich eine Therapie mache. Ich will ja… Ich… Wir haben gestritten und dann ist sie verschwunden.“
„Vielleicht hat sie auch einfach die Schnauze voll von dir?“
„NEIN! Ich… sie hat mich noch nie im Stich gelassen. Sie weiß, dass ich sie… Nein.“
„Hattet ihr öfter Streit?“
„Ja, das schon, aber sie ist immer zu mir zurückgekommen. Sie ist nie…“
Normalerweise würde ich sagen, dass Michaela einfach genug von diesem Versager hatte. Doch ich hatte bei unserer ersten Begegnung ebenfalls einen Eindruck von Michaela bekommen. Sie machte sich Sorgen um Marc. Zwar schaffte sie es nicht, ihn von der Nadel weg zu bekommen, doch sie ließ ihn auch nicht allein.
Sie war klug genug um zu wissen, dass es für Marc nur zwei Möglichkeiten gab. Es schaffen, einen Entzug durchzuziehen, oder mit einer Spritze im Arm verrecken. Doch egal wie es laufen würde, Michaela würde Marc nicht sitzen lassen.
Das brachte mich zur einer Million Euro Frage. War es Zufall, dass Michaela verschwand, nachdem sie den Killer von Brigitte Rothvogel gesehen hatte?
NIEMALS!
„Wenn ihr Streit hattet, wie lief es normalerweise ab?“
„Michaela geht meistens zu einer Freundin. Sie Quatschen dann miteinander und irgendwann, nach ein paar Stunden, kommt sie dann wieder zurück.“
„Wann ist Michaela weggegangen?“
„Gestern Mittag.“
„Wie heißt die Freundin und wo wohnt sie?“
„Klara Sie heißt Klara. Sie hat keine Wohnung, lebt auf der Straße.“
„Klara und wie noch?“
„Weiß nicht. Ich kenne sie nur als Klara.“
„Und wo finden wir diese Klara?“
„Sie ist oft am Bahnhof.“
„Gibt’s ein Foto von ihr?“
„Nein…. Doch! Moment.“ Mit zittrigen Fingern zog er sein Handy aus der Tasche und fing an es zu bearbeiten. Durch das Zittern seiner Finger dauerte es ewig, bis er den richtigen Ordner gefunden hatte. Am liebsten hätte ich ihm das Handy aus der Hand genommen und selber nachgeschaut, aber dann würde er am Ende noch mauern, dass letzte, was ich gebrauchen konnte.
Schließlich fand er das gesuchte Bild und hielt es mir hin. Darauf waren Michaela und eine andere Frau zu sehen. Die andere Frau, eine Punkerin, hatte schwarze Haare und einen Irokesenschnitt. Sie war entsprechend geschminkt und trug die typischen verschlissenen Klamotten.
Wortlos gab ich das Handy an Schaum, der sofort das Bild herunterlud und einen Ausdruck davon machte.
„Ich will meine Frau wiederhaben! Das wäre nicht geschehen, wenn wir den Mund gehalten hätten. Ich will sie wiederhaben!“
Sonst prallten solche Worte an mir ab. Die beiden hätten auch ohne mich Streit bekommen. Auch ohne meinen Rat, Marc zu einem Entzug zu bringen, irgendwann hätte es sicherlich gekracht zwischen den beiden.
„Ich kann dir nichts versprechen, aber ich werde tun, was ich kann. In der Zwischenzeit überlegst du dir Folgendes, willst du deine Frau Michaela zurückhaben, oder bloß diejenige, die blöd genug ist, sich um dich zu kümmern.“

**

„Verdammter Mist!“ Fluchte ich. Egal wie man es sah, Marc hatte fürchterliche Angst um seine Michaela. Obwohl er unter Drogen stand und eine Bewährungsstrafe offen hatte, war er zu uns gekommen. Das zeigte, wie verzweifelt er war.
Jetzt waren wir auf dem Weg zum Bahnhof und Bundesbeamte in Zivil schwärmten aus, um diese Klara zu finden. Eines war sicher, mein Team war zu bekannt und sobald es am Bahnhof aufschlug, würden die Junkies und Penner wie die Ratten das Weite suchen. Das Gleiche galt, wenn Beamte in Uniform den Bahnhof absuchten.
Seit zehn Minuten saßen wir auf dem Parkplatz der Bundespolizei und warteten, dann kam endlich der erlösende Anruf.
„Wir haben sie gefunden. Sie sitzt mit ein paar anderen Punks am Osteingang. Sollen wir sie festnehmen?“
„Nein, beobachtet sie. Wir sind auf dem Weg, haltet sie fest, falls sie abhauen will.“
Graling warf den Motor an und führ zum Bahnhofsvorplatz.
Genau wie ich es mir dachte, sprangen die ersten „Bahnkunden“ auf, als wir um die Ecke fuhren. Als Graling den Wagen am Osteingang zum Stehen brachte stoben auch die Punks auseinander und wollten das Weite suchen. Zwei als Touristen gekleideten, Zivilbeamte spurteten los und hielten Klara fest, bevor sie im Gewühl verschwinden konnte.
„Das reicht! Das reicht, sage ich.“ Fuhr ich dazwischen, als Klara unsanft festgehalten wurde.
Die Polizisten ließen los und Graling, Schaum und ich nahmen Klara in die Mitte.
„Mann, ihr Scheißbullen! Was wollt ihr? Ich bin clean!“ Fuhr sie uns an.
„Dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen.“ Antwortete Schaum.
„Leck mich!“
Bevor die Situation sich weiter zuspitzte, gab ich Schaum zu verstehen, dass er es dabei belassen sollte.
Graling und Schaum nahmen Klara in die Mitte und zogen sie mit. Klara schaute sehr verwundert, als wir zum Bahnhofscafé gingen und Graling sie auf einen der Stühle setzte.
„Was wollt ihr von mir?“ Fragte sie, als wir uns ebenfalls gesetzt hatten.
„Michaela!“
„Die hab ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
„OK, lassen wir den Scheiß.“ Entgegnete ich. „Michaela ist seit gestern verschwunden und ich befürchte, dass sie in ernster Gefahr schwebt.“
„Ach ja?“
„Sie hat einen Mörder gesehen und ihn beschrieben. Ich glaube, dass der Killer sie entführt hat und sie umbringen will. Also Hast du sie gesehen?“
Jetzt schaute Klara sehr unsicher. Also machte ich ihr den Ernst der Lage drastisch klar.
„Ich wette, du hast von dem brutalem Mord im Park gehört. Derselbe Killer hat schon sechs andere Menschen umgebracht, Michaela ist die einzige, die ihn gesehen hat, also ist sie in großer Gefahr.“
„Ja, ja sie war gestern hier.“ Stammelte Klara. „Sie hatte Stress mit ihrem Macker. Michaela will, dass er eine Therapie macht. Deswegen haben sie sich dauernd in der Wolle. Sie ist hergekommen und wir haben geredet. Sie hat mir gesagt, wie satt sie das hat. Das gleiche wie immer.“
„Und dann?“
„Auch dasselbe wie immer. Nachdem sie sich ausgeheult hat, ist sie zurück zu ihrem Versager.“
„Wann war das?“
„Gegen 11 Uhr nachts.“
„Ist sie zu Fuß nach Hause?“
„Ja, das heißt ich weiß nicht. Geld für ein Taxi hatte sie sicher nicht.“
„Weißt du wenigstens wo lang sie gegangen ist?“
„Sie ist in Richtung Park gegangen.“
„Gut“, ich gab ihr eine Karte von mir, „wenn du, oder einer deiner Freund was hört, ruf mich an! Ganz gleich wie unwichtig es scheint.“
„Mach ich.“ Klara steckte die Karte weg und ah mich an. „Wird er… Was wird er mit ihm tun?“
„Ich weiß es nicht, aber ich werde sie suchen, helft mir dabei.“
„Versprochen Bulle!“

**

„Richtung Park…“ murmelte ich. Vom Osteingang des Bahnhofs konnte ich in einiger Entfernung den Park sehen. Dazwischen lagen die Taxistände, ein paar Schnellrestaurants und andere Läden.
„Wenn sie durch den Park ist, finden wir niemand der sie gesehen hat.“ Meinte Schaum.
„Ich weiß nicht.“ Graling schaute sich um. „Ich meine, sie hat gesehen, wie Jemand im Park eine Frau ermordet. Ich glaube nicht, dass sie allein, mitten in der Nacht, durch den Park läuft.“
„Durch den Park ist sie in der halben Zeit zu Hause. Am Park vorbei, durch die Stadt dauert es mindestens 20 Minuten länger.“
„Graling hat Recht, ich denke auch nicht, dass sie durch den Park ist. Reden wir mal mit den Taxifahrern, vielleicht hat sie ja einer gesehen.“
Gesagt, getan. Wir befragten jeden Taxifahrer, der vor Ort war und fragten auch nach Kollegen, die gestern Nacht Dienst hatten. Aber keiner hatte Michaela gesehen. Auch die Fahrer versprachen die Augen offen zu halten und ihre Kollegen zu verständigen.
Schaum hatte dazu eine geniale Idee. Im Zeitalter moderner Kommunikation, schickte er Michaelas Bild einem der Fahrer, per WhatsApp auf sein Handy, und schon leitete er das Bild an alle anderen Fahrer weiter.
**
Gegen 18 Uhr saßen Berger, Schaum, Graling, Schaller und Kammer im Besprechungsraum als es klopfte. Susanne Greif trat ein und entschuldigte sich, dass sie erst jetzt kommen konnte.
Zusammen gingen wir alle Möglichkeiten durch. Berger, eine Hundertschaft und Spürhunde hatten das Gelände, auf dem man Gold-Gerd gefunden hatte erneut durchsucht. Bis jetzt hatte man Michaelas Leiche noch nicht gefunden.
Dennoch, war die Hoffnung sie lebend zu finden geradezu erbärmlich.
„Was denken sie?“ Fragte ich Greif.
Susanne Greif sah kurz durch mich hindurch. „Was soll ich sagen? Ich will ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Wenn sie tatsächlich von ihrem Killer entführt wurde, dann lebt sie vielleicht noch. Unser Mörder hat bis jetzt aus Neid gemordet. Falls, nur falls, er sie nicht gleich umgebracht hat, könnte sie noch am Leben sein.“
„Also entweder hat er sie gleich umgebracht und wir haben sie nur noch nicht gefunden, oder er hat sie irgendwo versteckt.“
„Wieso hat ihn niemand gesehen?“ Fragte Schaller. „Ich meine, er ist doch kein Gespenst!“
„Er ist ein Meister darin nicht aufzufallen. Sie müssen sich darüber klar sein, sie suchen nach einem ganz gewöhnlichen Mann. Jemanden, den keiner verdächtigt.“
Plötzlich fiel mir die Prollkarre ein, die auf dem Kiez für Aufregung sorgte.
„Da gibt es zwei Möglichkeiten.“ Meinte Greif dazu. „Entweder ist der Fahrer der Mörder, dann benimmt er sich so auffällig, dass er schon wieder unverdächtig ist, oder der Halter des Wagens ist unschuldig. Meiner Meinung nach, passt das fahren eines solchen Autos nicht in das Verhaltensmuster des Killers. Bis jetzt hat er sich so unauffällig verhalten, dass ich niemand auch nur annähernd verdächtigt.“
„Steph und seine Truppe haben den ganzen Kiez nach dem Kerl abgesucht. Ich hasse es zwar das zu sagen, doch Boris und Juri sind Profis, die wissen, was sie tun. Sie haben jeden Stein zweimal umgedreht und nichts gefunden.“
„Das wundert mich nicht. Das liegt daran, dass sich unser Mann überhaupt nicht versteckt. Er sieht sie, sieht was und wo sie suchen, er muss sich nur weiter unauffällig verhalten. Was diesen ominösen Fahrer angeht, würde ich ihnen raten, ihn schnell zu finden.
Falls er der Mörder ist, haben sie ihren Killer, falls nicht…Er repräsentiert genau das, was unseren Mörder zum Killer werden lässt.“
„Im Klartext“, mischte sich Graling ein, „solange der Mann keinen Fehler macht, finden wir ihn nicht.“
„Exakt.“

„Wir müssen ihn aus der Reserve locken.“ Entschied ich. „Vorschläge?“
„Setzen wir ein paar Lockvögel ein.“ Schlug Schaller vor. „Wir besorgen und ein paar geile Karren und lassen es auf dem Kiez krachen.“
Ich sah Greif an und die nickte.
„Gut, ich werde mit Herzchen reden. Die Kohle die wir auf den Tisch hauen, muss zurück, sonst bekommen wir den Plan nicht genehmigt.“
„Setzten wir ihn unter Druck.“ Warf Kammer ein und alle Augen richteten sich auf sie.
„Er ist vielleicht ein Profi darin sich unsichtbar zu machen, doch bis jetzt stand er noch nicht unter Druck. Wenn er Michaela tatsächlich entführt und noch nicht ermordet hat, macht er ja vielleicht einen Fehler, wenn wir die Daumenschrauben anziehen.“
Schweigen legte sich über den Raum.
„Das ist ein gefährliches Spiel, mit hohem Einsatz.“ Sagte Graling als erstes. „Wie sehen sie das?“ Wollte er von Greif wissen.
„Gehen wir einmal davon aus, dass er Michaela tatsächlich entführt hat. Der Killer tötet aus Neid, Michaela ist weder wohlhabend noch reich. Wenn er sie nicht gleich getötet hat, ist sie sicher, biss ihn der Hass auf die Menschen, die er verachtet, wieder zum Mörder werden lässt. Dann aber… Ich befürchte die Zeit, die Michaela in seiner Gefangenschaft überlebt, ist nicht allzu lange.
Je länger sie in seiner Gewalt ist, umso größer ist die Gefahr, dass er sie umbringt. Wenn sie ihn unter Druck setzen, bringt er sie vielleicht gleich um. Es ist ein Vabanquespiel.“
Jetzt wanderten alle Blicke zu mir. Das war die Scheiße daran Teamchef zu sein. Die Entscheidung lag bei mir. Hier ging es nicht um Sorokin, oder irgendwelchen anderen Abschaum, auf den ich verzichten konnte, hier ging es um ein junges Mädchen, dass entführt wurde, weil es uns helfen wollte. Schließlich raffte ich mich zu einer Entscheidung durch.
„Also gut! Setzten wir dem Scheißkerl zu!“

**

Dreißig Minuten später zog Kammer mit hunderten von Bildern los, auf denen Michaela zu sehen war.
„Geh zum Bahnhof und sprich mit Klara. Bringt die Bilder an den Mann. Ich will, dasd jeder Punk am Bahnhof ihr Gesicht kennt.“ Hatte ich zu Kammer gesagt.
Schaum zog ebenfalls mit einem Stapel Bilder los und erledigte dasselbe mit den Taxifahrern, denn auch unter diesen gab es Dinosaurier wie mich, die WhatsApp für ein asiatisches Gericht hielten.
Jetzt hatte ich noch ein Revier übrig…
Stephan hatte alle seine ganze Truppe zusammengetrommelt. Das Eros war bis zum Platzen voll. Abgesehen von ein paar „Leichtgewichten“ standen einige hundert Jahre Knast auf einem Haufen. Es war tatsächlich ein seltsames Bild. Auf der einen Seite Neun-Finger-Steph und seine Truppe, angeführt von Boris und Juri, auf der anderen Seite mein Team. Ich kam mir vor wie in einem Raubtiergehege, bei dem man die Trennzäune zwischen den Tigern und den Löwen entfernt hatte. Noch ging das gut…. Doch immerhin, noch vor ein paar Monaten, wäre ein solches Treffen nie zustande gekommen.
„KLAPPE HALTEN UND ZUHÖREN!“ Rief ich. Tatsächlich wurde es nach einer Minute ruhig.
„Ich nehme an, ihr wisst alle, um was es geht. Wir jagen den Kiezkiller. Gestern Abend hat er ein Mädchen entführt und wir denken, dass sie noch leben könnte.“ Während ich meine Ansage machte, verteilten Schaller und Kammer stapelweise Bilder von Michaela. „Ich will, dass jeder von Euch die Bilder an alle verteilt die er trifft. Ich will, dass an jeder Laterne, jeder Wand und jedem Baum ein Bild von ihr hängt!“
„Und was soll das?“ Rief einer.
„Wir wollen den Killer unter Druck setzten und hoffen, dass er einen Fehler macht. Bis jetzt hat er keine gemacht und ist uns durch die Lappen gegangen.“
„Du meinst er ist EUCH durch die Lappen gegangen.“ Rief ein anderer.
„Ja, nur bringt er keine Polizisten um, sondern euch und eure Kundschaft!“
Das führte zu einem lauten Palaver, bei dem alle durcheinander schimpften.
„SCHNAUZE!“ Brüllte Herzchen und sofort war Ruhe. „Ihr habt den Bullen gehört! Er hat das Kommando, bis wir das Schwein haben, ist das klar?!“
Keiner, nicht einmal Stephan und seine harte Truppe wagten zu widersprechen.
„Dann an die Arbeit!“ Befahl Herzchen.
Das Gewühl löste sich auf und das Eros leerte sich. Schließlich blieben nur Herzchen, Steph, und Boris bei mir.
„Die ist schon klar, dass du mit dem Leben dieses Mädchen spielst? Was wenn er sie auf deinen Druck hin umbringt?“ Fragte Steph.
„Es ist die einzige Chance, die ich sehe, an ihm heranzukommen.“
„Ziemlich dürftig.“
„Wenn deine Chips alle auf dem Tisch liegen und du ein miserables Blatt hast, musst du eben bluffen und das Beste hoffen. Und jetzt zu dir!“
„Was hast du denn jetzt schon wieder?“
„Ich muss wissen, was Roya gesehen hat! Sie ist die einzige Zeugin, die noch etwas sagen kann. Entweder sie packt langsam aus, oder ich buchte sie ein und es ist mir egal, wie sehr Nela sie mag. Hier geht es um einen Serienmörder. Sieh zu, dass Nela sie zum Reden bringt!“

**

Michaela saß angekettet in einem dunklen, feuchten Keller. Wie lange sie schon hier saß, konnte sie nicht mehr sagen, jedes Zeitgefühl war verlorengegangen. Sie hatte Hunger, Durst und alle Glieder taten weh.
Die Handschellen, mit denen sie die Wand gekettet war, ließen ihr nur wenig Spielraum, vielleicht sie hätte es geschafft, den Sack, den ihr Entführer ihr über den Kopf gestreift hatte, vom Kopf zu ziehen, doch Michaela war klug genug es nicht darauf anzulegen.
Als sich in der Nähe eine Tür öffnete, schrak sie hoch. Schritte näherten sich und jemand blieb vor ihr stehen.
Schließlich zog ihr dieser Jemand den Sack vom Kopf. Nur langsam gewöhnten sich Ihre Augen an das schummrige Licht. Im Halbdunkel konnte sie einen Mann erkennen, der vor ihr stand.
Der ging vor ihr in die Hocke und Michaela sah lediglich zwei Augen, die aus einer Sturmhaube hervorschauten.
„Was wollen sie von mir?“ Fragte sie ängstlich, doch die Antwort kannte sie schon. Sie erkannte den Mann aus dem Park sofort wieder. Panik breitete sich in ihr aus, doch unter einer unglaublichen Anstrengung schaffte sie es, diese zu unterdrücken.
Wortlos schob ihr der Mann eine Plastikflasche mit Wasser zu, dazu ein Stück Brot. Zögerlich griff Michaela die Flasche und trank einen kleinen Schluck. Das Brot rührte sie nicht an und suchte gleich wieder Schutz in ihrer Ecke.
Ihr Entführer ging wortlos zur Tür und holte einen Gegenstand herein, den er an die Wand gegenüber, unerreichbar für Michaela hinlegte.
Als die den Gegenstand erkannte, übernahm die Panik die Kontrolle. Sie riss an den Ketten und schürfte sich die Handgelenke auf, was aber auch den einzigen Effekt darstellte.
Immer noch schweigend trat der Mann zu ihr, zog ihr den Sack wieder über den Kopf und ließ sie allein.
Heulend saß Michaela da und verlor alle Hoffnung, denn der Gegenstand den ihr Entführer mit voller Absicht gezeigt hatte nichts anderes als ein Baseballschläger!

**

Kilian war nach wie vor davon felsenfest überzeugt, dass der Killer nur aus purem Neid mordete. Aus Neid am Geld und am Erfolg anderer? Für mich jedenfalls ergab das alles keinen Sinn.
Sogar noch dem Dümmsten unter uns war doch sonnenklar, dass die Girls da draußen auf der Meile in einer Woche mehr Kohle machten als jeder dieser Normalos in einem oder zwei Monaten. Sollte ihm das nicht bald zu seinem Verhängnis werden und ihn irgendwann wie von ganz allein direkt in unsere Hände treiben?
Na ja, immer vorausgesetzt, die Mädchen hatten genug Holz vor der Hütte und sahen besonders sexy aus. Dann spielte auch plötzlich das Geld, wenigstens für so manchen Freier nur noch eine belanglose Nebenrolle und diese Kiezgören wussten verdammt ganz genau, wie man diesen geilen Säcken die Kohle aus der Tasche zog.
Ja, so lief halt das Spiel hier auf dem Kiez und komplett auf der Strecke blieben die Junkies und die, für die die Zeit hier bald abgelaufen war.
Denn soviel lernte selbst ich hier. Ein Leben lang hielt man das nicht aus. Und darum zogen einige von selbst irgendwann die Notbremse, packten ihren Sachen und machten sich über Nacht einfach aus dem Staub , um irgendwo anders ein völlig neues Leben zu beginnen.
In einer anderen Stadt und manchmal, wie man sogar ganz nebenbei erfuhr, in einem anderen Land, was gerade mir besonders imponierte. Es dauerte auch nicht lange, bis andere Mädchen aufkreuzten, um ihre Plätze einzunehmen.
Häufig waren sehr junge Mädchen, aus Osteuropa oder Russland, gelockt vom schnellen Geld und bis hierher verschleppt. Von dubiosen Schleusertypen, die ihnen das Paradies versprachen, um sie nachher an den nächsten Zuhälter zu verticken.
Viele von ihnen wurden gefoltert und hundertmal vergewaltigt, bis sie letztendlich hier auf der Meile oder am Bahnhof auf dem Straßenstrich landeten.
Zugegeben, so manche bewunderte ich ein wenig für den Entschluss, einfach die Klamotten hin zu schmeißen und fort waren sie. Wenn das auch für das ein oder andere Mädchen ziemlich böse ausgehen konnte. Noch vor ein paar Tagen fand man erst wieder kurz vor der polnischen Grenze zwei junge Frauen, die zuerst brutal misshandelt und danach mit Kabelbindern um ihren Hals erdrosselt wurden, nur weil sie versuchten abzuhauen.
Eine ziemlich brutale Methode, ihnen auf die Weise das Licht auszuschalten. Wurden diese Teile erst einmal um ihre schlanken, weiche Hälse gelegt und bis zum Anschlag zugezogen, dauerte es eine ganze Weile, bist sie langsam und qualvoll erstickten.
Freiwillig ließen die Luden sie jedenfalls nicht gehen. Kaum war die eine weg, klingelte es nicht mehr in der Kasse und schon war der nächste Zoff oder Mord bereits vorprogrammiert.
Dazu kamen hier noch haufenweise die Dealer und ihre dubiosen Zwischenhändler. Meist eher unauffällige Gestalten, die man nicht an ihren verblödeten Gesichtern erkannte. Die Kohle aber trugen lässig in der Hosentaschen, dass diese sich schon ausbeulten.
Da würde ich doch sagen, hatte man es schon mit einer Bande Albaner, wie die von Tarek Belisha schon einfacher.
Diese Kerle hörte man schon vom weitem Poltern und man wartete nur noch einfach, bis sie einem unter die Augen traten und drohten, dir den Arm zu brechen oder eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn man nicht genau das tat, was sie von einem verlangten.
Und wenn man den Gerüchten hier glaubte, so hörte man es schon wieder munkeln, dass sich Tareks Leute erneut formierten, um Rache an mir vor allem für Leona Levanaj, seiner Komplizin zu nehmen.
Alle Achtung! Da hatte Judith, Kilians Augenstern wirklich ganze Arbeit geleistet. Und das gleich bei ihrem ersten Versuch, eine Waffe abzuziehen. Ich erinnerte mich noch an das Bild, wie ihr der Schädel aufplatzte, als die Kugel in ihre Stirn einschlug und sie blutüberströmt zu Boden ging.
Wieder mal nur der Beweis dafür, das der noch so sicherste und härteste Knast seine undichten Stellen hatte. Bestechung und Korruption gehörten da zur Tagesordnung und wie auch hier auf dem Kiez ging es dabei um Macht und Kohle.
Doch Gerüchte und Tratsch gehörten einfach zum Kiez wie die Kanone unter dem Tresen. Vielleicht gab es deswegen keine Zeitungen hier weit und breit. Entweder war etwas dran oder eben nicht. Wirklich wissen tat das hier niemand.
„Lass sie nur kommen.“ Prahlte Herzchen dann meist mit seiner Asservatenkammer hinter der „Schatulle“.
Noch immer lagen dort, gesichert vor fremden Gemütern Kriegswaffen, mit denen man eine kleine Armee hätte ausrüsten können. Hauptsache wir wussten, woher das ganze Zeug kam.
Kilian selbst kniff dabei ein gewaltiges Auge zu. Man konnte halt nicht wissen,wer es wagte, uns nochmal gewaltig den Arsch aufzureißen. Und der ganze Kram fraß kein Brot, also blieb alles genau schön dort wo es war.
Doch erregt und auch ziemlich stocksauer darüber, dass wir immer noch in einem Labyrinth herum irrten, setzten mich Boris und Jurij vor unserer Villa ab.
Müsste ich mir wirklich Sorgen darüber machen, dass dieser Kerl irgendwann hier auftauchte? Genau hier an dieser Stelle? Vor dem schmiedeeisernen Tor, das man durchqueren musste, um bis vor die Tür unserer Villa zu gelangen?
Es beruhigte mich schon sehr, diesen beiden Kampfmaschinen das Kommando unserer Truppe übertragen zu haben. Und natürlich, dass Nela, wenn es passieren würde, mit ihrer Glock 17 Kal. 9mm ihm glatt die Kniescheibe wegschießen würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Und neuerdings, wenn es darum ging, das besonders Roya eventuell in Gefahr war, rastete sie sowieso vollständig aus. Wer also Nina oder Roya zu Nahe kam, hatte mit ihr ein schweres Los. Geschweige es passierte wirklich etwas und jemand ging den beiden wirklich an die Kehle. Ich schätzte, es gäbe ein Blutbad, ein furchtbares Gemetzel.
Das war nun einmal sicher und das wusste auch Kilian, der Roya gerne mal zu einem gründlichen Verhör in die Mangel genommen hätte.
„Die Kleine weiß mehr als sie uns hier verklickert.“ Hetzte er ständig mit seinem Gerede die gesamte Meute auf. Einfach überzeugt, davon dass sie uns anlog.
„Lass sie einfach in Ruhe. Wenn sie etwas weiß oder wirklich was gesehen hat, dann kommt sie damit zu mir.“ Fiel ich Kilian dann entschieden ins Wort.
„Dann kümmere dich um sie. Ich meinte kümmern oder vernaschst du sie jetzt auch schon?“ War dann meist seine Antwort, wenn auch er keinen Rat mehr wusste, wie dieses Spiel hier noch mal endete.
Selten zwar, dass ihm die Argumente ausgingen, aber es kam halt vor. Und dann war er einfach noch zum kotzen. Vielleicht lag es aber auch an diesen Druckmachern bei seiner Kripo, die ihm mächtig auf den Fersen waren. Mir war es egal. Meine Gedanken jedenfalls jetzt hier draußen waren komplett andere.
Ich schaute mich also noch einmal um, doch alles war ruhig. Fast schon zu ruhig, wenn ich darüber nachdachte, was die Jungs vom Kiez von mir erwarteten.
„Wann schnappst du ihn dir endlich?“ Wetterten sie ständig.
„Regel das, sonst hast du bald ein Problem hier.“ Drohten die Bar und Clubbesitzer mit ernster Miene, dass es einem so manches mal heiß und kalt werden konnte.
Doch morgen war ein neuer Tag und ich hoffte einfach bis dahin, dass die Nacht weiterhin ruhig blieb.
– Bitte einmal eine Nacht, ohne dass gleich die Alarmglocken los schepperten und irgendwo gab es das nächste Opfer – rauschte es mir durch den Kopf.
Der Rest war einfach nur noch mein kaum noch auszuhaltendes Verlangen auf Nina, dass ich schon so oft versuchte, vor den anderen zu unterdrücken. Die Nacht mit ihr war wieder ein einziges Geben und Nehmen. Eng umschlungen liebten und küssten wir uns als hätten wir dringend etwas nachzuholen.
„Nur noch ein paar Tage, dann ist es soweit.“ Flüsterte sie, lächelte mich an und strich mir dabei über die Wange.
Ich liebe Dich Nina, das weißt du doch.“ Erwiderte ich und verschloss ihren Mund mit meinen Fingern.
„Versprich mir bitte, dass wir von hier weggehen werden.“ Ihr sehnsuchtsvoller Glanz in ihren Augen sprach Bände.
„Ich schwöre es dir. Die Zeit wird kommen und dann sind wir weg. Wir vier, Nela und Roya.“ Versprach ich es ihr. Nein, ich schwor es ihr, wie halt schon so oft. Die Welt da draußen und wir zwei war einfach zu verschieden.
Den Morgen darauf stand ich wieder mit zerknittertem Gesicht vor meiner Tür. Pünktlich auf die Minute warteten bereits Boris und Jurij in unserem olivgrünen Chevy Blazer. Auch dieser Tag begann wie ein niemals endender Alptraum.
„Und gibt es etwas Neues?“ Begrüßte ich die zwei.
„Nein nichts, absolut nichts.“ Antwortete Boris. Ich wusste, dass sie seit Stunden Himmel und Erde in Bewegung setzten auf der Suche nach unserem Mann, während ich die gestrige Nacht damit verbrachte, Nina in meinen Armen zu halten. Für die beiden Exsöldner war das aber okay und wenn jemanden das nicht passte, konnte er eben gehen.
„Halt Stop! Lenkte Jurij ein. „Vielleicht hat Kilian eine Spur.“
„Raus mit der Sprache. Was ist da los?“ Forderte ich ihn auf, seinen Mund aufzumachen.
„Nichts Genaues außer dass Leute von der Drogenfahndung in seinem Team herum schwirren.“ Erklärte Jurij zu meinem Unverständnis.
„Drogenfahndung? Fragte ich. „Was wollen die denn? Wir suchen einen Killer. Mit den Dealern werden wir auch so fertig.“
Kilian hatte, wie ich sogleich erfuhr, plötzlich ein großes Herz für ein nicht unbekanntes Pärchen in der Drogenszene. Jedenfalls waren Marc und Michaela Spreier bis zum heutigen Tage für mich nicht mehr als zwei unbeschriebene Blätter. Doch ich verließ da doch mehr auf sein Fingerspitzengefühl, sollten die beiden wirklich was in der Mordnacht, in der man Brigitte Roth den Schädel einschlug, gesehen haben.
Ich war mir da jedenfalls nicht so sicher, wie ein Junkie wie dieser Marc, der dazu kurz vor seinem goldenen Schuss stand, uns einen Mörder ausliefern sollte. Bei Michaela, die sich da schon mehr unter Kontrolle hatte, sah ich da schon eher die Lebensgefahr, in der sie sich befand.
Die Drogenszene jedoch am Bahnhof, zu der Michaela von Zeit zu Zeit Kontakt hatte, war dann doch Kilians Aufgabe.
Boris, Jurij,Herzchen und ich konzentrierten uns zur gleichen Zeit weiterhin auf die Bars und Clubs mit einem ganz besonderen Augenmerk auf den Sperrbezirk. Trotz dieser beschissenen Kälte, die sich bereits nachts über der Gegend breitmachte, kochte die Stimmung unter den Mädchen.
Ein wahrer Machtkampf um die Freier, den sie hier so manches mal austrugen. In manchen Nächten verging kaum eine Stunde, ohne dass eine der Girls an der Tür der „Schatulle“ bollerte und den nächsten Großalarm auslöste.
Mit der geladenen Kanone im Hosenbund oder im Halfter unter der Jacke rückten ein paar der Jungs aus, denn jeder Zeit, jede Minute oder auch jede Sekunde könnte er wieder zuschlagen.
Doch wie so oft Fehlalarm. Wiedermal nur ein paar Halbstarke, die die Party bestellten, aber nicht zahlen wollten. Ohne mit der Wimper zu zucken setzten wir sie schnurstracks mit einem gewaltigen Arschtritt auf die Luft und schon war auch wieder Ruhe im Dorf.
Nerviger waren das schon diese perversen Kerle, die sich gerne mal selbst als der „Nutten-Schlitzer“ ausgaben und die Mädchen auf offener Straße bedrohten.
Würde mich nicht wirklich wundern, wenn es da mal auf dem Kiez irgendwann  richtig qualmte. Ein paar von den Mädels da draußen traute ich es durchaus zu, dem nächsten Möchtegernkiller die Hosen runter zuziehen,um ihm mit der kalten Klinge an den Eiern zu kitzeln.
Und ein gewisses Schmunzeln konnte ich mir bei dieser Vorstellung einfach nicht verkneifen. Aus dem Abend wurde Nacht und Kilian saß zur selben Zeit immer noch in seinem Büro des Präsidiums und wälzte wie besessen Akten auf der Suche nach einem Täterprofil.
Doch immer dieselben Erkenntnisse, die uns immer noch nicht auf seine Spur brachten. Ein Killer, der sich seine Opfer nicht zufällig aussuchte. Na gut, wenigstens so weit waren wir uns alle einig.
Ich beschloss dagegen den Rest des Abend allein zu verbringen, bis mich Boris und Jurij irgendwann in den frühen Morgenstunden nach Hause kutschierten.
Vielleicht nochmal auf einen Sprung runter ins „Eros“ aber dann war für heute endlich Schicht im Schacht, denn ich versprach Nina die Nacht mit ihr zusammen verbringen.
Nela und Roya, die zu Hause ein Auge auf Nina und Emily hatten, standen heute nicht hinter der Bar. Ich vermutete, die drei hatten jetzt gerade eine Menge Spaß auf unserer Spielwiese. Dafür aber Judith und ihre Kollegin Janssen, die in ihren Dessous doch tatsächlich für einige hier zu einem echten Blickfang wurden.

Kilian versetzte mich doch so manches mal immer wieder in Erstaunen. Na ja, irgendetwas musste er ihr wohl versprechen, dass sie ihm so hörig war. Auf jeden Fall so wie die beiden Frauen hier heute Nacht im „Eros“ aufschlugen, waren die zwei wirklich ein echter Hingucker.
Sicher nicht einfach von einem Bullengehalt und ich fragte mich,wer ihm da wohl den richtigen Tip gab.
– Na warte Nela – schoss es mir sogleich durch den Kopf, setzte mich an die Bar und lächelte den beiden zu.Ich bestellte einen Wild Russian auf Eis und beobachtete Judiths flinke Hände bei der Arbeit.
Als Lockvogel der Kripo machten Judith und diese Janssen wirklich eine verdammt gute Figur und langsam begann sie mir auf eine merkwürdige Art und Weise zu imponieren. Nicht sogar zuletzt für ihre Offenheit gegenüber Nina, nach der sie sich dauernd erkundigte.
Ob das gleich das Ende der Eiszeit zwischen den beiden war, wagte ich erst einmal zu bezweifeln. Ich schätzte, dass es wohl noch eine Zeit dauern würde, bis wir gelernt hätten, miteinander umzugehen. Aber deswegen gleich auf ihren Gefühlen für Kilian herum zu trampeln, lag mir sicher mehr als fern.
„Das gleiche nochmal.“ Orderte ich den nächsten Drink. Der Wild Russian auf  Eis, mit einem ordentlichen Schuss Wodka, war das Highlight im Eros.
„Für mich das gleiche bitte.“ Unterbrach der Typ in dem feinen Zwirn gleich neben mir unseren Smalltalk.
Die Drinks wurden serviert und gemeinsam erhoben wir unsere Gläser auf die langsam ausklingende Nacht. Sein eleganter Aufzug erschien mir zwar etwas unpassend für dieses Etablissement zu sein, doch seine guten Manieren machten doch einen gewissen Eindruck bei den Frauen.
Seelenruhig genoss er seinen Zigarillo und paffte das Teil, ohne den Rauch auch nur ein einziges mal zu inhalieren, so dass fast sein halber Körper und sein Gesicht in dem ständig wechselndem, knallbunten Licht einnebelte. Seine Blicke kreisten regungslos durch den Saal und schienen jeden Winkel zu erfassen, als suchte er nach etwas bestimmten.
Prompt dachte ich sofort an Kilians Worte. Jeder dieser Leute hier könnte der Killer sein und bei den Frauen unter seinen Opfern tötete er nach dem selben Schema. Er vergewaltigte sie, erdrosselte sie und zertrümmerte ihre Gesichter mit einem schweren Stein.
Doch ein Mann wie dieser Typ ein potentieller Mörder? Aus meiner geringen Distanz  betrachtete ich seine gepflegten Hände, sein gut frisiertes Haar und warf sogar unauffällig einen Blick in sein frisch rasiertes Gesicht. Sein ständiger Griff in die Innentaschen seines Jackets machte mich dennoch etwas stutzig. Zwischen einer Unmenge an Zetteln und ein paar kleineren Geldscheinen, die er auf diese Weise mit sich herumtrug, befand sich eine Fotografie, die er immer wieder aufs Neue betrachtete.
„Die Freundin? Hübsches Mädchen.“ Versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. Ich griff mir das Foto, dass er mir freizügig zeigte, betrachtete es eine Weile, doch das Gesicht hatte ich hier auf dem Kiez noch nie gesehen.

„Schon möglich. Seit ein paar Tagen ist sie spurlos verschwunden.“ Antworte er verzweifelt.
„Okay! Bist du ein Bulle oder sowas?“ Legte ich neugierig nach.
„Ein Bulle? Sehe ich etwas aus wie ein Bulle?“ Stutzte er.
„Keine Ahnung. Wie sieht den ein Bulle aus?“ Mit einem Blick aus gutem Grund herüber zu Judith und ihrer Kollegin Janssen konnte ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
Wir wandten uns zurück zur Bar und er bot mir einen seiner Zigarillos an. An der Aufschrift Romeo y Julieta erkannte ich gleich, dass es sich um eine kubanische Tabaksorte handelte. Na ja, eine Zeit lang gehörte dieses Kraut auch zu meinem Inventar. Bis ich einfach irgendwann der Meinung war, dass diese Kommunisten einfach keine Ahnung von gutem Tabak hatten. Ansichtssache halt, doch ich ließ mich nicht lumpen.
Paffend saßen wir da und bestellten noch einen weiteren Wild Russian auf Eis. So wie es tatsächlich aussah, hatte mein neuer Freund hier ein kleines Problem. Und nach dem dritten Glas, zeigte der Alkohol seine Wirkung und löste plötzlich seine Zunge. Die Frau verschwunden und auch sonst, wie sich herausstellte ziemlich pleite, lud ich ihn an diesen Abend ein.
Vielleicht wollte er einfach nur quatschen. Ich ließ ihn, ein Stück weit jedoch in der Hoffnung, er wäre unser Mann. Dazu besessen von dem Gedanken, genau wie Kilian und die anderen Jungs, diesen skrupellosen Killer endgültig fest zu nageln und ihm jede Gräte einzeln zu brechen.
„Wir halten hier mal ein Auge auf die Kleine.“ Versprach ich im und übergab das Foto dieses Mädchens an Judith, die es kopfschüttelnd unter der Bar deponierte. „Ich hoffe, das geht doch klar mein Freund?“ Grinste ich etwas verachtend und prostete ihm zu.
„Ja schon klar.“ Ein wenig verwundert über meine Dreistigkeit räusperte sich die Nase.
Ich dagegen sah in schweigend an und mit einem tiefen Zug an dem Zigarillo nickte ich mit dem Kopf und begann, mir dabei sein Gesicht tief einzuprägen. Jeden seiner Züge, auch die kleine, frische Narbe auf seiner Gesichtshälfte, die mir erst jetzt gerade auffiel.
Verstrickte ich mich da gerade in irgendwas oder brauchte ich nur unbedingt einen Schuldigen und diese Morde wären für immer vom Tisch? Und dieser arme, verzweifelte Kerl war eben nur zur falschen Zeit an falschen Ort?
Mit einem Blick zum hell erleuchtetem, glitzernden Eingang sah ich Boris und Jurij heran walzen.
Unbeirrt von der johlenden Menschenmenge, als sich ein paar Girls beim Striptease bis auf ihre nackte Haut entblätterten, bahnten sich die zwei eine Schneise bis zu uns direkt an die Bar.
Manchmal reichte eben nur ein flüchtiger Blick in ihre Gesichter und ich spürte sofort, dass da irgendwas in der Luft lag.
Besser ich bereitete mich darauf vor, dass Kilian spätestens morgen früh die ganze Crew in der „Schatulle“ zusammen trommelte.
– Doch Morgen ist halt Morgen und heute Nacht ist heute Nacht – Alle meine Gedanken gehörten jetzt nur noch der Frau, die ich so abgöttisch liebte, dass es mich schon fast zerriss.
Ich trank aus, schlug meiner flüchtigen Bekanntschaft zum Abschied auf die Schultern und machte mich mit Boris und Jurij auf den Weg.
„Wir warten noch, bis er raus kommt.“ Orderte ich Boris, der das Steuer des Chevy Blazer übernommen hatte.

„Irgendwas nicht in Ordnung?“ Fragte Jurij.
„Der Typ vorhin an der Bar. Da vorne ist er. Er kommt heraus.“
„Was ist mit ihm? Sollen wir ihm im Auge behalten?“ Schlug Boris vor.
„Ja vielleicht, ist nur so ein Gefühl. Fahrt ihm ein Stück hinterher. Ich will wissen, wohin er will.“
Im sicheren Abstand folgten wir ihm eine Weile und beobachteten ihn noch solange, bis wir ihn in einer schmalen Seitenstraße der Meile nicht mehr folgen konnten und ihn dann endgültig aus den Augen verloren.
„Er sucht hier nach einer Frau. Vielleicht ist sie hier auf dem Kiez abgetaucht. Ein Bild von der Lady liegt hinter der Bar im „Eros“. Haltet einfach nur mal so die Augen auf. Ich schätze, er wird hier schon bald wieder auftauchen. Und jetzt drück auf die Tube. Ich habs eilig.“
Nur Minuten später waren wir unterwegs. Ich zu Nina und Boris und Jurij?
Warum hatte ich eigentlich meine treuen Gefährten nicht ein einziges mal gefragt, wie sie sich eigentlich die Nächte um die Ohren schlugen?  Auf jeden Fall hatten sie in diesen bereits frühen Morgenstunden ein mörderisches Vergnügen, mich im Schneckentempo und auf Schleichpfaden und Umwegen durch die halbe Stadt, aber dann doch noch bis vor unsere Villa zu kutschieren.
„Hey Jungs, das Gaspedal ist ganz rechts!“ Klärte ich die beiden auf. Doch ich ließ ihnen ihren höllischen Spaß, den sie zweifellos hatten, mich ausgerechnet jetzt mächtig auf die Folter zu spannen.
Bis auf Chloe, unserem Hausmädchen hatte niemand mein Erscheinen bemerkt und auch sonst war es im Hause totenstill. Im Licht der ersten Morgendämmerung, die durch das Fenster das Schlafzimmer erhellte, sah ich Nina halbnackt auf dem Bett liegen. Erst jetzt wurde mir wieder bewusst, wie wenig Zeit wir hatten um sie gemeinsam mit Emily zu verbringen und wie sehr die beiden mir fehlten. Ohne sie zu wecken legte ich mich zu ihr auf die Matratze, zog mir die Decke bis an die Ohren und meinen Arm um sie geschlungen versuchte etwas zu schlafen.
Ich genoss ihre samtweiche Haut und den Geruch ihres Körpers. Dann erwachte sie doch, drehte sich zu mir und mit ihrer Hand strich sie durch mein Gesicht.
„Es wird schon gleich hell, aber schlaf weiter.“ Flüsterte ich ihr zu.
„Hey, seit wann bist du da. Kannst du bleiben?“ Erwiderte Nina mit leiser, sanfter Stimme.
„Erst mal schon. Sicher wird es eine Zeit lang dauern, bis Kilian sich bei mir meldet.“ Erklärte ich und streichelte sanft über ihren Babybauch.
Beim ersten Tageslicht öffnete sich unvermittelt die Schlafzimmertür uns Nela und Roya betraten gähnend das Schlafzimmer.
„Hey du bist ja hier. Wollten gerade mal nach Nina sehen.“ Mit einem neckischen Lächeln auf ihren Gesichter kuschelten sie sich zu uns. Besser ich gewöhnte mich daran und unsere Spielwiese war mal wieder komplett ausgebucht.
Später beim gemeinsamen Frühstück berichtete ich von meiner nächtlichen Begegnung im „Eros“.
„Wir sollten jeden Hinweis ernst nehmen. Irgendwas oder irgendwen suchte dieser Typ.“ Mahnte ich die zwei zur Vorsicht. Ich versuchte, ihn zu beschreiben, einen Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren, sehr gepflegt, doch Roya schüttelte nur den Kopf.
„Jetzt mal ganz langsam und von vorne.“ Warf Nela ein. „Du denkst, er ist wieder aufgetaucht und lästige Zeugen zu beseitigen?“
Ich nickte. „Ja genau das.“

„Und was denken die Bullen?“ Erwiderte Nela.
„Schätzte Kilian ist ebenfalls davon überzeugt, wenn wirklich feststeht, dass Roya nichts gesehen hat. Aber keine Sorge, das regele ich schon mit ihm. Du passt weiter auf sie auf und Boris und Jurij machen hier ihre Runden.“
„Besser sie wissen, was passiert, wenn jemand Roya oder Nina versucht anzurühren.“ Machte Nela klar.

Ich lachte und nickte. „Ja Nela, sie wissen es. Sie wissen es alle ganz genau. Darum ist sie nur hier bei uns am sichersten und hier bleibt sie. Uns zwar für immer, bis das hier alles vorbei ist. Und wenn wir irgendwann von hier abhauen, kommt sie natürlich mit.“ Nicht ganz unerwartet fiel Nela mir um den Hals und küsste mich auf meine Wange.
Je mehr wir darüber nachdachten, je mehr schloss auch ich mich Kilians Theorie an, dass der Killer seine Opfer nicht kannte.
Nein, er studierte sie, beobachtete sie erst eine ganze Weile, bis er dann endlich zuschlug. Und mit Gold-Gerd, der Schillerfigur auf dem Kiez hatte er ein leichtes Spiel. Und dennoch gab es Fragen über Fragen, die wir uns nicht erklären konnten:
– Was hatte Gerd in dieser Nacht im Park verloren, obwohl er, doch in jeder Bar und im jeden Club auf der Meile ein gern gesehener Stammgast war? –
– Und wem begegnete er dort? Was sah er und wer war dieser Mann, der ihm und Lara Gawitter nachher zum Verhängnis werden sollte? –
– Und warum riskierte es dieser Kerl, bereits nach so kurze Zeit einen weiteren Mord an Brigitte Roth zu begehen? –
Nur ein Perfektionist wie er konnte so vorgehen. Ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Wandelbar, veränderbar, jeden Tag verborgen in einer anderen Person und niemand hier bemerkte auch nur das Geringste.
Vielleicht sogar nicht mal, wenn er direkt unter uns wäre. Der Druck, der auf allen lastete, wurde mit der Zeit unerträglich. Und wie ich auch schon bereits vermutete, klingelte mein Handy  und Kilian orderte mich zum Treffpunkt.
„Besser Roya und ich bleiben hier bei Nina.“ Entschied Nela. Denn so wie es aussah, setzten bald bei ihr die ersten Wehen ein. Jeden Moment konnte es soweit sein.
Ich nahm sie vorsichtig in meine Arme, küsste sie und spürte, wie sich ihre Nägel in meine Arme krallten. Bis sie jedoch plötzlich nach Luft rang und die zwei sie zurück ins Schlafzimmer brachten und dort keinen Zentimeter mehr von ihrer Seite wichen.
Draußen warteten bereits wie bestellt Boris und Jurij mit laufender Maschine im Chevy und droschen, was das Zeug hielt mit der alten Karre durch den Verkehr schnurstracks zur „Schatulle“.
Ich erkannte dieses Häufchen Elend sofort, als Herzchen mich an der Tür empfing und herein ließ. Es war dieser Marc Spreier, ein kiezbekannter Kleindealer und bessere Hälfte, wenn man dass überhaupt noch so sagen konnte von Michaela Spreier.

Für Kilian waren die beiden  jedoch die Schlüsselfiguren zu unserem Mann. Eine Zeit lang schien es wirklich so, als wären sie die Einzigen, die in jener Nacht was gesehen oder gehört hatten. Vielleicht sogar, obwohl es dunkel war sein Gesicht. Wie für viele aus der Drogenszene war der Park eben ein perfektes Nachtlager und sicheres Versteck für die Nacht.
Uns allen stand das Grauen in unseren Gesichtern, als Kilian uns darüber informierte, dass er Michaela in seine Gewalt gebracht und verschleppt hatte. Fast hasste ich ihn dafür, aber Kilian bestand auf seine Strategie und setzte doch tatsächlich auf Zeit. Nur allein die Suche nach Michaela führte uns auch zu ihm und die Falle schnappte endgültig zu.
Überzeugt davon und dennoch ständig mit der absoluten Gewissheit, dass es sie töten würde, wenn es uns nicht sehr bald gelänge herauszukriegen, wo genau er sie versteckt hielt. Und so wie wir einschätzten, würde er sich damit alle Zeit der Welt lassen und besonders grausam und qualvoll vorgehen.
„Oder ist das wieder so eine Sackgasse, in der er uns locken will.“ Fragte ich Kilian.
„Dieses mal nicht.“ Entgegnete Kilian überzeugt von seinem Plan. „Und dieses mal macht er bestimmt einen Fehler.“
„Was macht dich da so verdammt sicher?“ Fragte ich ihn.
„Ja Kilian, wenn du etwas weißt, dann spuck es aus.“ Forderte ihn der Rest der versammelten Truppe.
„Ich merke schon, warum ich der Leiter einer Soko bin und nicht einer von euch Strauchdieben.“ Typisch Kilian. Wenn es jetzt tatsächlich nach Herzchen gegangen wäre, stand mein Freund Kilian jetzt gerade kurz vor dem goldenen Löffel.
„Ja spürt ihr das denn nicht? Oder was geht da vor euren Schädeln.“ Alle Achtung, Mut hatte er ja, obwohl die Hütte bereits brodelte.
„Er will doch, dass wir ihn kriegen. Das gehört zu seinem Spiel, dass er mit uns treibt.“ Fuhr er fort.
„Ein Spiel?“ Unterbrach Herzchen die Runde. „Das ist aber ein verflucht gefährliches Spiel. Und dieses mal mit einem sehr bösen Ausgang für ihn allein.“
„Du spielst auch gerne Kilian. Und diesmal mit dem Leben anderer.“ Erwiderte ich und kehrte ihm etwas verachtend den Rücken zu.
„Falsch. Er hält sich nur für jemanden von der cleveren Sorte. Und er ist schon wieder ganz in unserer Nähe. Vielleicht sogar noch näher, als jeder Einzelne hier von euch denkt.“
Eisiges Schweigen unterbrach unsere gerade noch so lebhafte Runde. Von einer zur anderen Sekunde herrschte in der „Schatulle“ ein Gespensterhafte Stille. Jeder betrachtete jeden und ich hoffte, Kilian hatte unrecht.
Der Mörder ist unter uns? Mir verschlug es den Atem und erst als die Aufgaben verteilt waren, war wieder so etwas wie ein Atmen und ein Geraune zu vernehmen.
Die Drogenszene übernahm und gehörte ab sofort Kilians Soko allein. Aber auch wir wollten versuchen, jedenfalls so unauffällig wie nur möglich ein paar Fotos von Michaela auf der Meile zu verteilen.

Ein paar Stunden später, kurz bevor der Kiez wie gewohnt zum Leben erweckte, versammelten wir uns erneut in Herzchens Bar.
Diesmal war es Kilian, der noch fehlte und etwas verspätet in Begleitung von Judith und seiner Kollegin Janssen eintrudelte. Und diesmal war der Grund unseres außerplanmäßigen Treffens auch ein ganz anderer.
„Verdammt noch mal, was kann es denn so Wichtiges geben, dass ihr mich hier her schleift? Oder habt ihr ihn etwa? Na, raus mit der Sprache. Was ist hier los, ihr Chorknaben.“
„Nun halt mal die Luft an, schnappt euch jeder ein Glas Champus und höre jetzt einmal zu. Einmal wenigstens. Kapiert Kilian?“ Ich wusste genau, wie schwer ihm das jetzt fiel, doch tatsächlich hielt er für die nächsten fünf Minuten seine Klappe und ich übernahm derweil für alle das Wort.
„Also Leute, ich mache kurz. Es ist wieder ein Mädchen und sie heißt Erin. Und jetzt lasst ihn uns endlich schnappen.“ Schon möglich, dass sie in dieser Nacht noch die Gläser auf die Geburt unserer Kleinen erhoben.
Ich dagegen befand mich mit meinen treuen Begleitern Boris und Jurij auf dem Weg ins Krankenhaus, wo mich Nela, Roya, sogar Chloe, unser Hausmädchen mit unserer Emily und natürlich meine Nina bereits erwarteten.

**

Die Tür ihres Verlieses ging auf und Michaelas Entführer trat wieder ein.
Seit drei Tagen saß sie in dem feuchten Keller, angekettet an der Wand. Nicht ein einziges Wort hatte er mit ihr geredet, nur angestarrt hatte er sie. Anfänglich hatte Michaela versucht ihn dazu zu bringen mit ihr zu reden, doch vergeblich.
Sie bekam Wasser und etwas zu Essen sowie einen Eimer für ihre Notdurft. Doch die Handschellen nahm er ihr nicht ein einziges Mal ab.
Dann kam er zu ihr und nahm den Baseballschläger! Michaela starb tausend Tode, als er mit dem Schläger vor ihr stand. Doch er drehte sich um, verließ mit dem Schläger ihr Gefängnis und ließ sie in der Dunkelheit zurück.
Ein paar Stunden später, wie viele stunden konnte Michaela, die jedes Zeitgefühl verloren hatte, nicht sagen, kam er zurück. Er legte den Baseballschläger zurück in Michaelas Sichtweite und ging wortlos wieder hinaus. Doch diesmal hatte er das Licht angelassen und im schummrigen Licht konnte Michaela sich den Schläger genau betrachten. An ihm klebten Haare und eine Menge Blut!

**

Wir prosteten Stephan zu und das allgemeine Schulterklopfen begann.
Während jeder der Anwesenden dem König auf die Schulter klopfte, beschlich mich die Frage, ob Steph seinen Kindern irgendwann erzählte, wie er zum König des Kiez wurde und das ihr Papa ein Killer war?
Es war schon ein seltsamer Kontrast. Einerseits Stephan der stolze Familienmensch, andererseits Neun-Finger-Steph der Kiezkönig.
Egal, das war sein Problem und so wartete ich, bis alle anderen fertig waren und gratulierte ihm.
„Herzlichen Glückwunsch.“
„Ich bin fast geneigt zu glauben, dass du das ehrlich meinst KB.“
„Ich meine es ehrlich.“
„Und?“
„Und was?“
„Wo bleibt die zynische Bemerkung? Das Heruntermachen? Du weißt schon, wo bleibt der Kotzbrocken?“
„Du kannst es nicht lassen, oder? Du musst…“
„Was, daran bist du selber schuld.“ Unterbrach er mich „Du bist eben ein Arsch, der keine Gelegenheit auslässt mich fertig zu machen.“
„Dein Nachwuchs kann nichts für die Differenzen zwischen uns. Ich wünsch deinen Kids wirklich alles Gute und wenn du deine Zeit hier abgeleistet hast, hoffe ich für sie, dass sie nicht wegen deinen oder den Aktivitäten deiner Frauen Schwierigkeiten bekommen.“
Wieder einmal mehr standen wir uns unversöhnlich gegenüber, als Herzchen zu uns trat. Wie ein alter Kumpel nahm er uns in die Mitte und legte uns die Arme über die Schulter. Nur das er uns nicht freundlich drückte, sondern fest packte und schmerzhaft in die Zange nahm.
Als Boris einen Schritt auf uns zu machte, blickte ihn Herzchen finster an und Boris blieb stehen.
„Jetzt passt mal auf, ihr zwei Arschlöcher.“ Brummte Herzchen, so leise, dass es von den anderen Gästen niemand mitbekam. „Uns steht die Kacke bis zum Hals. Dir mein lieber König steht eine Rebellion ins Haus. Die Clubbetreiber fragen sich, warum sie Schutzgeld zahlen sollen, wenn du nicht mal in der Lage bist einen Killer zu finden. Die Schaulustigen die herkommen um etwas „Krimiluft“ zu schnuppern, lassen hier kein Geld liegen, während die zahlende Kundschaft zurückgeht.
Und du Bulle, machst gefälligst deinen beschissenen Job und konzentrierst mehr darauf den Killer zu fassen, statt hier den Dicken zu machen.
Entweder ihr zwei rauft euch zusammen oder ich nehme euch beide auseinander! War das deutlich?“
„Ja.“ krächzte ich, während Steph schon violett anlief und nur nicken konnte.
„Gut so! Und jetzt mein König, herzlichen Glückwunsch!“

**

Das war deutlich! Herzchen hatte es auf den Punkt gebracht. Wir mussten und zusammenraufen. Keller saß Milewski im Genick und der würde irgendwann einen Erfolg vorweisen müssen.
Ganz abgesehen davon, dass Michaela noch immer verschwunden war. Dreieinhalb Tage war sie nun verschwunden und eine Leiche hatte man bis jetzt nicht gefunden. Das machte wenigstens ein bisschen Hoffnung, sie lebend zu finden.
Ich beschloss es, für heute gut sein zu lassen und nach Hause zu fahren. Als ich das Eros verließ und zum Wagen ging hörte ich eine Stimme hinter mir.
„He Bulle.“
Ich drehte mich um und sah Boris mit einem Kerl auf mich zukommen, also blieb ich stehen. Boris schien den Mann Überzeugen zu müssen mitzukommen, denn er hielt ihn fest am Arm gepackt.
„Der Kerl hat vielleicht etwas gesehen.“ Sagte Boris und stieß den Mann an.
„Vielleicht…Also ich hab das Auto gesehen, dass ihr sucht.“
„Wo?“ Wollte ich wissen.
„Es steht in der Vorstadt. Ich arbeite bei einer Umzugs Spedition. Ich habe heute eine Adresse angefahren und da stand gegenüber die Garage offen. Es ist genau der Pullmann den Neun-Finger-Steph suchen lässt.“
Als ich Boris beim Wort „Umzugs Spedition“ grinsen sah, wusste ich sofort, dass der Typ einen Einbruch meinte.
„Wo ist die Adresse?“
„Kastanien Allee 34.“
„Und wo fand der „Umzug“ statt?“
„Einunddreißig.“ Murmelte er.
„Ok, falls bei dem Umzug etwas verloren ging, wäre es gut, wenn man es wiederfinden würde. Am besten auf dem Parkplatz hinter der Wache. In dem Fall würde es sicher keine Ermittlungen geben. Klar?“
„Klar.“
Der Umzugshelfer machte kehrt und gab Fersengeld.
„Steph meinte, falls du gleich hinfährst, könnte ich mitkommen.“ Sagte Boris.
Ich ließ mir den Vorschlag durch den Kopf gehen. Entweder allein losziehen, oder jemanden aus meinem Team den Schlaf rauben. Oder…
„Steig ein.“
Wir fuhren durch die Stadt zur Kastanien Allee. Während der Fahrt sprach keiner von uns ein Wort. Was hätten wir uns auch erzählen sollen. Ich wollte gar nicht wissen was der ehemalige Söldner alles mitgemacht und erlebt hatte. Er und Jurij bildeten den harten Kern von Stephs Truppe, und ob ich wollte oder nicht, ich musste zugeben, dass sie ihre Arbeit gut machten.
Seit sie für Ordnung sorgten gab es keine Toten und auch keine Schwerverletzten. Klar gingen die beiden bei einer Messerstecherei nicht zimperlich vor. Doch ein gebrochener Kiefer und ein kaputter Arm waren der Standard. Und ganz ehrlich, derjenige der mit einem Messer auf mich losging, konnte vom Glück sagen, wenn er mit einem gebrochenen Arm davon kam.
Im Gegenzug wollte Boris auch nichts von mir wissen. Er wusste wahrscheinlich besser über mich Bescheid als sein Chef.
Ich bog in die Kastanien Allee ein und suchte die Nummer vierunddreißig.
„Da!“ Boris zeigte auf ein freistehendes Haus, mit einem großen Vorgarten mit einigen hohen Bäumen dazwischen. Im Haus selber waren alle Fenster dunkel, was auch bei dieser Uhrzeit normal war. Als ich langsam am Haus vorbeifuhr konnte ich seitlich neben dem Haus eine offene Garage sehen in der tatsächlich ein Pullmann stand.
„Treffer!“
„Das stinkt!“ Meinte Boris.
„Ach ja? Wieso?“
„Bulle, so ein Auto kostet ein Vermögen. Würdest du die Garage offenstehen lassen? Der wollte, dass wir den Wagen sehen.“
Das hatte eine gewisse Logik und so sah ich über das „Bulle“ hinweg. Boris hatte Recht, dieser Schlitten kostete ein Vermögen und selbst in dieser etwas feineren Wohngegend würde man nicht die Garage offen stehen lassen.
Ich fuhr in die Auffahrt und parkte 10 Meter vor der Garage. Als ich mich umsah, konnte ich keine Menschenseele erkennen. Alle Fenster der Nachbarschaft waren dunkel, doch ich war mir sicher, dass mich irgendjemand beobachtete.
Boris stieg aus und zusammen schlichen wir zur Garage.   -KLICK- ich drehte mich zu Boris und sah, wie der seine Kanone entsichert hatte. Erst wollte ich Boris zusammenstauchen, doch ganz Unrecht hatte er nicht, wir suchten einen Serienmörder.
In der Garage war es völlig dunkel, also beschloss ich, das Licht einzuschalten. Mit einem Kuli drückte ich den Lichtschalter und eine helle Beleuchtung sprang an.
Der schwarze Pullmann glänzte richtig. Ich holte mein Handy heraus und rief die Zentrale an, „Ich brauche eine Halterermittlung.“ Und gab das Kennzeichen durch.
Während ich wartete ging Boris um den Wagen herum.
„Blut!“ Stellte er fest.
„Wo?“ Ich ging zu ihm, schaute auf das Auto, sah aber kein Blut.
„Ich rieche es. Ich hatte genug Gelegenheit den Geruch kennen zu lernen.“ Antwortete er.
Das glaubte ich sofort und es gab nur einen Ort, an dem so viel Blut sein konnte, dass Boris es riechen konnte… Der Kofferraum!
Als ich zum Verschluss des Kofferraums griff um ihn zu öffnen reichte mir Boris einen Einweggummihandschuh. „Glaubst du, ich fasse die Junkies und Penner so an?“ fragte er, als ich ihn ungläubig ansah.
Grinsend zog ich mir den Handschuh über und öffnete langsam den Kofferraum. Ganz langsam hob ich den Deckel an und stellte fest, Boris hatte eine gute Nase!
Im Kofferraum lag die Leiche eines Mannes. Er war Ende fünfzig, dunkle Haare und einen eingeschlagenen Schädel.
„Verdammt!“
„Ich kenne den Kerl!“ Sagte Boris unvermittelt.

**

„Was?!“
„Er war gestern im Eros. Erzählte, dass er eine Frau sucht. Steph wollte, dass ich ihn überprüfe und sehe wohin er geht.“
Nun, die Nachtruhe für mein Team war jedenfalls beendet! Schnell stellte sich heraus, dass unser Toter nicht der Halter des Wagens war. Der Tote hieß Alfons Völling und wohnte in der Karlstraße. Hier in der Kastanien Allee lebte Franz Reller. Der war natürlich nicht zu Hause! Welche Überraschung…!
Die Spurensuche holte die Garage auseinander und sicherte jeden Beweis. Unterdessen nahmen sich Graling und Schaller die Nachbarschaft vor. Natürlich hatte niemand etwas gesehen… Aber einen Hinweis bekamen wir dennoch. Ein Nachbar sagte aus, dass Reller Vertreter sei und ihm gegenüber erwähnte hatte, er würde für seine Firma heute Morgen, (also gestern), nach Shanghai fliegen.
Graling hakte sofort nach und schon eine Stunde später wussten wir, dass Reller tatsächlich seit 18 Stunden außer Landes war!
Unser Killer hatte seinen ersten Fehler gemacht!

**

„Wir haben eine Bestätigung. Reller war zur Zeit des Mordes ein paar tausend Fuß über der Mongolei.“ Teilte Graling mit.
Wir saßen zusammen und auch Jansen war wider anwesend.
„Also, Alfons war im Eros und hat mit Steph geredet. Dem kommt der Typ verdächtig vor und lässt ihn von Boris überprüfen.
Boris sagt, dass sich Alfons ein Taxi genommen hat und gegen 3Uhr30 die Biege machte.
Unser Umzugshelfer meldete, dass er um 4 Uhr morgens die offene Garage sah. Hell wurde es um 5 Uhr 20. In den dreißig Minuten hat unser Killer Reller umgebracht. In der kurzen Zeit, kann er unmöglich alle Spuren in der Garage beseitigt haben.
Die Spurensicherung hat jede Menge Fingerabdrücke gefunden und vergleicht sie mit denen im Haus, um die von Reller ausschließen zu können.
Wir haben zwar eine weitere Leiche, aber der Killer hat auch einen Fehler gemacht. Er wollte eine falsche Spur legen. Er wusste, dass wir den Pullmann suchten und wollte mit dem Mord den Verdacht auf Reller lenken. Doch der ist gar nicht im Land. Das war kein geplanter Mord, das war eine Kurzschlussreaktion.
Man will nur dann seine Spur verwischen, wenn man glaubt, dass man eine hinterlassen hat.
Graling und Schaller, ihr nehmt euch nochmal jeden Mord vor und seht nach. Berger und Schaum geht nochmal die Entführung von Michaela durch. Irgendwas hat er falsch gemacht, wir müssen die Spur finden, die er verwischen will!“

**

„Ja, den hab ich gesehen.“ Sagte der Taxifahrer. Kammer und ich nahmen uns die Taxifahrer vor, die im Rotlichtbezirk ihren Stammplatz hatten.
Der Fahrer hatte genau wie die anderen Fahrer ein Bild von Michaela auf dem Armaturenbrett hängen. „Der war gegen halb vier aus dem Eros gekommen. Der Kollege da vorne hat ihn mitgenommen.“ Er zeigte auf eine Mietkutsche, die etwas weiter vorne stand.
„Danke.“ Kammer und ich gingen zu dem Taxi, dass uns der Fahrer gezeigt hatte. Auf den paar Metern kam ich an mindestens 3 Bildern von Michaela vorbei.
„Schönen guten Tag.“ Begrüßte ich den Taxifahrer, der Alfons gefahren haben sollte. Der las gerade eines der großen Tagesblätter, die natürlich groß über den Mord berichtete.
„Ah, dein Freund und Helfer.“ Er legte die Zeitung zur Seite, stieg aus und lehnte sich lässig an den Wagen.
Ich musterte den Mann. Typischer Taxifahrer, Mitte bis Ende Vierzig, dunkle Haare mit Grau dazwischen.
„Ich hab gehört sie haben den hier“, ich hielt ihm das Bild von Völling vor die Nase, „gestern Nacht als Fahrgast mitgenommen.“
Er betrachtete sich das Bild, und schien zu überlegen. „Ja kann sein. Ja… Ja den hab ich gefahren.“
Während er zu überlegen schien, sah ich mich in dem Taxi um. Sauber war anders! Der Aschenbecher quoll über und Papierschnipsel lagen im Fußraum. Auch einen Staubsauger hatte der Wagen schon eine längere Zeit nicht mehr gesehen.
Dann machte mich etwas stutzig. Michaelas Bild…es fehlte.
„Also wohin wollte Völling?“
„Ich hab ihn in die Kurstraße gefahren.“
„Hausnummer?“
„87“
„Gab es irgendwas das, er erzählt hat?“
„Nein, der war ziemlich zu.“ Er machte mit seiner Hand eine Schluckbewegung. „Der hat nur gelallt und ich hatte schon Angst, dass er mir ins Taxi kotzt.“
Naja, ob das aufgefallen wäre?
„Danke. Ach ja, haben sie kein Bild von dem Mädchen, das wir suchen?“
„Nein, ich war krank und hab gestern erst wieder angefangen. Bin ein Einzelunternehmen.“
Nun, das erklärte den Zustand des Taxis, denn keine Taxizentrale, würde einen solchen Sauerei dulden.
„Hier.“ Ich reichte ihm ein Bild von Michaela und er legte es auf den Beifahrersitz.

**

Kurstraße 87…
Kammer lenkte den Wagen an den Straßenrand und wir schauten uns um. Mehrere graue Wohnblöcke sahen auf uns herab.
„Das stinkt zum Himmel.“
„Kannst du laut sagen.“ Pflichtete ich ihr bei. Wir gingen an die Haupteingangstür und ich sah auf die 24 Klingelschilder. Reller stand auf keinem!
„Ich wette, dass wir bei keinem der Blöcke fündig werden.“
„Vielleicht hat er hier bei der Frau gewohnt, die er suchte?”
„HHmmm… ok, schätze es heißt Klinken putzen. Wir brauchen Verstärkung.

**

Gegen Abend saßen wir wieder zusammen im Besprechungsraum.
Über ein Dutzend Beamte waren den ganzen Tag in der Kurstraße unterwegs und hatten die Wohnungen mit einem Bild von Völling abgeklappert. Keiner der Bewohner hatte ihn erkannt oder gesehen.
„Irgendwie passt das nicht zusammen.“ Überlegte ich.
„Wir wissen, dass Völling um halb vier aus dem Eros ist. Der Taxifahrer hat ihn um kurz vor vier in der Kurstraße abgesetzt. Das heißt, unser Mörder muss ihn in weniger als einer viertel Stunde umgebracht, in die Kastanien Allee verbracht und in dem Kofferraum gelegt haben.“
„Was wollte Völling in der Kurstraße?“ Fragte Schaller. „Es war halb vier, er wollte sicher nach Hause, was macht er in der Kurstraße?“
„Völling wohnt in der Karlstraße, der Fahrer meinte, er war angetrunken und hat gelallt, vielleicht hat er so viel genuschelt, das der Fahrer ihn nur falsch verstanden hat.“ Warf Kammer ein.
„Das scheint mir die wahrscheinlichste Variante zu sein.“ Stimmte ich zu, dennoch passte das alles nicht zusammen.
Sollte unser Killer in der Kurstraße wohnen? Die Straße war nicht unbedingt ein sozialer Brennpunkt, doch Wohlstand gab es dort nicht unbedingt. Greif war der Überzeugung, dass der Killer aus Neid mordete. Das passte schon zu der Wohngegend. Doch sie war auch überzeugt, dass der Mörder auf dem Kiez wohnte, oder zumindest täglich dort war.
„Greif meint, das unser Killer auf dem Kiez wohnt oder arbeitet. Wir müssen alle männlichen Bewohner der Kurstraße 87 überprüfen, ob sie auf dem Kiez einem Job nachgehen. Überprüft auch die Blocks in der Nähe.“
Das war momentan die beste Chance, die wir hatten. Doch war unser Killer so dumm? Würde er sein Opfer vor seiner eigenen Haustür…
Und wenn er wirklich in der Kurstraße lebte, wo war dann Michaela? Sicher nicht im Keller einer Mietskaserne!

**

„KB! In mein Büro!“ Fing mich Milewski ab.
„Ich hab zu tun.“
„Ich auch. Keller ist da und will den Ermittlungsstand.“
„Sag ihm, wir arbeiten daran!“
„Sag es ihm selber! Er will dich sprechen.“
„Na schön.“ Seufzte ich resigniert.
Milewsli brachte mich in sein Büro, in dem Keller schon ungeduldig wartete.
„Guten Tag Herr Polizeioberrat.“
„Herr Baumann.“ Ich konnte sehen wie schwer es Keller fiel freundlich zu bleiben. Er wollte mich seit Jahren aus dem Verkehr ziehen und am liebsten endgültig suspendieren, doch immer wenn er glaubte, genug dafür in der Hand zu haben, konnte ich gute Ergebnisse vorzeigen. –Tja Arsch, ich bin eben gut.-

„Herr Baumann, bitte sagen sie mir, dass sie eine heiße Spur haben.“
„Nicht direkt eine heiße Spur, aber wir kommen dem Täter näher.“
„Völling war Mitglied im Stadtrat, Kommunalpolitiker und saß in mehreren Ausschüssen. Die Politiker sitzen mir im Nacken.“
„Jetzt plötzlich?“ Ätze ich. „Wegen ein paar toten Nutten, ein paar Erschlagener die auf dem Kiez Geld verdienten oder es dort liegen ließen und der entführten Frau eines Drogenjunkies hat sich also keiner aufgeregt, aber jetzt… ein Politiker! Ja da muss man natürlich nachfragen…“
„Baumann!“ Bremste mich Milewski.
„Also schön. Wir haben Fingerabdrücke und sind sicher, dass sie vom Täter stammen. Reller hat den Pullmann beinahe täglich gewienert und die einzigen Fingerabdrücke außen am Wagen sind nicht von ihm. Deswegen gehen wir davon aus, dass sie vom Täter stammen. Bis jetzt konnten wir aber noch keinen Treffer landen. Unser Täter ist nicht in der Datenbank. Aber jetzt können wir Verdächtige ausschließen.“
„Das ist verdammt wenig.“ Meinte Keller. „Ich habe nachher eine Pressekonferenz, was soll ich der Presse sagen?“
„Das wir aus ermittlungstaktischen Gründen keine näheren Angaben machen können.“
„Ich will Ergebnisse! Ich habe sehr viel Geduld bewiesen, jetzt sind sie dran!“

**

Wieder zurück in meinem Büro, vertiefte ich mich wieder in die Berichte der Spurensuche. Völling hatte keine Abwehrverletzungen, das hieß, der Angriff hatte ihn völlig überrascht. Das wiederum passte genau zu unserem Täter. Völling fühlte sich sicher und rechnete nicht mit einem Angriff. Doch dann ist der Täter von seinem üblichen Vorgehen abgewichen. Sonst hat er die Opfer einfach irgendwo abgelegt oder wie bei Gold-Gerd einfach liegen lassen. Diesmal hatte er die Leiche benutzt, er wollte den Verdacht auf Reller lenken.
Warum? Greif war überzeugt, dass der Killer glaubte, wir seien ihm auf der Spur. Also wirkte der Druck, den wir ausübten, wollten wir Erfolg haben, mussten wir den Druck erhöhen, doch wie?
„He Killian, du hast Besuch.“ Klopfte einer der diensthabenden Beamten an meine Tür.
„Bin nicht da!“
„Es ist Schneider!“
Schneider…der Innensenator, der hatte mir gerade noch gefehlt. Verdammt, ich wollte mir grade eine gute Ausrede überlegen, doch da erschien ein genialer Gedanke in meinem Gehirn… Das war die Gelegenheit!

**

„HHHMMM, köstlich.“ Lobte ich Judith.
„Seit ihr diesen Killer jagt, hast du kaum was Anständiges gegessen.“ Sie hatte Recht und hatte uns ein herrliches Abendessen gezaubert.
Wie immer war Judith genauestens über den Ermittlungsstand informiert, denn ihre messerscharfen Analysen hatten schon oft Dinge hervorgehoben, die einfach übersehen oder falsch bewertet wurden.
„Was denkst du? Wohnt unser Killer in der Kurstraße?“
„Ich denke nicht.“
„Was wollte Völling dann dort? Keiner der dort wohnt hat ihn je dort gesehen?“
„Dann müssen wir uns die Frage stellen, war er überhaupt dort?“
Darüber dachte ich nach, als das Telefon läutete. Milewski stand auf dem Display, also hob ich ab.
„Baumann! Was ist das für eine Scheiße?“
„Könntest du vielleicht etwas genauer werden?“
„Schneider! Schalt mal die Regionalnachrichten an!“
Ich schaltete den Fernseher an und suchte den Kanal mit dem Regionalprogramm und schon sah ich Schneider im Blitzlichtgewitter.
„Herr Innensenator,“ fragte gerade eine Reporterin, „Stimmt es, dass Herr Völling von einem Serienmörder ermordet wurde?“
„Ja, das ist richtig. Herr Völling war das achte Opfer dieses Mörders.“
„Hat die Polizei schon einen Verdächtigen? Wie weit sind die Ermittlungen?“
„Sie verstehen sicher, dass wir keine Einzelheiten preisgeben können, doch ich habe mit dem Leiter er Sondergruppe, Herrn Baumann geredet, der mir versicherte, er stehe kurz vor dem Durchbruch!“
„Wie nahe?“
„Mehr kann ich ihnen leider nicht sagen, nur das wir nahe davor stehen, den Mörder zu fassen.“
„Was erzählt der Idiot für einen Scheiß?“ Fragte Milewski wütend.
„Genau das, was ich ihm gesagt habe.“
„Bist du wahnsinnig?“ Brüllte Milewski. „Du hast Keller abblitzen lassen und Schneider so einen Mist erzählt, was soll das?“
„Ich erhöhe den Druck auf unseren Killer. Wer könnte das besser als Schneider?“
„Hör zu! Kurz vor dem Durchbruch heißt in der Chefetage 48 Stunden! Wenn du den Killer nicht in 48 Stunden gefasst hast, wird eine riesengroße Bombe Scheiße explodieren. Ich hoffe für dich, dass du den Killer vorher zur Strecke bringst.“

**

Der nächste Tag hatte es in sich! Die Zeitungen überschlugen sich. Zwei Bilder zierten alle Titelblätter. Völling und Michaela!
Alle Nachrichtensender spekulierten über den Verbleib von Michaela. Und die Frage aller Fragen… Wer war der Serienmörder, der auf dem Kiez sein Unwesen trieb und sogar Politiker ermordete?
Ausführlich wurde über den Fehlschlag berichtet, eine falsche Spur zu legen in dem der Mörder die Leiche in Rellers Auto packte und natürlich darüber, dass man jede Menge Fingerabdrücke und DNA gesichert hatte.
Der Killer las die Titelseite eines der großen Tagesblätter und zitterte leicht.
Kurz vor dem Durchbruch? Ihm war klar, dass der Plan Reller zum Verdächtigen zu machen gescheitert war, da er wenig Zeit für die Durchführung seines Planes gehabt hatte, gab es sicher Spuren. Verdammt, warum musste dieser scheiß Reller auch gerade an dem Tag nach China fliegen?! Warum konnte er nicht einen Tag später…?
Hatte das Mädchen ihn ans Messer geliefert?
Sie hatte ihn gesehen! Erst wollte er das Mädchen direkt im Park erledigen, doch dann sah er ihren Macker und einer würde vielleicht Hilfe holen, das war zu riskant… Nein, er beschloss, weiter unsichtbar zu bleiben, sie zu beobachten und bei der ersten Gelegenheit umzubringen. Die beiden waren Junkies und würden sicher nicht zur Polizei rennen, doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Sie redeten mit den Bullen! Was hatte dieses Miststück in seinem Keller den Bullen erzählt? Hatte sie ihn erkannt? Er musste es herausfinden, also entführte er das Mädchen und ließ es im Keller schmoren. Sobald er sicher war, dass sie ihm die Wahrheit erzählt, würde er handeln.
Er musste handeln!

**

Michaela schreckte nicht mehr auf, wenn die Tür aufging. Sie kauerte sich einfach in ihre Ecke und machte sich klein.
Diesmal brachte ihr Entführer kein Essen oder Trinken. Er ging in die Hocke und befestigte über dem blutigen Baseballschläger etwas an der Wand. Als er wortlos wieder gegangen war, sah Michaela ein Bild von sich, das mit einem großen X durchgestrichen war. Das X schien aus einer roten Flüssigkeit zu sein, die wie Blut aussah.
Es war kein Bild aus einer Zeitung, sondern ein richtiges Foto.
Leise vor sich hin weinend kauerte sich Michaela zusammen.

**

Sicher genügte es, dem Blaulicht und der aufheulenden Sirene direkt vor unseren Nasen zu folgen, und garantiert landeten wir direkt vor der Notaufnahme des nächsten Krankenhauses.
Ein paar blutige Nasen halt, meist wegen eines Mädchens oder mal wieder eine handfeste Alkoholvergiftung. Na ja, nichts unnormales hier auf dem Kiez und schon gar nicht zu dieser nächtlichen Stunde. Unfassbar, aber mit der Zeit gewöhnte man sich daran.
Den gesamten Weg sah ich zum Seitenfenster des Chevy hinaus und kämpfte um meine Fassung. Die Häuserzeilen rasten an mir vorbei und das grelle Licht des Gegenverkehrs blendete meine Augen. Für Momente schweiften meine Gedanken zurück in der Vergangenheit.
Es war schon wirklich die verrückteste Geschichte meines Lebens. Die Geschichte mit Nina und mit mir. Noch vor zwei Jahren, oder waren es schon bald schon drei Jahre, bestand mein Leben noch aus festen Regeln.
Wirklich ein merkwürdiger Moment, als uns der Weg zum Krankenhaus an der Straße vorbei führte, in der ich vor langer Zeit einmal lebte. Damals dachte ich wohl, es genügte etwas Geld zum Leben zu haben, dazu ein Dach über dem Kopf und natürlich meine Liebe zu Nina. Und das war es dann.
Bis zu dieser einen Nacht, als sie mich vor meinem Haus nieder schlugen, fortbrachten und die Jagd auf Nina und mich hatte endgültig begonnen.
Und mit ihr gemeinsam ein Leben bestehend aus Flucht, Macht, Drogen, Prostitution aber auch Sex und schließlich Mord. Ein Wunder, dass wir noch immer unsere Füße gesichert auf den Asphalt setzten, was wir nach wie vor einem Mann verdankten, der uns seit dem nicht mehr aus den Augen ließ.
Kilian Baumann, dem Leiter der Abteilung Mord und Drogenkriminalität der hiesigen Kripo.
Und es war auch mal wieder Nacht, genauer gesagt fast schon der nächste Morgen, als ich mich mit meinen Freunden Boris und Jurij im Eiltempo auf dem Wege in das nächste Krankenhaus befand, in dem Nina vor Stunden unser zweites Kind zur Welt brachte.
Wieder ein kleines Mädchen, wie damals schon unsere Emily und jetzt war es eben eine kleine Erin.
Vor dem hell erleuchteten Portal des Krankenhauses herrschte reges Treiben und irgendwie kam ich mir schrecklich verloren vor.
„Wollen sie hin?“ Fragte mich eine deutliche Männerstimme mit argwöhnischem Blick.
Doch noch bevor ich antworten konnte, erblickte ich Nela, die mich mit bereits mit freudestrahlender Miene am Haupteingang empfing.
„Hey, ist schon okay.“ Klärte Nela, wie immer im rechten Moment, sofort diese merkwürdige Situation.
Auf dem Wege mit dem Aufzug zur Station im dritten Obergeschoss schlug mir das Herz bis zu meinem Hals.
„Was ist mit Boris und Jurij?“fragte Nela etwas verwundert.
„Die warten solange unten im Wagen. Irgendwas liegt da wieder in der Luft.“ Antwortete ich total aufgeregt und nervös.
Denn ausgerechnet, noch Minuten bevor wir vor der Notaufnahme einliefen, meldete sich bei Boris das Handy und ich vermutete, dass es Kilian war, der bei uns allen  Alarm auslöste.
„Hey, wie lange bist du schon da? Hab dich nicht kommen gehört.“ Flüsterte Nina als ich leise ihr Zimmer betrat.
Mit unserem Winzling auf ihren Bauch sah sie einfach nur fantastisch aus. Und doch etwas verlegen, dass ich nicht bei ihr bleiben konnte, küsste ich sie auf ihren Mund und die kleine Erin und natürlich auch Emily auf ihre winzige Stirn.
Längst spürte ich die besorgniserregenden Blicke der Frauen, die sie mir aus allen  Ecken des Zimmers zuwarfen. Irgendwo da draußen lauerte eben immer noch ein Serienmörder, der zwischenzeitlich ein Mädchen in seiner Gewalt hatte und wir hatten alle guten Grund zu glauben, dass er sie töten würde, wenn wir ihm nicht sehr bald das Handwerk legten.
„Schnappt ihn euch endlich und dann komm wieder. Wir drei schaffen das schon.“ Flüsterte Nina und warf dabei Nela und Roya lächelnde Blicke zu.
„Wir sind Tag und Nacht bei ihr.“ Versprach Nela, die mich noch bis vor das Hauptportal brachte.
Heilfroh darüber, dass die beiden ein wachsames Auge auf Nina hatten, umarmte ich sie, gab ihr einen dicken Kuss auf ihre Wange und verschwand mit Boris und Jurij in der Dunkelheit zurück zum Kiez.

„Dein Verdacht war falsch.“ Überfiel mich Kilian direkt an der Tür der „Schatulle“ ohne mich erst einmal Luft holen zu lassen.
„Erstmal abwarten.“ Entgegnete ich ihm prompt. „Aber sag mir doch einfach mal, was hier gerade abgeht?“

„Kapierst du das nicht. Na kein Wunder. Der Typ aus dem „Eros“. Er ist es doch nicht.“ Manchmal war Kilian einfach nur der Scheißkerl, so wie ich seit eh und je  kannte. Gerade reichte er einem noch die Hand und nur Stunden später schlug er schon wieder nach ihr.
„Ja! Was ist mit ihm? Wenn du mal das Maul aufmachen würdest, wüssten wir auch alle Bescheid.“
„Unser Mann, der Typ, den wir suchen. Dieser geisteskranke Killer.“ Erklärte mir Kilian. Lange hörte sich das Herzchen sicher nicht mehr an und bald brauchten wir noch, wenn das zwischen uns so weiter ging, einen neuen Treffpunkt.
„Und woher wisst ihr das? Habt ihr in euch mal richtig vorgeknöpft?“ Fragte ich in die Runde.
„Nicht mehr nötig. Der Kerl ist tot. Mausetot sogar.“ Für einen Moment war mit plötzlich sonnenklar, warum ausgerechnet Boris den Schweigsamen heraushängen ließ.
Ausgerechnet er führte Kilian auf unsere erste heiße Spur. Klar sollten die beiden ihn beobachten, doch stattdessen präsentierte er den Bullen brühwarm die nächste Leiche.
– Was für ein Zufall – dachte ich und mit einem Blick gerade wohl mitten in sein Gesicht wich er mir aus.
Spielte Boris plötzlich hier sein eigenes Spiel, oder steckte sogar Kilian dahinter, den sie in seinen Bullenkreisen ordentlich in die Mangel nahmen. Wenigstens in einer Sache waren wir uns dennoch einig.
Wenn unser Killer, der auch Alfons Völling, meine Zufallsbekanntschaft auf bestialische Weise kalt gemacht hatte, auch dazu noch Michaela Spreier in seiner Gewalt brachte, blieb uns keine Zeit mehr oder sie war die nächste in der Riege einer fast schon endlosen Kette Opfer, den man den Schädel oder das Gesicht zertrümmerte.
Kilian nutzte den Moment, an dem wir dachten, unbeobachtet zu sein und nahm mich an meinem Arm zur Seite.

„Und Steph, weißt du noch, was ich dir vor Tagen gesagt habe?“ Fragte er mich mit runzeliger Stirn.
„Mmmhhh…hilf mir mal etwas auf die Sprünge. Manchmal redest du halt eine Menge. Und das alles zu behalten gleicht einem wahren Kunststück.“ An seinem Hochrotem Kopf erkannte ich, dass dieser Punkt wohl eindeutig an mich ging und lachte.
„Der Mörder kann auch einer von uns sein. Besser, du gewöhnst dich schon mal an den Gedanken.“
„Der Mörder ist unter uns?“ Mir stockte der Atem. „Bist du verrückt mein Freund? Oder willst du hier einen Krieg.“
„Du solltest aufpassen. Die Bar und Clubbesitzer verlieren langsam das Vertrauen in dich. Die Leute werden weniger und die Geschäfte gehen schlechter. Außer eben im „Eros“. Das stinkt denen das draußen gewaltig. Und dann haben wir wirklich hier einen Krieg.“
Ja, Nela war halt ein pfiffiges Mädchen, die seit dem Massaker damals an Erik Lands alles auf eine Karte setzte und eben gewann. Und nur ihr allein verdankten auch Nina und ich unseren enormen Wohlstand, was sie seitdem zu einem festen Bestandteil unsere Familie machte. Und mit Roya, ihrer Geliebten nahmen wir die beiden sicher irgendwann, wenn der Tag gekommen war, millionenschwer mit bis an das Ende der Welt.
Und selbst Kilian wäre dann nicht mehr in der Lage uns aufzuhalten, wenn wir uns an unsere Abmachung hielten.
Ich schätzte, dieser Abend war, solange Nina noch im Krankenhaus lag, die einmalige Chance, Nela und Roya auf unser späteres Leben einzuschießen. Obwohl mein Verhältnis zu Boris und Jurij spürbar angespannt war, kutschierten mich beide wie gewohnt bis vor die Haustür unserer Villa.
Die Fahrt verlief fast ohne ein Wort und vielleicht ging ich auch zu weit mit meinen ständigen Verdächtigungen, wie auch bei schon Alfons Völling, dem letzten Opfer. Die Jungs machten einfach ihren Job und warum sollte einer der beiden plötzlich ein Killer sein?
Fast verbrachten sie ihr halbes Leben auf irgend einem Schlachtfeld oder im Knast und jetzt das?
Klar, es war halt Kilians Aufgabe, in alle Richtungen zu ermitteln. Das war halt sein Job und er hielt sich eben darin für den Besten, wenn auch einige der Leute in seinem Stab da ganz anderer Meinung waren.
Chloe, unser Hausmädchen öffnete mir die Tür und bat mich direkt ins Wohnzimmer, wo auch bereits ein wohlig wärmendes Kaminfeuer brannte. Nela und Roya schienen mich zu erwarten. Auf dem riesigen Sofa saßen die beiden eng bei einander und lächelten mich an.
Wie ein kleines Ritual trugen wir im Hause keine Waffen und ich legte den Halfter mit meiner Magnum Kal. 38mm auf den Tisch.

„Hey, die kleine Süße hast du ja gut hingekriegt. Besser Nina bleibt noch mit Emily ein paar Tage auf der Station.“ Begrüßten mich die zwei.
„Und du achtest auf sie Tag und Nacht.Um das „Eros“ kümmere ich mich schon. Die Stimmung auf dem Kiez ist etwas geladen.“ Erklärte ich. „Es gab wieder ein weiteres Opfer.“
Für Sekunden pressten sich die Lippen der Mädchen zusammen und es herrschte eisiges Schweigen.
„Wieder eine Frau. Oder sogar eines der Mädchen vom Kiez?“ Unterbrach Nela die plötzlich unerträgliche Stille.
„Nein, es ist dieser Kerl, den ich vor ein paar Abenden traf.“
„Und was hat das alles mit dem diesem Kiezkiller zu tun?“ Fragte Nela mit verständnislosem Blick.
„Das ist ja das, was ich auch nicht kapiere. Kilian und Boris haben ihn entdeckt. Und ausgerechnet Boris hat Kilian zur Fundstelle gelockt.“
„Denkst du mit ihm stimmt was nicht.“ Fragte Nela verwundert.
„Ich hoffe Kilian hat damit unrecht. Aber uns läuft die Zeit. Sicher ist nur, dass dieser Kerl eine Frau in seiner Gewalt hat und sie töten wird.“
„Glaubst du, es wird Zeit für uns? Du weißt schon. Zeit endgültig die Biege zu machen?“ Spätestens jetzt war Nela voll in ihrem Element. „Mach dir keine Sorgen. Die ganze Kohle liegt in Sicherheit. Wir brauchen sie nur einzusammeln und weg sind wir.“
„Kilian macht uns endgültig fertig, wenn er davon erfährt.“ Mahnte ich sie mit ernstem Blick.
„Sie liegt in in ein paar Schließfächern, zusammen mit ein paar Bleispritzen und der größte Teil bei der  „Bank of  Bahamas“ in Nassau.“ Verdammt, konnte man das Mädchen denn nicht einen Augenblick aus den Augen lassen, ohne dass sie gleich irgendwas anstellte?
Doch in diesem Moment wäre ich ihr am liebsten an den Hals gesprungen, doch nur um sie zu küssen. Es war schon etwas verwirrend, jedoch für uns alle, die wir da hockten. So verwirrend und brutal wie diese verdammte Welt da draußen. Während irgendwo eine Frau in einem feuchten Keller gefangen gehalten wurde und um ihr Leben zitterte, erhoben wir die Sektgläser auf das Leben und auf unsere Zukunft. Ob ich mir noch ein Taxi bestellte, dass mich zum Krankenhaus fuhr, nur um Nina für einen Moment beim schlafen zusehen zu können?
Nein, ich tat es nicht und stattdessen hockten wir drei eng bei einander auf der Couch, sahen in das lodernde Kaminfeuer und schlürften an unseren Gläsern.

Am Morgen darauf beschloss ich jedoch, mir selbst ein Bild vom Tatort zu machen. Nach einem guten Frühstück von Chloe trennten sich dann unsere Wege. Nela und Roya zum Krankenhaus zu Nina und ich machte mich auf zu Fuß durch die Straßen unserer doch so feinen Gegend hier.
Nach ein paar hundert Metern begegnete ich auch bereits dem ersten Menschen an diesem Vormittag. Ich blieb stehen, zündete mir eine Zigarette an und wartete seelenruhig bis er sich mir näherte und ich ihn aufs Geratewohl ansprach.

„Entschuldigungen Sie.“ Der Mann mittleren Alters blieb erschrocken stehen und schaute mich etwas argwöhnisch. Ich überlegte, ob es der Revolver war, den ich wie gewohnt unter der Jacke trug und dessen Schaft so manches mal zum Vorschein kam.
„Ich suche die Kastanien-Allee.“ Fragte ich ihn im höflichen Ton.
„Die Kastanien-Allee? Hier herunter und dann nach ein paar hundert Metern auf der rechten Seite.“ Wortkarg setzte er seinen seinen Weg fort und verschwand im Horizont.
Tja, dass hier draußen war wohl eben nicht der Kiez, sondern das ganz normale Leben. Ganz normale Leute auf dem Weg zu ihrem langweiligen Job und ich machte mich weiter auf den Weg bis ich vor dem Haus mit der No.34 stand.
Ich erinnerte mich genau an Kilians Beschreibung und war mir daher ziemlich sicher, dass das der ominöse Fundort der Leiche von Alfons Völling war. Etwas besorgt darüber, dass fast in der Nähe unseres Hauses vielleicht ein Mord geschah, blickte ich mich um, aber weit und breit war keine Menschenseele auszumachen.
Alles passte genau zusammen. Genau so wie Kilian es beschrieb. Ein vornehmes Haus mit einer großen Garage, sicher groß genug für einen 600 Pullman aus den siebziger Jahren. Getrieben von meiner Neugier näherte ich mich einem Tor, dass sich problemlos durch nur einen leichten Druck öffnen ließ. Ein schmaler Weg endete vor einem repräsentativen Hauseingang. Entweder waren alle diese Menschen hier Frühaufsteher oder Langschläfer, denn alle diese Prachtbauten schienen leer und unbewohnt zu sein.
Sicherheitshalber überprüfte ich meine Magnum Kal. 38mm, doch alle Kammern der Trommel waren geladen. Dann erst schlich ich mich um das Haus mit der No.34, bis ich zu einem Garten gelangte und die riesige Terrasse dieses prachtvollen Anwesens erblickte.
Vorsichtig näherte ich mich der in der Sonne dieses Tages strahlenden Häuserfront und meine Vermutung bestätigte sich aufs Neue.
Auch von hieraus schien alles still und unbewohnt zu sein. Mit den Händen dicht an meinem Gesicht, versuchte ich irgend etwas, durch die riesigen Fenster im inneren des Hauses erkennen zu können.
Doch unser Mann war, wenn er hier wohnte, extrem unvorsichtig. Es war ein Kinderspiel, die mächtige, gläserne Terrassentür mit einem billigen, altbekannten Kartentrick zu öffnen. Mit der gezogenen Waffe in meiner Hand betrat ich das Haus von der Hinterseite.
Ein pestilenzialischer Gestank drang durch meine Nase, so dass ich für Sekunden würgen musste. Nicht dass mir dieser Geruch bekannt war, aber ich verglich es trotzdem mit dem Gestank nach etwas Verfaultem oder verwesten. Mit einen Fuß vor dem anderen untersuchte ich mit der Waffe voran Raum für Raum.

– Verdammt, mein Handy! – jagte es mir durch meinen Kopf. Es war Kilian, doch ich drückte es einfach weg. Wenn er heraus bekäme, dass ich auf eigene Faust hier herum schlich, gäbe es sicher mal wieder eine heftige Ansage.
Früher oder später erfuhr er ja sowieso, je nach dem, was ich hier noch so alles aufstöberte.
Dieser Gestank war unerträglich, doch mit weit geöffneten Mund trieb es mich weiter umher von Zimmer zu Zimmer, von denen es hier mehr als genug gab.
Von der Diele ging es durch ein riesiges Treppenhaus in die obere Etage der Villa. Stufe für Stufe, mit dem Blick nach oben gerichtet, erreichte ich den Rest des Anwesens.
Verwundert jedoch über diese dunkelroten, fast schon eingetrockneten Flecken auf den Stufen und überall an den Wänden, bei denen es sich zweifelsfrei um menschliches Blut handelte, stand ich plötzlich vor einer verschlossen Tür.  Nachdem ich auch zuerst hier oben alle anderen Zimmer überprüfte, stand fest, dass es sich um das Schlafzimmer des Hauses handeln musste.
Mit zittrigen Händen und der Magnum Kal. 38mm fest im Griff, betätigte ich den Türdrücker, doch sie blieb verschlossen. Auch der beißende Geruch in meiner Nase nahm plötzlich extrem zu und ließ meine Augen tränen.
Mit der geballten Faust klopfte ich an die schwere Tür. „Hallo, ist dort jemand? Brauchen sie Hilfe?“ Doch niemand schien antworten zu wollen oder war auch nicht mehr in der Lage dazu.
Bis hier her hatte ich es jetzt geschafft und stand plötzlich vor genau zwei Möglichkeiten:
Entweder ich nahm meinen Revolver, legte ihn auf das Türschloss an und schoss, was sicher meilenweit zu hören gewesen wäre.
Oder ich trat diese Tür ein, was sicher auch laute Geräusche erzeugt hätte, die aber jedoch nur im Hause zu hören gewesen wären.
Mit einem gewaltigen Fußtritt in Höhe des Riegels flog die Tür auf und ich dachte, ich öffnete gerade das Tor zur Hölle.
Auf einer blutgetränkten Matratze lag ein Mädchen. Ihre Augen quollen deutlich aus ihren Höhlen und man erkannte an der sonderbar verschränkten Haltung ihres Körpers, welche Qualen sie bis zu ihrem Tod wohl ausstehen musste.
Außer der Stahlschlinge um ihren Hals, die ihr wohl durch einen gewaltsamen Zug die Halsschlagader öffnete, wies ihr gesamter Körper eine Unmenge an Schnitten auf, aus denen sicher ihr Blut herausströmte und das gesamte Bett rot einfärbte. Ihre Arme und Beine wurden an das Bettgestell fixiert, bevor sie sich ihrer Tortur wehrlos hingeben musste.
Auffällig waren jedoch die Kupferdrähte überall an ihrem Körper und Gliedmaßen. Ich verfolgte den Verlauf bis zu einer Steckdose gleich neben dem Bett und mir wurde klar, dass man sie zuerst mit ein paar heftigen Stromstößen fügig machte. Sicher war das aber nicht die Todesursache sondern nur der Beginn einer endlos erscheinenden Folter.
Meine Blicke waren starr und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich verließ diesen Ort des Grauens und schaffte es gerade noch bis hinüber in das vornehme Bad und kotzte mir die Seele aus dem Leib.
Das was ich sah reichte mir und langsam kam ich wieder zu Besinnung. Sicher vermissten mich die anderen bereits. Ich beschloss jedoch zunächst, über meinen Fund mit niemandem zu reden.
Kilian und Boris fanden die Leiche von Alfons Völling hier etwa vor drei Tagen. Das aber, was ich hier vorfand, war noch keine achtundvierzig Stunden her. Und wo war Michaela Spreier?
Wie zu jedem Haus gehörte hier auch sicher ein Keller. Ich erinnerte mich an die Tür unterhalb des üppigen Treppenhauses, die offenbar nur mit einem speziell dafür angefertigten Schlüssel zu öffnen war.

Doch zog ich es vor, zunächst von hier zu verschwinden. Wenn er wiederkam und Michaela kauerte hier wirklich irgendwo herum, dass sicher nicht vor heute Nacht. Also noch Zeit genug, Kilian in meine Beobachtungen einzuweihen.
Ich verließ das Haus auf gleichem Wege, wie ich gekommen war. Mit tiefen Atemzügen füllten sich meine Lungen. Jetzt musste es mir nur noch gelingen, unbeobachtet zurück zur Straße zu gelangen und auf dem Schnellsten Weg von hier zu verschwinden.
Genau in dem Augenblick, als ich das Tor öffnete und die Kastanien-Allee betrat, näherte sich aus der Ferne ein Wagen. Dieses blubbernde Geräusch der Auspuffanlage war mir mehr als vertraut. Es war unser Chevy Blazer, der sich mit langsamer Fahrt der No.34 näherte.
Erschrocken wich einen Schritt zurück und wartete ab, was passierte. Der Mann am Steuer des Chevy war eindeutig Boris, doch mit aufheulender Maschine fuhr er am Anwesen vorbei.
Mit einem Taxi machte ich auf den Weg zurück zum Kiez. Die Fahrt kam mir vor wie eine Ewigkeit, doch trotzdem dort angekommen empfing mich Herzchen sogleich an der Tür.
„Hey Junge, du bist ja kreideweiß. Bist du gerade dem Teufel persönlich begegnet?“
„Nicht dem Teufel.“ Entgegnete ich. „Aber da wo er wohnt. In der Hölle.“
„Komm erst mal rein und trink einen Schluck.“ Schlug Herzchen vor. „Ist ruhig bis jetzt und Kilian hat sich auch noch nicht hier blicken lassen.“
Herzchen befüllte die Gläser und aus der kleinen Küche hinter den Tresen der Bar roch es diesmal nach frischem Kaffee.
Nach einer Weile der Besinnung erzählte ich ihm von meiner Entdeckung, dass es selbst einem hartgesottenem Typen wie ihm die Sprache verschlug.
„Mmmhhh…keine Ahnung, Aber du musst mit Kilian darüber reden. Wenn die Kleine wirklich da festgehalten wird, macht er sie fertig.“ Sicher hatte er recht, denn wir brauchten schon sehr bald wieder frischen Wind auf der Meile, sonst bekam unser Killer genau das, war er wollte und die Jungs hier brauchten bald mal konkretes sonst konnte ich hier bald einpacken. Man spürte bereits, wie der ein oder andere an meinem Stuhl sägte.
Aber soweit wollte ich es nicht kommen lassen. Also genügte ein einziger Anruf und weniger als fünfzehn Minuten, bis Kilian und seine Gang hier einflogen.
„Was hast du?“ Erwartung gemäß rastete Kilian vollständig aus. „Hör mal. Wenn du den Job wechseln willst, ist das deine Sache. Na schön, am besten ich schicke mal die Leute von der Spurensicherung. Hoffe ja für dich, du hast nicht zu viel angefasst.“
„Wir sollten noch etwas warten damit.“ Schlug ich vor in der Hoffnung, die Situation etwas damit zu entspannen.

„Warten? Die da oben machen mich fertig, wenn das raus kommt.“ Mit bedächtigem Gang ging er ein paar Schritte quer durch die Bar auf und ab.
„Kann sein, das er dieses Mädchen, diese Michaela auch noch dort irgendwo gefangen hält.“ Spätestens jetzt erweckte ich auch seine Neugierde und die Jungs von der SpuSi waren erst einmal vom Tisch.
„Ich dachte, du hast den Laden da durchkämmt?“
„Es gibt sicher noch einen Keller, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.“ Erklärte ich während ich ihm haarklein die gesamte Umgebung und jeden der Räume erklärte.
„Kann sein, wenn wir Michaela finden sollten, dass wir dann auch ihn haben. Hoffentlich hast du recht. Verdammt, macht denn eigentlich hier nur noch jeder was er will.“ fluchte Kilian in den höchsten Tönen.
Das war also geschafft und er hatte meine kleine Exkursion hoffentlich irgendwie gefressen.
Das Handy klingelte. Es waren Nela und Roya, die mir gerade mitteilten, das Nina mit unserer Kleinen endlich nach Hause kam. Und Chloe bereite schon gebührend ihre Heimkehr vor.
„Hey du, ich glaube, du wirst erwartet.“ Es tat wie immer gut Nelas Stimme zu hören, so unbesorgt und voller Lebenslust.
„Klar, wann seit ihr da. Gib Nina einen dicken Kuss von mir.“ Manchmal brauchte ich sie mehr als alles andere auf dieser Welt. Es war wieder diese ganz bestimmte Art der Erregung, die nur ich allein einzuschätzen vermochte.
Mit einer besseren Nachricht konnte dieser Tag einfach nicht enden, bevor alles wieder heute Nacht hier auf der Meile von neuem begann.
Ich versuchte mich in den Tagen darauf, wenn auch etwas zwanghaft, mich gegenüber Boris und Jurij so loyal wie nur möglich zu verhalten. Außer der Überwachung meines Hauses gehörte ab sofort die Observation der Kastanie-Allee zu ihren Aufgaben.
Das Mädchen, das ich dort tot auffand, verblieb erst einmal bis zu ihrer endgültigen Identifizierung und Klärung des Tatherganges in der Autopsie der Gerichtsmedizin. Auch fanden Kilians Leute keinen klaren Hinweis über den gewaltsamen Aufenthalt von Michaela Spreier.
Klar war nur, unser Killer handelte wie ein Professioneller. Nur ein Anfänger oder diese Trittbettfahrer machten Fehler.

Aber nicht er und das zeugte von einer Art Intelligenz, was das Täterprofil, so Kilian, enorm einschränkte. Oder täuschten wir uns letztlich sogar alle und ihr Versteck war ganz in unserer Nähe und wir überhörten einfach ihren Hilfeschrei?
Niemand dachte daran oder wagte es auszusprechen, dass der Kiez mit seinen unzähligen Seitenstraßen und Bars an jeder Ecke und Kante gemeint sein könnte. Eine großangelegte Razzia benötigte sicher hunderte von Leuten und wäre der endgültige Anfang vom Ende. Planlos, wie meist, blickten wir in die Runde und die Uhr für Michaela tickte unaufhörlich.
Plötzlich fühlte sich mein Leben wieder an, als säßen wir auf gepackten Koffern. Ein Wort nur zu meinen Frauen, vor allem zu Nela und es ging los. Ich schätzte, nur in Minuten wäre unser Haus umstellt und wir brauchten uns nur noch für eine sehr lange voneinander verabschieden.
Doch sicher nicht und da waren wir vier und einig, bevor Michaela wieder in Freiheit war. Wer immer sie auch war. Sie verdiente das Leben wie auch ich vor langer Zeit um meins und um das von Nina fürchtete und ein anderes dafür eiskalt auslöschte. Das war nun mal mein Preis dafür, dass ich nun hier war. Zwar frei wie ein Vogel aber doch ein Gefangener meiner selbst.
Mit Freunden, die soviel Dreck am stecken hatten, dass gleich zwei Leben nicht genügten, um sie alle gleichzeitig hinter Gitter zu bringen. Und einem etwas wild gewordenen Bullen, der sich an meinem eigenen Körper verewigte, in dem er mir den kleinen Finger meiner linken Hand abschnitt und das noch als eine besondere Gnade bezeichnete.
Doch ob es uns passte oder nicht, wir hatten einen Auftrag zu erfüllen. Einen Auftrag, wenn wir ihn erledigt hatten, ein weiteres Opfer, wenn auch hoffentlich das letzte, auf den Plan holte.
Seit Tagen schon belagerten die Nachrichtendienste die Stadt und auch den Kiez und verdarben uns gründlich den Brei. Mit leeren Versprechen beruhigten irgendwelche Funktionäre der Kripo die Öffentlichkeit und machten uns das Leben schwer. Eine Angelegenheit, der sich Kilian sicher gerne annahm, ginge es doch hier eindeutig auch um ihn.
„Politik. Nichts als Politik.“ Fluchte er mit zerknirschtem Gesicht.
„Und was erwartest du? Doch wohl nicht etwa Mitleid.“ Entgegnete ich ihm auf dem Fuße. Schnell befüllte Herzchen erneut unsere Gläser, um uns zum Schweigen zu bringen.
„Also ihr Amateurdetektive. Ihr habt es alles gerade selber gehört. Ab jetzt noch genau achtundvierzig Stunden und der Fall ist vom Tisch. Oder die da oben schicken uns noch das FBI, weil wir mit dem Kerl nicht fertig werden.“ Kilian konnte ja sogar noch in der Beschissesten Situation, eine echter Komiker sein. Oder war das mal wieder ein Akt der Verzweiflung, der in seinen Augen zu erkennen war?

„Und keine Alleingänge mehr. Ist das klar ihr Zinnsoldaten?“ Alle Achtung, Kilian traute sich was und der Rest nahm es mit dem notwendigen Humor, bevor er wirklich noch mal eines Tages vor uns allen auf die Bretter ging.
Ich dagegen wusste schon lange nicht mehr, wann ich das letzte mal neben Nina eingeschlafen war. Ich blickte zur Uhr. Jetzt müsste sie bereits da sein. Fast schon wieder wie in alten Zeiten tuckerten mich Boris und Jurij bis vor die Tür unseres Hauses, vor der sie schon auf mich mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht und er kleinen Erin auf ihrem Arm wartete.

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Die Uhr tickte unaufhaltsam.
Ich hatte unseren Killer dazu gebracht schwere Fehler zu begehen. Jetzt musste ich ihn nur noch schnappen. Greif war sich sicher, dass der Mann uns nur deshalb immer einen Schritt voraus sein konnte, weil er genau wusste, wonach wir und Stephans Truppe auf dem Kiez suchten und wo wir jeden Stein umdrehten.
Wieder einmal hatte meine Judith die rettende Idee.
„Lenk ihn ab.“ Hatte sie gesagt. „Lass ihn das sehen, von dem, was du willst, was er sieht!“
Das hatte eine gewisse Logik. Nur, wie sollte ich das hinbekommen? Doch noch während mir Judith ihren Vorschlag erklärte, formte sich schon ein Plan in meinem Kopf. Verdammt! Ein teuflisch guter Plan und am besten gefiel mir, dass ich um Erfolg zu haben, Steph hinter das Licht führen musste. Das war allerdings nicht mehr so einfach wie zu Beginn unserer „Beziehung“. Mittlerweile kannte er mich ein Stück besser und wusste auch, dass Judith immer für eine Überraschung gut war, also musste ich mir schon etwas Gutes einfallen lassen und ich brauchte einen Helfer…

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Doch gerade als mein Helfer seinen Job erledigte, kam Stephs Anruf! Eine weitere Leiche und die lag in der Kastanien Allee 34!
So eine Scheiße, eine weitere Tote, war das letzte was ich jetzt gebrauchen konnte.
Mit Graling, Berger und Schaum fuhr ich zur Kastanien Allee 34, wo auch schon Stephan mit seinen Bodyguards wartete.
„Ich hoffe, du hast nichts angefasst!“ Sagte ich zu Steph als wir ins Haus gingen, während Boris und Juri draußen stehen blieben.
„Ich hab auch Krimis geschaut!“ Maulte er zurück.
Ohne einen Kommentar dazu abzugeben, erreichten wir das Haus. „Wo ist der Keller, den du gesehen hast?“
„Willst du dir nicht zuerst die Leiche ansehen?“
„Die ist tot und läuft nicht weg, erst der Keller!“
Steph führte uns eine schmale Treppe herunter zu einer massiven Holztür, die mit einem Sicherheitsschloss gesichert war. Graling legte sein Ohr an die Tür, horchte und schüttelte schließlich mit dem Kopf.
„Mach auf!“ Wies ich Graling an und der griff in seine Tasche, um sein Spezialwerkzeug herauszuholen.
„Schleppst du so ein Zeug immer mit dir herum?“ Fragte Steph ihn.
„Klar, ich war beim Einbruchdezernat. Da gibt es nichts, was du nicht lernst. Egal welches Schloss du vor die hast, nach zwei Jahren bekommst du es auf.“
„Warum ballert ihr nicht einfach das Schloss raus?“
„Du schaust eindeutig zu viele Krimis.“ Murrte ich ihn an und sah wie Berger und Schaum ihre Waffen herauszogen.
Graling knackte das Schloss in einer halben Minute und die Tür sprang einen Spalt auf. Langsam drückte Berger die Tür auf und zusammen mit Schaum betrat er den dunklen Raum.
Ich kam als Nächstes und knipste das Licht an.
„Scheiße!“ War Gralings Kommentar und dem war nichts hinzuzufügen. Überall in Raum hingen Bilder! Nicht irgendwelche Bilder, sondern Kunstwerke, von denen sicher einige seit Jahren verzweifelt gesucht wurden.
Der Raum hatte mindestens 200 qm/2, und mehrere Stellwände dazwischen an denen noch mehr Bilder hingen. Jedes Bild wurde exakt nach seiner Größe ausgeleuchtet und richtig zur Geltung gebracht.
„Da wird Reller aber eine gute Erklärung brauchen.“
„Ich wette, dass Reller erst gar nicht mehr aus China zurückkommt.“
„Alle raus hier!“ Befahl ich und zog die Tür hinter mir zu, als wir alle das Zimmer verlassen hatten.
„Typisch Jetzt kann der große KB sich wieder einmal mehr als Held präsentieren.“ Schüttelte Stephan verbittert den Kopf.
„Klappe, das hier hat keiner gesehen! Zumindest nicht jetzt!“
„Was?“ Fragte Graling ungläubig. „Ich hab da drinnen mindestens sieben gesuchte Bilder aus Raubüberfällen gesehen!“
„Wenn wir das jetzt öffentlich machen, interessiert sich niemand mehr für Michaela oder unseren Killer! Nein erst schnappen wir den Kerl, dann kann von mir aus einer den Keller hier leer räumen!“
Irrte ich mich, oder zuckte Steph bei dem Wort Killer leicht zusammen? Hatte er etwa eine Spur oder einen Verdacht? Jedenfalls schwieg er dazu und wir gingen nach oben, um uns die Leiche anzusehen.

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„Was für eine Sauerei!“
Besser als Schaum hätte ich es auch nicht sagen können.
Das Mädchen war wirklich übel zugerichtet. Wer immer das war, er hatte so ziemlich alle Register gezogen.
„Schätze unser Killer hat wieder zugeschlagen.“ Meinte Steph.
Davon war ich noch nicht überzeugt. Das Opfer wurde gefoltert… Die anderen Opfer unseres Killers nicht. Lediglich die Tatsache, dass man ihr letztlich den Schädel eingeschlagen hatte, sprach dafür.
„Machen wir uns an die Arbeit.“ Murrte ich.
Berger begann sofort das Opfer zu identifizieren. Mit Hilfe der Fingerabdrücke und einem Bild hatte er den Namen der Toten schnell in Erfahrung gebracht.
Olga Pressiliow, eine illegale Prostituierte, die auf dem Strich Gwen genannt wurde. Sie hatte einen Zuhälter, der natürlich verschwunden war, und passte überhaupt nicht in das Schema unseres Kiezkillers. Gwen war arm, hatte weder Schmuck noch irgendetwas anderes, das den Neid unseres Killers erweckt haben könnte. Dennoch sagte mir mein Instinkt, dass Steph mit seiner Vermutung Recht hatte. Es war das Werk des Mörders den wir suchten! Ich brauchte einen Experten!
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Schaum hatte eine komplette Bilderserie geknipst, mit der ich zu Greif fuhr.
Die schaute sich die Bilder lange und genau an. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“
„Ich hasse das. Ok, erst die Gute!“
„Ja, das war unser Killer.“
„Und die Schlechte?“
„Michaelas Zeit läuft in den nächsten Stunden ab.“

„Sie lebt wirklich noch?“
„Jetzt bin ich mir sicher. Sehen sie, unser Mörder hat Michaela aus einem Grund entführt. Er muss mitbekommen haben, dass sie ihn gesehen hat und das sie mit ihnen geredet hat.
Er wird sie irgendwo von allen äußerlichen Einflüssen isoliert haben, um sie weichzukochen. Das war Phase eins.
Phase zwei bestand darin, ihr Angst zu machen. Sie einzuschüchtern und klar zu machen, dass ihr Leben einzig von ihm abhängt.
Das hier ist Phase drei. Er zeigt Michaela, was mit ihr geschieht, wenn sie nicht kooperiert. Ich wette, sie finden Spuren die belegen, dass Michaela dort war und mitangesehen musste, wie er Gwen zu Tode gefoltert hat.
Jetzt ist sie zurück in ihrem Verlies und er wird sie fragen, was sie ihnen verraten hat. Michaela wird jetzt völlig verängstigt sein und nicht in der Lage sein Widerstand in irgendeiner Art zu leisten.
„Und dann?“
„Das war es dann. Das Ende von Phase drei, wird Michaela nicht überleben. Ich schätze, sechsunddreißig Stunden, oder weniger.“
-Das passt ja prima!- dachte ich. In sechsunddreißig Stunden würde mich Keller sowieso abschießen… Es sei denn mein Plan mit Steph hatte Erfolg…

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Verdammt! Eigentlich wollte ich mit Judith in Ruhe etwas essen und mir einen gemütlichen Abend auf der Couch machen. Jetzt saß ich hier in meinem Büro und nahm mir wieder und wieder die Berichte und Aussagen vor. Es war zu Haare raufen! Ich war sicher, dass die Antwort vor mir lag, ich sah sie nur nicht!!!
„Was für ein Saustall. Hast du keine Putzfrau, die dir deinen Dreck aufräumt?“ Ich blickte auf und sah meinen Freund Neun-Finger-Steph in der Tür stehen.
„Was zum Teufel treibst du hier? Bist du total bescheuert? Verdammt, wenn dir Keller über den Weg läuft…“
„Halt die Luft an, ich muss mit dir Reden! Und ja verdammt, es ist wichtig!“
„Los raus hier!“ Ich schnappte mir meine Jacke und schob Steph aus der Tür raus. Draußen gingen wir zum Parkplatz, auf dem man gestern Morgen Sachen gefunden hatte, die aus einem Einbruch aus der Kastanien Allee 31 stammten. Eine weitere „Besonderheit“ war Marc Spreier. Er saß den ganzen Tag auf dem Parkplatz vor der Wache. Als die Streifenpolizisten ihn vertreiben wollten, griff ich ein. Naja nicht ich direkt, ich schickte Kammer vor, schließlich hatte ich ein Image zu verlieren. Außerdem versorgte Kammer Marc zweimal täglich mit Essen und Trinken aus der Kantine. (Auf meine Kosten! Wenn mir das einer vorher erzählt hätte….)
Zu meinem Erstaunen stand Stephs Prollkarre gar nicht auf dem Parkplatz und auch seine Leibwache, die ihn sonst nie aus den Augen ließ, war nicht da.
„He, wo sind denn deine Gorillas?“
„Das ist das Problem.“
„Was ist, wirft das Eros kein Geld mehr ab und du schuldest ihnen ihren Lohn? Ja, das könnte ein Problem für dich sein.“
„Du kannst so ein Arsch sein…“
„Was ist jetzt? Verdammt, da draußen kämpft ein Mädchen ums Überleben, ich hab keine Zeit für so eine Scheiße!“
„Ich glaube, es ist Boris!“
„Was?!“
„Ich denke, dass Boris der Killer ist!“
„Wie kommst du darauf?“
„Kommt es dir nicht auch seltsam vor, dass ausgerechnet Boris dich zur Leiche im Pullmann gebracht hat? Und das ausgerechnet er Blut riecht?
Du hast es selbst gesagt, wahrscheinlich versteckt der Killer sich nicht. Er weiß genau wen und was wir suchen. Boris wusste das alles!
Als ich in der Kastanien Allee war, ist er am Haus vorbeigefahren. Und das während eine Tote darinnen liegt.
Außerdem benimmt er sich seit dem Tod von Völling und Michaelas Entführung, sehr seltsam.“
„HHHMMM“ Ich ließ mir die Vorwürfe durch den Kopf gehen. Boris war Ende Vierzig, hatte eine mittlere Figur, auch wenn diese eisenhart trainiert war, kurze dunkle Haare, mit leichtem Graustich, alles in allen eine Beschreibung, die zu allen Beobachtungen passte.
„Was ist mit Jurij? Hängt der auch mit drin?“
„Ich weiß es nicht. Verdammt, ich weiß nicht, was ich denken soll. Bis jetzt war Boris immer loyal und ich vertraute ihm die Sicherheit meiner Familie an, aber jetzt…
Was ist wenn er…? Was wenn Greif recht hat und er aus Neid über Nina und die Kinder herfällt?“
„Jetzt mach dir mal nicht zu viele Sorgen um die drei. Nela wird doch sicher auf sie Aufpassen. Hast du ihr von deinem Verdacht erzählt?“
„Klar!“
„Wo ist Boris jetzt?“
„Das ist das Problem! Er ist untergetaucht!“
„Was? Verdammt, du hast einen solchen Verdacht und wartest, bis er abtaucht?! Du Vollidiot, ich sollte dich…“
„Scheiße, du warst auch nicht schlauer als ich, sonst wärst du von selber darauf gekommen! Was machen wir jetzt?“
„Du fährst sofort nach Hause und bringst Nina und die Kinder zu Judith!“
„Bist du verrückt? Die bringen sich gegenseitig um!“
„Dann muss deine Perle eben mal die bittere Pille schlucken. Entweder will sie Sicherheit oder sie spielt Zielscheibe. Jedenfalls wird nicht mal Boris Nina bei Judith vermuten.“
„Ok, das hat was Logisches.“ Er kramte ein Handy aus seiner Tasche hervor und wählte eine Nummer.
„Was soll das? Willst du sie etwa anrufen?“
„Nein, ich bin kein Vollidiot, ich brauche ein Taxi.“
„Der König braucht ein Taxi, hätte nie gedacht, dass ich das mal erlebe.“
„Leck mich!“
Während wir auf Stephs Taxi warteten, rief ich Judith an, um sie vorzuwarnen. Besser sie brachte alle scharfen Gegenstände unter Verschluss, bevor Nina und sie zusammentrafen.
Nach ein paar Minuten kam das Taxi. Steph stieg auf den Beifahrersitz und ich hielt noch die Tür auf. Der Gestank alter Kippen stieg mir in die Nase, und ich erkannte, das Taxi unseres Einzelunternehmens. Sauberer war der Wagen nicht geworden.
„Also, du musst Herzchen ins Vertrauen ziehen. Der Rest deiner Truppe soll sich auf die Socken machen und Boris finden! Dreht jeden Stein um. Wir fahren zu seiner Wohnung und holen sie auseinander. Wenn er tatsächlich der Killer ist, dann müssen wir ihn finden, bevor er Michaela umbringt! Los jetzt!“ Ich schlug die Tür zu und der Fahrer gab Gas.

**

Zurück in meinem Büro trommelte ich die Mannschaft zusammen.
Mit drei Wagen fuhren wir zu Boris Wohnung. Es war eine Doppelhaushälfte aus den Sechzigern, welche mitten in der Hauptstraße des Viertels lag. Wir waren noch nicht einmal ausgestiegen, als die ersten Schaulustigen stehen blieben und sich versammelten.
„Ich liebe Gaffer!“ Brummte Schaller als er mit Graling zur Haustür schritt.
„Berger, Schaum, ihr nimmt die Rückseite.“
„Alles klar, KB.“ Die beiden schwirrten um das Haus herum und schlichen in den Garten.
Zusammen mit Kammer blieb Jansen am Wagen während ich hinter Schaller zur Tür schritt.
„Soll ich klingeln?“ Fragte Graling.
„Scheiß drauf. Wenn er nicht unser Killer ist, kauf ich ihm eine neue Tür. Und jetzt los!“
Auch diesmal knackte Graling das Schloss in wenigen Sekunden, doch Boris hatte eine Sicherheitskette vorgelegt. Da half nur brachiale Gewalt. Mit einem festen Tritt riss die Kette auseinander und die Tür sprang auf.
„BORIS!“ Rief ich und zog meine Kanone, schließlich war der Mann ein tot ausgebildeter Söldner, einiges an Kampferfahrung gesammelt hatte.
„BORIS!“ Rief ich ein Zweites Mal, nachdem keine Antwort kam.
Nach einigen Sekunden erschienen dann auch Berger und Schaum. „Die Hintertür stand offen. Wahrscheinlich hat er uns kommen sehen und ist in letzter Sekunde abgehauen.“ Mutmaßte Berger.
„Verdammt! Ok. Gib die Fahndung nach ihn heraus.“
„Hier gibt’s einen Keller!“ Rief Schaum und wir gingen zu ihm. Tatsächlich führte eine schmale Treppe nach unten. Auch die Tür dort war, ebenso, wie die Tür zu Relleres Galerie mit einem Sicherheitsschloss gesichert und Graling musst erneut ran.
Als auch diese Tür offen stand, zeigte sich dass, der Raum dahinter nur sehr klein war, aber dafür jede Menge an Waffen beherbergte.

Ich stöhnte auf. „Noch so ein Mistkeller! Also gut, erst Michaela, dann Relleres Bilder und am Schluss nehmen wir uns die Waffenkammer da unten vor.“
Oben angekommen nahm ich Graling zur Seite. „Du bleibst mit Schaller hier. Die Spurensicherung soll sehen, ob sie irgendwas findet, was auf Michaela hindeutet.“
„Alles klar Boss.“
Mit Jansen fuhr ich zum Eros.

Wenigstens hatte Stephan etwas Verstand benutzt. Nela und Roya hatte er nicht zu Judith gebracht, beide waren im Eros und hielten den Betrieb aufrecht, als ich ankam.
„Und?“ fragte ich.
„Herzchen stellt gerade alle Clubs und Bars auf den Kopf und sucht mit knapp einhundert Leuten nach Boris.
„Gut, was wir brauchen…“ ich unterbrach, als mein Handy klingelte. –Judith- stand auf dem Display, also nahm ich das Gespräch an.
„Hallo Killian, ich wollte dir nur Bescheid geben, dass Nina und die Kinder gerade eintreffen.“
„Ok, bringt euch nicht gegenseitig um, versucht es wenigstens.“
„Kannst dich auf mich verlassen.“ Lachte sie. Im Hintergrund hörte ich wie die kleine Emily fröhlich und laut „Tante Judith, Tante Judith“ rief.
„Hallo meine Große.“ Antwortete Judith. „Ich leg auf, ich muss mich um unsere Gäste kümmern, bis später.“ Ich konnte mir gut vorstellen, wie sauer Nina war, dass Emily so gut mit Judith auskam. Tatsächlich hatte sich zwischen Emily und „Tante Judith“ ein durchaus freundschaftliches Verhältnis gebildet. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen man sich traf, hatte sich Judith immer freundlich gegenüber Nina und den Kindern gegeben. Auch wenn Nina dabei kotzen musste, sie konnte nicht sagen, dass Judith je ein böses Wort über sie oder ihrer Familie fallen ließ.
Als ich Stephs saures Gesicht sah, er hatte schließlich mitgehört, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ja, wir werden noch eine richtige große Familie.“ Lachte ich ihn an.
„Damit beeilst du dich besser. Nur noch 1423 Tage, dann ist mein Teil der Familie weg!“
„Vielleicht gefällt es deinem Teil der Familie bei mir so gut, dass sie später gar nicht mehr weg will.“

**

Herzchen hatte eine Lawine losgetreten. Diesmal hatten wir keine vage Beschreibung von dem Gesuchten, sondern alle wussten, wen wir suchten und wie er aussah.
Jeder Betreiber, Bewohner oder „Beschäftigte“ auf dem Kiez kannte Boris. Überall sprach man darüber und schon Stunden später gab es nur ein Thema. Der König suchte Boris, den Killer. Doch der blieb verschwunden.
Lediglich Jurij tauchte wie gewohnt auf und wurde sofort von Herzchen auf Herz und Nieren geprüft. Stunden später war er sich sicher, dass Jurij sauber war, aber Herzchen hielt es für besser ihn nicht an der Suche nach seinem Freund zu beteiligen.

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„Da bist du ja.“ Milewski fing mich noch am Eingang der Wache ab. „Keller und Schneider rufen alle fünf Minuten an, und wollen wissen, was es neues gibt.“
„Wir suchen Boris und wenn wir ihn gefunden haben, bekommen sie als erster Bescheid.“
„Noch vierundzwanzig Stunden, dann haben dich beide am Arsch!“
„Ja wird wohl so sein, außer ich finde den Killer vorher.“

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Alle suchten Boris.
Nein alle suchten ihn nicht. Eine Frau suchte etwas ganz anderes, nämlich Hilfe! Nach einer erfolgreichen Nacht versuchte Justine, so nannte sie sich, während sie in ihrem Studio ihrer Beschäftigung als Domina nachging, ihr Leben zu retten.
Der Schlag mit dem Baseballschläger hatte ihr Bein schwer in Mitleidenschaft gezogen doch Justine ignorierte den Schmerz und lief um ihr Leben.
Nur ein paar Schritte hinter sich hörte sie ihren Angreifer. Es war drei Uhr nachts und Justine rannte durch den menschenleeren Park. Anfangs hatte sie um Hilfe gerufen, doch dann erkannte Justine, dass sie die Luft zum Rennen brauchte.
„Du wirst mir nicht entkommen!“ Rief ihr Angreifer. „Ich krieg dich du Schlampe!“
-NEIN! WIRST DU NICHT!- schwor sie sich und rannte. Zum Glück hatte sie die hochhackigen Schuhe, die sie während ihrer Arbeit als Domina trug, im Studio gelassen und stattdessen bequeme Turnschuhe angezogen.
Der Angriff hatte sie völlig unerwartet getroffen. Sie war auf dem Nachhauseweg, hatte sich etwas entspannt, wähnte sich in Sicherheit und überlegte, ob sie für den morgigen Tag, an dem sich mehrere ihrer Stammkunden angemeldet hatten, noch etwas besorgen sollte, als der Horror über sie hereinbrach.
Plötzlich war der Verrückte, der hinter ihr her hetzte, ihr über sie hergefallen. Am Eingang zum Park hatte er sie an den Haaren gepackt, sie in eine dunkle Ecke gezerrt und mit einem Baseballschläger in den Händen drohend vor ihr gestanden.
„Du mieses neureiches Flittchen.“ Sagte er voller Hass.
„Was wollen sie von mir?“

„Ich hab dich beobachtet. Dich und deine nach Geld stinkenden Kunden. Ihr lebt wie die Maden im Speck, während andere, nicht wissen wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.“
„Wenn sie Geld wollen…“
„Halt dein Maul!“ Schrie er Justine an. „Ich scheiß auf dein Geld. Ich werde euch Dreckspack alle totschlagen.“
Jetzt erkannte Justine, wer da vor ihr stand und eines war ihr sofort klar, hier gab es nur eine Möglichkeit zu entkommen, und die hieß, nicht reden oder verhandeln!
Mit einem Aufschrei warf sie sich nach vorne und rammte dem Mann ihre Fingernägel ins Gesicht. Der taumelte rückwärts, schlug aber reflexartig mit dem Baseballschläger zu und erwischte Justine am Bein. Wenige cm tiefer und er hatte ihr das Knie zertrümmert, so explodierte zwar der Schmerz, doch Justine konnte davonlaufen.
Ihr Angreifer brauchte nur wenige Sekunden um sich zu erholen und ihr zu folgen, doch Justine gab nicht auf und rannte durch den Park.
Justine hörte den Killer immer näher kommen und konnte schon beinahe die Hand spüren, die er nach ihr ausstreckte, als sie 100 Meter vor sich einen Mann mit einem kleinen Hund sah.
„HILFE!“ Schrie sie, so laut wie sie konnte und der Mann drehte sich um.

**

In ihrem Verlies hockte Michaela einsam und verlassen.
Seit sie Mitansehen musste, wie die andere Frau von ihrem Entführer zu Tode gefoltert wurde, hatte sie jede Hoffnung aufgegeben.
Gefesselt und hilflos hatte er sie gezwungen zuzusehen, wie er immer schlimmere Dinge mit dem armen Mädchen anstellte und ihr, als sie nur noch ein zuckendes Bündel war, mit einem Schlag den Schädel einschlug. Dann hatte sich ihr Kreislauf endlich erbarmt und Michaela in eine tiefe Bewusstlosigkeit gleiten lassen.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie wie vorher, angekettet in ihrem Versteck.
Jetzt ging das Licht an und ihr Entführer kam in ihr Verlies.
Er warf den Baseballschläger, den er zuvor mitgenommen hatte wütend in die Ecke und trat Michaela in die Seite. Als sie aufschrie, beugte er sich zu ihr herunter und packte sie an den Haaren. So zwang er ihr Gesicht direkt vor seines.
„So du Schlampe, morgen werden wir zwei uns in Ruhe unterhalten. Überlege dir schon einmal gut, ob du versuchst, mich anzulügen. Du hast gesehen, was ich mit der anderen Dreckshure angestellt habe und glaub mir, die hatte es noch gut gegenüber dir, falls ich der Meinung bin, dass du mich anlügst.“
Damit stieß er Michaela zu Boden und ließ sie zurück. Auf dem Weg zur Tür hinterließ er mehrere kleine Blutspuren, die aus den drei tiefen Kratzwunden, welche quer über seine rechte Gesichtshälfte verliefen, heruntertropften.

**

Stunde um Stunde verging. Die Zeit, die uns im Genick saß, raste spurlos an uns vorbei. Verdammt, nein! Dass hier alles war kein Spiel mehr. Einfach unfassbar, wozu Menschen fähig waren.
Doch die Zeit jetzt mit herum grübeln zu verbringen, machte einfach keinen Sinn. Dafür war es jetzt längst zu spät.
– Das hier war tot ernst -.
Das Leben auf dem Kiez mit all seiner ganzen Härte und Brutalität, wie ich es mir hätte vor langer Zeit nicht mal in meinen kühnsten Träumen vorstellen können.
Ein Mädchen und vielleicht mal eine eigene Familie. Mehr wollte ich doch eigentlich nicht. Etwas, was sich jeder einmal im Leben wünschte.
So ein ganz normales Leben halt. Eine Frau, die man abgöttisch liebte, ein Haus mit einem Garten, in dem Kinder spielten.
Ja, das alles hatte ich ja nun.
Nina und unsere beiden Kleinen Erin und Emily, Nela, meine treue Weggefährtin, Roya, das rot gelockte Kiezmädchen, die  Augenzeugin in einem brutalen Mordfall wurde und seit dem bei uns lebte und nicht zuletzt auch Chloe, das Animiermädchen aus dem „Eros“, die einfach aussteigen wollte. Raus aus ihrer alten Welt und die nun unser Hausmädchen war.
Es war also höchste Zeit, endlich eine Entscheidung zu treffen. Nicht für die Jungs da draußen auf dem Kiez, auch nicht wegen Kilian.
Eine Entscheidung, für mich ganz allein. Klarheit, auf welcher Seite ich hier eigentlich stand.
Ständig fragte ich mich, wem ich hier überhaupt noch vertrauen konnte. In mir herrschte nur noch ein Gefühl von innerlicher Leere und einer mächtigen Portion Ratlosigkeit.
Mit der Tür in der Hand an diesem Abend drehte ich mich um und warf einen Blick herüber zu Boris und Jurij. Doch die Lichter des Chevy Blazer verschwanden bereits in der Dunkelheit. Ob es tatsächlich eine Verbindung zwischen Boris und allen diesen Morden gab?
Ich sah keinen anderen Ausweg mehr, als mit Kilian darüber zu reden. Am besten gleich morgen früh bei einem unserer routinemäßigen Treffen.
Je eher ich das tat, je besser.
Und je eher sich mein Verdacht vielleicht auch bestätigte, je eher fanden wir auch Michaela und befreiten sie aus der Gewalt eines mehrfachen Mörders.
Im Haus herrschte eine sonderbare, fast schon beunruhigende Stille. Doch wie ich sie bereits schon vermisste und nach ihr sehnte. Ihre sanfte Stimme und die Berührungen ihrer schmalen, zarten Hände, die gerade sanft über mein Gesicht glitten.
„Hey, schau doch mal, wie süß sie ist. Sie schläft gerade.“ Flüsterte Nina leise, um Erin nicht zu wecken.
„Ja, genau wie Emily als sie noch so klein war. Und sie hat dein Gesicht.“ Musterte ich die zwei und gab Nina einen dicken Kuss auf ihren Mund.
„Hey, du siehst ganz schön fertig aus. Hab es schon gehört.“ Unterbrach Nelas Stimme die abendliche Ruhe.
Als ich das Haus betrat, liefen die Berichte des Regionalsenders gerade auf Hochtouren.
„Wieso, war heute jemand hier an der Tür? Die Bullen, oder etwa Kilians Leute?“ fragte ich Nela besorgt.
„Nein keine Spur, aber hör es doch selbst. So geht das schon den ganzen Abend. Und die Zeitungen stehen auch schon voll davon.“ Entgegnete sie und schaltete das Fernsehen ab.
Je häufiger ich versuchte den Gedanken, das der Killer bereits ganz in der Nähe unserer Villa mordete, zu verdrängen, je weniger gelang es mir.
Andererseits beruhigte es mich, dass Nela wie ein Schutzengel jederzeit bereit war, ihr Leben für Nina, Roya und für die Sicherheit beiden Kleinen aufs Spiel zu setzen. Verdammt, Mut hatte sie ja. Liebevoll, sanft und zärtlich auf der einen Seite und skrupellos und eiskalt, wenn es sein musste, auf der anderen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass er am Ende doch noch einen Fehler machte, war  äußerst gering. Wer er auch immer war und ich hoffte, es war nicht Boris, er war ein Profi auf seinem Gebiet und ich fürchtete zu recht, dass die Spurensuche der Kripo auf der Kastanien-Allee ebenfalls zu keinen neuen Erkenntnissen führte.
Offen blieb somit immer noch die Frage, wer Alfons Völlings Leiche dort hin verfrachtete und Kilian und Boris den Tip gab und wer vor allem die tote Frau war, die ich dort auf brutalste weise zugerichtet fand. Sofort dachte ich wieder an den Gestank nach Verwesung und geronnenem Blut, das überall dort an den Wänden und auf dem Boden klebte.
– Einen Mörder sucht man zuerst in seinem engsten Umkreis – sagte Kilian irgendwann mal.
Doch ausgerechnet Boris und Jurij, meine beiden ukrainischen Exsöldner aus meiner Truppe?
Doch jeder Hinweis, der auf Boris als den Kiezkiller deuten würde, erhöhte Michaelas Chancen, doch noch mit dem Leben davon zukommen.
Völlig undenkbar auch, dass wir einfach so loszogen und den gesamten Kiez nach ihr  abgrasten. Und wie sollten wir es den Leuten da draußen verkaufen, dass wir ausgerechnet Boris verdächtigten?
Und selbst wenn irgendjemand von den Jungs auch nur das geringste wüsste, war die Kiezregel No.1 immer noch: „Keiner verpfeift einen anderen.“
Noch nicht einmal, wenn es sich um einen Mörder auf freiem Fuß handelte. Dann hieß eben, entweder die Bullen schnappten ihn, oder man zog selber los mit ein paar Leuten und krallte sich so einen Typen. Aber das jemand auspackte und tatsächlich sang, war völlig absurd.
„Hey, versuch dich wenigstens heute Nacht etwas zu entspannen.“ Nina erwiderte jeden meiner Küsse auf ihren geöffneten Lippen.

Noch näher rückte ich an sie heran und spürte die Hitze und das Beben ihres Körpers und ihrer Brust wie schon in so vielen anderen heißen Nächten mit ihr zuvor. Das Verlangen auf uns wurde fast unerträglich. Mit einem einzigen Griff an mein aufrecht stehendes Glied begann ich in ihr zu stoßen. Während für die arme Michaela Spreier, irgendwo da draußen in ihrem Verlies, allmählich die Zeit ablief, umarmte ich Nina und küsste sie immer wieder auf ihren Hals und in ihren Nacken und erst spät darauf schliefen wir erschöpft Arm in Arm ein.
Mit Kilian war es jedenfalls wie an jedem Tag das gleiche Spiel. Den Morgen darauf in der „Schatulle“, unserem konspirativen Treffpunkt, war zuerst mal wieder warten angesagt. Verspätete und mit übermüdeter Miene erschien er, wie immer in Begleitung von Judith, seiner zweiten Gehirnhälfte, wie ich sie gerne nannte und seiner Kollegin Janssen.
„Scheiße, mach mal einer hier ein Fenster auf. Hier stinkt es ja wie einer Fischküche und alle herhören.“ Begann er seine schwungvolle Rede an diesem Vormittag.
„Stinken? Bis gerade eben noch nicht.“ Antwortete Herzchen spontan, der schon wieder ein paar hoch rote Ohren bekam.

„Die da oben machen jetzt gewaltig Druck. Und diesmal ist nicht nur euer, sondern auch mein Arsch mächtig in Gefahr.“ Setzte Kilian fort.
„Man sorgt sich halt um dich.“ Reagierte ich etwas spöttisch. „Ist doch ein feiner Zug von deinen Leuten Kilian.“ Man sah ihm deutlich an, wie der Druck auf ihm und seiner Soko immer härter und härter an ihm haftete.
Dazu kam diese verdammte Anonymität dieser Stadt und vor allem der Meile, dass niemand es wagte, trotz wochenlanger Befragungen, das Maul aufzumachen.
„Haben wir diesen goldenen Käfig auf der Kastanien-Allee gründlich genug auf den Kopf gestellt?“ fragte ich ihn.
Kilian holte tief Luft. „Wenn du meinst, ob er Michaela Spreier dort gefangen hält? JA! Scheinbar macht er mit uns noch immer noch, was er will.“
„Methode oder haben wir es bereits einem zweiten Killer zu tun?“ interessierte sich der Rest der Truppe. Alle im Hinterzimmer redeten durcheinander.
Ich hoffte, dass nicht jetzt das eintrat, wovor ich mich hier auf dem Kiez am meisten fürchtete. Das gegenseitige Vertrauen unter uns sank auf einen Tiefpunkt. Mich ergriff ein Gefühl der Angst.
Ein Gefühl der Entmachtung und was passierte, wenn sie mich absetzten und irgendein anderer Typ trat an meine Stelle?
Vielleicht sogar mit mit Gewalt, mit der Waffe in der Hand. Ich wäre vogelfrei und ihnen vollkommen ausgesetzt.
Doch jetzt ausgerechnet jetzt mit Nina, Nela, Roya und unseren beiden Kleinen alles auf eine Karte zu setzten und uns aus dem Staub zu machen, wäre ein fataler Fehler und denkbar schlecht gewählter Zeitpunkt. Und auch ein gefährlicher zugleich, den ein Blutvergießen wäre unvermeidbar.
Dazu kam der unerbittliche Konkurrenzkampf unter den Clubbesitzern und auch unter den Mädchen im Sperrbezirk.
„Verdammt, was habt ihr den gedacht, was passiert?“ bemerkte Kilian mit hochgezogener Augenbraue und ein paar Sorgenfalten mehr in seinem Gesicht. „Die Freier bleiben aus und schon ist Ebbe in der Kasse.“
Erst kürzlich noch schnappten sie sich ein Mädchen und zerschnitten ihr, wie in einer Spirale der Gewalt, mit einer Glasscherbe das Gesicht.
„Also gut Kilian. Sag einfach, auf was du hinaus willst.“ Fragte ich ihn und wendete dabei auch meinen Blick auf Judith, die wiedermal mit Nachdenklichem, aber auch lächelndem Gesicht geduldig abwartete, dass Kilian ihr gnädig, wie er war, das Wort erteilte.
Er machte einen deutlichen Schritt auf mich zu, so dass es unvermeidbar war, mit ihm zu reden.
„Nicht hier vor allen anderen.“ Unbemerkt folgte ich ihm und Judith nach nebenan in den Spielsalon. Die Tür hinter uns schloss sich und sicher bemerkte er sofort, dass mit mir irgend etwas nicht stimmte.
„Ich hoffe, du täuschst dich da gewaltig.“ Kilian brauchte keinen Moment länger  überlegen, um festzustellen, dass ich Boris für den Mörder hielt. „Und ich hoffe, du weißt genau, mit wem und auf was du da dich einlässt, wenn das da draußen rauskommt.“
Niemand verstand das in diesem Augenblick wohl besser als ich. Doch wie lange kannten er und ich uns jetzt?
Und einfach aufgeben?
Kilian?
Nein! Kilian gab sicher nicht auf, bis er ihn endlich kriegte. Ob allein oder mit unserer Hilfe war ihm dabei sicher egal.
„Aber ausschließen willst du es auch nicht?“ versuchte ich mich, für meinen Verdacht zu rechtfertigen. „Nur noch ein paar Stunden und es ist endgültig aus mit ihr. Und du warst dann die längste Zeit bei der Kripo.“
„Ja schon gut, schon gut. An der Geschichte ist vielleicht was dran. Ich lasse ihn observieren. Aber wenn wir nichts gegen ihn in der Hand haben, ist die Sache vom Tisch, verstanden?“
Oder machte ich gerade den größten Fehler meines Lebens? Wir alle waren uns doch darüber sicher, das der Mörder, den wir, seit Wochen jagten, ein und der selbe war. Eine Serie von Morden, die alle ganz allein auf sein Konto gingen.
Ich ärgerte mich über meine Begriffsstutzigkeit. Nur jemand, der allein, fern ab von jeder Menschenseele und unerkannt lebte, konnte in aller Ruhe solche Taten planen. Und uns alle solange in die Irre führen, bis es uns endlich gelang, ihn zu fassen und ihm dann jeden Knochen einzeln zu brechen.
„Verdammt, wo steckt Boris?“ Fragte ich den Rest der verbliebenen Truppe.
„Ist hier noch nicht aufgetaucht, genau wie Jurij.“ Stellte Herzchen fest. „Hat er was angestellt?“ und lachte.
„Hast du es denn jetzt endlich begriffen?“ Kilian stand abseits vom Rest mit Judith und Janssen an der Bar und trommelte geduldig mit den Fingern auf der Theke. Niemand außer ich glaubte hier an Boris Schuld.
„Es ist es nicht. Du solltest es nur denken. Das alles gehört zu seinem teuflischen, perfiden Plan.“ Kilians Gesichtszüge waren auf eine Art und Weise bemerkenswert. Als Leiter der Soko Mord und Drogendelikte war er sicher mit so manchen Wassern gewaschen.
Doch seit dem Mord auf der Kastanien-Allee 34 und dem grauenhaften Anblick dieser übel zugerichteten Frau war er sich seiner Sache jetzt noch mehr als sicher.
„Kilian, wenn du was weißt, dann mach das Maul auf.“ Forderte ich ihn auf, endlich mit offenen Karten vor mir und den anderen zu spielen.
„Jetzt überlegt doch mal. Das erste Opfer war Lara Gawitter.“ fuhr er fort. Im Raum war es plötzlich totenstill. „Doch dafür gab es einen Zeugen. Und wie sich heraus stellte war es Gold-Gerd und der musste für immer zum Schweigen gebracht werden.“
„Und weiter?“ bohrten die anderen und ich ungeduldig.
„Immer mit der Ruhe. Haltet die Klappe und hört zu!“ Versuchte er die Menge zu beschwichtigen. „Dann schnappt er sich Brigitte Roth, vermögend und erfolgreich, erdrosselt sie schlägt ihr danach mit einem Stein den Schädel zu Brei. Aber wieder war er nicht vorsichtig genug, denn der Park gehört bei Nacht nun mal auch den Pennern und Junkies. Dafür hat er jetzt Michaela Spreier. Die Freundin von diesem Abschaum Marc Spreier. Irgendwas hat die beiden mitgekriegt“.
„Los Kilian. Rede schon, die Zeit läuft.“drängte ich, ungeduldig, dass jeden Moment hoffentlich auch Boris oder Jurij mit dem Chevy hier eintrudelten.
„Dann hört zu, ihr Meisterdetektive! Mit Alfons Völling legt er die Spur zu seinem  nächsten vermeintlichen Opfer. Aber Reller, ein steinreicher Kunstsammler hatte einfach nur Schwein gehabt und trifft nicht auf ihn, denn der ist im Augenblick im Ausland, vermutlich wie wir wissen irgendwo im asiatischen Raum. Boris jedoch findet Völling, als er eines Nachts versucht, durch die Garage in Rellers Villa zu gelangen um ein paar wertvolle Bilder von der Wand abzuhängen. Wir haben sie längst im Keller seines Hauses gefunden. Die Teile scheinen ein paar Millionen wert zu sein. Doch darum kümmern sich jetzt andere.“

„Und wer ist nun der Nächste auf der Abschussliste?“ Mir stockte der Atem und meine Stimme begann zu stottern.

„Also wenn du mich fragst, Du Steph! Oder noch besser jemand aus deiner Familie. Bin mir da ziemlich sicher. Ihr habt mit Nela wie durch ein Wunder ein Vermögen mit dem Eros gemacht und das stinkt ihm nun gewaltig.“
„Zum Teufel mit diesem Schwein. Wir müssen Nina und die Kleinen in Sicherheit bringen.“ Kilian lächelte, als er zu mir herübersah.

Doch den Grund dafür erfuhr ich noch früh genug, um nicht zu sagen auf dem Fuße. Das war ganze Arbeit, die er da leistete, denn so eben erweckte er wohl meinen aller schlimmsten Albtraum.
„Warum glaubt ihr eigentlich, hat man mich bei der Kripo angefordert, um diesen Fall zu lösen? Ist schon längst passiert. Nina und deine Kleinen befinden sich bereits auf dem Weg zu Judith und mir. Und besser sie bleiben dort, bis der Fall abgeschlossen ist. Kümmere du dich lieber um Nela und Roya. Und um die Jungs da draußen auf dem Kiez. Ich dulde hier keinen Spießrutenlauf.“
Typisch Kilian. Etwas Balsam auf seine angekratzte Seele und die Entscheidung war gefallen. Ich griff zu meinem Handy und wählte mit zittriger Hand Nelas Nummer.
„Wer hatte den die Idee.“ Ich versuchte, mit ruhiger Stimme Nela klar zu machen, dass der Killer sich vielleicht sogar schon auf dem Weg zu unserem Haus bereit machte.
„Es war Kilians Plan. Aber diesmal glaube ich, er ist verdammt gut. Dieser Kerl ist ein verdammt gerissener Hund. Wir müssen jetzt vorsichtig sein. Er darf keinen Verdacht schöpfen, dass wir in bereits erwarten.“
Zwar konnten Nela und ich uns es nicht vorstellen, das Nina und Judith unter einem Dach wohnten, doch wenigstens hatte Emily, wie wir später von Kilian erfuhren, ihren Mordsspaß dabei.
Und tatsächlich reichten sich die beiden Frauen fast schon freundschaftlich so manches mal ihre Hände. Na ja, für eine große Familie, mit der Kilian mich öfter gerne aufzog, war es, wenn überhaupt, sicher noch ein sehr weiter Weg.
„Pass auf Roya auf und kommt heute Abend ins „Eros“. Kilian und ich sind sicher, dass er genau weiß wer ihr seit. Wir wollen, dass er euch dort sieht, sollte er tatsächlich auf der Meile auftauchen.“
Dann verstummte das Gespräch und Nelas Name erlosch auf dem Display meines Handys. Uns alle umgab ein sonderbares Gefühl der Sicherheit, dass wir ihm schon bald gegenüber standen.
Früher oder später kehrte er sicher zurück auf den Kiez, wenn er in unserer Villa nicht das fand, was er wollte.

„Verdammt und was tun wir jetzt mit Boris?“ Fragte ich Kilian etwas reumütig um seinen Rat.
„Vergessen wir die Sache einfach.“ Schlug er vor und ich atmete ein klein wenig erleichtert auf. „Lohnt nicht drüber nachzudenken.“
Ich stutzte. „Über was den nachdenken?“ entgegnete ich ihm mit einem Fragezeichen in meinem Gesicht.
„Über einen Keller voller Kunstkrempel. Und zur selben Zeit stirbt da draußen in ein paar Stunden eine Frau einen qualvollen Tod.“ Je genauer ich mir Kilian ansah, je bewusster wurde mir , wie ernst es ihm wirklich war, die Sache endlich zu Ende zu bringen
Noch am selben Abend standen auch wieder Nela und Roya hinter der Bar im „Eros“. Und wie man so beobachtete, gefiel das den Kerlen, die hier aufkreuzten, was ich durchaus verstehen konnte.
Doch Achtung, wenn irgend jemand es auch nur wagte, Roya einen Klaps auf auf ihren süßen Arsch zu geben, war sofort Schluss mit lustig. Da verstand Nela keinen Spaß.
In regelmäßigen Zeitabständen observierten wir das „Eros“. Wie aus der Versenkung tauchten auch wieder Boris und Jurij auf und es dauerte nicht lange, bis wir alle zu alter Freundschaft zurückkehrten.
Ich brauchte zwar einen Moment, dass ganze irgendwie einzuordnen aber am Ende reichten wir uns nach einer kurzen, hitzigen Aussprache trotzdem die Hände und ich war froh, die beiden Spürnasen wiederzusehen.

Seit Tagen berichtete die Presse pausenlos über die Morde und zog ausgerechnet heute die Leute in Scharen auf den Kiez. Und es war mal wieder Boris, der den richtigen Riecher hatte, immer dann, wenn es gewaltig nach Ärger roch.
Vor dem Eingang des „Eros“ kam es zu einer heftigen Rangelei. Man musste nun wirklich keine Genie sein um zu kapieren, was da los war.
Entweder jemand konnten nicht zahlen, pöbelte herum und belästigte die Mädchen, oder versuchte sogar Drogen an die Leute zu verticken. Dann wurde auch nicht lange gefackelt und man landete schon mal etwas unsanfter auf dem Asphalt.
Sofort bildete sich eine kleine Menschenmenge. Drohte die Sache da gerade zu eskalieren? Aus ein paar Metern Entfernung wurde deutlich, dass man diesem Kerl mit einem scharfen Gegenstand das Gesicht zerschnitten hatte.
Aus seinem Gesicht lief aus mehreren Wunden Blut herab.
Nervös drehte ich um und suchte nach Boris und nach Kilian. Doch ich konnte beide in der Menge nicht ausmachen. Ich versuchte, ihm noch ein paar Meter zu folgen, verlor ihn dann aber in diesem Dickicht aus den Augen.
Nur Minuten später war der ganze Spuk vorbei. Unsicher darüber, was ich gesehen hatte und was ich nun tun sollte, ging ich zurück zum „Eros“.
„Zum Teufel, was war hier gerade los?“ fragte ich Nela aufgeregt.
„ Ein merkwürdiger Kerl.“ Antwortete sie uns stutzte dabei. „Nicht so wie sie anderen Typen, wenn es hier mal Ärger gibt. Und dann sein Gesicht. Das war kein Glas, das waren scharfe Fingernägel. Da schau! Er hat mir die ganze Theke versaut.“
„Schon mal gesehen hier?“ Hakte ich nach.
„Dreh dich mal herum. Der Laden ist voll. Da merkt man sich keine Gesichter. Aber das Gesicht erkenne ich ganz sicher wieder.“ Glatt übersah ich dabei die Gefahr, in der sich Nela und Roya bereits befanden.

Ich bemühte mich, die in mir aufsteigende Panik und den Druck, unter dem wir alle hier standen, unter Kontrolle zu bringen.
Es war schon wieder bereits weit nach Mitternacht. „Macht Schluss hier für heute. Ihr zwei müsst hier weg. Am Besten sofort.“ An meiner Stimme erkannte Nela sofort, dass irgendwas in der Luft lag.
Ich dagegen war Judith und Kilian dankbar, dass wenigstens Nina und die Kleinen in Sicherheit waren.
„Verrammelt die Türen und Fenster. Wir sehen uns in ein paar Stunden.“ Ich umarmte die beiden und tauchte im Getümmel der Menge unter.
Noch bis kurz vor Tagesanbruch verteilten wir uns immer wieder auf der Meile. „Es klingt hart, aber ich fürchte, für Michaela kommen wir zu spät.“ Meine Blicke sanken zu Boden.
„Diesmal nicht.“ Entgegnete Kilian. „Diesmal will er, dass wir ihn schnappen.“ Es fröstelte es mir bei jedem Wort.
„Du meinst wirklich, er legt es diesmal wirklich darauf an? Ich verstehe nicht.“ fragte ich Kilian verunsichert und zuckte mit den Achseln.
„Denke nach und spiel nicht den Ahnungslosen! Ich habe es dir bereits gesagt. Einer fehlt noch auf seiner Liste und erst dann ist sein mörderischer Auftrag erfüllt.“
Und dieser eine auf seiner Liste war ich. So schnell ich nur konnte, stoppte ich das nächste Taxi, das mich mit halsbrecherischem Tempo bis vor die Tür unseres Hauses brachte.
Ich bollerte und trat gegen die Tür. Doch niemand öffnete. Auch nicht Chloe, sie sicher um diese Zeit wie gewohnt zu Hause war.
Kam ich bereits zu spät?
Meine einzige Chance war, durch ein Seitenfenster ins Haus einzudringen. Mit dem Schaft meiner Magnum zerschlug ich das Fenster. Irgendjemand musste mich bei diesem Lärm doch gehört haben.
Ich erschrak.
Die Tür zur Veranda stand weit offen. Es war also jemand hier und von Nela und Roya fehlte bislang jede Spur.
Ich durchsuchte mit vorgehaltener Waffe jedes Zimmer und fand Chloe, an den Armen und Beinen auf einem Stuhl fixiert und mit einem Knebel in ihrem Mund in der Küche.
Behutsam befreite ich sie aus ihrer Qual, entfernte den Knebel bevor sie seitlich samt Stuhl, gezeichnet von brutalen Schlägen in ihrem Gesicht, zu Boden ging.
„Die beiden sind oben. Schnell, beeil dich.“ Jammerte Chloe. Ihr Herz raste wie verrückt.
„War er es? Ist er noch hier? Wenn ja bringe ich ihn um.“
Ich folgte dem Geräusch, ein deutliches Gewürge und Geröchel und noch bevor die Kabelbinder um ihre schlanken Hälse sie endgültig erdrosselt hätten, befreite ich die zwei, gefesselt am einem schweren Bettpfosten.
„Junge, das war verdammt knapp.“ Japste Nela mit fast schon blau angelaufenem Gesicht. Die zwei flogen mir in Arme und es dauerte noch eine Weile, bis das Beben und Zittern ihrer Körper langsam nachließ.
„Ganz ruhig, er ist weg und jetzt seit ihr sicher. Habt ihr ihn erkannt?“
„Nein, er trug eine Maske und ich kenne seine Stimme. Aber ich schwöre, es war dieser merkwürdige Kerl vom gestern Nacht.“ Doch Nelas und Royas Augen strahlten schon wieder, denn ich hatte ihnen soeben das Leben gerettet.
Dann griff ich aufgeregt zu meinem Handy und wählte mit zitternden Fingern Kilians Nummer. „Er war hier, aber Nela und Roya leben. Grüß Nina, Judith und die beiden Kleinen von uns.“
Doch am anderen Ende der Leitung war es still. Es war ein so verdammt sonderbares Gefühl, das mich ergriff, aber ich begann ihm tatsächlich zu vertrauen.
Ob wir das nun so recht begriffen oder auch halt auch nicht? Eines wussten wir ganz sicher.
Nur wieder mal durch Kilian, diesem verdammten Mistkerl und auch durch seine Judith, waren wir alle noch am leben.

**

Verdammt das war eine knappe Sache gewesen.
Mein Plan ging besser auf, als ich es mir vorgestellt hatte.
Während sich Nela und Roya die Hälse massierten, schaute ich mich um. Sehr vorsichtig war unser Killer nicht vorgegangen. Die Spurensicherung war auf dem Weg, doch bis die brauchbare Ergebnisse hätten, wäre Michaelas Zeit abgelaufen.
Es gab noch immer nur eine Zeugin, die lebend herumlief und die massierte sich gerade die Kehle. Roya!
Langsam verlor ich die Geduld.
Ich schnappte sie und packte sie am Arm. „Du packst jetzt besser aus!“
„Ich hab nichts gesehen…“
„Scheiße!“ Brüllte ich sie an. „Du hast mit Sicherheit irgendwas gesehen. Ich will wissen was!“
„Baumann! Finger weg von ihr!“ rief Nela, doch ich ignorierte sie. „Pack aus, oder du sitzt die nächsten Jahre im Knast!“
Nela war aufgesprungen und wollte sich zwischen mich und Roya stellen, doch diesmal hatte ich die Schnauze voll von Royas Spielchen und schob Nela zur Seite.
„Ich sag dir was! Wenn Michaela stirbt, gehst du als Mittäterin in den Bau.“
„Sie hat damit nichts zu tun, und das weißt du genau!“ Fauchte Nela.
„Der Richter wird es anders sehen.“ Entgegnete ich. „Sie hat ihn gesehen, genau deswegen war er hier. Als sie im Eros auftauchte und der Killer sie gesehen hat, hat sie ihn erkannt! Und er weiß das, sonst wäre er nicht hier her gekommen. Der Killer hätte alle Zeit der Welt gehabt dich umzubringen. An Nina oder die Kinder würde er wegen Boris und Jurij nicht herankommen, an dich schon.
Das er gerade heute Nacht zugeschlagen hat, hatte nur einen Grund! Er wollte die Zeugin beseitigen, und dich sozusagen gleich mit! Sie wusste es und hat dich absichtlich in Gefahr gebracht. Also überlege dir gut, wie viel Mitleid du mit ihr hast!“
„Das stimmt nicht!“ Rief Roya, plötzlich ohne hörbaren Akzent.
Das überraschte sogar Nela und sie drehte sich zu Roya um.
„Ich hab nicht mehr gesehen, als ich gesagt habe.“
„Aber, warum…?“
„Ich wollte bei dir bleiben! Ich hatte Angst, dass du mich, wenn der Mörder gefasst ist, wieder vor die Tür setzt. Deshalb habe ich so getan, als ob ich mich nur nicht erinnern könnte. Ich wollte hier bleiben.“
„Ich wollte dich nie…!
„Dafür hab ich jetzt keine Zeit!“ Fuhr ich dazwischen. „Also! Was ist mit Gold-Gerd und Lara passiert?“
„Wir fuhren mit Gold-Gerd mit. Er wollte nach Hause und hat die Umleitung genommen, um nicht an der Baustelle vorbei zu müssen. Er hat mir und Lara einen 50er extra versprochen, wenn wir es zusammen auf dem Rücksitz treiben. Er wollte uns im Rückspiegel zusehen.
Wir haben natürlich mitgemacht. Irgendwann hielt Gerd an und unterhielt sich mit jemandem. Ich hab kurz aufgeschaut, aber nur eine Gestalt mit Jeansjacke gesehen. Lara hat davon nichts mitbekommen und mich aufgefordert weiter zu machen, schließlich hatte Gerd dafür bezahlt.
Dann hab ich so etwas wie leise Schüsse gehört, Als ich aufsah, riss die Gestalt die Tür auf und schlug mir etwas auf den Kopf.
Als ich wieder zu mir kam, sah ich noch, wie der Mörder Lara den Schädel einschlug. Ich bin daraufhin zur Straße gerannt. Ein Wagen kam und der Fahrer rief die Polizei. Das war alles. Ich hab ihn nur von Hinten gesehen! Bitte ich will nicht wieder auf die Straße.“ Roya heulte wie ein kleines Kind und jetzt schob Nela mich zur Seite. Sie nahm Roya in den Arm und hielt sie.
Hurra. Roya hatte ausgepackt und ich war so schlau wie vorher auch.
Nein etwas schlauer war ich schon. Es passte genau in das Muster! Gold-Gerd hatte zwei Weiber auf dem Rücksitz, die es miteinander trieben und trotzdem hat er angehalten und sich von seinem Mörder in ein Gespräch verwickeln lassen. Für wen hältst du an und lässt dir ein Gespräch drücken, während du nach Hause willst, um zwischen die Frauen zu kommen? Ganz sicher nicht für irgendeinen Penner! Roya sagte, er trug eine Jeansjacke, also täuschte er keine Uniform vor. Also… je mehr ich darüber nachdachte, kam ich zu der Erkenntnis, das Gold-Gerd die Person kannte oder halt wie wir die ganze Zeit vermuteten einfach harmlos erschien.
Hinter mir konnte ich hören wie Stephs Gedanken rasten. Boris trug in seiner Freizeit öfter Jeansjacken. Als Ausgleich zu den Sakkos die er abends trug, wie er einmal zu ihm sagte.
„Nein!“ sagte ich nur.
„Nein was?“
„Es ist nicht Boris! Boris war nur mein Lockvogel.“
„Dein was?“ Fragte er und trat einen Schritt näher.
„Mein Lockvogel. Unser Killer wusste immer wer ihn, wo sucht, deswegen konnte er unentdeckt bleiben, aber dann haben plötzlich alle Boris gesucht und unser Killer konnte sich sicher fühlen. In Wirklichkeit haben wir nur darauf gewartet, dass er einen schweren Fehler macht. Und den hat er gemacht. Ich wette, er hat hier genug Spuren hinterlassen….“
„Du mieses Arschloch!“ Fauchte Stephan. „Du benutzt meine Familie, meine Freunde und meine Leute….“
„Ja, das tue ich! Und wenn ich den Killer so schnappe, ist mir es scheißegal, was du davon hältst.“
„Ich hätte so eine Lust, dir in die Fresse zu hauen.“
„Wenn wir den Killer haben, kannst du es gerne Mal versuchen….“
Mein Handy brummte los und unterbrach die sich anbahnende Katastrophe. Graling stand auf dem Display.
Während Steph blass dastand und die Fäuste ballte, glaubte ich meinen Ohren nicht.
„Wo seid ihr?…Alles klar! Ich bin unterwegs.“
Ich beendete das Gespräch und fuhr herum. „Wir haben eine Zeugin, die ihn genau gesehen hat. Sie liegt im Krankenhaus. Los! Ich hab keinen Wagen da, Boris du fährst.“
„Leck mich Baumann. Boris fährt nirgendwo hin.“
Bevor sich ein weiteres Streitgespräch entwickeln konnte, schritt Nela ein. „Haltet beide die Klappe. Ihr schnappt euch das Schwein jetzt, oder keiner von euch braucht mir je wieder unter die Augen zu kommen. Scheiß-Kerle!“
Zähneknirschend gab Steph Boris einen Wink und wir liefen zu Stephans Wagen. Mit seinem Chef als Beifahrer und mir im Fond brauste Boris los. „Wohin?“
„Stadtkrankenhaus.“
„Ok, Boss.“
Ich konnte es mir nicht verkneifen und stieß Stephan an. „Boss! Hast du gehört?“
„Fick dich, Kotzbrocken!“

**

Boris raste durch die Stadt zum Krankenhaus.
Dort angekommen wartete schon Jansen am Eingang. „Los, ihr könnt mitkommen.“ Herrschte ich die beiden im Wagen ab und riss die Tür auf.
„Soll ich etwas hier stehen bleiben?“ fragte Boris.
„Mann, was für Kaliber seid ihr bloß? Na klar! Polizeiliche Anweisung.“
Zu dritt liefen wir zu Jansen, die schon ungeduldig wartete.
„Also?“
„Janette Faller, arbeitet unter dem Namen Justine auf dem Kiez.“ Berichtete Jansen im Laufen.
„Justine? Verdammt,die kenne ich!“ rief Stephan einen Schritt hinter mir. „Sie hat ein Domina Studio in der Nähe vom Eros. Wie geht’s ihr?“
„Nur ein dickes Bein!“
„Ein Glück!“
„Scheiße Jansen, das Wichtige!“ unterbrach ich das Gespräch.
„Der Killer hat sie am Parkeingang geschnappt. Er hat mit ihr gesprochen und gesagt, dass er sie umbringt.Justine hat ihn angegriffen und konnte an ihm vorbei in den Park laufen. Dort konnte sie einen Mann auf sich aufmerksam machen, der mit seinem Hund unterwegs war.“
„Schon wieder am Park… Was ist mit dem Täter? Kann sie ihn beschreiben?“
„Etwas. Allzu genau nicht.“
„Lass mich raten, mittlere Figur, mittleres Alter, Jeansjacke.“
„Treffer.“
Verdammt! Wenn wir erst eine Zeichnung anfertigen müssen, ist Michaelas Zeit vorbei!
Wir kamen in einen Flur, wo Graling mit Schaller vor einer Tür stand.
„Die Ärzte haben sie untersucht und ihr noch kein Schmerzmittel gegeben. Sie wollte erst mit uns reden.“
Brachte mich Graling auf den neusten Stand.
Ohne groß anzuklopfen betrat ich das Zimmer, in dem Justine mit einer dicken Schiene am Bein im Bett lag. Boris wartete mit Schaller im Flur und passte auf, wer sich dort aufhielt.
„Stephan?“ Fragte sie verwundert, als der zusammen mit mir zu ihr trat.
„Hallo Justine, ein Glück ist dir nicht mehr passiert.“ Erwiderte der ihren Gruß. „Keine Sorge, ich arbeite mit der Kripo zusammen an dem Fall. Also, was ist passiert?“
-HE- dachte ich. –Ich stelle hier die Fragen!- doch anscheinend hatte Steph den richtigen Ton getroffen und Justine redete.
„Ich kann es nicht mehr genau sagen, Ich war müde und hatte einen langen Tag. Plötzlich zerrte mich der Kerl aus dem Auto und bedrohte mich.
Er stand mit einem Baseballschläger vor mir und hat gesagt, dass er mich und meine Kundschaft totschlägt.“
„Wir hat er ausgesehen?“
„Etwa ende Vierzig, dunkle Haare mit etwas Grau dazwischen. Da war nichts, was auffällig gewesen wäre. Mehr kann ich nicht sagen, ich hatte einfach Angst und geriet in Panik.“
„Schon gut.“ Beruhigte sie Stephan.
Schon gut? Scheiße, gar nichts war gut! Aber dafür konnte Justine auch nichts.
„Warum haben sie angehalten und sind nicht weiter gefahren?“ Fragte ich.
„Oh, ich bin nicht selber gefahren. Ich war müde und wollte mir den Stress an der Baustelle in der Innenstadt ersparen, darum hab ich mir ein Taxi genommen.“
„Ein Taxi?“
„Ja, ich hab so vor mich hin gedöst, als der Mann die Tür aufriss. Der Taxifahrer muss angehalten haben. Er muss den Mann auch gesehen haben!“
„Schätze du hast noch einen Zeugen, KB.“
Meine Gedanken überschlugen sich!
Plötzlich machte alles einen Sinn!
„DAS TAXI!“
„Vielleicht hat sich der Fahrer ja schon bei der Polizei gemeldet.“ Warf Stephan in den Raum.
„Scheiße es ist der FAHRER! Brüllte ich ihn an. „Klara hat angerufen und gesagt, dass einer ihrer Freunde beobachtet hat, wie Michaela in ein Taxi stieg.
Boris hat gesehen, wie Völling sich ein Taxi nahm, um nach Hause zu fahren.“ Ich fuhr zu Justine herum. „Das Taxi, war es sauber?“
„Was?“
„War das Taxi in einem sauberen Zustand?“
„ÄÄHMM nein, es lag jede Menge Dreck auf den Sitzen, und es stank nach alten Zigaretten.“
„Der Einzelunternehmer! Er hat Völling nicht in die Kurstraße gefahren, wie er uns erzählt hat. Völling ist bei ihm eingestiegen und er hat ihn umgebracht. Dann ist er zur Kastanien Allee gefahren und hat dort seine Leiche abgelegt. Nur so konnte er das Zeitfenster einhalten, das wir errechnet haben.
Ich wette das Brigitte Rothvogel auch nachts ein Taxi gerufen hatte, um zu ihrem letzten Termin zu kommen! Oder das er Gold-Gerd stoppen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Gerd kannte den Fahrer sicher. Durch die anderen Taxifahrer wusste er immer, wo wir ihn suchen oder wen wir in Verdacht haben. Als Taxifahrer kennt er sich auf dem Kiez bestens aus und kennt jeden und alles!“
„Scheiße Baumann. Das macht Sinn.“
„Graling ich brauche den Namen. Ich will jeden Mann auf der Straße haben. Wir müssen die anderen Taxifahrer einbeziehen. Stephan, ruf deine Leute an, irgendeiner muss den Kerl kennen! LOS!“
**
Noch auf dem Weg zum Wagen erreichte uns die Meldung. Der Name des Fahrers lautete Alfred Salatzki. „Er wohnt in der Poststraße 122!“ gab Berger durch.
„Ich will das volle Programm! SEK, Hunde… Um den Papierkram kümmere ich mich später.“
Wir sprangen in den Wagen und Boris gab Gas. Graling und Schaller hatten von mir die Anweisung bekommen sich nicht vom Fleck zu rühren, bis ein Einsatzkommando erschien, um auf Justine aufzupassen. Jansen hatten wir ins Schlepp genommen und zusammen waren wir auf dem Weg in die Poststraße. Dazu mussten wir fast durch die gesamte Innenstadt. Zum Glück hatte der Berufsverkehr noch nicht begonnen und wir kamen zügig durch die Stadt.
Jansen hatte das Handy am Ohr und ließ sich die neusten Meldungen geben.
„Die ersten Hubschrauber kreisen über der Nr. 122.“
„Sie sollen sich zurückhalten, bis das SEK da ist.“
Jansen gab die Anweisung weiter, hörte zu und sagte dann zu mir, „Das SEK braucht noch 10 Minuten.“
Verdammt! Die waren eher dort als wir. Egal. Schulz und seine Leute waren Profis, die wussten, was sie taten.
„Boss, ich sage es nur ungern, aber die werden nichts finden.“ Drehte sich Boris zu mir um.
„Was?“
„Ich kenne die Poststraße. Dort stehen Bretterbuden. Ab und an Mal ein Wohnwagen dazwischen, aber keine Häuser mit Kellern.“
Mir wurde beinahe schwindlig. Boris hatte Recht. Die Poststraße galt als Budenstraße. Bretterverschläge, Wohnwägen, selbst gezimmerte Häuschen. Hier könnte er niemals Michaela…
Mein ganzer Plan geriet aus den Fugen. Wenn nicht in der Poststraße… wo dann? Alle starrten mich an.
-Du hast verloren!- dachte ich mir.
Vor meinem inneren Auge sah ich Michaela genauso zugerichtet wie das Opfer in Rellers Haus.
RELLERS HAUS!
Warum hat er die Frau in Rellers Haus gefoltert? Weil er wusste, dass er dort ungestört ist! Der Killer wusste, das Reller nicht im Haus war und auch nicht wiederkommen würde!
Schnell ging ich die Opfer durch. Brigitte Rothvogel lebte in einem Mehrfamilienhaus. Lara und die anderen Prostituierten hatten ebenfalls kein Haus.
GOLD-GERD!!!
„Wo wohnte Gold-Gerd? Seine Adresse schnell!“ rief ich Jansen zu.
„Kantstraße 2!“
„Boris! Gib alles.“
Das brauchte man Boris nicht zweimal zu sagen! Er riss das Steuer herum und wendete den Wagen, mit quietschenden Reifen, mitten in der Fahrt.
Hupende Autos wichen aus, doch darum kümmerte sich Boris nicht. Mit Vollgas raste Boris durch die Straßen in Richtung Kantstraße.
„Baumann, das SEK ist in der Poststraße und stürmt Salatzkis Haus.“ Berichtete Jansen. „Bis die dort eingepackt haben und in der Kantstraße sind…“
„Wir sind unser Eigenes SEK.“
Boris schaffte es, in weniger als fünf Minuten in die Kantstraße zu kommen. Das passte schon eher. Einzelstehende Villen und Gerds Villa war ein Eckgrundstück, das von allen Seiten kaum einzusehen war. Dichter Bewuchs, hohe Bäume und eine lange Auffahrt. Als Boris die Zufahrt hoch bretterte, sah ich, halb unter den Bäumen versteckt, ein schmuddeliges Taxi stehen.
VOLLTREFFER!

**

Kilians Nachricht erreichte mich auf dem Fuße. Zugegeben, wenn es mir auch nicht  in den Kram passte, dass ausgerechnet ich es als Letzter erfuhr, dass dieser Salatzki unser Mann war, so hofften wir, wenigstens Michaelas Leben zu retten.
„Trommel die Leute sofort zurück.“ orderte ich Jurij, der mit Herzchen und mir den Rest der Truppe bildete. „Zweifellos, sie haben ihn. Wir können die Suche nach den Taxifahrern abbrechen.“
„Was stört dich daran? Die Sache ist erledigt. Kilian schnappt sich diesen Kerl und buchtet ihn für immer ein.“ Herzchen lachte nur und gönnte sich bereits den dritten Cognac.
Ich wusste es in dem Moment, als ich meinen Revolver aus dem Halfter zog und nachlud, dass mich diese beiden Teufelskerle genau verstanden.
„Schon gut, schon gut.“ Murmelte sich Herzchen in den Bart. „Gib mir ein paar Minuten.“
Das Dröhnen der Auspuffs Chevy Silverado war mir noch in bester Erinnerung und bildete mir sogar ein, ich würde es unter hunderten wieder erkennen. Na ja, aber diese Geschichte mit Tarek damals war ein anderes Kapitel.
„Was ist? Hast du es dir anders überlegt? Springt endlich rein ihr zwei Einzelkämpfer und dann sagt mir, wohin die Reise geht.“
„Kantstraße!“ Wies ich Herzchen den Weg und schob die Magnum Kal.38 mm langsam zurück in den Halfter.
„Hey komm langsam wieder zu dir. Wir holen die Kleine da jetzt raus.“ Irritiert und nervös trommelten meine Füße auf dem Fahrzeugboden.
Ich dachte an Nina und an unsere beiden Kleinen. Aber auch an Nela und hoffte, dass sie Roya verzeihen würde.
An Michaela, die einfach noch zu jung war, um durch die Hände von diesem Salatzki sterben zu müssen und an Kilian, auf den ich eine scheiß Wut hatte, obwohl ich doch gerade erst damit begonnen hatte, ihm etwas zu vertrauen.
Ob ich ihn tatsächlich tötete, wenn Salatzki mir direkt vor den Lauf meiner Magnum kam?
Oder war das dann Mord und ich ließ besser die Finger davon und kehrte zurück zu meiner Familie, überließ einfach Kilian das, was eigentlich seine Aufgabe als Bulle war.
„Gleich da vorne und wir sind da. Schätze die Party hat bereits ohne uns begonnen. Schau mal nach oben mein Freund?“ Lachte Herzchen. „Die Luftkavallerie.“
Ich dachte, viel in Herzchens Leben gab es wohl nicht mehr, was ihn irgendwie noch aus der Ruhe bringen könnte. Aber vielleicht war das auch gut so und bewahrte uns alle hier noch vor dem Schlimmsten.
Mit langsamen Tempo rollten wir dicht bis an die Absperrungen, die um Gold-Gerds Villa aufgestellt waren.
Eine Truppe Uniformierter in kugelsicheren Westen, aber auch einige bekannte Gesichter aus Kilians Soko hatten Mühe, ein paar Schaulustige zurückzudrängen.
„Verschwindet von hier. Das ist jetzt nicht mehr eure Chose.“ Mit erhobener Hand stand er vor dem Kühler des Chevy.
Das Seitenfenster neigte sich. „Ich schätze Kilian, dieses mal irrst du dich. Und jetzt pfeife deine Leute zurück und wir bringen die Sache hier zu Ende. Wenn dieser Kerl hier ist, haben wir keine Zeit mehr zum Rumlabern.“
Besser Kilian machte uns den Weg frei, denn zu was Herzchen fähig war, konnten weder er noch ich abschätzen. Die Hubschrauber wurden abgezogen und die Scharfschützen krochen aus ihren Positionen.
„Also gut, aber wenn was schief geht und der Staatsanwalt Randale macht, dann seit ihr alle gleich mit dran.“
Durch den endgültigen Abzug der Trachtengruppe herrschte schon bald wieder die für diese feine Gegend gewohnte Ruhe. Es schien mir fast, als könnte hier vor den Augen dieser reichen Pinkel der russische Staatszirkus seine Zelte aufbauen und niemand nahm davon irgendwelche Notiz.
Tatsächlich wirkten diese Prachtbauten, die selbst noch in der Dämmerung durch ihre weißen Fassaden leuchteten, leer und unbewohnt.
Neugierig blickte ich mich zu allen Seiten um. Alle waren sie fort bis auf Kilian und Boris und Janssen aus der einen Seite und Herzchen, Jurij uns ich auf der anderen Seite der Prunkmeile.
Ich verschwieg den beiden, dass irgendwo hier ganz in der Nähe vor langer Zeit auch meine Geschichte mit Nina begann.
Und warum mich die Wege immer wieder hierher zurückführten? Ich wusste es nicht und es interessierte mich auch nicht mehr die Bohne.
Trotzdem, ein wenig merkwürdig war es doch schon.
Es war Kilian, als plötzlich das Handy klingelte. „Schaut euch mal, aber unauffällig ihr Poltergeister, den Kerl dort drüben an.“
„Welchen Kerl meinst du?“
„Den da gleich vor eurer Nase. Oder haltet ihr da alle ein Schläfchen? Das ist Salatzki. Und ich bin sicher, er will zu Gold-Gerds Villa.“
„Ja, jetzt sehen wir ihn. Warten wir bis er reingeht?“
„Auf mein Kommando gehen wir los. Haltet euch bereit. Aber die Kanonen bleiben erst mal unten, klar?“
Wir warteten, bis es endgültig dunkel wurde. „Okay. Das war das Signal. Ich glaube Leute, es geht los. Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig.“
Von der anderen Straßenseite gaben uns Boris und Kilian mit kurz aufgeblendetem Licht das vereinbarte Zeichen.
„Boris, Jansen und ich versuchen es durch ein Fenster. Ihr drei geht um das Haus und wartet hinten auf uns.“ Entschied Kilian. „Jetzt kann Boris mal beweisen, was er drauf hat.“
Mit dem Glasschneider erwies er sich tatsächlich als äußerst geschickt und verschaffte sich als erster Zugang ins Haus.
„Lasst nur, ich kenne ihn. Boris ist ein Profi. Ihr werdet sehen, gleich steht er vor uns und öffnet uns die Tür.“ Jurij legte seine Hände für seinen Freund Boris ins Feuer und hielt tatsächlich sein Versprechen.
Nur in einem Bruchteil von Minuten öffnete sich wie von Geisterhand die Tür zur Veranda. Der Rest für uns alle war jetzt nur noch ein Bein über die Schwelle zu setzten und unsere dramatische Suche nach Michaela Spreyer begann.
Mit einer auf den Boden gerichtete Taschenlampe und vorgehaltener Waffe durchsuchten wir Zimmer für Zimmer, bis wir zu einem Treppenhaus gelangten.
„Nein, nicht nach oben. Irgendwo geht’s hier herunter in den Keller. Würde mich doch wundern wenn nicht.“ Flüsterte Kilian.
Der Abstieg zu einem Keller war ausgemacht. „ Wir gehen in zwei Gruppen. Die anderen passen hier auf, ob uns jemand stört.“
Die erste Gruppe übernahmen Herzchen, Jurij und ich. Je weiter wir herab stiegen, je kälter und feuchter wurde auch hier unten die Luft. Hier also irgendwo musste dieses Mädchen seit Wochen stecken, doch wo war Salatzki, den wir alle noch zuvor dabei beobachteten, wie er das Haus betrat?
Doch irgendwas verriet meinem Instinkt, dass wir hier unten nicht alleine waren. Ich erschrak, dass mir das Blut in den Adern stockte, als plötzlich flackerndes, fahles Licht den Gang erhellte.
„Sieh an, sieh an mein kleiner Engel, wir bekommen doch tatsächlich Besuch.“ Salatzkis krächzige, dämonische Stimme lief mir heiß und kalt den Rücken herunter.
In der rechten Hand hielt er einen mit Blut und Haaren verklebten Baseballschläger. Gewarnt durch das flimmernde Kellerlicht rückten Kilian und Boris nach, während seine Kollegin Janssen bereits Verstärkung und einen Notarztwagen von draußen anforderte.
„Wo steckt das Mädchen oder ich knall dich ab. Mach das Maul auf oder ich blase dir  dein krankes Hirn aus dem Schädel.“ Ich spürte, wie mein Finger am Abzug der Magnum zu zittern begann. Der erste Schuss krachte los, doch ich verfehlte ihn. Die Kugel schmetterte in die Kellerziegel, so dass uns die Splitter nur so um die Ohren flogen.
„Hey, ganz ruhig Mann!“  Herzchen riss mich an meinem rechten Arm und drückte  mich fest gegen die feuchte Kellermauer, umfasste mein Handgelenk, dass der Revolver zu Boden ging.
„Hier wimmelt es gleich vor Blaulichtern. Überlassen wir ihn  Kilian. Wenn du ihn jetzt abknallst, gehst du dafür noch in den Bau.“
Mit einem plötzlichen Griff  herüber zu Salatzki zog er ihn heran und schlug ihn gezielt auf den Betonboden, wo er dann eine Weile bewusstlos ausharren musste.
Michaela aber lebte. Erst im aller letzten Moment fanden wir die hinter mächtigen Weinregalen versteckte Tür zu ihrem Verlies.
Sein mörderisches Spiel war endgültig aus. Knapp, aber wir hatten es geschafft. „Verschwindet jetzt lieber von hier.Am Besten hinten heraus und seht zu, dass euch niemand sieht.“ Riet uns Kilian. „Und noch was Steph! Judith ruft gerade an. Du wirst zu Hause erwartet. Und jetzt raus hier mit dir.“
Tatsächlich gab es noch Dinge auf dieser Welt, die ließ selbst ich mir nicht zweimal sagen. Und dazu gehörte jetzt ganz sicher, Nina und die Kleinen endlich wieder fest in meine Arme zu schließen und ich hoffte auch Nela und Roya zusammen wiederzusehen.
Warum war ich mir bloß eigentlich so sicher, dass Nela ihr vergeben würde? Na warum wohl? Die beiden gehörten einfach zusammen und das war auch gut so.

**

Michaela hatte jede Aufforderung mit ins Krankenhaus zu fahren abgelehnt.
„Wo ist Marc? Wie geht’s ihm?“ Waren ihre ersten Fragen. Typisch….
Da sie fest entschlossen war sich erst im Krankenhaus behandeln zu lassen, wenn sie sicher sein konnte, dass es Marc gut ging, einigten wir uns darauf, dass ich mich erst einmal um Michaela kümmern würde.
Es war acht Uhr morgens, als ich mit ihr und Jansen am Präsidium ankam. Kammer hatte Marc gerade ein Frühstück aus der Kantine gebracht, als wir auf den Parkplatz fuhren.
Jetzt stand ich am Fenster und beobachtete wie die beiden immer noch eng umschlungen dastanden.
Marc hatte es in den letzten Tagen geschafft, nicht ein einziges Mal zu Drogen zu greifen. Trotz des gnadenlosen Entzugs mit all seinen Erscheinungen hatte Marc standgehalten. Ein gutes Zeichen, wenn auch nur ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ich wusste nur allzu gut, dass die kleinste Versuchung, und die würde schon in den nächsten Stunden kommen, ausreichen könnte ihn wieder an die Nadel zu bringen.
Jansen und Kammer stellten sich rechts und links neben mich und gemeinsam sahen wir zu dem Paar.
Dann bemerkte ich, dass die beiden nicht Michaela und Marc ansahen, sondern mich.
„Was?“ Fragte ich gereizt.
„Ich hab nichts gesagt.“ Meinte Jansen.
„Ich auch nicht.“ Stimmte Kammer ein.
„Wir haben sie gerettet, der Rest ist nicht mein Problem.“
„Ja, genauso ist es.“ Antwortete Jansen.
„Absolut.“ Kammer versuchte, nicht zu grinsen, was ihr sichtlich schwerfiel. Dann sahen sie mich wieder schweigend an.
„Scheiße! Weiber!“ Fluchte ich und stürmte auf den Parkplatz.
Dort schnappte ich mir Marc und packte ihn am Kragen. „Ich fragte dich das nur ein einziges Mal, willst du clean werden?“
„JA, bitte….“
„Schnauze!“ Dann sah ich Michaela an. „Wirst du mir helfen?“
„Ich tu alles, was…“
„Klappe.“ Ich zerrte die beiden zu meinem Wagen und trieb sie vorwärts. „Los ihr zwei traurigen Gestalten, mitkommen!“
Zwanzig Minuten später saßen die beiden in der Schatulle, Herzchen riesiger Gestalt gegenüber. Marc schmolz förmlich in seinem Stuhl zusammen, während ihn Herzchens Blicke durchbohrten. Irgendwann blickte Herzchen zu mir auf und schüttelte den Kopf.
„KB, dass frisst einige Gefallen auf, die ich dir schulde.“ Dann schaute er Michaela an. „Das hier ist kein Wellnesshotel. Wenn ihr hier bleibt, arbeitet ihr für mich. Klar?“
Die nickte nur und senkte den Kopf. „Ich… Ich kann etwas tanzen, aber… vielleicht, wenn mir es jemand beibringt…“
„Was?“ fragte Herzchen dazwischen, lachte dröhnend und wurde wieder todernst. „Nein! Kennst du dich mit Buchhaltung aus?“
„Etwas.“
„Gut, Ich habe fünf Clubs, du wirst dich um die Essens und Getränkebestellungen kümmern und die verschiedenen Cateringservices koordinieren.“
Erleichtert nickte Michaela.
„Komm, ich zeig dir dein Büro.“
Wir gingen ein paar Türen weiter und Herzchen öffnete eine der Türen. Dahinter lag ein Büro, in dem es viel ordentlicher aussah, als man es in einem Sex-Club erwarten würde.
„Das ist jetzt dein Reich. Ich erwarte, dass keiner meiner Clubs auf dem Trockenen sitzt. Verstanden?“
Michaela nickte begeistert und versprach ihr Bestes zu geben und ich glaubte ihr. Herzchen hatte sich mit Michaela selbst einen großen Gefallen getan.
Dann wurde Herzchens Miene wieder eisenhart, als sich wieder Marc zuwandte.
„Und jetzt zu dir! Los, ich zeig dir deine Aufgabe.“
Er schob Marc in Richtung Keller und stieß mich an. „Kommst du auch mit?“
„Klar.“ Das konnte ich mir nicht entgehen lassen.
Unten im Keller öffnete Herzchen eine große Stahltür eines seiner Kühlräume und zog die Tür ganz auf. Im Inneren lagen hunderte Holzkisten voller edler Tropfen.
„Die Kühlung muss gewartet werden und ich weiß nicht wie lange das dauert. Du wirst jetzt alle Kisten in den anderen Kühlraum, am Ende des Flures bringen und zwar zackig! Und wehe eine Einzige Falsche geht zu Bruch!
Und falls ich dich je mit Stoff erwische“, er packte Marc am Kragen und zog ihn gute dreißig cm hoch, „dann werde ich dir dein Herz herausreißen! Du bist jetzt in der Hölle und die verlässt du erst wieder, wenn du so clean wie ich bist! Verstanden?!!“
Ich klopfte Herzchen auf die Schulter und ging lachend nach oben.
Manchmal machte der Job einfach Spaß!

Ende  Teil3